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XX

Einem strengen Winter folgte ein vorzeitiger Frühling. – Die letzten Tage des Februar waren bereits so milde und sonnig gewesen, daß man vermeinte, schon den Veilchenduft in Feld und Wiese zu atmen, und der März brachte vollends den Frühling mit, grüne Wiesen und schwellende Knospen und gar bald den zarten maigrünen Schleier, den Erda scheu und zaghaft über ihr erwachendes Antlitz zieht, damit die ungewohnte Himmelspracht sie nicht blende.

Salome hatte in freudiger Hast die Reisekörbe gepackt. Die Dienerschaft war bis nach dem Osterfest beurlaubt, und der Wagen hielt vor der Tür, der das junge Paar in das Elternhaus nach Jeseritz bringen sollte.

Die junge Frau trug beinahe denselben Anzug wie vor einem Jahr, als sie ihren Gatten auf so eigenartige Weise in dem Eisenbahncoupé kennengelernt hatte. Und sie hatte mit allem Vorbedacht und nach reiflichster Erwägung diese 22ahl getroffen. Sie wollte in dem Antlitz ihres Joannes lesen, ob er wohl an damals zurückdenken, ob sein Herz wieder aufwachen würde in der alten Liebe und dem Entzücken, das ihre Erscheinung ihm bei jenem ersten Begegnen eingeflößt. Sie stand vor ihrem Toilettentisch und band just den Schleier über das rosige Gesichtchen, als Siegfried lautlos zwischen die Portieren trat und überrascht bei ihrem Anblick stehen blieb.

Sie bemerkte ihn nicht. Sie ließ just die Arme sinken und blickte in den Spiegel. Ein ernster, beinahe sorgenvoller Ausdruck lag auf ihrem Antlitz, der mit dem heiteren Wesen, das sie in letzter Zeit zur Schau getragen, seltsam kontrastierte.

Sie seufzte tief auf:

»Das rote Mieder, die blanken Schuh,
Das weiße Fürtuch, ein Sträußel dazu,
Was nutzen sie all meinem bleichen Gesicht,
Mein Schatzel, mein böser, er sieht sie ja nicht!«

sang sie leise vor sich hin.

Siegfried lächelte und zog sich schnell zurück. Er durchschaute die Absicht der kleinen Frau.

Sie wollte ihn an ehemals erinnern – sie wollte ihn weich stimmen. –- Umsonst, er durfte noch nicht weich werden, es war leider noch lange nicht an der Zeit. Das Prinzeßchen langweilte sich und verlangte nach einem Courmacher, und weil kein anderer zur Hand war, wollte sie mit dem Gatten fürlieb nehmen. Sie empfand es sehr wohl, daß er gegen früher recht verändert war. Sie kannte auch genau die Gründe, die ihn ihrem Herzen entfremdet hatten, er sagte sie ihr ja klar und deutlich in das Gesicht, und hoffte, daß die kleine Frau sich seine Worte zu Herzen nehmen würde.

Aber er hatte sich getäuscht, wenn er an eine Wandlung glaubte.

Daß Salome sich nicht wieder mit Elten versöhnte, daß sie sich selber das bißchen Geselligkeit in Feldheim versagte, um sich keiner Vernachlässigung vonseiten der Herren auszusetzen, entsprang lediglich ihrem Trotz. – Sie gab nicht nach – sie war eigensinnig wie ein Kind – auch ihrem Manne gegenüber. Wieviel Gelegenheit hatte sie gehabt, sich ihres Haushaltes anzunehmen! – Aber sie tat es nicht; sie beharrte hartnäckig bei ihrem Willen – sie wollte erst sehen, wer das letzte Wort behielt. Wenn sie glaubte, ihr Mann gäbe nach, so irrte sie sich gewaltig. Er führte und leitete den Hausstand nach wie vor, und darum konnte er weder Liebe noch Verehrung für seine pflichtvergessene Frau empfinden, das hatte er ihr gesagt, und dabei blieb er.

Daß sie ehemals nichts gelernt, rechnete er ihr nicht als Schuld an, aber daß sie jetzt noch immer nichts lernen wollte, da es ihre Stellung als Hausfrau doch gebieterisch von ihr verlangte, das verzieh er ihr nicht, und das ließ es sie empfinden. Nicht durch unfreundliches, mürrisches oder gar rücksichtsloses Benehmen, nein, dazu war er viel zu sehr Kavalier, und dazu liebte er sie viel zu innig, aber durch eine gewisse Kälte und Gleichgültigkeit, die jede feinfühlige Frau aufs bitterste empfinden mußte. Er wollte ihr Lehrer und Erzieher sein, und er wählte die Methode, die seiner Ansicht nach die einzig richtige war.

Salome aber wollte seine Pläne durchkreuzen.

Er bemerkte es täglich aufs neue, wie sie um seine alte Liebe warb, wie sie mit ihm kokettierte, wie sie alles aufbot, ihm zu gefallen. Alles? Ja, alles, was sie für wirksam hielt, einen Mann zu bezaubern, nur das einzig Wahre und Beste nicht, weil ihr das der Eigensinn verbot.

Siegfried sollte an die Macht des »Bildes« glauben lernen. – Sie wollte ein »lebendes Bild« in seinem Hause sein, dessen Sklavenfesseln er willenlos trug. Er durchschaute ihre Absicht und machte sie zunichte. Sie kämpften in leidenschaftlich heißem Kampfe; er um seine Würde und seinen festen Willen – sie um ihren Trotz, der sich siegreich behaupten wollte. Und doch schwebte die Taube des Friedens über ihnen, dennoch schaute keines in den ruhigen Zügen des andern, wie erregt und ungestüm das Blut dahinter kreiste.

Siegfried litt ebenso bitter darunter wie Salome, aber er blieb fest. Anfangs hatte ihm die freudige Zuversicht das Harren und Hoffen erleichtert, in letzter Zeit waren ihm oft quälende Zweifel gekommen.

Er hatte seine Frau so gut beobachtet, wie es ihm bei seiner häufigen Abwesenheit von Hause möglich war. Er hoffte im stillen, irgendwelche Wahrnehmungen zu machen, daß Salome Interesse an häuslicher Arbeit fände. – Umsonst.

Was sie den lieben, langen Tag begann, wußte er zwar nicht recht – denn ihre Mal- und Musikstudien betrieb sie fast gar nicht mehr, und die begonnene Stickerei lag unverändert im Körbchen. Sie schrieb wohl Briefe oder las. – Das erbitterte ihn mit der Zeit; eine solche Widerspenstigkeit hätte er ihr wahrlich nicht zugetraut. Und doch dabei ihre anmutige Liebenswürdigkeit, ihre schlauen kleinen Manöver, ihn zu entzücken! Oh, es war nicht leicht, ihren süßen Veilchenaugen gegenüber den Gleichgültigen zu spielen.

Nun ging es nach Jeseritz. Der Einfluß des Vaters würde alles wieder verderben, was vielleicht schon zu guter Saat emporkeimte.

Er hätte sein etwas voreiliges Wort gern wieder zurücknehmen wollen – leider aber war gerade ein Briefchen von der Mama gebracht worden, das ihnen mitteilte, man erwarte in nächster Zeit den Besuch eines jungen Herrn in Jeseritz.

»Gewiß mein Jugendfreund Hermann!« lachte Salome.

Born hatte wohl die Stirn etwas kraus gezogen, denn sie sah ihm plötzlich mit ganz seltsamem Ausdruck in das Gesicht und fragte leise: »Nun willst du wohl nicht, daß wir hinfahren?«

»Um dieses Jünglings willen?« Er lachte laut auf. »Im Gegenteil, ich hoffe, daß er ein wenig Leben und Abwechslung mitbringt!«

Nun mußten sie hin, wenn Salome ihn nicht für eifersüchtig halten sollte.

Und jetzt reisten sie ab.

Gottfried verabschiedete sich am Morgen. Er hatte seine neue Stellung auch wieder gekündigt, weil er trotz seiner grauen Haare noch einmal heiraten wolle, die Witwe seines Bruders, die ihr kleines Anwesen nicht mehr ohne Hilfe und Schutz bewirtschaften wollte, seit ihr einzigster unter die Soldaten mußte. Born ließ ihn ungern gehen. Nun würde ihn das abermalige Anlernen eines neuen Dieners noch mehr Mühe und Zeit im Hause kosten. Er sprach das auch aus, als er neben seiner Frau im Wagen saß, aber Salome war sehr schwerhörig und zerstreut, wenn sie keine Lust hatte, von einem Thema Notiz zu nehmen. Sie saß und blickte schweigsam auf die Pferde, dann reichte sie ihrem Mann die Zügel and sagte: »Ich bin so müde – fahre du heute.«

»Müde! Wovon?« wollte er fragen, aber er tat es nicht, er fand, als er sie plötzlich ansah, daß sie wirklich müde und ein wenig blaß ausschaute. Ach so, sie war verletzt, weil er kein Wort über ihr »erinnerungsreiches« Kleid gesagt hatte, weil er gar nicht bemerkt zu haben schien, daß sie es heute zum erstenmal wieder trug.

Früher hatte er ihr fast täglich gesagt, wie reizend und herzig sie aussehe, wie ihr dieses Kleid – jener Hut oder Mantel so besonders hübsch stände, wie er das eine mehr, das andere weniger an ihr liebte –- jetzt sagte er nichts mehr, nicht einmal heute hatte er sie mit Blicken bewundert, heute, wo sie in der Tat bezaubernd aussah und wo sein Herz so hoch aufschlug bei dem Gedanken an ihr erstes Gehen und Finden.

Aber ruhig Blut! – Gerade sein Schweigen und Ignorieren war die beste Arznei für ihren trotzigen Sinn.

In Jeseritz war alles beim alten. Salomes Stimmung wurde auch wieder besser, als sie bei Tisch in fröhlicher Runde sitzen und sogar Tante Sidonie in derselben erschien. Sie war wochenlang erkältet und sehr besorgt um sich selbst und ihre Gesundheit gewesen. Alles ganz entschieden die Folgen ihres abendlichen Spazierganges mit der Leichenwagenbegegnung.

Rose flüsterte dem Schwager zu, die Stimmung der teuern Patientin sei oft unerträglich gewesen. Zu der Grobheit geselle sich jetzt noch eine entsetzliche Empfindsamkeit. Sie bilde sich ein, sehr leidend an irgend etwas »unheilbar Innerlichem« zu sein, und verlange nun die grenzenlosesten Rücksichten für ihren besorgniserregenden Zustand. Der Arzt sei ihr zu teuer, da er ihr zu Neujahr eine Extrarechnung für seine Bemühungen gesandt und Tante Sidonie sich eingebildet habe, als Hausarzt der Familie Welfen müßte er auch sie für das Fixum mit behandeln.

Nun hat sie Elektro-Homöopathie nach eigener Verordnung gebraucht, behauptet aber, diese Methode sei veraltet und unwirksam, seit das Gasglühlicht die Elektrizität für die moderne Menschheit entwertet habe.

Leider scheine sie gar nicht an die Abreise zu denken, im Gegenteil, zu ihrer aller Entsetzen sei jüngst ein Möbelwagen mit fürchterlichem altem Plunder eingetroffen, ein völlig vergilbtes Sofa mit zwei Sesseln, eine wackelige Kommode und eine schreckliche Chiffonniere mit abgestoßener Schnitzerei.

Alle guten Möbel habe sie ehemals versteigern lassen, die schlechtesten Sachen aber, für die nicht genug geboten sei, aus Geiz zurückbehalten. Und nun habe sie sich oben in den leeren Erkerstuben häuslich eingerichtet und behauptete: »Nun werde es ihr erst ganz und gar gemütlich in Jeseritz!«

Siegfried zog eine sehr bedenkliche Grimasse, Tante Sidonie aber schnitt seine Entgegnung ab und wandte sich ihm ärgerlich zu: »Nun kosten Sie doch mal diesen Salat, Neffe! Schauderhaft – ungenießbar! Nichts wie Essig und Pfeffer, und dabei weiß doch die Bagage in der Küche, daß ich beides nicht essen darf! Aber ich sage es ja – Rücksicht nimmt man hier im Hause nicht! – Kostet mal ihr beiden, Siegfried und Salome – ich bin überzeugt – ihr könnt mir so etwas nachfühlen!«

»Vollkommen, liebe Tante!« Der Landrat langte tüchtig von dem Kartoffelsalat zu und kostete. »Ich habe mich früher sehr für sanitäre Fragen interessiert, meiner Eltern wegen, die beide kränkelten. Pfeffer und Essig sind geradezu schädliche Genußmittel. Der Essig verdirbt das Blut, der Pfeffer die Nerven. Jeder Mensch, der etwas auf seine Gesundheit hält, sollte nie im Leben Pfeffer oder scharfen Essig genießen.«

Sprach's, bat um das Huilier – er ärgerte sich stets, wenn er das Ding französisch nennen mußte, doch er kannte bei dem besten Willen keinen deutschen Namen dafür – nahm die Essigflasche zur Hand und goß einen tüchtigen Löffel voll über seinen Salat. Ebenso ergriff er die Pfefferbüchse und bediente sich.

Staunend sah man ihm zu, aber Tante Sidonie, von der man etwas beklommen einen heftigen Zornesausbruch über »diese Persiflage« erwartete, musterte ihn nur einen Augenblick nachdenklich, neigte dann schweigend den Kopf und aß ihren Braten ohne Salat.

Siegfried jedoch plauderte in seiner frischen Art weiter, über dieses und jenes, durchaus harmlos.

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»Soll der Kaffee heute gleich nach Tisch getrunken werden, damit wir nachmittags einen Spaziergang in den ´Wald machen können?« fragte Frau von Welfen.

Allgemeine Zustimmung, nur Tante Sidonie schaute mißbilligend darein. »Ich darf keinen Kaffee bei meiner Arznei trinken!« grollte sie.

»Das ist sehr richtig und vernünftig!« nickte der Landrat mit ernsthafter Miene, »das erste, was die Ärzte der leidenden Menschheit verbieten sollten, müßte eigentlich der Kaffee sein, und nicht nur die kranken, sondern auch die gesunden Leute sollten ihn meiden. Unser bleichsüchtiges, nervenschwaches Zeitalter ist an und für sich schon zu sehr vergiftet, um obendrein noch eine derartige, tägliche Dosis Gift zu vertragen, wie sie der Kaffee enthält. Ich habe neulich einen Aufsatz über dieses tückische Getränk der Levante gelesen; auch eine Kneippsche Abhandlung über den Mokka, und ich habe geschaudert, wie leichtsinnig die Menschen mit ihrer Gesundheit umgehen. Einen Spaziergang in den Wald aber wird jeder Arzt als gesündestes und nutzbringendstes Beginnen loben, darum rate ich Ihnen, liebe Tante, sich diese Zufuhr von Ozon ja nicht entgehen zu lassen!«

»Also gleich den Kaffee kommen lassen,« nickte Frau von Welfen – »oder wünscht jemand der Allgemeingefährlichkeit dieses Getränkes wegen lieber Tee?«

»Ich bitte um Tee!« entschied die Frau Professor. »Euer Kaffee ist allerdings so jammervoll dünn, daß er sicher niemandem schadet!«

»Mir kannst du auch Tee kommen lassen!« brummte der Major, der sich leicht um seinen Magen ängstigte, wie so viele alte Soldaten, die voll Heldenmut dem Tod auf dem Schlachtfelde in das Auge geschaut haben, aber vor einem Schnupfen zittern.

»Und du, lieber Siegfried?«

»Ich bitte um eine Tasse Kaffee, Mamachen, aber bitte möglichst stark, denn für des Mokkas Stärke habe ich eine große Schwäche!«

Abermals etwas überraschtes Staunen. Rose stieß ihre Schwester leise mit dem Ellenbogen an und verkniff sich nur mühsam das Lachen. Born aber fuhr ganz gelassen und heiter fort: »Da fällt mir übrigens eine famose Kaffeegeschichte ein! Als ich meine letzte Übung als Reserve-Offizier mitmachte, wurde unser Kürassier-Regiment durch einen Leutnant verschönert, der in dem Ruf stand, meisterlichen Kaffee zu brauen. Die Kameraden schwärmten so begeistert davon, daß eines schönen Tages die Regimentsmutter sich mit den Offiziersdamen verabredete und dem Leutnant von M. ein charmantes Briefchen schrieb: ›Die Damen des Regiments wünschten seinen so sehr gerühmten Kaffee auch kennenzulernen und würden sich demzufolge morgen nachmittag als Gäste in dem Kasernengarten einfinden. Einen silbernen Löffel brächte jede selber mit.‹ – Große Freude. Der Damenkaffee entwickelte sich höchst amüsant – die Herren waren ebenfalls vollzählig erschienen, man trank den Kaffee und war des Lobes voll. Da, zum Schluß, setzt die Kommandeuse dem strahlenden M. die Pistole auf die Brust: ›Nun müssen Sie uns Ihr Mittel verraten, lieber Baron! Wir gehen nicht eher, als bis Sie gebeichtet haben!‹ –- M. sucht vergeblich Ausflüchte. Er wird in die Enge getrieben und gesteht schließlich errötend ein, nicht er, sondern sein Bursche sei der Kaffeekünstler. Konrad wird gerufen und steht vor der Frau Oberst stramm. ›Sie dürfen uns alles verraten, Konrad!‹ jubeln die Damen. ›Welch eine Kaffeesorte gebrauchen Sie?‹ – ›Befehl Frau Gräfin, is sik gewöhnnliches Koffe vom Kaufmann unsrigtem, kost sik Pfund einer Mark und Pfenniger achtzick!‹ – Allgemeines Staunen; M. beißt sich auf die Lippe. Die Frau Oberst aber fährt fort: ›Und welch einen Zusatz nehmen Sie? Karlsbader Gewürz? Feigenkaffee?‹ – ›Nemm' ik nix von – nemm' ik nur Koffe alleinigtes.‹ ›Undenkbar! – Was haben Sie für eine Kaffeemaschine?‹ ›Nix Koffemaschine – hob' ik nur Blechtopf meinigtes!‹ ›Und filtrieren gleich dahinein? – Durch einen Beutel oder Papier?!‹ – ›Nix Papierr, nix Beitel – Frau Gräfin gnädiges.‹ –

›Aha! Da steckt das Geheimnis! Nun – was nehmen Sie sonst?‹ –

Konrad richtet sich noch strammer auf: ›Nemm' ik ganz einfach Strumpp von Leutnant!‹ –

Ein Schrei in allen Tonarten, die Damen sinken hinten über – Leutnant von M. aber fährt wie ein Rasender auf den verblüfften Konrad ein. ›Kerl – bist du toll! – bist du von Sinnen – sofort gestehe ein, daß du lügst!!‹

Da sieht der brave Polacke seinen Leutnant gutmütig tröstend an und sagt mit der Miene gekränktester Unschuld: ›Brauchst nix bös sein, Leutnant – nemm' jo nix aus Kommodde zugeschlossenes! Nemm' ik ja nur Strumpp gebrauchtes!!‹«

Große Heiterkeit! Salome rief allerdings entrüstet »Pfui!« – Aber der Major und Rose lachten Tränen, und selbst die Frau Professor richtete ihre runden Glasaugen huldvoll auf den Erzähler und zog den Mund in die Breite. »Auf den Schreck will ich mir einen Tabak anstecken!« rief der Major und wollte sich erheben, aber Tante Sidonies Hand fuhr wie ein Stoßvogel herzu und hielt ihn fest. »Nichts da! – Du weißt, daß ich den Zigarrenrauch nicht vertragen kann!«

Welfen blieb unschlüssig sitzen, der Landrat aber stimmte eifrig zu. »Sehr recht, liebe Tante, daß Sie sich dem so ungeheuer schädlichen Einfluß des Tabaksqualmes entziehen,« nickte er. »Es gibt ja nichts Gesundheitswidrigeres als das Rauchen, und die Sterblichkeit unter den Männern würde sich auf die Hälfte reduzieren lassen, wenn sie dem Laster des Rauchens entsagen wollten. Aber das sitzt und pafft von früh bis spät – saugt für teures Geld das Gift in den Körper, bläst den Damen zum Ruin des schönen Teints den Dampf ins Gesicht und schädigt sich selber an Leib und Leben. Meiner Ansicht nach müßte die Polizei einschreiten und alle Zigarrenläden schließen, ebenso wie die Destillationen, denn Likör und Schnaps ist genau ebenso gefährlich; sie zehren unserer Nation das Mark aus und bringen Mann und Weib unter die Erde!«

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Und der Sprecher griff nach einem der Likörgläschen, die Wulf herumreichte und kippte behaglich seinen Inhalt. »Brrr! – Man kann sich so gut denken, daß dieses Zeug jeden Magen zunichte brennen muß – ... noch eins, Wulf! – – Heiß wie die Hölle ... süß wie die Liebe ... und dabei doch ein flüssiges Verderben. Aber die Zigarren halte ich für noch schädlicher« – und der Landrat zog sein Etui, entnahm ihm zwei Havannas und legte eine davon auf den Teller seines Schwiegervaters – »von dieser Sorte darf man höchstens zwei am Tage nehmen, sonsi ist man ein Kind des Todes – das konzentrierte Gift, sage ich euch. – Stecke sie dir mal an, Papa – sie schmeckt – wie jede Sünde – verführerisch! Tante Sidonie geht derweil auf die Veranda oder in ihr Zimmer, denn sie sagt selbst, baß sie den Rauch nicht vertragt und ich fürchte auch, er schadet nervösen Damen ungemein! Da ist es schon besser, sie zieht sich zurück!«

Er brannte ein Streichholz an und setzte seine Zigarre in Brand, so daß die Frau Professorin hinter den dicken Wolken verschwand.

Abermals saß die ganze Tafelrunde sprachlos. Nun mußte das Wetter doch losbrechen. Aber unbegreiflicherweise erhob sich die Tante gelassen und nickte dem Neffen mit wunderlichem Gesichtsausdruck zu.

»Hast recht, daß ich mich schonen muß! ... Hm ... ist zwar recht grob, mich einfach hinauszuräuchern, aber besser, du machst mich auf die Gefahr aufmerksam, als daß du mich darin umkommen läßt. – Hm ...« und sie klopfte Salome auf die Schulter: »Komm nachher zu mir, Kleine ... ich will etwas mit dir besprechen. Aber mache kein so sentimentales Gesicht – das greift mich an, und außerdem siehst du dumm damit aus!«

Sprach's und verließ mit großen Schritten das Zimmer. Der Major wartete noch eine Minute, bis die Stiefel des seligen Professors nicht mehr auf dem Flur krachten, dann griff er schnell nach der Zigarre und brach in ein schallendes Gelächter aus, in das die kleine Tafelrunde mit Ausnahme von Salome herzhaft einstimmte.

»Junge! – Liebster Herr von Born von hinten und von vorn« – schluchzte er vor innerlichem, lang verhaltenem Vergnügen. »Bist du denn rein des Teufels, die alte Schachtel derart zu persiflieren?!«

Salome hob mit pikiertem Gesichtchen den Kopf. »O nein, des Teufels ist er nicht, wohl aber etwas anderes!«

»So? Na was denn?«

Ein herber Ausdruck kräuselte ihre Lippen. »Ein Wegweiser ist er!« spottete sie.

»Potzwetter – ein Wegweiser?«

»Lawise, wie meenste det?!«

»Liegt das nicht auf der Hand? Mein Herr Gemahl und ein Wegweiser ähneln sich zum verwechseln. Beide zeigen den Leuten ganz klar und deutlich den richtigen Weg an – ohne ihn jedoch selber zu betreten! Siegfried weiß genau, was gut und was schlecht, was falsch und was richtig ist, und er belehrt darüber jeden, der seinen Weg kreuzt, er selber aber ...« sie brach kurz ab, ihre Lippen bebten. Sie erhob sich und verließ das Zimmer.

Born und seine Schwiegermutter wechselten einen schnellen Blick, der Major aber folgte zum erstenmal nicht dem schmollenden Töchterchen, sondern blies sehr behaglich die Dampfwölken vor sich hin.

»Ärgert sich über die Fliege an der Wand!« schüttelte er den Kopf. – »Armes Ding, sie ist so nervös!« – Und dann lachte er abermals und klopfte dem Landrat auf die Schulter. »Sage mal, wo nimmst du die Courage her, den alten Giftpilz so forsch zu behandeln? Willst du dir denn mit Gewalt deine Erbschaft verpuffen? Wenn Salome nicht wieder gutmacht, was du sündigst, dann könnt ihr auf eine schöne Liebeserklärung in ihrem Testament gefaßt sein!«

 

Wie zauberhaft schön war es im Walde!

Der Frühling erwachte aller Ecken und Enden, das Moos hob sich wie ein schwellender Teppich unter den Füßen, goldene Sonnenstrahlen säumten die maigrünen Zweiglein, und die Luft wehte so lindduftig, daß sie die Stirn umhauchten wie die Küsse neckischer Liebesgeister.

Salome hatte erwartet, daß ihr Mann, zärtlich und galant wie früher, ihr den Arm bieten solle, aber Siegfried schien gar kein derartiger Gedanke zu kommen. Er neckte sich mit Rose, lief mit ihr um die Wette, bergauf und bergab, so weit man in dieser meist flachen Gegend von Berg und Tal reden konnte, half ihr die ersten Blumen sammeln und freute sich auf den prachtvollen Hunger, den er mit heimbringen würde.

Sie mußte ihm sodann erzählen, was sie wohl auf den Tisch bringen würde, und er bestellte sich dies und jenes Leibgericht, das die kleine Schwägerin ganz besonders künstlerisch herzustellen verstand. Einmal wandte er sich zurück und rief Frau von Welfen mit vergnügtestem Gesicht zu: »Ich komme mir selig vor wie in den Ferien! Welch ein behagliches Gefühl, daß ich mir nicht den Kopf um das leidige Essen zerbrechen muß, daß ›Röslein, Röslein, Röslein rot‹ mir diese Sorge für ein Weilchen abgenommen hat! Nun wird es mir doppelt gutschmecken!«

Frau Dora drückte den leis erbebenden Arm Salomes lächelnd an sich. »Nur Geduld, mein Liebling! Je mehr er sich danach sehnt, daß ihm auch daheim diese Last von den Schultern genommen wird, desto glückseliger wird ihn später die Überraschung machen!«

»Ach Mamachen, ich glaube und fürchte, es wird zu spät sein.«

»Wieso das, mein Herz?«

»Siegfried liebt mich nicht mehr.«

»Torheit. Er liebt dich nach wie vor, aber der schwärmerische Rausch der Flitterwochen ist mit der Zeit verflogen, und die Wirklichkeit fordert ihre Rechte. Die Liebe geht bei den meisten Männern durch den Magen, die persönlichen Reize der schönsten Frau verblassen im Alltagsleben und verlieren ihren Reiz. Sie muß nicht mehr allein Geliebte, sondern vor allen Dingen Gattin und Hausfrau sein – sie muß nicht mehr allein durch ihr Äußeres, sondern durch ihre Tugenden die Liebe ihres Mannes festhalten, kräftigen und sie mit all dem idealen Glück des Brautstandes in die Ehe hinübertragen und darin festhalten.«

»Ach Mutterchen, ich habe mich ja heimlich schon so viel im Haushalt beschäftigt – aber er ahnt es noch nicht, er achtet auch gar nicht mehr darauf, und da ich noch nicht kochen kann –«

»Unser Kursus beginnt jetzt, ganz heimlich und eifrig, in vier Wochen sollst du so viel lernen, daß du dir zu Hause allein forthelfen kannst!«

»Und du glaubst wirklich, daß er mich dann wieder lieben wird?«

»Wenn die Überraschung gelingt, wird seine Liebe heller aufflammen als je zuvor!«

»Aber es ist so schimpflich für mich, ihm nachzugeben! Ich verliere dadurch alle Würde, ich vergebe mir so viel von meinem Stolz – und Papa sagte auch ...«

»Mein Herzenskind, ich bitte dich, in solchen Dingen nie auf den Rat des Vaters, sondern lediglich auf den deiner Mutter zu hören. Diese Angelegenheit gehört uns Frauen, und nur das peinlichste Takt- und Zartgefühl trifft hierbei das richtige. Der Mann steht dem Manne immer schroff gegenüber. Dein verblendeter Vater, der von jeher eifersüchtig auf den Räuber seines Lieblings war, ist zu egoistisch und hitzig, um dir einen Rat zu erteilen, der Siegfrieds Glück vergrößern würde. Aber er vergißt, daß Siegfrieds Glück auch das deine ist! Glaube mir, eine Frau vergibt sich niemals etwas, wenn sie sich in Liebe und Demut ihrem Manne fügt. Je mehr sie ihm dient, desto mehr beherrscht sie ihn. Eine fromme und gottesfürchtige Frau sagt sich: ›Ich diene ihm nicht aus Furcht, aus Schwäche, aus Eigennutz – sondern aus Liebe um meines Heilandes Jesu Christi willen, der dem Weibe den Gehorsam und das Dienstbarsein zu der heiligsten Aufgabe des Ehestandes gemacht hat.‹ – Und eine kluge Frau sagt sich: ›Die Grundlage alles ehelichen Glückes ist die gegenseitige Achtung.‹ Ein Mann achtet und respektiert aber nichts an dem Weibe, was er an seinen Genossen täglich bekämpfen muß, was ihn naturgemäß ärgert und erregt. Herrschsucht, Rechthaberei, Launen, Überhebung, Stolz und Trotz treten ihm im Leben überall bei anderen Männern entgegen und machen sie ihm verhaßt, wie soll er da ein Weib lieben, das ihm mit denselben Untugenden auch noch seine Häuslichkeit verleidet? Gerade weil Milde und Sanftmut, Nachgeben und sich fügen dem Mann so unbegreiflich und fremd sind, darum bewundert er Weichheit im Wesen des Weibes wie etwas Überirdisches, Besseres und Vollkommeneres als sich selbst, und diese Achtung, diese Bewunderung sind die mächtigen, unerschütterlichen Tragpfeiler der Liebe! – Ein Weib, das sich demütigt, ist in den Augen des Mannes eine größere Heldin als eine Jeanne d'Arc. Ein solches Weib hebt er voll ritterlicher Bewunderung selber auf den Schild und bekennt es voll Stolz und Glück: Ja, ich bin ihr Haupt – aber sie ist meines Hauptes Krone!«

Frau von Welfen hatte immer erregter, immer lebhafter gesprochen; jetzt als sie schwieg, drückte Salome voll Innigkeit ihre Hand und flüsterte: »Nun weiß ich auch, Mütterchen, warum du so glücklich mit Papa bist – es hätte keine andere zu ihm gepaßt als du!«

Frau Dora lächelte so freundlich und liebenswürdig wie stets: »Wir sind gut zusammen ausgekommen.«

»Ich glaube, das war nicht leicht mit Papa?«

»Wir haben geheiratet, als wir beide nicht mehr ganz jung waren, und wir hatten beide den redlichen Willen, uns glücklich zu machen. Er hatte mit mir Geduld und ich mit ihm. Ganz ideal ist unsere Ehe nicht verlaufen, wie zum Beispiel bei Schillings, die sich nie im Leben auch nur ein einziges Mal gezankt haben! – Wir stritten öfters miteinander, aber nie wegen einer Bagatelle, es mußte eine Ursache sein, die ernst und inhaltsschwer und wohl eines kleinen Wortgefechtes wert war.«

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»Papa war immer sehr eifersüchtig!«

»Allerdings, er ist es selbst auf seine Kinder!«

Salome seufzte schmerzlich auf: »Das ist schön, das ist doch ein Zeichen von Liebe! Siehst du, Siegfried ist seit einiger Zeit gleichgültig gegen mich, daß ich es kaum noch ertrage. Warum duldete er, daß die Herren so viel in unser Haus kamen? Wenn ich einen dummen Streich gemacht hätte, würde er allein die Schuld getragen haben.«

»Er wußte, daß du keinen machen würdest! Seine Meinung von dir war so hoch und zuversichtlich, daß es seinen Stolz beleidigt hätte, wenn er dich durch Mißtrauen hätte erniedrigen sollen!«

»Du weißt alles so rührend gut zu entschuldigen, Mama. Ich kann aber nicht recht daran glauben. Seltsam, ich bin überzeugt, in letzter Zeit sehr viel älter und vernünftiger geworden zu sein, aber in diesem Punkt, die Eifersucht betreffend, blieb ich noch ganz das törichte Kind von ehedem! Ach, Mama, ich furchte, ich werde erst noch Lehrgeld zahlen müssen, ehe ich von dieser fixen Idee geheilt werde!«

Frau von Welfen blieb jählings stehen und blickte voll tiefen Ernstes in die Augen der Tochter: »Salome! Gott bewahre dich, daß du mit anderen Herren kokettierst, um Siegfried eifersüchtig zu machen! Diese Eifersucht würde die Liebe nicht neu erwecken, sondern töten, denn eine leichtsinnige Frau achtet man nicht. Ich bin überzeugt, daß die häßlichen Reden, die man in Feldheim über dich und Ellen führte, und die du selber verschuldetest, weil du der Betty ehemals zu viel vertrautest und ihr gegenüber harmlose Äußerungen tatest, die sie in nicht harmloser Weise kolportierte – ich bin überzeugt, daß diese Reden auch zu Siegfried gedrungen sind und ihn verdrossen haben. Gott sei Lob und Dank hast du selber den Verkehr mit Ellen abgebrochen und dir dadurch Siegfrieds gute Meinung über deine Moral erhalten – eine neue Courmacherei, die dich abermals in den Mund der Leute bringt, würde diese gute Meinung für immer vernichten!«

»Ach, Mama, warum habe ich dir nicht früher geglaubt, als du mich so oft zum Guten ermahntest!«

»Weil du eine jener Naturen bist, die sich selber erst durch die Erfahrung belehren und durch Kampf zum Sieg müssen! Also du versprichst mir, mein Liebling, geduldig zu sein und der guten Ernte zu warten? Bedenke, daß du selbst deinen Kummer verschuldet hast! Du hast von vornherein selber die fremden Menschen tagtäglich zwischen dich und deinen Mann gestellt und ihn deinem Herzen dadurch entfremdet. Junge Liebe will allein sein –- und soll sie Bestand haben, unangetastet und glückstrahlend bleiben, darf man sie nicht auf den Jahrmarkt tragen. Ferner hast du nicht verstanden, Siegfried eine behagliche Häuslichkeit zu schaffen. Du hast ihm Mühen und Sorgen aufgebürdet, die dein Teil waren. Ehe du diese Schuld nicht abträgst, darfst du nicht auf die Liebe rechnen, die stets nur der Lohn der Treue ist.« – Herr von Welfen unterbrach die Sprecherin. Er rief nach den Damen, um ihnen das Skelett eines Wiesels in einem großen Ameisenhaufen zu zeigen.


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