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XXVII

Die Stimme des Majors, aus dem geöffneten Fenster seines Arbeitszimmers ertönend, rief seine Frau, Rose und Joachim zu feierlicher Audienz.

Herr von Schilling drückte erregt die Hand seiner zukünftigen Schwiegermutter – diese nickte ihm lächelnd zu. »Versprechen Sie, lieber Achim, Ihre Handschrift besorgen zu wollen – ich hoffe, im Trubel und der Freude des Verlobungsfestes vergißt er danach zu fragen, wenn Ihre Eltern eintreffen!«

Sie gingen, und wenn auch Papa Welfen nicht gerade mit offenen Armen einen Schwiegersohn aufnahm, dem seiner Ansicht nach das Wichtigste fehlte, eine Hand zum schreiben, so gab er doch dem jungen Paar seinen Segen, mit dem Vorbehalt, daß auch Achims Schrift all die guten Eigenschaften verbürge, die er bisher an dem jungen Mann wahrgenommen habe.

»Bis dahin aber untersage ich jedweden brautlichen Verkehr zwischen euch!« schloß er strenge, »bis die Verlobung veröffentlicht wird, seht ihr euch nur im Beisein von Mama oder Miß Dolly. Geküßt wird nicht eher, als bis ich die Schrift gesehen und endgültig ›ja und amen‹ gesagt habe. Verstanden?«

»Aber Papachen!!«

»Lieber, teuerster Onkel, das ist ja ein qualvolles Gebot! – Bedenken Sie doch, wie lange es noch dauern kann, bis meine Eltern reisen und das Schriftstück mitbringen können! Lieber, einziger Schwiegerpapa – Sie sind doch auch einmal jung und verliebt gewesen – –«

»Und wie verliebt warst du, Papachen! Denke doch, wenn du so strenge behandelt worden wärst –«

»An der Quelle dursten!!«

»Das Himmelmanna der Liebe mit Händen halten und dennoch danach hungern müssen!!«

Der Major lachte. »Na, na, ihr unbescheidenes Volk, so schlimm ist's nun nicht! Wollte euch eigentlich damit überraschen, aber wenn ihr mir das Messer derart an die Kehle setzt, muß ich wohl schon beichten! Hm ... hätte ja blind sein müssen, wenn ich den Racker Amor zwischen euch nicht hätte sehen wollen – hat bei jedem von euch Zentrum geschossen! Na, Kinder, da war ich schon auf diese Stunde vorbereitet und tat meine Schritte! Habe mich an eine gute, sichere Quelle gewandt und mir ein paar Schriftstücke aus Achims Leutnantszeit verschrieben, hoffte, sie würden eher da sein als der Heiratsantrag. Nun können sie aber jeden Augenblick eintreffen, und bis dahin verlange ich Geduld. Ehrlich gestanden, lieber Achim, hatte ich andere Pläne mit der Rose im Sinn, wollte ihr gern einen Mann mit harmonischer Schrift auftreiben, mit einer Schrift, wie sie mir ganz besonders im Sinne liegt! Na, das ist aber wohl ein Ding der Unmöglichkeit und darum will ich mich nicht darauf steifen! Also nochmals: Glück auf, mein Junge! – Wir alle haben Sie aufrichtig gern, und Sie sollen uns von Herzen willkommen sein, wenn Sie nicht gerade eine Verbrecherschrift schreiben! Und das glaube ich nicht. – Nun Adio, Kinder – und noch ein paar Tage Ordre pariert!«

Rose hatte das Taschentuch vor das Gesichtchen gedrückt und stürmte ohne ein weiteres Wort hinaus, Achim drückte die Hand des Majors und stammelte ein paar unverständliche Worte, dann folgte er hastig zur Tür.

»Mamachen – spiele Zerberus!« lachte Welfen in vortrefflicher Laune. »Sonst verproviantieren sie sich draußen für volle acht Tage mit Küssen!«

Welch eine trostlos verzweifelte Stimmung. Achims frisches Gesicht war farblos, und Rose schwamm in Tränen – selbst Frau von Welfen sah gar nicht mehr so zuversichtlich, sondern recht besorgt aus.

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Fern im Park, im kleinen Tempel wurde großer Familienrat gehalten. Borns und Vetter Eylau waren als Vertrauenspersonen hinzugezogen. Die Bestürzung war groß. Bekam der Major die Schrift Achims zu Gesicht, so war alles verloren. »Es darf nicht geschehen, es muß unter allen Umständen vereitelt werden!« entschied der Landrat.

»Wenn man nur wußte, an wen er geschrieben hat!«

»An den früheren Kommandeur?!«

»Ich halte es für wahrscheinlicher, an irgendeinen Regiments- Kameraden!«

»Oder an Achims Eltern!«

»Oder den Gutsinspektor!«

»Vielleicht an irgendeinen Schneider oder Schuster seiner ehemaligen Garnison!«

»Gleichviel! An wen er sich auch gewandt hat, der Brief darf nicht ankommen.«

»Dann sind wir ja für ewige Zeiten ein unverlobtes Brautpaar!!«

»Unsinn, wir schieben währenddessen unser Kuckucksei unter, denn da Papa keine Antwort erhält, bemühst auch du dich und besorgst ihm deine Schriftprobe!«

»Das wäre ein rettender Gedanke! Man müßte die Post in Feldheim verständigen!«

»Nein, das macht Aufsehen, und außerdem würden die Beamten nicht darauf eingehen!«

»Wir müssen Tag für Tag dem Postboten entgegengehen und sehen, daß wir den verdächtigen Brief in unsere Hände schmuggeln!«

»Aber, was damit tun?«

»Sehr einfach, wir nehmen Achims Schrift heraus und ersetzen sie durch eine andere!«

»Durch welch eine?«

»Zur Not lasse ich das Schriftstück von einem Schreiber kopieren!« entschied der Landrat: »Not lehrt beten, und um so viel Unheil zu verhüten, kann man schon ein bißchen Taschenspielerkünste in Szene setzen!«

»Du müßtest dann gleich nach Feldheim reiten!«

»Wir kehren ja sowieso übermorgen dorthin zurück! Sechs Wochen sind wir bereits hier, nun rufen mich Angelegenheiten heim, die von hier aus nicht gut geregelt werden können!«

Man beriet noch eifrig hin und her, überlegte genau, wie man dem Briefträger auflauern und ihm die Mappe abnehmen wolle. – Salome erklärte sich bereit, den Schlüssel unter irgendwelchem Vorwand aus Papas Schreibtisch zu stibitzen, kurzum, es war die vollendete Verschwörung.

Allmählich versiegten Roses Tränen, und auch Achim schaute hoffnungsfreudiger darein, um so mehr, als die beste und liebenswürdigste Schwiegermama gar keine Zerberusmiene aufsetzte, sondern merkwürdig kurzsichtig war, wenn Achim sein armes Bräutchen zärtlicher und anhaltender tröstete, als es unumgänglich nötig war.

Der Landrat und Männe Eylau wollten heute als erste Streifpatrouille gegen vier Uhr den Feldweg und die Chaussee nach Feldheim abpirschen, und morgen früh sollten Eylau, Salome und Rose die Wachtposten übernehmen.

Siegfried wanderte mit dem Referendar, eifrig beratend, in dem Gartenweg auf und nieder, Rose und Achim sprachen sich Arm in Arm Mut ein, und Frau von Welfen und Salome saßen in ernstem Gespräch unweit von ihnen und schienen mancherlei für die Übersiedlung des Landratspaares nach Feldheim zu besprechen.

Salome hatte es endlich nach langem Kampfe über sich gewonnen, der Mutter ihren letzten Streit mit Siegfried zu berichten.

Nun hielt Frau Dora ihr Trotzköpfchen im Arm und redete mit ihrer leisen, lieben Stimme zum Guten. »Wenn er wirklich eifersüchtig ist, so hüte dich wohl, Herzenskind, ihn zu reizen. Die Eifersucht ist eine Wunde des Herzens – reißt man sie mutwillig größer, heilt sie um so schwerer und hinterläßt ihre Narben; träufelt man gar voll sündhaften Leichtsinns Gift hinein, so wird sie tödlich und alle Liebe stirbt an ihr! Darum hege und pflege deines Mannes Herz, daß es gesund bleibt. – Die Mission des Weibes auf Erden ist der Friede. – Wo der im Hause fehlt, da fehlt es auch an Glück und Segen. Du erniedrigst dich nicht, wenn du Siegfried nachgibst und den einzigen Wunsch erfüllst, den er an dich stellt. – Durch dein Nachgeben zeigst du ihm nur deine selbstlose, innige Liebe. Hast du nicht ein Recht dazu? Ist das so schwer? Als ihr euch verlobtet, sagtest du ihm auch, daß du ihn lieb habest, nicht einmal, nein, täglich, stündlich – so oft ihr euch sahet. Glaubtest du damals dieses Liebesgeständnis erniedrige dich in seinen Augen? Nein! Als er dir seinen Ring an den Finger steckte und du lächelnd und hochbeglückt das Zeichen deiner Abhängigkeit trugst – erniedrigtest du dich dadurch? Als du deinen Namen hingabst und dafür den seinen erhieltest–- war es eine Demütigung in deinen Augen? Nein, es waren alles nur Beweise der Liebe. – Die Ehe gibt nicht mehr viel Gelegenheit, die hingebende Liebe durch äußere Zeichen zu betätigen, sie endet naturgemäß auch die Liebeserklärungen in Worten, die ein Brautpaar voll schwärmerischer Zärtlichkeit tauscht, aber darf darum eine Ehe bar aller Liebe und ihrer Beweise sein? Das verhüte Gott. – Die Liebe zwischen Ehegatten hat nur eine andere Sprache angenommen. Jedes Nachgeben, jedes ›Sichfügen‹, jedes freimütige Unterordnen des Weibes heißt in dieser Sprache ›ich liebe dich!‹ – und jedes Sorgen, Arbeiten, Schaffen des Mannes für sein Weib und seine Familie sagt voll inniger Treue: ich liebe euch! – – Die Zeit ist zu kostbar geworden für Eheleute, die Liebe darf nicht mehr ein Wort sein – sie muß zur Tat werden, sie darf ihre Aufrichtigkeit nicht mehr versichern, sondern muß sie beweisen. Ihr beiden jungen, heißblütigen Menschen habt euch durch falschen Stolz gegenseitig das Leben unnötig schwer gemacht. Habt euch gegenseitig in eine falsche Bahn gedrängt, und nun will keines zurück. – Wie soll das enden? Wollt ihr euch denn nie wieder zusammenfinden? Sieh, Herzenskind, Siegfried ist dein Mann, du hast ihn selber erwählt, du hast ihm versichert, daß du ihn liebtest, willst du ihn belogen haben? Willst du nicht halten, was du ihm versprachst? – ›Ihr Weiber seid untertan euern Männern‹ – spricht der Herr. Willst du dich nicht um Siegfrieds willen demütigen, so tue es um des Heilandes willen, der es von dir verlangt. – – Nicht das Kirchenlaufen und Kollektenbezahlen allein ist Religion, sondern der ganze Wandel eines Menschen, das Gott wohlgefällige Erfüllen des Berufes, in den er ihn gestellt hat. – Ich weiß, daß es dir bitter schwer werden wird, gerade jetzt, nach dem neuen Streit als Bittende und Gehorsame vor deinen Mann zu treten, und doch beschwöre ich dich um deines eigenen Glückes willen, tue es, Salome. Es gibt keine Entschuldigung für dich, wenn du es nicht tust. Du hast in diesen sechs Wochen genug gelernt, um dir künftighin selber forthelfen zu können, laß das mühsam bestellte Feld nicht verdorren und verkommen in kindischem Trotz. Ganz allmählich, ganz bei kleinem winde deinem Mann die Zügel des Haushaltes aus der Hand und führe du sie, wie es sich für dich gehört. – Du ahnst gar nicht, welch eine unerschöpfliche Quelle der Seligkeit du dir dadurch erschließest, welch einen Triumph für dich dieses scheinbare Erniedrigen in sich schließt. Du brauchst ja keine eklatante Szene heraufzubeschwören, du kannst in der Stille beginnen und fröhlich der Zeit harren, bis er es selber entdeckt – wie treu du ihn liebst! – Ich packe dir all deine schönen, neuen Küchenschürzen oben in den Koffer, und ich weiß es, daß meine liebe, vernünftige Salome zu brav und fromm ist, um ihres Heilandes Gebot und ihres Herzliebsten Wunsch unerfüllt zu lassen!«

Salome hatte schweigend gelauscht, jetzt hob sie das Antlitz und blickte mit tränenglänzenben Augen zu der Sprecherin auf.

»Du gute, gute Mutter! – Du meinst es treu, und du hast recht – gesegnet, die auf Erden Frieden stiften!« – Sie küßte die Hände Frau Doras, und diese wußte, daß ihr junges Kind in dieser Stunde älter geworden war als sonst in einem Jahre.

Vom Hause schallte das erste Zeichen der Tischglocke. Die kleine Versammlung brach auf.

Der Landrat blickte sich um, und sein Blick traf wie in schmerzlicher Sehnsucht seine Frau. Nie hatte er sie früher als Braut so oft von dieser Stelle zu Tisch geführt, selige überglückliche Menschen. Salome errötete; aber sie trat schnell an seine Seite, nahm mit bittendem Blick seinen Arm und sagte leise: »komm!«

Seine Augen leuchteten auf – unwillkürlich preßte er ihren Arm an sich und sah sie an – ganz wie früher.

Schweigend schritten sie dem Hause zu. Beider Herzen waren übervoll – und doch fand sich noch nicht das rechte Wort, um just das auszusprechen, was sie einzig leicht und glückselig machen konnte!

Als man das Haus erreichte und die Veranda betrat, lag eine rotumränderte Mütze auf dem Tisch.

Joachim sah sie zuerst und zuckte leicht zusammen. »Wer ... wer ist bei dem Herrn Major, Wulf?«

»Der Briefträger, gnädiger Herr.«

Ein leiser, vierstimmiger Aufschrei des Entsetzens. »Jetzt! Zu dieser außergewöhnlichen Stunde?«

»Es war ein Expreßbrief – eingeschrieben, gnädige Frau!«

»Allmächtiger Gott, das ist er!«

Rose sah leichenblaß aus – die kleine Gesellschaft stand wie versteinert.

»Gehen Sie in die Küche! Sollen erst hier zu Mittag essen!« klang Welfens Stimme nebenan, und dann trappten die Nagelschuhe des Postboten durch das Gartenzimmer, und die Flurtür schloß sich hinter ihm.

»Salome – ich beschwöre dich, geh hinein zu Papa und bringe heraus, was der Briefträger gebracht hat! – Du hast scharfe Augen, und dir sagt Vater es auch am ersten!«

Frau von Born nickte sehr resolut, schwenkte kurz auf den zierlichen Hackenschuhchen um und betrat das Arbeitszimmer des alten Herrn. Schon nach wenigen Minuten kam sie wieder zurück.

Sie sah sehr erregt aus.

»Es sind wahrhaftig Briefe von Joachim!« stöhnte sie, »und Papa hat auch die Handschrift vom Ruhlaer erkannt! Er scheint vor Aufregung zu beben! ›Salome ich habe ihn!‹ schrie er mir entgegen, und dann riß er seinen Schreibtisch auf und wühlte in den Papieren; fraglos suchte er nach dem Blatt aus dem Fremdenbuch!«

Rose warf sich laut schluchzend an die Brust des Geliebten, und Achim umschlang sie so fest und markig, als müsse er sie vor einer ganzen Welt schätzen. Er warf den Kopf energisch zurück, seine Augen blitzten. Jetzt, angesichts der Gefahr, kannte er keine Furcht mehr – sein Sorgen und Zagen wich der stolzen Zuversicht und dem eisernen Willen, der um jeden Preis den Kampf aufnimmt.

»Mut, Rose! Es ist ja undenkbar, daß der Vater wegen eines übermütigen Scherzes unser ganzes Lebensglück auf das Spiel setzt! Laß mich nur mit ihm reden, ich werde mich schon mit ihm verständigen!«

Frau von Welfen war auf einen Stuhl niedergesunken und starrte wie in verzweifeltem Nachdenken vor sich hin.

»Er kommt!« murmelte Born.

»Und wie kommt er!« seufzte Eylau.

Eine Tür flog schmetternd zurück. Eilige Schritte kamen herzu, und dann klirrte die Glastür der Veranda, auf der die Verschworenen mit bangem Herzen der Dinge harrten, die nunmehr kommen mußten.

Da stand auch Welfen schon auf der Schwelle. Er sah dunkelrot aus.

»Achim!« schrie er, »Achim!«

Hub dann eilte er ungestüm auf den jungen Mann zu und schloß ihn in die Arme.

»Infamer Schlingel, also du warst es! – Und sagst es nicht längst! Potz Blitz und Knall ... wo ist Rose! – Marsch hierher, Kleine – einen Mann mit einer harmonischeren Handschrift kannst du nie im Leben bekommen, darum sollt ihr meinen Segen haben, wenn auch dieser Sakramenter von einem Achim seinem lieben Schwiegervater übel mitgespielt hat!«

Die Wirkung dieser Worte war eine unglaubliche. Niemand erfaßte und begriff dieses neunte Weltwunder, nur Eylau erholte sich zuerst und schrie »Hurra!« und Schilling preßte Rose an sich und starrte seinem unerklärlichen Schwiegerpapa wie ein Mondsüchtiger in das Gesicht.

Alle andern standen regungslos, wie versteinert, bis Frau Dora mit einem erlösenden Jubellaut ihrem Mann um den Hals fiel. »Ernst – lieber Ernst, ist das Wahrheit oder grausamer Scherz?«

Da strich sich der Major aufatmend über die erhitzte Stirn, und sein Blick flog nun erst musternd in die Runde. Dann lachte er schallend auf. »Kinder, was für törichte Gesichter macht ihr!« rief er in bester Laune. »Aha, nun verstehe ich auch erst! Meinen Segen hattet ihr nicht so ganz erwartet! – Teufel – ja, wußtet ihr denn etwa schon, daß Achim mein teurer Freund und Galgenstrick aus Ruhla war?!«

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»Wir wußten es, Ernst – allerdings auch erst seit kürzester Zeit!«

»Na Schwerenot, warum sagt ihr mir denn das nicht gleich, sondern macht mir erst noch solch heillose Mühe, bis ich die Wahrheit erfahre?«

Rose hatte sich den Armen ihres Verlobten entwunden, ungestüm umschlang sie den Vater. »Ach, Papachen, wie hätten wir denn das wagen dürfen!« rief sie zwischen Lachen und Weinen, »du haßtest ja jenen Unbekannten so sehr, und wir fürchteten, du könntest ihm nie verzeihen!«

»Einem derart harmonisch schreibenden Menschen vergebe ich alles! Sehe ich doch aus der Schrift, daß es keine Bosheit, sondern nur Frohsinn und Heiterkeit – keine Ironie – sondern Humor, keine Unverschämtheit, sondern nur gute Laune war, die den Monsieur da zu all seinem Schabernack trieb!«

»Eine harmonische Schrift? – Joachim schreibt eine harmonische Schrift, Papa?«

»Na ja, ist das etwas Absonderliches? Habe den Schlingel immer gut taxiert, seit ich ihn hier in Ruhe beobachten konnte! Komm her, alter Junge, laß dich umarmen! Du wirst meine Kleine sicher glücklich machen, davon bin ich überzeugt!«

»Aber Papachen, hattest du denn nicht die harmonische Schrift schon längst an dem Gedicht erkannt?« fragte Salome noch immer starr von Staunen.

»Na gewiß hatte ich das! Darum gab ich mir ja die Mühe, den Herrn Schreiber ausfindig zu machen.«

»Und wir hielten diese Nachforschungen nur für ein Zeichen ungestillter Rache!«

»Aha – und darum wurde mir der Urheber verheimlicht!« Welfen lachte immer vergnügter. »Zu närrisch Kinder! Und ich habe sooft gedacht, solch einen Mann mit soviel guten Eigenschaften möchtest du wohl für deine Rose haben!«

»Hurra!« rief Eylau abermals und warf voll ausgelassener Freude die langen Arme in die Lust. »So ein wunderbares Zusammentreffen muß gefeiert werden! –- Ich habe verteufelten Hunger, meine Herrschaften, und schlage vor, wir werfen das neugebackene Brautpaar in die Suppenterrine!«

»Das soll ein Wort sein! – Bitte zu Tisch, meine Lieben!

Ich sag's ja, Tante Sidonie hat euer Hurrageschrei aus des Waldes tiefsten Gründen herausgelockt!«

Die Genannte trat just in die Tür. »Wo bleibt ihr denn, zum Kuckuck?« räsonnierte sie, »seit einer halben Stunde hat es zu Tisch geläutet!«

»Liebe Tante – die Veranlassung war eine sehr frohe. Erlaube die mündliche Anzeige, daß wir soeben unsere jüngste Tochter Rose mit Herrn Joachim von Schilling verlobt haben!«

»Das ist mir durchaus gleichgültig!« antwortete die Frau Professorin trocken. »Ich habe Hunger.«

»Liebe Tante – Sie sind doch eine große Naturforscherin vor dem Herrn –« wandte sich ihr der Landrat höflich zu, »können Sie mir nicht sagen, wie das Tier heißt, das lediglich für ... Essen und Trinken Interesse hat?«

»Hm!« sagte die Tante überrascht.

Die andern aber stürmten davon, ihr verräterisches Lachen zu verbergen.

Der gestrige Abend hatte bereits Stimmung gemacht, und der Weinkeller von Jeseritz machte in diesen Tagen die Erfahrung, daß die Freude eine Pflanze ist, die immer üppiger emporschießt und immer farbigere Blüten treibt, je fleißiger sie begossen wird. Selbst Tante Sidonie ward an der Seite des Landrats heilerer und wohlgelaunter als je. Mit ganz sonderbarem Ausdruck waren ihre runden Glasaugen auf ihn gerichtet, wenn er es nicht bemerkte.

Als sie heute morgen den braven Wulf ingrimmig angeschnaubt hatte, warum sie keine einzige Zeitung mehr zu Gesicht bekäme, hatte er erwidert: »Der Herr Landrat hat die Zeitungen beiseite geschafft.«

»Aus welchem Grunde?« hatte sie geforscht.

Da lachten die Äuglein des ehemaligen Offiziersburschen recht boshaft und schadenfroh, denn er haßte die Frau Professorin ebensosehr, wie es alle Dienstboten in Jeseritz taten.

»Weil etwas recht Schlimmes über das Buch der gnädigen Frau darin stand!« triumphierte er.

Da fragte sie nicht weiter, aber sie grübelte ununterbrochen über das Rätsel nach, warum der Landrat ihr nicht die schlechten Kritiken voll Spott und Hohn vorlegte? – Er war doch sonst bei jeder Gelegenheit so urwüchsig grob und sagte ihr soviel Unangenehmes, warum nun nicht die Kritiken präsentieren?

Tante Sidonie wußte es. Weil er innerlich viel zu empört über die Ungerechtigkeit und Verlogenheit dieser Rezensionen war. Hatte er ihr nicht selber an jenem Tage die größte Eloge über ihr Werk gesagt, indem er dasselbe für eine hinterlassene Arbeit ihres geistvollen Gatten hielt? Fraglos, Born war der einzige, der dem Buch rückhaltlose Anerkennung und Bewunderung zollte! Er hatte die Vortrefflichkeit ihrer Leistung erkannt und würdigte sie.

Daß er stets sehr unhöflich und grob zu ihr war, hatte seinen besonderen Grund. Er war eine zu stolze und selbstlose Natur, um sich zum Erbschleicher zu erniedrigen. Er verbarg seine wahren Gefühle für sie, und hüllte sich in Kälte und Spott, aus Angst, von ihr falsch gedeutet zu werden. Daß er es besser und redlicher als alle andern mit ihr meinte, ersah sie wieder daraus, daß er eifrig bemüht war, ihr jede Kränkung und jeden Schmerz der ihr ungerechtfertigt von Fremden widerfuhr, zu ersparen.

Auch sein hilfreiches Erscheinen damals vor dem entsetzlichen Leichenwagen war fraglos kein Zufall gewesen. Er hatte sie im Kreise ihrer falschen, scheinheiligen Freunde arglos dahin wandeln sehen und für sie gefürchtet, darum folgte er ihr von weitem, um ihr Schutz und Schirm zu sein. Fraglos wäre er als treuer Schatten bis Jeseritz gefolgt, wenn das Schicksal nicht schon früher seine rettende Hand requiriert hätte!

Ja, Tante Sidonie war so felsenfest von dieser Ansicht überzeugt, daß sie im Grunde ihres Herzens nicht höher schwur, als bei ihrem Neffen Born, wenngleich keine Menschenseele solche Sympathien ahnte und jeder überzeugt war, daß der Landrat, der grobe Wahrheitssager, ihr bestgehaßter Gegner sei.

Das Mittagsmahl gestaltete sich zu einem überaus heiteren Verlobungsfeste, das seinen Maibowlestrom auch wieder hinab in die Küche ergoß und dort alle fidelen Geister entfesselte.

Joachim setzte eine überselige Depesche an seine Eltern auf, die der Postbote sogleich mit zur Stadt nahm, und dann begab sich die heitere Tischgesellschaft auf die Veranda, um dort in Sonnenglanz und Blütenduft den Kaffee zu trinken.

Da rollte ein Wagen herzu: Husarenuniformen. Herr von Elten sprang zuerst zur Erde, einen großen Blütenstrauß in der Hand. Er hatte seiner Ansicht nach die Jeseritzer nun lange genug ausgehungert, und wollte nun doppelten Eindruck als ein so lang und schmerzlich Vermißter machen. Er grüßte allgemein und wandte sich dann sofort zu Rose, ihr den Strauß mit unwiderstehlichsten und ausdrucksvollsten Augen, mit ein paar bedeutsamen Worten zu überreichen.

Zum erstenmal sah die Kleine ein wenig boshaft aus.

»Mein Gott, Herr von Elten – Sie scheinen mit höheren in Verbindung zu stehen!« rief sie lachend. »Schon Salomes Verlobung wußten Sie damals früher als alle andern Menschen und kamen als erster Gratulant, und nun machen Sie es bei mir ebenso?!«

»Ihr Verlobung ... Sie sind ... auch verlobt?« stotterte der Premierleutnant, zum erstenmal im Leben fassungslos, ohne die Geistesgegenwart, die er Salome gegenüber gezeigt hatte. Er stand und starrte die Sprecherin an, dieweil sich ein schallendes Gelächter im Kreise erhob.

»Ja,« rief Herr von Welfen in fröhlichster Laune und stellte seinen zweiten Schwiegersohn vor. »Herr von Schilling! Der glückliche Auserwählte!« sagte er, und Eylau fügte lachend hinzu: »Und welch ein vollgültiger Schilling mit einer harmonischen Handschrift – ich werde nie im Leben wieder wagen, ihn Mister Sir Pence zu nennen!«

Als Herr von Elten sich überzeugte, daß es sich um keinen Scherz handele, machte er sauersüße Miene zum bösen Spiel. Er versuchte noch einmal mit Frau von Born das alte Spiel zu beginnen, mußte aber zu seiner unbeschreiblichen Überraschung wahrnehmen, daß der Liebe Mühe umsonst war.

Der Landrat musterte ihn dabei wie einer, der am Ufer steht und zusieht, wie ein Feind ertrinkt. Auch dem kleinen Rittmeister war die Situation nicht recht behaglich, und es schien ihm eine besondere Freude zu sein, mitteilen zu können, daß er als Lehrer an die Reitschule zu H. kommandiert sei.

Nach einer nicht sehr erbaulichen Kaffeestunde gingen die Herren wieder. Sie lehnten eine Einladung zum Abend ab. Der Rittmeister verabschiedete sich sogleich, und Herr von Elten sah ebenfalls aus, als nehme er einen ewigen Abschied von Jeseritz. Er erschien verfallener und verlebter als je, und die Schatten in seinem Gesicht spielten ins Grünliche. Während der Heimfahrt saß er nachdenklich mit tiefgeneigtem Kopf, und sein Kamerad ehrte die Gefühle, die ihn durchtobten, durch rücksichtsvolles Schweigen.

Noch nie im Leben hatte Elten sich so schlagrührend geärgert wie an diesem Tage.

Wie war es möglich, daß er derart von Roses Verlobung überrascht werden konnte! Er hatte die sämtlichen jungen Herren der Umgegend aufs argwöhnischste beobachtet, ob sie in Jeseritz Besuche machten oder nicht, und zu seiner triumphierenden Genugtuung hatte keiner dort die Schwelle betreten. Elten wußte wohl warum – er hatte dafür gesorgt.

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Da tauchte durch den Doktor die Nachricht von dem für verrückt gehaltenen Vetter auf, und Elten hielt es nun für gut, das Terrain zu sondieren und die Strafquarantäne, in der sich die Häuser Born und Welfen befunden, großmütig aufzuheben. – Er kam zu spät. – Und nicht nur das, er hatte sich obendrein unsterblich blamiert und lächerlich gemacht.

Noch nie hatte er Feldheim so ingrimmig gehaßt wie an diesem Tage, und der Plan, den er schon lange gehegt, gewann an Festigkeit.

Kaum zu Hause angelangt, setzte er sich an den Schreibtisch und fertigte ein dienstliches Schriftstück an, welches die Bitte um seine Versetzung enthielt.

Er stützte den Kopf in die Hand und starrte mit einem Blick geradeaus, wie ehemals der Schakal im Käfig der Menagerie, wenn er vergeblich hin und her geschlichen und schließlich mit wild entschlossenem Satz gegen das Gitter gesprungen war – das erhoffte Opfer aber unbeschädigt an ihm vorüberging, durch wohlgemutes Lachen den geschlagenen Feind verspottend.

 


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