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XVII.

Eine wunderliche Zeit brach für das Bornsche Haus an. Zeit, in der Frühlingsstürme dem Lenz vorangingen, Stürme der Seele, die naturgemäß austoben müssen, sollen sie jenen einschneidenden Wanbel mit sich bringen, der aus Eis und Schnee die ersten Keime neuen Lebens lockt. Der Landrat hatte stillschweigend die Verwaltung seines Hauses übernommen, und Salome ließ ihn trotzig gewähren. Sie hatte nur ein spöttisches Lächeln dafür, wenn ihr Mann müde und angestrengt vom Dienst nach Hause kam und nun erst seine Befehle und Anordnungen in Küche und Keller treffen mußte, dieweil seine junge Dran träge und gelangweilt in ihrem Boudoir saß, Romane las, oder Malereien und Handarbeiten anfing, ohne sie recht zu vollenden.

»Des Menschen Wille ist sein Himmelreich!« sagte sie voll ingrimmigen Spottes zu ihrem Vater, und der Major stimmte kampfeslustig bei: »Gewiß! Die Wirtschaft scheint ihm ja kolossales Vergnügen zu bereiten, sonst hielte er dir wohl eine Hausdame!«

Äußerlich verharrte die junge Frau in ihrer starren Opposition, in jeder Beziehung von Herrn von Welsen darin bestärkt, innerlich aber gärte und wogte es mit immer wachsender Ungeduld und Unruhe in ihr, ein Zustand, über den sie sich jedoch nicht klar werden wollte.

Oft stieg es glühend heiß in ihre Wangen, wenn ihr Gatte nach dem Abendbrot schellte und befahl: »Die Köchin soll mit dem Wirtschaftsbuch kommen und abrechnen!«

Anfänglich hatte sie mit gut gespielter Gleichgültigkeit dabeigesessen und in den Zeitungen geblättert, aber sie erhaschte doch hier und da einen Blick des Mädchens, der sie so verächtlich staunend traf, als wolle es sagen: »Wozu ist denn die gnädige Frau da, wenn sie zu dumm oder zu faul ist, sich um Dinge zu bekümmern, die von Gottes und Rechts wegen nur sie alleine angehen?«

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Und Salome biß sich die Lippe blutig, stieß brüsk ihren Stuhl zurück und verließ das Zimmer. Anfänglich versuchte sie, sich in doppelter Weise zu zerstreuen und Beschäftigung im Amüsement zu suchen. Wie aber sollte man sich in diesem Krähwinkel amüsieren!

Sie war unbedacht genug gewesen, in der ersten Erregung über den vermeintlichen Schimpf, den ihr ihr Mann angetan, Elten verschleierte Andeutungen zu machen. Sie fühlte sich unglücklich, unverstanden, sie ließ ihn ahnen, daß ihre Ehe nicht das Glück gebracht habe, das sie erwartet hatte. Und Elten, der »treue Freund«, ging auf ihren Kummer ein wie ein Fuchs, der weich und geschmeidig das Vöglein umkreist, dessen Nest er verderben will.

Zuerst fand Salome einen gewissen Trost in seinem Wesen, das immer unverblümter markierte, daß auch er französische Romane gelesen, und just der Mann sei, die Früchte zu ernten, die diese in dem Köpfchen des ehemaligen Backfischchens gereift. Bald aber bäumte sich in ihr der gesunde moralische Kern, der geblieben war, instinktiv gegen den Versucher auf. Zwischen Roman und Wirklichkeit war doch ein gewaltiger Unterschied, und ein gar anderes Ding, mit ruhigem Herz und Gewissen in einem Buch zu lesen und nur den momentanen Sinnenrausch bei den Erlebnissen einer Ehebrecherin zu empfinden, als selber die handelnde Person zu sein, und alles vor Gott und dem Gewissen verantworten zu müssen, was sonst die Romanheldin mit sich selber abzumachen hatte.

Da kam es ihr zum erstenmal in den Sinn, die beiden Männer, zwischen denen sie nun wählen sollte, ernstlich miteinander zu vergleichen. So sehr sich auch Trotz und Eigensinn dagegen wehrten, ihr gesunder Verstand und ihr im Grunde dennoch braver Charakter, der die erste Erziehung der deutschen Mutter nie verleugnen konnte, entschieden in allen Dingen für Siegfried.

Da kam es ihr erst klar zum Bewußtsein, wie verächtlich und sündhaft doch ein »Freund« sei, der des Nächsten Weib und dessen Ehre begehrt. Früher hatte sie sich keine Skrupel darüber gemacht; die Flirts sind Mode heutzutage – jetzt aber kamen ihr Bedenken. – Das machte sie noch nervöser, noch aufgeregter denn zuvor.

Elten, der sich bereits Sieger glaubte, ahnte nicht, wie er selber den Schleier zerriß, der die Augen der Seele bei diesem jungen Weib verhüllt hatte.

Schlaflos lag Salome und starrte mit brennendem Blick in das Dunkel. Der Kampf wogte in ihrem Herzen. Warum war Siegfried nicht auch ein so gewissenloser Mensch wie Elten, daß sie ihn hätte verachten können, so verachten, wie sie ihn oft zu hassen vermeinte? Dann würde sie sich nicht einen Augenblick gescheut haben, ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen. So aber tat sie es; er sollte nicht besser, nicht edler, nicht rechtschaffener sein als sie.

War er es wirklich? Sie begann, ihn zu beobachten, sie begann plötzlich sich für ihn zu interessieren. Bisher hatte sie es nicht getan. Er hatte ihr gefallen, und sie ihn kühlen Bluts – aus Eitelkeit geheiratet.

Jetzt begann ihr Blut sich zu erwärmen, ja, es wallte ihr oft so ungestüm zum Herzen, als sei es auf dem besten Wege sich zu erhitzen.

Je mehr sie sein Tun und Treiben verfolgte, desto greller und vorteilhafter stach es gegen des Eltens ab. Er langweilte sich gesellschaftlich genau so wie sie, dennoch fiel es ihm nicht ein, einer Andern den Hof zu machen. Warum nicht? Weil er seine Frau so treu und innig liebte? Bei diesen Gedanken schlug Salome die Hand voll Zorn und Erbitterung vor das Gesicht.

Nein, er liebte sie nicht mehr. Sein Wesen war ganz anders geworden als früher, kühler, gleichgültiger, so, wie man mit der Zeit ein hübsches Bild anblickt, das man im ersten Entzücken gekauft, und von dessen wesenloser Überflüssigkeit man sich alsdann überzeugte.

Ein Bild! – Sagte er es ihr nicht selber, daß sie nichts anderes sei als ein schönes Bild, das sein Haus schmückte, nicht mehr und nicht weniger als jeder tote Gegenstand im Zimmer, der nichts mehr leistete als – da zu sein.

O diese Worte gellten ihr Tag und Nacht vor den Ohren, sie konnte nicht darüber hinauskommen, konnte sie nicht vergessen. Den ganzen Tag erinnerte sie das Tun und Lassen ihres Mannes daran.

Sie zitterte bereits vor Nervosität, wenn sie ihn kommen hörte, wenn sein erster Schritt nicht ihrem Boudoir, sondern der Küche galt, um dort nachzusehen, ob das Essen bereitet und wohlschmeckend sei, wenn er in das Speisezimmer trat, um sich zu vergewissern, ob der Tisch ordentlich gedeckt und alles am Platze sei, wenn er über große Wäsche verhandelte und über das Reinemachen, über die Einkäufe und Ausgaben – kurzum, wenn er sich für alles interessierte, was sonst die Sache der Hausfrau ist – nur für die Hausfrau selber nicht, denen er ja kaum bedurfte, und die nur das Gnadenbrot im Hause ihres Gatten aß.

Immer unerträglicher wurde dieser Zustand. Die Dienstboten hatten sich auch bereits daran gewöhnt, sie wie eine Null zu betrachten.

Sie führten ihre Befehle nicht aus, ehe sie nicht den Herrn Landrat um die seinen befragt hatten; sie wandten sich mit keiner einzigen Frage an sie, sondern nur an Herrn von Born.

In aufwallender Erbitterung hatte sie sich bei ihrem Vater darüber beklagt. Dieser tröstete sie. »Laß dir doch solchen Unsinn vollkommen gleichgültig sein, Prinzeßchen! Wenn du dich tüchtig amüsieren könntest, würdest du gar keine solchen Grillen fangen! Freue dich doch, daß du dich nicht mit solchen Dingen plagen mußt, und genieße deine goldene, freie Zeit! Eine vornehme Dame braucht keine Mägdearbeit zu tun, das entwürdigt sie!«

Wirklich? Entwürdigt sie das? Salome dachte lange darüber nach. Wie sehr entwürdigt es dann aber erst einen Mann, einen vornehmen Herrn, der dadurch ganz Ungebührliches leistete!

Außerdem verlangte Siegfried keine Mägdearbeit, er verlangte nur das, was sich eine Fürstin, eine Kaiserin zur Pflicht macht – ihre Stellung im Hause auszufüllen, das zu sein, wozu sie berufen war.

»Gründe einen Frauenverein in Feldheim! Beschäftige dich mit Wohltätigkeit – arrangiere Konzerte und Feste zum besten irgendwelcher Armut!« riet der Major.

Aber Salome schüttelte den Kopf.

Sie war zu klug, um sich nicht selber zu sagen, wie lächerlich sich eine Frau macht, die ihr eigenes Haus verkommen läßt, um der Verkommenheit anderer zu Hilfe zu eilen. Und Visiten machen, Schlittschuhlaufen, Spazierenfahren, ach die anderen Frauen in Feldheim hatten alle so viel zu tun und starrten die Dame, die in der Woche Visiten machte, an, wie eine Verräterin an Sitte und Ordnung. Auch sprachen sie meistens über ihre Wirtschaftsangelegenheiten, und weil Frau von Born darin nicht mitreden konnte, so schämte sie sich und mied die Philisterinnen.

Und Schlittschuhlaufen? Was für ein Vergnügen gewährte es denn, allein bei Wind und Wetter auf den überschwemmten Wiesen unter wimmelnden Kindern herumzusausen? Die Herren hatten just in den besten Tagesstunden Dienst. Siegfried würde sich vielleicht ihr zuliebe freigemacht und sie begleitet haben – allein sie mag ihn nicht darum bitten, denn es würde für ihn nur eine neue Mühe sein, die sie ihm aufbürdete. Also schwieg sie.

Wenn Rose doch öfters käme! Aber das dumme kleine Ding vermied jedes Begegnen mit Elten wie die Hölle. Sie machte nie einen Hehl daraus, daß sie ihn nicht leiden konnte, daß sie seine Schakalaugen nicht sehen möchte – Philosophie des Unbewußten.

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Wie unerträglich wurde die Langeweile! Was hätte Salome darum gegeben, könnte sie sich irgendwie beschäftigen, aber alles, was sie begann, reizte sie nicht, denn es steckte kein Muß, keine Notwendigkeit dahinter, es war ebenso überflüssig wie sie selbst!

Sollte sie klein beigeben und Siegfried sagen, daß sie ihm helfen und bemüht sein wollte, eine gute, praktische Hausfrau zu werden?

Nein, sie konnte sich nicht so demütigen, es würde ein Schimpf für sie sein!

Wieder ein so unendlich langweiliger, tiefverschneiter Wintertag!

Salome hatte sehr lange mit der Schneiderin die Modebilder besehen und hatte sich sicherlich sechs neue Toiletten machen lassen, wenn sie nur in Feldheim zu verwenden gewesen wären! Nun, da sie endlich über ein sehr apartes Hauskleid, das die Herren bei ihren Abendbesuchen entzücken sollte, einig geworden waren, befand sich die junge Frau wieder allein.

Was anfangen? Siegfried war nicht daheim. Sie hatte Lust, Schlittschuh laufen, aber nicht allein. Kurz entschlossen, ohne sich im mindesten etwas dabei zu denken, schellte sie dem Diener und gab ihm einen Auftrag für Herrn von Elten. »Die gnädige Frau wolle auf dem Mühlgraben Schlittschuh laufen, ob der Herr Leutnant Zeit habe, sie zu begleiten?«

Es war das erste Mal, daß sie ihn dazu aufforderte. Und Elten antwortete in einem kleinen, stark duftenden rosa Billet, daß er dem Nixenruf, dem unsagbar beglückenden, folgen werde und ganz und gar ihr getreuer Page sein wolle. Der Mühlgraben sei aber so überfüllt – ob sie nicht der rücksichtslosen Jugend aus dem Wege gehen und sich seinem Schutz auf dem Schloßgarten-Weiher anvertrauen wolle? Er erwarte sie daselbst.

Einen Augenblick war Salome zweifelhaft. Der Weiher lag sehr einsam. Sie würde dort ganz allem mit Elten sein – eine Romansituation par excellence! Sollte sie gehen? Je nun, sie nahm den Diener mit. Er erwartete sie mit dem Pelz am Ufer und diente als Chaperon.

Sie ging. Elten kam ihr entgegen, und als sie ihm die Hand reichte, drückte er sie – kühner, anders noch als sonst.

Sie errötete, sie sah in sein Gesicht, das auch einen anderen Ausdruck zeigte als sonst. Er hatte ihren Ruf für eine Avance genommen und drückte das in seinem Wesen aus. Salome empfand das sehr wohl, sie war auch im ersten Augenblick erschrocken darüber, aber sie hatte nicht den moralischen Mut, der Gefahr durch rechtzeitige Umkehr auszuweichen. Auch befand sie sich gerade heute wieder in einer Stimmung, die all ihren Trotz herausforderte, ihren gleichgültigen, fischblütigen Gatten ein wenig zu ärgern. Da er sie vernachlässigte und kühl behandelte, war es seine Schuld, wenn die junge Frau sich anderweitig zu entschädigen suchte.

Sie preßte die nervös zuckenden Lippen zusammen, ließ sich die Schlittschuhe anschnallen und reichte Elten beide Hände entgegen, mit ihm über die einsame, sonnenglitzernde Eisfläche dahinzuschweben. Sie sah entzückender aus denn je.

Das kokette Sportkostüm, mit dem pelzverbrämten Jäckchen, dem kurzen, graziös wehenden Rock und dem kecken Biberbarett auf dem goldblonden Haar, hob ihre jugendliche Schönheit auf die vorteilhafteste Weise. Die Erregung und gereizte Stimmung ließen die Augen blitzen, und die Wangen färbten sich unter dem weißen Gazeschleier so zauberhaft frisch, wie ein Pfirsich am Spalier, der zu süßem Genusse lockt.

Und Eltens begieriger Blick streifte die verbotene Frucht und brannte schließlich ungeniert auf dem Antlitz seiner Begleiterin. Anfänglich hatte eine harmlose Unterhaltung die Zeit gekürzt, dann wurden seine Artigkeiten immer vielsagender und verfänglicher – sie schmollte ein wenig, aber sie amüsierte sich herrlich dabei, die Eva in ihr siegte unwiderstehlich, es reizte sie, das Feuer zu schüren – sie kokettierte mit ihm.

Weiter und weiter flogen sie dahin. Des Dieners Gestalt verschwand hinter den Tannen, dichtverschneites Gebüsch umgrenzte die Biegungen des Weihers, der in einen breiten Graben auslief und einen Teil des Parkes durchquerte. Und je weiter sie sich entfernten, desto einsamer waren sie, desto kühner wurde der blasse, hagere Mann an ihrer Seite, vor dessen Schakalaugen Rose sich fürchtete.

Er preßte ihre Hände ungestümer und neigt sein Haupt immer näher und näher dem ihren. »Es war ein junger Page – blond war sein Haar, leicht war sein Sinn –«

»Sehr leicht!! –«

»Der trug die seidene Schleppe der jungen Königin!«

»Auch beim Schlittschuhlaufen?«

»Auch da, immer, überall. Und wo ihm der greise König den Weg durch Türhüter und Drachen versperrte, da fand sich wohl eine Strickleiter...«

»Armer, alter König!«

»Törichter Egoist, der die Liebe eines Herzens erzwingen will, das nicht für ihn schlägt! Warum seufzen Sie, Salome? Gilt's dem König oder dem Pagen?«

Sie wandte das Köpfchen ab, er zog sie gar so nah an sich heran, und seine Blicke waren noch kühner als seine Worte.

»Lassen Sie uns umkehren!« sagte sie wie in jäher Angst.

Er hielt sie nur fester und stürmte mit ihr weiter. »Umkehren? Dazu ist es zu spät. Sie mußten beide sterben, sie hatten sich viel zu lieb« – – –

»Wieviel Uhr ist es, Herr von Elten?!«

Er schüttelte mit wunderlichem Lachen den Kopf; seine großen, weißen Vorderzähne blinkten hell unter dem Schnurrbart hervor.

»Dem Glücklichen schlägt keine Stunde – und ich bin jetzt glücklich! Sie nicht, Salome? Wenn Sie es leugnen, betrügen Sie sich selbst. – Die glücklichsten Menschen waren ja die ersten beiden im Paradies, denn sie waren allein –- so allein wie wir – und sie sahen die süße, verbotene Frucht winken – so wie wir! Und sie genossen das Verbotene voll kühner, allesvergessender Leidenschaft – auch so ... wie wir?!« –

Er flüsterte die letzten Worte in ihr Ohr, und sie riß jäh die Hände aus den seinen und nestelte mit zitternden Fingern an ihrem Schleier.

»Ihr Vergleich ist nicht zutreffend!« entgegnete sie herb. »Das Glück, um das sich eine Schlange windet, ist kein wahres Glück!«

Sie wandte sich und floh hastig zurück, er versenkte die Hände lachend in die Taschen seines Attilas und folgte ihr – wie ein Schatten sauste er dicht an ihrer Seite dahin.

»Und was nennen Sie wahres Glück, grausame, kleine Göttin? Besser doch das sündhafte Glück in lohender Liebesglut, als das Erstarren und Erfrieren in dem Eishauch einer heiligen, langweiligen und gleichgültigen Ehe!«

Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Eine namenlose Angst überkam sie. So war er noch nie zu ihr gewesen, sein Benehmen wurde allzu keck und es beleidigte ihren Stolz, der deutscher und echter, als sie selbst gedacht, in ihrem Herzen flammt.

Sie sah ihn nicht an, sondern wandte den Kopf brüsk zur Seite. »Das ist Geschmackssache!« stieß sie kurz hervor, und da er ihre Hand abermals haschen wollte, verbarg sie sie trotzig in dem kleinen Muff, auf dem das Blumensträußchen matt herniederhing – die Blumen, die er ihr mit seinem rosa Billet heute gesandt hatte.

Er lachte noch mehr, fast klang es wie Spott.

»Gewiß ist das Geschmackssache! Aber Sie werden mich doch nicht glauben machen wollen, daß ich über Ihren Geschmack noch im unklaren bin?!«

Ein Riß durchquerte das Eis. Salomes Schlittschuh hakte sich fest darin, sie wankte und brach vornüber auf die Knie.

Ihr leiser Aufschrei verhallte im Winde. Ein paar Krähen strichen erschreckt aus laublosem Buchenwipfel auf, sonst war keine lebende Seele weit und breit. Da schlang Elten die Arme um die Gestürzte und riß sie wie in jäher, wilder Leidenschaft empor, einen Augenblick hielt er sie an seiner Brust.

»Ich weiß ja, wen Sie lieben!« – murmelte er mit flackerndem Blick, und seine Lippen neigten sich näher – immer näher den ihren, schon streifte sein heißer Atem ihre Wange. – Wie eine junge Löwin, außer sich, alles vergessend, warf sie sich zurück und blitzte ihn aus zornigen Augen in wilder Drohung an.

»Unterstehen Sie sich, mich zu küssen!« schrie sie in unüberlegter Anschuldigung auf; »ich liebe meinen Mann! Keinen anderen wie ihn allein – haben Sie mich verstanden?«

Er war von ihr zurückgewichen und maß sie mit kaltem Blick von oben bis unten. »Nein, meine gnädige Frau, ich habe Sie nicht verstanden!« entgegnete er mit beißender Ironie. »Denn nichts lag mir ferner als der Gedanke, Sie zu küssen, Ihre Eitelkeit verblendet Sie und läßt Sie beleidigend gegen einen Mann werden, dessen freundschaftlichen und harmlosen Verkehrston Sie sehr irrtümlich für tieferes Empfinden gehalten haben. Ebensowenig wie Sie mich lieben – liebe ich Sie! – Früher nicht – und jetzt erst recht nicht. Haben auch Sie mich verstanden, gnädige Frau?«

Und er klirrte mit kalter Höflichkeit mit den Sporen und kehrte ihr den Rücken.

Erstarrt, keines Wortes fähig stand sie da und fühlte ihren Herzschlag stocken. Alles Blut wich aus ihren Wangen, Tränen der Scham, des Entsetzens stiegen in ihre Augen. Welch eine Blamage! Welch eine tödliche Beleidigung. Sie hatte geglaubt, daß eher Himmel und Erde über ihr zusammenbrächen, als daß sie so etwas erleben könnte.

Mit schwindelnden Sinnen, kaum ihrer mächtig, wandte sie sich und eilte wie ein gehetztes Wild dem fernen Rande des Weihers zu, wo der Diener frierend auf und abschritt und erstaunt der allein zurücklehrenden Herrin entgegenschaute. Ganz langsam in der Ferne folgte Elten.

»Der Schlittschuh des Herrn Leutnant ist zerbrochen,« stieß Salome atemlos hervor: »Schnallen Sie ab! Ich bin eilig – wir können nicht warten!«

Sie fror, daß sie zitterte, wickelte sich in ihren Pelz und stürmte durch die ersten Schatten der Dämmerung heim.

Auch Elten schritt seiner Wohnung zu, aber langsam und behaglich, wie einer, der sein Ziel erreicht und es nicht mehr eilig hat. Er lächelte vor sich hin, sein zufriedenstes Lächeln. Er hatte erreicht, was er wollte. Nun sollte Frau Salome ihren Gott erkennen lernen! Glühte bisher noch ein Fünkchen Glück auf dem Bornschen Herde, so würde Elten dafür sorgen, daß es die Asche der Langeweile erstickte, für immerdar.

Währenddessen brannten hinter den Parterrefenstern des Hauses, an dem er just vorüberschritt, ganz besonders viele Lampen; auf jedem Tisch mindestens zwei, und es war für Feldheimer Verhältnisse unendlich feierlich.

Hier wohnte die verwitwete Frau Bergrätin von Hammer und gab einen Damenkaffee. Sie besaß drei Töchter, späte Mädchen, die den Ausspruch Metternichs: »Man muß sich mehr gefürchtet wie beliebt machen« zu dem ihren erwählt hatten. Man liebte sie nicht, aber man fürchtete sie.

Als es in Feldheim und Umgegend ruchbar geworden war, daß Tante Sidonie nach Erben ihres beträchtlichen Vermögens suche, hub eine wilde Jagd nach der Gunst der Frau Professorin an. Man drängte sich in erlaubter und unerlaubter Weise dazu, ihre Bekanntschaft zu machen, und da die gelehrte Witwe gerade ihr wissenschaftliches Werk vollendet und an den Verleger abgesandt hatte, wandte sie sich nun wieder etwas mehr der Geselligkeit zu, suchte und fand sie überall, wo sie sich blicken ließ, so daß sie oft selber nicht wußte, in welche der vielen geöffneten Arme sie sich nun zuerst stürzen sollte.

Das Geld ist eine despotische Macht, es zwingt die Nacken der freiesten Menschen ins Joch, es macht aus der wütendsten und bissigsten Dogge ein schweifwedelndes Schoßhündlein, und aus Krähen, die einander zuvor nach den Augen gehackt, sanfte Täubchen sonder Galle.

Der Reigen um das goldene Kalb begann; ein Wettlaufen und Überfuchsen, ein Legen von Minen und Gegenminen, ein Kampf um Roma-Sidonia. Und nichts war spaßhafter zu sehen, als die Gefeierte inmitten ihrer Vasallen, grob und rücksichtslos, selbst ihren Günstlingen gegenüber voll stets verletzender Wahrheit, und doch dabei die Angebetete, deren bodenlose Derbheit als »Charakter« bewundert, deren Anmaßung applaudiert, deren Beleidigungen mit süßem Lächeln demütiger Hingebung verschluckt wurden. Die Einladungen für die Frau Professor häuften sich, im seltensten Falle aber wurde die Familie von Welfen mitgebeten, von dem Landrat von Born und dessen Frau schon gar nicht zu reden, denn Tante Sidonie sprach sich ja so entzückend deutlich aus, daß sie für dieses Ehepaar nicht die mindesten Sympathien empfinde.

Das war für die Damen Hammer maßgebend, ebenfalls den Stab über das Landratsamt zu brechen – sie waren Hammer und schlugen zu. Und jetzt brannten alle Lampen in ihrer Wohnung, der Duft selbstgebackener Kringel, Plätzchen und Napfkuchen durchzog festlich die Luft, auf den Steinfliesen des Hausflurs knirschte frischgestreuter Sand, und Guste, die dienstbeflissene, hatte sogar weiße Zwirnhandschuhe über ihre frostbeschädigten Hände ziehen müssen, da die Frau Bergrätin wußte, was sich gehörte, und zu Lebzeiten ihres Mannes sogar Gesellschaften mit »dem« Lohndiener gegeben hatte.

Dieser Lohndiener existierte noch immer in Feldheim und erfreute sich einer ganz außergewöhnlich angenehmen Stellung in der Gesellschaft. Lud er die Frau Bürgermeisterin zu dem »Teekränzchen« bei Apothekers ein, so wurde er in die gute Stube genötigt und nahm dankend ein kleines Likörchen entgegen. Er saß dann auf dem Sessel, die Dame auf dem Sofa, und die Unterhaltung währte ein Weilchen. »Ist nicht viel los, Fran Bürgermeisterin!« flüsterte er vertraulich, »eine sogenannte Abfütterung, viel Pack dabei! Ihr lila Seidenes reicht aus dafür! Und die Schangschang-Seidenbänder an der Haube sind noch lange gut für das Vergnügen! – Aber nächstens wird bei Rittmeisters eine Tanzvisite sein, da werden sie schon Ihr Bordeauxrotes mit den Astern drangeben müssen!«

Und die Frau Bürgermeisterin gab es dran.

Ja, Herr Facklam, »der« Lohndiener des Städtchens, war Faktotum, er bediente die Väter, beriet die Mütter und verlobte die Töchter – aber er kannte auch den Wert seiner Leistungen und ließ sie sich bezahlen. Zwölf gute Groschen (nach altem Geld) pro Abend, das war zuviel für eine verwitwete Bergrätin. Dafür hatte sie delikate Makronenspeise hergestellt, die der Frau Professorin entschieden gut geschmeckt hatte, denn wenngleich sie auch schimpfte. – »Eine so schwere Speise am Abend ist eine Rücksichtslosigkeit gegen die Gäste, liebe Hammer!« hatte sie doch viermal davon zugelangt.

Dann hatte sie aber immer ungeduldig nach der Uhr gesehen. Seit fünf Uhr war es dunkel, jetzt hatte es sieben geschlagen, und der Wagen aus Jeseritz hielt noch nicht vor der Tür, wie sie doch so strenge befohlen hatte.

Nichts haßte Tante Sidonie mehr, als Unpünktlichkeit, und sie machte ihrem Groll energisch Luft.

Die anwesenden Damen rangen die Hände und wehklagten über die schauerliche Behandlung, die die herrlichste, liebenswerteste aller Frauen in diesem Verwandtenhause ertragen müsse.

Tante Sidonie regte sich immer mehr auf. Sie griff schließlich mit wütender Energie nach dem Pompadour und den Filzhandschuhen und stand mit hartem Ruck auf. Die zunächst herandrängenden Damen und die jüngste Hammer, die an ihrer Seite niedergesunken war und voll stummer Inbrunst ihre Hände küßte, stieß sie über den Haufen. »Ich warte nicht länger! Ich gehe dem Wagen jetzt entgegen – werde daraus, was wolle.«

Ein wahrer Tumult erhob sich. »Bei dieser Kälte? Dieser Dunkelheit? Nur über meine Leiche!«

Aber Frau Sidonie blieb starr und fest: »Hole ich mir den Tod, so sind die lieben Jeseritzer schuld daran!« grollte sie.

»Gut! Gehen Sie wirklich, dann gehe ich mit Ihnen! Ich überlasse Sie nicht allein Ihrem Schicksal – ich sterbe mit Ihnen!« rief die sentimentale Schwester des Doktors in höchster Ekstase.

Dieses Wort zündete. Keine gönnte der Rivalin einen solchen Vorsprung im Rennen. Wildes Zanken und Schreien, endlich entschied die Frau Rentmeisterin: »Gut, dann gehen wir alle mit und geben das Geleit.«

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So geschah es. Die Gastgeberin Hammer erklärte sehr spitz:

»Der Platz an der Seite der teuern Frau gebührt mir, als Wirtin!«

Sprach's und hängte sich wie eine Klette an den Arm der Professorin. Um den andern Arm schubste und trat man sich, endlich hatte sich die Bürgermeisterin herangedrängelt.

Der Auszug begann. Wie weiland der Rattenfänger führte Tante Sidonie die Blüte Feldheims zum Tore hinaus. Vor dem Landratsamt fielen stachelige Worte: »Ob die Verehrer schon versammelt sind? Frau Salome thront ja jeden Abend im Kreise von fünf bis sechs Hausfreunden! Hihi! Die Hammern hat neulich einen so schönen Witz gemacht! ›Den männlichen Harem‹ nennt sie die Salons der Frau von Born!« Riesiges Gelächter. Auch Tante Sidonie lachte rauh auf und versetzte die witzige Hammern dadurch in den siebenten Himmel.

In langer Reihe schunkelte die animierte Kaffeegesellschaft die Jeseritzer Chaussee entlang. Guste, die mehr Trinkgeldsgroschen geerntet, als sie erwartet, taumelte wie trunken vor Freude mit der Laterne voran. Als Rätin durfte Frau Hammer zwei Lichte darin brennen. Man begann sogar zu singen: »Laurentia, liebe Laureutia mein, wann werden wir wieder beisammen sein?«

»Mund halten! Greuliches Gequieke!« donnerte die Professorin, »ich kann nicht hören, ob ein Wagen kommt!«

Tiefe Stille. »Ja, es ist taktlos zu singen, wo wir doch noch nicht wissen, wie diese Winterpromenade der geliebten Frau bekommen wird!« triumphierte die Doktorsschwester, die aus »Unmusikalischkeit« geschwiegen.

»Horch – ein Wagen!« – »Er ist's!« – »Endlich!« –

Tante Sidonie schüttelte die Damen von sich ab wie ein Pudel die Flöhe, und trat mit drohend erhobenem Arm dem Gefährt, das langsam in der Dunkelheit heranrollt, entgegen: »Nichtswürdiger, wo bleiben Sie? Ich warte schon seit einer Stunde auf Sie!«

»Auf mich? I gar Madamchen! Na, da steigen Sie ein, ich bin der Leichenwagen

Gellendes Geschrei des Entsetzens. Guste, die naseweis den Wagen beleuchtet hatte, schleuderte mit wild fuchtelnden Armen den ahnungslosen Pferden die Laterne gegen die Knochen, daß sie splitternd erlosch, und wandte sich, als sei der Tod ihr auf den Fersen, zur Flucht.

Ihr Beispiel steckte die Damen an. Muffen und Schirme wirbelten durch die Luft – ein markerschütterndes Geschrei hallte durch die stille Nacht, und wie ein Haufen Spreu, in den der Wind fährt, wirbelte alles in sinnloser Panik davon.

Allein, von allen Getreuen verlassen, stand Tante Sidonie. Sie war abergläubisch und trotz all ihrer Forschheit furchtsam bis zur Feigheit. Sie stand wie gelähmt, der Schreck war ihr in alle Glieder gefahren, sie wollte laufen und konnte nicht. Und vor ihr, allein mit ihr in dunkler, einsamer Nacht, der Totenwagen! Schauderhaft.

»Hilfe! Hilfe!« ächzte sie.

Da nahten eilige Schritte. »Tante Sidonie? Sie hier? Um alles in der Welt, ist ein Unglück passiert?«

»Siegfried!« Die Professorin stürzte sich auf den rettenden Engel, den Landrat, und umklammerte ihn mit den langen Armen. Ihre Zähne klapperten: »Rette mich, mein Neffe!« – Sie schien einer Ohnmacht nahe. Born umschlang sie mit kräftigen Armen. »Dort steht mein Haus! Ich beschütze Sie, liebe Tante.« Und er trug mehr, als daß sie ging, die Feindin unter sein Dach.

»Hüh – hott!« sagte hinter ihnen der Leichenfuhrmann, knallte mit der Peitsche und lachte: »Nee so was, Herr Landrat!«


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