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XXVI

»Einsam wandelt der Freund im blumigen Garten!« dachte Rose wohl lächelnd im Traum, wenn der Kies drunten unter leisen Schritten erknirschte, und die kraftvolle schlanke Gestalt Joachims wie ein Schatten durch den Mondschein wanderte. Er fand noch keine Ruhe im Zimmer. Eine glückselige Aufregung trieb ihn hinaus in die stille, blühende Welt, auf die Bank im Fliedergebüsch, die vor kurzer Zeit Zeugin seines jungen Liebesglückes gewesen.

Er war keine schwärmerische Natur, im eigentlichen Sinne des Wortes, wohl aber ein »Gefühlsmensch«, der trotz seines so ruhigen, vernünftigen Wesens dennoch imstande war, sich voll und ganz dem Zauber poesievoller Minne hinzugeben. So saß er auf der Bank und durchkostete im Geiste noch einmal alle Wonne eines ersten Findens und Bindens, alle Seligkeit bräutlich holden Glückes. Weiße Silberstreifen säumten die Wölkchen, die just den Mond verschleierten, Nachtschmetterlinge und Käfer surrten über ihm um die Blütendolden, und dicht hinter ihm Hub eine Nachtigall ihr süßes Liebeswerben an.

Da ging es wie ein heißer, jäher Schreck durch das Herz des jungen Bräutigams. Die Nachtigall erinnerte ihn an all das Unbehagliche, das er in dem Wonnerausch der letzten Stunden völlig vergessen hatte, an die Tatsache, daß er selber der bestgehaßte Mann für die Familie Welfen sei, jener so übel beleumundete, junge Tourist aus Thüringen, den die Tochter haßte, dem der Vater ewige Rache geschworen hatte.

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Ein Gefühl angstvoller Unruhe überkam ihn. Bisher hatte er das fatale Geheimnis zu wahren gewußt, nötigte ihn aber nicht die Pflicht, es der Braut und dem Schwiegervater gegenüber zu offenbaren? Tat er es nicht, so handelte er nicht ehrlich – entdeckte er sich aber, so hat er Roses Liebe und die Hoffnung verloren, je das Jawort des Majors zu erringen!

Welch ein qualvoller Gedanke! Joachim sprang empor und lief mit hastigen Schritten den hell glitzernden Gartenweg auf und nieder. Was sollte er tun?

Seine Seele rang in bitterem, verzweifeltem Kampf. Hin und her überlegte er, was er tun durfte, sollte und mußte.

Hätte Herr von Welfen nur das Autograph aus dem Fremdenbuch nicht! Über kurz oder lang mußte er doch zum Verräter werden, denn es existieren zu viele Briefe und Schriftstücke von ihm, die er vor der Verwundung seiner Hand geschrieben. Und wenn er auch so lange wie möglich, wenigstens bis nach einer baldigen Hochzeit, dem Schwiegervater gegenüber sein fatales Geheimnis wahrte – Rose mußte auf jeden Fall über ihn klar sehen, ehe sie sich ihm öffentlich angelobte.

Rose! – Eine peinigende Sorge und Angst überkam ihn bei dem Gedanken, der Geliebten die schwere Beichte ablegen zu müssen! Wie würde sie ihre Händchen aus den seinen reißen! Wie trotzig und empört ihn aus zornigen Augen anblitzen und ihm beleidigt den Rücken kehren! – Er hatte in den ersten Tagen ein paarmal unfreiwillig Gelegenheit gehabt, zu beobachten, wie Salome bei jeder Kleinigkeit ihrem Mann gegenüber die Verletzte und Beleidigte spielte – ach ... und eine solche Szene mit Rose –!

Das Herz tat ihm weh bei diesem Gedanken. Aber Rose war ein vernünftiges Mädchen und liebte ihn! Sie würde ja nicht ewig zürnen, sie würde sich nicht hartnäckig und störrisch jeder Zusprache verschließen, sie würde ihn anhören, würde seiner Versicherung, daß er es niemals böse gemeint, daß er ein übermütiger und kecker Wandergesell, aber kein frivoler Verächter weiblicher Würde gewesen, endlich glauben und ihm verzeihen! Einen Kampf mochte es freilich geben, aber durch den Kampf würde er auch zum Sieg gelangen, Rose liebte ihn ja!

Wann aber sollte er ihr beichten? Sie hatten verabredet, daß Joachim morgen vormittag bei den Eltern anhalten solle. Vorher aber muß er sich um jeden Preis mit der Geliebten aussprechen. Die wackere kleine Landwirtin stand ja jeden Morgen zwischen Tau und Tag schon auf, sie kontrollierte die Mägde beim Melken in den Ställen.

Auch Joachim liebte die Morgenstunde, und er würde morgen früh nicht die konventionelle Zeit abwarten, um Rose im Garten zu begrüßen, sondern sie diesmal sehr zeitig überraschen, und sie dem Holländer abspenstig machen.

Ach, wäre diese saure Stunde doch erst überstanden! Das Herz wurde ihm schwer, wenn er an die zürnende kleine Braut dachte. Er liebte das Schmollen nicht, jede Szene war ihm unsympathisch – aber was half es, das waren eben die Dornen an der Rose, die man um der holden Königin willen doch gern mit in den Kauf nahm. Er hatte stets gehört, daß die jungen Mädchen und jungen Frauen gern zürnen, um versöhnt zu werden, daß ihre Streitlust meistens Koketterie ist, den Mann stets von neuem als Sklave mit Rosenketten zu binden – cosi fan tutte! – Wie sollte Rose anders sein?

Langsam, bangen Zweifel im Herzen, schritt Joachim zum Hause zurück und kam just recht, als Wulf die Flurlampen auslöschen wollte.

 

So klar wie nachts der Mond geschienen, so strahlend hell und wolkenlos stieg die Sonne über den dunklen Waldstreifen des Horizontes empor. Joachim stand bereits am Fenster und blickte ihr sehnsüchtig entgegen.

»Wach auf, du goldnes Morgenlicht, und grüße meine Braut! Daß sie des Himmels Seligkeit in Rosenwölkchen schaut!« – So jauchzte es durch seine Seele, und doch lag es wie ein zarter Nebelschleier der Bangigkeit über all dem Hoffen und Seligsein – der Gedanke an den ersten, unausbleiblichen Streit mit ihr! Aber er hatte sich in Gedanken schon alles zurechtgelegt, wie er sie begütigen und besänftigen, wie er ganz innig und zärtlich jeden ihrer Vorwürfe durch Liebe allem entwaffnen wollte.

Horch, im Hause wurde es auch schon lebendig. Man hörte Türen knarren, in der Küche drunten rasselte man am Herde. Auch auf dem Hof regte es sich. Die Hähne hatten sich bereits sattgekräht, jetzt knallten Peitschen und Wagen rollten – die Hofhunde begrüßten ihre Freunde durch lebhaftes Bellen. – Im Garten schallten lachende Stimmen – Feldarbeiterinnen mit kurzgeschürzten Röcken und nackten Füßen wanderten wohlgemut durch das taunasse Gras der Pforte zu.

Nun würde er nicht mehr lange auf Rose zu warten haben. Richtig, ihr Fenster klappte schon auf, die würzige wonnevoll reine Morgenluft einströmen zu lassen.

Joachims Herz wallte auf. Wie fleißig, wie tüchtig war sie! – Zur Gutsfrau geboren. – Seine Rose!

Ach, wäre nur erst die nächste Stunde vorüber! Voll Ungeduld griff er nach dem Hut und trat leise auf den Flur – nach wenigen Minuten schritt er über den Hof nach den Ställen – kehrte auf dem halben Wege um und holte sich erst im Garten die schönste Rose für aller Rosen Königin.

»Achim ... du schon hier?« Wie ein leise zitternder Aufschrei der Wonne hallte es ihm entgegen, als er im Wirtschaftshof auf und nieder wandelte und der Geliebten mit Augen, aus denen das Entzücken leuchtete, entgegenschaute.

Da kam sie ihm entgegen im rosenfarbenen Kattunkleidchen und mit der weißen Latzschürze, frisch, blühend, strahlend in jungem Glück.

Er preßte ihre Hand in der seinen, er flüsterte ihr tausend zärtliche Worte zu. »Laß die Leute heut allein fertig werden, Herzlieb! – Komm in den Garten!« bat er.

Sie schüttelte schalkhaft das Köpfchen. »Nach getaner Arbeit ist gut ruhen!« lachte sie, »es dauert ja nicht lang!«

Nicht lang! Ihm deuchte es eine Ewigkeit. – Die Stalltür nach der Gartenseite stand offen. Die schmalen Gemüsebeete des Nutzlandes dehnten sich davor aus. – Joachim ertrug es nicht, unter so vielen beobachtenden Augen mit der Braut gleichgültig zu verkehren. Er trat in den Sonnenschein hinaus, und besichtigte die Beete. – »Rose, sehen Sie mal die Radieschen an!« rief er zurück.

»Hat Zeit!« neckte sie.

Endlich, endlich konnte sie abkommen. Sie trat zu ihm heraus und wollte sich wirklich über jedes Radieschen einzeln freuen!

»Wir wollen mal nach den Gurken im Mistbeet sehen!« rief er und eilte mit Riesenschritten vorwärts, sie vermochte kaum so schnell zu folgen und lachte immer mit tiefen Grübchen in den Wangen vor sich hin.

Endlich allein und unbeobachtet! – Die Sonne, die noch nichts davon erfahren, was sich während ihrer Abwesenheit bei der nachlässigen Beaufsichtigung des Mondes ereignet hatte, war starr über das Benehmen der sonst so schüchternen Leute.

– Sie küßten sich! – Und wie! – Als ob sie wochenlang gehungert hätten und gar nicht satt werden könnten! Neugierig lugte sie mit ihren goldensten Strahlen durch die Blütenzweige und lauschte.

»Eine Beichte? Du hast mir etwas zu beichten?« lachte das junge Mädchen, immer noch ein wenig verlegen in ihrer neuen Rolle als Bräutchen, »aha daher deine Ungeduld und die frühe Visite im Kuhstall! Nun, du böser Mensch, hast du noch Schlimmeres verbrochen, als wie einem armen, harmlosen Mädel das Herz zu stehlen?«

Da faßte er jählings ihre Hände. »Rose –« sagte er, und es schien, als müßte er gewaltsam etwas im Halse herunterwürgen, »Rose ... sieh mich einmal an, ganz genau an!«

Sie lachte noch mehr und blickte ihm zärtlich in die Augen. »Ja – du bist bildhübsch! Willst du das hören?«

»Nein. – Fällt dir keine Ähnlichkeit auf?«

Sie sah erstaunter aus.

»Eine Ähnlichkeit?«

»Ja, eine Ähnlichkeit! Besinne dich!«

Sie schüttelte zweifelnd das Köpfchen: »Ich wüßte wahrlich nicht, mit wem!«

Einen Augenblick schien er schwer mit sich zu kämpfen, dann wandte er plötzlich den Kopf halb zur Seite, und plötzlich – Rose läßt vor Schreck beide Arme wie gelähmt herabsinken – ertönte ganz leise zwischen Achims Zähnen hervor das Locken und Schlagen einer Nachtigall, derselben Nachtigall, die sie ehemals an der hohen Sonne zu dem graumosigen Felsgestein jenseits des Straßengrabens gelockt hatte!

»Achim!« schrie sie auf und dann wandte sie ihn hastig an den Schultern herum und starrte ihm mit weit offenen Augen abermals in das Gesicht. »Das warst du? ... du?« stammelte sie fassungslos.

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Mit beiden Armen preßte er sie stürmisch an sich. »Ja, ich war es, Herzlieb! Gott sei es geklagt! Böse war es nicht gemeint, und doch zürnst du mir und willst mir zur Strafe das Herz brechen und mir nie verzeihen! – Rose, liebe, liebe Rose – ich will ja jede Strafe geduldig auf mich nehmen, sage mir nur, daß du mir endlich doch wieder gut sein willst!«

Sie rang sich aus seinem Arm frei und er hielt sie voll banger Qual nur desto fester.

»Nein, ich lasse dich nicht!« murmelte er.

Da lachte sie so hell auf, daß er ganz erschrocken die Arme löst. – Sie lachte? – Ein Lachen höchster Bitterkeit und Trotzes? Nein, sie lachte so lieb und herzig wie je zuvor. Zwar war sie sehr, sehr rot geworden, und, die Bestürzung schaute ihr noch aus den Augen, aber sie strich hochaufatmend die wirren Haare glatt und sah weder zornig noch trotzig noch streitsüchtig aus.

»Du unser Feind aus Thüringen?« wiederholte sie mit bebenden Lippen, »bin ich denn nur blind gewesen, dich nicht sofort wiederzuerkennen?« – Und dann reichte sie ihm plötzlich beide Hände entgegen und blickte ihm voll in die Augen. »Du Schlingel, mir so arg mitzuspielen! Wie war es aber nur möglich, daß wir uns alle so sehr in dir täuschen konnten, daß ich dich, den ich nun am liebsten auf Gottes weiter Welt habe, nur jemals eine Sekunde lang voll kindischer Torheit hassen konnte?!«

Er stand wie ein Trunkener und starrte ihr fassungslos in das liebe, freundlich gute Kindergesicht. Hatte er sie wahrlich recht verstanden? – War das ihre Anwort auf seine Beichte? – Diese Worte voll Liebe und Zärtlichkeit, während er so ganz anderes erwartet hatte?

Wie ein schwindelnder Rausch des Entzückens überkam es ihn. Ihm war, als ginge ein Lichtstrom von der Geliebten aus, der ihm Augen, Herz und Seele blendete. – Da empfand er zum erstenmal den vollen heiligen Zauber, den Frauengüte und Milde auf einen Mann ausüben, den unerklärlich holden Zauber, der das Weib in seinen Augen mit Engelsschwingen schmückt, den Zauber, vor dem der Mann sich willig beugt, gleich wie vor höherer Macht, den er nie voll begreifen kann, wohl aber voll dankbarer, heiß entzückter Liebe als seligstes Gnadengeschenk preist, »Und du bist mir wahrlich nicht böse?« fragte er noch einmal leise, als müßte er sich vollkommen versichern.

Da lachte sie abermals, legte ihren Arm in den seinen und schritt langsam mit ihm weiter in die blühende Gotteswelt hinein.

»Wie sollte ich wohl so närrisch sein?« scherzte sie, »die Nachtigall ist doch immer eine Künderin seligen Lenzes!«

»Du lieber – lieber Engel du! – Wahrlich, Rose, wenn du mir in dieser Stunde nicht zürnst, dann wirst du es niemals tun! – Und ich Narr zitterte vor dieser Beichte, weil ich fürchtete, sie würde mir viel bitteres Herzeleid bescheren!«

»Das glaubtest du jetzt noch, nachdem ich dir doch schon gesagt hatte, daß ich dich liebhabe?«

»Konnte meine Beichte diese Liebe nicht im alten Groll sterben lassen?«

Sie sah plötzlich sehr ernst aus. »Nein, Herzliebster, das konnte sie nicht – und hätte sie es getan, so wäre es ein Glück für dich gewesen, denn eine so kleinliche und schwache Liebe, die nicht einmal em törichtes Vorurteil überwinden kann, wäre viel zu arm und schlecht für dich gewesen. Habe ich es denn nicht unbewußt längst eingesehen und erkannt, daß ich dir, ehemals Unrecht tat? – Ich haßte in dem Unbekannten einen frivolen Spötter, der mich und meinen Vater zur Zielscheibe seiner kecken Scherze erkoren und uns dadurch beleidigte, nun entpuppt sich dieser Sünder just als der, den ich von ganzem Herzen lieben, schätzen und verehren lernte, und ich dächte, dieses letztere Urteil wäre wohl das erprobtere und richtigere. Wir beide verstehen uns ja – es kann sich jetzt kein Groll und Mißtrauen mehr zwischen uns drängen, mein Joachim – aber Papa! – Ach, erst setzt kommt mir der Gedanke an ihn!«

»Du glaubst auch, daß dein Vater weniger milde und versöhnlich sein würde als du?« seufzte der junge Mann schwer auf.

Rose blieb erschrocken stehen und hob wie beschwörend die Hände. »Achim – du willst ihm doch etwa nicht auch beichten?!«

»Muß ich es nicht ehrlicherweise?!«

Sie schüttelte energisch das Köpfchen. »Nein, unser Lebensglück ist zu heilig, um es einer Laune opfern zu dürfen; Vater hat dich noch nicht annähernd so kennengelernt wie ich und würde fraglos seinen Unwillen größer sein lassen als seine Nachsicht. – Ich weiß, wie starr er in seinen Ansichten ist, wie fest und zähe er an einem Vorurteil hält. Du würdest zeitlebens vergeblich um seine Liebe und Freundschaft werben!«

»Aber er ist doch so gut und freundlich gegen mich!«

»Weil er ahnungslos ist. Du hörst, wie sehr er noch nach dem Missetäter forscht!«

»Und wenn er mich entdeckt?«

»Das ist kaum anzunehmen! Sollte es später ein fataler Zufall fügen, nun, so hast du dich als Schwiegersohn, so Gott will, schon so sehr seiner Liebe versichert, daß er alsdann um unseres Glückes willen gern verzeiht. Sind wir in unserer Ehe glücklich geworden, strafen wir ja seine Graphologie Lügen!«

»Du hast recht – Zeit gewonnen, alles gewonnen!«

»Meine zerschossene Hand bewahrt mich ja vor dem handschriftlichen Examen!«

»Weißt du was? Wir gehen zuerst zu Mutterchen und besprechen die ganze Angelegenheit mit ihr, was sie uns alsdann rät, ist fraglos das richtige!«

»Wie denkt sie eigentlich über den Ruhlaer Sünder?«

»So lieb und nachsichtig, wie sie alle Menschen beurteilt! Sie hat uns von Anfang an ausgelacht, daß wir harmlosen Übermut so tragisch genommen haben.«

»Welch eine ideale Frau! Nur sie konnte eine Tochter wie dich erziehen, du allerliebster Schatz! Aber seltsam, sonst fürchten sich die Männer meistens vor der Schwiegermutter – ich mache eine Ausnahme und zittere vor dem Schwiegerpapa!«

»Ganz wie Siegfried! – Mit Mama verstand er sich von jeher vortrefflich und mit Vater absolut nicht!«

»Gut, schreiben wir an die ›Fliegenden Blätter‹, daß künftighin alle bösen Schwiegermütter in lauter Schwiegerväter umgeändert werden!«

»Diese Umwälzung der Verhältnisse hat sich vielleicht das zwanzigste Jahrhundert vorbehalten!«

»Sicherlich, dann ist die Frau am Ruder, bekleidet Staatsämter, drillt Rekruten und fährt zur See – der Mann aber sitzt mit dem Strickstrumpf beim Kochtopf und artet naturgemäß zur Schwiegermutter aus!«

Lachend und glückselig, alle Sorge in den Wind schlagend, wanderten sie auf großen Umwegen nach dem Hause zurück. Dort wachten soeben erst die städtischen Langschläfer auf, und ahnten gar nicht, wieviel Gold die Morgenstunde im Munde hat – lauter Dukatengold, aus dem die Trauringe geschmiedet werden!

 

Wieder trank man den Kaffee auf der Veranda. Die Post war bereits gekommen, und Herr von Welfen griff schmunzelnd nach verschiedenen Briefen, die seine Adresse trugen.

»Aha! Da hätten wir ja die verehrten Herren Reflektanten!« – sagte er vergnüglich. »Lauter eigene Handschriften! Na Kinder, diesmal sollt ihr mit eurem Diener nicht hereinfallen!«

»Oh – Väterchen, der hier ist mit einem Schwefelholz geschrieben!« lachte Rose, »was für wunderliche Krakelfüße! Aber dieser hier! Sieh, der ist hübsch geschrieben!«

»So?! Wirklich, du kleine Jungfer Weisheit?« höhnte der Graphologe, beide Schreiben eifrig durch die Brille studierend, »na, da sieht man ja am allerbesten, wie der Schein trügt! Hier der Schwefelholzmann ... Jochen Klüsing ... oder Brüsing ... bedienstet gewesen als zweiter Kutscher bei dem Oberamtmann Maltow auf Krossin, Kreis Lübben, hat Servieren und Aufwarten gelernt, wird bestens empfohlen von seiner Herrschaft, schickt auf Wunsch Originalzeugnis ein – 28 Jahre alt, ehrlich, zuverlässig – geschickt und anstellig ...«

»Hm ... lobt sich selber?«

»Gewiß, muß es doch tun, da er das Zeugnis noch nicht hat! – Ja, dieser Jochen Brüsing schreibt eine klare, ruhige Schrift. Will mal meine Bücher zu Rate ziehen – entschuldigt mich solange!«

Er stand auf und ging. Ziemlich schweigsam harrte man seiner Rückkehr. Das Ehepaar Born schien sich neuerdings gezankt zu haben, sie waren beide schlechter Laune und sprachen kaum, Rose und Joachim sahen zwar desto strahlender und glücklicher aus, aber sie sprachen auch nicht viel, und nur Vetter Eylau, der prachtvoll geschlafen hatte, und Frau von Welfen, die stets gleichmäßig liebenswürdig, trugen die Kosten der Unterhaltung.

Endlich erschien der Major wieder in der Tür. Er sah stolz erregt und sichtlich hochbefriedigt aus.

»Der Schwefelholzmann wird engagiert!« sagte er mit Nachdruck, »ein vortrefflicher Kerl. Alle nur denkbar guten Eigenschaften garantiert seine Schrift. Aber der andere hier, der nur höchst lakonisch schreibt: »Ich, August Friedberg, geboren 22. März 1850, bei Herrn Baron von Grahl auf Groß- Schmettow bedienstet, bitte mich mit meinem Zeugnis persönlich der Herrschaft vorstellen zu können!« – Dieser Kerl mit der langen schräggestellten Schrift, taugt in Grund und Boden nichts! Da seht mal her! Verstellungskunst – Lüge ... Brutalität – Egoismus bis zur Dieberei – Sinnlichkeit, Hang zur Verschwendung – Unmäßigkeit, also fraglos Trunksucht ... Na, vor diesem Herrn August möge uns Gott bewahren! Gewiß ein recht unverschämter roher Patron, mit listig verschlagener Galgenphysiognomie und schleichendem Wesen – na, auf den, Kinder, reflektieren wir keinesfalls! Schade, daß wir nicht mit den alten Schmettowern verkehren – so ein kränkliches, greisenhaftes Pärchen hat selbstverständlich gegen solch einen Kerl nicht aufkommen können ... na ... Bachmann? Heda, wen bringen Sie denn da?«

Bachmann trat, die Mütze in der Hand, an die Treppe der Veranda; hinter ihm, weiter ab im Garten, stand ein großer, rüstiger Mann in ehrerbietiger Haltung.

»Verzeihen Herr Major ... da meldet sich der Kutscher aus Schmettow und bittet, sich der gnädigen Herrschaft vorstellen zu dürfen!«

Alle Köpfe wandten sich wie elektrisiert dem Genannten zu.

»Wie? August Friedberg? ... Der da? ... hm – soll näher treten!« –- brummte der Major und fügte leise hinzu: »Laßt euch nicht irremachen, Kinder, der Kerl ist ein Heuchler!«

August Friedberg schritt stramm herzu. Aller Augen hafteten auf ihm, dennoch wurde er nicht verlegen. Ruhig und sicher stieg er die Treppe empor.

»Aber Papa – der sieht ja fabelhaft nett aus!« flüsterte Rose, und die kleine Tafelrunde nickte Beifall.

Der übel beleumundete Kutscher aus Schmettow blickte mit gutherzigen, treuen Augen um sich. Sein glattrasiertes Gesicht sah frisch und gesund aus, bescheiden, ernst und freundlich im Ausdruck. Es lag beinahe etwas Würdiges in dem Wesen und Aussehen des alternden Mannes.

»Hm ... Sie sind der Kutscher aus Schmettow?«

»Befehl, Herr Major.«

»Warum verlassen Sie Ihren Dienst?«

»Die Herrschaft ist krank und alt geworden – da befahl der Herr Doktor, daß sie in wärmere Sonne müßten. Unser Herr Baron hat nun das Gut verpachtet; löst den Haushalt auf und reist nach Italien.«

Das klang so traurig und ernst, als würde es August Friedberg sehr schwer, sich an diesen Gedanken zu gewöhnen.

»Warum nimmt Sie der Herr Baron nicht mit?«

»Der Kammerdiener und die Jungfer, die besser die Pflege verstehen, sollen die Herrschaft begleiten. Wagen und Pferde werden ja verkauft ... und der Friedrich ist ja auch schon so sehr lange beim gnädigen Herrn!«

»Hm ... und wie lange sind Sie in Schmettow bedienstet?«

Die gutmütigen Augen des Sprechers wurden feucht. »Es sind nun im letzten Herbst dreißig Jahre gewesen, Herr Major –-« eine allgemeine Bewegung der kleinen Tischrunde! – »als fünfzehnjähriger Junge kam ich dermalen schon in den Pferdestall, und Anno 70 schickte mich der Herr Baron nach Berlin, wo ich als Freiwilliger im Regiment bei unserem jungen Herrn Leutnant eintrat. Ich sollte ein Auge auf ihn haben – und ... na, der liebe Herrgott hat es mir ja auch beschieden, daß ich ihn bei St. Privat aus dem Feuer tragen konnte – er hatte zwei Schüsse wegbekommen. Dann wollte der junge Herr mich bei sich behalten, und ich habe ihn mit pflegen dürfen, bis ihn nach fünf Jahren der himmlische Vater doch noch zu sich nahm – die Kopfwunde wollte nicht heilen, da gab es schließlich Gehirnerweichung.«

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Die Stimme des Mannes zitterte, er schluckte ein paarmal und fuhr ruhig fort: »Nun wird alles anders in Schmettow, und das Majorat fällt einst an den Vetter des Herrn. Da bleibe ich nicht gern in der entfremdeten Heimat, bin auch noch rüstig und mag noch nicht auf der faulen Haut liegen.«

»Sind Sie verheiratet?«

»Ich bin Witwer, gnädige Frau. Mein Junge ist zwölf Jahre alt.«

Born hatte das Zeugnis und den Brief des Barons gelesen, der demselben beigefügt war.

»Herr von Grahl hat Ihnen einen Gnadenlohn ausgesetzt, den Sie auch fernerhin beziehen?«

»Ja, Herr Landrat – um des jungen Herrn willen, der in meinen Armen starb.«

»Sie werden ganz außerordentlich gelobt in dem Zeugnis!«

»Die Herrschaft war so gut zu mir.« Er sagte es leise, wieder zitterte seine Stimme, und die kummervolle Linie zwischen den Brauen vertiefte sich.

»Sie haben eine gute Schulbildung genossen?« – fragte Welfen, der sich immer unruhiger auf seinem Stuhl hin und her bewegte.

Da wurde August Friedberg dunkelrot. »Halten zu Gnaden, Herr Major, aber ... ehrlich heraus ... nein, das habe ich nicht.«

»Sie schreiben aber eine recht geläufige Schrift?« Da senkte der Gefragte das Haupt tief zur Brust. »Nehmen Sie es nicht ungnädig, Herr Major, ich kann nicht schreiben und auch nur Gedrucktes lesen!«

»Wie? Was?! Und dieser Brief hier?!«

»Der Herr Major befahlen schriftliche Antwort« – stotterte der Mann sehr verlegen, »und da ich doch nicht selber schreiben konnte, ging ich zu dem Herrn Kantor und bat ihn ...«

Die Zuhörer suchten zwar den Lachreiz zu ersticken, der Major aber warf sich auf seinen Stuhl zurück und bog sich vor Vergnügen, und die Umsitzenden sekundierten ihn nach Kräften. Dann aber faßte sich der Landrat, zog den verblüfften August in den Gartensalon und engagierte ihn dort mit den freundlichsten und anerkennendsten Worten als seinen Diener.

Der kleine Vorfall hatte große Heiterkeit erregt. Der Major triumphierte und war wieder obenauf. »Meine Graphologie ist dennoch unfehlbar!« rief er, den Krakeelbusch erregt über der Stirn sträubend, »die hübsche Konduite, die ich dem braven August vorhin ausstellte – gilt also dem Herrn Kantor! Donnerwetter ja! Da reite ich expreß einmal nach Schmettow, um den Tartüff kennenzulernen!«

Frau Dora, Rose und Achim wechselten einen schnellen Blick; diese günstige Stimmung mußte benutzt werden.

Als Welfen sich erhob, eine »Friedenspfeife« nach dem Schrecken zu holen, stand Joachim auf und folgte, nachdem er seiner Rose verstohlen die Hand gedrückt, dem künftigen Schwiegerpapa, um dessen Jawort zu erbitten. Es dauerte auch gar nicht lange, da kehrte Achim mit hochgerötetem Antlitz zurück, warf sich erregt auf den Stuhl nieder, faßte die Hände von Frau von Welfen und Rose, und rief, in der Aufregung die Anwesenheit der anderen ganz vergessend: »Mutter! – Rose! – Er gibt sein Jawort, aber zuvor will er meine Handschrift sehen!«

Abermals große, stürmische Erregung. Ein Fragen, Lachen, Jubeln, Gratulieren! Borns vergaßen all ihre schlechte Laune und bestürmten das »verratene Brautpaar« mit tausend Fragen.

Da blieb Frau von Welfen nichts anderes übrig, als ihnen und Eylau die Lage der Dinge à discretion mitzuteilen.

»Und Ihre Schrift will er sehen?« lachte der Landrat, »ja zum Teufel, Schilling, wie wollen Sie denn mit Ihrem Handfragment noch Manuskripte schreiben?«

Joachim strich sich mit dem Taschentuch über die glühende Stirn: »Da dies leider unmöglich ist, verlangt er eine Schriftprobe aus früherer Zeit!« stöhnte er auf.

»Na, famos!« nickte Eylau, »dann suchen Sie eine recht sauber gemalte Examenarbeit raus und legen sie dem Gestrengen vor, denn wenn Sie nicht vor seiner Kritik bestehen, erklärt er womöglich, ›der Mensch ist kein voller Schilling, höchstens ein Six Pence, und um so niedere Münze verhandle ich meine Tochter nicht!‹«

Allgemeines Gelächter, nur Achim und Rose blickten sehr nachdenklich und kummervoll darein.

»Selbstverständlich, Joachim! Irgendein aller Brief oder dergleichen wird sich schon finden!«

»Unmöglich ... der Major darf meine Schrift unter keinen Umständen sehen!« stieß Schilling gepreßt durch die Zähne.

»Nanu? Warum denn nicht? Schreiben Sie etwa ähnlich wie der sündhafte Kantor?!«

Tiefes, trostloses Schweigen, plötzlich schluchzte Rose ganz verzweifelt auf: »Ach wenn ihr wüßtet!!«

»Was denn? Was? – Mama ... Tante ... du weißt es! Bitte schenkt uns reinen Wein ein! ›Halbpart, Kamerad, dann will ich schweigen‹!« – schwirrten die Stimmen durcheinander.

Frau von Welfen blickte fragend auf Achim, dieser nickte seufzend, und Frau Dora erzählte der staunenden Runde, welch ein Wolf sich in Joachims Schafpelz verberge!

»Der Bösewicht aus Ruhla?! Alle neun Donner!!«

»Joachim – Sie sind der Heißgehaßte, Langgesuchte? Grundgütiger! Dann darf Vater allerdings nie Ihre Handschrift zu Gesicht bekommen!«

»Schilling! Mensch? Sie haben das schöne Eselsgedicht verfaßt! Göttlicher! Wo ist Lorbeer für solch eine lyrische Muse!!«

»Nun bitte keine schlechten Witze mehr, sondern beraten, wie wir dem armen Pärchen helfen können!«

Joachim schlang mit tiefem Seufzer den Arm um Rose, und diese lehnte das Köpfchen mit tränengefüllten Augen an seine Brust.

»Nun sieh einer diesen Notstand der vereinigten Landwirte!« schmunzelte Eylau, »wenn man eine Photographie dieser armen Agrarier an den Reichstag schicken könnte, ich wette zehn gegen eins – alles Elend hätte bald ein Ende!«

»Du bist ein herzloser Spötter, Männe!!«

»Ich? Im Gegenteil. Wie sehr mir die Not der Liebenden zu Herzen geht, will ich euch sofort beweisen, indem ich einen rettenden Vorschlag mache!«

»Rede, mein Goldjunge!«

»Eylau – ich lasse Sie aus Dankbarkeit in bester Süßsahnenbutter braten!«

»Na – dann hört, Kinder. Ich reise morgen nach Berlin zurück. Dort beordere ich meine sämtlichen Freunde zu mir. Allen diktiere ich einen Brief an ›Herzensliebste Mama‹ – datiert aus Achims ehemaliger Garnison, mit irgendeinem recht netten, solid und brav gedachten Inhalt. Unterschrieben – ›dein getreuer Achim.‹ – Diese sämtlichen Schriftstücke schleppe ich zu einem Graphologen, deren es so verschiedene in Berlin gibt, lasse die schönste und vielversprechendste Schrift aus allen heraussuchen und überantworte euch alsdann das wichtige Aktenstück zur gefälligen Benutzung! Na – räche ich mich nicht edel für die sechs Stunden Isolierzelle??«

Großer Jubel, lebhafte Anerkennung folgte dem Vorschlag, nur Schilling blickte Frau von Welfen ernsthaft an und schüttelte den Kopf. »Nein, das darf ich nicht wagen!«

»Sie allerdings dürfen es nicht, lieber Achim!« lächelte ihm Frau Dora gütig zu, »denn das würde allzusehr gegen den Respekt sein, aber ich habe einen ähnlichen Plan wie Männe, nur weniger kühn, und hoffe euch mit diesem zu Hilfe zu kommen. Einen Versuch müssen wir allerdings noch machen, Papa zu bestimmen, von der Schriftprobe abzusehen; beharrt er jedoch auf seinem Willen und wird mit seiner fixen Idee eurem Glück gefährlich, nun, so steht mir als Frau und Mutter schon eher das Recht zu, dem Schicksal zu Hilfe zu kommen!«

»Hurra! Mutterchen soll leben! Die beste, liebenswürdigste Schwiegermama der Welt!« jubelten Born und Eylau, Achim aber faßte ihre Hände und drückte sie innig an seine Lippen, dieweil Rose mit strahlendem Gesichtchen die Arme um ihren Nacken schlang und flüsterte: »Ich wußte es ja, du liebe, liebe Herzensmama, daß du uns helfen würdest!«

»Still! Tante Sidonie und Miß Dolly kehren von der Morgenpromenade zurück!«

Born raffte die Zeitungen zusammen. »Um alles in der Welt schafft ihr die schlechten Kritiken über ihr unsterbliches Werk aus den Augen, sonst können wir die böse Laune wieder ausbauen!«

»Schlechte Kritiken? Alle Wetter ja – schimpft man über die Naturgeschichte der Käsemaden?«

»Und wie! – Die eingeschlafenen Paviansdamen sind glänzend rehabilitiert!!«

 


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