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XXV

Selten hatte in dem kleinen Familienkreise eine so übermütige Laune geherrscht wie an diesem Abend. Der Doktor, der sich selbstverständlich der Tafelrunde als Gast angeschlossen hatte und den so böse mitgenommenen Referendar im geheimen weiter beobachtete, konnte den Anwesenden nur stets von neuem zuflüstern, daß Herr von Eylau zwar ein wenig nervös, aber in geistiger Beziehung durchaus gesund und zurechnungsfähig sei.

Da schlug dem Major das Gewissen immer heftiger und machte ihn splendid. Eine Masche nach der andern wanderte aus dem Keller herauf, und als er Wulf sogar befahl, die spitzen Kelchgläser aufzustellen, und mit fröhlichem Schmunzeln sagte: »Nun wollen wir mal auf Männes ganz spezielles Wohl trinken!« da wurde die Stimmung ganz ausgelassen, so daß Joachim behauptete, nun müsse auch noch nach dem Leierkasten ein Tischwalzer getanzt werden.

Dies Vergnügen deuchte aber den älteren Herrschaften zu anstrengend und heiß, und Frau von Welfen schlug anstatt dessen vor, den köstlichen Mondschein zu benutzen und noch hinaus in den blühenden Park zu wandeln, eine Idee, die allgemeinen Anklang fand und lebhaft gebilligt ward.

In der Küche braute Mamsell auf »hohen Befehl« ebenfalls eine Maibowle für all die schwer geängstigten Gemüter, die der Stärkung nach, dem heillosen Schrecken bedurften. Es ging drunten bald ebenso lustig her wie droben im Eßzimmer, und durch die geöffneten Souterrainfenster hallten und jubelten die Stimmen, bald in schmetterndem Gelächter, bald in Gesang, der nach Gewohnheit der vergnügten Deutschen meist recht wehmütig klang und höchst unvermittelt von dem »Mühlrad im stillen Grunde« zu dem »kleinen Muckenbold« übersprang.

Miß Dolly, welche laut ihrer eignen Versicherung »ein sähr ein merkwürdiges Kopf« nach dem vielen Anstoßen bekommen hatte, konnte es sich nicht versagen, heimlich an das Küchenfenster zu schleichen und darin eine aufgeblasene Tüte abzuknallen, was unglaublichen Effekt erzielte.

Sie verspätete sich über diesen Scherz etwas, so daß die andere Gesellschaft einen kleinen Vorsprung in den Park gewann.

Mißchen hatte den Speisesaal an Roses Arm verlassen, und Frau von Welfen war darum ganz beruhigt über ihre Jüngste, die wohl behütet in der Obhut der Engländerin an Joachims Seite in dem dämmernden Garten wandeln würde. Aber wie gesagt, Mißchen bekam übermütige Gelüste, und Rose und Joachim schritten unter heiterem Geplauder allein in die Anlagen hinein. Zuerst gingen Salome und der Doktor vor ihnen her, dann bogen diese links ab, während das junge Pärchen geradeaus schritt.

Anfänglich hielt die fröhliche Weinlaune an. Sie lachten und scherzten weiter, und die frische, balsamische Nachtluft strich kosend über die heißen Gesichter und all die kleinen Liebeselfen flogen neckisch herzu und spannen im Mondlicht viele Tausende feiner Silberfäden zu einem Netzchen, und das warfen sie über die beiden Menschenkinder und zogen die Maschen zusammen – immer fester, immer dichter, unzerreißbarer – ein süßer, geheimnisvoller Zauber lindduftiger Maiennacht, der nicht wieder voneinander läßt, was er einmal verbunden.

Die Unterhaltung stockte allmählich. Rose blieb stehen und schaute mit großen, leuchtenden Augen umher. »Wie schön ist's doch!« – sagte sie aus tiefster Brust heraus, »solch einen Abend lernen die armen Stadtmenschen doch niemals kennen!«

»Nein, er ist ein Vorrecht von uns einsamen Landleuten!« nickte Achim, aber er sah dabei nicht in den silbernen Glanz, in die taufrische Blütenpracht der Zweige, sondern nur voll innigen Entzückens in ihr junges, lichtverklärtes Angesicht.

Es wurde ihm gar seltsam zumute. Er, der übermütige, kecke Brausekopf, der das Leben selten feierlich ernst nahm, er fühlte, wie sein Herz weit und groß wurde, so voll von Sehnsucht und Liebe, daß es hätte zerspringen mögen.

Wie ein Rausch himmelanstürmender Wonne erfaßte es ihn, und doch konnte er nicht, wie er wohl gemocht hätte, die Arme jubelnd um die Geliebte schlingen, sie in ungestümer küssender Werbung zu eigen zu nehmen – es lag etwas so Reines, heilig Keusches in diesem mondbeglänzten Mädchengesicht, daß es ihm ganz andächtig zumute wurde wie in der Kirche. Da forderte der Idealismus bei der Jugend sein Recht, da senkte sich das verlorene Paradies wieder sekundenlang auf die Welt herab und erfüllte die jungen Seelen mit dem heiligen Liebeszauber, in dem einzig und allein noch der Gottesfunken glüht, der ehemals Himmel und Erde in Glückseligkeit verschmolz.

Welch eine Poesie in diesem süßen Schauern! Welch ein Entzücken, dieses Herzklopfen, dieses atemlose Bangen und Beben vor dem entscheidenden Wort, welche nie geahnte Wonne es auszukosten in seligem Alleinsein!

Sie schwiegen beide – und dann begegnete sich ihr Blick. Sie wandte das Köpfchen jählings zur Seite und schritt weiter. »Wir sind ja irre gegangen! Die andern sind dort drüben!« sagte sie beklommen.

Da nahm er ihre Hand in die seine – ganz zaghaft, auch er war befangen – zum erstenmal im Leben. »Wie schön Salome singt!« – sagte er, »als ob sie meine Gedanken ausspräche! – Verstehen Sie es, Rose?«

Sie wollte ihre Hand zurückziehen: »Gewiß, ich kenne ja das Lied!«

»Es blinkt der Tau in den Gräsern der Nacht,
Der Mond steigt herauf in stiller Pracht –«

»Wir beide wandeln inmitten ...«

»Rose! Eilen Sie doch nicht so ... ich ... ich habe Ihnen ja so viel zu sagen!«

Sie zögerte ein wenig und senkte das Köpfchen sehr tief. Ihre Hand zitterte. – »Sie haben mir etwas zu sagen?« wiederholte sie wie im Traum.

»So viel ... ach – so viel, Rose! Wollen Sie mich hören?«

Sie nickte nur – sprechen konnte sie nicht – und doch hätte sie reden und antworten müssen, jetzt gleich, ehe er Worte gesagt, die sie eigentlich gar nicht anhören durfte. Sie wollte doch nicht heiraten! Sie hatte es sich so fest vorgenommen und es stets versichert – und nun? – Ach, wie anders war es doch mit ihr geworden, seit Joachim ins Haus gekommen. Da waren all die guten Vorsätze geschmolzen wie Butter an der Sonne.

Konnte es aber auch anders sein? Nein, Joachim war ja auch anders als alle anderen Männer, die ihr jemals zuvor begegneten. Mit ihm harmonierte sie vollkommen, seine Interessen waren die ihren, seine Liebhabereien teilte auch sie; sie würden gewiß niemals solch törichten Streit miteinander haben wie Borns, und sicherlich nicht so eigensinnig in entgegengesetzte Bahnen drängen wie Siegfried und Salome, die eigentlich in nichts recht zusammenpassen! Schon allein die seltsame Verlobung der Schwester! Sie hatte Rose nie gefallen, denn sie entbehrte all der schönen würdevollen Feierlichkeit, wie sie einst der Mutter und Großmutter Verlöbnis geweiht hatte. Und das fiel dem jungen Mädchen just in diesem Augenblick ein. Hatte Mama nicht so oft gesagt: »Vor allen Dingen muß man einen Mann ordentlich ausreden lassen, wenn er seinen Antrag macht! – Großmutter hatte mit zitternden Fingern eine viertel Elle Klingelzug gestickt, dieweil ihr herzliebster Fritz ihr seine Liebe gestanden.«

Und so muß es sein zwischen ehrbaren jungen Leuten!

Dies empfand Rose ganz besonders in diesem Augenblick, wo ihr Herzchen zum Zerspringen klopfte in der seligen Gewißheit: »Nun wird er dir sagen, daß du seine Frau werden sollst!«

Wie feierlich, wie würdevoll wurde es ihr in diesem ernsten Augenblick zumute. Ja, er soll ausreden, sie will nicht voreilig unterbrechen, nicht mit einem Wort ihm entgegenkommen, sondern sittsam wie Großmutter und Mutter dem Antrag lauschen und dem Freier zeigen, daß sie es nicht so eilig mit dem Jawort hat, wie ehemals Salome.

»Darf ich sprechen? Wollen Sie mich hören?« hatte er mit leiser, stockender Stimme gefragt, und Rose nickte ein stummes Ja, setzte sich beklommen auf der Bank unter dem Flieder nieder und legte die Händchen andächtig im Schoß zusammen, als solle sie photographiert werden. Sie hatte leider keinen Klingelzug zum Sticken.

»Rose!« flüsterte er, an ihrer Seite Platz nehmend, unwillich von ihrer Feierlichkeit angesteckt. »Ich habe schon seit Tagen keine Rast und Ruhe mehr. Es drängt mich, Ihnen alles zu sagen, was mir im Herzen lebt und glüht! Aber braucht es wirklich erst der Worte? Liebe, süße, kleine Rose – nicht wahr, du ahnst es ja längst, wie es um mich armen Gesellen steht, und du wirst dich meiner erbarmen und mich erhören?«

Er rückte näher und faßte leidenschaftlich ihre Hände. Die aber lagen wie angenagelt in ihrem Schoß.

»Bitte reden Sie weiter!« hauchte sie mit tiefgesenktem Köpfchen, als er eine kleine Pause machte.

Er wollte lachen, aber er konnte es nicht, weil sie so merkwürdig ernst war. »Aha, sie will eine regelrechte Liebeserklärung!« dachte er und wurde bei diesem Gedanken ein klein wenig verlegen, denn er wußte nicht recht, was er noch alles sagen sollte, und er hätte sie viel lieber in den Arm nehmen und küssen mögen, aber dennoch respektierte er ihr so reizend ehrbares Benehmen, das ihr so ganz besonders gut zu Gesicht stand.

»Als ich Sie zuerst sah ... ich meine, als ich dich zuerst erblickte, herzliche Rose, da hast du gleich einen so tiefen, unerklärlich tiefen Eindruck auf mich gemacht, daß ich mich, ehrlich gestanden, gar nicht gegen den Zauber gewehrt habe, den du so verhängnisvoll auf mich ausübtest! Ich gab mich voll und ganz dem heilig süßen Entzücken hin, zum erstenmal zu lieben! – Rose ... meine einzig holde, goldige Rose –!« Und er wollte den Arm um sie legen und alles weitere in Küssen sagen – aber das junge Mädchen rückte zitternd von ihm ab, bis in die Blütenzweige und den vollen Mondglanz hinein, senkte die Wimpern tief über die Augen und flüsterte mit traumhaft seligem Lächeln: »Ach bitte ... reden Sie weiter!«

Wie hätte er in diesem Augenblick nicht weiter reden können!

Das Reden halten in ernsterem Sinne war ihm zwar stets recht schwer gefallen, und er hätte gerade in diesem Augenblick alles andere lieber getan, als Phrasen zu drechseln, aber Rose schien besonderen Wert auf eine gut stilisierte Liebeserklärung zu legen, und so fuhr er denn, alle seine poetischen Reminiszenzen wachrufend, fort:

»Sieh Rose, es ist zwar noch nicht der wunderschöne Monat Mai, aber dennoch singen alle Vöglein, und dennoch ist in meinem Herzen die Liebe aufgegangen. Und was alle Blumen duften, was alle Sterne glückselig von fernem, traumhaftem Glück verheißen, was die Nachtigall jauchzt – du meine Seele, du mein Herz, du meine Wonne, du mein Schmerz, du meine Welt in der ich lebe – das klingt mir von den Lippen in zitterndem Bekennen: Ich liebe dich!«

Er war vor ihr niedergesunken; um dieser doch fraglos schönen Liebeserklärung den nötigen Nachdruck zu verleihen, nahm er Roses Hände und bedeckte sie mit heißen Küssen. »Rose – und was antwortest du darauf?!«

»Ach bitte – reden Sie weiter!« – rang es sich wie ein zitternder Jubellaut von ihren Lippen.

Ganz entsetzt blickte er zu ihr auf. » Noch mehr reden? Aber lieber, süßer Herzensschatz –«

»Ach bitte bleiben Sie knien und reden Sie aus!« – flehte sie – aber sie preßte unwillkürlich seine Hände dabei an ihr Herz.

»Ja, was soll ich denn noch sagen, einziges Lieb?« flüsterte er, »daß ich dich liebe, weißt du, daß du das glücklichste, angebetetste kleine Weibchen unter der Sonne werden sollst, glaubst du mir gewiß, daß ich dich auf den Händen tragen, dich als liebstes Kleinod behüten und wert halten will, bedarf keiner Versicherung! Und nun erbarme dich, sage mir, daß du mir auch ein wenig gut bist, daß du mein eigen sein willst, und Rose ... liebe kleine Braut – gib mir endlich einen Kuß!«

»Ja ... das darf ich doch erst, wenn Sie ... wenn du ausgeredet hast, lieber Achim!«

»Herzblättchen, jetzt habe ich aber wahrhaftig ausgeredet!«

»Wirklich? Ganz und gar? – Gott sei Dank! – Das viele Sprechen hat mich ganz schwindlig gemacht – ach Achim, lieber, allerbester Achim – dich will ich haben und keinen anderen auf der Welt!«

»Rose! Meine Rose!« und er sprang auf, saß eins, zwei, drei neben ihr, nahm ihr Köpfchen zwischen seine Hände und küßte das heiße, strahlende Kindergesicht. Sie schlang die Arme um ihn und schmiegte sich fest an seine Brust – und die Fliederdolden nickten über ihnen und dufteten so berauschend wie noch nie, und ein Nachtfalter flog daher, und die Mondesstrahlen glitzerten im Tau.

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Nun redeten sie eine ganze Weile gar nichts – es war still wie in der Kirche, nur von fern her klang Salomes Stimme:

»Ach wie war's möglich dann,
Daß ich dich lassen kann!
Hab' dich von Herzen lieb –
Das glaube mir!«

»Rose ...« flüsterte er – »hörst du's? – Hab' dich von Herzen lieb – das glaube mir!«

Sie legte ihm das Händchen auf den Mund. – »Still, still!« sagte sie hastig, »nun brauchst du ja nicht mehr zu reden!«

Er lachte: »Ei Schatz ... hörst du es denn nicht gern?« »Nein, Achim – mir dünken alle Worte arm und inhaltlos gegen die unbeschreibliche Wonne, die mein Herz durchbebt!«

»Und dennoch hießest du mich immer weiter sprechen?«

»Ach ... es mußte doch sein! – Um der guten Sitte willen!«

Da lachte er, daß es fernhin im Park wiederklang. »Das hätte ich wissen sollen!! Warte, Schelm, nun habe ich mich aber auch für lange Zeit ausgesprochen!!«

»Ich hoffe es, Achim!« – Sie blickte ihn neckisch an: »Für unsere moderne Zeit passen die langen Liebeserklärungen nicht mehr, sie klingen so unnatürlich, und man wird wirklich ganz ungeduldig, bis sie zu Ende kommen! Warum hast du eigentlich so viel von Mai ... Sternen ... Blumen ... Seele ... Herz ... Glück gesprochen? – Das wissen wir ja alles viel besser im Herzen ... ich dachte, du hättest darüber reden sollen, wie wir die große Holländerei auf deinem Gute einrichten wollen, und ob ich mich wohl dazu eignen würde, einem so großen Haushalt vorzustehen, ob ich vernünftig, sparsam, praktisch genug sei, um eine tüchtige Gutsfrau zu werden! Daß wir uns beide so recht von Herzen innig lieb haben, das wissen wir doch längst, ob wir aber nuch füreinander passen, das hätten wir wohl erst besprechen müssen!«

Er zog sie zärtlich an die Brust. »Was sich liebt, paßt stets zusammen!«

»Siegfried und Salome sagen doch auch, sie lieben sich, und dabei zanken sie sich so viel!«

»Sie waren nicht vernünftig genug, um den ersten Streit zu vermeiden,« scherzte er, »hätten sie's getan, bliebe ewiger Frieden!«

»Wir zanken uns niemals, nicht wahr, Achim?«

»Niemals. Ich wüßte gar nicht weswegen.«

»Und wer doch einmal Streit anfangen sollte –«

»Der ist das Karnickel und hat unrecht!«

»Es darf also nie zu einem ersten Zank kommen?«

»Nein, dann kommt es auch nie zu einem letzten!«

Zwischendurch küßten sie sich wieder und immer wieder. Sie hatten sich sehr, sehr lieb; aber sie blieben trotzdem mit beiden Füßen auf der Erde stehen und verschmähten die bunten Flügel, die die Schwärmerei und Illusion den Liebespaaren verleiht, damit sie hoch über die Vernunft hinaus in einem siebenten Himmel schweben, aus dem sie nach den Flitterwochen naturgemäß herabstürzen müssen – denn jedweder junge Hausstand ist auf der Erde gebaut.

»Nun will ich dir noch etwas sagen, Herzlieb, ich muß dir etwas beichten!« sagte er leise, ganz leise.

Sie sah ihm in die Augen und lachte: »Das einzige Verbrechen, das Papa an dir tadelt, daß du nicht schreiben kannst –? – das weiß ich ja langst und heirate dich in gutem Vertrauen auch ohne Schriftprobe!«

»Nein, Rose, das nicht – –«

» Dearest Miß Rose! ... Wo seien Sie hinversteckt?!« rief es plötzlich dicht neben ihnen.

»Pst – ganz feierlich und fremd getan! Sie darf nichts merken, ehe wir das Jawort der Eltern erhalten haben!« flüsterte das junge Mädchen, stand hastig auf und strich ihr Haar glatt, dann noch einen schnellen, hastigen Kuß, und Achim und Fräulein Rose wanderten in ernstem Gespräch über Wert oder Unwert der rationellen Drainage den Kiesweg entlang, auf dem Miß Dolly sie atemlos einholte und versicherte, daß sie schon den halben Park nach ihnen abgepirscht habe!

Nach lebhaftem Wiedersehen auf der Veranda, sagte man sich bald, wie auf dem Lande üblich, ein frühzeitiges Gutenacht.

Vetter Eylau hatte ein angemessenes Logierzimmer erhalten, das die Mägde unter weinseligem Gekichere, in fröhlichster Rückerinnerung an die Speiseaufzugfahrt des gnädigen Herrn, besonders behaglich eingerichtet hatten. Der reuezerknirschte Bachmann, der es schwer empfand, die Gartenspritze auf einen Unschuldigen gerichtet zu haben, schleppte einen großen Strauß Frühlingsblumen herzu, die dem Referendar ein stummes » Peccavi!« entgegendufteten.

Die Herren geleiteten den schwer geprüften Gast unter kühnsten Rezitativen aus dem Nachtlager von Granada, feierlich singend in sein Gemach, und Vetter Männe legte nunmehr sein Haupt ungebadet auf trockene Kissen zur Ruhe.

Er schlief sanft und süß, in dem beseligenden Gefühl, daß sein Schatten Tassot sich heute nacht, sicher bewacht von Frau Nemesis, kein Eisenbahnbillett nach Feldheim lösen konnte. Das erfüllte ihn mit unendlicher Genugtuung, und um solch freudiger Nachricht willen hatte er gern ein paar Stunden unfreiwillig den wilden Mann gespielt!

Der Landrat, dessen Heiterkeit etwas gewaltsam gewesen, kehrte eilig nach der Terrasse zurück und setzte sich, seiner Gewohnheit gemäß, noch ein halbes Stündchen zur Lampe, um die Zeitung durchzusehen.

Salome hatte den Eltern und Rose gute Nacht gesagt; sie schaute noch einmal durch die Tür, sah ihren Mann und trat näher, sich ihm schweigend gegenüberzusetzen.

Born starrte mit bewölkter Stirn auf die Abendausgabe des Feldheimer Intelligenz-Blattes nieder, dennoch empfand er es, wie der Blick seiner Frau forschend, schalkhaft, schier unverwandt auf ihm ruhte.

Was hatte sie vor? –- Ihr seltsames Benehmen erhöhte die Unruhe, in die ihn der unerklärliche Brief mit den empörenden Anschuldigungen versetzt hatte. Da fiel sein Blick auf eine fettgedruckte Annonce, dieselbe, die der Major hatte einrücken lassen.

»Sucht Vater einen Diener?« fragte er überrascht.

Salome lehnte gelassen in ihrem Sessel. »Ja, für uns!«

»Für uns? – Wie kommt er dazu?«

»Nun – wir gebrauchen doch einen neuen!«

»Ist das Vaters Sache, sich darum zu kümmern?« brauste Siegfried erregt auf. »Was soll das heißen, daß er sich schon wieder in unsere Angelegenheiten mischt?«

Salome blieb außergewöhnlich ruhig. »Aber, bester Schatz, so sei ihm doch dankbar, wenn er dir diese Sorge abnimmt!« lächelte sie.

»Nein! Ich bin ihm nicht dankbar! Ich verbitte mir diese ewige, ununterbrochene Einmischung in unsere Angelegenheiten! Vor allen Leuten uns zu bevormunden, als wäre ich ein Kretin oder ein dummer Junge! Da heißt es in der ganzen Welt, die Schwiegermutter wäre das böse Element im Hause ihrer Kinder – aber Gott sei es geklagt, es gibt Schwiegerväter, die noch schlimmer sind!«

Salome erhob sich, trat an den Sessel und legte den Arm um den Nacken ihres Mannes. Sie sah nicht pikiert und streitlustig aus wie sonst; mit reizendem Lächeln blickte sie ihm in die Augen.

»Wie kannst du gleich so heftig sein, Siegfried! Ich bitte dich! – Es gilt ja Vater hauptsächlich darum, die betreffenden Handschriften zu deuten! Laß ihm doch diesen Scherz! Er hat keine andere Zerstreuung auf dem Lande hier! – Siegfried – lieber, bester Mann, mir zuliebe fange keinen Streit darüber mit Papa an! Hörst du? – Versprich es mir – mir zuliebe!«

Wie sie ihn ansah! Welche Weichheit, welche Milde in Stimme und Wesen! Ihm wurde es glühend heiß um das Herz.

»Nein – ich fange gewiß nicht an« – brummte er, ihrem Blick ausweichend, »mir ist jeder Zank greulich, obwohl es wirklich kaum noch zu ertragen ist –«

Sie schmiegte sich noch zärtlicher an ihn. »Wir kehren ja schon bald heim – in unser eigen Nestchen ... und du sollst sehen, Liebster, Papa wird in Zukunft unsern Frieden nicht mehr stören! – Siegfried, es ist so herrlich im Park – möchtest du nicht noch einmal mit mir durch den Mondschein gehen?«

Aha! Die kleine Sirene! Sie versuchte alle Zauberkünste, seinen starren Sinn zu beugen, sie wollte ihren Willen durchsetzen, sie wollte den Löwen ducken ... und Mondschein und lyrische Frühlingsstimmung sollten ihr helfen, den unzufriedenen und entnüchterten Mann wieder als blinden Sklaven und willenlosen Liebhaber vor ihre Füße zu zwingen.

Er durchschaute ihre Absicht und lächelte bitter. »Wozu das?« fragte er achselzuckend, »meine Gesellschaft dürfte dir mit der Zeit langweilig geworden sein.«

Ihre Augen leuchteten auf. Der Brief! Der Brief! Er tat seine Schuldigkeit; das Fünkchen Eifersucht wollte zur Flamme wachsen.

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Sie lachte. »Je nun – versuchen wir, uns in schönere Zeiten zurückzuversetzen! Wir sind hier so ganz aufeinander angewiesen, daß wir miteinander fürlieb nehmen müssen!«

Er blickte sie scharf an. »Wirklich, müssen wir das?« Frauen waren stets sehr erfinderisch, wenn sie eine kleine Komödie spielen wollten! Und jählings ihre Hand fassend und sie in der seinen pressend, fragte er unvermittelt: »Sieh mir in die Augen, Salome! Du hast ein Geheimnis vor mir!«

So wollte sie es haben! Jetzt war die Stunde gekommen, ihn für all seine Kälte und Hartherzigkeit zu strafen, ihr Herz jubelte auf in übermütiger Lust. Aber sie senkte jäh betroffen die Augen und stammelte wie verwirrt: »Du weißt?« – Sie dachte dabei an die Küche und ihre Geheimnisse und freute sich ihrer Schalkheit.

Er zuckte zusammen und wurde blaß. Dann gab er ihre Hand frei und sagt kalt: »Nein – ich weiß von nichts und interessiere mich auch nicht für deine Geheimnisse. Behalte sie für dich.«

Das hatte sie nicht erwartet. Der alte Trotz erwachte, sie warf den Kopf in den Nacken. »Ich glaube allerdings, daß ich sie für mich behalte – und sehe es leider zu spät ein, wie viele Liebe und Mühe und Demut ich an dich verschwendet habe!« stieß sie erregt hervor.

»Demut!« Er lachte leise, ingrimmig, spöttisch.

Tränen traten in ihre Augen. Nein, bei Gott, er liebte sie nicht mehr, alles war Irrtum, alles Täuschung, und um ihn –- ihn – hatte sie unter qualvoller Selbstüberwindung – Kochen gelernt! –- Sie wandte ihm den Rücken und schritt zur Tür. Droben in ihrem Zimmerchen aber weinte sie bitterlich. Noch nie hatte sie ihren Mann so geliebt wie in dieser Stunde, wo er sie so unverdient gekränkt hatte. Wirklich unverdient? – Das überlegte sie nicht; Bitterkeit, verletzte Eitelkeit und Trotz kämpften in ihrem Herzen, in dem jungen, kindischen Herzen, das sich selber so viele Qualen schuf und so mühselig nach dem rechten Wege suchen mußte. Soll sie diesem herzlosen Tyrannen gegenüber wirklich klein beigeben und sich seinem Starrsinn gegenüber zur Magd erniedrigen? Nein! – Lieber sterben. –

Er verdiente es nicht – er liebte sie ja nicht, es war ihm ja ganz gleichgültig, ob sie ein Geheimnis vor ihm hatte oder nicht! – Nein! – Er sollte es nicht erfahren, daß seine Frau ihm zu Gefallen Kochen lernte – niemals.

Siegfried saß drunten auf der Veranda, stützte die brennende Stirn in die Hände und seufzte aus tiefstem Herzensgrunde. Wie liebte er seine kleine Frau! Welche Seligkeit hatte ihn durchschauert, als sie nach so langer Zeit ein zärtliches Wort, einen bezaubernden Blick für ihn hatte – wie namenlos schwer war es ihm geworden, sich zu beherrschen und sein Herz hinter Kälte und Gleichgültigkeit zu verstecken! Um des Prinzips willen! Er wollte seine Erziehungsmethode durchführen. Würde sie jemals glücken und Sieg verheißen? Nein, niemals. Sein Glück war in Trümmern zerschlagen. Er strebte nach rechts und sie nach links. Was konnte sie wieder zusammenführen? – Nichts, denn er als Mann darf sich nicht beugen.

 


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