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Ein Wiedersehen.

Das war ein goldner Morgen
So recht voll Pracht und Licht,
Hei, wie der Strahl der Sonne
Im Eiskristall sich bricht,
Wie er die weißen Zinnen
In Schamesröthe taucht,
Wenn glühend seine Küsse
Auf ihre Stirn er haucht!
Da hängt vom Tannenaste
Der hellgefrorne Tand,
Eiszapfen, lang und zackig
Und blitzend wie Demant!
Und droben an dem Thurme
Der alte Wetterdrach'
Gähnt unter weißer Mütze
Verschlafen von dem Dach
Und blinzt herab zum Hofe,
Wo von dem Fensterrand
Den Schnee in Silberflocken
Stäubt schlanke Frauenhand.
Schön Nella ist's und Guda,
Die schaffen dort sich Platz,
Die Krumen auszustreuen
Für Täublein, Meis' und Spatz.
Hei, wie das lustig flattert
Und zwitschert, pickt und schwirrt,
Vom Wald selbst hat sich heute
Manch' Gast hierher verirrt;
Der thut noch scheu und blöde,
Faßt zu und schrickt davon.
Da lob' ich mir den Spatzen,
Den kecklichen Patron,
Der stets bei Nellas Händen
So nah wie möglich sitzt,
Am liebsten aus den Fingern
Den Brocken schon stiebitzt,
Der, wenn die Maid dem Freßsack
Zuruft: »Nun abmarschirt!«
Sich spielt auf den Gekränkten
Und furchtbar raisonnirt!
Das war ein reizend Bildniß:
Im hellen Sonnenschein,
Inmitten des Gezwitschers
Die beiden Jungfräulein,
Umrahmt vom Fensterbogen,
Umschlungen traut und dicht,
Bei Gudas Rosenwangen
Ein Lilienangesicht!
Was klopft allda am Thore
Und rührt die Glocke hell;
Kehrt ein zu unserm Schlößlein
Ein fahrender Gesell?
»Heut' kommt mir Glück und Freude!«
Ruft Guda schnell erregt,
»Ich hab' heut' Nacht im Traume
Ein welkes Reis gepflegt,
Das unter meinen Händen
Urplötzlich keimt und blüht
Und schnell in rothen Rosen
Mir hold entgegen glüht!«
»Heil Dir,« sagt Nella bangend,
»Auch ich hatt' seltnen Traum,
Ich stand und hielt umschlungen
Schneeweißen Blüthenbaum;
Doch alle Blätter sanken
Und wehten in den Staub,
Und schmucklos trauernd blieb mir
Ein Stamm ohn' Blum' und Laub!«
Und Beide blicken schweigend
Hinab zum Brückenthor,
Wo Pförtner Gisberth eilig
Den Balken zieht hervor,
Wo laut die Ketten rasseln,
Wo schwer die Brücke sinkt,
Wo freundlich drauf des Alten
»Grüß Gott zur Einkehr!« klingt.
Da tritt vom Licht bestrahlet –
»O, Heil'ge steht mir bei!« –
Ein Mönch herein zum Hofe,
Und zitternd leiser Schrei
Ringt sich von Gudas Lippen.
»Gerhardus!« – jauchzt's ihm zu,
Streckt nach ihm beide Hände,
»Gerhardus Rochus, Du?!«
Und wie erfaßt vom Sturme,
Von sel'gem Wirbelwind,
Stürmt jach die Stiege nieder
Frau Dorta's rosig Kind
Und eilt durch Schnee und Blinken,
In sinnverwirrter Lust,
Aufjauchzend hinzusinken
Dem Freunde an die Brust.
Mit Thränen in den Augen,
Die Glück und Wonne weint,
Starrt sie ihm stumm ins Auge,
Fühlt sich ihm neu vereint
Und blickt und fragt im Zweifel:
»Gott, kann's denn möglich sein,
Hüllt nicht vielleicht ein Traum nur
Die Sinne täuschend ein?
O, sprich ein Wort, Gerhardus,
Ein einzig Wort zu mir,
Ich kann's ja nicht begreifen,
Daß wieder ich bei Dir!«
Noch blickt er, Fassung ringend
Und regungslos, sie an,
Es liegt ihm Herz und Sinne
In süßem Zauberbann,
In ihre Augen tauchet
Die ganze Seele er,
Es wogt um ihn und wallet
Ein Sonne glühend Meer.
Er steht und drückt ans Herz sie,
Der Welt und Zeit entrückt,
O, Wiederseh'n, hast jemals
Du Zweie mehr beglückt?
Da endlich zuckt empor er:
»Grüß Gott Dich, Gudula,
Wie groß ist Gottes Gnade,
Daß ich Dich wiedersah!«
Beim Klange seiner Stimme
Aufschrickt das blonde Kind,
Mit Zauberschlag der süße,
Glückwirre Rausch zerrinnt,
Sie sieht nicht mehr sein Antlitz,
Sie sieht sein Mönchsgewand;
Entgeistert, schlaff und bebend
Sinkt nieder ihre Hand,
Die Rosengluth der Wangen
Erbleicht zu weißem Schnee,
Dahin ist Glück und Wonne,
Im Herz das alte Weh.
Verwirrt, beschämt, erschrocken
Weicht seinem Blick sie aus:
»Ich will es Nella sagen!«
Und flieht zurück zum Haus
Und stürmt empor die Stiege,
Wirft sich an Nellas Brust:
»Gerhardus!« – sanft nickt Nella:
»Ich sah's und hab's gewußt,
Erkannt' ihn nach dem Bilde,
Wie mir's Dein Wort beschrieb –
Heil Dir, Du Uebersel'ge,
Er kommt, er hat Dich lieb.
Doch schnell jetzt ihm entgegen,
Du ließt in wirrer Hast
Im Hof, in Schnee und Kälte
Zurück den lieben Gast.« –

*

Und wieder ist es Abend,
Und wieder flammt der Kien,
Es prasselt Tannenreisig
Laut knisternd im Kamin,
Und an der Tafel plaudert
Vertraut der kleine Kreis,
Denn wanderfrohe Kunde
Der Mönch zu sagen weiß;
Dieweil ihm gegenüber,
Die Hände still verschränkt,
Klein Guda in sein Auge
Die Blicke lauschend senkt.
Die Wange glüht, es beben
Die Lippen Schreck und Leid,
Erzählt der schlanke Jüngling
Der Irrfahrt Fährlichkeit.
Und wieder, ganz versunken
Im Anblick, freudenstumm,
Blickt lächelnd sie durch Thränen,
Weiß selber nicht warum;
Doch plötzlich hebt das Haupt sie,
Schaut ihn erbleichend an.
»Gern blieb' ich!« seufzt Gerhardus,
»Doch muß ich bald hindann,
Zum Mattenburger Kloster
Treibt mich die strenge Pflicht
Und heißt mich morgen scheiden;
Leicht wird's mir wahrlich nicht.« –
»Zur Mattenburg? hei, Freundchen,
Hört an und schlaget ein,«
Ruft Ritter Franz vergnüglich,
»Ich fahr' Euch übern Rhein,
Wollt Ihr noch zweien Tage
Verweilen hier im Schloß;
Gen Werlau send' ich Knappen
Und Mägde mit dem Floß.
Denn wißt, zur Fastnacht giebt es
Dort heitern Mummenschanz,
Da ziehen sie mit Larven
Und springen froh zum Tanz.
Hab' all' Jahr' meine Burschen
Und Mädels hingeschickt,
Weil sonst das junge Völkchen
Mir gar zu traurig blickt.
Fahrt mit, mein Freund, am Felsen
Hält dann das Fahrzeug an,
Und Ihr braucht nur zu steigen
Den Klosterberg hinan!« –
»O, trefflich,« lächelt Nella,
»Hör' Oheim, meinen Plan,
Nie war's, daß ich und Guda
Solch' eine Kurzweil sah'n,
Drum laß uns mit zum Feste,
Und gern sind wir bereit,
Zu geben unserm Gaste
Ein Stücklein das Geleit.«
Wie strahlet Gudas Auge;
Gerhardus blickt sie an
Und reicht zum hast'gen Danke
Die Hand dem Edelmann:
»Wie könnt' bei so viel Güte
Die Antwort lauten: nein?
O, wahrlich, nie fuhr Einer
So glücklich übern Rhein!« –
Und als im Saal das Feuer
Erloschen, als die Nacht
Ausbreitet ihres Schleiers
Sternhell gestickte Pracht,
Da tritt heraus zum Söller
Frau Dortas herzig Kind,
Mild streicht um ihre Stirne
Feuchtwarm ein lauer Wind;
Die Kälte ist gewichen, es thaut
Vom Dach und blinkt
Sprühregengleich, wie Nebel,
Der glitzernd leise sinkt.
Auf das Gelände stützet
Sich Guda, blickt hinaus,
Hier, still und fern von Allen,
Hier weinet sie sich aus.
Und als die Thränen rinnen,
So süß und sehnsuchtsbang,
Und endlich trocknen, zieht es
Wie jubelnder Gesang,
Gott preisend, durch die Seele;
Doch Worte hat sie nicht,
Sie fühlt nur, tief im Herzen
Ist's frühlingswarm und licht.
Verwirrte Reime schwirren
Wie Goldstaub durch die Brust,
Sie fühlt heut nur die Lieder
Und denkt sie unbewußt:

»Was starret rings doch Eis und Schnee
Mir kalt und bleich entgegen?
Ach, Gott, es muß im Sonnenschein
Doch blühen aller Wegen!
Ich schließe Aug' und Ohr nicht zu
Und hör' doch Vöglein singen
Und hör' durch Sturm und Schneegetreib
Glücksel'ge Mailust klingen!
Und höre Läuten wundervoll
Wie frommer Kirchenglocken,
Die wollen mich ins Gotteshaus
Zu Dank und Beten locken!
Und Lüfte fühl' ich weich und lind
Mir um das Antlitz wehen,
Ich sehe jeden Baum und Zweig
In voller Blüthe stehen
Und fühle heiß und ungestüm
Mein Herz im Busen drängen,
Gleich wie die Rose bebt und schwillt,
Will sie die Knospe sprengen!
Heraus denn aus der tiefsten Brust,
Du Jubelschrei, Du Wonne!
Stürm' jauchzend hin durch Berg und Thal,
Flieg' auf zur güld'nen Sonne
Und künde, daß auf weiter Welt
Es aller – aller Orten,
Selbst in Jung Gudas krankem Herz
Sei plötzlich Frühling worden!
Doch fragt man, wer solch' Wunder that
Zum seligsten Gewinne,
So flüst're leis, ganz leis ihm zu:
Die Minne that's, die Minne!«


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