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Kapitel 2.


Fama, behende vom Schwung, wie sonst kein anderes Scheusal,
Rührigkeit mehrt ihr Gedeihn, und kräftiger wird sie im Fortgehen;
Anfangs klein und verzagt; bald hoch in die Lüfte sich hebend
Tritt sie einher auf dem Boden und birgt in den Wolken die Scheitel!

Virgil.

Eine verlegene Stille entstand.

Der Assessor räusperte sich mit vielsagendem Blick ringsum, der Apotheker neigte sein spitzes Kinn auf den Teller und kicherte leise auf, und als der Auditeur sogar laut in seine Serviette pruschtete, und der bedienende Simmel die breite, rote Hand mit gespreizten Fingern vor das Gesicht preßte, wie einer, der halb erschrocken, halb belustigt seine Gefühle verbergen will, – da gab es kein Haltens mehr, ein lautes, wohlthuendes Gelächter erscholl.

Die Gräfin machte ein sehr reizend naives Gesicht und wandte sich zutraulich zu ihrem entzückten Nachbar: »Stimmt es wirklich, Herr Assessor? Habe ich das Rechte getroffen?« –

Der Gefragte verneigte sich: »Gnädigste Gräfin – haben wenigstens die Ansicht von Angerwies und Umgegend ausgesprochen!« – lachte er noch immer. »Man kann ja manches denken, was man aus Respekt nicht in Worte kleiden darf.«

»Aus Respekt?« – Der Graf nahm noch einmal die Weinkarte zur Hand und winkte dem Wirt: – »ich bitte Sie um alles, bester Herr Assessor, wer ist jenes Monstrum im Schafpelz, daß es Respekt von Menschen verlangen kann, in deren Augen es sich selber so lächerlich herabsetzt?«

Abermals jubelndes Gelächter, dann kicherte der Apotheker: »Vor dem Schafpelz hat man allerdings keine Devotion – wohl aber vor dem Namen, welchen er umhüllt! Der seltsame Herr da draußen war der Reichsgraf Willibald von Niedeck, der Besitzer eines der reichsten und herrlichsten Majorate, welche das deutsche Vaterland kennt!«

Ein leiser Aufschrei der Überraschung tönte von den Lippen der fremden Gräfin, sie preßte das spitzenbesetzte, duftende, weißseidene Taschentuch gegen die Lippen, als fürchte sie eine Ohnmacht. »Schauderhaft! Shocking!!« stöhnte sie auf. »Sie scherzen, lieber Assessor! – Wenn dieser Mensch der reichste, vornehmste Majoratsherr ist – dann gehört er entweder in seine eigene Rumpelkammer oder – in das Irrenhaus!!« –

Der Assessor zuckte mit vielsagendem Blick die Achseln, der Graf aber schien ganz in die Weinkarte versunken. Mit gewinnendstem Lächeln sah er jetzt auf.

»Ich finde, meine sehr verehrten Herrschaften, daß wir hier äußerst gemütlich zusammen sitzen und gar nichts besseres thun können, als diese charmante Tischstunde noch ein wenig auszudehnen! Das Regenwetter fesselt uns heute so wie so an das Zimmer, darum bitte ich die Herren, mir als liebe Gäste noch ein Weilchen Gesellschaft zu leisten. Mein bester Meister Simmel, ich lese daß Sie auch Sekt in dem Keller haben! Lassen Sie bitte eine Flasche sogleich herauf bringen, und vier andere auf Eis legen, – ich freue mich, die Repräsentanten der Angerwieser ersten Gesellschaft dazu einzuladen!« –

Welch eine Wirkung hatten diese Worte! Vater Simmel stand einen Augenblick, als traue er seinen Ohren nicht, – dann verklärte ein geradezu traumhaftes Lächeln sein Antlitz, und beide Hände ineinander schlagend, wie einer, welcher sein Glück nicht fassen kann, wankte er zur Thür. Die zwölf Flaschen echt französischen Sektes, welche im Keller lagerten, deuchten ihm längst die Nägel zu seinem Sarge. Er hatte sie anläßlich der Hochzeit des reichen Brennereibesitzers kommen lassen, aber vierzehn Tage vor der Hochzeit starb der Bräutigam, und nun gab es in Angerwies keine Gelegenheit für französischen Champagner, der deutsche billige Schaumwein war sein Todesurteil. In seiner Verzweiflung hatte Simmel dem Grafen Willibald Niedeck den kleinen Posten angeboten, war aber zu seinem tiefen Groll abschlägig beschieden worden! Und nun, als er das teuere Schmerzenskind Cliqot schon längst zu Grabe gelegt hatte im Keller, – kam dieser herrliche, unvergleichliche, fremde Märchengraf und sprach sein Zauberwort, welches den Sesam öffnete! – Das war eine That, welche ihn ewig zu des fremden Schuldner machte!

Und nun gar die Gesichter der umsitzenden Herren, welche heute, am simplen, werktägigen Mittwoch für ganz umsonst echt französischen Champagner trinken sollten.

Hohe Glut stieg in aller Wangen, – linkische Verbeugungen, unverständlich gemurmelte Worte des Dankes antworteten auf die entzückende Einladung.

Der Apotheker trat in seiner Herzensfreude seinem Nachbar beinahe die Zehen unter dem Tische ab, und der Auditeur kniff und schuppte seinerseits unbemerkt, aber energisch den Postassistenten, daß diesem siedeheiß ward.

Nach der ersten beglückt verlegenen Stille ergriff die unbändig geschmeichelten Herren eine wahre Quartanerfröhlichkeit; der Graf ließ zu allem Überfluß noch sein Cigarrenetui die Runde machen, aus welchem die echten Havannas einen Duft ausströmten, daß der Apotheker mit feucht verschwimmenden Augen flüsterte: »Kinder, das sind solche ›Festrüben‹, von denen damals unsere Deputation zum Fürsten erzählte!«

Der Graf wandte sich an seine Gemahlin: »Ist es Dir unangenehm, wenn wir rauchen, liebe Melanie? Befiehlst Du, daß ich Dich in Dein Zimmer zurück führe?« –

Der Assessor fuhr erschreckt zusammen, sein Blick traf wie ersterbend in Schmerz die schöne Nachbarin, und die Gräfin war keine Turandot. Mit reizender, beglückender Anmut lächelte sie ihm zu und schüttelte dann den Kopf: »Nein, Rüdiger, wenn es nicht geniert, möchte ich Euch Gesellschaft leisten. Drüben langweile ich mich allein, während hier in charmanter Weise für meine Unterhaltung gesorgt wird!« Dabei zuckte wieder ein Blick wie ein zündender Funken zu dem Assessor hinüber, welchem bei so viel Huld ganz schwindlig ward.

Und dann kam der Sekt und perlte in den Gläsern, und der Graf setzte aller Leutseligkeit die Krone auf und ließ noch ein Glas bringen, um es für den »wackeren Hausherrn« füllen zu lassen! Das war zu viel für Vater Simmel! Helle Thränen traten ihm in die Augen.

Der Graf aber nahm den abgerissenen Faden der Unterhaltung wieder auf.

»Wenn ich vorhin recht verstand, meine Herren, war der verrückte Mensch in der Bärenmütze der Graf Willibald Niedeck! Es interessiert mich auf das lebhafteste, von diesem närrischen Kauz das Nähere zu hören! In der Residenz erzählt man sich ja schier unglaubliche Dinge von ihm, aber es scheint doch manches unwahr und übertrieben zu sein, denn man erzählte zum Beispiel noch jüngst bei Hofe, der Graf habe die Weltordnung auf den Kopf gestellt, er schlafe am Tage und wache in der Nacht. Nun sehen wir ihn aber doch soeben in heller Mittagsstunde spazieren gehen?« – Der Apotheker hielt sein Spitzglas mit der unbehandschuhten Rechten krampfhaft umklammert. Der Wein prickelte ihm noch in der Nase.

»Ja, ja – der Herr Graf haben aber trotzdem recht,« rief er erregt, »nur mit dem Bemerken, daß der Niedecker seine Passionen wie die Hemden wechselt! Noch vor vier Wochen lebte er ausschließlich in der Nacht. Um zwölf Uhr wurde ihm das Diner serviert, dann ging oder rannte er vielmehr wie ein Bürstenbinder querfeldein durch den Park. Als er bei einer solchen Promenade aber in der Dunkelheit stürzte und sich den Fuß verstauchte, hat er das Nachtleben wieder aufgegeben!«

»Unerhört! er muß in ein Tollhaus!!« alterierte sich die Gräfin.

»Und nun huldigt er wieder anderen Marotten?« forschte ihr Gemahl kopfschüttelnd.

»Es wird alle Tage schlimmer mit ihm!« nickte der Postassistent mit fehdelustigem Blick. »Ich fuhr jüngst einmal nach Niedeck hinaus, um ein größeres Kapital sicher hinzubringen, aber ich gestehe ehrlich ein, daß ich so viel Blödsinn nicht erwartet hätte!« –

»Unsinn – er ist überhaupt gar kein richtiger Graf! er heißt man bloß so!« – grollte Vater Simmel verächtlich dazwischen.

»Ah interessiert mich lebhaft! Was sagen Sie zum Beispiel, mein verehrter junger Freund?« Der Graf lächelte ihm zu und der Assistent erglühte vor Stolz.

»Nun, hochverehrter Herr –« antwortete er hitzig und sichtlich froh, zu Worte zu kommen und die feinen Herrschaften interessant unterhalten zu können. »Wie ich zum Beispiel ankam, nahm ich an, daß man mich in das wundervolle Schloß zum Grafen führen würde. Ich sah alle Fenster erleuchtet und war überzeugt, eine größere Gesellschaft zu treffen, obwohl ja die Dienerschaft erzählt, daß der steinreiche Mann niemals eine Menschenseele zu sich einlädt – –«

»I wo, er kauft ja nicht für fünf Pfennige in Angerwies,« brummte Simmel abermals dazwischen; »ja zu Lebzeiten der alten Herrschaften, da soll ein echt gräfliches Leben auf Niedeck gewesen sein! da wurden alle Geschäfte in der Stadt reich, – aber bei dem Jetzigen da werden wir allesamt bankrott!« –

»Das ist ja sündhaft! Der Mann hat doch Verpflichtungen gegen die Kaufleute!« – ereiferte sich die Gräfin, der Assistent aber fuhr nach neuem Schlucke fort: »Ich suche also den Herrn Grafen in Gedanken in seinem schönen Schloß, und wo finde ich ihn??« –

»Nun?«

»In der Kutscherwohnung des Hofgebäudes!«

»Undenkbar!!«

»Aber wahr, Herr Graf! Jetzt weiß es ja auch schon die ganze Stadt! Ja, da hat der Niedecker die unglaubliche Hirnverbranntheit, sich in dem niedrigsten, ärmlichsten kleinen Loche einzuquartieren, wo er doch den schönsten Prachtbau des ganzen Landes sein eigen nennt! Der Kutscher mit seiner Familie wohnt nun in den schönen Parterresälen, und der Herr Graf haust in zwei winzig kleinen Käfigen in dem Hofgebäude! Jeden Abend muß das ganze Schloß von oben bis unten glänzend erleuchtet werden, aber die Zimmer stehen öde und leer, der Majoratsherr selber setzt keinen Fuß hinein.«

»Nun – hat er denn einen vernünftigen, stichhaltigen Grund dafür?«

»Daß man nicht wüßte!«

Der Graf schüttelte den Kopf. »Er ist geisteskrank, so beträgt sich kein vernünftiger Mensch!«

»Ja, man sollte es wirklich annehmen, daß eine Schraube bei ihm lose ist!« lachte der Assessor mit glühender Stirn; die Gräfin hatte ihr goldenes Cigarrenetui aus dem Kleide gezogen und mit graziösen Fingerchen zwei Cigaretten gedreht, eine für den Assessor, eine für sich; nun saß sie und blies die blauen Rauchwölkchen durch die feinen blaßfarbenen Lippen, – so ganz der Typus der eleganten Frau, für welche Bärning stets eine Leidenschaft gehabt.

»Zum Beispiel grenzt es doch auch schon an Verrücktheit, daß er einen Marstall edelster Pferde für seine Dienerschaft hält!« –

»Für seine Dienerschaft?«

»Gewiß, nur für Kutscher und Bediente; die elegante Equipage fährt täglich spazieren, ohne daß der Herr Graf jemals in derselben Platz genommen hätte. Bei Wind und Wetter trabt er zu Fuß hinter dem Wagen her, bei Hitze und Sonnenglut keucht er schweißtriefend die weitesten Wege auf Schusters Rappen, dieweil sein Marstall kaum noch die Zahl der edelsten Rosse fassen kann!« –

»Das ist ja einfach hirnverbrannt!« schüttelte der Graf entrüstet den Kopf. »Wenn er dann die Reitpferde wenigstens Ihnen, meine Herren, zur Verfügung stellte und die Schönen von Angerwies in dem Wagen spazieren fahren ließ!« –

Schallendes, ingrimmiges Gelächter. »Dieser Filz! Dieser Geizhals! Er kennt uns ja kaum, er verkehrt ja mit keinem Menschen in der Stadt!«

»Und doch wäre dies seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit!« rief die Gräfin eifrig. »Er sollte alle paar Tage ein schönes, großes Fest auf Schloß Niedeck geben und die Gesellschaft von Angerwies dazu einladen! Mon Dieu – Rüdiger – wenn wir an Stelle des verrückten Menschen wären, wie wollten wir anders für das Wohl von Land und Leuten sorgen! Bester Herr Assessor, Sie würden allerdings schlecht dabei wegkommen« – fügte sie mit leisem Lachen und bezauberndem Blick hinzu, »Sie müßten Tag aus Tag ein mein Kavalier sein und mich zu Wagen und Roß begleiten!« –

»Oh, gnädigste Gräfin – kaufen Sie Niedeck!« rief Bärning enthusiastisch, und die anderen Herren griffen stürmisch zu den Gläsern und jubelten mit weinschweren Köpfen: »Hurrah! das ist eine Idee! Herr Graf, Sie müssen Niedeck kaufen!« –

Der Fremde zuckte mit seltsamem Lächeln die Achseln. »Ein Majorat kaufen, meine Herren? Dieses Kunststück machen Sie mir einmal vor!« Er strich langsam den spitzengedrehten Schnurrbart, dann hob er in jähem Entschluß den Kopf.

»Meine Herren« – rief er laut – »können Sie schweigen?« –

»Herr Graf! – Wie das Grab!« – klang es zurück, während die weinseligen Gesichter sich voll fiebernden Interesses über den Tisch neigten. »Ihr Vertrauen ist uns königliche Ehre!« –

»Nun denn, meine Herren – Sie sehen in der Gräfin und mir die künftigen Besitzer von Schloß Niedeck! Ich habe die Ehre, mich Ihnen bekannt zu machen – last not least! ... Ich bin Rüdiger, Graf zu Niedeck.« –

Wie gelähmt vor Überraschung saßen die Herren, einen Augenblick herrschte beklommenes Schweigen, dann erhob sich der Apotheker, verneigte sich tief und schuldbewußt und stotterte: »Wir hatten keine Ahnung, Herr Graf ... ich bitte für uns alle ganz unterthänigst tausendmal um Entschuldigung, daß wir es gewagt haben, so sehr abfällig von Ihrem hochgeborenen Herrn Vetter zu sprechen!« –

Der Graf schüttelte lachend den Kopf, streckte dem Sprecher herzlich die Hand entgegen und drückte sie lebhaft.

»Mein verehrter Herr« – lachte er – »ich bitte Sie um alles, keine Exküsen! Sie haben die volle, lautere Wahrheit gesagt, welche ich Wort für Wort unterschreibe! – Meine Herren! Ich bin für gewöhnlich nicht so schnell mit Bekanntschaften machen, aber ich muß gestehen, daß Sie alle mir einen so außerordentlich sympathischen Eindruck machen, daß ich das Gefühl habe, guten, langjährigen Freunden gegenüber zu sitzen, und daß dies noch in Wirklichkeit durch lange Jahre der Fall sein möge – darauf, meine Herren, lassen Sie uns die Gläser leeren! – Meine zukünftigen Gäste auf Niedeck, sie leben hoch!«

Ein brausendes Hurrah erfüllte das Zimmer. Wie ein wahrer Rausch überkam es die geschmeichelten Herren. – Sie warfen sich in die Brust, als habe sie das Wort des Grafen allesamt zu Rittern geschlagen, – sie schüttelten und drückten ihm die Hände mit einem Enthusiasmus, als gälte es, ein einiges Deutschland zu feiern. Ein vereinigtes »Angerwies und Niedeck« schien allen in diesem Augenblick noch tausendmal wichtiger und weihevoller. Der Assessor küßte schon zum dritten Male die Hand der Gräfin und rief leidenschaftlich: »Die künftigen Herren von Niedeck! Wann bricht aber diese goldene Zukunft für uns alle an, gnädigste Gräfin?« –

Eine atemlose Stille trat ein. »Ja, wann bricht sie an?« wiederholte der Apotheker mit sehnsuchtsvollem Seufzer.

Der Graf blickte ernst in sein Glas. – »Wenn mein Vetter zu seinen Vätern heimberufen wird, meine Herren, – und das möge noch Zeit und Weile haben, ich will ihm sein Leben bei Gott von Herzen gönnen, wenngleich er in seinem traurigen, geistigen Zustand nicht viel Genuß davon hat, und auch Anderen nicht zum Glücke dient. – Ich weiß nicht, ob Sie mit unseren Familiensatzungen vertraut sind, meine Herren? – Nein? – das wundert mich, denn dieselben sind so eigenartig, daß sie als Absonderlichkeiten im ganzen Lande bekannt sind und viel besprochen werden. Der Vater meines Vetters Willibald und der meine waren Brüder. Nach Recht und Gesetz erbte der Ältere, Willibalds Vater, das Majorat, und diesem folgte rechtmäßig sein einziger Sohn, der jetzige Besitzer. Obwohl Willibald seit Jugend auf ein absonderlicher Kauz war und den Begriff ›Degeneriert‹ leider stark bewahrheitete, schien doch für mich wenig Aussicht auf das Erbe, und darum heiratete ich ohne Rücksicht auf die wichtigste aller Majoratsklauseln meine schöne Frau hier ...«

»Schmeichler!«

»Die volle Wahrheit, schöne Gräfin!«

»Obwohl ich dadurch für mich persönlich jedes Recht an das Majorat aufgab.« –

»Mein Gott, in wie fern das, Herr Graf?!« –

»Meine Frau ist eine geborene Bürgerliche, die Tochter eines unserer bedeutendsten Industriellen des Landes, – wer jedoch Majoratsherr von Niedeck sein oder werden will, darf nur eine Gattin mit sechzehn Ahnen, die Tochter eines im Lande angesessenen Adelsgeschlechtes heimführen ...«

»Wie absurd! – unerhört!! – lächerlich!!!« –

»Ja, meine Herren, die Klausel ist nicht nur lächerlich, sondern unhaltbar, denn bei unseren heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen gehört eine Dame mit sechzehn Ahnen zu den großen Seltenheiten, sie ist kaum noch im deutschen Reiche zu finden, geschweige denn in unserem kleinen Ländchen, wenn sein Adel auch als einer der exklusivsten noch gilt. Ein tadelloser Stammbaum von derartiger Höhe ist nur noch bei zwei Familien des Landes zu finden, und der Zufall wollte es, daß just für unsere Generation – ich meine für Willibald und mich, keine heiratsfähigen Töchter in diesen Familien vorhanden waren. Ich sah außerdem meine kleine Frau – und damit war mein Schicksal besiegelt.« –

»Oh, wie begreiflich!« flüsterte der Assessor mit schwärmerischem Blick.

»Ich persönlich kann also niemals mehr Besitzer und Majoratsherr von Niedeck werden, sondern mein ältestes Söhnchen wird erst in diese Rechte treten, wohl aber kann ich als Vater und Vormund des Kindes das Erbe für ihn verwalten, falls Willibald vor dessen Volljährigkeit sterben sollte.« Der Sprecher schwieg, – nachdenklich starrten die Herren in die Gläser.

»Wie sehr traurig liegen die Verhältnisse für uns, Herr Graf!« seufzte der Apotheker, »denn ich fürchte, so krank auch der Geist des Herrn Grafen sein muß, so kerngesund ist sein Körper und läßt ihn ein sehr hohes Alter erreichen!« –

»Oh, das wäre gleichgültig, wenn wir ...« rief die Gräfin sehr eifrig, verstummte aber unter dem scharfen, warnenden Blick, welchen ihr Gatte ihr zuwarf.

»Wenn wir wenigstens zeitweise als Gast auf Niedeck weilen und unsere liebenswürdigen Freunde hier bei uns sehen könnten!« – fiel er ihr schnell mit gewinnendem Lächeln ins Wort, »nun, die Hoffnung müssen wir aufgeben, mein Kind, denn Du weißt, daß Willibald und ich uns als feindliche Vettern gegenüber stehen. Ich huldige der Devise: Leben und leben lassen! und bin bemüht, durch mein Geld auch anderen Menschen Freude und Genuß zu verschaffen. Willibald dahingegen ist ein knickeriger Egoist, welcher kein Herz für seine Mitmenschen hat!«

»Das stimmt!« klang es erbittert im Kreise.

»Wird denn aber Ihr Söhnchen eine Frau mit sechzehn Ahnen finden, Herr Graf?« fragte der Postassistent schüchtern, – die Sache ging ihm gewaltig im Kopfe herum und beunruhigte ihn ersichtlich.

Graf Rüdiger lachte: »Ja, mein lieber Müller, dafür habe ich schon bei Zeiten Sorge getragen. Mein ältester Junge ist jetzt zehn Jahre alt, und bei dem Freiherrn von Nördlingen-Gummerbach ist vor vier Jahren ein reizendes, blondhaariges Töchterchen geboren, welches recht arm an Geld, aber desto reicher an Ahnen ist.

Diese kleine Pia ist die gegebene Frau für meinen Wulff-Dietrich. Bei ihrer Taufe haben wir Väter die Sache bereits abgemacht, und ich erachte das kleine Elfchen schon völlig als Schwiegertochter, denn sie muß es werden, es giebt keine andere Frau im Lande für den Niedecker. – Nun aber noch einmal an die Gläser, meine Herren! Das Wetter klärt sich auf und Papa Simmel muß uns einen Wagen beschaffen, daß wir ein wenig spazieren fahren können. Ich muß doch einmal nach dem Rechten sehen, ob die Besitzungen unter dem Regime des geisteskranken Herrn nicht allzusehr herunter kommen! – Heute Abend auf Wiedersehen, meine Herren? Sie speisen doch wohl wieder hier?«

Man rieb sich halb verlegen, halb eifrig die Hände.

»Für gewöhnlich kommen wir erst nach dem Abendbrot wieder hier zusammen, aber wenn wir die hohe Ehre genießen können, mit den Herrschaften abermals zusammen zu sein ... –«

»Natürlich! Wir wollen doch die kurze Zeit genießen, um uns recht gut kennen zu lernen!« lächelte die Gräfin wie ein Engel und reichte jedem der Herren die Hand.

»Ich bin auf jeden Fall hier! Ich bin der Schatten meiner schönen Königin!« rief der Assessor voll kühner Sektlaune.

Die elegante Frau lachte amüsiert und der Graf klopfte ihm jovial auf die Schultern: »Recht so! tragen Sie ihr die Schleppe, lieber Bärning, sie ist so sehr an Verehrer gewöhnt, daß sie sich nicht langweilen darf.«

Gott sei Dank, der Gatte war nicht eifersüchtig!

Dem Assessor ward ganz schwindlig vor Wonne. Das Ehepaar Simmel aber lächelte sich strahlend zu. So war es recht! Die Herrschaften sorgten auch für Abendtischgäste in der »Stadt Hamburg«.

*

Drei Tage waren vergangen, seit Graf und Gräfin Niedeck in Angerwies ihren Einzug gehalten und es war, als ob diese drei Tage genügt hätten, einen völlig neuen Hauch des Lebens in das Städtchen zu tragen.

Alle Gemüter befanden sich in höchster Aufregung, man lief Straß auf, Straß ab spazieren, um die Herrschaften zu sehen, von welchen wahre Wunderdinge der Leutseligkeit, Freigebigkeit und Eleganz erzählt wurden.

Das gräfliche Ehepaar besuchte die einzelnen Geschäfte und machte brillante Einkäufe. Alle teuren »Modellstücke«, welche zum Kummer der Besitzer als ewige Ladenhüter prangten, wurden jetzt an den Mann gebracht. Man machte glänzende Geschäfte, denn da Alt und Jung den Trieb fühlte, sich über die außerordentlichen Ereignisse auszusprechen, liefen auch die Angerwieser von einem Laden in den anderen und kauften zum Vorwand gar mancherlei, was sie sonst nicht nötig gehabt hätten. Überall hörte man begeistertes Lob über die fremden Niedecks, überall ward der Ruf laut: »Ach, warum ist nicht dieser Graf der Majoratsherr!« Ja, dieser verstand es besser, sich die Herzen zu gewinnen und den Grafen zu repräsentieren, wie jener verdrehte Sonderling im Schafpelz, welcher kaum zu Weihnachten einem armen Kind fünf Pfennige schenkte!

Graf Rüdiger hatte das Armenhaus besucht und volle hundert Mark in die schwindsüchtige Kasse desselben gelegt; er war mit seiner Gemahlin bei dem Krankenhaus vorgefahren und hatte auch hier hundert Mark deponiert.

Begegnete ihnen ein Bettler, oder arme Holzleser, oder sonst ein bedürftig Aussehender, so hatte Graf Rüdiger sofort die Börse in der Hand und schenkte mit verblüffender Freigebigkeit. Was Wunder, wenn die Namen der fremden Herrschaften voll überströmenden Lobes in aller Munde waren und aus manchem Körnlein ein Berg gemacht wurde!

Wie eine Bombe schlug die Nachricht ein, daß der Graf über »Kaisers Geburtstag« in Angerwies bleiben würde und daß er sich als guter Deutscher ganz besonders freuen würde, wenn der Kriegerverein diesen Tag besonders festlich begehen wollte! Waren doch erst fünf Jahre seit dem glorreichen Tage verflossen, an welchem Kaiser Wilhelm der Erste, als Einiger des deutschen Reiches, aus Frankreich heimgekehrt war!

Da flammte der Patriotismus noch in aller Herzen, und die Bürger von Angerwies, welche für gewöhnlich nur den Geburtstag ihres Landesfürsten feierten, jubelten bei der gegebenen Anregung, zweimal im Jahre ihren Gefühlen freien Lauf lassen zu können.

Von selber waren sie nicht auf den Gedanken gekommen; erstens waren sie zu schwerfällig, um selbstständige Neuerungen zu treffen, und zweitens grollten sie immer noch ein wenig, weil man trotz ihrer wiederholten Bitten Angerwies nicht zur Garnison gemacht hatte. Wer hätte aber jetzt an so etwas gedacht, wo Graf Rüdiger mit seiner Gemahlin ihr Erscheinen auf dem Kriegerball zugesagt hatten, wo die Runde ging, der Graf habe drei Fässer Wein durch Simmel kommen lassen, um sie dem Verein als Ehrengeschenk zu machen!

Eine fieberhafte Thätigkeit entwickelte sich in dem Städtchen. Die Damen wuschen die weißen Kleider, kauften Band und Spitzen, und die Schneiderinnen konnten kaum die Arbeit bewältigen, welche auf sie einströmte. Die Herren bürsteten die Fracks und ließen sich neue Stiefel anmessen. Die Väter der Stadt saßen Abend für Abend im Gastzimmer der »Stadt Hamburg«, um gebläht vor Stolz und Genugthuung mit dem leutseligen Grafen zu verkehren, wie mit ihres Gleichen.

Ja, die Herren stürmten das Hotel, um die Bekanntschaft zu machen. Die Damen aber mußten es voll brennender Ungeduld abwarten, bis der Kriegerverein ihnen Gelegenheit geben würde, die sagenhafte Gräfin Aug in Auge zu sehen. So ein Leben hatte Angerwies noch nie gekannt, – und mitten in die hochgradige Erregung fiel die Nachricht, das gräfliche Paar sei, gütig und friedliebend, nach Schloß Niedeck gefahren, um den verrückten Grafen zu besuchen, dieser aber habe den Vetter voll schroffen Hasses zurückgewiesen. – Dies war zu viel für die begeisterten Gemüter, – in wilden Flammen loderte die Empörung gegen Graf Willibald auf.


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