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VI.

Ein Unglück kommt selten allein.

Die ungeheuere Aufregung über die unerwartete Schreckensnachricht, welche die Depesche gebracht, und die gewaltsame Anstrengung, seine Erregung zu bemeistern, hatten wohl in dem Körper des alternden Mannes eine Krise herbeigeführt, welche sich schon seit einiger Zeit vorbereitet und nur auf den verderblichen Anstoß gewartet hatte, um gewaltsam hervorzubrechen.

Ein Schlaganfall hatte die rechte Seite des Bankiers gelähmt und ihn sowohl der Sprache wie des klaren Bewußtseins beraubt.

Die Ärzte hielten den Zustand für sehr bedenklich, wenn nicht hoffnungslos, und so trug abermals ein Telegramm Schreck und Sorge in die Welt, indem es Sohn und Stiefsohn an das Krankenlager des Vaters rief, und die traurige Nachricht dem Stellvertreter des Chefs im heimatlichen Bankhaus anzeigte.

Gerade in dieser Zeit schwerer geschäftlicher Wirren war die Erkrankung Sterleys ein doppelter Schicksalsschlag, und Ines, welche keinerlei Verständnis für die Lage der Dinge und den Gang der Geschäfte hatte, konnte auf all die telegraphischen Anfragen, mit welchen sie von den Angestellten der Bank bestürmt wurde, keine andere Antwort geben, als daß sie dem Stellvertreter ihres Mannes die unbeschränkte Vollmacht gab, nach bestem Wissen und Können die Geschäfte weiter zu führen.

Eine trostlose, schmerzensreiche Zeit begann für die Familie.

Der Zustand des Kommerzienrates hielt unverändert an, – seine gute Natur kämpfte gegen das Verderben und verlängerte seine Leiden in qualvollster Weise.

Ines pflegte den Gatten voll treuen Opfermuts und die Söhne standen ihr dabei helfend und stützend zur Seite.

Der Gedanke an das entschwindende Leben des Vaters drängte jedes andere Interesse in den Hintergrund, und während in Kairo Tag und Nacht die Sorgen an dem Schmerzenslager des Millionärs wachten, würfelte das Schicksal daheim über sein Hab und Gut, über seine Reichtümer, welche der Willkür fremder Menschen preisgegeben waren.

»Welch ein bitteres Geschick!« seufzte Klaus, die blauen Augen zum erstenmal im Leben voll tiefen, kummervollen Ernstes geradeaus gerichtet. – »Noch im Sommer sagte Papa, daß er sich im Laufe des kommenden Jahres zur Ruhe setzen und alle geschäftlichen Beziehungen lösen wolle, und nun muß ihn noch vor Jahresschluß der Axthieb solch eines Unglücks bis in das tiefste Mark treffen!«

Die starre, unheimliche Stille lastete auf allen. Keine Nachrichten mehr von daheim, bis endlich ein Brief an Ines eintraf, mit der resignierten Mitteilung, daß weit über die Hälfte des gesamten Privatvermögens durch die verschiedenen Konkurse erster Häuser verloren sei, daß man aber hoffe, den Rest zu erhalten und durch erneute Arbeit und doppelten Fleiß mit der Zeit den Verlust wieder zu decken.

»Willst du denn das Geschäft bestehen lassen, Mama?« fragte Klaus überrascht, und Josef schüttelte finster den Kopf, »Wie wäre das möglich? Keiner von uns versteht etwas davon, wir sind dem guten Willen Fremder überlassen, und das heißt übel bedient sein! – Wenn ich raten darf, so halte ich es für sehr notwendig, daß Klaus das Geschäft so schnell wie möglich schließt, oder sich mit den ausländischen Teilhabern einigt und den Rest seines Vermögens, welcher ja immer noch sehr beträchtlich ist, rettet.«

»Gewiß, das halte auch ich für das einzig Richtige, und sowie unser armer Vater erst wieder besser ist, daß ich reisen kann, will ich sehen, die Angelegenheit daheim zu arrangieren.«

»Ach, daß Vater so völlig hilflos liegt, daß er nicht denken, nicht sprechen und uns keinen Rat und keine Befehle erteilen kann. Es ist eine Zeit schwerer Verantwortung für uns, ein trostloser Zustand, wie er verzweifelter gar nicht gedacht werden kann!«

Voll banger Sorge hatte Josef anfänglich seine Mutter beobachtet und befürchtet, daß der Verlust der Millionen einen tiefen, vernichtenden Eindruck auf sie machen werde – um so erstaunter war er, als Ines wunderbar gefaßt und ruhig über diesen Wechsel der Verhältnisse sprach. Allerdings war für ihre Begriffe auch der Rest des Kapitals noch ein enormes Vermögen, immerhin war bei der jetzigen Lage der Dinge die Frage: »wieviel bleibt schließlich noch von dem Rest?« eine sehr gerechtfertigte.

Der Tod des Bankiers wäre für die ganze Familie eine Erlösung aus qualvoller Ungewißheit gewesen, aber Tag um Tag verging, und das leichenfarbige Antlitz lag unverändert, leise atmend, mit halboffenen Augen in den Kissen. Ja, es kamen sogar Zeiten, wo eine entschiedene Besserung eintrat, wo der Blick und die matten Bewegungen der linken Hand verrieten, daß er seine Umgebung kannte und verstand, was gesprochen ward. Die Ärzte schöpften neue Hoffnung und wandten alle Mittel an, die neu erwachenden Lebensgeister festzuhalten.

Es schien zu gelingen, und abermals vergingen Wochen voll zagen Hoffens und nagender Angst, während sich der Zustand des Kranken so merklich besserte, daß man das Schlimmste für überwunden hielt.

Da fuhr abermals ein Blitz aus blauem Himmel herab.

Eine Drahtnachricht der Polizeibehörde meldete Mister James Franklin Sterley, daß sein erster Kassierer nach Defraudation einer horrenden Summe spurlos verschwunden sei.

Wortlos reichte Ines ihrem Stiefsohn das Unglückspapier, und Klaus preßte schwer atmend die Lippen zusammen und starrte ohne Antwort vor sich nieder.

Dann sprang er auf und schritt voll nervöser Aufregung im Zimmer auf und nieder.

»Ich muß heim, Mutter, – ich muß! Sie machen uns sonst zu Bettlern!« stöhnte er.

Ines nickte mechanisch, »Reise, mein Sohn, ich sehe es selber ein, es ist eine Notwendigkeit! Vater soll deine Abwesenheit genügend erklärt bekommen; es wird mir schon ein triftiger Grund einfallen, welchen wir anführen können!«

Der junge Sterley stürmte in sein Zimmer, sogleich seinen Koffer zu packen und alles für die Abreise vorzubereiten, welche abends um acht Uhr vor sich gehen sollte.

Eiliges Klopfen ließ ihn von seiner Arbeit aufschauen.

Der Kellner stand atemlos in der Thür. »Die gnädige Frau lassen dringend bitten, sofort zu kommen. Der Zustand Mister Sterleys hat sich verschlimmert.«

»Vater verlangt nach dir, Klaus, – der Arzt ist bei ihm, – an Abreisen ist gar nicht zu denken!«

Der junge Mann strich momentan über die Stirn und lehnte das Haupt schwer auf Josefs Schulter.

»Unverzagt, Bruder!« flüsterte dieser ernst und strich zärtlich mit der Hand über das lockige Haar, »der liebe Herrgott will es so! – Seine Wege sind hoch und oft unbegreiflich, aber sie führen alle herrlich hinaus!«

Man erwartete schon in dieser Nacht das Ende, und doch vergingen noch fünf Tage, ehe der unglückliche Dulder die Augen zum ewigen Schlaf schloß.

Da senkte der bittere Schmerz abermals den Schleier der Vergessenheit über alles Unheil in der Heimat.

Klaus verschob seine Abreise bis nach der Beisetzung, und ließ dieselbe auch nicht beschleunigen, als neue Nachrichten aufregendster Art von zu Hause eintrafen.

Er kam wohl noch früh genug, um alle Pracht und Herrlichkeit einer Millionenexistenz in Rauch und Dunst zusammenschmelzen zu sehen.

Ines und Josef kehrten mit ihm zurück, und wenn sie auch auf das Schlimmste gefaßt waren, so ahnten sie doch noch nicht die ganze Bitterkeit des Leidensbechers, welchen sie bis zur Hefe leeren sollten.

An dem Tage ihrer Ankunft war auch über das Bankhaus James Franklin Sterley der Konkurs verhängt, ein doppelt furchtbarer Konkurs, welchen die Zeitungen voll herber, nackter Wahrheit einen betrügerischen Konkurs nannten.

Furchtbare, entsetzliche Tage brachen für die Familie an.

Wenn auch die persönliche Ehre des Toten nicht angegriffen werden konnte, sondern die Beweise klar und deutlich vorlagen, daß seine gewissenlosen, schurkischen Beamten die herrenlose, aufsichtslose Zeit allgemeiner Wirren benutzt hatten, um nicht nur das Privatvermögen des Amerikaners, sondern auch alle Depots, welche auf seiner Bank lagen, zu veruntreuen, so war es doch immer der Name Sterley, welcher in den Schmutz gezogen und von der öffentlichen Meinung mit Steinen beworfen ward.

Welch eine dunkle, trostlose Zeit der Verzweiflung!

Die Schmach, – die unverdiente und dennoch sie mittreffende Schande hatten die ohnehin zarte, durch die lange Krankenpflege völlig überanstrengte Frau auf das Krankenlager geworfen, und die erste und ernsteste Verordnung des Arztes war die, jede Nachricht über den Konkurs, jede neue Aufregung ihr fern zu halten.

 

Die Frühlingsstürme brausten um die Erker und Säulenhallen des Sterleyschen Palais. Unheimlich tiefe Ruhe lagerte über dem ehedem so glänzend belebten Hause.

In dem reich getäfelten Frühstückszimmer brannte die Lampe und warf matten Schein über all die Kostbarkeiten, welche an den Wänden, auf Konsolen und Prunkschränken blitzten.

Es war unwirtlich in dem Zimmer; der große Kamin, welcher sonst mit rotprasselnder Glut das Gemach heizte, stand schwarz und kalt, und doch waren die rauhen Lenzeslüfte noch nicht dazu angethan, das Feuer im Hause entbehrlich werden zu lassen.

Papiere und Aktenstücke lagen auf dem großen Eichenholztisch ausgebreitet und in den bequemen Ledersesseln davor saßen Klaus und Josef, beschäftigt, einen Überblick über die traurige Lage ihrer Angelegenheiten zu gewinnen.

Aufstöhnend wühlte Klaus die weißen, eleganten Hände in sein Lockenhaar.

»Wir sind ruiniert, Josef! Nicht allein daß Vaters ganzes Vermögen verloren und veruntreut ist, ja es bleibt nicht einmal so viel, daß die unglücklichen Menschen, welche der Bank ihr Hab und Gut anvertrauten, ihr Eigentum zurückerhalten können, und das, Josef, o das ist furchtbar, das ist schlimmer wie unser eigenes Unglück!«

Der junge Torisdorff hob das verstörte Antlitz, sein Blick flackerte, um die Augen breiteten sich Schatten wie bei einem Schwerkranken, »Lichtenhagen fehlt noch bei der Konkursmasse! Es wird die Zahlen nicht sehr bedeutend, aber doch um ein weniges günstiger verschieben!«

»Lichtenhagen?« Klaus machte eine Bewegung, als wolle er die Hände auf den Mund des Sprechers drücken: »Um alles in der Welt! Es fehlte gerade noch, daß dir und der Mutter auch dieses letzte, einzige Existenzmittel noch genommen würde! Gott sei Lob und Dank ist das Gut dein persönliches Eigentum, auf deinen Namen eingetragen und hat mit der Konkursmasse absolut nichts zu thun!«

»Und glaubst du, Bruder, ich würde auch nur einen Pfennig behalten, so lange es noch Opfer des Bankrotts gibt, so lange Vaters Gläubiger nicht sämtlich befriedigt sind?«

»Du wirst es nicht nur, sondern du mußt es, Josef! Was geht dich die Bank des Stiefvaters an? Nichts! Was hast du für Verpflichtungen? Keine!«

»Moralische!«

»Die habe ich, – und darum komme ich ihnen nach. Es genügt, wenn ich, der den Namen Sterley trägt, als Sühne für die Gebrandschatzten zum Bettler werde. Ich gebe alles hin, bis auf den letzten Heller, das genügt!«

»Für dich, aber nicht für mich!« – Josef erhob sich; sein Auge flammte. »Noblesse oblige! Ich gebe, um mein eigenes Gewissen zu beruhigen, um meiner Ehre willen!«

»So; und was gibst du denn?« Klaus verschränkte sehr ruhig und gelassen die Arme über die Brust. »Du gibst einen Tropfen auf einen heißen Stein, eine Bagatelle, ein Nichts im Verhältnis zu den fehlenden Summen, um welche es sich handelt! Ja, wenn der Gauner, der Kassierer, gefaßt wäre, wenn seine defraudierten Gelder wieder zu erlangen wären, aber das ist so gut wie aussichtslos; die Vollmacht, welche Mama gegeben, hat ihn in jeder Hinsicht unterstützt. Was sollen also deine paarmal hunderttausend Mark angesichts fehlender Millionen? Sie machen keinen der Geschädigten glücklich, denn da sie unter alle geteilt werden müssen, bekommt keiner etwas Namhaftes!«

»Gleichviel, ich habe meine Schuldigkeit gethan und das Andenken des Vaters geehrt,«

»Und das Leben der Mutter geopfert! Glaubst du denn, Josef, die kranke, schwache Frau könnte diesen furchtbaren Wechsel zum Schlechten überstehen, jetzt, nachdem sie so ungeheuer verwöhnt ist? Der Verlust von Lichtenhagen wäre ihr Todesurteil, das schwöre ich dir!«

Ächzend sank der junge Torisdorff in den Sessel zurück. Er schlug die Hände vor das Antlitz, und seine schlanke Gestalt bebte wie unter einem Schüttelfrost, »Ich bin überzeugt, daß Mama derselben Ansicht sein wird, wie ich!« stieß er tonlos hervor, »ich hoffe sogar, daß sie selber die Anregung geben wird, Lichtenhagen zu verkaufen!«

»Du irrst!«

»Ich irre? Woher weißt du das?«

»Ich kenne die Ansichten der Mutter!«

Betroffen starrte Josef den Sprecher an. »Äußerte sie dir dieselben?«

»Ja!«

»Undenkbar, Klaus! Wann sprachst du sie?«

Sterley zerknitterte mechanisch die Papiere unter seiner Hand. »Mama ließ mich heute morgen an ihr Bett kommen und befragte mich über den Stand der Dinge. Ihre erste Frage galt Lichtenhagen.«

»In welchem Sinne?«

»Ob es dir erhalten bliebe! Sie schien wie von Centnerlasten der Angst und Sorge befreit, als ich es ihr versichern konnte.«

Josef nagte schweigend an der Lippe, der Ausdruck tiefster Seelenqual in seinem Antlitz verschärfte sich.

»Außerdem sprach ich den Doktor!« fuhr Klaus mit starrem Blick fort, und Josef hob den Kopf.

»Was sagte er? – Er versicherte mir, der Zustand der Kranken sei unbedenklich!«

»Nicht mehr. Er hat die Lungen untersucht, denn seit zwei Nächten hustet Mama wieder so stark.«

»Davon ahnte ich nichts!«

»Lina hat es dem Doktor, trotz Mutters Verbot, heimlich gemeldet.«

»Und das Resultat der Untersuchung?« – Josef hatte sich abermals erhoben und stützte sich mit beiden Händen schwer auf die Tischplatte, heiße Röte trat auf seine erst so farblosen Wangen!

»Nun, es ist gekommen, wie ich gleich fürchtete, und wie auch du besorgtest«, seufzte Klaus tief auf. »Der grelle Klimawechsel um diese Jahreszeit, – aus dem warmen Süden hierher in den nordischen, rauhen Vorfrühling voll Schneesturm und Hagelschauer – es war ja gar nicht anders möglich, als daß solch eine Parforcetour die arme Mutter krank machen mußte! Bedenke – sie ist seit Jahren keinen norddeutschen Winter mehr gewöhnt!«

»Und Linden konstatierte ... ?«

»Ein Lungenspitzenkatarrh, für welchen sofort etwas gethan werden müsse. Mama soll nach Kairo oder Italien zurück, so schnell wie möglich. Für ihren Gemütszustand und ihre Nerven sei es auch dringend erforderlich, daß sie aus den unglücklichen Verhältnissen hier herauskommt!«

»Weiß Mama von dieser Forderung?«

»Ja, Linden sagte es ihr.«

»Und sie?«

»Schien völlig einverstanden. Sie will heute abend das Nähere mit dir besprechen.«

Josef schlug die bebenden Hände vor das Antlitz.

»Sie geht gern?«

»Ja, sie sagte mir, sie empfände es selber, daß sie hier zu Grunde gehe!«

Einen Augenblick herrschte Schweigen. Die Uhr tickte wie ein müder Herzschlag von dem Kamin herüber.

Josef fühlte, wie seine Knie zitterten.

Wovon soll der kostspielige Aufenthalt der Mutter bestritten werden? – Die Renten von Lichtenhagen ermöglichen es, – sie einzig und allein. Nun gibt es keine Wahl mehr für ihn, nun steht die furchtbare Notwendigkeit zum zweitenmal im Leben vor ihm, – grausam, unerbittlich seine Hände bindend, ihn knebelnd mit dem Worte: du mußt!

Er darf das Leben der Mutter nicht opfern, um der stolzen Ehre willen!

Er muß auch dies Mal sein höchstes, ureigenes Empfinden der Sohnespflicht opfern. Und gleichsam, wie ein Echo seines gemarterten Herzens klingt die Stimme des Bruders neben ihm: »Schon darum mußt du Lichtenhagen behalten! Laß die Leute reden, was sie wollen, – Leben und Gesundheit der Mutter gehen vor!«

Laß die Leute reden!

Josef wühlte wie ein Verzweifelnder die Hände in das Haar. Was werden sie reden. Steinigen werden sie den gewissenlosen, ehrlosen Mann, welcher voll Habgier seine Schätze aus dem Schiffbruch rettet, welcher anderen unglücklichen Menschen den letzten Heller nimmt. – Ist solch ein Bewußtsein zu ertragen? – Verflucht soll jeder Groschen sein, welchen Josef Torisdorff von diesen Gutsrenten für sich und seine Person verbraucht. Mag die Welt seine Ehre brandmarken, vor sich selber und seinem Gewissen will er rein und makellos dastehen, – nicht der Egoismus, nicht die Geldgier lassen ihn die Hände über Lichtenhagen breiten, sondern die Verzweiflung, welche den Sohn nicht zum Mörder der Mutter werden lassen will.

Der Klang einer Schelle läßt ihn aus seinen Gedanken aufschrecken.

»Mama scheint allein zu sein. Ich gehe zu ihr, Klaus. Bitte, sieh dieses Verzeichnis noch einmal durch, es sind die Kunstschätze aus Papas Sammlung, ihre Auktion muß auch noch einen bedeutenden Ertrag bringen.«

Josef wandte sich und schritt zur Thür, an das Krankenbett der Mutter zu eilen.

Ines blickte ihm mit tief umschatteten Augen entgegen.

»Bist du endlich wieder aus der Stadt zurück, mein Herzenssohn?« – fragte sie mit leiser, klangloser Stimme, »ich habe voll Sehnsucht auf dich gewartet. Ist schon etwas über den Verkauf dieses Hauses bestimmt?«

Josef küßte zärtlich die weißen, durchsichtig zarten Hände. »Ja, Mamachen, die Angelegenheit konnte glücklicherweise unter der Hand geregelt werden! Das Grundstück wird von dem Ministerium angekauft, und das Haus zum Museum für Völkerkunde eingerichtet.«

»Wann müssen wir es räumen?«

»Vor dem ersten April keinesfalls, und solltest du alsdann noch zu krank sein, wird leicht eine Verlängerung unseres Aufenthaltes zu bewirken sein!«

Ines lächelte matt. »Bis zum April? Ich glaube nicht, daß ich diesen Monat noch erleben werde, wenn ich hier bleibe. Linden will mich so schnell wie möglich nach Kairo zurückschicken.«

Josef nickte schweigend.

»Und ich selber habe das Bedürfnis, aus diesen mordenden Verhältnissen hier herauszukommen! Ich werde morgen versuchen aufzustehen!

»Ich beschwöre dich–übereile es nicht! Sei vorsichtig!«

»Gewiß, Darling, – Linden soll bestimmen. Aber vorher möchte ich noch einiges mit dir besprechen.« Sie hustete kurz auf und fuhr leiser fort: »Klaus sagt, daß Lichtenhagen dir erhalten bleibt?«

Josef senkte das Haupt tief zur Brust, er antwortete nicht gleich, denn Klaus betrat soeben auch das Zimmer und nahm zu Füßen des Krankenlagers Platz.

»Von Gerichtswegen kann mir die Herrschaft nicht streitig gemacht werden«, flüsterte Josef tonlos, »und wenn es sein muß, so werde ich sie behalten.«

»Denk dir, Mama, er hatte die sehr edle, aber höchst ungerechtfertigte und unpraktische Absicht, das Gut zu der Konkursmasse schlagen zu lassen! Gott sei Dank hat er aber eingesehen, daß die Renten für deinen Lebensunterhalt unentbehrlich sind!«

Ines blickte mit großen Augen auf. »Du wolltest, Josef? Alles opfern ... ? O, das gleicht deinem edeln, großen Herzen, du braver Mensch!«

In den Augen des jungen Torisdorff leuchtete es momentan wie ein Funken der Hoffnung auf.

»Nicht wahr, Mütterchen, du gibst mir recht darin!« stammelte er heiß erglühend.

Ines streichelte seine Hände, – sie starrte einen Augenblick gerade aus, wie in tiefem Sinnen, dann fragte sie leise: »Sage auf dein Ehrenwort, Josef, du würdest unser altes Familiengut hingeben, wenn – wenn ich nicht mehr lebte ... oder doch nicht krank wäre?«

Josef zuckte zusammen. »Mutter!!«

»Sage es ehrlich, mein Sohn, du behältst es nur um meinetwillen?«

»Ja, Mama!« warf Klaus heftig ein, »um dich vor Mangel und Not zu schützen! Das sagte er mir soeben selbst, und, bei Gott, dies ist seine erste und heiligste Pflicht! Er nützt durch den Verkauf des Gutes niemand, aber er schadet seiner armen Mutter an Leib und Leben!«

Und wieder blickte Ines ruhig, wie ernst erwägend, vor sich hin, während Josef sein Antlitz auf ihre Hand preßte. Ein seltsamer Ausdruck lag auf dem Antlitz der Kranken, Genugthuung und eine beinahe starre Entschlossenheit.

»Ich danke dir, Josef, daß du mir das Opfer bringst!« sagte sie dann schnell und leise, »ein Opfer, welches ich dankbar annehme; es ist so bitter hart, hilflos zu leiden. Außerdem brauchst du dir keine Skrupel zu machen, Lichtenhagen ist ein Geschenk deines Vaters, und ebensowenig, wie wir verpflichtet sind, jeden Bissen, welchen wir seit Jahren hier im Haus gegessen, jede Gabe, mit welcher uns Papa während der sieben Jahre erfreute, jetzt zurückzuzahlen, ebensowenig kann man von uns verlangen, daß wir unsere privaten Ersparnisse, resp. die Geschenke, welche wir erhielten, zurückerstatten. So wie die Verhältnisse liegen, müssen wir mit jedem Pfennig rechnen. Die Großmut und der Edelsinn sind schnell bereit, sich zu Bettlern zu machen, aber ein Leben voll bitterster Not und Entbehrungen schleicht gar langsam dahin, und darum muß man die Generosität auch nicht übertreiben. Mein lieber Klaus, hast du eigentlich schon darüber nachgedacht, wie sich deine Zukunft gestalten wird?«

Sterley senkte den blonden Lockenkopf einen Augenblick zur Brust, dann aber hob er ihn frisch und wohlgemut in den Nacken und lächelte: »Um mich sorge dich nicht, Mama! Ich bleibe der Kunst treu und werde mich schon durchschlagen! Ich habe an illustrierte Witzblätter ja schon früher manch kleine Skizzen geliefert aus Freundschaft, weil ich die Redakteure kannte, nun werde ich für Geld solche Beiträge arbeiten, und außerdem die Bilder, welche ich fertig malte, zum Verkauf ausstellen! Mit gutem Mut und Lust und Liebe zur Arbeit kommt man schon durch die Welt! Ich denke und hoffe, daß das Glück noch nicht das letzte Wort mit mir gesprochen hat und einen braven Kerl nicht im Stiche läßt!«

Josef hatte sich erhoben und legte voll inniger Herzlichkeit den Arm um den Sprecher.

»Halt, Klaus! Nicht die Rechnung ohne den Wirt gemacht!« sagte er mit müdem Lächeln und einem vergeblichen Versuch zu scherzen. »Wenn ich euch den Willen thue und Lichtenhagen behalte, so stelle ich auch meine Bedingungen. Diese Stunde ist schwer, bitter schwer für mich, und dennoch trägt auch sie ihren Segen in sich, sie gibt mir die Möglichkeit, dem lieben, seligen Vater und dir all die Liebe und selbstlose Güte zu danken, mit welcher ihr mein und Mutters Leben so reich gemacht! Das erste Jahr nach dem Examen, welches Vater mich in deiner Begleitung auf Reisen verleben ließ, dann die Studienjahre, welche er mir in freigebiger Weise ermöglichte, haben mich zeitlebens zu seinem Schuldner gemacht. Nun kann ich gottlob sagen: ›Wie du mir, so ich dir, und was er Gutes an mir gethan, das kann und will ich nun an seinem. Sohn vergelten!‹

Dein schönes, ideales Talent darf nicht in dem Kampf um das tägliche Brot untergehen, Klaus. Noch ein paar Jahre ernsten Studiums, ohne Sorge, ohne Not, werden deine Kunst zur Meisterschaft reifen lassen, und dazu werden die Renten von Lichtenhagen ihre Schuldigkeit thun! Was mein ist, das ist auch dein, mein Bruder, und wenn Mutter und du sich in die Revenuen teilen, so könnt ihr ohne alle Entbehrungen, frei und glücklich leben!«

»Josef! mein Josef!« Klaus umschlang den Stiefbruder mit beiden Armen und küßte ihn voll tiefster Ergriffenheit. »Wenn du dieses Opfer für mich bringen wolltest, mir nur noch ein paar Jahre fortzuhelfen, daß ich Stunden nehmen und die nötigen Reisen machen, daß ich als freier, ungebundener Künstler meine Studien vollenden kann, o Josef, ich würde es voll herzlichen Dankes annehmen, und es dir, so Gott will, einst beweisen, daß du deine Güte an keinen Unwürdigen verschwendet hast!« Josef legte die Hand auf die Lippen des Sprechers. »Keinen Dank, Klaus, es ist deines Vaters Geld, welches du verzehren wirst, ich verwalte es ja nur für dich!«

Ines nickte ihm mit leuchtenden Augen zu und reichte ihm die Hand entgegen. »Das erwartete ich von dir, mein Sohn!« lächelte sie, »und ich weiß, daß dies Geld, welches du als Schuld empfindest, weil du es nicht als Tropfen im Meer untergehen lassen willst, doch seinen reichen Segen bringt!« –

Klaus hob plötzlich den Kopf. »Du sprichst nur von Mutter und mir, welche sich in die Rente teilen sollen, Josef, – und du? – was wird aus dir?«

»Er studiert weiter! – selbstverständlich!« –

»Nein, Mutter, das glaube ich nicht. Noch bin ich mir nicht völlig klar über meine Zukunft, aber ich werde den rechten und einzigen Weg finden, welchen ich gehen muß, um Ruhe, Frieden und Glück zu finden. Ich hoffe dir bald das Resultat meiner Erwägungen mitteilen zu können. Und nun, gute Nacht, du herzliebe, beste Mutter! Lina bringt dein Abendbrot, und es ist Zeit für dich, zu ruhen!«

Ines faßte seine Hände und blickte ihm tief in das blasse, schmerzgefurchte Antlitz. »Josef!« – flüsterte sie leise, wie in banger Frage.

Da neigte er sich und küßte zärtlich ihr Antlitz unter dem ergrauten Haar, Seine Hand umschloß in festem Druck die ihre: »Schlaf ruhig, Mutter I« – lächelte er, »schlaf sanft und süß!« –

 

Aber Ines schlief nicht. Sie lag mit weit offenen Augen in den Kissen und starrte mit brennendem Blick in das verschleierte Licht der Nachtlampe. Hatte sie recht gehandelt, indem sie ihrem Sohn verschwieg, daß sie Lichtenhagens Revenuen nicht gebrauchte, um im Süden genesen zu können? Ja, sie that recht daran, denn sie sorgte für ihr Kind. Das Kapital, welches sie in den sieben Jahren ihrer Ehe aus ihren Ersparnissen und den Geburtstags- und Weihnachtsgeschenken, welche Sterley ihr in Form hoher Summen verehrte, erspart und zurückgelegt hatte, war der Notgroschen, welchen sie für böse Zeiten bewahrt hatte.

Nun kam diese böse Zeit und ballte die schwarzen Wolken unbeschreiblichen Elends über ihnen. War das Opfer, welches sie einst gebracht, wahrlich vergeblich gewesen?

Hatte sie nichts für ihr Kind erreicht, als den Fluch eines gebrandmarkten Namens, welcher sich durch den Stiefvater rettungslos auch auf einen Torisdorff überträgt und seinen Schatten auf Schild und Ehre wirft?

Ist diese furchtbare Zeit voll Kränkung, Schmach und Verarmung alles, was diese sieben Jahre an Sterleys Seite, diese Jahre voller Selbstverleugnung im Dienste der Pflicht, eingetragen?

Ist sie darum Frau Sterley – Frau Kommerzienrätin geworden, um nun im Verein mit ihrem Kinde unter den Keulenschägen, mit welchen das Schicksal auf das Haus des Gatten einschlagt, zusammenzubrechen?

Nein! tausendmal nein!

Starre, trotzige Erbitterung überkommt sie.

Sie will auch nicht umsonst geopfert haben! Ein Lohn soll ihr wenigstens werden und bleiben, – ihr Kind soll ein reicher Mann sein. Sein Edelsinn, seine jugendliche Phantasie wollen ihn zu unüberlegtem Schritt verleiten, – Ines aber breitet die Hände über das gefährdete Familiengut und spielt noch einmal die Vorsehung im Leben ihres Sohnes. Sie verheimlicht ihm ihr Privatvermögen, welches in ausländischer Bank sicher liegt und zwingt ihn, um der Mutter willen, an sich selbst zu denken! – Ines atmet tief auf, neigt das Haupt und schläft beruhigt ein.


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