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XX.

Severa war durch die Flucht der eleganten Gemächer geschritten und stand in dem vorletzten still.

Es war das kleine Boudoir der Kronprinzessin, in welchem sie oft in vertrautem Gespräch mit der hohen Frau gesessen, und in dem sie diese auch heute zu einer sehr »dringenden« Rücksprache erwarten sollte.

Eine Rücksprache!

Wie konnte Severa in diesem Augenblick denken – sprechen – amüsant und geistreich sein!

Wie ein unheimlich dunkler Strom, welcher aus nächtigen Tiefen emporrauscht, fluteten die Gedanken hinter ihrer Stirn, – unklare, chaotische Gedanken, die wie ein Schwarm von Raben krächzend um eine Richtstätte kreisen.

Wie Kerkermauern war es um sie her emporgewachsen.

Sie hatte die Empfindung, als stehe sie wieder im zuckenden Fackellicht, daran angeschmiedet und höre die Sklavenketten an ihren Handgelenken klirren.

Kerkermauern!

Sie sehen nicht grau und düster aus, wie auf dem Bild des Studienkopfes, sondern gleißen und glänzen in kühler Pracht, wie Eiskristalle, auf welchen sich die Sonne bricht.

Ach, wie verhaßt sind ihr die goldenen Handschellen geworden, welche sie auf dem öden, inhaltlosen Weg der Konvenienz mit sich herumschleppen muß!

So hatte sie sich das Leben in der großen Welt nicht gedacht, – nein, wahrlich, so nicht!

Wie eng sind überall die Grenzen gezogen! Kennen diese Menschen, welche vor einer steifen Etikette, einer mattherzigen Sitte und Moral im Staube knien, überhaupt noch den wahren Wert des Lebens?

Ahnen sie, was es besagen will – sich ausleben? Kennen sie Nietzsche und seine »übermenschliche« Lehre von den Gesetzen des Daseins? Aufbrausen! Überschäumen! In heißer Gier dem Leben das rote Blut aussaugen bis auf den letzten Tropfen, – voll brutaler Rücksichtslosigkeit zurückstoßen, was sich in den Weg drängt und nur eine Majestät anerkennen: das große, göttlich schöne eigene Ich!

Das ist Leben, – sich ausleben!

Und wenn alles genossen ist, was genossen werden kann, wenn schließlich nur der trübe Bodensatz in dem Becher zurückbleibt, die bittere Hefe, welche wie Gift auf den blassen Lippen brennt und träge herabsickert in den Sand, dessen letzte Körnlein das Stundenglas streut, – dann?

O, dann bleibt noch das letzte, krasse Rezept, welches der wahnwitzige Übermensch vorschreibt, um der Seele den nötigen Frieden nach der wilden Lebensjagd zu geben, – eine Kugel vor den Kopf – oder einen Sprung in das Wasser, wo es am schwärzesten und tiefsten ist!

Frieden! – Ja, dann sind Frieden und Ruhe gefunden!

Severa beißt die Zähne wie in leidenschaftlichem Trotz zusammen.

Hatte nicht Manfred ihr an jenem süßen, milden Frühlingsabend, da er sie als bräutlich Lieb' im Arme hielt, von einem Frieden gesprochen, welcher mehr wert sei, wie alle Pracht und Herrlichkeit der Welt? einem Seelenfrieden, welcher auf der lärmenden Heerstraße nie und nimmermehr daheim sei?

Ein Narr, welcher also spricht!

Was kann ein derart bleichsüchtiger Traum dem Herzen geben? Nichts, nichts!

Selbst Manfreds Liebe würde ihren begehrlichen Sinn nicht befriedigen, wenn nicht die roten Rosen und der goldene Lorbeer des Ruhmes sie umrankten!

In diesen Frieden würde doch immer noch der lockende Reigenklang der fernen Welt herüberschallen und durch den bleiernen Traum zöge ein ewiges Sehnen nach dem Hörselberg!

Nein, – der Frieden, den der Weltverächter Nietzsche der Übersättigung bietet, ist sicherer!

Da räumt ein einziger Fingerdruck, ein Sprung in die Tiefe alles fort, was an nagendem, sengendem Herzweh das Leben vergällt!

Und dann?!

Wie sagte Manfred vorhin: »Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben – und danach das Gericht!«

Überspannte Frömmelei! – Ammenmärchen von Fegefeuer und hunderttausend Teufeln!

Wer glaubt in unserer aufgeklärten Zeit noch daran?

Mit loderndem Blick wirft Severa den Kopf zurück.

Sie am wenigsten! – Und das will sie beweisen! Was das Leben ihr bis jetzt gegeben hat, war nur ein Nichts, ein klägliches Almosen, welches sie als Abschlagszahlung genommen!

Sie hat ja die Sklavenketten geduldig weiter geschleppt und gelächelt, wenn ihre goldene Last die Gelenke wund rieb!

Das soll anders werden, – ganz anders!

Eine wilde, unersättliche Gier nach dem Glück brennt wie ein verzehrendes Feuer in ihrer Brust, und sie wird es nicht eher erreichen, als bis sie aufräumt mit allem, was sie an die Kerkermauern schmiedet.

Freiheit! zerbrochene Ringe! gesprengte Fesseln!

Und dann?

Die Denkerin krampft leidenschaftlich die Hände ineinander. – Ach, daß sie es erst wüßte, dies »was dann!«

Gleichviel, es findet sich.

Das Menschenleben ist kein Irrgarten, in welchem man vergeblich den Ausweg sucht, – im Gegenteil, Hunderte und tausende von Türen und Toren, Winkeln und Gäßchen bieten sich, wenn Sünde und Leichtsinn nach neuen Pfaden forschen, auf welchen lockend das Glück voraus schwebt!

Nur ein wenig Geduld!

Ganz plötzlich öffnet sich vor ihr eine Pforte, eng oder weit, und sie sieht den Weg, welchen sie gehen muß!

Stimmen im Nebenzimmer.

Die Portieren rauschen, und an dem sich devot verneigenden Lakai, welcher sie zurückgeschlagen, vorübereilend, tritt die Kronprinzessin in den Salon.

Gräfin Herdern folgt ihr.

Der Blick der hohen Frau schweift suchend durch den eleganten Raum und bleibt aufleuchtend an der schlanken Gestalt Severas haften, welche aus der Fensternische tritt, sich tief und respektvoll zu verneigen.

Prinzessin Ingeborg streckt ihr huldvoll die Hand entgegen.

»Sie mußten sehr lange warten, Teuerste!« rief sie lebhaft und lächelte der bevorzugten jungen Frau in ihrer anmutigen Weise zu. »Aber Sie glauben nicht, was es heute alles zu erledigen gab! Himmel und Menschen! Man muß sich bei Audienzen für gar zu viel Dinge interessieren, welche sonst so fern liegen ... da heißt es, sich zuvor gründlich informieren! Ist Ihnen die Zeit lang geworden? – Der arme Hoff wird auch schon voll Verzweiflung warten, darum ganz kurz, liebe Frau von Tempelburg, den Grund, warum ich Sie bat, zu kommen! – Wir wollen Theater spielen! Die ewigen Bälle und Diners langweilen mich, und ganz ehrlich gestanden – die Rolle der Antoinette in dem neuen Lustspiel ›Die Rivalinnen‹, welches wir neulich sahen, reizt mich ungemein! Sie spielen die ›Dorina‹, die beiden Partien sind wie geschaffen für uns. Einverstanden?«

»Selbstverständlich! Königliche Hoheit haben nur zu befehlen! Und zu welchem Termin und Zweck wird die Aufführung geplant?«

»Die Königin wird sehr dafür sein, daß wir uns wieder in den Dienst der Wohltätigkeit stellen, ich selber beabsichtige, zum Geburtstag meines Mannes das Theaterstück überraschend aufzuführen! Auf jeden Fall warten wir mit der ganzen Sache, bis Ricardo Gardeno zu seinem vierwöchigen Gastspiel in der Residenz eintrifft!«

Jähe Röte flammte über Severas erst so bleiche Wangen.

»Ricardo Gardeno? Der berühmte Schauspieler, der Devrient redivivus kommt hierher?«

»Wissen Sie das noch nicht? – Gewiß, er kommt! Und dies Ereignis, welches alle Theaterfreunde elektrisiert, hat man Ihnen noch vorenthalten?«

»Ich werde oft recht stiefmütterlich behandelt, Königliche Hoheit! – Und Ricardo Gardeno soll mitspielen?!«

Die hohe Frau lachte. »Um Himmels willen, was denken Sie! Wie könnten wir flügellahmen Täubchen an der Seite eines solchen Adlers zur Sonne steigen! Nein, das wollen wir dem verwöhnten Gottbegnadeten nicht zumuten! Aber zu den Proben werde ich ihn einladen, damit er uns sein Urteil über unsere Leistungen sagt! Das ist ebenso nützlich wie interessant und bedeutet für den Künstler immerhin eine Auszeichnung, welche er verdient. – Und nun Adio für diesmal, meine Liebe! Besprechen Sie mit Frieda alles Nähere, sie ist informiert und wird Ihnen meine Wünsche betreffs der andern Mitwirkenden auseinandersetzen!« Die Prinzessin setzte hastig eine Klingel in Bewegung, und ein Lakai verneigte sich im nächsten Augenblick auf der Schwelle.

»Sind Exzellenz Kramer und Herr Hoff in dem ›Atelier‹ anwesend?«

»Beide Herrschaften erwarten Eure Königliche Hoheit!«

»Gut, ich komme!«

Die erlauchte Frau nickte dem alten Getreuen huldvoll zu, reichte Frau von Tempelburg noch einmal flüchtig die Hand zum Kuß und eilte über den weichen Teppich zur Türe.

Severa aber nahm an der Seite der Hofdame Platz und erörterte voll beinahe fieberischer Lebhaftigkeit all die Fragen, welche bei Ausführung des Planes zuerst in Betracht kamen.

Die Zeit flog dahin, und als die schöne Gemahlin des Kammerherrn nach einer Stunde die breiten Marmortreppen wieder hinabrauschte, sah sie nicht aus wie eine Frau, welche soeben die herbste und demütigendste Niederlage erlitten, sondern wie eine Siegerin, welche mit flammendem Blick eine breite, rosenbestreute Straße hinauf schaut. Die Flaggen blähen sich stolz im Sonnengold, die Triumphbogen drängen sich – und hoch erhobenen Hauptes schreitet sie, umjubelt und gefeiert wie keine Zweite, einem traumhaften Ziel, – dem Gipfel des Glücks entgegen!

* * *

Vor den Türen des Königlichen Schauspielhauses wogte eine begeisterte Menschenmenge, dem genialsten aller darstellenden Künstler, Ricardo Gardeno, welcher auf seiner Tournee ein längeres Gastspiel in der Residenz absolvierte, enthusiastische Huldigungen darzubringen. Selten hatte man das sonst so fischblütige Publikum derart erregt gesehen, wie bei den Vorstellungen des genialen Italieners, welcher die Welt zu immer neuer Bewunderung hinriß und auch heute als Othello wieder einen beispiellosen Erfolg zu verzeichnen hatte. Lebhaft erregt, mit hochroten Köpfen und schwärmerisch leuchtenden Augen tauschten die Damen in Logen und Parkett ihre Empfindungen, nur eine einzige saß stumm und still wie ein steinernes Götterbild an der roten Sammetbrüstung der Loge und starrte mit weitoffenen Augen regungslos auf den Vorhang, welcher soeben vor dem beifallumtosten Gast herniedergerauscht war.

Severa.

Erst als ihr Gatte sich erhob und sagte: »Wir sind am Ende, Severa, und wenn du den Künstler heute abend noch empfangen willst, wird es Zeit, daß wir nach Hause fahren!« schrak sie empor wie aus einem Traum.

»Ja, laß uns gehen, – ich habe es übernommen, Signore Ricardo von den huldvollen Wünschen der Kronprinzessin in Kenntnis zu setzen.«

Sie warf noch einen langen Blick nach der Bühne zurück.

In ihren Augen lag etwas Fremdes, Brennendes, wie ein Heißhunger nach verbotenen Früchten, und sie warf hochatmend das Haupt zurück und schritt hastig, ohne rechts und links zu sehen, durch das Foyer, die breiten Steintreppen hinab. Kurze Zeit danach stand sie in ihrem Salon und harrte mit fiebernden Pulsen eines Mannes, an welchen sich hinfort ihre kühnsten, seligsten Zukunftsträume knüpften.

Lange hatte sie unschlüssig vor den Toiletten gestanden, welche die Kammerfrau bereit gelegt, dann entschloß sie sich zu der eigenartigsten und raffiniertesten, und als die großen Wandspiegel ihr strahlendes Bild zurückwarfen, war sie selber davon überzeugt, daß Ricardo Gardeno wohl nicht oft im Leben einer Schönheit wie heute abend gegenüber gestanden.

Der große Künstler hatte die Einladung in das Haus des Kammerherrn angenommen, aber er schien nicht allzu eilig zu sein, es zu erreichen. Mitternacht war vorüber, ehe der Wagen des Gefeierten die stille Villenstraße herabdonnerte. Wenige Minuten später stand er auf der Schwelle, und der Blick, mit welchem er die ihm entgegentretende Gastgeberin sekundenlang anstarrte, drückte unverkennbar seinen Gedanken aus: »Ah! – Hätte ich gewußt, was mich hier erwartet, hätte ich mich etwas mehr beeilt!«

Mit einem Handkuß, so ausdrucksvoll, wie ihn Severa noch nicht empfangen, neigte er sich über ihre Hand und nannte sich den gehorsamsten ihrer Sklaven, welcher nur allzugern dem gütigen Ruf gefolgt sei!

Severa erwiderte ein paar höfliche Worte und überließ es dann ihrem Gatten, auch seinerseits den seltenen Gast zu begrüßen. Und während die beiden Herren obligate Phrasen austauschten, haftete Severas Blick wie gebannt auf dem Gast.

Dies also war Ricardo Gardeno, der große Tragöde, welcher ein schier sagenhaftes Glück bei den Frauen hatte, der feuerblütige Italiener, welcher keinem galanten Abenteuer aus dem Weg ging, welcher die Moralhelden verspottete, die nicht Schneid und Leidenschaft genug besaßen, jedwede Blüte, welche sich ihnen am Weg zuneigte, zu pflücken!

Ricardo Gardeno schmückte sich mit einer jeden, atmete keck und siegesfroh den süßen Duft und winkte scheidend seine Grüße ... Hinter ihm welkten die Blumen und vor ihm knospte und blühte es neu an allen Zweigen, – der Hand harrend, welche sie kosend zu sich herab bog ...

Ricardo Gardeno, genußfreudig, skrupellos und leichtfertig, ohne ernstlich schlecht zu sein, ein Mensch, welcher ohne mühevolle Aussaat erntete und nicht eine Stunde ernstlich mit einem harten Schicksal um Gold, Gunst und Lorbeer kämpfte, Ricardo Gardeno kannte weder Scheu noch Selbstbeherrschung, und sein oberflächlicher Sinn, so vertieft und durchgeistigt er auch in seinen Darstellungen erscheinen mochte – suchte dennoch nach keinem edlen Wein, welcher Leib und Seele stärkt und erquickt, sondern lediglich nach dem Schaum, welcher über den Rand des Bechers steigt und so leicht und lustig geschlürft werden kann!

»Gebt mir vom Becher nur den Schaum,
Den leichten Schaum der Reben –
Gebt mir nur flüchtigen Liebestraum
Für dieses flüchtige Leben!«

Ja, diese Devise blitzte wie humorvoller Spott aus den dunkeln, tiefliegenden Augen, und daß er sich satt trank an diesem leichten Schaum und Liebestraum, stand auf dem hageren Gesicht geschrieben, von welchem man beim ersten Anblick nicht genau zu sagen wußte, ob es nur trainiert oder verlebt erschien.

Ricardo Gardeno war gar nicht hübsch, aber er sah interessant, kühn und leidenschaftlich aus; während er mit dem Kammerherrn sprach, traf sein Blick wiederholt Severas schönes Antlitz, und er, der Frauenkenner, las in den dunkeln Augen während, einer Minute mehr, wie der Gatte der schönen Frau seit der ganzen Zeit seiner Ehe.

Eine moderne Tragödie, in welcher er, der Tragöde, so oft seine glänzendsten Triumphe auf des Brettern feierte!

Und diesen Sieg auch in das echte, volle Menschenleben hineinzutragen, das war es, was ihn lockte und reizte mit schier dämonischen Gewalten!

Das Souper zu dreien war schnell serviert. Die Unterhaltung drehte sich in ernster und gemessener Weise um die Pläne und Absichten der Kronprinzessin, welche die Stirn des eiteln Künstlers mit einem feinen Rot der Genugtuung färbten.

Man plauderte so ernsthaft und lediglich im Interesse für den schönen, liebenswürdigen Zweck, welchem das Theaterspielen bei Hofe dienen sollte – und während sich die dicken, müden Augenlider des Kammerherrn immer gelangweilter senkten, daß es oft aussah, als werfe ein Schlafender hie und da ein Wort in die Unterhaltung, desto heißer pulsierte das Leben in den Adern der beiden andern und zuckte unter den Wimpern hervor wie ein elektrischer Funken!

Die zeremoniellen, höflichen Worte, welche man sprach, glichen einer feierlichen Ouvertüre, welche die Kaprice eines Komponisten zum wirksamen Gegensatz einer leichtfertigen und tollen Operette vorausgeschickt!

Und als Ricardo Gardeno nach kurzer Zeit sehr respektvoll die Hand der schönen Gastgeberin zum Abschied küßte und Severa ihm sehr förmlich sagte: »Sowie ich Königliche Hoheit von Ihrer liebenswürdigen Bereitwilligkeit in Kenntnis gesetzt habe, schreibe ich, Ihnen und bitte Sie, zu näherer Besprechung sich noch einmal zu mir zu bemühen!« – da kannten beide schon ganz genau den sinnverwirrenden Text dieser Operette, in welcher sie die beiden Hauptrollen spielen würden!

Schon nach zwei Tagen hielt die Equipage des berühmten Tragöden abermals vor der Villa Freya, und diesmal auf die Minute pünktlich eilte der Italiener die breite Marmortreppe empor.

Er hätte seinen Kopf darauf verwettet, daß der Kammerherr heute dienstlich verhindert sei, der Besprechung beizuwohnen, und als Severa ihn in dem duftigen, warmen Teppichgemach allein begrüßte und ihren Mann, welcher leider einer Hofjagd bei Schloß Urff im Gebirge beiwohnen müßte, entschuldigte, da traf sie ein so heißer, wunderlicher Blick, daß Severa zum erstenmal im Leben verwirrt die Augen niederschlug.

Die Tuberosen und Narzissen in dem hohen, purpurroten Kelchglas dufteten betäubend stark, und Ricardo Gardeno saß an der Seite der schönen Frau und sagte mit seiner weichen, verschleierten Stimme, welche des Deutschen nicht völlig mächtig war: »O wie freue ich mich darauf, Sie spielen zu sehen, Baronin! Eine Partnerin wie Sie muß einen Gletscher zu lodernder Leidenschaft hinreißen!«

Severas Lippen zuckten. »Glauben Sie das? O hätten Sie mir diese Worte früher sagen können, ehe ich die große, unglückselige Lüge meines Lebens, das bindende ›Ja‹ vor dem Traualtar sprach! – Glauben Sie mir, Signore Gardeno, wie ein Fieber hat mich seit Jahren die heiße, ungestüme Sehnsucht verzehrt, mein Leben und Dasein der Kunst widmen zu können! – Daß ich viel Talent habe, ist wohl unbestrittene Tatsache, aber wie die Drachen den Nibelungenhort hüteten, so lagen Konvenienz und törichte Verblendung auch vor meiner Schwelle und machten es mir unmöglich, das rote Gold heiliger Kunst wie eine Offenbarung in die Welt zu tragen! – Wissen Sie, was es heißen will, all seine Ideale unter die Füße treten zu müssen, das heiße, ungestüme Herz, welches in seiner Einsamkeit verschmachtet, welches aufschreit in quälender Sehnsucht nach Liebe und Glück – hingeben zu müssen an einen Mann, welcher kaum ein fröstelndes Gefühl der Teilnahme, geschweige eine himmelhoch jauchzende Leidenschaft erwecken kann?«

Es lag ein bestrickender Klang unendlichen Wohllauts in ihrer biegsamen Stimme, welcher das Ohr des Tragöden in diesem Augenblick beinahe noch mehr fesselte, wie der Anblick der vollendet schönen Gestalt, welche wie ein Märchenbild auf dem tiefroten Teppich vor ihm aufwuchs in blendender Helle!

Ricardo Gardeno starrte sie einen Augenblick wie gedankenverloren an, prüfend, forschend, mit sengendem Blick.

»Und warum kann das Verlorene nicht noch nachgeholt werden?« fragte er leise.

»Zu spät, – zu spät!«

»Für das Glück oder für Sie?«

»Für uns beide!«

»Ich verstehe Sie nicht. – Wer so jung – so schön – so einflußreich ist wie Sie, dem ist nichts unmöglich, freilich ...« und der Sprecher erhob sich, um ganz nahe an die schöne Frau heranzutreten, um sie mit faszinierendem Blick anzuschauen: »um eine so völlig neue Laufbahn einzuschlagen, müßten Sie mit allem brechen, was sich jetzt als Kette um Hand und Fuß schlingt!« Er nahm mit kühnem Griff ihre schlanke, kühle Hand und starrte auf den Trauring nieder. »Sie wissen, Baronin, daß Ringe zu den hauptsächlichsten Bestandteilen einer Sklavenkette gehören!«

Sie lachte bitter auf.

»Ich weiß, ich weiß!«

»Und Sie würden ohne Besinnen solch eine Fessel von sich werfen – der heiligen Kunst zuliebe?«

»Ohne Besinnen – um der Kunst ... und ... der Künstler willen!«

Das letzte klang leise, nur wie ein Hauch, aber der Italiener hatte es dennoch verstanden.

Mit aufflammendem Blick neigte er sich noch näher und sah die Sprecherin an, wie er als Othello die Desdemona mit den Augen zwingt.

»Um der Künstler willen! – Seien Sie vorsichtig, Baronin, – vergessen Sie nicht, daß ein Künstler vor Ihnen steht und den Klang Ihrer Worte mit Herz und Ohr aufsaugt, wie ein Verschmachtender!«

Müde, träumerisch neigte sie das Haupt zurück.

»Die Anwesenheit Ricardo Gardenos vergessen? Selbst ein Marmorbild muß in Ihrer Nähe leben und empfinden, daß nach langer, kalter Nacht endlich die Sonne heiß und leuchtend aufgegangen!«

»Baronin!« Er neigte sich und preßte ihre Hand ungestüm an die Lippen. »Die Sonne ist ein Feuer, welches die goldenen Ringe zerschmilzt!«

Sie nickte mit sinnendem Blick.

»Wohl mir, wenn es geschähe! Sie sagen, Signore, es sei noch nicht zu spät für mich, Schauspielerin zu werden? – Was aber für eine? – Durchschnittsware? – Entsetzlich! – Wenn ich das unendlich viele, was ich besitze, Namen, Stellung, Reichtum und Gatten dahingebe, so will ich auch viel dafür eintauschen! Auf die Ungewißheit hin wage ich solch folgenschweren Schritt nicht! Kann ich nicht das Höchste erreichen, was die Kunst bietet und ihren Lieblingen in den Schoß schüttet, so verzichte ich auch auf die Brosamen, welche sie mir aus Erbarmen streuen würde!«

Wieder traf sie der forschende, kritische Blick des Meisters, welcher gern ein treffendes Urteil über eine Schülerin fällen möchte.

»Wenn Sie das im Ernst fragen, Baronin, und nicht die Antwort eines blinden Verehrers, sondern eines Examinators verlangen, so lassen Sie mich zuvor eine Probe Ihres Talentes sehen, – ich denke, die Aufführung der ›Rivalinnen‹ gibt mir Gelegenheit dazu!«

Sie lächelte. »Kennen Sie das Stück? In solch einer armseligen Lustspielrolle kann sich kaum eine Schleppe, geschweige eine künstlerische Begabung entfalten! Das, was Sie in dem sehr engen, konventionellen Rahmen einer Liebhaberaufführung bei Hofe sehen, ist kaum die Schale, nie aber der tiefinnerste Kern meines Wesens. Lassen Sie mich einen anderen Vorschlag machen. Ich studierte schon früher die Rollen der Desdemona und Julia, das heißt, ich lernte die Worte auswendig! Ich werde dieselben auffrischen, oder, falls Sie es besser finden, die Rolle, in italienischer Sprache lernen. Ich bin sehr energisch und lerne leicht, – in diesem Falle doppelt leicht, da ich des Italienischen schon etwas mächtig bin! – Wollen Sie mir alsdann das große Opfer bringen und eine einzige Szene mit mir durchspielen, so würden Sie den besten Gradmesser für die Höhe meiner Begabung haben!«

Die Augen des Italieners glühten auf, – in seiner so sehr lebhaften Weise faßte er abermals ihre Hände und preßte sie abwechselnd an die Lippen.

»Wundervoller Gedanke! – Mit Ihnen die Julia spielen ... Baronin ... dieser Vorschlag hat etwas Berauschendes! Wenn Sie nicht eine Barbarin an Kälte und Steifheit sind, muß schon Ihre äußere Erscheinung geradezu hinreißend wirken! Avanti! – Lassen Sie uns proben! Wie lange Zeit gebrauchen Sie, um eine Szene, vielleicht die Nachtszene zwischen Romeo und Julia, welche ich Ihnen morgen früh in italienischer Sprache zusende, zu lernen?«

»Versuchen wir es nach drei Tagen!«

»Ausgezeichnet!«

»Ist es nötig, mir die Rolle von einem Lehrer einstudieren zu lassen oder soll ich sie ganz impulsiv, so wie ich sie auffasse, spielen?«

Dunkle Glut stieg in sein Gesicht, er trat an den kleinen Seitentisch, auf welchem zwischen Konfekt, Früchten und Delikateßbrötchen eine Flasche Sekt im Eise lag, und füllte sich sein Spitzglas schäumend bis zum Rande.

»Kein Lehrer! Um alles nicht! Ganz so spielen, wie Sie fühlen und empfinden! – Es lebe die Kunst! Es lebe die Liebe! – Es leben die glückseligen Menschen, welche ihr Dasein diesen beiden weihen! – Ich fiebere in dem Gedanken an den Genuß dieser Probe!« Er stürzte den perlenden Inhalt des Glases hinab und schritt ein paarmal hastig auf dem Teppich auf und nieder.

Dann blieb er vor Severa stehen und starrte sie mit den dunkeln, tiefliegenden Augen an.

»Sie sagen, daß Sie Energie besitzen, – haben Sie auch die Ausdauer, noch jahrelang zu studieren, bis Sie eine Desdemona oder Julia eventuell auf der Bühne spielen können?«

Sie lächelte zu ihm auf, so betörend, daß ihm abermals das Blut in die hageren Wangen schoß, ihm, dem verwöhnten, blasierten Mann, auf welchen Weiberschönheit kaum noch Eindruck gemacht hatte.

War es wirklich nur der Anblick ihres Gesichts, ihrer tadellosen Figur, welche das brennende Interesse in ihm weckte? – Kam noch einmal die Liebe für den alternden Mann?!

O nein!

Ricardo Gardeno hatte nur einmal im Leben geliebt, vor langen Jahren, als er noch in dem engen, schmutzigen Gäßchen von Ravenna vor dem Fischladen seines Vaters auf den Steinen hockte und neben ihm die zerlumpte Konstantia kauerte, um mit den großen, nachtschwarzen Augen dem Kugelspiel der Knaben zuzusehen.

Konstantia war das Kind des Musikanten, welcher nachts die Mandoline in den übeln Kneipen der Vorstadt spielte.

Ein stilles, schattenhaftes Kind, halb verhungert und schwindsüchtig, aber Ricardo kannte nichts Schöneres, Lieberes wie sie. Er wollte sie auch heiraten, ganz gewiß, wenn er nur erst groß war und Geld verdiente. Schauspieler wollte er werden und den Fentone singen und Konstantia die Nanetta; so wie er es einmal im Theater gehört, – wie schön müßte das sein und wie wundervoll würde das bleiche, großäugige Mädchen in so schönen Kleidern aussehen!

Ja, er liebte das arme Bettelkind mit der vollen, glühenden Leidenschaft eines frühreifen Italienerknaben, und er hatte es sich zugeschworen, dem betrunkenen Alten den Dolch in den Leib zu rennen, wenn er das zitternde Mädchen noch einmal schlagen würde, – aber es kam nicht dazu. Eines Morgens rief ihm Lola ins Fenster: »Du! Hör' einmal! Heut' nacht ist die Konstantia gestorben!« – »Nein, nein!« – »Geh hin, sie hat sich tot gehustet! Ist ja das beste für sie, sagt meine Mutter!« – Da lief er hin und stand mit weitaufgerissenen Augen vor dem Haufen Lumpen, auf welchem Konstantia wie ein wachsbleicher Engel lag. – Alle Glieder zitterten ihm, er lief davon, kaufte eine Kerze und steckte sie neben der Toten an, – sie lag allein, – ganz allein. – Und dann faßte ihn ein Grausen, er stürzte davon, weit hin zu den dunkeln Zypressen und weinte – weinte ...

Er hatte Konstantia nie vergessen und nie eine andere wieder so lieb gehabt wie sie – –

Und nun plötzlich soll jene elegante, juwelenfunkelnde Frau mit den lebensheißen Augen das Bild jenes bleichen, toten Bettelkindes aus seinem Herzen drängen?

Niemals!

Ricardo Gardeno pflückt leichtsinnig die Blumen am Weg, – und diese schöne, glühend rote Rose hat plötzlich noch einen ganz absonderlichen Gedanken in ihm erweckt! –

Wenn sie tatsächlich ein schauspielerisches Talent besäße, würde er in ihr gefunden haben, was er gebraucht, – die notwendige Sensation, welche seinen Namen noch einmal grell am Himmel der Kunst aufleuchten läßt. –

Ricardo Gardeno ist klug und berechnend, er ist nicht nur Künstler, sondern in erster Linie Geschäftsmann.

Noch steht er auf der Höhe des Ruhms, aber er verhehlt es sich nicht, daß das Publikum schon viele Jahre dieses Ruhms zurückrechnet, daß er nichts Neues mehr ist, und junge, emporsteigende Sterne ernstlich mit ihrer Konkurrenz drohen.

Schon jetzt ist der Enthusiasmus des Publikums nicht mehr der frenetische früherer Jahre, die Reklame muß tüchtig arbeiten, um die Begeisterung auf Feuer zu erhalten, – auch die Kritik wird flauer und zieht Vergleiche –!

Es muß irgend etwas Sensationelles geschehen, was den Namen Ricardo Gardeno wieder voll lebhaftesten Interesses in aller Leute Mund bringt. –

Die Flucht einer reichen, vornehmen Dame, einer Schönheit, wie die der Frau von Tempelburg, muß notwendigerweise Aufsehen erregen, tritt die Interessante nun gar an der Seite des Geliebten auf, blendend und berückend, ihn als Muse zu den höchsten künstlerischen Leistungen begeisternd, so gibt es wohl kaum ein zweites Liebespaar, welches interessanter sein dürfte, und das Publikum, dieses ewig sensationslüsterne, wird das Haus stürmen und vor Beifall rasen!

Diese Gedanken schießen pfeilschnell durch sein Hirn, als er vor ihr steht und noch einmal in leidenschaftlichem Flüsterton fragt: »Haben Sie wahrlich Mut und Energie, die Desdemona oder Julia nicht nur zum Scherz, sondern auch im vollen Ernst zu studieren?« –

»Nur unter zwei Bedingungen!«

»Und die wären?«

»Daß Sie mein Lehrer sein würden, Signore Gardeno!«

»Ich?!«

»Nur Sie allein. Dies die erste.«

»Und die zweite?«

»Daß ich einzig und allein als Ihre Partnerin auftrete!«

»Ah!« –

Wie ein leiser, tiefer Atemzug ringt es sich von seiner Lippe. Seine Augen blitzen, – wieder schreitet er ein paarmal hastig in dem Salon auf und nieder, sein lebhaftes Mienenspiel, seine südländisch erregten Gesten spiegeln seine Gedanken.

Wunderlich! Kommt ihm das Schicksal im Sturmschritt auf dem Weg, welchen er eben noch erträumt, entgegen? –

Was antworten?

Unmöglich kann er ein Versprechen geben, ehe er sich von ihrem Können überzeugte.

Severas Blick folgt ihm, sie lacht leise auf.

»Ein wahnwitziges Verlangen, nicht wahr, Signore? – Aber ein Goethe ist gleich mir der Ansicht, daß nur Lumpe bescheiden sind! Aut Caesar – aut nihil! – Ich bin überzeugt davon, daß ich Talent besitze und etwas leisten werde, mich jahrelang mit Studien zu quälen, wäre Torheit, denn damit vergeude ich die besten Jahre der Jugend und Schönheit. Wie einst Venus als vollendete, sieghafte Schönheit aus der Muschel an das Land stieg, so will auch ich den Fuß auf die weltbedeutenden Bretter setzen und mit einem Schlag das sein, was andere erst nach endlosem Ringen, Kämpfen und Klettern erreichen. – Wollen Sie mir Ihre allmächtige Hand reichen, diesen Salto mortale auszuführen, Signore Gardeno – gut, so gebe ich alles auf, was ich an Reichtum, Stellung und Namen besitze – um der Kunst und – Ihretwillen!«

Er ist vor ihr stehen geblieben und deckt die Hand momentan über die Augen.

»Sind Sie Menschenkennerin, Baronin? – Vermögen Sie es zu ahnen und zu ermessen, was in der Seele eines Mannes vorgeht, wenn das schönste, sinnberückendste Weib, welches er je geschaut, ihm zuflüstert: ›ich will alles hinter mir lassen um deinetwillen, – ich will ohne Besinnen einer ungewissen Zukunft entgegenstürmen, wenn es deine Hand ist, welche mich den seligen Pfad des Glückes führt! –? – Wenn ich in diesem Augenblick nur dem stürmisch begehrenden Herzen folgte, so würde ich jauchzend Ihre Hände fassen und antworten: ›Ja! und tausendmal ja! ich will dein Lehrer – dein Meister – dein Geliebter und Sklave sein, ich will dich mit starker Hand zu mir empor auf die Höhe alles Ruhms und Erfolges ziehen, – komm! laß hinter dir, was dich quälte und kettete! sei frei!‹ – – Und doch ... wie selbstsüchtig, wie gewissenlos wäre ich, wollte ich diesen Augenblick Ihrer Erregung, der Sehnsucht und Schwäche benutzen, Sie mit mir fort zu reißen! – Die Frauen sind impulsiv, sie wagen zumeist, ohne vorher zu erwägen! Daß Sie dies letztere erst reiflich tun, dafür zu sorgen ist meine Pflicht. – Sie kennen fürerst nur den Künstler in mir, Baronin, nicht den Menschen, Sie kennen nur die Glanzseite der Bühne, nicht die Dornen und Disteln, welche hinter den Kulissen wuchern! – Ich bleibe mehrere Wochen hier. Diese Zeit wollen wir benutzen, alle Für und Wider dieses Planes zu erörtern. – Lernen Sie die Rollen der Desdemona und der Julia – dann werden wir spielen, – prüfen – sehen. Wenn ich mich als Ihr Romeo überzeuge, daß auch nur der Keim eines Talentes in Ihnen schlummert, welcher der Pflege wert ist, so werde ich nie und nimmer einem anderen gestatten, Ihr Lehrmeister zu sein! Dann bin ich der erste, welcher Ihnen goldene Brücken in das Märchenland der Freiheit baut und Sie zu sieghafter Fahrt voll leidenschaftlichen Entzückens in den Arm nimmt! – Weiß ich es sicher, daß Ihnen die Zukunft wahrlich das geben kann, was Sie von ihr fordern – dann ist es kein Verbrechen mehr. Sie loszureißen von allem, was Sie hier bannt, und ein Schicksal zu erfüllen, welches uns Bestimmung war!« –

Er hat sehr lebhaft, mit der hinreißenden Wärme gesprochen, welche ihn auch aus der Bühne unwiderstehlich macht, – und Severa umschließt seine Hände mit krampfhaftem Druck und nickt ihm lächelnd zu. –

»Ich verstehe Sie und ich danke Ihnen! Lassen Sie mich die Probe ablegen und Sie werden sich überzeugen, daß mein Schicksal in den Sternen geschrieben stand, ehe Sie kamen, und daß Sie kommen mußten, weil es uns also bestimmt war!« –


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