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VII.

Die Wolken jagten an dem Mond vorüber und warfen gespenstische Schatten durch die unverhüllten Fenster. Windstöße rüttelten an den Jalousien, und die sonst selbst nachts belebte Straße lag still und öde, in Regenfluten gebadet.

Das Licht auf dem Leuchter war längst herabgebrannt, und nun saß Josef in dem unwirtlich kalten Zimmer im Mondesdämmern, das Haupt in die Hand gestützt, und rang abermals in den schweren Seelenkämpfen, an welchen sein junges Leben so überreich war.

Wie ein steuerloses Schiff auf den dunklen Fluten des Meeres hin- und hergeschleudert wird, wenn der Sturm sich erhebt, und das hilflos gebrechliche Spielzeug in toller Laune von den Höhen in die Tiefen stürzt, so war auch Josef seit Jahren ein treibendes Blatt auf den Wogen des Schicksals, welches seine junge Seele durch alle Phasen selbstquälerischer Verzweiflung peitschte. Er war ein unglücklich beanlagter Charakter, das hatten schon seine ersten Erzieher den Eltern versichert, und der General hatte es geglaubt, während Ines versicherte: »Jedes Kind, welches einsam, ohne Altersgenossen zwischen Großen aufwächst, wird altklug und zeigt Hang zur Einsamkeit und Grübelei.« – Dennoch bewahrheitete sich diese Behauptung nicht, denn gerade der Schulverkehr ließ des Knaben Eigenart mehr denn je hervortreten.

Er urteilte schroff und voll übertriebener Strenge, er hielt harmlose Jungenstreiche für Verbrechen und das lindeste Vergehen gegen die mehr wie strengen Gesetze der Freundschaft für Verrat und Treubruch.

Je älter er ward und je schwieriger sich die Verhältnisse im Haus der verwitweten Mutter gestalteten, desto schwarzseherischer und übertriebener wurden seine Urteile über Welt und Menschen. Voll zäher Beharrlichkeit hielt er an den Ansichten fest, welche der General ihm über Ehre und Adel eingeimpft hatte, Ansichten, welche für das Auffassungsvermögen des Kindes berechnet, sehr grell und mit dicken Farben aufgetragen, ihm verständlich gemacht wurden.

So wurzelten sie fest, und so blieben sie in ihrer bizarren Form bestehen, wie ein heiliges Vermächtnis, welches man in Ehren halten muß. –

Dadurch ward ein Zwiespalt in seinem Innern geschaffen, welcher stets quälender und empfindlicher für ihn ward, je öfter das Leben an den Wahngebilden rüttelte, welche es in der Theorie allenfalls noch duldet, in der modernen Praxis aber unbarmherzig über den Haufen stößt. – Das bedeutete für Josef jedesmal einen Kampf auf Tod und Leben, und auch jetzt rang er in einem Zustand der Verzweiflung gegen die unerbittlichen Verkettungen des Geschicks, welches abermals die Forderung an ihn stellte, sein ureigenstes Ich zu verleugnen uud sich Verhältnissen anzupassen, welche er nun und nimmermehr als richtig anerkennen konnte.

Und dennoch mußte er sich für dieselben entscheiden. Er mußte! – So wie immer band ihm auch dieses Mal ein unbarmherziges »Muß« die Hände. Es gab keine Wahl.

Die Keulenschläge des Schicksals fielen auf ihn nieder und zermalmten den letzten Rest von Stolz und Selbstbewußtsein! –

Denkt er daran, was er thun muß und thun wird, so schnürt ihm die Scham die Kehle zusammen, so steigt ihm das Blut ins Gesicht und malt ihm das Kainszeichen der Schande auf die Stirn.

Er behält sein Vermögen! Er reißt den Reichtum an sich, während hunderte von unglücklichen Menschen durch den betrügerischen Bankrott der Bank seines Vaters zu Bettlern gemacht wurden!

Sie darben, sie hungern – und er genießt die Renten dieses Sündengeldes, er, der den Namen eines Edelmannes trägt, er, welcher mit dem Namen die Verpflichtung des Adels übernommen, einzustehen für Ehre und Recht. Des Feindes Trutz, des Schwachen Schutz!

Klingt das nicht wie Ironie? – Wie Spott und Hohn für sein Handeln?

Josef wühlt aufstöhnend die Finger in das wirre Haar, er möchte wild aufschreien in der Qual seines Herzens, er möchte vergehen in Ekel und Abscheu vor sich selbst.

Und gibt es dennoch keine Hilfe, gar keine Rettung für ihn aus solcher Herzensnot? Josef hebt voll leidenschaftlicher Erbitterung das Haupt.

O ja, es gibt eine Sühne für seine Schuld.

Es gibt ein heiliges Wasser, welches ihn rein wäscht von der brennenden Gewissensqual. Jenes Wasser des Himmels, welches ihn von Welt und Leben scheidet, fern in der Einsamkeit durch ein Leben voll Buße und Neue die Sündenlast abzutragen, unter welcher sie alle seufzen. Dort kann er die Seele seines Stiefvaters, welcher trotz allem und allem die Schuld an dem ganzen Elend trägt, freibeten, kann für Mutter und Bruder, welche in sündhafter Verblendung nach fremdem Geld greifen und seinen Überfluß genießen, derweil die betrogene Unschuld verhungert, – sühnen und abbitten durch das Hingeben seiner selbst. Er will Kleriker werden, Mönch oder Geistlicher, er will Geld, Ruhm, Stellung, Namen, sein ganzes Lebensglück hingeben als Opfer, und er wird Frieden für seine gehetzte Seele finden.

Er hat stets Interesse für den geistlichen Stand gehabt, wenngleich es ihn nie voll leidenschaftlicher Schwärmerei in die Klostermauern gezogen hat.

Auch jetzt ist sein Entschluß nicht die Ausgeburt heilig ernster Überzeugung und seliger Glaubenskraft, sondern lediglich eine Eingebung seiner Verzweiflung, welche sich mit blinden Augen einer rettenden Zuflucht entgegenstürzt.

Was bleibt ihm auch sonst noch übrig in der Welt?

Er würde lieber zu Grunde gehen, ehe er auch nur einen Pfennig von jenem Gelde nähme, welches ihm nach Fug und Recht nicht mehr gehört. Studieren kann er nicht mehr, – von Lichtenhagen Besitz ergreifen und es bewirtschaften? – Nie!

Was also bleibt einem Freiherrn Torisdorff übrig?

Die Kutte, welche all die Wunden deckt, die die falsche, betrügerische, gemeine Welt schlägt, eine Welt, welche stets mit Fingern auf den Sohn des Bankrotteurs deuten wird, der schamlos genug war, reich zu bleiben, während andere durch seine Schuld verarmten,

O dieser mordende, furchtbare Gedanke! Wie unerträglich ist er!

Josef kommt sich vor wie ein Gebrandmarkter, welchem die Schande auf der Stirn steht! Er schämt sich, einem Menschen in das Auge zu schauen, er flieht das Sonnenlicht wie ein Geächteter, er bricht zusammen unter dem Fluch der Ehrlosigkeit, welcher auf ihm lastet, so lange Lichtenhagen in den Augen der Leute sein Eigentum heißt, so lange wie noch ein Pfennig der großen Schuldenlast des Hauses Sterley unabgetragen bleibt! –

Die Scham, die Verzweiflung treibt ihn in das Kloster!

Weit weg von hier, wo niemand ihn kennt, wo keiner ahnt, daß er Sterleys Stiefsohn ist! Dort will er vergessen und vergessen sein! Was verliert er in der Welt? Nichts!

Das Glück liebt er nicht, denn er kennt es nicht. Und das Glück der Liebe, von welchem er so viel holde Märchen gehört? – Dem glaubt er nicht.

Er fand noch kein Weib, welches sein Herz höher schlagen ließ in süßer Sehnsucht.

Er hat nur in allen die Satanella geschaut, welche die Teufelshörnchen unter Rosen versteckte. Er suchte die Frauen nicht, – und die, welche ihn suchten, widerten ihn an.

»Der keusche Josef« hat man ihn scherzend unter den Studenten genannt.

Scherzend und spottend. Keuschheit uud Frömmigkeit sind Tugenden, welche so fremd geworden sind, daß sie das fin de siècle für Requisiten aus der Rumpelkammer hält, man lacht darüber wie über einen altmodischen Hut, Auch über Josef lachte man, und in seiner mimosenhaften Empfindlichkeit zog er sich verletzt zurück. Nein, er verliert und versäumt nichts in der bunten, leichtsinnigen Welt, – er kehrt als müder, verbitterter und menschenfeindlicher Gast in dem Kloster ein und legt sein Herz und seine Seele, sein ganzes Selbst und Ich als Sühnopfer auf den Altar der Maria nieder.

Josef atmet tief auf, erhebt sich und streicht über die heißen, schlummerlosen Augen,

Dann greift er nach den Schwefelhölzern und entzündet ein neues Licht.

Er will schreiben an ihn, den vertrauten, lieben Freund seiner Kindheit, an den Dekan Duncaczy. Wie lange blieb er ihm einen Brief schuldig! Zuletzt erhielt er Nachricht von ihm aus Pest. Wie oft hat er früher den Kopf auf die Knie des treuen Lehrers gedrückt und ihm all die kleinen Sorgen und Ängste seines Kinderherzens gebeichtet. Und der milde, freundlich gute Mann, welcher in Wahrheit ein Sorger seiner jungen Seele war, fand stets das rechte Wort und den rechten Trost für die Verzagtheit seines Schülers. Er wird auch diesmal das Licht sein, welches erlösend den Bann der Dunkelheit bricht, in welchem ein Menschenherz ringt.

Josef nimmt voll bebender Hast die Feder zur Hand und schreibt.

 

Regungslos, wie eine Marmorstatue, saß Ines in dem Sessel vor dem Kamin und starrte mit ausdruckslosen, weit offenen Augen in die flammende Glut. Neben ihr, an dem dunklen Porphyrgesims, lehnte Josef und eröffnete der Mutter mit ruhiger, aber sehr fester Stimme den Plan seiner Zukunft.

»Priester willst du werden! Aus welchem Grunde?«

»Ich fühle schon seit längerer Zeit das Verlangen, mich diesem Beruf zu widmen, seit letzter Zeit mehr denn je, und so, wie die Verhältnisse momentan liegen, glaube ich sogar eine Berechtigung dazu zu haben, mein Leben in den Dienst Gottes zu stellen.«

»Eine Berechtigung? Die hat jeder Mensch, dem es mit seinem Glauben und der Entsagung alles dessen, was ihm sonst lieb und begehrenswert war, Ernst ist. – Ich bin zu strenggläubig, um je meinen Sohn wegen dieser Berufswahl zu tadeln, ich bin aber andererseits auch Mutter, verantwortlich für das Wohl und Weh ihres Kindes, darum steht mir das Recht zu, seine Pläne zu überwachen und zu prüfen. Du sagst, daß du seit längerer Zeit schon das Verlangen hegtest! – Ich habe nie an der Wahrheit deiner Worte gezweifelt, Josef, – in diesem Augenblick thue ich es. Du warst stets zufrieden und glücklich bei deinem Studium in Bonn, ja, du hast heimlich, aus Passion, noch im letzten Jahr verschiedene Bergwerksdistrikte bereist, weil dein Kommilitone St. ein besonderes Ingenieur-Genie in dir entdeckt zu haben glaubte. Wir fürchteten schon, daß du dich ganz und gar diesem Beruf zuwenden wolltest. Vom Kloster verlautete nie ein Wort. Welch eine Veranlassung ist es also, daß du dich ihm Plötzlich zuwendest?« Die grauen Augen der Fragerin ruhten fest, mit durchdringendem Blick auf dem übernächtigen Antlitz des Sohnes, und Josef wich diesem Blick aus.

»Nun, ich dächte, Mama, das furchtbare Schicksal, welches uns heimgesucht hat, wäre Veranlassung genug, den Sinn auf ernste Bahnen zu lenken.«

»Was geht dich das Schicksal der Sterleys an?« – Er schrak zusammen bei dem kalten Klang ihrer Stimme.

»James Sterley war mein Stiefvater!«

»Von dessen Blut kein Tropfen in deinen Adern kreist! – Du bist ein Torisdorff! Wer ist im Ausland von meiner Ehe unterrichtet? – Wir werden dort wohnen und leben, ohne daß ein Schatten dieser trostlosen Vergangenheit uns behelligen wird. Den Namen Sterley führe ich nicht mehr!«

»Mama?!«

Ines legte jäh verändert beide Hände wie in beschwörendem Flehen auf den erhobenen Arm des Sohnes. »Ich kann es nicht mehr! Ich gehe daran zu Grunde! Jeder anständige Mensch wird mir das nachfühlen und vergeben! Ja, wenn der Bankrott nicht den furchtbaren Beigeschmack des Betrugs gehabt hätte! Aber dieser Makel – nein, denn kann ich nicht als einziges Erbe dieses Mannes durch den Rest meines Lebens schleppen!«

Josef sah leichenhaft blaß aus, – seine bebenden Lippen öffneten sich zu leidenschaftlicher, rücksichtsloser Antwort, wie sie ihm die Erregung eingab, – gleichzeitig aber erschütterte ein Hustenanfall die zarte Gestalt der Mutter, so heftig, so unheimlich im Klang, daß Josef voll jähen Schrecks die Arme um die Ringende schlang.

Sie war krank, ach so krank! Darf man noch mit ihr rechten wie sonst? – Nein, gewiß nicht.

Krankheit macht so leicht egoistisch, bitter und ungerecht, und die Last der letzten Zeit war zu groß für diese schwachen Schultern.

Josef drückt die gebrechliche Gestalt an seine Brust. Er antwortet nicht, sondern streicht nur liebevoll über das silberstreifige Haar.

Sie blickt wie in erwartungsvollem Forschen zu ihm auf: »Josef! Sollen die sieben Jahre vergeblich durchlebt sein? Sollen sie gar nichts genützt haben? Sollen wir wirklich heute auf demselben Punkt stehen wie damals, – als du so ungern der Welt und dem Glück entsagen wolltest?«

»Die sieben Jahre waren nicht vergeblich, Mutter! Sie haben für deine Gesundheit alles ermöglicht, was dafür erforderlich war.«

»Für meine Gesundheit!« Ines lächelte bitter: »Um derentwillen hatte ich kein Opfer gebracht, Josef!« Sie neigte sich flüsternd naher: »Ich kenne dich ja so genau; ich weiß es ja, wie es in deinem Herzen aussieht, als blickte ich in einen Spiegel! Ich weiß, weshalb du plötzlich Kleriker werden willst, und ich verwehre dir diesen Wunsch nicht. Aber eine Bitte spreche ich dir aus, und wenn du mich lieb hast, wenn du mein folgsamer, treuer Sohn bist, erfüllst du sie!«

»Sprich, Mutter, sprich!«

Sie faßt seine beiden Hände und blickt ihm wie beschwörend in die Augen: »Das Kloster wird nun und nimmermehr dein Glück sein, denn das, was dich hineintreibt, ist nicht die Liebe zu Gott, sondern Haß und Verachtung für die Welt. Darum prüfe du dich selbst, ehe du dich für ewig bindest! Gelobe es mir in die Hand, wie einer Sterbenden, deren letzten Willen man erfüllt, dich fürerst nur in dem schweren Beruf zu üben, ehe du dich ihm dauernd hingibst! Schwöre es mir, noch drei Jahre zu warten, ehe du ein Gelübde ablegst, oder die hohen Priesterweihen empfängst! So lange laß den Weg offen, welcher dich an das Herz der Mutter und in die Welt zurückführt!«

»Ich weiß nicht, ob dies möglich ist, Mama!« stöhnte Josef leise auf, und preßte die Lippen auf die Hände der Sprecherin.

»Es ist möglich! Wenn du es nicht weißt, so weiß ich es, Josef – hast du mich lieb?

Da sinkt er an ihr nieder auf die Knie und drückt das Antlitz in die weichen Falten ihres Trauergewandes. »Ja, ich habe dich lieb, Mutter, lieber wie mich selbst, und darum gelobe ich dir, was du von mir verlangst!«

 

Klaus war in hohem Grade betroffen, als Ines ihm eine Stunde später die Mitteilung von Josefs überraschendem Entschluß machte.

»Und du billigst diesen übereilten Schritt, Mama?« fragte er beinahe vorwurfsvoll. »Das kann ich nicht glauben! Josefs momentane weltschmerzliche Stimmung ließ diesen Vorsatz reifen! Er handelt übereilt und unüberlegt! Wie kann ein Mensch von einundzwanzig Jahren, welcher die Welt noch gar nicht kennt, derselben voll innerster Überzeugung entsagen! Das ist Unnatur! Das wird sich rächen!«

»Ich hoffe nicht, daß er Mönch wird, sondern sich nur für den geistlichen Stand entscheidet!« seufzte Ines tief auf.

»Gleichviel, auch als Geistlicher schließt er mit dem Leben und seinen heiteren Genüssen ab, wenigstens, wenn er ein gewissenhafter und frommer Priester sein will, welcher die strengen Pflichten erfüllt, die man von ihm verlangt. Verzeih meine Offenheit, Mama! Ich spreche als Protestant, welcher die Entsagung und Vereinsamung, welche euren Geistlichen vorgeschrieben ist, nicht begreift und nicht billigt. Hat Josef denn trotz seiner Jugend schon eine unglückliche Liebe, welche ihn zur Ehelosigkeit prädestiniert? – Nein?! Nun, dann hat er überhaupt die Liebe noch nicht kennen gelernt, und wenn sie dann kommt, ist es zu spät und sie wird zum Fluch für ihn!«

Ines bewegte zustimmend den Kopf, Thränen rollten über ihre Wangen: »O Klaus, wie bange ich um meinen Sohn! Er sucht den Frieden und findet die schwersten Herzenskämpfe, welche ein Mensch durchleiden kann! Josef ist seit Kindesbeinen ein Pfadfinder gewesen, welcher sich Schritt um Schritt auf dem Lebenswege vorwärts kämpfen mußte, – auch jetzt steht ihm das Ziel, nach welchem er instinktiv strebt, noch fern, ferner wie je, denn die Befriedigung, welche er nach seinen Charakteranlagen von dem Leben und seinem Wirkungskreis verlangt, findet er im Kloster und in der Kirche nimmermehr!«

»Noch ist nicht das letzte Wort gesprochen, Mama, und ich denke mir, die Frühlingsstürme brausen noch einmal durch die Seele des Pfadfinders, um ihn in andere Bahnen zu verschlagen. Durch Kampf zum Sieg! – Gebe Gott, daß Josef ein rechter Kämpe sei!«

Eine einfache Mietsdroschke stand vor dem Palais des ehemaligen Nabob, und der magere Gaul senkte schläfrig den Kopf zu dem köstlichen Mosaikpflaster, welches früher die Hufe des eleganten Viererzuges ungeduldig gescharrt hatten.

Frau Ines Sterley reiste ab, – und sie nahm diesmal für ewige Zeit Abschied von all der Pracht und Herrlichkeit, welche sie hier willkommen geheißen, als vor sieben Jahren ihr Fuß die Schwelle zum erstenmal überschritten hatte.

Wie falsch hatte man Excellenz Torisdorff damals beurteilt, und wie falsch beurteilte man sie heute!

Ehemals war manch neidischer Blick der reichen Frau gefolgt, welche von all den Millionen ihres Gatten Besitz ergriff, welche als Herrin und Gebieterin in den fürstlichen Besitz einzog und gewiß voll Stolz, Glück und Genugthuung ihres Herzens Freude gar nicht zu lassen wußte!

Hatten die Leute recht? O nein! Keiner ahnte, wie schwer das Herz der reichen Frau war, wie ungern, wie widerwillig sie dieses Haus betrat, wie sie diesen Schritt nicht als ein Glück pries, sondern ihn in tiefinnerstem Herzen ein Opfer nannte!

Und jetzt, als mitleidige oder schadenfrohe Blicke der Witwe des bankrotten Bankiers folgten und jedermann überzeugt war, daß dieselbe als trostlose, verzweifelte Frau sich von Pracht und Reichtum trenne, daß diese Stunde die bitterste und entsagungsreichste ihres Lebens sei, daß der Sturz aus der Höhe blendenden Genusses in die Tiefen des Elends sie rettungslos zerschmettern mußte, – jetzt täuschten sich die Menschen ebenso sehr, wie sie es ehemals gethan hatten.

Leichten Herzens, aufatmend wie erlöst von einer erdrückenden Last, bestieg Ines die Droschke, dieses bescheidene, armselige Fahrzeug, in welchem sie so lange nicht gesessen, und welches sie früher doch so oft stolz und glücklich bestiegen, wenn es galt, zu Festen zu fahren, wo die Lakaien den Droschkenschlag ebenso respektvoll vor Ihrer Excellenz der Freifrau von Torisdorff aufrissen, wie sie später gleichgültig und gelassen die prunkende Equipage der Frau Kommerzienrätin Sterley öffneten.

Keine Thräne verschleierte den Blick der Witwe, als sie von einem Besitz Abschied nahm, welcher sie nie beglückt, sondern stets nur gedemütigt hatte.

Am Grabe ihres zweiten Gatten hatte sie ehrliche und schmerzliche Thränen aufrichtiger Trauer geweint, denn sie hatte James Franklin Sterley als braven und ehrenwerten Mann geachtet und geschätzt und ihm alles Gute, was er an ihr und Josef gethan, herzlich gedankt. Auch jetzt, als sein Name durch seine Firma an den Pranger gestellt war, machte sie die Person ihres Gatten für das Unglück nicht verantwortlich. Er hatte sich leichtsinnigerweise mit Bankhäusern eingelassen, deren Unreellität ihn mitriß und ihn schwere Opfer kostete; dennoch wäre der unglückselige Bankrott nie über seine eigene Bank hereingebrochen, wäre er gesund und am Leben geblieben. In den herrenlosen Besitz aber war eine Meute gebrochen, verbrecherisch in den Schmutz zu reißen, was lange Jahre hoch in Ehren gestanden.

Nein, James Franklin trug keine Schuld an dem Elend, welches hereingebrochen war, und dennoch atmet Ines erleichtert auf, als sie jedes äußere Band, welches sie noch mit ihm vor der Welt verband, abstreifen konnte, – So ist es einem Menschen zu Mute, welcher jahrelang unter dem Zwange der Pflicht eine schwere Arbeit gethan und nun endlich wieder das Joch von sich abschütteln kann, frei und glücklich zu sein.

Ines empfand es wie eine Erlösung, als sie der Zug abermals dem Süden zuführte. Josef begleitete die Mutter, um sie in Nizza behaglich unterzubringen, und da Lina, die treue, erfahrene Pflegerin, ihrer Herrin zur Seite blieb, so konnte Josef sie getrosten Herzens in diesem Paradies der Vergessenheit zurücklassen.

In der Heimat waren die traurigen Geschäfte bald geregelt. Klaus hatte alles, was er besaß, hingegeben, um das große Defizit decken zu helfen, aber zu seinem ehrlichen und großen Schmerz blieb dennoch gar manche Wunde ungeheilt, und dieses Bewußtsein folgte ihm als einziger Schatten in sein neues Leben hinein.

Alles Neue übt auf heiter und glücklich beanlagte Menschen stets einen angenehmen Reiz aus, und so empfand es auch Klaus als etwas recht Originelles und Künstlerhaftes, als er mit seinem kleinen Koffer, welcher die notwendigsten Effekten enthielt, seinem Malkasten und dem mageren Geldbeutel nach München zurückreiste. Am sympathischsten wäre es ihm schon gewesen, er hätte so ganz als Wanderbursch mit Ränzel und Stab zu Fuß durch die Welt ziehen können, dazu war aber das Wetter noch zu wenig einladend, und ohne Malstudien im Freien machen zu können, hatte solch eine Scholarenfahrt doch keinen rechten Zweck.

Außerdem trieb es ihn voll fieberischen Eifers an seine Arbeit zurück.

Er hatte wohl seine ganz besonderen und eigenen Gedanken dabei, wenn er so schnell wie nur möglich etwas Bedeutendes schaffen und ein renommierter, gut bezahlter Meister der Kunst werden wollte.

Josef hatte die ersten Nachrichten aus München recht mit Sorge erwartet.

Er begriff nicht, daß Klaus so harmlos und seelensruhig nach München zurrückkehrte, wo man ihn als Millionär gekannt und respektiert hatte, wo man genau über die entsetzliche Bankrottaffäre unterrichtet war und es den ehemals so viel beneideten Kunstschüler sicher empfinden ließ, daß das Glück und die Gunst der Welt gar wandelbare Dinge sind!

Um so überraschter und froher war er, als Klaus sehr zufrieden und wohlgemut von seinem Ergehen berichtete, es gar nicht genug rühmen konnte, wie rücksichtsvoll und unverändert treu seine Freunde ihm begegneten, wie er überall genau so liebenswürdig und gut aufgenommen werde, wie ehemals als Sohn des reichen Mannes. Noch empfinde er seine Verarmung in nichts, ja er bedürfe nicht einmal der ganzen Zulage, welche Josef ihm so großmütig bewillige. Er lebe jetzt so viel billiger, weil so gar keine Anforderungen mehr an ihn gestellt würden, und das Sparen und »sich nach der Decke strecken« habe doch auch einen großen Reiz!

Er habe sich ehemals nicht annähernd über eine Tausend- Pfund-Note so gefreut, wie jetzt über ein erspartes Markstück! Welch ein stolzes Hochgefühl werde es erst sein, wenn er selbstverdientes Geld ans den Tisch zählen könne! –

Ja, Klaus war eine besonders glücklich beanlagte Natur! Was er anfing, schlug ihm zu Glück und Freude aus. Selbst über die härtesten Schicksalsschläge setzte er sich ohne Kampf und Seelenpein, voll Freudigkeit und Frische hinweg, und wo er hinkam, flogen ihm die Herzen zu, gleichviel ob er als Sohn des Nabob oder als blutarmer Kunstschüler an die Thüren klopfte.

Klaus springt lachend über die Dornen hinweg und pflückt die Rosen vom Strauch, – Josef aber muß sich mühselig seinen Pfad durch die dornige Wildnis bahnen, muß ringen und bluten, muß sich die Hände wund und die Füße matt kämpfen, und wenn er glaubt am Ziel zu fein und die Blüten pflücken will, so entblättern sie zwischen seinen Fingern und machen ihn ärmer noch denn zuvor.

Dennoch neidete er dem Stiefbruder nicht den sonnigen Weg.

Im Gegenteil, er empfand diesen Ausgleich wie eine Genugtuung. Er liebte Klaus von Herzen und gönnte ihm das Glück, welches ihm selber versagt schien.

Das heitere Naturell und die schäumend frohe Lebenslust des Freundes war noch das letzte, schmale Band, welches ihn an die Welt fesselte und ihn unbewußt zu derselben zurückzog, wenngleich er voll schwermütiger Selbstkasteiung eigensinnig in einen Weg einlenkte, welcher weit ab von ihr und der rollenden Kugel des Glückes führte. Klaus kannte das Zauberfädlein, an welchem er das Herz des Bruders hielt, und bewachte es in fester, treuer Hand. –

Währenddessen hatte sich auch die neue Lebenswende Torisdorffs in ihren ersten Anfängen bewahrheitet.

Sein Brief hatte den Dekan Duncaczy nach längeren Irrfahrten aufgefunden, und seine Antwort traf umgehend und sehr eingehend und herzlich ein.

Es berührte den treuen Lehrer und Seelsorger des ehemaligen Knaben ganz besonders sympathisch und herzerquickend, daß der Zug frommen Glaubens und religiöser Schwärmerei, welchen er so sorgsam gepflegt und gehütet, nicht in dem breiten und wüsten Strom des Lebens untergegangen sei, sondern den jungen Mann voll heiliger, elementarer Gewalt doch noch dem Beruf entgegentreibe, auf welchen ihn sein ganzes Sein und Wesen seit Kindesbeinen an hingewiesen.

Dekan Duncaczy erachtete den Wirkungskreis eines Klerikers als den einzigen, welcher der bedrängten und bedrohten Menschenseele wahren Frieden und wahre Befriedigung geben könne.

Er selbst hatte alle Bitternisse und Tücken, alle Enttäuschungen und Härten des Lebens durchkostet, ehe er, schon als alternder Mann, noch den rechten Weg zum Schoß der heiligen Kirche gefunden. Ihm hatte sie Ruhe und Frieden gegeben.

Nun lebte er in gesegneter, ihm besonders zusagender Thätigkeit, er wachte über junge Menschenseelen und leitete sie bei Zeiten, ehe der Sturmwind des Lebens sie fassen und die Abgründe der Welt sie verschlingen konnten, auf den Weg des Heils. Er war dem Ruf eines ihm wohlwollenden Bischofs gefolgt, und hatte eine Stellung als Lehrer an einem geistlichen Seminar angenommen, in welchem junge Männer für den Priesterstand ausgebildet wurden.

Besagtes Seminar befand sich in K–burg, der einstigen Residenzstadt der Siebenbürger Fürsten, deren burgartiges Schloß von Kaiser Karl VI. erbaut ward.

Duncaczy bekleidete das Amt eines Präfekten und theologischen Professors in dem Institut, welches neben dem Rektor, als obersten Patronatsherrn dem Bischof unterstellt war.

Von dem Leben und Treiben der Anstalt, welche den Rang einer Universität einnahm, schrieb der ehemalige Dekan nicht viel, nur in einzelnen großen Zügen schilderte er, daß die Zucht und Ordnung eine sehr strenge und wohlgeregelte, aber das Leben ein überaus harmonisches, Herz und Seele erquickendes sei. Er stellte es Josef anheim, daß, falls er in Deutschland verbleiben wolle, er nach abgelegter Matura auf eigene Kosten die Universität weiter beziehen müsse. Falls er aber geneigt sei, nach Österreich überzusiedeln, so mache er ihm den Vorschlag, das Seminar in K–burg zu beziehen, um seine theologischen Studien dort zu beginnen. Daß dies als eine große, unbeschreibliche Freude von ihm, seinem alten Lehrer und Freund begrüßt werden würde, sei selbstverständlich, und darum schließe er diese Zeilen in der beglückenden Hoffnung, den teuren Schüler bald wieder als einen solchen in die Arme schließen zu können!

Heiße Glut freudiger Überraschung brannte auf Josefs Stirn, als er den Brief gelesen.

Welch eine erste Gunstbezeugung des Schicksals, ihm derart den Weg zu ebnen.

Konnte es Besseres und Verlockenderes für ihn geben, als seine Wege mit denen des teuren Freundes aufs neue zu vereinen? Konnte sich seine Zukunft jemals sicherer und gesegneter gestalten, wie unter dieser Führung? Und welch ein günstiger Umstand, daß Duncaczy ihn nach Österreich rief, nach diesem Land, welches ihm lieb und sympathisch war, welches er eine zweite Heimat für jeden Deutschen nannte. Dort ist er unbekannt und weltentrückt, dort wird er vergessen und bald von denen, welche er sticht, vergessen sein. Hier gab es kein Überlegen mehr, Josefs Schicksalswürfel war gefallen.


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