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Rheinab!

Auf flockigem Lager, zur Mitternacht,
Ist plötzlich der Thauwind, der Träumer, erwacht;
Da regt er die Schwingen, da dehnt er sie aus,
Da klinget sein Athem wie kosend Gesaus.
Er schüttelt die Locken, da stäubt es wie Duft,
Wie Regengeglitzer, feuchtwarm durch die Luft;
Durch Felder und Wälder hineilet sein Fuß,
Da krachen die Zweige, da donnert der Fluß,
Da berstet sein Panzer von weißem Kristall,
Da gurgelt und woget der tosende Schwall;
Von Dächern und Zinnen abtropfet der Schnee,
Wie lächelnde Thränen, wie schwindendes Weh;
Grasspitzen, Schneeglöcklein im lieblichen Flor,
Sie schauen wie grüßende Hoffnung hervor,
Und lachende Sonne am Himmelszelt
Strahlt golden hernieder zur wonnigen Welt.
Im Hofe der Deurenburg eilt Groß und Klein
Und dränget und schiebt sich und lugt nach dem Rhein.
Ihr schmucken Liebdirnlein – kommt, eilet vom Schloß,
Viel sehnige Arme regieren das Floß!
Zum Mummenschanz! heia! zur Ringeltanzweis!
Erschreckt Euch im Wasser ein treibend Stück Eis?
Da jauchzt es und lachet und stürmet zum Thor:
»Jû nârro! jû nârro!« und fort eilt's im Chor.
Derweil sich dies Alles im Schloßhof begab,
Verweilt in der Halle ein reisiger Knab',
Jung Walter, und vor ihm, so bleich wie der Tod,
Schön Nella, die er zur Zwiesprach' entbot.
Es flammet und zucket des Knappen Gesicht,
Schwer wird's ihm zu reden, doch heischt es die Pflicht,
Und also hebt endlich die Rede er an:
»Jungfräulein, ich stieg hier zur Veste hinan,
Weil trauriger Auftrag mir's also befahl,
Ich bringe Euch Kunde vom Werrathal!«
»O, redet!« – ein zitternder Aufschrei erklingt,
»Ich ahne, allmächtiger Gott! was Ihr bringt!«
Da zieht aus dem Wamse, dem Ledergewand,
Der Bursch einen Handschuh, – von Damenhand,
Und reicht ihn mit abgewandtem Gesicht
Und ringet in heftigem Kampfe und spricht:
»Der ihn mir gegeben, der kränkte Euch sehr;
Vergebt ihm, vergeßt's, denn … er lebet nicht mehr!
Er mengte zu hitzig dem Kampfe sich ein,
Der Uebermacht trotzt auch kein Frankenstein,
Sein letztes Wort war die Botschaft für Euch:
»Enteile, o Knappe, zur Deurenburg zeuch
Und künd' es der holden, vieledelen Maid:
›Was ich Dir geschaffen an Herzeleid,
Ich that's nicht im Argen, o Nella, vergieb,
Wie Du mir auch zürntest, ich hatte Dich lieb!‹
Jung Walter verstummte, er athmete schwer
Und starrte auf Nella; sie bebte nicht mehr,
Sie preßte den Handschuh voll Todeslust
Still, marmorbleich an die wogende Brust, –
Dann schrickt sie empor, erhebt sich und wankt
Und murmelt: »sei, trauriger Bote, bedankt,
Zieh hin Deine Straße, Gott segene Dich …
Und … bist Du barmherzig, so bete für mich!«

*

Hei, jauchzt es und klingt es am felsigen Strand,
Hei, flattert im Winde Schurz, Fürtuch und Band!
Vier Burschen, vier Mädels, sie springen aufs Floß
Und schwenken die Hüte hell jauchzend zum Schloß,
Da nahen noch eilig und Hand in Hand
Der Mönch und die Maid aus dem Thüringer Land,
Und künden's mit traurigem Angesicht:
»Wir fahren allein, es begleitet uns nicht
Die freundliche Herrin, schön Nella ist krank,
Hat heute nicht Freude an Fastnachtsgesang!«
Nun gleitet das Fahrzeug hin über die Fluth
Und schwankt auf den Wogen und lenket sich gut
Und treibt unter Scherzen und Freudenhall
Pfeilschnell durch den gurgelnden Wasserschwall;
Am Ufer her geht es, da hat's nicht Gefahr,
Da stauet das Eis sich machtlos und klar
Und hat nicht die rasende Sturmesgewalt,
Die in Flusses Mitte so knirschend es ballt,
Und doch heißt's muthig hindurch sich gewagt,
Ein Feigling wer vor drei Schollen zagt!
Doch wilder und wilder aufbäumt sich der Fluß,
Wer hemmet solch' riesengewaltigen Schuß?
Der Wind erhebt sich, anwachsend zum Sturm,
Längst sank in der Ferne der Deurenburg Thurm.
Das Lachen verstummt auf dem Flosse zumal,
Die rosigen Dirnen schau'n leichenfahl,
An die Burschen geklammert, und Schreckensschrei
Ertönt, wälzt sich donnernd die Eislast vorbei.
Die Rud'rer wechseln wohl heimlich den Blick:
»Der Eisgang kommt plötzlich, welch' Mißgeschick!«
Und ringen und kämpfen mit doppelter Kraft,
»Gott gnade uns, wenn jetzt der Arm erschlafft!«
Gerhardus und Gudula, Hand in Hand,
Sie blicken ins Auge sich unverwandt,
Da spiegelt nicht Angst und Verzweiflung im Blick,
Da leuchtet todmuthig ein strahlendes Glück,
Und wie auch die Fluth anwächset und schwillt
Und zischend empor an die Bretter quillt,
Und wie es brauset gleich Schreckensgestöhn,
Und Scholle und Wasser mit Donnergetön
Hinjagen und splittern in wirbelnder Hast,
Wie's knirschend das schwankende Schifflein erfaßt,
Wie gellender Angstruf erklingt in der Rund',
Da drückt er die Hand ihr, da lächelt ihr Mund;
Doch wilder und wilder anstürmet der Graus,
Verloren das Fahrzeug, nicht ein und nicht aus,
Gleich schaukelndem Spielball empor jach geschnellt,
In die Schollen gekeilt, – wie ein Kienspahn zerschellt –
Erkrachet und stößt es! – »O Gott! – Christi Blut!«
Und Splitter und Schollen und schäumende Fluth …
Mit mächtigem Arm in der furchtbarsten Noth,
In tollkühnem Ringen um Leben und Tod,
Faßt Gerhard die Liebste und hält sie und springt,
Mit trotzigem Muth er hinüber sich schwingt,
Wo mitten im wirbelnden, kochenden Schwall
Die Eisscholle treibet, ein Block von Kristall.
Und sieh', er erreicht sie, faßt Fuß, stehet fest –
»So baust Du, o Gott, uns ein schirmendes Nest!«
Doch hinter ihm splitternd das Fahrzeug versinkt,
Wer ist es wohl, dem noch die Rettung gelingt?
Wie Epheu sich fest an den Eichenstamm schmiegt,
Jung Guda am Herzen des Retters liegt;
Noch faßt sie sein Arm, noch hält er sie fest
An die Brust im zitternden Taumel gepreßt;
Mit jubelnder Lippe, den Himmel im Klang,
Jauchzt: »Otto!« sie, da sie sein Arm umschlang,
Und: »Otto! Otto!« flüstert sie fort,
Ihr ganzes Herz in dem einzigen Wort.
Da bebt er, erzittert zum Herzensgrund
Und neigt sich und küßt ihren rosigen Mund
Und murmelt, das Auge zum Himmel gewandt:
»Nun rufe uns, Gott, in das Heimathland!«
So stehen sie schweigend, ein Herz und ein Sinn,
So treiben sie pfeilschnell im Wasser dahin.
Es schwanket die Scholle, sie knistert und bricht
Am Rande zersplitternd, doch sinket sie nicht,
Wohl morscher stets wird sie und reibet sich auf,
Doch, Dank Dir, o Himmel, sie ändert den Lauf,
Sie treibt nach dem Ufer, sie spaltet sich fest,
Sie theilt sich in Stücke, o kärglicher Rest!
»Erbarm' Dich, o Himmel, geleit' uns ans Land,
Dort steht schon das Kloster an Felsens Wand,
Mach' Ende, o Vater der furchtbaren Noth,
Wir waren ja glücklich und treu bis zum Tod!«


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