Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Et dimitte nobis debita nostra!

In dem Walde, tief in Tannen,
Liegt das Hospital Sanct Annen,
Läßt sein helles Glöcklein klingen,
Eisenach den Gruß zu bringen,
Wandrer auf entfernten Pfaden
Zu der Messe einzuladen,
Um in frommen Sangesweisen
Seinen Herrn und Gott zu preisen.
Einsam bleibt es auf den Wegen,
Denn das Kirchlein liegt entlegen;
Reimar nur, der Vogelsteller,
Brachte einen Opferheller,
Und das Waldweiblein, die Dorte,
Hinkt gebückt zur Kirchenpforte,
Die sind beide stets zur Stelle,
Manchmal auch ein Waidgeselle,
Der in früher MorgenStunde
Pürschte just in diesem Grunde.
Heute rauscht's und stampft's im Walde,
Und durch thauerquickte Halde
Naht auf bunt gezäumtem Rosse
Graden Wegs vom Wartburgschlosse
Fräulein Nella, und zur Seite
Giebt Klein-Gudula Geleite,
Troßknecht Hans auch, mit zwei Rüden,
Seine Herrin zu behüten. –
Wunderhold ist die zu schauen
In dem langen, himmelblauen,
Goldumbordeten Gewande,
Dessen breitgestickte Kante
Niederwallt von Rosses Rücken.
Mit scheu staunendem Entzücken
Gudula muß an sie sehen,
Ihres prächt'gen Mantels Wehen,
All' die breiten güld'nen Spangen,
Die an Arm und Schulter prangen.
Langsam hin das Rößlein schreitet,
Von des Waldkinds Hand geleitet,
Just, als wollt's recht mit Behagen
Seine holde Bürde tragen.
Zierlich hält's den Hals gebücket;
An dem Zaume, reich geschmücket
Und mit buntem Kranz umwunden,
Den ihm Gudula gebunden,
Schüttelt's wiehernd seine Mähne,
Daß die eingeflocht'nen Strähne,
Mit viel Bänderschmuck durchzogen,
Um das schlanke Haupt ihm wogen;
Schreitet wie auf eb'ner Straßen
Sicher hin durch Wald und Rasen;
Hie und da nur, wo im Grunde
Kiesel lagern, farbenbunte,
Weckt sein Huf die hellen Funken.
In Gespräche ganz versunken,
Plaudern beide Mägdlein heiter
Dies und jenes, daß sie leider
Sich für kurze Zeit nur fanden;
Daß zu weitentfernten Landen
Nella bald muß weiter reisen
Zu dem Oheim, Franz geheißen,
Herrn zu Deurenberg am Rheine,
Seit zwei Jahren schon alleine,
Einsam auf dem Felsenneste. –
»Ach, welch' freudenloses Leben,
Fräulein, wird das für Euch geben!«
Muß sie Gudula beklagen,
»Glaubt Ihr, daß Ihr's könnt ertragen?
Wird's Euch leicht, dies Land zu meiden,
Giebt es Keinen, der das Scheiden
Euch und Euerm jungen Herzen
Möcht' erschweren?« – Und mit Scherzen
Blinzt sie schelmisch auf zur Seite.
Nella's Blick schweift in die Weite,
Und sie spricht, tief seufzend: »Keiner!
Denn bei Gott, 's fand sich erst Einer,
Der mein Herz ließ höher schlagen – –
Und der – – « »Konnte er's nicht wagen,
Euch um Herz und Hand zu bitten?
O, ich weiß, streng sind die Sitten
Eures Stand's!« nickt trüb die Dirne.
Nella mit umwölkter Stirne,
Ihre rothen Lippen nagend
Und die Blicke niederschlagend
Finster, ohne aufzurichten
Haupt und Nacken, spricht: »Mit nichten!
Den grad' will ich ja verlassen,
Denn just diesen – muß ich hassen!«
»Hassen?« – »Ja! mit gutem Grunde.
Aber jetzt gieb Du mir Kunde,
Gudula, von Deinem Leben,
Ob Dich Freunde hier umgeben?
Hast Du Eltern?« »In der Klause
Bei dem Stift bin ich zu Hause,«
Nickt das Waldkind, träum'risch sinnend,
Seine schlichte Mähr' beginnend,
»Mütterlein war früh gestorben,
Und als sich d'rauf neu geworben
Vater eine Hausfrau, Dorte,
Hört' ich doch nie rauhe Worte,
Wurde treu von ihr gepfleget,
Wohlgehütet und geheget.
Obwohl sie hernach gegeben
Dreien Buben noch das Leben,
Hab' ich stets doch sie gefunden
Lieb und gut, zu allen Stunden.
Als der Vater heimgegangen,
Hat die Noth wohl angefangen
Sich ins Häuslein einzuschleichen,
Geld und Gut wollt' nicht mehr reichen,
Mutter nirgends Hülf' erblickte,
Bis sie uns der Herrgott schickte,
Bis im Hospital Frau Dorten
Kräutersammlerin geworden.
Nun giebt's garnichts mehr zu klagen,
Leben dort mit viel Behagen,
Und ich denk' mit frohem Sinn,
Daß ich wahrhaft glücklich bin!«
Lachend hat's die Maid gesprochen
Und sich plötzlich unterbrochen:
»Fräulein, halt! auf Euerm Pfade
Waltet heute Gottes Gnade
Und viel Glück, – doch unberufen!
Seht vor Eures Rosses Hufen
Im Gestein hier, frank und frei,
Sproßt das Kräutlein Wohlverleih!«
Gudula hat sich gebücket
Und das Blümlein schnell gepflücket,
Reicht's empor: »Was es wird bringen,
Fräulein, laßt mich Euch jetzt singen:

Wandle hurtig, holde Maid,
Hin zum grünen Walde,
Suche Dir zur Sommerszeit
Blümlein wohlgestalte,
Laß die Aeuglein geh'n im Rund,
Gieb fein acht, welch' Glöcklein bunt
Blüht auf Deinem Wege.
Schauest Du den rothen Klee
Dir zu Füßen sprossen,
Fürchte nimmer Leid und Weh,
Hoffe unverdrossen!
Vierblatt kündet Glück Dir an,
Labkraut auch und Gundermann,
Brichst Du sie zum Strauße.
Hast Du ein Vergißmeinnicht
Unverhofft gefunden,
Freundschaft bleibt, wie es verspricht,
Treulich Dir verbunden,
Baldrian und Wegetritt
Bringen Dir Gesundheit mit,
Güldenkraut schafft Heller!
Osterblume, weiß wie Schnee,
Wird Dir nicht behagen,
Jungferlein, viel bitt'res Weh
Wirst Du schweigend tragen,
Primula und Ehrenpreis,
Die verheißen Deinem Fleiß
Köstlichstes Gelingen!
Alle diese Blümelein
Wollen hold Dich grüßen,
Aber dreimal Heil ist Dein,
Blüht Dir vor den Füßen
Unverhofft das eine Kraut,
Das man, ach! so selten schaut,
Wunderholde Blüthe,
Kündet Dir, o Mägdlein, an,
Daß Dich Glück will segnen,
Daß Dir bald Dein Freiersmann
Sicher will begegnen,
Daß sich all' Dein Lust und Leid
Wandeln wird zu Seligkeit,
Wohlverleih heißt's Kräutchen,
Wohlverleih! – Wohlverleih!«

Laut hat's Gudula gesungen,
Und der Klang hat süß durchdrungen
Nella's Seele und Gemüth,
Rosenhell die Wange glüht:
»Welches Glück könnt' harren mein?
Wer, ach, sollt' der Freier sein,
Den dies Blümlein kündet an?«
»Just der erste Rittersmann,
Fräulein, der Euch jetzt begegnet,
Der mit frommem Gruß Euch segnet,
Der, den Ihr zuerst jetzt schaut,
Wird Euch bald als süße Braut
Jubelnd in den Armen halten!«
»Liebes Dirnchen, wen wohl sollten
Schauen wir in der Kapelle?
Welch' ein edeler Geselle
Hätt' sich hier zum Wald verloren,
Den mein Herz sich auserkoren
Zum Gemahl?« – Und Nella lachte,
Lacht' aus voller Kehle. – Sachte
Trägt ihr goldroth Roß sie weiter.
»Aufgepaßt denn!« ruft sie heiter,
»Welch' ein schmucker Junggeselle
Harret an der Burgthorschwelle!«
»Kehren nicht zur Wartburg heute,
Wie so oft schon, Edelleute,
Die mit stolzem Gut und Namen
Frau Sophie zu huld'gen kamen?«
»Nein, noch hab' ich nichts vernommen;
Lieber Gott, wer soll denn kommen?
Alte Herrn und junge Knaben,
Die nur eine Tugend haben,
Die, – daß bald sie wieder gehen.«
»Nur gemach! wir wollen sehen!«
Lächelt schalkhaft d'rauf die Kleine,
Dann verstummt sie. Silberreine
Glockentöne dringen hallend
Und die stille Luft durchschallend,
Ernsthaft mahnend durch die Tannen,
Meßgeläute von Sanct Annen;
Und die Augen sittsam senkend
Und das Roß zur Pforte lenkend,
Schreitet Gudula d'rauf schweigend.
Nella hält, vom Pferde steigend,
– Hülfreich eilte Hans herbei, –
In der Hand Kraut Wohlverleih,
Denn dies Kraut soll sie begleiten,
Und gesenkten Hauptes schreiten
Sie zur Kirche, und sie treten
Zum Altare, knien und beten,
Während gold'ne Lichter spinnen
Um die holden Büßerinnen
Und der Andacht stille Feier
Ihre sonnenhellen Schleier.
Ja, was beten wohl die Beiden? –
Endlich steh'n sie auf und scheiden,
Schreiten zu der Pforte wieder,
Tief gesenkt die Augenlider;
Da schrickt Nella jäh zusammen,
Und, die Augen – groß … weitoffen,
Starrt sie, wie vom Blitz getroffen,
Fassungslos mit tiefem Beben
Auf den Ritter, welcher neben
Ihr an nied'rer Thüre lehnet.
»Fräulein … er … den wir ersehnet!«
Eilt sich Gudula voll Staunen
In der Dame Ohr zu raunen,
Aber die, zum großen Leide!
Wendet jählings sich zur Seite,
Ruft mit kurzer, harter Stimme,
Welche halb erstickt im Grimme,
»Hans! mein Roß!« – und sie entweichet,
Doch noch schneller, ach! erreichet
Sie der Fremde, unverdrossen,
Schwarz und hoch, Visir geschlossen,
Flüstert leis wie in Gedanken:
»Fräulein, will mich nur bedanken!«
»Und wofür?« – zürnt sie entgegen.
»Fürs Gebet und für den Segen!«
Wendend stolz das Angesicht,
Nella d'rauf: »Versteh' Euch nicht!«
»Betend habt Ihr mein gedacht!«
»Euerer?!« – O, wie schneidend
Oft doch solch' ein Mädchenmund.
»Meiner! ja! ich schwör's zur Stund'!«
Ihr Auge blitzt, sie athmet schnell,
Sie bebt vor Zorn. »Beweist's, Gesell!«
»Nun, spracht Ihr nicht, aufrichtig gern,
So eben das Gebet des Herrn?
Mit vollem Ernst auch, will ich hoffen?«
»Gewißlich …« stottert sie betroffen.
»Wohlan! – so schwuret Ihr doch eben,
Daß Euern Schuld'gern Ihr vergeben?«
»Ja, ja! … ha! – jetzt kann ich verstehen – «
»Daß die Vergebung mir geschehen!«
Lacht er leise, »Eure Huld
Glaubt mich ja in tiefster Schuld!
Das Gebet d'rum des vielholden
Jungfräulein hat mir gegolten,
Wie ich's eben Euch bewiesen.
Schaut, noch immer trag' ich diesen
Kleinen, zürnenden Gesellen,
Darf ich nun zurück ihn stellen
Und mit Euch, die Ihr vergeben,
Künftighin in Frieden leben?«
Und er reicht – o wie verwegen!
Jenen Handschuh ihr entgegen,
Den sie ihm zurückwarf, droben
Auf der Holzburg, da mit groben
Worten frechlich er sie kränkte.
Nella ihre Blicke senkte,
Reißt das Wohlverleih zu Stücken,
Wendet schweigend ihm den Rücken.
»Also Krieg? – ich muß es leiden!
Aber glaubt, einst kommen Zeiten,
Wo mit trautem Friedenssehnen,
Mit viel heißen, bitt'ren Thränen
Jenes Wunder wird geschehen,
Daß in frommem, bangem Flehen
Ihr die Hände werdet ringen,
Ein Gebet mir darzubringen,
Daß Ihr mit der Minne Bangen
Diesen Handschuh müßt empfangen,
Ihn an Herz und Lippen pressen,
Schwören, nie mich zu vergessen.
Ja, bei Gott, so wird's gescheh'n;
Denkt daran! – Auf Wiederseh'n!«
Eh' nur Nella Zeit gefunden
Zu der Antwort, ist verschwunden
Jener freche Raubgeselle
In dem Innern der Kapelle,
Während staunend Gudula
Nicht begreift, was hier geschah.
Tief erst in des Laubwalds Mitte
Zügelt Nella ihre Schritte,
Und, kaum ihrer selbst bewußt,
Sinkt sie an der Freundin Brust,
Läßt den Thränen freien Lauf,
Stöhnet krampfhaft schluchzend auf:
»Katz' und Maus! – verruchtes Spiel!
Gudula, es ist zu viel!« –


 << zurück weiter >>