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XII.

Die Mondstrahlen fielen durch das geöffnete Fenster und übergossen die duftenden Blumen, welche auf dem Tisch standen, mit träumerischem Licht.

Josef schlief nicht.

Er drückte Augen und Lippen auf die kühlen, sammtweichen Blütenblätter, als könne er mit ihnen die fieberische Glut löschen, welche Leib und Seele zu verzehren drohte.

War denn sein Leben wahrlich nichts anderes, als wie ein unaufhörlicher Kampf, ein Ringen mit finsteren Schicksalsmächten? Gab es für ihn nichts anderes, als hin- und hergeschleudert zu werden, als ein verzweifeltes steuerloses Treiben auf hoher Flut?

Zum Unglück geboren!

Die Nornen, welche seinen Lebensfaden spannen, haben ihn mit Thränen genetzt!

Was ihm heute auf der Alp wie eine wonnig-wehe Ahnung durch die Seele schauerte, wird ihm in den stillen Stunden der Nacht, wo sein Herz offen vor ihm liegt. wie ein Geheimnis, von welchem Meisterhände die Siegel gelöst, zur furchtbaren Gewißheit. Er liebt Charitas.

Die Traumgestalt, welcher er aus dieser nüchternen, kaltherzigen Welt nie zu begegnen glaubte, ist Fleisch und Blut geworden, hat seinen Weg gekreuzt und ihm mit den so traurigen Liedern die Sehnsucht und die Liebe in das Herz gesungen. Warum kam sie nicht früher? Warum winkt sie ihm mit weißen Händen an das Ufer, wo seines Glücks, seiner Hoffnung Gräber stehen? Zu spät! Zwischen ihnen braust ein dunkler Strom, der reißt zu Grunde, wer den Rückweg über ihn erzwingen will.

Er murmelt die Worte mit blassen Lippen und schüttelt doch selber ungläubig das Haupt dazu. Nein, noch ist es nicht zu spät zur Umkehr, wenn er wollte, so könnte er noch zurück.

Aber er darf nicht wollen. Er darf nicht an seiner Ehrenhaftigkeit zum Verräter werden. Soll er sein eigenes Lebensglück auf den Trümmern all jener Hoffnungen aufbauen, welche durch seines Stiefvaters Schuld vernichtet wurden?

Soll er über das Elend anderer dahin schreiten zur Glückseligkeit?

Die Einkünfte von Lichtenhagen hat er an Mutter und Bruder abgetreten. Er ist arm, welch ein Los, welch eine Heimat kann er der Geliebten bieten?

Und würde ihr Besitz in Wahrheit ein Glück sein? Er, mit der ewigen, qualvollen Unruhe des Herzens, mit dem unbefriedigten Sinn, mit den nagenden Zweifeln und der grüblerischen Gewissenspein, kann er thatsächlich Ruhe an einem Weiberherzen finden, wenn die Unrast ihn abermals zum Wankelmütigen gemacht? Welch eine Beschämung, wenn er wieder den Beruf wechselt, wenn er das Priesterkleid nach einer kurzen Probezeit von sich wirft, als habe es nur gegolten, sich mit ihm für einen Mummenschanz zu putzen?

Josef preßt mit bitterem Lächeln die Lippen zusammen und läßt das Haupt müde auf die Brust sinken. Nein, es gibt keine Umkehr mehr! Sein verfehltes Leben ist abgeschlossen.

Was soll er thun?

Der Gefahr, welche er erkannt, entfliehen?

Ja, er muß es, – damit das Maß seiner Leiden voll werde.

Er darf Charitas nicht mehr sehen, – er wird einen Vorwand suchen, baldmöglichst abzureisen.

In den kühlen, dämmerigen Klosterhallen wird er auch diesen einzigen Sonnenstrahl, welcher sein Leben erhellte, vergessen.

Wie stark – wie süß die Blumen duften! Welch eine Sprache weht auf balsamischen Wogen ihm entgegen!

O, er versteht sie – und sein Herz schreit wild auf unter der Qual dieses Verstehens. –

Da erkennt er erst, mit wie tiefen, unlöslichen Wurzeln die Liebe es schon durchzogen hat.

Nein – er darf sie nicht mehr sehen, die leuchtenden Augensterne, welche den Weg zur Heimat zeigen, er bleibt ein Fremdling – überall. –

Und die Mondstrahlen weichen traurig zurück von dem blassen, friedlosen Männergesicht, und huschen hinein in ein anderes Stübchen, durch welches auch ein seiner Blumenduft zieht, wie träumerischer Hauch der Wehmut.

Eine blaue Genzianenblüte und ein paar Geißblattzweige neigen sich matt und welkend über den Rand des Wasserglases.

Die heiße, erbarmungslose Männerhand hat sie zu gewaltsam fest umschlossen, hat mit den Gluten, welche sie ausströmte, ihr junges Mark versengt. Sie sterben an der Leidenschaft, welche ihn durchzitterte.

Männer sollen keine Blumen pflücken, – sie morden die Zarten, Lieblichen.

Nun hauchen sie sterbend ihre Seele aus, – selbst das Wasser, welches in dieser schwülen Sommernacht keine Frische kennt, kann die Welkenden nicht neu erquicken. Sie vergehen wie Hoffnungen und Träume.

Und neben ihnen, auf weißen Kissen, liegt ein Mädchenhaupt in tiefem Schlaf.

Träume weben ihre Schleier über sie hin, aber sie wehen nicht wie rosige Wölkchen voll Licht und Glanz, sie senken sich schwer, schwer aus das Herz der Schläferin.

Wie ein Seufzer bebt es über die Lippen und an den dunklen Wimpern glänzt es feucht. – Sie träumt von einem jungen Priester, der Ruhe und Frieden im Kloster sucht, dort eine Schuld zu sühnen hat und die Liebe nicht kennen darf, zu seinem und zu ihrem Heil! –

 

Er wollte sie nicht wiedersehn, – und als die Stunde kam, wo er sonst leichtfüßig bergan geeilt war, die köstlichste Zeit seines Lebens zu genießen, da faßte es ihn mit übermächtiger Gewalt und zwang ihn hinaus in die wallenden Nebel. – Er wollte stark sein, aber er war schwach, er wollte ankämpfen gegen die Versuchung, aber sie war stärker als er.

Und eine Stimme flüsterte in ihm, die klang so überzeugend und wahr, daß sie nicht des bösen Geistes sein konnte.

Warum willst du dir selber unnötigerweise die harmlose Freude kürzen, diese einzige Blüte, welche dein armes Leben getragen, vorzeitig entblättern? Ist es eine Sünde, wenn du mit Charitas plauderst und dir an ihren treuen Worten die Seele erquickst?

Du liebst sie? – Ist diese Liebe eine Schuld? Du trägst sie geheim im Herzen. Charitas ahnt sie nicht.

Und ob ich dich liebe – was gehts dich an?

Du liebst sie wie die Sonne am Himmel, welche dich mit goldenem Strahl belebt, – du liebst sie wie das singende Vöglein im Gezweig, welchem du mit Entzücken lauschest, ohne räuberisch die Hände nach ihm zu heben.

Ist solche Liebe eine Schuld?

Nein, sie ist eine ernste, heilige Sabbatzeit des Herzens, welche es läutert und verklärt.

Die leise, freundliche Stimme hatte recht,

Josef folgte ihr. Wo die Morgennebel wie weißer Dampf aus dem See emporstiegen, wallten und wogten, wie die Wassermassen einer Sündflut, welche das blühende Land zu seinen Füßen verschlungen, – stand er und blickte ungeduldig den Pfad hinab, welchen sie kommen mußte. Nur seine letzte, kurze Windung war zu sehen, sie lag einsam und still, und der lichte Brodem wehte in feinen Silberstreisen über sie hin.

War er zu früh gekommen?

Im Wald ist's still, die Vogelkehlchen schweigen, bis es gilt, die ersten Sonnenstrahlen, welche sich durch den Nebel kämpften, jubelnd zu grüßen, – Josef schreitet ruhelos aus und nieder.

Und wenn sie heute nicht kommt?

Der Gedanke hat etwas Quälendes, er deucht ihm geradezu unerträglich.

So sehr hat er sich schon an ihre Anwesenheit gewöhnt, so unentbehrlich ist ihm das lächelnde, liebe Mädchenantlitz schon geworden?

Er schüttelt – als wolle er sich vor seinen eigenen Gedanken entschuldigen, den Kopf.

Es ist die Umgebung, welche bei Schritt und Tritt an sie gemahnt, wo jeder Baum, jeder Felsstein an ihre liebliche Erscheinung erinnert.

Kehrt er in die altgewohnten Verhältnisse, in die graue, eintönige Ferne zurück, so wird diese Sehnsucht und Unruhe verschwinden, ebenso wie die Alpenfirnen hinter ihm versinken und verschwinden werden.

Endlich hört er ihren Schritt und er wendet sich, als müsse er ihr – wie von lastender Sorge erlöst – entgegenstürmen.

Aber er beherrscht sich, langsamen Schrittes, gewohnten Gruß winkend, tritt er an den Abhang.

Da taucht ihre schlanke Gestalt aus dem Nebel auf, umwogt von weißen Duftschleiern, welche bräutlich hüllend von ihrem Köpfchen niederwehen.

Weiß in Weiß.

Wie die spukhafte Gestalt der schönen Königin Bertha, welche mit flatternden Schleiern durch das Land zieht, weiße Tücher über den Weg spannt und den Wanderer in die Irre lockt. Wie oft hat er diesem holden Märchen als Kind gelauscht, wenn er an der Wärterin Seite an dem Fenster stand und nicht begriff, daß plötzlich alle Wolken herniedergefallen waren, die Bäume im Garten zu verhüllen.

»Sie sind wirklich hier oben?« lacht sie schon von weiten. »Welch ein sträflicher Leichtsinn! Wissen Sie nicht, daß es ein übel Ding für einen jungen Mann ist, bei Nebel auf die Berge zu steigen?«

Er hält ihre Hand in der seinen.

»Ist die tückische Königin Bertha auch hier zu Lande zu Haus?«

»Königin Bertha? Ah richtig, ich entsinne mich, auch von diesem schönen Nebelspuk gehört zu haben. Aber nein, ich glaube, die hat zu viel in unserer nordischen Heimat zu thun, um auch noch Abstecher nach dem Genfer See zu machen. Die Alpenwelt hat ihre eigenen Geister, und da die Hexen und Zwerge zu solch ungewohnter Zeit ihre Süpplein kochen, so mußten sie wohl etwas ganz besonderes im Schilde führen.«

»Die kleinen Gesellen sind böse, daß Fräulein Reckwitz seit einiger Zeit keine Lieder mehr singt, sondern ihre Zeit an einen fremden Egoisten verschwendet!«

Charitas streicht über das Haar, an dessen Löckchen die Tauperlchen blinken, wie in einem Spinnennetz. Sie zieht den breitrandigen Hut etwas tiefer in die Stirn, daß Stirn und Augen beschattet sind.

»Ich glaube nicht, daß die Heinzelmännchen so sehr musikliebend sind, und wer über unterirdische Gänge zum Hörselberg fährt, ist wohl berauschendere Weisen gewöhnt, als wie ein paar alte Volkslieder, deren Lust und Leid nur dem Menschenherzen verständlich sind!« – Sie schritt gemächlich neben ihm her, den Waldpfad zu dem schönen Aussichtsfelsen entlang.

»So galt Ihre Besorgnis den Hexen, aus deren Revier wir gestern die Blumen stahlen? In diesem Falle sind Sie aber Mitschuldige, und ist Ihr Nebelspaziergang ebenso leichtsinnig wie der meine!«

»An uns Mädchen nehmen solche Spukgeister kein Interesse. Kennen Sie nicht die Sage von den Nebelfräulein, welche in den Bergen wohnen und die Männer hassen?«

»Nein, – aber ich würde sie unendlich gern kennen lernen!«

»Die Fräulein?«

Er lacht, »Nein; wer das Glück hat, mit Ihnen bekannt zu sein, Fräulein Charitas, verzichtet auf die Begegnung mit selbst den schönsten aller Huldinnen! Ich meinte die Sage!«

»Wie galant doch solch ein hochwürdiger Herr sein kann!« neckt sie und wendet sich etwas zur Seite, um den feuchten Kleidersaum zu schütteln, »Also die Sage! Da war einmal ein junger Alpjäger, der wollte bei Nebel zu Bergsteigen. Seine Mutter warnte ihn! ›Weißt du nicht, daß die weißen Fräulein heute ihre Schleier im Winde trocknen?‹ – Aber er verlachte den Spuk und scherzte: »Das könnte mir just gefallen, mir solch ein Feinslieb zu Thal zu holen. Ihre Händchen sind fein wie Wachs und die Perlenkronen auf ihrem Haupt viel tausend Thaler wert.« Und als er hinauskam an die Klamm, da sah er zwischen den Felsen ein Bergfräulein sitzen, so hold und bleich wie Schnee, – die webte einen Schleier, der lang hinabwallte zu Thal. Auf ihrem Haupt leuchtete die Perlenkrone, und bei deren Anblick erfaßte die Habgier des Jägers Herz, Er schlich sich behutsam hinzu, – sprang hinter dem Felsen vor und griff das Krönlein mit roher Hand, Das zerfloß wie Wassertropfen in seiner Hand, die Nebelfrau aber wandte das Antlitz und sah ihn an – mit Augen so dunkel und unergründlich tief, – so weh und todestraurig, daß dem kecken Räuber ein Eisesschauer durch Mark und Bein ging. – Vor seinen Blicken zerrann die Spukgestalt, – die Sonne brach durch die Wolken und der Nebelschleier zerriß in kleine Fetzen. – Der Jäger stieg blaß und still zu Thal und hatte von Stund an das Lachen verlernt. Der Blick der Nebelfrau hatte es ihm angethan, er verzehrte sich in Gram und Liebe zu ihr. – Als abermals die Nebel um die Bergfirnen wehten, nahm er seinen Stutzen und stieg empor. Er wollte sein bleiches Feinslieb gewinnen. Und richtig, sie saß wieder an dem Felsen und webte die silbernen, wogenden Nebelschleier. Voll glühender Leidenschaft wollte er sie fassen und halten, sie aber hatte ihn erblickt und floh voll Entsetzen vor ihm her. Sinnlos vor Sehnsucht nach ihren dunklen Geisteraugen stürmt er ihr nach, sie hebt die schneeigen Arme und stürzt sich voll Verzweiflung in den Abgrund. Der Jäger schreit auf und sinkt ihr nach in Tod und Verderben. Die Sonne flammte auf und traf die schwebende Gestalt des Bergfräuleins, und der Wind, ihr Todfeind, brauste aus der Kluft hervor, ihre Höhle aber war fern, sie konnte sich nicht retten vor ihnen, und so zerfloß ihr Körper in tausend kleine Tropfen, sie sanken als Nebeltau auf das Land. Die anderen Nebelfrauen weinten um die gemordete Schwester, und sie haßten die Männer, welche alles Unheil verschulden. Wehe dem, welcher bei wallenden Nebeln zu Berg steigt, die Huldinnen erscheinen ihm und lächeln und winken und locken ihn hinab in den Abgrund, an dessen Rand die Blume des Todes blüht.«

Charitas hatte leise gesprochen, jetzt schwieg sie und wies geheimnisvoll lächelnd nach den grünen Felsbildungen, welche sich über dunklem Tannenwald, jenseits des tiefen Thales, vor dessen wallenden Nebelmassen sie standen, erhoben.

Die Sonne kämpfte gegen die Dunstmassen und zwang sie hernieder, die Berghäupter tauchten wie Inseln aus hochwogender Flut empor, und um die Steinzinken, auf welche das junge Mädchen deutete, kräuselte es wie zartes Gewölk in wundersamen Gestaltungen, just als ob eine Schar bleicher Geister mit lang wehenden Gewändern an ihnen vorüber flöge.

»Sehen Sie die Bergfräulein? Wenn man von dem Wolf spricht, lauert er hinter der Hecke! Nun hüten Sie sich, in die dunkeln Augen zu schauen, sonst sind Sie rettungslos dem Zauber verfallen!«

Er lächelte seltsam. »Nehmen diese grausamen Huldinnen nicht auch zuweilen Menschengestalt an, um einsamen Wanderern auf den Alpmatten zu erscheinen? Mich deucht, es gibt auch im hellen Sonnenschein dunkle Augen, welche den Männern Ruhe und Frieden rauben!«

Wie er sie ansah! Er wollte wohl seinen Worten und Blicken nicht den Ausdruck geben, welchen sie unwillkürlich annahmen, es geschah unbewußt.

Einen Moment starrte ihn das junge Mädchen fassungslos an, dann hob sie das Köpschen ein wenig höher und stolzer auf den Nacken und fuhr ebenso harmlos wie zuvor fort.

»Nein, das geschieht nicht, es würde wenigstens dem Spuk alle Poesie nehmen, und die gehört dazu!«

»Wie das Krönlein aus blinkenden Thränentropfen! Glauben Sie wohl, daß es jene Felsen dort drüben waren, an welchen die Huldin ihre Schleier webte? Mich deucht, sie sitzt auch jetzt wieder und läßt es weiß zu Thale wehen!«

»Wohl möglich, daß der arme Jägersmann in die schwarzen Tannen hinabstürzte, um nie wieder fröhlich bergauf zu steigen!«

»Der arme Jägersmann?«

»Gewiß, der arme! Oder beklagen Sie ihn etwa nicht?«

»Nein!«

»Wie hartherzig!«

»Schlimmer als das! Sagen Sie: wie neidisch!«

»Neidisch?«

»Ja, ich beneide ihn, denn sein Schicksal war ein sehr glückliches und gnädiges.«

Charitas schüttelte staunend das Köpfchen und sah ihn fragend an, er aber blickte an ihr vorüber nach den dunkeln Tannen und fuhr mit herbem Klang in der Stimme fort: »Ist es nicht besser, solch seligen Liebestod zu sterben, als Jahre und aber lange Jahre ein ungestilltes Sehnen mit sich herum tragen zu müssen? Solch ein Herzeleid ist bitterer und tausendmal beklagenswerter als der schnelle Sturz in die Tiefe. Wehe einem jeden, den ein Bergfräulein mit dunklen, traurigen Augen um den Verstand brachte, und sich doch nicht erbarmte, solche Qualen zu enden.«

Das junge Mädchen fühlte, wie heiße, schwindelnde Glut in ihre Schlafe stieg. Mißversteht sie ihn, oder ist er plötzlich ein anderer geworden wie zuvor?

Sie wendet sich um, greift nach einem schlanken Lärchenästchen, welches graziös über den Weg hängt und schüttelt es, daß diamantener Tau aus sie niederfällt.

»Ich schlage vor, wir lassen die bösen Nebelfrauen jetzt allesamt am Sonnenschein schmelzen und gehen so schnell wie möglich nach der Printanière zurück, um uns trocken anzuziehen! Sehen Sie doch, wie feucht und schwer mein Kleid an mir herniederhängt, selbst die Haare sind zum Auswinden – –«

»Undine!« Sein Blick glitt langsam über sie hin. »Haben Sie so böse Erfahrungen hier droben auf der Welt gemacht, daß Sie so eilig wieder in den wogenden Nebelsee hinab tauchen wollen?«

Sie lachte etwas gewaltsam. »Ja, ich bin recht unzufrieden mit meinem Freund! Er sagt mir Schmeicheleien und ist weltschmerzlicher als je gestimmt, zwei Kapitalverbrechen, welche mich die Flucht ergreifen lassen!«

Er blickt sie mit zusammengezogenen Brauen an. »Und Sie sind so heiter! – so heiter und glückselig – daß –«

»Nun? vollenden Sie! Ich glaube gar, Sie sind auch jetzt wieder mißgünstig und verargen mir meine frohe Stimmung?«

Wie ein leidenschaftliches Aufflammen geht es durch seine Augen.

»Ja, ich verarge es Ihnen! Nicht aus Neid, wohl aber aus Egoismus! Wissen Sie nicht, daß Ihre strahlenden Augen, Ihr Lachen, Ihr Frohsinn, aus welchem der volle Glauben an Glück und Zukunft klingt, Sie mir entfremdet? In Ihrer Trauer waren Sie mir nah. Da zog das gemeinsame Leid und Sehnen seine Zauberkreise um uns, da gehörten wir einander zu, wie zwei Opfer, welche die dunkle Woge des Schicksals gemeinsam zu Grunde reißt! Ich war nicht mehr einsam – Sie waren nicht mehr verlassen wie zuvor, wir verstanden einander! Nun wenden Sie plötzlich das Haupt und schauen nach der lustigen, glückverheißenden Welt zurück. Die Zukunft winkt Ihnen, und Sie lachen ihr entgegen. Ich aber – ich bin einsamer als je zuvor.«

Er schwieg. Er hatte sie nicht angesehen, sein Blick schweifte ab und irrte über die ziehenden Nebel, und seine Stimme klang wie ein Echo des verzweifelten Kampfes, welcher seine Seele durchtobte.

Sie antwortete nicht, sie verschlang die Hände wie in ratloser Pein und neigte das Köpfchen tief, tief zur Brust.

Wie bitteres Weh zuckte es um seine Lippen. Sie schweigt! Sie hat keine Antwort, keinen Trost für die traurige Wahrheit.

Er wendet sich und will sich gewaltsam zu einem heitern Ton zwingen. Was verlangt er denn von ihr? – Ist er von Sinnen in seiner Herzensqual? Was hat ihr junges, blühendes Dasein mit seinem verfehlten Leben, mit seiner Klosterzukunft zu schaffen? Nichts! Nichts! Sein Herz ist ungerecht im Schmerz, wie dunkle Schatten des Wahnwitzes zieht es durch sein Hirn, denkt er an die Möglichkeit, daß sie ein anderes Glück im Leben findet.

Wie ein Aufstöhnen ringt es sich aus seiner Brust, er streicht mit der Hand über Stirn und Augen, er sieht sie an.

Und als sein Blick ihr holdes, plötzlich so bleiches Antlitz trifft, stockt ihm der Herzschlag, fliegt lohende Glut durch seine Adern und läßt ihn schwindeln.

Thränen tauen über ihre Wangen, heiße, unaufhaltsame Thränen! Und ein Ausdruck des Schmerzes bebt um ihre Lippen, – o, tausendmal beredter wie alle Worte, welche sie je zu sagen vermöchte.

»Charitas!« stammelt er und faßt jählings ihre bebende Hand und sie hebt die dunklen Wimpern und sieht ihn an.

»O wie ungerecht verurteilen Sie mich!« schluchzt sie leise; »Gott im Himmel weiß, was mich dieses Lachen kostet!«

»Charitas!« ringt es sich wie ein Schrei von seinen Lippen, er hört kaum, was sie flüstert, er sieht nur in ihre Augen und liest in ihrer Tiefe das wehe, süße Geheimnis ihrer Seele. Wie ein Rausch, ein Taumel namenloser Wonne erfaßt es ihn. Er sinkt an ihr nieder, er preßt sein Antlitz auf ihre Hand; er wiederholt nur das eine Wort, wie einen Laut unbeschreiblichen Entzückens: »Charitas! Charitas!«

Ihre bebende Hand streicht über sein Haupt, ihr Blick irrt wie in verzweifelndem Schuldbewußtsein zum Himmel und die weißen Nebelschleier wehen geheimnisvoll um sie her wie ein Brautschleier, welchen der Sturm zerfetzt hat ...

»Charitas, hast du mich lieb?«

Da hebt sie sein Antlitz und neigt das Haupt zu ihm nieder. Blick ruht in Blick.

»Ja, ich habe dich lieb, Josef! Gott sei es geklagt!«

Wie in heißem, leidenschaftlichem Flehen brennen ihr seine Lippen entgegen.

Da zuckt sie zusammen und ringt sich frei.

»Nie!« stößt sie kurz und fest hervor, »Dieser Augenblick war genug des Glücks und genug der Schuld!«

»Charitas, ach nur ein Wort!«

Sie weist voll bitteren Wehs auf sein priesterliches Kleid, ihre schlanke Gestalt ringt noch einmal wie in dem leidenschaftlichen Verlangen, sich in seine Arme zu stürzen, dann schlägt sie, wie erschaudernd vor sich selbst, die Hände vor das Antlitz und flieht wie eine lichte Nebelgestalt in das Wogen und Wallen hinein.

Der Abgrund gähnt zur Seite.

Wie leises, wundersames Locken von Geisterstimmen klingt es empor.

Josef hebt das Haupt und lauscht. Seine Augen bekommen einen fast überirdischen Glanz.

»Rufst du mich, junger Jäger?« –

Er tritt näher an den Abhang – immer näher, wie von unsichtbaren Gewalten gezogen. Es bröckelt und knirscht unter seinem Fuß und poltert, von Kante zu Kante springend, in die Tiefe.

»Rufst du zu seligem Liebestod?! – O selig, unseliges Sterben! –«

Die weißen Bahrtücher, welche durch die Luft flattern, schlingen sich um ihn und ziehen und ziehen ihn ... –

Da flammt ein goldener Blitz durch die Luft; wie ehemals die Dunkelheit, zerreißt er jetzt die gespenstigen Dunstschleier. Leuchtend in goldener Klarheit taucht das lachende Land vor seinen Blicken auf, wie durch gütige Feenhände hingezaubert.

Die Sonne funkelt am Himmel, der See strahlt ihr sieghaftes Bild wieder, und rechts und links zerstiebt der weiße Brodem, wie grausige Gedanken hinter einer Menschenstirn zerrinnen, wenn ein Strahl von Hoffnung und Liebe sie scheucht.

Wie geblendet starrt Josef in die Helle.

Kann ein einziger Augenblick die Erde so allmächtig verwandeln?

Herrgott, dich loben wir! –

Die Arme wie in sehnender Verzückung zum Himmel erhoben, weicht Josef von dem Abgrund zurück, sinkt nieder auf die Knie und weint Thränen seliger Erlösung.

 

Eine wundersame, tiefe Ruhe ist über den ehedem so qualvoll Erregten gekommen. Er sitzt über seinen Büchern und studiert. Zu dem Berge steigt er nicht mehr empor. Wenn die Morgensonne durch die Scheiben blickt, oder wenn sich die bläulich-violetten Schatten der Dämmerung über die Hänge breiten, tritt er wohl auf den Balkon und blickt empor mit stillem Gruß.

Sein Antlitz sieht wohl etwas bleich und übernächtigt aus, aber eine beinahe freudige Zuversicht und Ergebenheit verklärt es. Das Glück ist an ihm vorübergeschritten, so nahe, daß es seine bebende Hand fassen konnte; es hat mit zärtlichem Gruß über sein Haupt gestrichen und ihm freundlich zugenickt: »Ich gab dir alles, was ich dir geben konnte, – sei dankbar dafür!« – – Und er war es.

Charitas sah er nicht.

Manchmal klangen die schrillen, zankenden Stimmen des alten Ehepaars durch das offene Fenster und empörten ihn. Sein Herz blutete in dem Gedanken an die geliebte Dulderin. Einmal am Abend war es ihm, als sähe er eine weiße Frauengestalt an der Mauer, welche die Villa von der Straße trennt, lehnen. Er stand wie gebannt und umfaßte sie so lang und innig mit den Blicken, bis sie entschwand.

Ines lebte still und einsam auf ihrem verborgenen Balkon dahin; der Arzt war sehr zufrieden mit ihrem Befinden und sprach seine Überzeugung aus, daß Josefs Abreise unbeschadet erfolgen könne.

Und die Abreise war notwendig geworden, das Studium durfte außer den Ferien nicht unterbrochen werden, wie es jetzt bereits in diesem dringenden Falle geschehen war.

Er rüstete zum scheiden.

Und als er vor dem gepackten Koffer stand, überkam ihn eine namenlose, unbezwingliche Sehnsucht, Charitas Lebewohl zu sagen.

Noch einmal – zum letztenmal – empor in die Waldeseinsamkeit!

Einmal noch die teuren Stellen grüßen, ach, vielleicht zum letztenmal die Geliebte droben sehen!

Gesenkten Hauptes steigt er zwischen den nickenden Blüten und Halmen empor.

Wie still – wie grabesstill. Kaum daß ein Vöglein noch einmal im Gezweige auszwitschert.

Wie ist ihm sonst der Weg so kurz gewesen, wie fiel ihm das Steigen ehedem so leicht, – heute deucht ihm der Pfad ohne Ende, und er steht oft rastend still und atmet tief und mühsam auf, wie einer, welcher schwere Lasten trägt.

Endlich steht er droben an dem trauten Plätzchen, wo er zuerst die Einsamkeit gesucht, wo zuerst die süße Stimme der Geliebten den unerklärlichen Zauber auf ihn ausübte. Josef setzt sich nieder und stützt das Haupt in die Hand.

»O komm, Charitas! Noch einmal bin ich dir nahe! Noch bist du mir erreichbar, noch trennen uns nicht Berg und Thal und ewige Fernen! Fühlst und empfindest du es nicht, daß dich mein Herz voll herben Trennungsschmerzes ruft? – Du mußt es ahnen, du mußt es wissen, du bist eines Geistes und Sinnes mit mir!«

Horch – ist es ein Traum? Ein holder, bethörender Wahn?

Ganz wie damals klingt es zu ihm herüber, klagend in unaussprechlichem Leid, und doch ruhig ergeben, wie in tiefster Demut.

»Es ist bestimmt in Gottes Rat,
Daß man vom Liebsten, was man hat,
Muß scheiden!

Obwohl doch nichts im Lauf der Welt
Dem Herzen, ach, so sauer fällt,
Als scheiden!«

Josef preßt die Hände gegen die Brust, seine Augen schließen sich, jeder Laut, jeder Ton findet einen Widerhall in seinem Herzen.

Und als die liebe Stimme schweigt, springt er empor und stürmt wie ein Trunkener durch den Tann. Er weiß, wo er sie zu suchen hat.

Bald steht er an ihrem Aussichtsfleckchen.

Still – grabesstill und leer.

Nur auf dem Felsen liegt ein Strauß frisch gepflückter Blumen. Es taut noch nicht, und dennoch zittern große, leuchtende Tropfen an den Kelchen.

»Charitas!!«

Fern aus den Bergen ruft ein Echo traumhafte Antwort.

»Leb wohl! Leb wohl! –«

»Leb wohl!« hallt's wie Geisterstimme zurück.

Da preßt Josef die Blüten an die Lippen. Er steht lange regungslos und schaut noch einmal hinaus in die herrliche Welt. – So nimmt ein Todgeweihter Abschied von dem Leben. – Und dann wendet er sich und schreitet müde bergab.

Es wird Nacht.


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