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Das Kräutlein Wohlverleih.

Wie war's im grünen Walde
Doch plötzlich Sonnenlicht;
Wie schmeichelnd kost und weht es
Um Dirnleins Angesicht;
Was lugt aus jeder Blüthe
Für Schelmenäugelein?
Die Hulden sind's, die süßen
Verborg'nen Liebesfei'n;
Die blinzeln und die kichern,
O, zauberholder Klang!
Und leis wie Silberglöcklein
Tönt neckisch ihr Gesang.
Das Dirnlein steht und lauschet
Und lächelt wie im Traum.
Was durch die Halde rauschet,
Merkt und versteht sie kaum,
Gleich wie der Lenz die Blüthe
Aus scheuer Knospe bricht,
Blickt ahnend ihr Gemüthe
In blendend helles Licht,
Sie kann den Klang nicht deuten,
Doch fühlt sie's unbewußt,
Er zieht wie Glockenläuten
Hold segnend durch die Brust.
Die Augen muß sie schließen,
Und sieht im Geiste mild
Schneeweiße Blumen sprießen
Um ein verschwimmend Bild,
Doch klarer wird's und klarer,
Je länger sie's beschaut,
Sein Blick, sein wunderbarer,
Grüßt sie wie lang vertraut,
Und Strahlen überfluthen
Sein Haupt in hohem Glanz,
Es brennt in Purpurgluthen
Jäh auf der bleiche Kranz.
Was soll des Waldkinds Träumen
Am hellen, lichten Tag?
Aufschrickt sie. – Bei den Bäumen
Klingt Ruf und Hufeschlag,
Und ihr entgegen traben
Zwei Reiter wohlgemuth,
Es führt den Edelknaben
Ein kernig Jägerblut
Und leitet an dem Zügel
Sein Roß der Halde zu,
Hebt sanft ihn aus dem Bügel
Zur kurzen Mittagsruh.
Und wie sein Blick jetzt schweifet
Seitwärts zum grünen Tann,
Klein' Gudula er streifet,
Und schnell ruft er sie an:
»He, Dirnlein, kannst Du sagen
Zur Wartburg uns den Weg?
Schier möchte ich verzagen,
Weiß weder Fahrt noch Steg'.
Schau an nur, wie ich blute,
So hat mein Angesicht
Manch' dornig scharfe Ruthe
Im Wald mir zugericht't!«
»Für beiderlei Gebrechen,
Junkherrlein, weiß ich Rath;
Der Wunde Kräuter brechen
Und zeigen Euch den Pfad,
Ich will es unverdrossen!
Habt Ihr Euch schwer verletzt?«
Und wo mit dem Genossen
Der Junker sich gesetzt,
Zum Eichenstamm im Moose
Tritt furchtlos sie heran;
Wie eine wilde Rose
Thaufrisch im stillen Tann,
Neigt sie sich zu dem Kranken
Und löst die Binde dicht
Von seinem Haupt, dem schlanken,
Und von dem Angesicht,
Und starrt – und sieht erschrecket,
Wie bei der Tücher Fall
Des Junkers Nacken decket
Goldblonder Locken Schwall,
Wie plötzlich voller Schelme –
Nie hätte sie's geglaubt –
Taucht aus dem Pickelhelme
Ein reizend Mädchenhaupt.
»Hat der Scholar, der Kleine,
Lieb Dirnchen Dich erschreckt
Und eine wunderfeine
Jungfrau für Dich versteckt?«
Mit hellem Silberlachen
Ruft's Nella. – »Bleibe hier!
Komm', laß uns Freundschaft machen
Und setz' Dich her zu mir,
Laß Dir die Mähre sagen,
Die mich hierher geführt,
Was mich dies Kleid läßt tragen,
Das nur die Noth erkürt.«
Treuherzig reicht die Holde
Dem Waldkind ihre Hand,
Das in der Neugier Solde
Die Furcht schnell überwand.
Dieweil an schatt'ger Stelle,
Von Zweigen überdeckt,
Der treue Waidgeselle
Zur Ruhe sich gestreckt,
Sitzt Gudula zur Seite
Dem fremden Jungfräulein.
Umwoben sind sie Beide
Vom gold'nen Sonnenschein,
Wohl nie hat der im Walde
Zwei Blümlein je geseh'n,
Wie sie hier auf der Halde
So dicht beisammen steh'n,
Maaslieb und wilde Rose,
So garnicht sich verwandt.
Sie plaudern hier im Moose
Einträchtig Hand in Hand,
Und sorglich prüft die Dirne
Die beiden Wunden jetzt,
Die Petronellas Stirne
Und Wange arg verletzt:
»Ei, dafür giebt's ein Mittel,
Ich hab's sogar zur Hand,
Das man im Annenspittel
Auf manches Haupt schon band;
Hab's just vorhin gefunden
Dies wundervolle Kraut,
Schnell sollt Ihr d'ran gefunden,
Wenn Ihr der Kraft vertraut.
Da hier im Korbe steckt es,
Die beste Specerei!
Seht hier! mit gelben Blüthen
Das Kräutlein Wohlverleih!«
Nella betrachtet's schweigend
Und lacht und giebt's zurück
Und spricht, das Köpfchen neigend,
»Nun denn, – versuch' Dein Glück!
Und macht von allen Schmerzen
Dein kühles Kraut mich frei
Und heilt's selbst die im Herzen –
Glück zu! Kraut Wohlverleih!«
»Als einst zwei Mönche kamen,«
Nickt ernsthaft Gudula,
»Die wußten and'ren Namen
Und nannten's Arnica
Und sagten, daß für allen
Und jeden Schmerz es sei,
D'rum nannte Sanct Maria
Es ›Kräutlein Wohlverleih‹.
Wie uns von der Legende
Noch jetzt berichtet wird,
Hatte das Jesuskindlein
Sich einst im Wald verirrt;
In Leid und großem Schrecken
Verfolgte seine Spur
Maria, zu entdecken
Ihr Kind in Feld und Flur.
Doch nichts, ach, wollte zeigen
Des Heilands Fährte an,
Der Tag that sich schon neigen,
Zu weinen sie begann.
Da hat im hohen Grase
Urplötzlich sie geschaut
Ein schlichtes, gelbgeblümtes
Und frisch gepflücktes Kraut,
Und wieder eins! und wieder!
So durch die ganze Flur,
Sie beugt sich selig nieder
Und fand des Heilands Spur.
Und als sie nun ihr Kindlein
Drückt wieder an die Brust,
Da küßt das gelbe Kraut sie
In namenloser Lust,
›Ich will Dich segnen, Kräutlein,
Fortan für ew'ge Zeit,
Du sollst die Wunden heilen
Und lindern jeglich Leid,
Auf daß kein ander Pflänzlein
Wie Du so köstlich sei,
Du meiner Thränen Tröstung
Heiß: Kräutlein Wohlverleih.‹
Also plaudernd, hat die Dirne
Mit geschäftig kluger Hand
Um des Fräuleins weiße Stirne
Festgeleget den Verband.
Ernsthaft sinnend Nella schaute,
Und sie sitzen Hand in Hand,
Und dem Waldkind sie vertraute,
Wie man Treffurt heut berannt,
Wie sie schlau, um zu entfliehen,
Diese Mummerei gewagt,
Wie sie will nach Wartburg ziehen,
Daß sie Frankenstein verklagt.
»Ist's noch weit? Ich ritt von dorten
Plötzlich und zu später Stund',
Hungrig bin ich jetzt geworden.«
Und sie seufzt von Herzensgrund.
»Hungrig? laßt zum Mahl Euch laden,
Nehmt fürlieb, hier kocht die Noth,
's ist ein bischen schwarz gerathen,
Immerhin! es ist doch Brod.«
Und mit Schelm, mit zauberischem,
Knixt sie bittend: »Laßt mir doch
Diesen Spaß, Euch aufzutischen,
Hunger ist der beste Koch!
Seht, aus meines Korb's Geflechte
Fisch' ich ungeheure Schätze,
O, ich weiß, wo gute, echte
Tiefversteckte Erdbeerplätze.«
Gern gegeben, gern genommen
Ist das heit're Mahl beendet,
Und die Trennung ist gekommen.
Schon dem Rosse zugewendet,
Lächelt Nella: »Dich zu lohnen,
Möchte schwerlich jetzt angehen,
Meine liebe, kleine Wirthin
Wünsch' ich noch recht oft zu sehen;
Auf die Wartburg sollst Du steigen,
Und Du sollst nach Nella fragen,
Hab' Dir vieles noch zu zeigen,
Hab' Dir Manches noch zu sagen.
Deine lieben Augensterne
Sollen Licht und Lust mir bringen,
Und Dein Mündlein wird mir gerne
Von der Freundschaft Lieder singen.
So behüt' Dich Gott! – Der kranke
Junker muß von dannen geh'n,
Doch er rufet Dir zum Danke,
Gudula – auf Wiederseh'n!« –
Heit're Abschiedsworte schallen,
Grüßend »Lebe wohl« man winkt,
Bis die Hufe fern verhallen,
Und der Stimme Ruf verklingt.
Gudula steht lang' und schauet,
Schaut umher voll Seligkeit,
Wie so hoch der Himmel blauet,
Wie die Welt so licht und weit,
Und sie streicht mit holdem Kosen
Zärtlich über Blatt und Laub,
Tändelt mit den Haiderosen,
Schmetterling und Sonnenstaub;
Doch des alten Reimars Schlingen
Drückt sie heiß an Lipp' und Brust,
Was sie fühlt', – sie muß es singen,
Nur im Lied wird's ihr bewußt,
Was wie ungeweinte Thränen
Sie so wonnenvoll durchbebt,
Und wie sturmgewaltig Sehnen
Glühend an die Freiheit strebt.
Kann sie selbst auch nicht ergründen
Dieses Räthsels Zauberspur,
Was sie fühlt nur will sie künden,
Und sie jauchzt durch Feld und Flur:

»Heraus, heraus ihr Blümelein
Im bunten Festtagskleide
Zu Spiel und Tanz und Ringelreih'n
Im thauigen Geschmeide!
Aurikula, du junges Blut,
Feldnelke mit dem Zindelhut,
Kommt's euch denn gar nicht in den Sinn:
Wie froh ich bin! wie froh ich bin?
Ihr Vöglein rings, heraus, heraus
Aus euerm grünen Bette!
Wischt euch die müden Aeuglein aus
Und singt eins um die Wette!
Herr Kuckuck, alter Griesgram du,
Weck' Fink und Meise aus der Ruh',
Und jauchzt durch alle Welt es hin:
Wie froh ich bin! wie froh ich bin!
Ihr Blümlein sagt mit euerm Duft
Die wundersel'ge Kunde,
Ihr Vögel schmettert's durch die Luft
Zum fernsten Waldesgrunde!
Und laßt es blühen, klingen, weh'n:
»Klein Gudula ist Heil gescheh'n!«
Ich bin hinfort nicht mehr allein,
Ein Freund ist mein! ein Freund ist mein!«

Echo ruft im Waldesgrunde
Silberstimmig, hell und rein
Antwort diesem Mädchenmunde
Und den süßen Melodei'n,
Und im Sinnen hold befangen
Neigt das Haupt Jung Gudula:
Was die tausend Stimmen sangen,
Was da tönet fern und nah,
Ach, es ist das alte, wahre,
Ewig kehrende Geschick,
Ist das hohe, wunderbare
Liedlein von dem Minneglück!


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