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Der Steg.

Längst schwebte Frau Sonne im güldenen Kleid
Ueber die Felsen des Breitengescheid,
Spielt um die wehenden Fähnlein und lacht
Auf Fürstin Sophias buntfarbige Pracht.
Da wimmelt ein Reiterzug lustig im Wald,
Es schnaufen die Rosse, das Hüfthorn erschallt,
Empor zum Gescheide auf mühsamem Pfad
Sophia stolz zürnend dem Teufelsnest naht;
Sie lenket die Zügel mit sicherer Hand,
Lang wallet das dunkle, verbrämte Gewand.
Zu ihrer Seite, auf zierlichem Roß,
Sicher geleitet vom reisigen Troß,
Voran dem Gefolge, dem Burggesind,
Reitet ihr Söhnlein, Heinrich das Kind.
Hell schweifet sein Blick durch das blühende Land,
Trifft furchtlos die schwindelnde Felsenwand,
Das fallende Wasser klinget und schallt
Gespenstisch am dunklen, breitklaffenden Spalt,
Doch sonnenbestrahlet, in blendendem Licht
Schreckt er die Seele des Kindes heut nicht,
Mit trotzigen Lippen, erhobener Stirn
Weiset er stolz auf die klüftige Firn:
»Da schaut, Petronella, das graue Gestein,
Den Teufel schlang's und die Holzenburg ein!
Mir macht es nicht bang, ich trete davor
Und schlag' mit dem Schwert an das höllische Thor
Und rufe: ›Hei Satanas – auf mit der Thür!
Herr Heinrich von Hessen steht zürnend dafür,
Der will Dich verjagen mit Knüttel und Brand
Aus seinem geliebten, thüringischen Land!‹
Da lächelt die Jungfrau, und lächelnd sie nickt:
»So hab' ich es gern, wie mein Aug' Euch erblickt;
Herr Heinrich von Hessen, als Kind schon ein Held,
Bezwinget als Mann alle Teufel der Welt!«
Und weiter geht es zum Bergeskamm,
Da ragen die Tannen wohl Stamm an Stamm,
Hochebene dehnt sich und Wiesenplan,
Zum Rasten und Lagern just angethan,
Wohl sah dort die Eich' schon Jahrhunderte ziehn,
Dort richtet den fürstlichen Baldachin,
Webt flatterndes Tuch durch der Zweige Grün,
Mit Teppichen decket des Bodens Blüh'n,
Herzu mit dem Labtrunk, bereitet das Mahl!
Hell schmettert der Hornruf zum sonnigen Thal,
Und während im Walde schafft emsig der Troß,
Steiget Sophie und Heinrich vom Roß.
Mit Nella und weniger Edlen Geleit
Schreitet die Fürstin zum Breitengescheid,
Auf moosigem Pfade, im Sonnenbrand,
Jung Heinrich führet sie ernst an der Hand
Und blicket hinab in den schwindelnden Grund,
Hinab in den klüftigen, gähnenden Schlund,
Da rieselt das Wasser und tropft am Gestein,
Da blickt man so hohl und so düster hinein,
Und Stille ringsum, und ernst jed' Gesicht.
Da lächelt der Knabe: »Ich fürchte mich nicht!«
Und laut er ruft, daß am Felsen es hallt:
»He Teufel! – Du Ritter von schwarzer Gestalt!
Im Namen der Heiligen, die ich anbet',
Hervor nun komme zur grimmigen Fehd'!
Das Kreuzeszeichen, ich schlag's wider Dich,
Mein frommes Gemüthe, das wappenet mich,
So jag' ich hinaus Dich zum Thüringer Land,
Sein Schirmherr und Landgraf, das Kind von Brabant!«
Still bleibt's in der Tiefe, das Sonnenlicht glüht,
Daß blitzend das Wasser in Funken versprüht,
Und Heinrich ruft kühner und lauter zumal,
Doch Echo nur hallet im waldigen Thal.
Da fasset Sophia ein Kreuzlein von Stein
Und pflanzt's in die klüftigen Felsen hinein,
Hebt segnend die Hände darüber und spricht:
»Das Kreuz hat gesieget, der Wahnwitz zerbricht,
Das Teufelswerk lösch' ich zur selbigen Stund'
Und tilg' es, wie hier, in der Leute Mund,
Vom Thüringer Land soll für ewige Zeit
Dem Teufel gehören kein Fingerbreit!«
Und Jubel erhebt sich ringsum auf dem Plan,
Die Dienstbaren sind's, die solch' Schauspiel ersah'n,
Sie schwenken die Fähnlein, die bunten, im Wind:
»Heil, Heil unserm Heinrich, dem hessischen Kind!«
Nur Nella allein steht am Abgrunde dicht,
Zur Tiefe gewendet ihr bleiches Gesicht,
Ihr ist es, als müsse aus düsterm Gestein
Urplötzlich sie treffen das Auge sein,
Als müsse aus gähnendem Felsenthor
Der schwarze Ritter jäh sprengen hervor,
Und der Wasserklang, der zum Ohre ihr dringt,
Ganz wie sein spöttisches Lachen ihr klingt.
Doch Alles bleibt ruhig, in sonniger Pracht,
So friedlich, so traulich die Erde rings lacht,
Sie fühlt wie ihr Herze aufathmet so leicht,
Wie süße Ruhe es heimlich beschleicht,
Da schwindet all' Grauen, in Rosenpracht mild
Versinket sein ängstlich, unheimliches Bild.
Im Schatten der Eiche, welch' köstliche Rast,
So ganz bei den Rehen und Hirschen zu Gast!
Jung Heinrich pflegt nach dem Mahl nicht der Ruh',
Er rufet die Schützen, die Hunde herzu,
Stürmt jubelnd die blumigen Auen hinan,
Zu schauen, zu spüren ein Wild sich im Tann.
Sophia in wonniger, seltener Lust,
Athmet die Waldluft mit wogender Brust,
In lieblichen Träumen die Blumen sie bricht,
Zum Kranze, zur Kurzweil ihr Finger sie sticht,
Und Nella wandelt in Wiese und Hain
Und sammelt der Fürstin die Blüthen ein.
Und weiter und weiter auf blumigem Pfad
Hat sich schon Nella dem Abgrund genaht,
Da sprossen und nicken am grauen Gestein
Zwei blutrothe Nelken im Sonnenschein,
Sanft senkt sich der Berg hier, Grasstreifen breit
Furchen die Felswand des Breitengescheid,
Ein wenig nur klettern, ein wenig nur Muth,
Dann wandelt's am Felsen sich sicher und gut!
Und Nella, sie wagt es, sie sieht es sich ab
Und schwingt sich behende am Steinicht hinab.
Den schleppenden Mantel löst flink ihre Hand,
Schürzt zierlich und fußfrei das blaue Gewand,
Und schlank wie die Gemse, so sicher und frei
Schreitet sie furchtlos am Abgrund vorbei,
Auf schmalem Pfad, über Blöcke, Gerank,
Wagt sie den seltsamen, muthigen Gang,
Bricht Nelken und Steinklee und duftiges Kraut,
Kaum daß sie noch vor sich, noch hinter sich schaut.
Da steht sie urplötzlich vor klaffendem Spalt,
Der ruft ihr ein stummes, doch mächtiges Halt!
Er ist nicht sehr breit – doch drüber hinaus?
Duftend und groß genug ist der Strauß!
Schon will sie sich wenden, da hat sie gesandt
Noch einen Blick auf die Felsenwand,
Und regungslos steht sie, mit staunendem Schrei,
Da drüben grüßt sie – Kraut Wohlverleih.
»Dich brech' ich, dich pflück' ich, o Pflänzelein!
Du fehltest noch einzig dem Strauße mein.
Weh' Dir! Du sagtest den feindlichsten Mann
Erst heute Morgen zum Freier mir an,
Da blühst Du schon wieder an schwindelndem Steg,
Da weissagst Du wieder mir Glück auf den Weg!«
Und muthwillig lachend, Nella ist jung,
Wagt sie voll Eifers den kecklichen Sprung.
Wohl kommt sie hinüber, kühn stieß sie sich ab,
Doch hinter ihr bröckelt's und poltert's hinab,
Es rollen die Steine – o Herzeleid,
Der Felsenspalt ward jetzo doppelt so breit!
Nella neigt schnell sich, pflücket das Kraut,
Dann erst hat ängstlich sie rückwärts geschaut;
Und vor sich, o Himmel, senkrechte Wand,
Aufsteigend vor ihr, hält das Fräulein gebannt,
Nicht vorwärts, zur Seite nicht und nicht zurück.
»Kraut Wohlverleih, wehe! ist solches mein Glück?«
»Grüß Gott Euch, Jungfräulein!« Da zittert ein Schrei,
Da sinkt aus den Händen Kraut Wohlverleih,
Denn drüben am Erdspalt, in spottender Ruh'
Winkt grüßend der schwarze Ritter ihr zu,
Stützt auf sein Schwert sich, lacht lustig sie aus:
»Das nenn' ich gefangen, vielreizende Maus,
Fürwahr es scheinet Verhängniß zu sein,
Zum zweiten Mal sperrt Euch die Holzenburg ein!«
Ein Schauder faßt Nella, fast unbewußt
Schlägt sie das Kreuz über Stirn und Brust,
Sinkt zitternd zusammen, liegt auf den Knieen
Und faltet die Hände zum Schutz wider ihn:
»Wo kam er her? aus der Felsenwand?
Errette mich, Jesu, aus Teufelshand!«
»Was fürchtet Ihr, Jungfrau?« der Ritter frägt,
»Vor Teufelszauber man Kreuze nur schlägt,
Glaubt Ihr in Wahrheit die kindische Mähr,
Daß ich leibhaftig der Satanas wär'?«
Wie ernst klingt die Stimme, wie markig, wie stolz!
Ein kleines Kreuzlein von Rosenholz,
Das sorglich im Wammse verborgen war,
Zieht jetzt er hervor und reicht es ihr dar.
»Da schaut, was mein Zeichen, mein Kleinod ist«,
Grollet er leise, »ich bin ein Christ!«
Da athmet sie auf: »Ich fürcht' Euch nicht mehr,
Wie aber, redet! wie kommt Ihr hierher?«
Da blitzet sein Auge voll Schalk durchs Visir:
»Ich bin ja die Katze, das Mäuslein seid Ihr,
Und soll Euch mein Auge, mein Blick fangen ein,
So ist's von nöthen, Ihr schaut oft hinein!
Doch laßt uns nicht plaudern in nutzlosem Streit,
Erst will ich Euch helfen, gern bin ich bereit,
Will bauen Euch, Fräulein, die luftige Brück',
Euch leiten zum sicheren Wege zurück.«
Und eilig tritt er zur Seite hierauf
Und hebt vom Gerölle den Fichtenstamm auf,
Haut mit dem Schwert eine Narbe hinein,
Zu seh'n, ob er morsch schon, oft trüget der Schein.
Dann klimmt er zur Seite die Felsschlucht hinan,
Fällt mit dem Schwerte zwei Stämmchen im Tann,
Schleift sie zum Erdspalt; quer drüber gestreckt,
Haben sie trefflich den Abgrund gedeckt,
Nun drüber den Ast noch, moosig und breit,
Gar schnell durch die Klinge von Zweigen befreit,
Wie im Spiele so müh'los der Ritter schafft,
Das Urbild gewaltiger, männlicher Kraft,
Und Nella, zwar will sie sich's selbst nicht gesteh'n,
Sie hat mit Bewundrung ihm zugeseh'n.
Er setzet den Fuß auf die schwankende Brück',
Geht prüfend herüber und wieder zurück.
»Nun, Jungfräulein, wagt es, das Steglein ist gut,«
Ruft er vergnüglich, »versucht's, fasset Muth!«
Doch Nella setzt angstvoll das Füßchen darauf,
Da knistert und schwankt es, und leis schreit sie auf
Und flüchtet zurück sich – »O nein, nimmermehr!
Die Stämme zerbrechen, ich laste zu schwer!«
Da lacht er und schüttelt ermuth'gend das Haupt:
»Die tragen wohl zehnmal so viel, als Ihr glaubt,
Doch seid ohne Sorge, ich hol' Euch im Nu,
Trug oft doch die Katz' schon ein Mäuslein herzu!«
Und neben ihr steht er und neigt sich aufs Knie:
»Ich trag' Euch!« – Er, dem sie doch niemals verzieh,
Der Mann, den sie hasset, sie schrecket zurück:
»Nein, nein! ich versuch's, ich geh' über die Brück'.«
Und sie probet aufs Neu', beißt die Zähne zusamm',
Es knirscht auf den Steinen der lockere Stamm,
Sie blickt in die Tiefe, sie schwindelt, sie schwankt
Und flüchtet zurück sich: »Es hält nicht, es wankt!«
Stumm steht er, als ging' ihn das garnichts mehr an,
Gekreuzet die Arme, der trotzige Mann,
Er sieht ihre Angst, ihrer Blicke Fleh'n,
Noch will er die Bitte jetzt nicht mehr versteh'n;
Ein Hornstoß klingt fern von des Berges Firn,
Da kehrt er zum Steg sich mit finsterer Stirn,
Will scheiden von ihr. Das wäre ihr Tod!
Geängstigt, gedrängt von der bittersten Noth,
Faßt jäh seinen Arm sie, umklammert ihn fest,
Wie der Epheu, der niemals vom Eichenbaum läßt,
»O geh' nicht – o rette mich … nimm mich mit Dir,
Ich muß ja versinken im Abgrunde hier!«
Da trifft sie sein Auge, hellstrahlend in Lust,
Er neigt sich, er hebet sie schnell an die Brust,
So sicher gefasset, bang an ihn geschmiegt,
Leicht wie eine Feder sein Arm sie wiegt,
Und stumm betritt er die ächzende Brück'
Und trägt sie zum sicheren Jenseits zurück.
Noch hält sie sein Arm. »Jungfräulein, ei sprecht,
Des Lohnes ist werth doch ein jeglicher Knecht,
Gar tief steht zum dritten Mal heut' Ihr in Schuld,
Und lange schon harr' ich, in Treu' und Geduld,
Ihr kamet ja heute und suchtet mein Haus,
Was wollt' bei der Katze die minnige Maus?«
Und abermals lacht er; dies Lachen vergällt
Nella seit langem schon Leben und Welt,
Mit glühenden Wangen, zur Seite gewandt,
Löst sie von seinem Nacken die Hand
Und zürnet stolz, verächtlich, kalt:
»Die Maus ist in der Katz' Gewalt,
Mein Leben nehmet, macht es Euch Spaß,
Freiwillig schenk' ich nur den Haß!«
Sanft läßt er sie gleiten zur Erde hin:
»Wie anders, o Fräulein, denkt Rittersinn,
Den Lohn veracht' ich, der sich fürwahr
Nicht bietet von selbst und freiwillig dar,
Reißt man vom Strauche die Rose im Zorn,
Entblättert den Kelch man und fühlt nur den Dorn!
Ich aber will, daß sie selber sich neigt,
Den süßen Kelch ohne Stachel mir zeigt,
Und will, daß von selber in minniger Lust
Das Mäuslein der Katze hinsinkt an die Brust!
So lebet denn wohl nun, zum dritten Mal,
Steigt ungefährdet hernieder zum Thal,
Und braucht Ihr einst Hülfe, ich bin auf dem Platz,
Dann, Mäuslein, rufe getrost Deine Katz'!«
Mit klirrendem Gruße, kühn und gewandt,
Drückt er des Fräuleins bebende Hand,
Und schnell wie ein Schatten, mit selt'nem Geschick,
Entschwindet er zwischen den Felsen dem Blick.
Auch Nella entflieht, und sie murmelt dabei:
»Hätt' nie ich geseh'n Dich, Kraut Wohlverleih!«


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