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Das Räthsel.

Gleich dem Zuge wilder Schwäne,
Die auf rastlos schneller Schwinge,
Wie ein Schatten durch die Luft zieh'n,
Ist das Wolkenheer zerstoben,
Und durch seine letzten, dünnen
Nebelhaften Regenschleier
Hat der Vollmond seiner Strahlen
Mildes Silberlicht gewoben.
Aus dem regenfeuchten Grase
Steigt empor ein süßes Duften,
Tausend jung erschloss'ne Kräuter
Baden sich in klaren Perlen,
Die aufs neue stets ein Lüftchen
Von den Zweigen niederschüttelt.
In dem Fichtenwalde streift ein
Wonnenvoller, kräftig herber
Harzgeruch, es rinnen langsam
Tropfen an den Bärten nieder,
Welche grün vom starren Ast wehn
Und den moos'gen Stamm umschmeicheln.
Ruhe athmet's von den Bergen,
Selten nur, daß eine leise
Vogelstimme Antwort locket.
Schweigend, wie in tiefem Traume,
Ritt zu Thale Petronella,
Neben ihr schritt düster sinnend,
Furchtbar ernst der fromme Pater,
Während laut und voll Begeist'rung
Rings umher die Knechte schwatzten
Und solch' Aventiure priesen,
Die so ernst begonnen hatte,
Um so weinesfroh zu enden.
Nur der Meister schritt noch sorgend
Hastig nieder zu der Eb'ne,
Schüttelte das Haupt und traute
Noch so recht nicht diesem Frieden.
Hatte auch der fremde Ritter
Auf sein Ehrenwort versichert,
Daß er nur die anvertrauten
Brieflein, die der Meister Gottfried
Auf der Reise mit sich führe,
Wünsche jetzo ausgeliefert,
Und daß seine reichen Waaren
Wohlbehütet in dem Thale
Auf des Kaufherrn Rückkehr warten,
Schien ihm doch der Handel mißlich
Und auch gar nicht so recht glaublich;
Ehrenwort und Plünderritter
Paßten ihm nicht recht zusammen.
Da er aber auf der Fahrstraß'
Unberührt die Wagen vorfand
Und sich eiligst überzeugte,
Daß auch nicht ein Strohhalm fehlte,
Ja, da faßte er des Fräuleins
Kalte Hand und rief laut jauchzend:
»Blut und Eisen, solch' ein Wunder!
Hab' doch Vieles schon erfahren,
Solch' ein Raubnest aber niemals,
Selbst im Märlein nicht, getroffen!
Könnt Ihr mir solch' Räthsel lösen?
Oder hab' ich's nur geträumet,
Oder ist die Burg da oben
Selber gar ein großes Räthsel,
D'rüber sich vielleicht noch höh're
Leute ihren Kopf zerbrechen?
Fräulein! Fräulein, ja es deucht mir,
Daß wir hier in keinem Raubnest
Von gemeiner Art gewesen!«
Petronella starrte wortkarg
Noch einmal empor zur Neste,
Biß die Zähne fest zusammen,
Lachte höhnisch, nahm die Gerte
Und trieb jählings an den Zelter.
»Vorwärts«, rief sie, »vorwärts, Burschen,
Graden Wegs empor zur Wartburg!« –

*

Wieder war ein Tag vergangen.
Frau Sophia, Heinrichs Mutter,
Von Brabant die edle Fürstin,
Saß im Erker, und sie stützte
Sorgenvoll das ernste Antlitz
In die Hand und schaute prüfend
Nieder auf die blauen Berge,
Deren einen, wie durch Zauber
Ueber Nacht ein Schloß gekrönet.
Und sie krauste ihre weiße,
Kluge Stirn und sprach voll Unmuths:
»Also gar ein Raubnest ist es?
Unerhört wär' solche Frechheit,
Und die Milde hier Verbrechen
An der Sicherheit des Landes.
Redet weiter, frommer Vater,
Hat man Euern Zug beraubet?«
Tief verneigte sich der Alte,
Und mit einem Blick auf Nella,
Die an Frau Sophias Seite
Unverwandt auf das Gescheide
Starrte, dessen Wunder-Veste,
Grell vom Abendroth beschienen,
Aussah als stünd sie in Flammen,
Fuhr er fort ihr zu erzählen
Von dem wunderlichen Ritter,
Der verkappt, wie die Gesellen,
Von des Krämers buntem Tande
Nichts begehrt, als nur die Brieflein,
Die der Meister bei sich führte,
Wie er ihm mit frecher Kühnheit
Von der Brust die Pergamente
Stahl, darauf Frau Margaretha
Ihren letzten Willen aufschrieb.
Theilnahmsvoll hört's Frau Sophia,
Sinnet ernst und spricht am Ende:
»In dem Volksmund heißt's vom Schlößlein,
Das auf räthselhafte Weise
In nur einer Nacht erbaut ward,
Daß es sei ein Werk des Satans.
Doch nach allen Euern Reden
Glaub ich fast, daß diese Veste
Nicht nur Lust am Raube baute!
Jedenfalls nicht dulden werd' ich,
Daß zum Schrecken dieses Landes
Solch' ein Zauberwerk bestehe;
Und ich will dem Breitgescheide
Seine Krone just so plötzlich
Wieder von dem Scheitel reißen,
Wie es sich mit ihr geschmücket.
Jungfrau Nella, könnt Ihr mir wohl
Näh'res von dem Ritter sagen?«
Tief betroffen schaute Nella
In der Fürstin prüfend Auge,
Und mit ihren weißen Zähnchen
Heftig an der Lippe nagend,
Senkte rathlos sie die Blicke,
Unentschlossen und umwölket
Streiften sie das Fußgetäfel,
Während Wiederschein der Sonne
Ihr die Wangen und das Blondhaar
Rosenroth und goldig säumten.
Endlich sprach sie in dem Tone
Eines schwer gereizten Weibes:
»Gnäd'ge Frau, soll ich Euch künden,
Wie mich jener Mann gekränkt hat,
So versprecht mir bei den Heil'gen,
Daß es bleib' bei Euch verschlossen
Als ein lebenslang Geheimniß!
Viel zu stolz ist Petronella,
Durch die Keckheit dieses Räubers
In der Leute Mund zu kommen,
Viel zu stolz, um ihren Namen
Wenn auch nur durch die Erzählung
Mit dem seinen zu verbinden!«
Und darauf verkündet Nella
Von des schwarzen Ritters Antrag,
Wie er sie im Uebermuthe
Zu der Hausfrau sich erküret,
Wie er gar verlangt, sie solle
Selber ihm das Jawort bringen.
Aber mit dem Zwiegespräche
Von der Katz' und Maus, da hielt sie
Vorsorglich noch hinterm Berge,
Wußte selbst nicht recht die Ursach,
Daß sie's so geheim wollt' halten. –
War der Sakristan von Fulda
Eifersvoll herzugetreten,
Und er blickt mit list'gen Augen
Forschend in der Jungfrau Antlitz.
»Nella«, sprach er, »jener Ritter
Ist in Eure Hand gegeben;
Hat er Euch sein Herz geschenket,
Wird er's sicherlich versuchen,
Baldigst Euern Weg zu kreuzen.
Höret d'rum, was ich Euch sage:
Jenen Mann sollt Ihr entlarven
Und des Gaudiebs Namen künden
Mir und auch dem Abt zu Fulda;
Hier aufs heil'ge Kreuz beschwört es,
So zu thun nach meinem Worte.«
Regungslos stand Petronella,
Starrte auf das dargebotne
Cruzifix des Sakristanes,
Und – war's nur das Licht der Sonne? –
Heißer glühten ihre Wangen.
»Ei, was zaudert Ihr, Jungfräulein?«
Lächelte Sophie und drohte
Scherzend mit erhobnem Finger,
»Ist am Ende jener schwarze
Ritter auf der Teufels-Veste
Doch nicht lang' mehr ohne Hausfrau?«
Wie von gift'gem Dolch getroffen
Zuckte Nella auf vom Sinnen,
Und mit zornentflammtem Auge,
Drinnen Thränen der Empörung
Blitzten, hob die Hand sie jählings,
Legte auf das Kreuz sie nieder
Und sprach kalt und stolz: »Ich schwöre«. –

*

In Johannis Klosterhofe
Scharrte ungeduldig Roberts
Roß, dieweil er selber
In behaglichem Geplauder
Bei dem Abte noch verweilte.
Wunfried hielt die Pergamente
Siegesfreudig in der Rechten,
Trat zum offenen Kamine,
Drin ein kleiner Holzstoß flammte,
Und er warf die kleinen Fetzen
Des zerrißnen Testamentes
Voller Vorsicht in die Gluth.
Alles, was da blieb, war Asche,
War ein kleines Häuflein Asche,
Und doch schloß es viele Hufen
Reichsten Klostersegens in sich.
»So war dies die einz'ge Beute,
Die Ihr machtet, Junker Robert?«
Der Gefragte blickte schalkhaft
In des Abtes forschend Auge,
Machte dennoch eine Geste
Mit der Hand und zuckt' die Schultern,
So wie Einer, um den's schlecht steht,
Und sprach: »Dies die einz'ge Beute!
Aber freilich, Abt Wunfriedus,
Ist sie hoch genug erkaufet,
Und in seltne Gegensätze
Seht Ihr mich anitzt verwickelt:
Wollte keck den Räuber spielen
Und bin selber der Beraubte,
Wollte fangen und besiegen,
Ach, und fühl' in schweren Ketten
Selbst mich elend jetzt gefangen!«
»Wie? … sprich deutlicher!« rief Wunfried.
»Deutlicher! Wohlan so höret!
In den Netzen, die ich stellte,
Einen list'gen Wolf zu knebeln,
Fing sich plötzlich mir zum Staunen
Klein und grau ein Mäuschen ein,
Das mit nagend scharfen Zähnen,
Eh' ich's dacht', die Fäden durchbiß
Und von dannen floh. Und als ich
Ganz verwirrt dem holden Flüchtling
Nachsah, merkt' ich gar zum Schrecken,
Daß dies diebisch kecke Mäuslein
Noch aufs ärgste mich bestohlen:
Dieses hier, Abt Wunfried, schauet!«
Und der Ritter legte lächelnd
Auf das Herz die Hand und seufzte.
– »Das ging schnell, bei meiner Seele!
Wart doch sonst so kühl und nüchtern,
Daß Euch nie ein Weib verwirrte – «
– »Nein, noch nie! denn jener Weiber
Ewig einerlei Gebahren,
Diese schüchtern, sittsam ernsten
Ewig stummen Edelfräulein,
Eine wie die Andre, Oheim,
Nein, die konnten mich nicht reizen.
Doch das Mäuslein mit den scharfen
Zähnen und der scharfen Zunge,
Die so gröblich mich behandelt,
Wie's ein Raubgesell verdienet,
Aber niemals noch erfahren,
Die ist just nach meinem Sinne;
Und ich schwör's bei meiner Ehre,
Sie wird mein! – Doch laßt's genug sein,
Wundert Euch nicht meiner Rede,
Wisst, der »tolle« Junker spricht sie.
Hier die andern Brieflein. – Prüft sie,
Sind aus Meister Gottfrieds Sacke.«
Eifrig griff nach ihnen Wunfried,
Neigte sich und las und las sie;
Endlich zuckt er auf vor Schrecken,
Ließ die Pergamente sinken
Und starrt' sprachlos in die Flammen.
»Also war's vergeblich – – Alles!«
Murmelt er mit bleichen Wangen.
– »Was? was ist vergeblich, Oheim?«
»Graf von Eppstein ist der Schlinge,
Ist der Holzenburg entkommen,
Hier dies Brieflein bringt die Kunde
An das Sanct Kartäuser Kloster,
Daß statt über Eisenach er
Hat den Weg nach Cöln genommen.«
Und des Abtes Hände knittern
Aufgeregt das Unglücksschreiben,
Um es mit gepreßten Lippen
Noch einmal zu überlesen.
»Hol's der Teufel!« wettert Robert,
»Der Gesell muß hohe Gönner
Bei den lieben Heil'gen haben,
Daß sie also ihn beschirmen!«
Finster blickt der Abt: »so wäre
Denn die Frist schon abgelaufen,
Die der Holzenburg gesetzet,
Mag sie heute Nacht verschwinden
Just so spurlos und so heimlich,
Wie sie aus dem Fels gewachsen!«
»Daran thut Ihr wohl, Herr Oheim,
Heute schon hat Frau Sophia
Einen Boten mir gesendet,
Schleunigst mein Visir zu lüften
Oder ihren Zorn zu fürchten;
Jener Sakristan von Fulda
Hat, bei Gott, nicht schlecht gezetert!
Außerdem, Herr Abt Wunfriedus,
Braucht man meiner in der Heimath;
Hat der rothe Fuchs von Beilstein
Gestern Nacht, wie man mir meldet,
Meinen Mittelstein befehdet,
Und mit vieler Noth und Mühe
Ist sein Angriff abgeschlagen.
Solche Art nimmt mich nicht Wunder,
Feig und schlau, so liebt's der Beilstein.
Aber in den Fingern zuckt's mir,
Diesem hinterlist'gen Burschen
Offen jetzt Bescheid zu geben;
Hüte Dich, Du kleines Treffurt!«
Wunfried war zerstreut; er nickte
Nur und sprach: »so ziehet
Denn in Gottes Namen, Robert,
Eure schuld ist abgetragen!« –
Robert griff zu Schwert und Helme
Und nahm Abschied. Auf der Schwelle
Hielt der Abt ihn auf und blickte
Warnend nochmals ihm ins Auge:
»Hüte Dich, mein Sohn, und wahre
Nun vor allem das Geheimniß!
Denn gar schwere Folgen hätt' es,
Deinen Namen zu entdecken,
Blut'ge Fehde, Haß und Zwiespalt,
Wie für Dich, so für das Kloster.
Und vor allem, Robert, hüte
Dich vor jenem kleinen Mäuslein!
Seine weißen, scharfen Zähne
Schneiden Dir ins Mark des Lebens,
Fliehe vor ihm, Robert, – fliehe!«
– »Vor der Maus die Katze fliehen?«
Auf des Frankensteiners Schulter
Legte Wunfried schwer die Rechte:
»Lache nicht! es hat ein Mäuslein
Andre Gegner schon besieget,
Als wie blindverliebte Katzen.
Kennst Du nicht das Märlein, Robert,
Wie ein Löwe ward bezwungen
Und besieget durch ein Mäuslein?
Jener königliche Streiter
Baute zu fest auf die Stärke
Und die Macht in seinen Tatzen,
Siegesmuthig wollt' er spotten
Seines kleinen Zwergengegners.
Aber sieh, das schlaue Mäuslein
Schlüpft dem starken in die Ohren,
Und von wildem Schmerz bezwungen,
Lag der Thiere König, flehte
Machtlos an das kluge Mäuschen.
Und darum merk' auf, mein Robert,
Nimm ein Beispiel an der Fabel!
Nicht ins Ohr kriecht Dir Dein Mäuslein,
Aber schlimmer noch, – im Herzen
Wird der Gegner sich einnisten,
Wird die Sinne Dir berücken,
Dich in wilde Qualen stürzen,
Bis Du matt und sterbenselend
Deinem Feind zu Füßen sinkest.
Fliehe! – flieh' dies Mäuslein, Katze!«
Robert hört's und nickt und lächelt,
»Lebe wohl!« ruft er und schwingt sich
Ungestüm auf seinen Renner.


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