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III.

Es hatte vor drei Jahren ungeheures Aufsehen in der Residenz gemacht, als der Amerikaner Mister James Sterley ein neues Bankhaus – die Filiale seiner Firmen in Chicago, London und Paris – in der deutschen Großstadt gründete, und sich für seinen Privatbedarf eine palastartige Villa erbaute, von deren fürstlicher Ausstattung man sich seiner Zeit Wunderdinge berichtete.

Schon das Äußere des Gebäudes fesselte jeden Blick, denn es war so geschmackvoll, so reich und eigenartig, ohne dabei überladen zu sein, daß es wohl nicht mit Unrecht von den Droschkenkutschern als Sehenswürdigkeit den Leuten gezeigt wurde. Die Skulpturen waren Meisterwerke erster und namhafter Künstler, und die wundervollen Malereien zwischen den Säulenfeldern der Vorhalle rührten von den Pinseln der bedeutendsten Meister her, welche ihr Bestes gegeben, um den verwöhnten und feingebildeten Geschmack des »Königs von Illinois«, wie man Sterley teils scherzend, teils neidisch spottend, nannte, zu genügen.

Des Hauses glänzende Schale barg einen noch glänzenderen Kern, und doch konnte auch der schärfste Kritiker nichts Protzenhaftes, Übertriebenes daran tadeln. Der Amerikaner zeichnete sich durch Takt und maßhaltende Würde aus, und dieser sympathische Grundzug seines Charakters öffnete ihm selbst in der guten Gesellschaft manche Thür, welche der Geldaristokratie für gewöhnlich verschlossen blieb.

James Franklin Sterley verstand es, sich Freunde zu machen. Auch er hatte sich einen Wahlspruch für sein Thun und Handeln erkoren, ein Gegenstück zu dem weltbekannten »Noblesse oblige« – mit der einzigen Variante, daß ihn nicht der Adel, sondern die Mittel, über welche er verfügte, verpflichteten.

Er war kein Harpagon, welcher nur die Reichtümer gierig aufhäufte, um sich selber an dem Anblick solcher Schätze zu weiden, nein, er erachtete sein Vermögen als ein Lehen des Schicksals, ihm zuerteilt, um bestmöglichen Gebrauch davon zu machen. Er gab gern und viel, – er knauserte nicht, höchstens gegen sich selber war er streng, für seine Person jeden unnötigen Komfort vermeidend, vernünftig, anspruchslos, nur auf den Gebieten der Kunst depensierend, wenn er sich durch diese einen wahren Genuß schaffen konnte. Dabei rastlos thätig, von eisernem Fleiß und unermüdlichem Erwerbssinn. Das Genie des Kaufmanns war ihm angeboren. Er spekulierte nicht in dem eigentlichen Sinn dieses Wortes, aber er ließ sich oft ein wenig waghalsig auf Unternehmungen ein, welchen sein scharfer Blick einen Erfolg garantierte, – er operierte mit namhaften Summen, aber niemals in einer Weise, welche auch nur den Schein eines Glücksritters oder Spekulanten auf ihn warf. Seine Bank war solide, und als solche im In- und Ausland geachtet und respektiert.

Abseits von den Prunkgemächern und der langen Flucht des Empfangssalons lag das Arbeitszimmer des Hausherrn, ein hohes, weites Gemach, welches seine kaum drapiert zu nennenden Fenster nach dem Park zu öffnete. Hier hinein schaute selten, fast niemals ein fremder Blick, es war das Heiligtum stiller Zurückgezogenheit, das Reich lieber Erinnerungen, in welchem einzig Vater und Sohn traute Stunden ungestörten Beisammenseins genossen.

Wunderlich genug hätte dieses Zimmer des Millionärs fremden Augen erscheinen müssen. Es wies in dieser Zeit »stilvollsten Stils« nichts auf, was irgendwie einheitlich oder charakteristisch hätte genannt werden können. Beinahe glich es einer Kramstube, in welcher alles sonder Wahl und Ansehen hingestellt und zusammengewürfelt wird, was in den anderen Salons und Räumen überflüssig geworden ist. Ein altmodisches Cylinderpult stand über Eck am Fenster, und zeigte es auf den ersten Blick, daß James Franklin Sterley es vielfach, wohl täglich, benutzte. Daneben, an das Fenster gerückt, erzählte ein entzückend gearbeitetes Nähtischchen von fleißigen Frauen- händen, welche ehemals an ihm geschafft. Noch steckten halbgespulte Zwirnwickel und Seidenröllchen in den kunstvoll eingelegten Fächern, und der silberne Fingerhut stand so blank auf seinem blauen Sammetpolster, als habe ihn eben erst ein rosiges Händchen vom Finger gestreift. –

Alte, unansehnliche Lederstühle hier und dort, und dazwischen wieder die zierlichen, hocheleganten Brokatmöbel eines Damenboudoirs, ein altmodisches Klavier, von verblaßter Seidendecke überhangen, Silhouetten und schmucklose Zeichnungen längst vergangener Zeiten an den Wänden, und in ihrer Mitte, mit verschwenderischer Pracht goldstrotzend eingerahmt, das lebensgroße Ölgemälde einer jungen Frau, künstlerisch gemalt, so lebensvoll, daß man unwillkürlich das Gefühl hat, sie wirft den gelbflockigen Pelz, welchen sie von den Schultern zurückhält, vollends ab, und eilt dem Beschauer mit frischem Lachen und strahlend heiterm Blick entgegen. Mehr denn je empfand diesen Zauber täuschender Lebendigkeit wohl der Mann, welcher auch heute wieder einsam und gedankenversunken vor dem Gemälde saß, – James Franklin Sterley.

Das Licht fällt grell durch die geöffneten Fenster und beleuchtet seine schlanke, sehr große, etwas knochige Gestalt in dem hellen Sommeranzug, welche vornüber geneigt, wie niedergebeugt von der Last schwerer Gedanken in das lächelnde Antlitz seines verstorbenen Weibes starrt. –

Der Amerikaner sieht noch nicht alt aus, trotz des ergrauten Haares und des fleischlos hageren Gesichts, welches mit energischen, sonst so scharf und lebhaft blickenden Grauaugen in die Welt schaut. Die Lippen decken blaß und bartlos die Zähne, nur an den Wangen zeigen sich schmale Streifen eines sehr kurz gehaltenen charakteristischen »John Bull«. Der Bankier hat die schmalen Hände, an deren rechter als einziger Schmuck ein schmaler Trauring glänzt, im Schoß zusammengelegt, und während er mechanisch den goldenen Reif am Finger dreht, schweifen seine Gedanken weit zurück, bis zu dem Tag, wo ihm jene blühende, anmutige Mädchengestalt zu dem Altar folgte, wo sie ihm den Ring an den Finger steckte. Damals! – O, wie glücklich, wie unbeschreiblich glücklich waren sie! Noch war der Goldregen nicht auf den jungen Bankbeamten herniedergeströmt wie jetzt, aber er war auch damals schon ein reicher Mann, reich durch Erbschaft und Lotteriegewinn, ein vielumworbener junger Mann, welcher getrost bei den verwöhntesten Erbinnen hätte anklopfen können, – aber sein Herz war größer wie sein Verstand und zog ihn an den Palästen vorüber, zu der stillen, engen Vorstadtstraße, wo die arme Doktorswitwe mit ihrem goldlockigen Töchterlein wohnte, wo beide von früh bis spät in rastlosem Fleiß die Hände rührten, all jene schimmernden Goldmuster in die Schleppen der Millionärinnen zu sticken.

James Sterley hatte die reizende Virginie zum erstenmal gesehen, als sie mit heißgeröteten Wangen und glückstrahlenden Augen ihren ersten Sparpfennig auf die Bank gebracht hatte. Da lachten ihn die blauen Kinderaugen durch das hohe Eisengitter an wie ein Stück Himmel, welcher stumm versicherte: »Hier wohnt die Seligkeit, – Hier findest du es wieder, das verlorene Paradies!« –

Und der junge Mann empfand eine heiße Sehnsucht nach diesem Paradiesesglück wahrer Liebe. – Unerklärliche Gewalten zogen ihn nach diesem blauen Himmel, – er suchte und er fand ihn. Und das gleißende Gold verlor seinen Schein neben dein blauen Glanz dieser Mädchenaugen.

Das Unglaubliche geschah, – James Franklin Sterley heiratete die arme Stickerin aus der Vorstadtgasse! Sie brachte ihm kein Geld und Gut ins Haus und machte ihn doch reicher wie einen König!

»Sei getreu bis in den Tod!« klangen und sangen die Stimmen des Kirchenchors, wie seliger Jubel von Engelzungen, als er ihr den Ring an den Finger steckte! –

Ja, sie ist ihm treu gewesen, bis in den Tod, – sie hat ihren Eid der Treue gehalten – – und er?– Ein schwerer, tiefer Atemzug hebt die Brust des Bankiers, – er sieht zu ihr auf, seine Lippen regen sich. Leise, kaum hörbar, flüstert er, –

»Ich liebe dich, Virginie! ich liebe dich auch bis in den Tod! – Nichts soll zwischen unsere Herzen treten, auch nicht das Bild jener Andern, um deren Hand ich soeben geworben, auf deren Antwort ich hier warte, ruhig und kühl bis in mein erstorbenes Herz hinein. Das legte ich mit dir zu Grabe. – Warum ich dir jene andere, vornehme Frau zur Nachfolgerin geben will? – Verzeih mir, Virginie, ich bin ein Spekulant geworden, – ich treibe nicht mehr allein Handel mit dem Mammon, – ich treibe sogar Wucher mit Menschenherzen. – Meine zweite Ehe ist ein Geschäft, – eine Anleihe, welche Zinsen tragen soll, – für unser Kind, für Klaus! – Deinen Sohn, dessen Fürsorge du mir übertrugst. An ihn – an sein Kapital – an sein Vermögen denke ich bei dieser Ehe. – Ich habe mich bei dem Bau der neuesten Bahnen zu stark engagiert, es gilt Einfluß in maßgebenden Kreisen zu gewinnen, um das Ziel, welches zweifelhaft geworden, dennoch zu erreichen. Excellenz Torisdorff ist die Persönlichkeit, welche ich gebrauche. Sie, die frühere Hofdame, steht in besten und intimsten Beziehungen zu dem Königshaus, – sie ist befreundet mit all den maßgebenden Persönlichkeiten, durch welche ich so viel für mein Unternehmen erreichen möchte! – Sie ist eine Frau, welche mein Haus ahnungslos fördern wird, nicht zu klug und nicht zu beschränkt, eine natürliche Diplomatin, taktvoll, sicher und vertraut mit den Elementen, auf deren Kraft ich zählen muß. – Bist du noch eifersüchtig, Virginie? – Nein! gewiß nicht! Meine Ehe ist ein wichtiger, notwendiger Schachzug, durch welchen meine Partie und mein Gewinn gesichert wird. Ich vergesse dich nicht, um der Fremden willen, und ich habe kein falsches Spiel getrieben! Ich habe nicht aus Liebe um eine Geliebte geworben, sondern habe Excellenz Torisdorff gebeten, die Herrin meines Hauses zu werden, – als Lohn soll sie haben was mein ist, – und das ist mein Geld und Gut, meine Liebe nicht, denn die ist und bleibt ja dein in Ewigkeit, meine Virginie!« –

Das Bild lächelt auf ihn nieder, – kein Schatten huscht darüber hin, jugendlich, in siegesbewußter Schöne triumphiert die Tote über die Lebende. Und die Uhr tickt und tickt, und der Bankier träumt weiter, von dem glücklichen Einst und dem gleichgültig freudlosen Jetzt, welches nur noch ein Interesse für ihn hat, – sein Geschäft, welches nur noch einen Reiz auf ihn ausübt, das geistreiche, kecke Glücksspiel mit seinen wechselnden Zügen! Matt setzen kann ihn wohl keiner, aber schaden und nützen, einbringen und verlieren lassen, darum handelt es sich, und Mister Sterley ist viel zu sehr Kaufmann und Amerikaner, um nicht viel einzusetzen, wo sich viel gewinnen läßt. Seine Gedanken umkreisen wie im leisen Gespräch die verstorbene Gattin, und der Bankier glaubt ehrlich, ganz ehrlich zu ihr zu sein, eines aber vergißt der unverändert Gebliebene dennoch zu beichten, die ihm fast unbewußte Wandlung seines Charakters, welche aus einem ehedem gegen alle Äußerlichkeiten gleichgültigen, selbstbewußten Amerikaner, einen ehrgeizigen, eiteln Kommerzienrat gemacht hat, – einen Mann, welchen deutscher Kastengeist und europäische Titelsucht in wenig Jahren unheilbar angekränkelt haben. James Franklin Sterley lügt nicht, wenn er dem Bildnis seines ersten Weibes versichert, daß er nur aus Geschäftsinteressen und ohne Liebe um die Witwe des Generals, die ehemalige Hofdame, wirbt, aber er verschweigt, daß auch die Eitelkeit eine starke Triebfeder gewesen, welche ihm den Antrag an ihre Excellenz in die Feder diktiert hat. – Und die Eitelkeit ist es auch, welche ihn endlich von seinen Gedanken losreißt, besorgt nach der Uhr zu sehen. –

In früher Morgenstunde hat er seinen Brief an Ines von Torisdorff abgesandt, jetzt sinkt die Sonne bereits hinter die dunkeln Wipfel des Parkes, und noch immer ist keine Antwort eingetroffen. Überlegt es die arme Witwe so lange, ob sie die Gemahlin des mehrfachen Millionärs werden soll? Wiegt das kleine Wörtchen, das Adelsprädikat, schwerer wie seine Sacke voll Gold? –

O, dieser deutsche Hochmut! Diese eingewurzelten Vorurteile! Dieser zähe, starre und doch so imponierende Adelsstolz! –

Der junge Torisdorff lehnte es ab, Klaus nach Tegernsee zu begleiten, war es vielleicht der Schatten, welchen große Ereignisse vorauswarfen? Eine fiebernde Ungeduld bemächtigte sich allmählich des sonst so kühlen, stets gelassenen Mannes. Das Pflänzlein Eitelkeit schlägt seine Wurzeln tiefer und tiefer, es trägt Dornen, welche Wunden reißen. –

Noch nie zuvor ist dem Amerikaner der Gedanke gekommen, daß der Titel Kommerzienrat allein noch nicht genüge, ihm eine Stellung in der deutschen Residenz zu schaffen, jetzt in den Stunden des Harrens, des Hangen und Bangens, deucht es ihm ein unbegreiflicher Mangel, daß dem Namen Sterley das Wappenschild fehlt. – Er empfindet das Zögern der Generalin wie ein Bettler, welcher mit gezogenem Hut stehen bleibt, bis sie in ihrer Börse ein Almosen gesucht, –

Sie würde sich mehr beeilen, wenn der Freier seine Hand und seine Reichtümer auf einem Wappenschild anbieten könnte.

Ja, es fehlt ihm! – Es ist das einzige der Glücksgüter, welches Fortuna ihm noch nicht in den Schoß geworfen.

Ist es unerreichbar? – Gewiß nicht. Das fin de siècle ist mehr denn je das Zeitalter, in welchem Rittersporn neu ausgesät wird. Die jungen Pflanzen stehen infolgedessen nicht hoch im Preise bei den Kennern, – aber sie wachsen doch in dem Garten, zu welchem anderes Wegekraut keinen Zutritt hat. –

Mit unruhigen Schritten geht der Bankier im Zimmer auf und nieder, er wendet sich schließlich zur Thür und tritt im Nebenzimmer an das Fenster, welches den Blick auf die Straße gewährt. Wird die ehemalige Hofdame seine Gemahlin, so bleibt wohl der Platz über dein Portal, wo ein großes, steingehauenes Wappen so trefflich seinen Platz fände, nicht lange mehr leer.

Und James Franklin Sterley, welcher den Antrag an die Excellenz mit so kühlem Blut niedergeschrieben, steht plötzlich mit fiebernden Pulsen und wartet auf die Antwort, so ungeduldig und besorgt, als hinge von der Huld und Gnade der armen Offizierswitwe seine Daseinsberechtigung ab. –

Und dann zuckt er leicht zusammen und streicht langsam über die Stirn, wie ein Mann, welcher aus wirren Träumen erwacht.

Wohin führen ihn seine Gedanken!!

Will er sich denn hier in Deutschland naturalisieren lassen? Er, der eingefleischte Amerikaner, welcher kaum einen richtigen und klaren Begriff von dem Adel hat, er, der freie, selbstbewußte Selfmademan, welcher seit jeher zu stolz war, um anderen etwas zu danken? – Außer Gott nur ich! – Was ich werd' und bin, bin ich aus eigener Kraft durch des Allmächtigen Gnade! – So hat er noch vor wenig Monaten mit dem frohen Siegesbewußtsein der Unabhängigkeit triumphiert, als er widerwillig den Titel eines Kommerzienrates angenommen, mit dem festen Vorsatz, niemals Gebrauch von dieser Dankesquittung zu machen, welche man ihm aus Erkenntlichkeit für ein von ihm erbautes, dotiertes und der Stadt geschenktes Blindenasyl ausgestellt hatte!

Und nun? – Er hat unter seinen Heiratsantrag – nicht ohne ein Gefühl von Genugthuung – den Titel Kommerzienrat geschrieben, er hat dem Kammerdiener befohlen, den jüngst verliehenen Orden an dem Frack zu befestigen – den Orden, welchen er mit ironischem Lächeln in seinen Schreibtisch geschlossen und schier vergessen hatte. – Und jetzt steht er in fieberhafter Spannung und wählt schon einen Platz für das Wappen über der Hausthür aus. Wie ist solch eine Wandlung möglich gewesen, wie ist sie gekommen? –

Der Bankier seufzt tief auf, weil er ein Sklave seiner eigenen Werke geworden ist. Er, der freie Mann, empfindet eine Last auf seinem Nacken, welche ihn tyrannisch beugt, welche ihn der Notwendigkeit gefüge macht und jedes Mittel, welches zum Ziele führt, als recht und gut erachten läßt.

Der Reichtum, welchen er mit eigenen Händen zusammengetragen, wächst an zu einem Riesen, welcher nun den eigenen Herrn am Gängelband leitet, wohin es ihm just beliebt.

Der Bankier steht zu tief in dem breiten Goldstrom, welcher ihn haltlos mit sich fortreißt.

Er hat sich bei neuen Unternehmungen allzusehr engagiert, er ist viel zu sehr Geschäftsmann, um große Verluste gleichgültig zu ertragen, er bemüht sich, ihnen vorzubeugen. Er ist ein Spieler geworden, welcher keinen Schachzug scheut, um zu gewinnen. Und seine zweite Ehe, sein Titel – sein Orden – seine hochfliegenden Gedanken – sie alle sind Schachzüge, um auf diplomatischem Weg zu erreichen, was auf der geraden Straße nicht mehr eingeholt werden kann. –

Der Zweck heiligt die Mittel.

James Franklin Sterley zuckt gleichmütig die Achseln, sein geradliniges Gesicht wird steinern wie zuvor, – der jesuitische Grundsatz lullt die Skrupel ein, welche ihm plötzlich kommen wollten. Er wirft sich in einen Sessel, entzündet eine Cigarette und greift nach der Börsenzeitung. Die Zeit vergeht, violette Schatten fallen durch das Fenster und ein matter Luftzug weht durch die geöffnete Balkonthür, den letzten Gruß der scheidenden Sonne hereinzutragen.

Ein leises, respektvolles Klopfen.

Der Bankier hebt jäh das Haupt.

»Well!«

Ein Diener im schwarzen Frack und weißer Weste steht auf der Schwelle.

»Ein Brief von Ihrer Excellenz Freifrau von Torisdorff.« Noch einmal ein: »Well!« – es klingt etwas heiser, aber der Amerikaner bleibt regungslos im Sessel liegen, nur seine grauen, durchdringenden Augen richten sich nach der Thür, in welcher auf einen Wink des Kammerdieners ein Lakai erscheint.

Er tragt ein silbernes Tablett, auf welchem ein Brief liegt.

Bill nimmt es ihm ab und überreicht es seinem Gebieter. –

Abermals ein kurzes: »Well – thank jou!«

Die Überbringer sind entlassen.

Sterley wartet, bis sich die Thür hinter ihnen geschlossen, dann nimmt er das Schreiben und starrt einen Augenblick darauf nieder, ohne es zu öffnen.

Das Papier ist leicht und schlicht, aber es trägt eine siebenperlige Goldkrone auf dem Umschlag.

Wunderlich, schon von ihm geht das gewisse feierlich vornehme Etwas aus, wodurch dem Amerikaner vom ersten Augenblick an die deutsche Baronin so gewaltig imponierte.

Er war doch so ruhig geworden, nun schlägt ihm das Herz wieder heftig in der Brust.

Mit leicht bebenden Fingern, wie mit einem gewaltsamen Entschluß, reißt er das Couvert auf. Nur wenige Zeilen; – voll atemloser Hast überfliegt er sie, und dann steigt eine feine Röte in Wangen und Stirn, – seine Augen blitzen auf wie bei einem Wettreiter, welcher unter wehenden Fahnen das Ziel gewonnen! Er springt auf, – wirft lächelnd den Kopf zurück und atmet tief – tief – auf.

Sein Blick streift den Spiegel und mustert mit einem Ausdruck stolzer Eitelkeit sein Bild. –

»Was bist du für ein Mann!« – liegt darin; »auch ohne Adelskrone bist du ihr begehrenswert – ihr – einer Excellenz, deren exklusive Gesinnung stadtbekannt ist. Selfmademan bist du, auch dieses Mal!« Und dann schreitet er gerade aufgerichtet, elastischer noch wie sonst, zu der elektrischen Schelle.

»Ich wünsche auszufahren, Bill! – Zuvor werde ich mich ankleiden, – full dress. – Stehen die Blumen bereit?«

»Es ist alles bereit, Herr Kommerzienrat.«

Zum erstenmal nennt der Kammerdiener – trotz des Verbotes – seinen Herrn mit dem Titel, und er bekommt keine Rüge, – Mister Sterley überhörte es wohl. –

Nach kaum einer Viertelstunde sauste der elegante Viererzug davon. In Mister Sterleys Händen liegen die schönsten Rosen, welche je einer Braut zu Füßen gelegt wurden. Der Besuch währt nicht allzulang, – der Amerikaner liebt und wahrt die etwas steife Form ebenso sehr, wie Ihre Excellenz. –

Es ist eine eigenartige Verlobung, ohne Illusionen, ohne Liebesschwüre, – ohne Zärtlichkeiten. Sie gleicht mehr einem konventionellen Abschluß, einem Pakt, welcher in höflich formellem Konversationston abgeschlossen wird. –

Mister Sterley bittet auch erst um die Erlaubnis, seiner Verlobten näher bekannt werden zu dürfen, und schlägt vor, dies durch einen gemeinsamen Aufenthalt in Ostende zu ermöglichen.

Er werde alles Nötige anordnen und für Excellenz und Josef Quartier in einer der behaglichen Villen besorgen, dieweil er selber im Hotel absteigen werde. Mit gütiger Erlaubnis werde er auch Klaus während der letzten vierzehn Tage der Ferien nach dort beordern. –

Excellenz Torisdorff reicht ihm dankend die schmale Hand und der Amerikaner drückt sie so ehrerbietig an die Lippen, wie ein Vasall seiner Königin huldigt. – Josef hingegen schließt er voll herzlicher Wärme an die Brust und hält den Blick des jungen Mannes, welcher wie in brennender Frage bis in sein tiefstes Herz zu dringen scheint, fest und lächelnd aus.

An dem Strand der See – im täglichen Verkehr und Sehen, sollen sich die Herzen finden, und gewinnt Excellenz die Überzeugung, daß ihre Verbindung mit Mister Sterley ein Glück für sie alle werden kann, so soll nach der Rückkehr die Verlobung veröffentlicht und baldmöglichst die Hochzeit gefeiert werden.

Ein müdes Lächeln zuckt um die Lippen der Generalin, es sieht beinahe aus, als wolle sie voll herber Resignation seufzen: »Wozu noch diese Komödie, diese Galgenfrist? – Warum wir uns heiraten wollen – und daß wir es thun werden, wissen wir ja beide! Ist für solche Motive ein Kennenlernen notwendig? –

Dennoch empfand sie die Feinfühligkeit dieses Mannes, welcher seiner Werbung der Äußerlichkeit nach wenigstens den geschäftlichen Anstrich nehmen wollte, sehr angenehm und sehr dankbar.

Ein täglicher Verkehr in dem fremden, leichtlebigen Seebad schlug wohl die beste Brücke von der Vergangenheit zur Zukunft und ließ den Wechsel ihrer gegenseitigen Beziehungen nicht allzu schroff empfinden.

So war der erste Eindruck, welchen Mister Sterley hinterließ, ein günstigerer und sympathischerer, als Frau von Torisdorff weder sich noch ihrem Sohn eingestand, und Josef forschte vergeblich in den unbeweglichen Zügen der Mutter nach einem Anzeichen, welches für die Persönlichkeit des Bankiers vorteilhaft gedeutet werden konnte.

Excellenz Torisdorff schien sich ohne Thränen, aber auch ohne Lächeln in ihr Schicksal zu finden, und ihr Sohn preßte schwer atmend das Antlitz auf die gefalteten Hände und dachte: »die Zeit wird ihr helfen, – sie wird die üppigen Blüten des Reichtums leichter und lieber pflücken lernen, als sie ahnt, und das künftige Leben, in all seinem sorglosen Behagen wird ihr eine unentbehrliche Gewohnheit werden, welche doch noch alle Opfer, welche ihm jetzt gebracht werden, aufwiegt. Die Hauptsache ist ja schon jetzt für mich erreicht! Die geliebte Kranke wird in der frischen Seeluft gekräftigt und gesunden, und dieses Bewußtsein stillt die Gewissensbisse, gegen meine bessere Überzeugung, gegen all meine Ansichten und Grundsätze gehandelt zu haben!«

Ja –, Josef von Torisdorff hatte unter dem Druck der Not und der Verhältnisse gehandelt, wie er es unter normalen Umständen nie gethan haben würde. Er hatte sich ohne Schuld zum Egoisten gemacht, er hatte der Mutter eine kleine Komödie vorgespielt, welche ihm mit jedem Gedanken fern lag! Er hatte sich eines unerlaubten Mittels bedient, sie in die unsympathische Ehe mit dem Bankier hinein zu zwingen! –

Nun heiratete sie den reichen Mann lediglich aus Pflichtgefühl, aus Liebe und Sorge um ihr Kind! – Um des Sohnes Leben günstig zu gestalten, opferte sie sich selbst, um für ihn zu gewinnen, gab sie sich selber hin, sich und alles, was ihrem Herzen teuer war! – Und war dies thatsächlich eine Notwendigkeit? O, nimmermehr! Josef fühlte Kraft und Energie in sich, seinen Weg auch ohne die Goldquellen jenes Amerikaners zu machen! Er wäre ohne Zögern Offizier geworden und seine Gesundheit hätte sich entweder in Arbeit und Dienst gestählt, oder er hätte das Los so vieler unbemittelter Standesgenossen geteilt, er wäre als Opfer seines Berufs ehrenvoll zu Grunde gegangen.

Dann hätte er als pflichttreuer Sohn seiner Väter das stille Kämmerlein unter dem Rasen bezogen, zugedeckt mit Schwert und Schild, dem reinen, fleckenlosen, welches er während seiner kurzen Pilgerfahrt mit der Kraft der eigenen Hände hochgehalten, – so lang, bis diese Kraft erlahmt war, bis er das Lehen seines Königs, welches ihm zu schwerer Last geworden, brechenden Auges zurück erstattet hatte. –

Und auch dieses kurze Leben wäre schön gewesen, schön und sonder Reue. – Das wehmütige Schicksal eines Mannes, an dessen Wiege nur ein prophetischer Segenswunsch erklungen: Noblesse oblige! – Beinahe deucht es ihm, als habe das Schicksal, welches er sich jetzt selber beschworen, weit weniger Reiz für ihn. Es wird ihm zeitlebens Bleigewichte an die Flügel hängen und ihre Flugkraft mehr noch lähmen wie die Anstrengungen des Militärdienstes. Er wird stets das Gefühl der Verpflichtung mit sich herumtragen, und das demütigende Bewußtsein, daß er, der Edelmann, die Almosen eines Fremden angenommen, um bestehen zu können. –

Dieser Gedanke treibt ihm die Schamröte in die blassen Wangen und er furcht trotzig die junge Stirn, hinter welcher solch unnatürlich gereifte Gedanken kreuzen. Er erwägt jede Möglichkeit, dieses Geld von seinem Stiefvater nicht als Geschenk, sondern nur als Darlehn erachten zu können, welches er ihm später mit Zinsen wieder zurückzahlt! –

Er will nichts von dem reichen Mann! Er persönlich bedarf seines Geldes nicht! Nur der Mutter soll er als Helfer und Retter kommen, soll ihr geliebtes, teures Leben hüten und erhalten, denn der einzige, welcher ein Recht dazu hätte, ihr Sohn, ist ein schwacher, ohnmächtiger Knabe, welcher nichts anderes hat, als sein grüblerisches Sinnen und sein Gebet! –

Und während Ines das thränenüberflutete Antlitz nachts in die Kissen barg und der einzige Trost, an welchen sie sich klammerte, der Gedanke war, ihrem Kind und seiner Zukunft ein lohnendes Opfer zu bringen, – während sie in dieser heiligen Aufgabe, in dieser edlen Selbstverleugnung die Kraft fand, sich zu überwinden, – brachte ihr Sohn ihr noch ein bei weitem größeres Opfer! – Er rang in dem Kampf übertrieben hoher Jugendideale gegen den Realismus eines bitteren »Muß«, er war ein Kind voll frühreifer Gedanken, welchem jedoch die Erfahrung und das klare Urteil des Mannes fehlten, er stand noch mit beiden Füßen fest in der Vergangenheit und den Prinzipien, welche man ihm in derselben anerzogen hatte, und nun rüttelte er selbst mit eigene» Händen daran, nun riß er das Gewesene nieder, ohne noch eine Zuflucht bei dem Kommenden zu finden. Diese Stunden bitteren Ringens gingen nicht spurlos an ihm vorüber, sie hinterließen ihre Narben, und wenn auch das milde Schicksal sich erbarmte und seine junge Seele von der Folter erlöste, indem es durch die Reise nach Ostende neue Eindrücke und Zerstreuung bot, so verkapselten sich jene wirren Ideen dennoch tief in seinem Herzen, eines Frühlingssturmes harrend, welcher sie zu neuem Leben aus der Tiefe emporwühlen wird, –

Zuerst glättete sich die bewegte Flut. – Der Reiz der Neuheit übte auf sein Kindesgemüt die unfehlbare Wirkung aus, – ein glückseliges Aufatmen folgte nach der langen Pein! –

Mit strahlenden Augen sah er, wie das leidende Antlitz der Mutter sich unter den Küssen frischer Meeresbrise rosiger und lebhafter färbte, wie sie voll stummen, aber doch merklichen Behagens all die Segnungen des Reichtums genoß, welche ihr Mister Sterley eben so zartfühlend wie warmherzig unterthan machte. –

Dazu kam, daß Josef den künftigen Stiefvater von Tag zu Tag mehr schätzen lernte. Voll tiefer Dankbarkeit empfand er seine Bemühungen, das Leben der Mutter so angenehm und beglückend wie möglich zu gestalten, und seine zarten Aufmerksamkeiten machten seltsamerweise auf den Sohn noch mehr Eindruck als wie auf diejenige, welcher sie galten. –

Das aber, was seine unsichtbaren Bande am festesten und wirksamsten wob, war die aufrichtige, herzliche Freundschaft und das schon jetzt vollkommene brüderliche Einvernehmen, welches zwischen den beiden Knaben herrschte.

So verschiedenartig wie Josef und Klaus auch beanlagt waren, so harmonisch gestaltete sich ihr Verkehr, ja es schien, als ob die Charaktereigenschaften des einen die des andern ergänzten. Josef ernst, grüblerisch, tief religiös und beinahe etwas pedantisch, fand für seine frühreifen und schwermütigen Ansichten ein wohlthuendes Gegengewicht in dem sorglos heitern, mit strahlenden Augen in die Welt hineinlachenden Klaus! Der junge Sterley war das herzgewinnende Abbild der verstorbenen Mutter. Lebenslust und ein ehrliches, braves Kinderherz spiegelten sich auf dem hübschen, rotwangigen Gesicht, welches nie allzu tiefe oder philosophische Gedanken hinter der Stirn hegen wird. Klaus war oberflächlich und geistig nicht sehr begabt, aber er war dennoch nicht ohne Talente, und die Geschicklichkeit der Mutter prägte sich bei ihm in auffallend graziöser Leichtigkeit aus, mit welcher er Stift und Pinsel führte. –

Das Malen war seine Lieblingsbeschäftigung, und da der Sohn des Millionärs gar keine Begabung für die kaufmännische Karriere, sowie keinerlei Interesse für die Börse und ihren Dunstkreis zeigte, wohl aber die Freiheit hatte, sich einen Beruf nach eigenem Wunsch zu wählen, war es schon jetzt zwischen Vater und Sohn ausgemachte Sache, daß Klaus nach absolviertem Abiturientenexamen die Malerakademie beziehen sollte.


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