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XIX.

Als Salome allein war, sank sie in einen Sessel und weinte weiter. Nicht mehr allein um den Zwist mit Elten, es kam plötzlich noch etwas anderes dazu. Der arme Siegfried mußte hungrig in die Nacht hinausfahren, weil seine pflichtvergessene Frau keine Lust und Zeit gehabt hatte, ihm Abendbrot zu besorgen.

Noch nie waren ihr seine Worte so peinlich, so quälend gewesen wie soeben. Es lag wohl an ihrer nervösen, rührseligen Stimmung, daß sie alles so schwer nahm. Ja, wenn der Leichenwagen etwas Liebes abholt, dann ist es zu spät, Versäumtes und Vergessenes nachzuholen – zu spät.

Und wenn es wirklich zu einem Duell kam, wenn Siegfried womöglich durch Eltens Kugel sterben mußte, lediglich darum, weil seine kokette, kindische, unüberlegte Frau das Unheil heraufbeschworen hatte – für nichts und wieder nichts ein Menschenleben – ein Glück, ein ganzes Dasein aufs Spiel setzte –! Was dann?

Dann würde sie plötzlich über alles nachdenken, was sie verschuldet hatte, dann – wenn es zu spät ist.

Eine fiebrige Unruhe erfaßte sie. Sie sprang auf und eilte in das Eßzimmer. Der kahle, ungedeckte Tisch starrte sie an wie ein bitterer Vorwurf. Das Feuer im Kamin war erloschen; wer sollte sich darum bekümmern, wenn die Hausfrau für nichts Sinn und Augen hatte? – Es wehte wie ein Hauch kalter Lieblosigkeit durch das ungemütliche Zimmer, und Salome empfand ihn mit bang klopfendem Herzen – zum erstenmal.

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Da stand der Holzkorb neben dem Kamin. Sollte sie schellen und das Feuer frisch entzünden lassen? – Nein! – Es überkam sie plötzlich wie das quälende Verlangen, etwas gutzumachen, etwas zu büßen. Ehe sie es selber wußte, kniete sie vor dem Kamin und schichtete mit bebenden Händchen die dicken Eichenkloben darin auf.

Und nun Schwefelhölzchen ... Hier standen sie. Wie das durch den Schlot blies! Jedes Hölzchen losch aus, ehe sie es recht an das Holz heranbringen konnte! – Es wollte nicht brennen! Zitternd vor Ungeduld und Aufregung versuchte sie es aufs neue. Umsonst. – Vielleicht half Papier. Sie legte eine Zeitung unter die Scheite und steckte sie in Brand. Das Papier flammte hell auf – aber das Holz entzündete sich nicht.

Wie schwer war es, Feuer anzumachen! Salome hätte es nie gedacht. Es sah so leicht ans, wenn sie morgens im Bett lag und das Stubenmädchen den Ofen heizte. Nein, sie konnte es nicht, nicht einmal Feuer anzünden konnte sie –! Und wenn es sein müßte? Wenn die Not sie einmal in eine Lage brächte, wo sie es müßte? – Kürzlich noch las sie von den Flüchtlingen der französischen Revolution, von Fürstinnen, Marquisen und Komtessen, reichen, verwöhnten Damen, die es nicht verstanden, sich selber einen Strumpf anzuziehen, die nicht wußten, wann das Wasser kochte, die nichts anderes gelernt hatten, als sich zu putzen und zu amüsieren. –- Und diese Frauen wurden plötzlich hinaus in das Elend gestoßen, hilflos, mittellos, nicht imstande, auch nur das Notdürftigste zur Erhaltung ihrer Kinder und ihrer selbst zu leisten. Da war vielleicht manche Familie zugrunde gegangen, weil die Mutter kein Feuer machen und kochen konnte, weil sie es nicht verstand zu arbeiten, um sich und ihre Kinder zu ernähren.

Entsetzlich! – Salome fühlte, wie ihr ein kalter Schauder durch die Glieder rann.

Und dann las sie ein Stück von Ludwig Fulda, das die Unwissenheit und Unbehilflichkeit der reichen Leute geißelte. – Ein Schiff strandete und eine Gesellschaft verwöhnter Menschen wird auf ein wüstes Eiland verschlagen. – Dort müssen sie für sich selber sorgen – und können es nicht, weil sie nicht lernten, was das Leben am ersten und dringendsten erfordert.

Salome strich mit der bebenden kleinen Hand über die Stirn und begann von neuem, Streichhölzchen in Brand zu stecken. Aber die Eichklötze brannten dennoch nicht an.

Gütiger Himmel, war sie denn wirklich nur eine Puppe, nur ein Spielzeug, nur ein wesenloses Bild im Hause ihres Mannes? –- Ein etwas, dessen Fehlen niemand empfinden würde? – Ein tiefer, qualvoller Seufzer rang sich über ihre Lippen – es deuchte ihr, als fände er ein Echo hinter ihr.

Sie wandte den Kopf und erglühte bis auf den weißen Hals hinab. Hinter ihr, zwischen den Portieren stand Gottfried, ein Tablett mit Tellern und Tassen regungslos in den Händen, und stand und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf seine elegante Gebieterin, die vor dem Kamin kniet und Feuer anmachen will.

Ein Laut der größten Überraschung, und Gottfried setzte den Präsentierteller so hastig auf den Kredenztisch, daß die Gläser klirrten, und eilte an die Seite seiner Herrin.

»Das Feuer ... gnädige Frau ...« stotterte er, »ich werde sofort neu anstecken ...«

Salome faßte sich: »Ja, machen Sie schnell Feuer an, Gottfried!« nickte sie ein wenig abseits blickend, aber sie verharrte in ihrer knienden Stellung.

»Wollen gnädige Frau nicht erst in den Salon treten? Es möchte am Ende ein bißchen rauchen!«

Frau von Born schüttelte eifrig das Köpfchen und zwang sich zu einem harmlosen Lachen. »Nein, Alter, lassen Sie mich hier! Ich möchte gern sehen, wie Sie das machen!«

»Befehl, gnädige Frau!« Und Gottfried zog schnell sein derbes Taschenmesser, schnitzte Späne von dem Holz und spaltete kleine Stücken ab, und dann schichtete er sie sorgsam zu einem kleinen Scheiterhaufen auf. Nun ein wenig Papier dazwischen – und dann in Brand gesteckt.

Richtig! Die kleinen Späne flackern sofort auf, und als es knisterte und sprühte, legte der Alte sorgsam die größeren Holzstücke darum her, hübsch luftig gebaut, daß die Flamme überall einschlagen konnte.

Salome verwandte keinen Blick von seinen Händen. »Wo haben Sie das eigentlich gelernt, Gottfried?« fragte sie erstaunt, »Sie find doch ein Mann – und haben es nicht nötig, Frauenarbeit zu verrichten?«

Der Alte schmunzelte. »Ja, das sagt man so, gnädige Frau, aber ich meine immer, man kann nie genug lernen und braucht alles zum Leben! Ei du meine Güte, wie oft muß auch der Mann einmal Frau spielen! Wenn das Weib krank liegt, oder seine Sache noch nicht recht versteht, ja dann bleibt unser einem nichts anderes übrig, als zuzugreifen, damit der Hausstand nicht zugrunde geht.«

Er verstummte und fuhr sich erschrocken mit der Hand nach dem Mund. Die junge Frau vor ihm wurde blutrot im Gesicht, und da fiel ihm erst ein, daß der Herr Landrat ja auch Tag für Tag die Hausfrau spielen muß! Aber er lenkte schnell ein und fuhr heiter fort, indem er tüchtig in das Feuer hineinblies: »Ei, gnädige Frau, was war das Anno 70 für ein Glück, daß ich Feuer machen konnte! Im Feld hatten wir keine Frauen dazu, und es war bitter kalt, und Hunger hatten wir wie die Bären! Ja, da hieß es auch, selbst ist der Mann! Und die Bratkartoffeln, die ich dem Herrn Landrat seinem Vater – was damals mein Herr Rittmeister war – im Biwack gebraten habe – die schmeckten ihm noch nach zehn Jahren gut! Hat der gnädige Herr nie davon erzählt?« – Und Gottfried machte ein so pfiffiges Gesicht, daß Salome schnell fragte: »Nein, aber warum waren die denn so besonders gut?«

Da kicherte der Alte wie ein Schalk: »Der Herr Rittmeister aß so gern Bratkartoffeln, und weil es Weihnachtsabend war, wollte ich ihm gern eine Überraschung bereiten! Aber du lieber Gott... Butter oder Fett haben, wenn man vor Paris in einer halbzerschossenen Baracke auf Wartezeit sitzt! – Na, da kam mir eine gute Idee. Ich machte mich heimlich über den Koffer von meinem Herrn Rittmeister her, weil ich wußte, daß wir so mancherlei noch hatten, was ein paar französische Bagagewagen uns in die Hände gespielt, und richtig, da war eine – eine kleine Salbenbüchse mit wunderschön riechendem Fett darin! Davon nahm ich und briet die Kartoffeln darin – und die Herren Offiziere waren ganz außer sich und sagten: so was gutes von Bratkartoffeln hätten sie noch nie zuvor gegessen!«

»Wirklich? – Ja aber Gottfried, was war es denn für ein Fett?«

»Es war Bartwichse, gnädige Frau! Aber verraten habe ich dem Herrn Rittmeister dieses gute Rezept erst nach dem Feldzug, als wir wieder daheim waren!«

Salome mußte trotz all ihres Kummers hell auflachen, und Gottfried rieb sich die Hände und lachte mit.

Das Feuer brannte hell auf, und Salome blieb allein davor stehen und schaute mit ihren verweinten Augen zu, wie die Flämmchen aufzuckten und die roten Funken lustig emporsprühten.

Sie hatte genau zugesehen, wie Gottfried seine Sache gemacht, und das nächste Mal würde sie es auch können. Morgen sollte das Feuer wieder ausgehen, und dann probierte sie abermals ihr Heil.

Sie setzte sich auf einen Stuhl und dachte nach... über viele Dinge, an die sie früher noch niemals gedacht hatte, und dabei beobachtete sie verstohlen, wie Gottfried lautlos hin und her schritt und den Tisch deckte ...

Möglicherweise zwang sie auch einmal irgendeine Lebenslage selber den Tisch zu decken, und sie hatte sich noch nie darum bekümmert, was eigentlich alles darauf gehörte und wie man es nett hinstellte. Die Damen der französischen Revolution und die Leute auf der einsamen Insel wollten ihr gar nicht aus dem Sinn kommen.

Wie oft hatte ihre Mutter gesagt: »Man muß alles im Leben können und verstehen – braucht man es auch nicht selbst zu tun, so kann man doch seine Leute besser kontrollieren und steht immer auf eigenen Füßen, ohne von anderen abhängig zu sein.«

Sie hatte gelangweilt zugehört und das Näschen gerümpft. Die Theorie überzeugte sie nicht von der Wahrheit dieser Worte – die Praxis tat es.

Es war ihr plötzlich, als sei sie blind gewesen und eben erst sehend geworden. Sie sah jetzt Dinge, die sie früher nicht gesehen hatte. Und die Stunden flogen dahin wie Minuten. Seltsam – es kam kein Besuch, sie war ganz allein, und doch langweilte sie sich nicht.

Wie gern wäre sie auch einmal in die Küche gegangen, aber sie schämte sich. Sie mochte ihrer Köchin nicht zeigen, daß sie alles von ihr lernen mußte. Je nun, es gab ja auch in den Zimmern Arbeit genug für sie.

Ein Wagen rollt herzu. – Siegfried.

Ihr Herz klopfte hoch auf. Sie hätte ihm entgegenlaufen und ihm um den Hals fallen mögen, es war ihr so weich und weh um das Herz, sie sehnte sich nach einem lieben Wort, nach seiner alten Zärtlichkeit – sie hatte all ihre Sorge und Aufregung an seiner Brust ausweinen mögen. Aber – was würde er davon denken? Seit Wochen ging sie ihm nicht mehr entgegen, seit Wochen hatte sie keinen innigen Gruß, kein herzliches Anschmiegen mehr für ihn gehabt – sollte sie es heute einmal wieder versuchen?

Sie verschlang die bebenden Hände ineinander und blickte ihm zaghaft entgegen.

Er trat ein – hastig, sichtlich müde und abgespannt. »Guten Abend, Salome!« nickte er und reichte ihr im Vorübergehen die Hand: »ich bin sehr hungrig – bitte schelle nach dem Essen – ich ziehe mich derweil aus,« und schritt durch das Zimmer.

Wie kühl, wie gleichgültig.

Warum sollte er sich auch vor ein Bild hinstellen und es liebevoll ansehen und streicheln? Das stumme, nutzlose Ding hatte ja doch keinen Dank dafür und er sah es schon lange genug, er kannte es.

Wie Bitterkeit überkam es sie. Er liebte sie nicht mehr. Sie war ihm gleichgültig geworden.

Sie! Das Prinzeßchen, die angebetete, umschwärmte Salome! – 0h, wie das ihre Eitelkeit verletzte! – Vorerst sprach diese immer noch das Hauptwort, all die anderen Empfindungen, wie Herzeleid und Sehnsucht gingen unter in dem Kampf, der ihr Inneres aufwühlt.

Siegfried kehrte zurück, das Abendbrot wurde serviert und schweigsam genossen. Nur etliche Male scherzte der Landrat über Tante Sidonies Abenteuer, über ihre plötzliche Freundschaft – auch brachte er Grüße von den Jeseritzern.

Salome antwortete das Notdürftigste.

Dann räumte Gottfried ab, Born erhob sich und griff nach den Zeitungen. »Wir sind heute abend allein, wenn es dir recht ist, lese ich meine Zeitung in deinem Salon.«

Ihr Auge leuchtete unwillkürlich auf, sie nickte hastig. »Gewiß!«

Und als er sich in dem kleinen lauschigen Boudoir niedersetzte, ging sie nebenan in sein Zimmer, holte seinen kleinen Rauchtisch und stellte ihn an seiner Seile auf.

Er schaute sie betroffen an. »Wozu das? Du liebst es doch nicht, wenn ich dein Zimmer einräuchere?«

Sie beugte sich über den Vogelkäfig und deckte die aufflatternden Reisvögelchen zu. Der Landrat sah nicht, wie sie errötete.

»Bitte rauche nur, du magst es ja so gern, und Elten und der Rittmeister rauchten ja in letzter Zeit auch immer ihre Zigaretten hier!«

Sein Blick haftete forschend auf ihrem Antlitz. Sie war so verändert, so unerklärlich.

»Warum kommt eigentlich niemand heute abend?« fragte er leichthin.

Sie wandte sich nach ihrem goldgegitterten Bücherständer und tat, als wähle sie eifrig ihre Lektüre. »Es ist doch nicht nötig, daß jeden Abend Gäste hier sind!« – entgegnete sie achselzuckend.

»Du versichertest Tante Sidonie, es würden auch in den nächsten Tagen keine Besuche kommen?«

»Wohl möglich!«

»Salome ... ist etwas vorgefallen?«

Wie ruhig er fragte. Ihre Hände bebten, sie legte das Romanbuch jählings nieder.

»Ja, ich habe mich mit Elten gezankt!« stieß sie kurz hervor, aber sie wandte sich nicht um, damit er nicht die Tränen sah, die ihr wieder in die Augen schossen.

Er lachte. »Ach so! Darum dein befremdliches Wesen! Nun, so gar schlimm wird es doch nicht gewesen sein?«

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»Sehr schlimm!«

Seine Stirn runzelte sich plötzlich; Salome sah es nicht. »Hat er etwa gewagt, dich irgendwie zu beleidigen?« fragte er ernst.

Sie zuckte zusammen. »Nein. – Im Gegenteil.«

»Im Gegenteil? – Was heißt das?«

Sie neigte das Haupt sehr tief. »Ich beleidigte ihn!« flüsterte sie.

Nun lachte er abermals laut auf. »Inwiefern das? Hattest du schlechte Laune und ließest du das den armen Kerl entgelten?«

Sie antwortete nicht, sondern setzte sich abgewandt von ihm vor das Feuer und stieß mit dem eisernen Haken in die Glut.

»Erzähle doch, Frauchen! – Wie kam es denn zum Streit?« amüsierte er sich harmlos.

»Ach bitte, erinnere mich nicht daran« – schluchzte sie plötzlich in ihr Taschentuch. Aber sie weinte nicht um Elten, ein ganz neues, fremdes Gefühl preßte ihr die Brust zusammen. Wie leichthin behandelte er diese ganze Sache – er lachte darüber, und fand es ganz gleichgültig, ob seine Frau sich mit ihren Verehrern zankte oder vertrug. Nein, er liebte sie nicht mehr.

Er deutete ihre Tränen falsch. Ein schmerzliches, wehes Beben ging um seine Lippen, aber er biß die Zähne zusammen.

»Ich bitte dich, Kind, sei doch nicht komisch! Die Sache ist doch keiner Träne wert! Elten wird ja nicht ewiglich grollen, und wenn du willst, gehe ich morgen hin und versöhne ihn wieder!«

Auch das noch! War er denn nicht eine Spur eifersüchtig? Wollte er ihr die Verehrer selber noch zurückholen, anstatt sich zu freuen, daß die Nebenbuhler das Feld räumten?

Wie ein Aufschrei ging es durch ihre Seele.

Sie sprang auf und warf das Köpfchen stolz in den Nacken. »Um keinen Preis wirst du das tun!« rief sie heftig, »Herr von Elten existiert nicht mehr für mich, und wenn er wieder hier in das Haus kommt, bin ich nicht für ihn zu sprechen, hörst du?«

»Aber Kind, Kind, wer wird eine Sache derart auf die Spitze treiben!« Borns Stimme klang unverändert, aber in seinen Augen leuchtete es auf wie ein plötzliches Verstehen, wie ein Ahnen von sehr großem Glück, an das er aber noch nicht zu glauben wagt.

Wäre es möglich, daß Elten keck geworden? Daß die brave, kleine Frau sich ihrer Pflicht bewußt gewesen war und ihn zurückgewiesen hatte? – Könnte es sein, daß sie sich ihm nun wieder in der alten Liebe zuwandte? Das würde das Morgenrot bedeuten, das den Sonnenaufgang verkündete.

Nun galt es mit aller Vorsicht und Klugheit zu Werke gehen; die Sonne durfte nicht wieder im Nebel untergehen; brauste ihr der Morgenwind zu hoffnungsfroh entgegen, trieb er leicht Wolken herauf und hüllte sie selber darin ein.

Salome war wie eine Blume im Frühling; es nützte nichts, wenn man voreilig die Knospe aufsprengte und die Deckblättchen auseinanderbrach, die Blüte selber mußte sich zu ihrer Entfaltung durchringen. Und Born lächelte vor sich hin und wartete auf das liebe Wunder.

Er hätte aufspringen, die kleine Frau an sein Herz ziehen und ihr die Tranen von den Augen küssen mögen, aber just dies würde sein wie rauhe Finger, die die Knospe gewaltsam öffnen wollen. Er blieb ruhig auf seinem Sessel sitzen und entfaltete die Zeitung. »Man ißt nie so heiß wie man kocht!« sagte er, »und wenn Elten dir nicht mehr die Schleppe tragen darf, nun, so sind ja noch andere Herren genug da, die mehr als gern in die vakante Pagenstelle eintreten!«

Sie hatte den Kopf in die Hand gestützt und antwortete nicht mehr.

 

Eine große Veränderung war in dem Hause des Landrats vor sich gegangen. Es war sehr still darin geworden.

Die allabendlichen Gäste, die sonst Leben hineingetragen, blieben aus. Herr von Elten hatte einen kurzen Urlaub angetreten, und als er zurück kam, behauptete er, sich eifrigst seinen Studien hingeben zu müssen. Er wollte sich für die Kriegsakademie vorbereiten und arbeitete zu angestrengt, um gesellig leben zu können.

Der Rittmeister klagte über Nervosität »nd verlangte ebenfalls nach Ruhe, und der kleine Leutnant, der am wenigsten im Hause Born verkehrt hatte, verlobte sich ganz überraschend mit der Enkelin eines benachbarten Gutsbesitzers und verbrachte jede freie Stunde bei der Braut.

Dies war der einzig stichhaltige Grund, gegen den man nichts einwenden konnte. Über den Rittmeister und Elten jedoch zerriß sich ganz Feldheim die Mäuler. Ersterer war nicht krank und letzterer arbeitete nicht. Sie saßen abends in dem Restaurant oder folgten Einladungen – Elten machte plötzlich einer Verwandten des reichen Fabrikanten auf Tod und Leben den Hof. Da sie schon ältlich, unvermögend und wenig hübsch war, geschah es lediglich pour passer le temps – oder um Frau von Born zu ärgern.

Daß es mit dieser einen eklatanten Krach gegeben, das erzählte sich bald das ganze Städtchen, und es gingen die verschiedensten Gerüchte um, welcher Art die Ursache dazu gewesen. Etwas allzu Gravierendes konnte es nicht sein, denn der Landrat verkehrte nach wie vor freundschaftlich mit den Herren, wenn er sie traf, und beide befleißigten sich der ausgesuchtesten Höflichkeit gegen Born. Der Assessor wollte einmal folgendes Gespräch gehört haben. Der Landrat fragte lachend: »Na, bester Elten, schmollen Sie noch immer mit meiner Frau?« Dieser lachte ebenfalls. »Wir schmollen alle, bis Ihre Frau Gemahlin zuerst die Hand zur Versöhnung bietet; wollen sehen, wer es länger durchhält!« – – »Salome ist ein kleiner Trotzkopf, Elten! Seien Sie der Klügere und geben Sie nach!« – – »Das wäre ungalant – die Damen müssen stets klüger sein als wir!« – »Sind Sie denn tatsächlich von meiner Frau beleidigt, lieber Elten? Das würde ich außerordentlich beklagen!« – »Ich bitte Sie um Himmels willen, Verehrtester! Eine Dame kann mich gar nicht beleidigen! Der lustige Krieg! – Nichts weiter! Und wenn meine holde Feindin wieder die weiße Flagge hißt, gibt es ein sehr fideles Versöhnungsfest.«

Also nichts Ernstliches. Schade, man hatte schon so viel gemutmaßt. Also nur ein Kokettieren hin und her – bah ... wird wohl bald ein desto süßerer Frieden auf diese »Freundschaftssperre« folgen.

Äußerlich war Elten der gelassen Kühle wie stets, innerlich aber gärten Ungeduld und Besorgnis in ihm. Es dauerte unerwartet lange, bis der Erfolg seines so geschickten Spieles zutage trat. Salome tat keinen Schritt zur Versöhnung. Sollte sie die tötende Langeweile von Feldheim tatsächlich ohne ihn aushalten? Hatte er sich gar verrechnet? – Wo blieb der Eklat, den er so sicher im Bornschen Hause erwartete? – Gestaltete es Frau Salomes Laune und Unzufriedenheit jetzt nicht sicher zur Hölle? Seltsam, der Landrat sah vergnügter und glücklicher aus als je zuvor, und Frau Salome sang oft mit hallender Stimme glückselige Lieder von Lenz und Liebe. Sie sah auch gar nicht so verärgert oder vergrämt aus, wenn er ihr begegnete, wie er erwartet hatte. – War er tatsächlich mit seiner Berechnung entgleist? Hatte er womöglich gerade das Gegenteil von dem erreicht, was er bezweckte? Führte er durch die Langeweile das Paar, das er entzweien wollte, gar einander in die Arme? Fast schien es so.

Elten sah bei diesem Gedanken ganz entstellt aus. Er wütete innerlich und suchte Zerstreuung. Er trank stets gern ein Glas Wein – jetzt übertrieb er oft diese Passion und der Rittmeister sollte ihn schon verschiedentlich darüber zur Rede gestellt haben. Nun litt Elten, was er Salome hatte zufügen wollen, Qualen der Langenweile, der schlechtesten Laune, der unerquicklichsten Selbstvorwürfe, daß er sich selber das amüsanteste, einzigste Verkehrshaus zugeschlossen. Er suchte auf alle Weise, Salome zu begegnen. Vergebens. Die junge Frau hatte die Marotte, zu allen Gesellschaften abzusagen. Was sollte das bedeuten? Er fuhr nach Jeseritz, aber das sehr kühle Benehmen der Damen, die beinahe verletzende Kälte Roses, nahm ihm die Lust, den Besuch zu wiederholen. Salome traf er auch dort nicht. – Da griff er abermals zum Glase, um seinen tobenden Ingrimm hinabzuspülen. Und Salome sang daheim heitere Lieder!

Aber sie war im Grunde ihres Herzens nicht heiter, sie weinte manche heimliche, bittere Träne.

Anfänglich hatte sie kaum die Einsamkeit und Langeweile ertragen. Dann aber fand sie, daß just diese beiden zwei Lehrmeisterinnen waren, die ihr wohl noch am richtigsten den Weg zum Glück wiesen. Sie suchte sich zu beschäftigen – sie empfand den Gedanken, nur ein Bild im Hause ihres Mannes zu sein, immer unerträglicher.

»Die ganze Ferse im Strumpf des gnädigen Herrn fehlt, haben Sie schon den Stiefel umgeschüttelt, ob das Stück noch darin liegt?« fragte sie eines Tages das Stubenmädchen, das Wäsche auslas. Diese lachte laut auf, und Salome errötete abermals. Aber sie wurde nicht heftig. Sie ließ sich belehren, und Liese war entzückt, ihrer Herrin das Stopfen und Flicken zeigen zu können.

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Da trug der Herr Landrat bald Strümpfe, die seine kleine Frau gestopft hatte, aber er ahnte es nicht, denn Salome verlangte tiefstes Schweigen. Und sie hatte hinreichend Zeit, im geheimen zu lernen, denn das Frühjahr brachte ihrem Mann viele Arbeit. Auch war sie zu empfindlich, um ihre Wandlung einzugestehen – und noch immer zu eigensinnig und kindisch, um zuzugeben, daß sie alles, was sie tat, nur für ihn tat, um ihm zu gefallen. – Er aber merkte nichts von allem, er war wie stets aufmerksam und höflich zu ihr, aber er liebte sie nicht mehr, sie war ihm gleichgültig geworden, denn ihr fehlte ja in seinen Augen jede Tugend, die das deutsche Weib dem Gatten lieb, teuer und heilig macht.

O wie das schmerzte, wie das quälte!

Wie oft preßte sie die Hände gegen das Herz und rief in Gedanken: »Gib mir die Schlüssel zu Küche und Keller! Laß mich sein, was ich sein muß! – Laß mich sorgen, arbeiten, schaffen für dich – aber vergib mir und habe mich lieb!« –- Wie oft schluchzte sie so in Gedanken, aber sie sprach die Worte nicht aus. Konnte sie denn schon sein Haus verwalten? Nein, noch nicht, noch immer nicht!! – Und wie sollte sie es lernen?! – Ach, lange ertrug sie diesen Zustand nicht mehr.

Eines Tages kam Frau von Welfen – sie fand ihr Kind mit verweinten Augen, und sie zog sie in die Arme und fragte: »Hast du denn gar kein Vertrauen zu deiner Mutter? Willst du denn all dein Herzeleid allein tragen?«

Da schluchzte die junge Frau verzweifelt auf und barg ihr Antlitz an der Brust der Mutter und schüttete ihr das Herz aus mit all seiner Not und seinem Kampf und seinem Zweifel. Frau von Welfen aber blickte mit strahlendem Lächeln hinaus in die Lindenzweige, die der Lenzessturm mit Regenströmen peitschte, und durch ihre Seele zog es wie ein Gebet. »Ich danke dir, mein Herr und Gott, daß du endlich Frühling werden läßt!«

Seit der Zeit kam sie öfters, dieweil der Major noch immer an seiner Gicht in der Stube saß und nicht mehr täglicher Gast im Landratsamte sein konnte. Eines Tages reichte Salome ihrem Mann nach Tisch die Hand und sah ihn mit wunderbar glänzenden Augen an. »Erfülle mir eine Bitte!«

»Herzlich gern! Welch eine?«

»Laß uns den Osterurlaub in Jeseritz verleben!«

Er lächelte etwas überrascht. »Gewiß, liebes Kind! Sehnst du dich heim? Wir können übersiedeln, wenn du willst; ich kann meine Geschäfte auch von dort aus erledigen!«

Ihr Gesichtchen lächelte wie verklärt. »Dann laß uns sobald wie möglich fahren!«

Er nickte. Das Herz tat ihm plötzlich weh. Hatte er sich doch in ihr getauscht? Sie fühlte sich nicht mehr glücklich in ihrem eigenen Heim. Sie war ihm fremd geblieben, so fremd wie er ihrem Herzen.


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