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XVIII.

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In Jeseritz hatte die Kaffeestunde geschlagen. Draußen sauste der kalte Nordwind durch den verschneiten Park und rüttelte an den Fenstern, aus denen behaglich helles Lampenlicht strahlte und seinen Widerschein auf die weißglitzernden Zweige warf.

Rose waltete heute ganz besonders heiter ihres Amtes; sie hatte die Eltern durch einen vorzüglichen Rahmkuchen überrascht, dessen Rezept sie sich in Liebenstein von der freundlichen Hotelwirtin erschmeichelt hatte.

Nun endlich war sie dazu gekommen, es auszuprobieren, und wie trefflich das Experiment geglückt war, bewies der Appetit, das wohlwollende Nicken der Mutter und ein beinahe zärtliches Schmunzeln des Majors, das Rose nur sehr selten an ihm zu sehen bekam.

Er zog ihre blühend kräftige Gestalt in dem einfachen »selbstgeschneiderten« Hauskleide und dem hellen Latzschürzchen in die Arme und küßte die rosigen Wangen seiner Jüngsten.

»Bist ein Prachtmädel, Kleinchen! Denkst immer daran, deinen Alten eine Freude zu machen! Vorhin hat mich die Mamsell in die Waschküche geholt, damit ich mir deine aufgepäppelten Hühnchen ansehen sollte! Das laß ich mir gefallen! Wahre Prachtexemplare sind es geworden, und du hast recht getan, damals deinen Willen durchzusetzen.«

»Nächsten Herbst wirst du es auch an den Feldhühnern merken, Papachen, daß ich recht tat, all die Eier, die man beim Mähen der Felder in den zerstörten Nestern fand, durch unsere Hennen ausbrüten zu lassen! Hoffentlich sind die Tierchen anhänglich und bleiben unserem Revier treu!«

»Ja, der Hühnerhof kann sich kein besseres Pflegemütterchen wünschen, als unsere Rosel!« lächelte Frau Dora mit stolz glänzendem Blick. »Und der Garten und die Ställe ebensowenig! Ich denke schon mit Schrecken an die Zeit, wenn sie einmal verwaisen werden!«

»Wie meinst du das, Mütterchen?« knurrte der Major.

»Je nun, wenn ... wenn...«

»Ein Königssohn kommt, dein Aschenbrödel zu holen?« lachte Rose hell auf. »Unbesorgt, Mamachen! Ich lebe auf so selbständig großem Fuß, daß mir nie ein Glaspantoffelchen passen wird!«

»Hm, hm,« schmunzelte Welfen mit zwinkerndem Blick, »ich kenne einen, der unter einen recht großen Pantoffel kommen möchte!«

»Ich nicht, Väterchen.«

»Wirklich nicht? – Kleiner Racker, ich glaube, du spielst nur aus Koketterie das Kräutlein ›Rühr' mich nicht an‹!«

Rose schüttelte vergnügt das Köpfchen: »Wirklich nicht! So modern erzogen bin ich nicht. – Nicht wahr, Miß Dolly, ich mache weder lyrische Gedichte, noch seufze ich im Mondenschein? Ich bin furchtbar nüchtern und bis in die kleinste Fingerspitze hinein unverliebt!«

»Das sein die Wahrheit! Selten ich habe gesehn eine junge Lady, was seien so nichtsnutzig denkend von die Heirat wie Miß Rose!«

»Alte, das kompromittiert uns! Unsere glückliche Ehe müßte dem Mädel doch Appetit machen?«

»Sie wartet ja nur, bis der Rechte kommt, der ein genau so vortrefflicher Ehegatte ist wie du, lieber Ernst!« scherzte Frau Dora.

»Das laß ich gelten! – Ist's das, Kleinchen, he?«

Rose stippte gelassen ein Stück Kuchen ein und blickte schelmisch zu dem Frager auf. »Nur das, Vater! Zum heiraten gehören zwei, und obwohl ich Prachtexemplar reichlich für zwei gelten könnte, zählt das doch leider nicht auf dem Standesamt!«

»Ein blauer Husarenattila zählt aber doppelt!«

»Wirklich? Wer es tut, möchte sich leicht verrechnen. Ich will nie in der Stadt leben, ich würde in den engen Straßen ersticken und bekäme das Zipperlein, weil ich nicht genug in Haus und Hof schaffen könnte. Ohne mich geht es nicht in Jeseritz – ich muß als notwendiges Übel bis an mein Lebensende kontraktlich hier verpflichtet werden, sonst steht ihr euch selber im Licht!«

Wulf trat ein und blieb an der Tür stehen.

»Na, was ist los, Alter?«

»Befehl, Herr Major. Mamsell läßt das gnädige Fräulein bitten, einmal herunterzukommen; sie wollen mit der neuen Maschine buttern und kommen nicht recht zuwege damit!«

»Gleich! – Ich komme schon! Selbstverständlich muß es gehen, es will nur ausprobiert sein!« – Rose trank hastig ihren Kaffee aus, nahm den Kuchenrest in die Hand und eilte mit Augen, die vor Eifer und Interesse blitzten, zur Tür.

» Oh – dearest Miß Rose wir müssen haben unsere lesson of reading now!!« klagte Miß Dolly.

»Komme gleich wieder! Schlagen Sie derweil auf!« hallte es wie ein Echo zurück, und Mißchen erhob sich in ihrer langsam phlegmatischen Art, seufzte: » yes«, machte eine steife Verbeugung und zog sich zurück.

Auf diesen Augenblick schien Frau Dora gewartet zu haben. Sie warf noch einen schnellen Blick hinter sich, ob sich die Tür tatsächlich hinter der Engländerin geschlossen habe, dann rückte sie lebhafter auf ihrem Stuhle vor und legte die Hand auf den Arm des Gatten, der sich soeben nach den Zeitungen ausstreckte.

»Ernst – –«

»Na?«

»Hast du ein bißchen Zeit für mich, bester Schatz?«

Der alte Offizier neigte sich und küßte ritterlich die kleine, weiche Hand. »Immer, Dorchen, das solltest du doch wissen!«

Ihre Augen senkten sich mit prüfendem Blick in die seinen; sie lächelte, »und hast du auch recht gute Laune und wirst nicht gleich loswettern?«

Er nahm momentan die Zigarre aus dem Munde und strich sich langsam über den Kopf. »So etwas ist's?« fragte er gedehnt; »na, frisch weg von der Leber! Je eher eine bittre Pille geschluckt wird, desto schneller ist es überstanden!«

» Mir deuchte sie gar nicht bitter!«

Er rückte unruhig vom Tisch ab, und schlug das Bein über:

»Sie haben sich mal wieder gezankt und du hast die Sache wieder glattgebügelt! Unsinn! Das Gewitter muß erst einmal mit Donner und Blitz losplatzen, ehe die Luft rein wird – jeden Krakehl in der Knospe ersticken, taugt nichts – er bricht wo anders hervor, die Natur will ihr Recht haben!«

Er hatte lebhaft in seiner polternden Weise gesprochen, jetzt blickte er gespannt in das ruhige, freundliche Antlitz seiner Frau.

»Du denkst immer nur an Salome; interessiert dich Roses Schicksal nicht auch ein wenig?«

»Rose?« Er neigte sich vor, als habe er nicht recht verstanden. »Die Kleine? ... Nun, ich dächte, deren Schicksal braucht mir noch kein Kopfzerbrechen zu machen; sie sitzt Gottlob noch im warmen Nest!«

»Noch! Aber wie lange noch?«

Der Major fuhr erregt mit den Fingern durch die Haare. »Nun, so Gott will, viele lange Jahre noch! Hast es ja eben selber gehört, daß sie noch die reine Gletscherjungfrau ist und nicht einmal für einen Husaren schwärmt!«

»Weil der Rechte noch nicht gekommen!«

»Schnickschnack – sie kennt sie bereits alle! – Ich bitte dich, Mütterchen, sieh keine Gespenster am hellen lichten Tage!« Und er wollte abermals nach der Zeitung greifen.

Wieder legte Frau Dora die Hand unterbrechend auf seine Rechte. »Stopp!« lachte sie, »du sollst gleich eine Gespenstererscheinung bewundern! Hier! Aufgepaßt!« – Und sie griff in die Tasche und zog einen Brief hervor. Ihre Finger bebten ein wenig, sie war nicht so ruhig, wie sie scheinen wollte.

»Potz Blitz und Knall! Ein Liebesbrief oder ein Heiratsantrag? Zeige her, ich schieße den Kerl tot!«

»Nicht postwendend, wenn es sein kann!« lachte Frau von Welfen, den Brief aus dem sehr eleganten Umschlag ziehend: »Der Kerl ist vorläufig eine Dame!«

»Eine Dame? – – Nun denn: erscheine, o weiße Dame!«

Er warf einen Blick auf das Papier: »Meine geliebte, beste, treue Seele!« – las er. »Hm ... bin ich etwa damit gemeint?«

»Das wollte ich mir denn doch verbitten; die Frau ist jung, schön und reich!«

»Also nur im letzten Punkte ist sie dir über!« neckte er, »heraus mit der wilden Katze! Sie heißt?« Und er wandte den Brief um: »Deine altgetreue Hortense! Hm, etwa Hortense Schilling?«

Frau Dora nickte mit schier zärtlichem Blick. »Ja, von meiner geliebtesten, besten Freundin, Hortense von Schilling!«

»Ich dächte, deren Briefe hätten in deinem Leben zum täglichen Brot gehört – warum erscheint dieser plötzlich aus der vierten Dimension?«

»Soll ich ihn vorlesen, oder willst du selber an die Lektüre gehen?«

Nielsen tat ein paar behagliche Züge an der Zigarre, stand auf, faßte die Hand seiner Frau und zog sie mit sich nach dem gemütlichen alten Ledersofa im Ofeneckchen. Den Brief warf er auf den Tisch zurück. »Unsinn, Mütterchen, wozu sollen wir beiden Grauköpfe unsere Augen anstrengen! Du hast die Sache schon durchgeschmökert, also machen wir es uns bequem. Komm und ›setze dich, liebste Eveline nah, ganz nah zu mir‹ – so – dichte bei! Und nun erzähle mir kurz und schmerzlos, was die Schillingsmutter will, und was sie mit unserem Nestküken zu schaffen hat!«

Frau Dora lehnte den Kopf an seine Schulter, er schlang den Arm fester um sie – so saßen sie wie dermalen, als Hortense den ersten Brief an die junge Frau von Welfen gerichtet. Draußen sauste und brauste es; die Eiskörnchen prasselten gegen die Scheiben, und das Feuer im Kamin rauschte auf wie ein seidenes Gewand, in das der Wind stößt.

»Nun erzähle, Mütterchen.«

»Hortense war meine liebste und beste Freundin, die einzige Freundin, die ich je im Leben besessen. Ich habe sie seit Kind auf geliebt wie eine Schwester.«

»Hm, weiß ich, mein gutes Dorchen – ich habe die Frau auch immer gern gehabt, obwohl sie dich meiner Ansicht nach stets unter dem Pantoffel hatte.«

»Niemals, Ernst; sie war klüger und welterfahrener als ich; ich fuhr nie besser im Leben, als wenn sie mir den Kurs angegeben!«

»Sie billigte auch deine Neigung zu mir – he? Hat nie gegen mich intrigiert?«

Frau Dora lachte. »Niemals, im Gegenteil, sie pflegte und bestärkte meine Liebe zu dir von Anfang an!«

»Und das nennst du klug? So einen Kerl wie mich protegieren? – Nette Menschenkenntnis! Also der verdankst du, daß du dich derart in die Nesseln gesetzt hast mit deinem Alten!«

»Pst! Keine bösartigen Bemerkungen über meinen Mann!! Also – Hortense steht mir nächst dir und den Kindern am nächsten im Leben, und ihr Joachim ist mein Pate...«

»Der Achim! Na ja! Was ist eigentlich aus dem Bengel geworden? Vor Schillings Abreise nach Bern habe ich ihn wissentlich das letztemal gesehen! Ein wilder, frecher Flachskopf! Weißt du noch, Dorchen? Wir hatten den einen Mittag, die lieben Gäste zu feiern, ein Diner gegeben, lauter Würdenträger und Vorgesetzte, und während wir fröhlich bei Tisch sitzen, kriecht der Lümmel, der Achim, unter der breiten Tafel durch und näht die ganze Gesellschaft mit starkem Hanfzwirn zusammen!«

Frau von Welfen lachte hell auf. »Richtig! Das hatte ich ja beinahe vergessen! Das allgemeine Entsetzen beim Aufstehen war unglaublich komisch.«

»Und ein andermal hatte der Strolch uns allen ausgewaschene, naßkalte Schafdärme in die Betten gelegt, so recht gemein quer über die Matratze unter die Bettdecke – und wie man die Füße ausstreckte, wickelte sich einem das aalglatte Zeug um die Beine! Verfluchte Idee das! Die Bonne bekam ja rein die Krämpfe und schrie wie besessen: ›Eine Schlange! Eine Schlange!!‹ – Das reine Wunder, daß niemand einen Schlaganfall bekam! Netter Pate das – schäme dich Dorchen!«

Frau Dora sah wirklich einen Moment ganz verlegen aus. Aber sie lachte trotzdem und sagte sehr eifrig: »Ja, er war ein fabelhaft humoristisch veranlagtes Kind, sehr geweckt und geistig rege! Nun er hat es ja auch bewiesen!«

»Bewiesen? Ich dächte der Bengel hätte sein Examen spät genug gemacht!«

»Ich bitte dich, Ernst, bei dieser Hauslehrererziehung. Hätten sich die Eltern entschließen können, den Jungen in Deutschland in Pension zu geben, wäre es bei weitem besser gewesen. Solch ein ewig wechselndes Leben im Auslande, wie es eben einem Diplomaten beschieden ist, kann ja gar keinen geregelten Unterricht ermöglichen.«

»Deine kluge Freundin hätte das bedenken und ihn in das Korps stecken sollen!«

»Ernst – ihr einziges Kind?«

»Ach was da! Einziges Kind! Nun haben sie's!!«

»Was haben sie? – Einen flotten Leutnant hatten sie, der ihnen nur Freude bereitete!«

»Hatten sie? Steht der Schlingel denn nicht mehr bei den Ulanen?«

»Nein, er hatte das Unglück, sich bei einer Jagd die Hand sehr schwer zu verletzen; der Daumen mußte sogar amputiert werden, und das macht ihn zum Dienst untauglich.«

»Donnerwetter! – Pech!! – Na, zum Glück kommt es nicht darauf an, die Alten haben ja einen großen Sack voll Geld! Was soll er aber nun anfangen? Lediglich den Globetrotter spielen?«

»Wo denkst du hin! Das würde durchaus nicht nach Joachims Sinn sein! Im Gegenteil, er hat selber den Wunsch ausgesprochen, Reutin bewirtschaften zu dürfen! Seit drei Wochen ist er in Berlin, um landwirtschaftliche Vorträge zu hören, und im April – ja nun kommen wir zu des Pudels Kern –- im April möchte er gern für etliche Zeit hierher zu uns kommen.«

»Zu uns? Hier gibt's nichts zu lernen! Der Reutiner Pächter ist ein viel bedeutenderer Mann als unser alter Schafsdämel hier.«

»Väterchen –« Frau Dora schlang die Arme zärtlich um seinen Nacken, »nicht allein um des Lernens willen kommt er! Die Angelegenheit ist schon ganz geregelt. Der Pachtkontrakt von Reutin währt noch drei Jahre, und der Pächter hat sich in liebenswürdiger Weise erboten, Achim in dieser Zeit gründlichst anzulernen. Nun aber ist der Junge so sehr an ein Familienleben gewöhnt, und Hortense fürchtet, die Einsamkeit des Landlebens wirke nicht günstig auf ihn. Sie hat ihm zugeredet, zu heiraten, und Achim ist auch ganz einverstanden damit. – Nun will ich dir einmal etwas beichten, Alterchen! Seit langen Jahren ist es schon Hortenses und mein heimlicher Herzenswunsch, einst Rose und Achim als Paar zu sehen.«

»Kreuz Millionen –! Dieses Kiekindiewelt! Dieses Kind – unsere Rose schon heiraten? Und noch dazu den frechen Bengel, der die Leute zusammennäht??«

»Gerade den, Väterchen! Aus Kindern werden Leute, und aus dem kleinen, flachsköpfigen Schlingel von ehemals ist ein schmucker, bildhübscher Mann geworden!«

»Und da will der Monsieur hier auf Brautschau kommen?«

»Ja, er will's; aber Rose darf selbstverständlich nichts davon ahnen.«

»Gewiß nicht. Fehlte auch noch! Setze dich hin und schreib' der Hortense, unsere Rose sei noch ein Baby und dürfe vor Jahren nicht an heiraten denken!«

»Rose wird siebzehn Jahre alt, bis sie heiratet, zählt sie achtzehn – also genau dasselbe Alter wie Salome, als sie Frau von Born wurde!«

Der Major war erregt aufgesprungen. »Du warst ja bei unserer Ältesten so sehr gegen das frühe Heiraten, und nun kannst du dein Nestküken gar nicht früh genug in das Elend hineinbringen!«

Er schritt mit heftiger Bewegung auf und nieder, Frau Dora aber antwortete sehr ruhig: »Es ist ein großer Unterschied, wer heiratet. Salome, das Pensionskind, war viel zu jung mit ihren achtzehn Jahren – Rose aber war schon mit sechzehn Lenzen imstande, einen Haushalt energisch zu leiten. Und dann ..., es kommt immer auf den Charakter an. Die Schwestern sind so grundverschieden. Wenn Rose den Achim liebgewinnt, wird sie ihm alles Glück sofort in die Ehe mitbringen, das Borns erst nach schweren Kämpfen erringen werden. Um Rose brauche ich mich nicht zu sorgen.«

»Gleichviel – ich habe ganz andere Absichten mit dem Mädel!«

»Joachim ist die glänzendste Partie, die man sich denken kann!«

»Das Geld spricht nicht mit. Born ist auch ein vermögender Mann – macht das die Salome etwa glücklich? Im Gegenteil – es sieht jammervoll um das Glück im Landratsamte aus, und das quält und peinigt mich Tag und Nacht! – Ein schlapper Esel war ich, mich von dem unverständigen Kinde breitschlagen zu lassen! Hätte ich nur damals auf meinem Willen bestanden und der Graphologie mehr vertraut, als den blinden Augen eines betörten Mädchens! Ja, ja, die Graphologie! Sie ist der Schlüssel zu jeglichem Charakter, und ich habe mir zugeschworen, ihn künftighin besser zu benutzen. An Rose will ich wieder gutmachen, was ich an Salome versäumte! Das versichere ich dir, Mutterchen, und davon beißt keine Maus einen Faden ab!«

»Nun – ich bin überzeugt, daß du aus Achims Schrift die besten Dinge heraus liest! Vor allem aber wollen wir ihn einmal kennenlernen.«

»Ich habe schon jetzt ein Vorurteil gegen ihn, weil er ehemals ein ungezogener Junge war und mir jetzt meine Pläne durchkreuzen will!«

Frau von Welfen lachte: »Du hast Salome verheiratet, ich verheirate Rose.«

»Wenn der Vater die Einwilligung gibt!«

»Wir streiten um des Kaisers Bart. Wenn er Rose nicht gefällt und sie ›nein‹ sagt, habe ich weder zu verheiraten noch du zu segnen.«

»Vor allen Dingen soll der Bengel einmal an mich schreiben – ohne Schriftprobe kein Zugeständnis!«

»Nein, du sollst ihn erst kennenlernen und dann seine Schrift sehen. Ich bin nicht gewillt, das Lebensglück meines Kindes wegen einer Narrheit in Stücke schlagen zu sehen.«

Das klang sehr fest und sehr entschieden, und die sonst so sanften Augen der liebenswürdigen kleinen Frau hafteten so klar und bestimmt auf ihrem Gatten, daß der Major im Auf- und Niederschreiten innehielt.

Er trat neben seine Gattin und zog sie an die Brust. »Die Löwin streitet für ihr Junges!« lachte er, »und die kleine Verlobungskomödie schlägt plötzlich ernste Töne an. Unsinn, Dorchen! Sie soll ein Lustspiel bleiben. Meinetwegen laß den Herrn Leutnant a. D. hier antreten, eine Besichtigung verpflichtet ja nicht. Gefällt er uns allen – bon – ist seine Schrift, so wie sie sein soll, bon – ist Rose einverstanden – sehr gut. Kann er aber meine Sympathien nicht gewinnen und bietet seine Schrift keine Garantie für seinen Charakter, dann könnt ihr euch meinetwegen auf den Kopf stellen – ihr erreicht euern Willen nicht. Zum zweitenmal lasse ich mich nicht gegen meine ureigenste Überzeugung breitschlagen – an einem Herrn Schwiegersohn mit unharmonischer Handschrift habe ich gerade genug, damit Punktum!« Er neigte sich, versetzte seiner Frau einen Kuß, der mehr einem Schnabelhieb glich und schritt nach der Tür. Über der Stirn starrte der Krakeelstrupp in alle Lüfte, und Frau Dora kannte dieses drohliche Wahrzeichen.

Sie verschlang Momentan die Hände im Schoß und seufzte tief auf. Ein wunderlicher, unberechenbarer Mann! Statt sich der angenehmen Aussicht zu freuen, einen Schwiegersohn, der fraglos zu den besten Partien des Landes gehörte, für seine Tochter zu finden, wehrte er sich in eigensinniger Laune dagegen, weil der junge Mann das Pech gehabt hatte, ihm als Kind einmal zu mißfallen und ärgerlich zu sein!

Seine Graphologie-Marotte begann außerordentlich lästig und für die ganze Familie verhängnisvoll zu werden! Was vermochte die harmloseste Schrift zu verschulden! Sie entschied über Glück und Unglück, gleichviel, ob sie dazu berechtigt war oder nicht.

Bei Borns würde alles besser stehen, wenn nicht die Buchstaben in Siegfrieds Brief zu einem giftigen Samen geworden wären, die verderbliche Wurzeln in der Einbildungskraft des Majors geschlagen und von dort hinübergriffen in alle Gedanken Salomes!

Ein Vorurteil, ist der schlimmste Ballast, der einem Menschen anhangen kann. Vorurteile sind wie Unkraut, das nicht auszurotten ist. Sie sind unsichtbare Feinde, gegen welche man nicht kämpfen kann, und die ihre Opfer aus dem Hinterhalt hervor überfallen und ihnen die Schlinge um Muß und Hals werfen. Auch Siegfried rang vergeblich dagegen. Joachim durchkreuzte die Pläne des Majors? – Inwiefern?

Frau von Welfen starrte sinnend geradeaus. Ihr Mann hatte eine besondere Vorliebe für Elten, wollte er Rose für diesen Freier aufheben? Welch ein greulicher Gedanke! Schrieb der Premierleutnant eine sympathische Schrift, so war das wohl das einzig sympathische an ihm.

Wie sehr fatal für Joachim, er würde einen schweren Stand bekommen.

Welfen war ein Starrkopf; er verbiß sich in eine Schrulle und hielt daran fest. Das bewies sein unauslöschlicher Grimm gegen den unbekannten Feind aus Ruhla. – Er hatte zwar nie darüber gesprochen, wohl aber war er einmal darüber eingeschlafen, und da erfuhr Frau Dora durch den Zufall doch von dem, was sie nicht wissen sollte.

Ihr Mann benahm sich, als müsse er einen der ärgsten Verbrecher auskundschaften. Er hatte ein Faksimile von dem Vers seines Gegners anfertigen lassen und schickte dieses in der Welt herum, in der Hoffnung, den Namen des Unbekannten doch noch zu erforschen. – An Universitäten, Regimenter, Regierungen – o es war einfach lächerlich. Anscheinend hatte er eine Belohnung ausgesetzt für den, der den Schreiber nachwies. Sicherlich würden bald alle Journale und Zeitungen die bedeutungsschweren Schriftzüge widerspiegeln! Wie war es möglich, daß ein Mann sich derart in eine Idee vernarren konnte! – So ungeheuer war die Schuld des Schreibers nicht, denn Welfen hatte seinen Namen nicht unter sein Gedicht in das Fremdenbuch gesetzt, also richtete die Antwort sich nicht gegen ihn, sondern ebenfalls an einen Unbekannten. Der Major aber trieb die Sache auf die Spitze.

Je nun, Langeweile und ländliche Einsamkeit haben schon manche Grillen großgezogen, und so lange sie harmlos bleiben, kann man ja den Sonderlingen ihren Spaß daran gönnen. Bei dem Besitzer von Jeseritz entwickelte sich aber die Grille zu einer Marotte, die zu einer Plage für die ganze Umgebung auszuarten drohte.

Frau Dora hob entschlossen das Haupt und griff mit fester Hand nach dem Schlüsselkorb. Um dieser Mine eine Gegenmine zu legen war sie noch da – und sie würde es tun. Sie würde eine tapfere, mutige Mutter sein, die für das Glück ihres Kindes eintrat – für Roses Glück! – Ja, wußte sie denn, ob Joachim von Schilling das Glück ihres Lieblings verkörpern würde?

Abwarten. Nicht in den Fehler des cholerischen Vaters verfallen. – Ihre Augen wachten ja über dem Lockenköpfchen ihrer Jüngsten Tag und Nacht, sie würden sehen, wenn es Zeit zum Handeln war, wenn es galt, zwei junge Herzen vor den feindlichen Haufen »unharmonischer Schriftzeichen« zu schützen.

Ein Lächeln der Zuversicht spielte um ihre Lippen, sie nahm Hortenses Brief sorgfältig wieder an sich und blickte zu dem dunklen Nachthimmel empör – sie hatte schon so viele Jahre auf die Erfüllung ihres Lieblingswunsches gewartet – sie würde noch ein paar Monate länger warten können! – Und dann nahm sie den Schlüssel zu den Vorratskammern aus dem Korb und schritt zur Mamsell, um mit ihr über das Abendbrot zu beraten.

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Wo nur Tante Sidonie blieb! Solange hatte sie noch niemals auf sich warten lassen. – Sicherlich kam der NJagen bei dem hohen Schnee nicht gut vorwärts.

Nielsen hatte in allen Tonarten geschimpft, daß die Uran Professorin jetzt so gesellig geworden war und so oft die armen Pferde anstrengte, aber er schimpfte nur bei dem Inspektor, denn über eine Frau, die seine Graphologie derart zu Ruhm und Ehre gebracht hatte wie sie, durfte er nicht offiziell loswettern.

Und während er jetzt ungeduldig über den Wirtschaftshof schritt und mit seinen hohen Pelzstiefeln sogar bis vor das Tor hinaus stampfte, der Kutsche entgegenzusehen, lag Tante Sidonie in dem verhaßten Hause des Landrats auf der Chaiselongue und empfand es mit innerer Genugtuung, wie man besorgt war, sie zu pflegen.

Salome war tatsächlich sehr erschrocken, als Siegfried mit der wuchtigen, süßen Last im Arme, nach Hause gekeucht kam. Anfänglich hatte Tante Sidonie, noch sehr ermattet von dem Schreck, sehr schweigsam ein paar Kognaks getrunken und sich die kalten Hände reiben lassen. Nur ihre großen, runden Glasaugen wanderten mit kritischem Blick durch den behaglichen Salon und über die Gestalten des so teilnehmenden und besorgten Ehepaars.

Als sie endlich zu Worte kam, stieß sie kurz hervor: »Wie greulich protzig habt ihr euch eingerichtet! Erleuchtet ihr etwa jeden Abend die ganze Wohnung?«

»Wir sind so frei – sogar im Pferdestall brennt eine Lampe!« entgegnete Siegfried trocken, und er sah aus der Grobheit der lieben Tante, daß es ihr gottlob wieder wohler war.

»Und Kognak habt ihr auch immer angeschenkt stehen?«

»Das versieht sich; aber nur eine Masche mit drei Sternen, diejenige zu fünf Sternen wird nur verzapft, wenn es sich lohnt!«

»Aha!– Und bei der Erbtante lohnt es sich?« höhnte die Frau Professor mit immer frischeren Kräften.

»I wo! Keine Spur!« Siegfried drehte die Flasche sehr gelassen nach dem Licht: » voilà – nur drei Sterne! Eine Erbtante, von der wir sa doch nichts erben, rangiert mit den Neujahrsgratulanten auf einer Stufe!«

Momentan war Frau Sidonie etwas erstaunt.

»Warum schlepptest du mich denn gleich hierher?« fragte sie alsdann ironisch.

»Aus Nächstenliebe. ›Was du nicht willst, das man dir tu, das füg' auch keinem andern zu‹ – Nein, Tante, ein Drückeberger bin ich mein Lebtag nicht gewesen, und wenn ich andern Leuten eine Unannehmlichkeit ersparen kann, tue ich es gern.«

Er sah sehr freundlich aus, hob die Flasche und schenkte die Likörgläschen noch einmal voll. »Na Prost, Tante Sidonie, zur Gesundheit! Auf daß Sie uns recht bald wieder verlassen können!« Und er bot ihr elegant den vierten Kognak an.

Einen Augenblick starrte sie ihn sprachlos an, dann kam ein Grunzen über ihre Lippen; halb Amüsement, halb Entrüstung.

»Sie sind unverschämt grob, Herr Neffe!«

Er verneigte sich verbindlich. »Ich wahre stets die Höflichkeit, auf den Ton einzugehen, den meine Gäste anzuschlagen belieben!«

»Hm.«

»Du hast mir ja noch gar nicht erzählt, Tante Sidonie, was dir eigentlich passiert ist?« fragte Salome teilnehmend, und da Siegfried just hinausgerufen wurde, nahm sie an der Seite der Leidenden Platz. Es lag etwas ungewöhnlich Weiches und Schmerzliches in der Stimme der jungen Frau, und Tante Sidonie richtete sich plötzlich auf dem einen Ellenbogen in die Höhe und sah ihr scharf in die Augen, die sichtlich verweint waren.

»Glaubst du an Vorbedeutungen?« fragte sie leise, mit völlig veränderter Stimme.

Salome seufzte tief auf. »Ja, Tante, ich glaube daran, ich habe schon seit Tagen eine unheimliche Ahnung gehabt, daß heute –« Sie unterbrach sich kurz und schluckte neuaufquellende Tränen hinab.

Ein etwas mißtrauischer Blick streifte sie. Es schien der Frau Professorin sehr erstaunlich, daß die Sympathie der stets schlecht von ihr behandelten Nichte eine so große war, daß auch sie die Begegnung der Tante mit dem Leichenwagen als etwas sehr Unheimliches vorausahnte. War das Verstellung? Erbschleicherei?

Nein! Ein Blick in das blasse Gesichtchen mit der unverfälschten Leidensmiene überzeugte Frau Sidonie, daß sie es hier mit echtem Schmerz und echter Teilnahme zu tun hatte. – Seltsam; hatte sie Salome so völlig verkannt? Sie war gewiß zu stolz gewesen, um früher ihre wahren Gefühle zu zeigen, ebenso wie Siegfrieds Grobheit nur ein Deckmantel für seine liebevollen Gefühle war. Daß er es gut mit ihr meinte, sah sie an seiner ganzen Art und Weise, als er ihr soeben Hilfe in der Not gebracht hatte.

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Nein, diese beiden wollten nicht erbschleichen! Tante Sidonie umklammerte jählings den Arm der Nichte.

»Salome – ich glaube nicht nur an die Vorbedeutungen – ich bin sogar abergläubisch! Ich bin fest überzeugt, daß meine Begegnung mit dem Leichenwagen meinen Tod bedeutet!«

Ihre Stimme klang dumpf und unheimlich, und Salome, die sowieso schon sehr nervös war, bedurfte nur noch dieses geringen Anstoßes, um völlig ihre Beherrschung zu verlieren. Was die Tante sprach, hörte sie eigentlich nur halb, ihre Gedanken waren noch wie magnetisch an die greulichen Ereignisse auf der Eisbahn gebannt. Aber die Klangfärbung der Stimme wirkte das ihre. Salome sank jählings an die Brust ihrer Feindin. »Ach es ist entsetzlich!« stöhnte sie »Gott verhüte, daß es ein schlimmes Ende nimmt – ich überlebte es ja nicht!«

Tante Sidonie war sehr betroffen, es überkam sie ein nie gekanntes Gefühl der Rührung bei einer solchen Teilnahme.

»Gutes Kind! ... Hm ... so ein braves Herz hast du also doch ... hm ... hatte dich wahrhaftig nicht darauf taxiert, meine Meinung war keine hohe von dir! ... Ja, ja, der Leichenwagen! Wenn er kommt, etwas Liebes abholen, dann versinkt aller Groll und Haß, dann merkt man erst, wie schwer das Scheiden ist, selbst von Menschen, die einem zuvor gleichgültig oder gar unangenehm waren!«

Salome dachte nur an ihren Zwist mit Elten, an seine möglichen Folgen – gar an ein Duell. Sie schluchzte so leidenschaftlich auf, daß die Frau Professorin den letzten Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit verlor.

»Tante – liebe, beste Tante, ach nur das nicht!« »Es steht in Gottes Hand, mein Kind!« seufzte Sidonie so milde wie noch nie zuvor. »Aber wenn der Tod so quasi seine Visitenkarte abgegeben ... oh, wie konnte ich auch nur sagen, daß ich solange schon auf ihn warte! – Dann muß man auf alles gefaßt sein!«

»Auf alles gefaßt sein! – Nein, nein! Ich dulde es nicht, ich bin bereit, jedes Opfer zu bringen, um das Schlimmste zu verhüten!« schrie Salome auf und dachte dabei an das Duell.

Ihre Nachbarin weidete sich an dem Schmerz und der Sorge, die das Herz der Nichte um ihretwillen zerrissen. Soviel treuer Hingabe war sie noch nie zuvor begegnet.

»Gutes Kind!« nickte sie abermals voll Wehmut, »das hat schon manch eine gewollt, und der Tod nahm doch nur das, was er sich selber aussuchte. Als mein Mann starb, hat er es auch vorher geahnt. Da blieb seine Uhr acht Tage lang jede Nacht um die elfte Stunde stehen – und in der neunten Nacht um die elfte Stunde starb er.«

»Gott im Himmel!« Salome schnellte schreckensbleich empor und starrte nach dem Regulator. Gottlob, er tickte noch ganz gemütlich und hob soeben zum Schlage aus, richtig die achte Stunde zu verkünden. – Auch Tante Sidonie erhob sich bei diesem Klang. »Er geht noch richtig« – sagte sie, »er weiß noch nichts von der Vorbedeutung des Leichenwagens. Aber er mahnt mich an den Heimweg. – Ganz allein in dieser dunklen Nacht fahren ... in meiner Aufregung – o Salome – es ist mir sehr unbehaglich zumute!«

Die Tür öffnete sich, Siegfried trat wieder ein. Er hörte die letzten Worte.

»Dann schlage ich noch einen kleinen Aromatique vor, Frau Tante! – Der wärmt und erheitert.«

Sidonie wollte empört auf eine solche Nichtachtung ihrer heiligsten Gefühle antworten, aber sie besann sich noch rechtzeitig, daß diese Sprechweise des Landrats lediglich seine Weichheit bemänteln sollte.

»Danke, Ihre einfältigen Scherze erheitern mich am besten, darum leisten Sie mir ein wenig Gesellschaft!« antwortete sie trocken.

Er zuckte die Achseln. »Ich hoffe nicht, daß Sie noch lange Zeit zum Hierbleiben haben – der Wagen wartet drunten!«

»Das heißt, die liebe Tante vor die Tür setzen?«

»In den Wagen setzen!« Er sah in Salomes heißgerötetes Gesichtchen. »Nanu? Warum weinst du denn?« fragte er überrascht.

Die junge Frau wußte ihre Augen nicht besser zu verstecken, als an der Professorin Schulter. »Ach die arme Tante ist noch so nervös und aufgeregt, ihr graut davor, allein fahren zu müssen! ...« schluchzte sie abermals.

»Aber Herzchen, darum braucht es doch keine Tränen!« Der Landrat lachte und fuhr fort: »Wenn die Tante meine Gesellschaft angenehmer als die des Totengräbers findet, so bin ich gern bereit, sie nach Jeseritz zu bringen!«

»Hm ... Sie wollten wirklich? ... Je nun, in der Not frißt der Teufel Fliegen – bene, ich nehme Sie mit!«

»Einverstanden – ich die Fliege – Sie der Deiwel. Aber Sie stehen sich besser dabei, Sie haben alsdann Abendbrot und ich nicht!«

»Ach ja, du wirst hungrig sein, Siegfried?« fragte Salome kleinlaut.

»Na, dann gib ihm schnell sein Abendbrot, sonst reißt er mich während der Fahrt durch die Zähne!«

»Nein, Tante – das nicht! – Wir haben zwei Rosse vor dem Wagen – lieber noch Pferdefleisch als Leder!«

»Hm ... Sie können beinahe so grob sein wie ich!«

In der Stimme der Tante lag etwas wie Anerkennung. Der Landrat aber fuhr fröhlich fort: »Zu essen bekomme ich vor neun oder halb zehn Uhr doch noch nichts; ich hatte heute keine Zeit mehr, die Anordnungen in der Küche zu treffen, darum ist noch nichts vorbereitet!«

Sein Blick streifte Salome, die zu seiner Überraschung dunkelrot bei diesen Worten wurde, dann wandte er sich zu der Frau Professorin und bot ihr galant den Arm: »Darf ich Sie zu Ihrem Pelz führen, Frau Tante? – Der Wagen wartet wie gesagt, und ich ... ich möchte das Vergnügen gern bald ... überstanden haben!«

»Hm ... sehr deutlich!« nickte Tante Sidonie, aber sie sah ganz wohlgefällig dabei aus. Und dann nahm sie Abschied von Salome.

»Und du fürchtest dich nicht, allein zu bleiben? Ah, so, es kommen gewiß wieder ein halbes Dutzend Hausfreunde, dich zu beschützen? Wie?!«

»Nein, Tante, es kommt heute niemand!«

»Aber morgen ... und übermorgen? Soll ja eine tolle Wirtschaft hier im Hause sein?«

»Auch morgen und übermorgen kommen keine Herren, liebe Tante!« Sie sagte es leise, abermals mit einer Stimme, durch die Tränen zitterten.

Siegfrieds Blick streifte abermals die Sprecherin, aber er nahm keine Notiz von ihren Worten. Da geschah etwas Seltsames. Tante Sidonie legte den Arm um die junge Frau und klopfte schier zärtlich ihren Rücken. »Hm ... also nicht. – Diese verfluchten Lügenmäuler, die dir etwas anhängen wollen ... diese elenden Erbschleicher! ... Habe sie heute durchschaut, wie sie mich im Stiche ließen und nur an sich und ihre eigene Rettung dachten! – Hm ... armes Kind, du wirst viel verkannt! – Na – Kopf hoch! – Ich besuche dich bald mal wieder.«

Noch einen derben Schlag auf die Schulter, und die Frau Professorin schritt zur Tür. Nicht ganz so resolut und wuchtig wie sonst – es lag etwas Fremdes in ihrem Wesen.

 


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