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Kapitel 10.


Laune löst – was Laune knüpft!

Schiller.

 

In dem alten freiherrlich von Nördlingenschen Hause brannte die Lampe in dem etwas altmodischen, einfachen, aber sehr behaglichen Wohnzimmer. In dem bequemen Ledersessel, welcher schräg neben den Tisch gerückt war, saß der Oberstlieutenant und studierte eifrig die Zeitungen.

Draußen heulte der Schneesturm durch die enge Gasse, Hagelschauer von Eiskörnchen prasselten gegen die Scheiben und die rostigen Fensterläden greinten in den Angeln.

Wie gemütlich war es im warmen Zimmer! Der Freiherr rieb sich in bester Laune die Hände und lehnte sich nachdenklich in den Sessel zurück.

Seine eigenen Angelegenheiten interessierten ihn momentan mehr, als alle Händel der fernen Außenwelt, welche die Zeitungen erörterten. Ein Gefühl innigster und glücklichster Zufriedenheit überkam ihn.

Nach mancherlei Stürmen, Sorgen und Mühen war er in den Hafen glückseliger Ruhe eingelaufen, jetzt erst, nachdem er den bunten Rock ausgezogen hatte, in Wahrheit ein Freiherr zu sein. Seine Verhältnisse waren nie glänzend gewesen und blieben auch jetzt recht bescheiden, aber die Mittel reichten für ein anständiges, genügsames Leben aus, und das war die Hauptsache.

Seine beiden Söhne waren gut aufgehoben. Der Älteste war Marineoffizier geworden, der Jüngste berechtigte in der Selekta des Kadettenkorps zu den besten Hoffnungen, – und Pia – seine einzige Tochter – –

Ein strahlendes Lächeln verklärte das Antlitz des alten Offiziers. Für Pia war nicht nur gesorgt, sondern sogar glänzend gesorgt.

Vorhin hatte er Graf Rüdiger im Adelsklub getroffen. In intimster und vertraulichster Weise hatte sich Niedeck erkundigt, ob denn sein künftiges Schwiegertöchterchen nun endlich bei den Eltern eingetroffen sei? Seit Weihnachten habe er sie bereits sehnlichst erwartet, denn es werde doch nun hohe Zeit, daß er das Wort einlöse, welches er für seinen Sohn dermalen an die Kleine verpfändet!

Herr von Nördlingen hatte schmunzelnd erwidert, daß sein Töchterchen seit drei Tagen zu Hause angelangt sei, und daß er nicht ermangeln werde sie in Villa Casabella zu präsentieren!

Der Graf war näher zu ihm herangerückt.

»Am 14. dieses Monats findet der letzte Hofball statt –« hatte er geflüstert. »Ich habe Wulff-Dietrich dazu herbeordert, damit er auf die Brautschau gehe. Sorgen Sie dafür, lieber Nördlingen, daß Pia auf dem Balle anwesend ist, damit wir die Bekanntschaft der jungen Leute anbahnen! Mein Junge ist nun alt genug, um heiraten zu können, und ein Erbe ist meinem Vetter Willibald auch noch nicht geboren. Also müssen wir an die Zukunft denken! – Wulff-Dietrich ist ein absonderlicher Kauz, er nimmt es mit Liebesdingen sehr ernst und feierlich, hoffentlich ist Pia in ihrem Wesen recht ausgesprochen deutsch geblieben, trotz der langen Jahre, welche sie in Paris verlebte! Wulff-Dietrich haßt alle französische Art, und ich fürchte, er hegt in dieser Beziehung Befürchtungen! Wollen Sie und Ihre Frau Gemahlin nun nach Kräften auf die junge Dame einwirken, bester Freund, daß sie sich dem Geschmack meines Sohnes ein wenig anpaßt –! Echt weiblich! Nicht von Zolabüchern und amüsanten Erlebnissen im Chat noir erzählen! Dafür hat mein solider Sohn kein Verständnis! – Also ich verlasse mich auf Sie, lieber Nördlingen, das Glück unserer Kinder steht auf dem Spiele!«

Daran dachte der Freiherr jetzt, und ein pfiffiges Lächeln huschte über sein Gesicht.

Pia, seine goldlockige Pia, eine Pariserin!!

O, wie wird Graf Wulff-Dietrich jenen schwarzen Verdacht, welchen er hegte, vor diesem Urbild aller deutschen Sittsamkeit, alles edlen Stolzes kniefällig abbitten! –

Was wird er für Augen machen, wenn er die für ihn Auserwählte sieht! –

Der Oberstlieutenant wiegt sich schon in den rosigsten Hoffnungen und sieht die stolzen Triumphe vor Augen, welche seine Tochter und durch sie auch er feiern wird!

Er hat Pia allerdings noch nicht mit jungen Herren verkehren sehen, aber er ist überzeugt, daß ihr stolzes, selbstbewußtes Wesen nie die Grenze des Erlaubten überschreiten wird! Dennoch thut er wohl gut, ihr zu sagen, was Graf Wulff-Dietrich von jungen Mädchen verlangt, und was für sie auf dem Spiele steht.

Die Thür im Nebenzimmer öffnet sich, ein leichter Schritt nähert sich, – dann klirrt ein Schlüsselbund an dem Kredenzschrank.

»Pia?«

»Ja, Papachen, ich bin es!« –

»Was thust Du?«

»Ich gebe noch zwei Fleischgabeln heraus, – sie fehlen auf dem Tablett. Warum rufst Du? Soll ich Dir etwas besorgen?«

»Ja! besorge mir einmal mein Töchterchen hierher!«

Sie lacht leise auf und tritt ein. Der Lichtschein der Lampe fällt auf ihre hohe, schlanke Gestalt in dem geschmackvollen, dunklen Hauskleide.

Wie eine junge Edeltanne ist sie gewachsen, kraftvoll und dennoch biegsam und graziös. Ihre Bewegungen sind ungezwungen, sehr sicher und dennoch anmutig, etwas Stolzes, Eigenwilliges drückt sich in der Haltung ihres Nackens und Kopfes aus. Ein auffallend reizendes Antlitz wendet sich dem alten Herrn zu. Blondes Haar, welches aussieht, als ob grelle Goldfünkchen darauf brennen, lockt sich voll und üppig über der Stirn und schlingt sich zu so dichtem hellglänzenden Knoten, daß sich wohl jedem Beschauer der Wunsch aufdrängt, diese goldene Pracht einmal gelöst zu schauen.

Große, veilchenblaue Augen leuchten über zart rosigen Wangen, – die Nase ist grad und zierlich, der Mund gleicht frischen Kirschen. –

Ein Ausdruck sinnender Weichheit liegt über dem zarten Gesichtchen, und dennoch kann derselbe schnell schwinden und einer stolzen, spröden Kälte, einer leidenschaftlichen Erregtheit Platz machen.

Ihr Onkel hat den Eltern geschrieben: »Pia ist sehr leicht zu behandeln, wenn man ihrer Eigenart gerecht wird. Sie kann dahinschmelzen in Liebe und Weichheit, wenn man ihr mit der zarten, liebevollen Rücksicht begegnet, wie sie ihr unberührtes, ich möchte beinah sagen ›heiliges‹ Kindergemüt verlangt. Eine hohe, sittliche Reinheit prägt all ihrem Handeln und Denken den Stempel auf, sie ist fähig, sich für einen zerlumpten Bettler, welcher ihr mit Respekt begegnet und eine ehrenhafte Gesinnung bezeigt, aufzuopfern, und sie ist gleichfalls fähig, einem Prinzen, welcher sie nur im mindesten durch einen kecken Blick oder ein kühnes Wort verletzt, Krone und Purpur vor die Füße zu werfen, wollte er ihr dieselben anbieten! –

Ich gestehe ehrlich ein, daß wir diese, allerdings etwas schroffen Gegensätze ihres Wesens eher kultiviert wie abgeschliffen haben, denn Pia gleicht einer Rose, welche der Dornen bedarf, ihre keusche Schönheit zu schützen. – Wenn ihre große Jugend es zur Zeit auch noch zuläßt, daß Pia in ihrer Mimosenhaftigkeit hie und da zu weit geht, so wird sich das ›zuviel‹ schon ganz von selbst verlieren, wenn sie ruhige und erklärende Ansichten von Welt und Menschen erhält.«

Der Legationsrat war ein Menschenkenner und geistreicher Mann, er hatte die kleine Nichte, welche in seinem Hause herangewachsen war, sehr richtig geschildert, aber Herr von Nördlingen war gar nicht im mindesten diplomatisch beanlagt, und viel zu ungewandt in der Behandlung von Mädchenherzen, als daß obiger Brief die gewünschte Wirkung hätte auf ihn ausüben können. Er hatte in seiner Jugend kaum ideale Anschauungen gekannt, – jetzt, im Alter, nach dem schweren, sorgenvollen Kampf des Lebens, hatte er sie völlig verloren.

Er dachte nur praktisch, nur real und nüchtern, und wer anders zu denken wagte, den nannte er überspannt und unvernünftig. Der Gedanke, daß ein Mädchen eine so glänzende Partie wie den Majoratsherrn von Niedeck nicht mit allen Fibern des Herzens ersehnen, – ja, womöglich ausschlagen könne – dieser Gedanke kam ihm gar nicht in den Sinn, im Gegenteil, er war überzeugt, daß die Pläne des Grafen Rüdiger Pias Herz mit demselben Stolz und behaglichen Entzücken erfüllen würden, wie das seine.

Und in dieser Überzeugung zog er das reizende Töchterchen neben sich auf einen Sessel und reichte ihr schmunzelnd ein großes, gelblich gefärbtes Kartonblatt hin. –

»Na, was hätte ich denn hier, Mamsellchen? – Donner und Doria noch eins, ich hoffe, Du freust Dich!«

Pia warf einen Blick auf das goldene herzogliche Wappen und die gedruckten Zeilen darunter. Ein sonniges Lächeln erhellte ihre Züge:

»Ein Hofball? – am 14.?? und ich bin auch schon mit eingeladen? O, das ist reizend, ich freue mich gar zu sehr, unsere hohen Herrschaften kennen zu lernen, denn eigentlich war es doch toll, daß ich in der Heimat so völlig fremd geblieben!«

Der Freiherr kniff mit geheimnisvollem Lächeln die Augen zusammen: »Ja, es ist toll, – Du bist viel zu lange weggeblieben, und hast nun gar manches schleunigst nachzuholen, mach Dich nur ganz besonders hübsch, und nimm Deine rosigste Laune mit, mein Goldfasänchen – denn es ist noch eine viel wichtigere Persönlichkeit wie Serenissimus da, welche Dich auch kennen lernen will!« –

Pia blickte unbefangen auf; die langen, dunklen Wimpern malten breite Schatten um die Augen.

»Noch wichtiger, wie die herzogliche Familie? das ist ja gar nicht denkbar!« –

Der Oberstlieutenant kniff sie voll unverhohlener Seligkeit in die Wange: »Kleiner Aff Du! was gehen ein junges Mädel denn die verheirateten Leute an! – Bei Euch kommt doch immer zuerst die Myrte und dann erst die Königskerzen!!« –

Pia's lächelndes Antlitz ward plötzlich ernst: »Ich verstehe Dich nicht, Papa!« – sagte sie, unwillkürlich ein wenig weiter zurückweichend. Da lachte Nördlingen in seiner etwas derben Manier laut auf und recitierte –

»Du Kind mit goldenen Härchen,
Wart' noch achtzehn Jährchen,
Dann kommt mein Sohn Wulff-Dieterich
Und macht zu seiner Gräfin Dich!

Hahaha – Spiritus, merkst Du etwas?!«

Das junge Mädchen zuckte zusammen, hoch und stolz hob sich das goldschimmernde Haupt auf den Schultern.

»Du weißt, Papa, daß ich diesen abscheulichen, frivolen Vers hasse!« – stieß sie mit bebenden Lippen hervor. Nein, Herr von Nördlingen war gar kein Menschenkenner, sonst hätte er schleunigst seinen Schlachtplan geändert.

Er verstand sich aber nicht auf den Blick aus Mädchenaugen, darum lachte er noch mehr und noch lustiger: »Du haßt ihn gewiß, mein Herzchen, weil der saumselige Freier die achtzehn Jahre verstreichen ließ, ohne sein Wort einzulösen? Na, das war nicht seine Schuld, Vetter Willibald hat sie ja durch seine Heirat auf Wartezeit gesetzt, und jetzt erst ist wohl die Erbfolge gesichert.« – –

»Ah – die Werbung galt also nur den sechzehn Ahnen?« furchte Pia die Stirn und fuhr voll schneidender Schärfe fort: »Die Braut selber war völlig Nebensache! erhielt Graf Wulff das Majorat nicht, so war auch die lästige Ehe unnötig. Er hielt es nicht einmal für notwendig, sich die Zukünftige anzusehen, bis ihm das Messer an der Kehle saß; nun aber, wo es ernstlich Zeit ward, an den Handel zu denken, nun kommt er wohl gar auf den Hofball, um mich zu mustern?!« –

Der Freiherr zuckte gleichmütig die Achseln: »Du sprichst über Dinge die Du nicht verstehst; Prinzessinnen und Edeldamen, welche Rücksichten auf Traditionen zu nehmen haben, müssen sich poetische Liebeswerbungen aus dem Kopf schlagen.«

»Ich bin aber keine Prinzessin, welche sich für Land und Welt opfern muß!« –

»Aber Du bist ein armes, blutarmes Mädchen, welches auf seine Familie Rücksichten zu nehmen hat und Gott auf Knieen danken muß, wenn der reichste Erbe des Herzogtums es zu seiner Gattin machen will!«

Pia hatte sich erhoben, ihre schlanke Gestalt bebte, ihr Antlitz war leichenblaß. »So arm ist meine Familie nicht, um ein derart sündhaftes Opfer von mir zu verlangen, und so elend, so verworfen und unmoralisch bin ich nicht, um einen derartigen Menschenhandel zu billigen, geschweige Gott dafür zu danken, daß man mich bis zur Schmach erniedrigen will! –«

Zornesröte stieg in das Gesicht des Oberstlieutenants, aber er war noch viel zu betroffen, viel zu starr über diese jähe unfaßliche Wendung der Dinge, daß er kaum zu sprechen vermochte.

Er stützte die beiden Hände fest auf die Sessellehne: »Hast Du eine bessere Partie in Aussicht, als wie den Grafen Niedeck?«

»Nein, Papa!«

»Hast Du Dich bereits in einen anderen verliebt?«

»Nein, Papa.« –

»Nun, dann verbitte ich mir in Zukunft alle Deine kindischen Einwände auf das strengste! Kannst Du mir einen anderen Freier zuführen, welcher sich in jeder Weise mit dem Majoratsherrn von Niedeck messen kann, gut, so will ich Dir gern die freie Wahl zwischen beiden gestatten, kannst Du es nicht, so hast Du Dich gehorsam dem Willen Deiner Eltern zu fügen, welche für Dich und Deine Zukunft sorgen wollen! –«

»Auch die Gewalt der Eltern hat ihre Grenzen!« brauste Pia voll leidenschaftlicher Erregung auf.

»Allerdings, sie hört auf, wenn sie ungehorsame und widersetzliche Kinder aus dem Vaterhaus verstoßen! – und ich versichere Dich, daß ich mich nicht von überspannten Backfischschrullen und krankhaften Sentimentalitäten tyrannisieren lasse! Fügst Du Dich nicht unserer Fürsorge, gut, so sieh, wie Du allein fertig wirst, unser Kind bist Du dann nicht mehr, das merke Dir. –«

Er hatte mit sehr ruhiger, beinah kalter Stimme gesprochen, und das junge Mädchen wußte, was das bei dem Vater besagen wollte.

Er hatte nie einen Widerspruch ertragen, er konnte maßlos heftig und jähzornig werden, wenn man sich Anordnungen, welche er getroffen, nicht fügte. Daran war jüngst auch seine militärische Carriere gescheitert.

Und ein Tropfen dieses hitzigen Blutes schäumte auch in Pias Adern.

Bis in die Lippen erbleicht stand sie vor dem grausamen Sprecher. Sie kämpfte und rang gegen sich selber. Antwortete sie jetzt, so war es für ewig aus zwischen ihnen, das wußte sie.

Und sie hatte den Pflegeeltern im Haag versprochen, auf die Schroffheit des Vaters Rücksicht zu nehmen und keine Scenen herauf zu beschwören.

Also schweigen; – Zeit gewonnen, alles gewonnen. Sie hob das Haupt stolz in den Nacken und wandte sich zur Thüre.

»Noch eins!« klang die Stimme des Oberstlieutenants hinter ihr. »Glaube ja nicht, daß Du den Grafen durch ein unliebenswürdiges Benehmen zurückschrecken kannst! – Ihn abweisen oder abschrecken bleibt eins für mich. Ich werde dafür sorgen, daß Du im Verkehr mit ihm beobachtet wirst.«

Ein bitteres Auflachen wollte sich von den Lippen des jungen Mädchens ringen, aber sie preßte dieselben wie unter physischem Schmerz krampfhaft zusammen und trat hastig über die Schwelle. –

*

In demselben Zimmerchen, auf demselben Stuhl, wo einst Tante Johanna saß und gequälten Herzens den Blick zum Himmel hob, saß jetzt ihr Liebling Pia und preßte das Antlitz schluchzend in die Hände. Es waren Thränen der Verzweiflung, der leidenschaftlichsten Empörung, welche so brennend heiß durch die schlanken Finger perlten.

Ihre heiligsten, lautersten Gefühle waren verletzt, ihr Stolz zuckte unter dem Keulenschlag, welcher ihn getroffen.

Als Ware – als willen- und gefühllose Ware sollte sie verhandelt werden, – wie eine Sklavin schleppte man sie auf den Markt, pries ihre sechzehn Ahnen mit prahlerischem Geschrei an und der Mann, welcher just eine Stammtafel dieses Inhalts gebrauchte, um damit im Eintausch eines Majorats ein gutes Geschäft zu machen, kam mit gleichgültigem Blick, das notwendige Übel, welches zu dem alten Stammbaum gehörte, in Augenschein zu nehmen!

Wozu noch diese entehrende, demütigende Komödie?

Ob sie ihm gefiel oder nicht, – es war ja so gleichgültig! er wählte sie ja doch nie und nimmer aus freiem Antrieb, aus Liebe und herzlicher Zuneigung, er heiratete sie eben nur darum, weil er sie freien mußte, weil ihm keine andere Wahl blieb, weil die rücksichtslose Klausel im Erbfolgerecht ihre Bedingung stellte! Hatte Willibald gezögert, Tante Johanna heimzuführen?

Sie, die Alternde, Verkrüppelte, nach welcher sonst nie ein anderer Mann, selbst der bescheidenste nicht, die Hände ausgestreckt hatte? Tante Johanna behauptete ja, sie sei überschwenglich glücklich geworden!

Sie aber zur Glücklichsten zu machen, – dazu gehörte nicht viel! Ihre Engelsanftmut, ihre Bescheidenheit, welche an Unterwürfigkeit grenzte; – ihre namenlose Dankbarkeit für die kleinste Freundlichkeit und Aufmerksamkeit – ja, wie hätte Tante Johanna jemals an der Seite eines Mannes unglücklich werden sollen, wenn derselbe ihr sattsam zu essen gegeben hätte, ohne sie zu prügeln!!

Aber Pia trug nicht die Seraphschwingen dieser Dulderin an den Schultern! –

So, wie einst Johanna hier gesessen hatte und das Kommen eines Grafen Niedeck zum Inbegriff all ihres Glückes, zur Erfüllung ihrer sehnlichsten Träume ward, so saß jetzt ihre Nichte an demselben Platz und zermarterte ihr Köpfchen mit den abenteuerlichsten Plänen, wie sie den verhaßten Unbekannten, diesen Grafen Niedeck fernhalten könne!

Sie sagte sich selbst, daß sie bei den Eltern kein Verständnis für ihre Herzensnot finden werde, daß Vorstellungen und Bitten erfolglos bleiben würden, und sie sagte sich ferner, daß Graf Wulff-Dietrich huldvollst ihre Hand acceptieren würde, wenn er sich überzeugt hätte, daß die »offizielle« Gattin, welche er heimführen mußte, kein Ungeheuer an Häßlichkeit oder Bosheit sei! Pia, die Spröde, feinfühlige, zitterte vor Scham bei dem Gedanken an ihr Begegnen mit dem Grafen.

Es durfte nicht stattfinden, nun und nimmermehr!

Aber wie sollte sie es verhindern?

Von ihr durfte das Vereiteln der elterlichen Pläne nicht ausgehen, – es würde sie das Vaterhaus und die Heimat kosten, es würde alle Bande zwischen ihr und den Menschen zerreißen, welche ihrem Herzen auf der Welt am nächsten standen!

An Tante Johanna schreiben? –

Gerade sie kann in dieser Angelegenheit, wo es sich um ihr Besitztum handelt, unmöglich für sie eintreten!

Was thun?! –

Plötzlich zuckt es wie ein rettender Gedanke durch ihr Köpfchen; die rotgeweinten Augen strahlen auf, ein Schimmer rosiger Hoffnung verklärt ihr Antlitz.

Sie wird an Graf Wulff-Dietrich selber schreiben! Man sagt ja, er sei ein Ehrenmann, reich an allen Tugenden; ist es thatsächlich der Fall, so ist er vielleicht ritterlich genug, ihr zu Hilfe zu kommen.

Pia kräuselt ironisch die Lippen. Giebt es heutzutage thatsächlich noch Männer, deren Ritterlichkeit noch größer ist, wie ihre Goldgier?

Wenn sie ihm schreibt, daß sie die befohlene und erzwungene Ehe zwischen ihnen unmoralisch und entwürdigend, für ihren Stolz geradezu unerträglich findet, so wird er sicher voll diplomatischer Gewandtheit alle möglichen Ausflüchte und Spitzfindigkeiten in das Treffen schicken, wird sich auf die, durch Jahrhunderte geheiligte Tradition berufen, und wird die Konvenienz der Fürstenehen citieren und was es dergleichen mehr an klingenden Phrasen giebt.

Nein, damit packt sie ihn nicht bei der Ehre, damit faßt sie nicht jene einzige Ansicht, über welche es für ritterlich denkende Männer kein Disputieren giebt.

Sie wird es anders anfangen, jesuitisch – mit dem Wiegenliedlein für ihre Skrupel, daß ja der Zweck die Mittel heiligt; Pia nimmt mit stürmenden Pulsen Feder und Papier zur Hand und setzt sich nieder, an Graf Wulff-Dietrich zu schreiben:

 

»Sehr geehrter Herr Graf!

Es wird Sie überraschen, einen Brief von mir, der Unbekannten, zu erhalten. Ich weiß, daß es durchaus gegen Form und gute Sitte verstößt, wenn eine junge Dame an einen fremden jungen Herrn einen Brief richtet; es giebt aber Lebenslagen, in welchen alle Rücksichten schweigen müssen, in welchen alle Nebensachen vor der großen, ernsten Hauptsache schwinden. verzeihen Sie, wenn ich eine Angelegenheit berühre, welche uns beiden nicht fremd ist, und nächster Zeit doch zwischen uns hätte erörtert werden müssen. Es betrifft die rein geschäftliche Abmachung unserer Eltern, uns zu verheiraten. Ich kenne Sie nicht, Herr Graf, also können diese Zeilen Sie auch nicht beleidigen. Meine Ansichten über eine derart gewaltsame Vereinigung zweier Menschen, welche vielleicht in nichts harmonieren und keinen Funken von Sympathie, geschweige von Liebe füreinander fühlen, diese Ansichten möchte ich Ihnen gar nicht erst aussprechen, denn ich hoffe, Sie teilen dieselben mit mir. Sicherlich würde es auch Sie sehr unangenehm berührt haben, eine Frau zu heiraten, welche nur auf Befehl der Eltern ihr Jawort gegeben! Wenn ich mich aber jetzt in meiner Verzweiflung an Sie wende, hochgeehrter Herr Graf, mit aller Zuversicht auf Ihren Edelmut und allem Vertrauen in Ihre Ritterlichkeit, so werden Sie mir gewiß nicht die Hilfe versagen, um welche ich Sie anflehen möchte!

Ich liebe, Herr Graf! Liebe mit der ganzen heißen Innigkeit einer tiefen Neigung einen Mann, welchem ich Treue gelobt habe und welchem ich auch Treue halten will, – bis zum Tode. – Seiner Werbung steht viel, – alles im Wege, solange meine Eltern in der unglückseligen Zuversicht leben, in Ihnen den reicheren, und darum willkommeneren Freier begrüßen zu können. Eine Weigerung meinerseits, mit Ihnen auf dem Hofball am 14. dieses Monats zusammen zu treffen, würde eine Vernichtung all der heißen Wünsche sein, welche mein Verlobter und ich in die Zukunft setzen, denn der Zorn meines Vaters würde mich zu strafen wissen. Nun wende ich mich an Sie, hochverehrter Herr Graf, und beschwöre Sie bei allem, was Ihnen heilig ist, erbarmen Sie sich meiner und kommen Sie am 14. dieses Monats nicht auf den Ball. Eine Depesche kann Sie im letzten Moment entschuldigen, ersparen Sie uns beiden das entsetzlich Peinliche einer persönlichen Begegnung –! Ich würde es Ihnen in unbegrenzter Dankbarkeit zeitlebens gedenken! – Ich weiß, daß ich viel, sehr viel von Ihnen verlange, denn es blieb mir nicht unbekannt, daß sich Ihre reiche Erbschaft an meine sechzehn Ahnen knüpft; aber mein Glaube an Ihren Edelmut, an Ihren Rittersinn ist größer, wie meine Angst vor Ihrem Trachten nach Gold und Schätzen. Ich bin zu Ende mit meiner Beichte, ich lege sie vertrauend in Ihre Hand. – Schreiben Sie mir keine Antwort. – Antworten Sie mir durch Ihr Fernbleiben, – und ich werde Sie segnen dafür!

Pia, Freiin von Nördlingen-Gummersbach.«

 

Als die junge Dame diese Zeilen in fliegender Hast zu Papier gebracht, las sie das Geschriebene noch einmal flüchtig durch und lehnte sich alsdann mit glühenden Wangen in den Sessel zurück. Eigentlich war es unerhört, was sie da geschrieben hatte!

Lügen, schreckliche Lügen von Liebe – Treue – und einem Verlobten! Wäre sie nicht gar zu aufgeregt und außer sich gewesen, sie würde hell aufgelacht haben! That sie unrecht? – Ein großes Unrecht! Gewiß nicht, sie kam nur der Lüge des Grafen: »Ich liebe Dich« – geschickt zuvor. Und etwas stark aufgetragen mußte das Schriftstück sein, denn ein Mann, welcher sich überhaupt zu so einem entwürdigenden Menschenhandel hergab, der war nicht so peinlich in seinen Ansichten.

Da mußte schon schweres Geschütz aufgefahren werden, sollte in solch ein Herz die Bresche des Mitleids geschossen werden. Pia siegelte und adressierte den Brief, dann hüllte sie sich in Pelzmantel und Kopftuch und eilte, fiebernd vor Ungeduld, in den Schneesturm hinaus, das wichtige Schreiben eigenhändig zu besorgen.

Ungesehen kam sie wieder heim und setzte sich in das Fenstereckchen, um sich nun einem Hangen und Bangen in schwebender Pein hinzugeben.

Dann schritt sie abermals zu dem Schreibtisch, um einen Brief an Tante Johanna zu verfassen. Sie schüttelte ihr rückhaltlos ihr Herz aus.

»Wenn es irgend angeht, Herzenstantchen, lade mich zu Dir ein, damit ich so bald wie möglich von hier wegkomme!« bat sie zum Schluß. »Ich kenne Cousine Fränzchen noch nicht, und es wäre doch hohe Zeit, daß wir Freundschaft schlössen.«

*

Die Tage vergingen schnell und der Hofball kam.

Frau von Nördlingen that alles, was in ihren Kräften stand, um der Tochter gut zuzureden, und der Oberstlieutenant war die verkörperte Güte und Liebenswürdigkeit, stets von neuem bewußt, den Glanz des Niedeckschen Majorats in überschwenglichster Weise auszumalen.

Und Pia schien wirklich auch nachgiebiger zu werden, wenn sie auch still und blaß, mit verweinten Augen umherging.

»Die ganze Stadt spricht bereits von Graf Wulff-Dietrichs Brautschau!« sagte sie aufgeregt. »Man erwartet unsere Verlobung mit Bestimmtheit, o, Mama, wenn ich ihm nun nicht gefalle, wenn er schon eine andere erwählt hätte, – Graf Hartwig soll jüngsthin erzählt haben, sein Bruder wolle sich an Landesfürst und Kaiser wenden, daß die Erbschaftsklausel als unhaltbar aufgehoben werde, ach, ich würde sterben vor Scham und Stolz, wenn er sich nicht mit mir verlobte.«

Der Oberstlieutenant drehte grimmig den Schnurrbart in die Höhe. »Ich wollte es ihm nicht raten!« wetterte er. »Meine Tochter ist keine Puppe, die man besehen und ungekauft wieder aus der Hand legen kann!«

Er sah es in seiner Erregung nicht, daß es um Pias Lippen wie stolze Genugthuung zuckte.

Bezaubernder wie je stand die junge Baroneß vor dem Spiegel und starrte mit fiebernden Pulsen aus ihr wunderholdes Bild. Sie empfand es selber, kam Graf Wulff, so trat er freiwillig nicht mehr zurück, eine namenlose, schwindelnde Aufregung folterte sie, mechanisch stieg sie in den Wagen und fühlte, daß ihr Herzschlag stockte bei der quälenden Frage: »Wird er kommen?«


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