Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIX.

Ein Jahr war vergangen.

Anscheinend hatte sich nicht viel verändert in Villa Freya, nur die Besteingeweihten beobachteten, daß Frau von Tempelburg von einer immer krankhafter scheinenden Vergnügungssucht beherrscht wurde, während der Kammerherr von Tag zu Tag schattenhafter und resignierter einher ging.

Während den ganzen Winter über ein geradezu blendender Luxus in dem Hause Tempelburg entfaltet wurde, die Feste sich jagten und die schöne Gemahlin des Gastgebers durch immer märchenhaftere Toiletten verblüffte, je brennender die Frage: wer ist die Schönste im Lande? ward, wurden schon im Frühjahr die Koffer gepackt und nach dem Süden abgereist.

Ruhelos zog es Severa bald hier, bald dort hin, den ganzen Sommer über schloß sich eine Badereise an die andere, und dann wurde einmal wieder ganz unvermittelt ein kurzer Aufenthalt in Laubsdorf genommen, zu welchem zahlreiche Einladungen ergingen.

Auch Manfred Hoff befand sich unter den Geladenen, doch war er in diesem Sommer leider verhindert zu kommen, ebenso wie er im Winter ein sehr seltener Gast in Villa Freya gewesen.

Als der Brief mit seiner Absage kam, hatte Frau von Tempelburg einen besonders heftigen Anfall von Migräne, nach welchem ihre nervöse Gereiztheit noch unerträglicher für ihre Umgebung ward, wie zuvor. Anfänglich hatte der Kammerherr versucht, durch gütliche Vorstellungen, Bitten und Flehen ihrer unsinnigen Verschwendungssucht Einhalt zu tun, aber die heftigsten Szenen und leidenschaftliche Zornesergüsse der schönen Frau waren die Folge gewesen, und Tempelburg sank wie gebrochen in sich zusammen und preßte die Hände vor das wachsfarbene Gesicht.

Mochte es nun gehen, wie es wollte!

Severa hatte die Verantwortung und die Folgen zu tragen.

Das Vermögen schmolz in erschreckender Weise zusammen, und er hatte nicht die Energie, dem maßlosen Vergeuden seiner Frau Einhalt zu tun, – nur das hatte er sich zugeschworen, sein Kind sollte sie nicht auch zur Bettlerin machen!

Ethels Vermögen durfte nie und nimmer angetastet werden, und auch auf Laubsdorf durften keine Hypotheken ausgenommen werden, da das Gut ebenfalls zu dem mütterlichen Erbteil des jungen Mädchens gehörte.

Wie ein Gefühl erbitterter Schadenfreude überkam es den gequälten Mann, wenn er an den Augenblick dachte, wo er der schönen Verschwenderin mit kaltem Lächeln die leeren Beutel präsentieren würde!

Was dann?

Wie soll sich alsdann sein und Severas Leben gestalten?

Er schloß bei diesem Gedanken die Augen, als fürchte er sich, in eine solche Zukunft zu schauen. –

Sie wird nicht bei ihm bleiben, davon ist er, wie in heimlicher Hoffnung, überzeugt. Geliebt hat sie ihn nie, – dieser schöne Wahn ist längst zerstoben.

Kann ihr kaltes, habgieriges Herz überhaupt lieben?

Oft bezweifelt er es.

Sie kokettiert, sie zieht die Männer gleich einer Lurlei in ihre Netze, – nicht um Liebe zu fordern und zu geben, sondern um ein paar Sklaven, welche sie in nie genügender Menge vor ihrem Triumphwagen braucht, mehr zu notieren!

Und die Herren merken und empfinden solch kaltherzige Berechnung; – trotz der märchenhaften Toiletten und der strahlenden Schönheit wendet sich die Mehrzahl doch der Kronprinzessin zu, deren entzückende, ungekünstelte Anmut und Liebenswürdigkeit wie warmes Sonnengold in jedermanns Herz fällt.

Seit der Kronprinz in ziemlich auffälliger Weise der schönen Frau von Tempelburg zu verstehen gibt, daß ihm die Leidensmiene ihres Gattens sehr mißfällt, und daß er ihre planlose Jagd nach Genuß und Zerstreuung durchaus nicht billigt, daß er auch genau weiß, wie wenig die horrenden Ausgaben der übereleganten Dame mit ihren Einnahmen harmonieren, seit man dies Allerhöchste Mißfallen immer deutlicher beobachten kann, ist manch ein eifriger Schleppenträger, welcher anfangs voll Begeisterung dem »Studienkopf« huldigte, heimlich und unauffällig in das »feindliche Lager« eingeschwenkt. Die nach wie vor sehr große Huld der Frau Prinzessin, mit welcher sie Severa noch immer auszeichnet, kann an dieser mehr und mehr abflauenden Stimmung nichts ändern.

Man weiß, daß es die Großmut der Siegerin ist, welche die schöne Rivalin noch immer an ihrer Seite fesselt, daß Prinzessin Ingeborg viel zu gutmütig ist, um eine Frau zu kränken, durch welche sie so viel heitere Stunden harmlosen Triumphs genossen, wie durch Severa! Je mehr aber Frau von Tempelburg merkt, daß ihre Rolle nicht mehr die ist, welche sie anfänglich gespielt, desto fieberhafter wird ihr Verlangen nach stets neuen Erfolgen!

Während sie in funkelnder Pracht, anzuschauen wie die bildschöne, aber bitterböse Stiefmutter aus dem Märchenbuch, zu Spiel und Tanz fährt, sitzen Ethel und Miß Maud in dem kleinen, traulichen Stübchen der »Großmama«, wo der Teekessel über dem Spirituslämpchen singt und der Schneesturm an den morschen Fenstern rüttelt.

Manfred ist ständiger Gast in dem kleinen Kreise, und wenn man in seine strahlenden Augen schaut, ist man überzeugt, daß er die glänzenden Feste, zu welchen Severa sich vergeblich bemüht ihn heranzuziehen, nicht im mindesten vermißt.

Welch ein Behagen, welch eine wonnesame Ruhe hier!

Man liest gute, anregende Bücher und tauscht die Ansichten darüber aus, – man musiziert und hilft »Großchen« voll fröhlichen Eifers in der kleinen Küche das einfache Mahl bereiten, – und wenn es Zeit wird zu gehen, um den Vorstadtzug zu erreichen, dann wandert man gemeinsam durch die stille, verschneite Winternacht und empfindet tief im Herzen die traumhafte Poesie, welche sie umwebt.

Oft, wenn der Sturm zu arg daher braust, hat Manfred Miß Maud auf der einen Seite und Ethel auf der anderen »ins Schlepptau« genommen, und er drückt den weichen Arm des jungen Mädchens fest und fester an sich und tauscht mit keinem Kaiser in seiner stillen Seligkeit. –

Immer inniger und trauter finden sich die jungen Herzen.

Kein Wort hat je ihr Fühlen und Empfinden verraten, nur in den Augen steht es oft wundersam beredt zu lesen, welch ein festes, unzerreißbares Band hier die Liebe webt.

Severa ahnt es nicht, daß Manfred fast stets mit Ethel bei ihrer Mutter zusammentrifft.

Sie fragt nie danach, was sie während ihres Besuchs im Hause der Rätin gemacht haben, und Miß Maud und Ethel statten unaufgefordert keinen Bericht ab.

Es ist ja auch so sehr selten, daß sie die schöne Stiefmutter zu sehen bekommen: vormittags schläft sie, um die durchschwärmten Nächte einzuholen, das Gabelfrühstück nimmt sie oft in den eleganten Restaurants, in welchen die erstklassige Gesellschaft sich nach Quadrillereiten, Promenadenkonzerten oder Visiten trifft, und das Diner findet entweder mit Gästen statt, oder man folgt den Einladungen, welche sich mehr und mehr häufen, je höher die Saison steigt.

»Ach Miß Maud, – welch ein entsetzlicher Gedanke, an einem derart ruhelosen und oberflächlichen Leben teilnehmen zu müssen!« seufzt Ethel manchmal – »ich hoffe so sehr, daß ich nächsten Winter noch nicht ausgeführt werde und daß wir statt dessen unsere traulichen Besuche bei Großmama fortsetzen können!«

»Ich glaube, liebes Herz, deine Mutter wird dich gern noch ein Jahr in der Kinderstube lassen!« zuckt die Engländerin mit wunderlichem Gesichtsausdruck die Achseln, »wenn es der Herr Kammerherr nicht befiehlt, brauchst du dich nicht vor dem nächsten Winter zu fürchten.«

Ethel drückt mit leuchtendem Blick die Hände gegen die Brust.

»Ach, Miß Maud!«

» My darling!«

Kein Wort weiter, aber beide haben einander mit diesen wenigen Worten sehr viel gesagt und sich sehr gut verstanden. Voll inniger Zärtlichkeit drückt die Erzieherin das zierliche Köpfchen des jungen Mädchens an sich und küßt sie auf die Stirn.

* * *

Severa hat es durchgesetzt, daß die Kronprinzessin sich für Manfred Hoffs geniale Gemälde noch mehr interessiert wie früher, ja, sie hat in ihrer raffinierten Weise der hohen Frau den Gedanken suggeriert, daß »der Schönheitsmaler« und Schöpfer des »Studienkopfes« unter allen Umständen auch die »Schönste im Lande« in einem zauberhaften Gemälde für alle Ewigkeit erhalten müsse.

Prinzessin Ingeborg hat sich aufrichtig für den neu aufgehenden Stern am Himmel der Kunst interessiert, und der Gedanke, sich von Manfred Hoff malen zu lassen, ist ihr sehr sympathisch.

Der junge Maler hat den ehrenvollen Auftrag erhalten, an welchem ihn alles entzückt, nur nicht das Bewußtsein, diese Auszeichnung seiner Cousine Severa zu verdanken.

Und welch ein Gewicht legt diese gerade auf ihre einflußreiche Vermittelung!

Manfred hat es voll erstaunlicher Geschicklichkeit möglich gemacht, der schönen Frau nie unter vier Augen zu begegnen. Als er zur dritten Sitzung in dem kronprinzlichen Palais erscheint, meldet ihm der Lakai, daß Königliche Hoheit durch eine angesagte Audienz für kurze Zeit noch verhindert sei und Herrn Hoff ersuchen lasse, sich am Büchertisch einstweilen die Zeit zu vertreiben.

Manfred tritt in den Salon, welcher zum Atelier improvisiert ist.

Er freut sich, den schönen, so sehr geschmackvollen Raum mit seinen wertvollen Gemälden einmal ungeniert betrachten zu können.

Ein heimlicher Dufthauch weht ihm schon durch die seidenrauschende Portiere entgegen, – zart und fein, wie schwebende Blumenseelen.

Die Prinzessin liebt dieses Parfüm in ihren Gemächern, sie läßt in den hohen Nischen Blumen über Blumen auftürmen, um ihn zu erzeugen.

So bauen sie sich in entzückenden Gruppen um ein licht poliertes Ahornpostament, welches die Marmorbüste des regierenden Königs, des Schwiegervaters der hohen Frau trägt. Aus Tuberosen, Narzissen, Kamelien, Flieder und Maiglöckchen schwingen sich graziöse Palmfächer empor und über diesen wölbt sich ein Baldachin aus lichtgelber Seide mit dezenter Goldstickerei.

Alles in modernster, aber nicht übertriebener Sezession gehalten und aus schönstem Material hergestellt, präsentiert sich der Salon in ebenso geschmackvoller wie eigenartiger Weise. Der Plafond sowie die Wände des imposanten Raumes sind aus Thuya- und Palisanderholz hergestellt, deren Intarsien eine hervorragende Kunstfertigkeit zeigen.

Vier stilvolle Panneaux heben sich in verschiedenen Holzarten und in Metall auf tiefschwarzem Hintergrund ab; als sehr eigenartiger Schmuck wirken mächtige, herrlich geschliffene Glaskristalle in bunten Farben, welche wie riesenhafte Edelsteine erscheinen.

So farbenprächtig sie auch sprühen und gleißen, wirken sie dennoch harmonisch, zu der sehr eigenartigen Fensterwand aus bunten Gläsern passend, welche den Fond des Zimmers in voller Höhe und Breite einnimmt.

Ein sehr eigenartiger Kamin aus gelbem Onyx baut sich an der rechten Seitenwand bis zu der Decke auf, und ihm gegenüber sprühen in gleichartigem Brunnen zwölf feine, schillernde Wasserstrahlen empor, welche in ein Muschelbecken zurückfallen, um welches ebenfalls die erlesensten Blumen duften.

Hohe, sehr wuchtige Glastüren von eigenartigstem Muster, sowie vier imposante Glasvitrinen in den Ecken erhöhen den eigenartigen Reiz dieses sehr modernen Gemaches, und ein schwarzer Tisch, zwölf schwarze, mit gelbem Seidenstoff bezogene Fessel, eine wunderlich geformte, ebenfalls schwarze Bücherstellage, an welcher gelbe Seidenvorhänge niederrauschen, bilden die weitere Ausstattung.

Den ganzen Raum deckt ein riesiger Teppich, welcher auf hellgelbem Grund das Familienwappen der Kronprinzessin zeigt und in einer Umschlingung von gelber Seide schauen verschiedene Gemälde von den Wänden hernieder, neue Porträts der königlichen Familie.

Manfred ist so sehr in das Schauen vertieft, daß er erst emporschrickt, als eine seidene Schleppe neben ihm rauscht.

Er wendet das Haupt und rafft sich zusammen in der Annahme, Gräfin Herdern oder Ihre Königliche Hoheit selbst sei eingetreten.

Um so überraschter starrt er in Severas schönes Antlitz, welches die brennenden Blicke fest, beinah durchdringend auf ihn heftete

»Severa, du?«

Ein müdes Lächeln geht über ihre Züge.

» Ne rien que moi! – Sei, wenn du nicht galant sein magst, wenigstens höflich, und erschrick nicht allzu deutlich bei meinem Anblick!«

Er hat sich schnell gefaßt.

»Erschrecken?« er versucht zu scherzen: »Ich bin ein sehr starknerviger Gesell und hoffe selbst der größten Gefahr ohne Furcht in das Auge zu schauen!«

»Also doch eine Gefahr! Ich glaubte, die Zeit, wo ich dir gefährlich war, sei längst vorüber!«

»Im lyrischen Sinne allerdings, und das ist einer verheirateten Frau gegenüber wohl ein Glück!«

Sie setzt sich in einen Sessel nieder und starrt mit umwölkter Stirn auf den Teppich.

Der große, sehr elegante Hut, ein undefinierbarer Wirrwarr von wogenden Federn, schillernden Agraffen, Tüll und Flittern umrahmt mit breit geschwungener Krempe ihr Antlitz, und Manfred sieht erst jetzt, wie blaß es geworden.

»Wunderliche Ansicht, das ›Entsagen‹ ein Glück zu nennen! ich habe es noch nicht zu einer derartigen Resignation gebracht!«

»Das erstaunt mich zu hören, denn da du alles erreicht hast, was dein Begehr war, Geld, Namen, Stellung und Bewunderung, habe ich dich inmitten deines glänzenden Lebens für sehr glücklich gehalten!«

Sie lacht schroff auf.

»Du willst nicht tiefer schauen! Du hältst dir ja gewaltsam Augen und Ohren zu, um nicht zu sehen, wie ich leide!«

Er macht eine ungeduldige Bewegung. Ihre so sehr indezente Art und Weise, ihr unverhohlenes Werben um sein Interesse widern ihn an.

»Und wenn ich es täte, wäre es nicht das einzig Wahre und Rechte? – Jeder Mensch ist seines Glückes Schmied, – auch du hast dir aus eigenem, freiem Willen dein Schicksal gestaltet, es zu ändern steht weder in deiner, noch in meiner Macht! dich mit vagem Trost über die Wirklichkeit täuschen, würde ein Unrecht sein, – und wollte ich dich als treuer Freund an deine Pflichten mahnen, würdest du es sehr übel nehmen –«

»Ja, – sehr übel nehmen!«

»Also, was verlangst du? – Nun geht ein jeder seinen eigenen Weg und versucht stark und stolz zu sein, um nicht darauf zu straucheln!«

Sie hat mit nervös zuckender Hand über die glänzenden Falten ihres kostbaren Visitenkleides gestrichen, jetzt erhebt sie sich langsam und sieht dem Sprecher mit beinahe finsterem Blick in die Augen.

»Immer dasselbe! – Worte hin und her, welche doch nichts anderes bezwecken, als dem Kern des Gespräches geschickt aus dem Weg zu gehen. Dazu ist die Zeit zu kostbar, denn es ist wundersam, daß wir uns niemals ungestört sprechen können! Hätte ich heute nicht die Gelegenheit wahrgenommen, würde ich nach wie vor, vielleicht noch Jahr und Tag in der quälenden Ungewißheit gelitten haben!«

»Ich verstehe dich nicht!« Manfred wendet sich unwillig ab und schaut nach der Türe, als höre er nahende Schritte.

Ein bitteres Lächeln spielt um Severas Lippen.

»Es kommt niemand, – die Kronprinzessin und Frieda sind noch für längere Zeit gefesselt. Und darum laß mich reden und höre mich! Manfred, wenn du barmherzig bist, mußt du mich jetzt anhören!«

Ein heißer, flehender Klang liegt in ihrer Stimme, und der junge Maler furcht die Stirn und macht eine jähe Geste, – er steht halb abgewandt von ihr und vermeidet es, sie anzusehen.

»Ich liebe keine Szenen!« sagt er kurz.

»So verhüte sie und bleib!« trotzt sie in leidenschaftlicher Erregung. »Es handelt sich für mich – vielleicht auch für dich, wie ich es voll zitternder Angst erhoffe – um ein ganzes Lebensglück! – Du weißt, was wir beide uns einst gewesen sind!« Sie atmet schwer auf und fährt hastig fort: »Ich habe mich ehemals in einer Stunde höchster Verblendung von dir losgerissen! Das Leben voll Glanz und Pracht, welches ich sah, hatte mich geblendet, – ich rechnete mit Leben und Zukunft wie ein törichtes Kind, denn ich vergaß den Hauptfaktor, – mein Herz!« – Sie trat einen Schritt näher, süß, schmeichelnd in bebender Aufregung klang ihre Stimme. »Und dieses Herz mit seiner heißen, zärtlichen Liebe zu dir zieht mir täglich und stündlich einen großen Strich durch das falsche Exempel, dieses Herz kann sein Glück nicht vergessen und verblutet in seiner tiefen Not! – Manfred, ich ertrage dieses furchtbare Leben nicht mehr!« – das klang wie ein verzweifelter Aufschrei – »ich will gut machen, was ich ehemals fehlte, ich will alles wieder von mir werfen, was das Leben mir an reichsten Gütern gab und nur eins dafür eintauschen, – deine Liebe, welche ich einst besaß!«

Beinahe zornig streift er ihre Hand von seinem Arm zurück.

»Severa! Bist du von Sinnen? Du, das Weib eines andern?!«

Sie neigt sich noch näher, atemlos flüsternd fährt sie fort: »Das ist es! Dieses unglückselige Wort ist die himmelhohe Schranke zwischen uns! O ich weiß, daß dein frommer, rechtschaffener Sinn dich nie und nimmer die Hände nach deines Nächsten Weib ausstrecken lassen wird, – und darum, gerade darum muß ich jetzt mit dir sprechen! – Du liebst mich noch! Deine Liebe konnte ebensowenig sterben wie die meine, aber du verbirgst sie hinter Kälte und Gleichgültigkeit, weil du die Sünde scheust! – Manfred! Nur eine Frage beantworte mir jetzt auf Ehre und Gewissen! Wenn ich wieder frei wäre, – wenn ich die Bande zerrissen hätte und vor dir stünde als ein Weib, um dessen Herz und Hand man ohne Schuld werben kann, – würdest du es tun, würdest du mich lieben wie einst? – Manfred, ich beschwöre dich, antworte mir die Wahrheit!«

Er wandte ihr das Antlitz zu und sie taumelte zurück bei dem Ausdruck, welcher es beherrschte.

» Nein, Severa, das würde ich nicht tun, – beim ewigen Himmel nicht!«

Er sagte es sehr ruhig, jedes Wort klar und scharf betonend.

Wohl war er erbleicht bis in die Lippen und man sah es ihm an, daß er einen schweren, inneren Kampf kämpfte, als er diese Wahrheit ehrlich bekannte.

Diese Stunde trennte ihn für ewig von Severa, das fühlte er, – jedes Wort war ein Messerschnitt, welcher das Tischtuch zwischen ihm und ihr teilte, – und ihn wohl für immer aus Ethels Vaterhause verbannte.

Ethel!

O wie krampfte sich sein Herz beim Gedanken an die Geliebte zusammen, und dennoch konnte und durfte er dem ehr- und pflichtvergessenen Weib in diesem Augenblick nicht anders antworten.

Severa stand regungslos, aus weit offenen Augen starrte sie den Sprecher an.

»Manfred! Es wäre Wahnsinn, wenn du um einer törichten Ansicht über ›erlaubt oder nicht erlaubt‹ unser ganzes Glück vernichtetest! Unsere moderne Zeit hat mit der Selbstquälerei, welche der Mensch ›Gewissen‹ nennt, aufgeräumt! Recht und Unrecht sind menschliche Begriffe, und jeder ist ein Narr, welcher sich von überspannten Idealisten oder tyrannischen Selbstüberhebern Sitte und Gesetz vorschreiben läßt! Wir leben nur einmal in der Welt, und was wir sinnlos von uns weisen, ist uns für ewig verloren!«

»Ja, wir leben nur einmal! Wohl jedem, der den furchtbaren Ernst dieses Wortes bedenkt und dessen gewiß ist: ›Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, und danach das Gericht.‹«

Sie krampfte wie in bebender Ungeduld die Hände zusammen.

»Du verstehst mich absichtlich falsch! Ich verlange ja nicht, daß der Mensch sich über Religion und jedes Gesetz hinweg setzt, man soll sich nur nicht selber neue Handschellen anlegen durch allzugroße Empfindlichkeit! Du erschrickst vor dem Gedanken, daß ich mich scheiden lassen würde – und doch ist das moralischer als die ewige Lüge an der Seite eines ungeliebten Mannes!«

»Moderne Ansicht! – Frivol geschlossen und noch frivoler gelöst! Man sollte die Moral bedenken, ehe man sich bindet!«

»Manfred! Es ist doch nun einmal geschehen, und wenn du vernünftig bist und mich noch ebenso liebst wie früher ...«

»Du irrst, ich liebe dich nicht mehr!«

Sie schwieg einen Moment, ihr Blick brannte in leidenschaftlichem Forschen in seinem Auge, und darin las sie plötzlich etwas, was ihr wie Eiseskälte lähmend durch alle Glieder kroch.

»Manfred! Bei dem Gott, an den du glaubst, ist dies Wahrheit?«

»Ich schwöre es dir!«

Sie biß die Zähne zusammen, – wie ein leises Aufstöhnen rang es sich aus ihrer Brust.

Schattenhaft wich sie zurück und stützte sich schwer auf den Sessel.

Alles Blut wich aus ihrem Gesicht.

»Du liebst eine andere?«

»Ich verweigere die Antwort darauf.«

»So ist's Antwort genug!«

Eine kurze, tiefe Stille, nur die goldenen Armspangen klirrten leise an ihrem Handgelenk. Sie hob die Arme und preßte die Hände gegen die Schläfen.

Manfred sah sie an.

Wie verfallen, wie elend sah das schöne Gesicht plötzlich aus.

Warmherziges Mitleid überkam ihn.

Er trat einen Schritt näher und sagte mit weicher Stimme:

»Das war eine böse Stunde, Severa, welche du uns beiden hättest ersparen können. Du mußtest aus meinem Benehmen erkennen, daß kein zärtliches Gefühl für dich mehr in meinem Herzen lebte. Die Würfel sind gefallen, und Gott der Herr ist es, welcher auch die verfehltesten Lebenswege, die wir in der Verblendung selber einschlugen, dennoch zu einem gesegneten Ziel lenken kann. Du hast bisher nur in der Lust und Herrlichkeit der Welt Befriedigung gesucht und nicht gefunden, – laß dir das eine ernste Lehre sein und versuche es, auf andere Art glücklich zu werden! – Treue Pflichterfüllung, edle Aufopferung, auch unter den schwierigsten und widrigsten Verhältnissen, können einen Menschen wahrhaft beglücken und seinem Herzen Frieden geben. – Die Prüfungen, welche Gott der Herr den Seinen schickt, haben tausendfache Art und Form, und ich bin überzeugt, daß die glänzenden Straßen, welche ein Mensch ziehen muß, oft die dornigsten und mühseligsten sind! Versuche es, diese Dornen zu pflegen, daß sie edle und heilige Christrosen tragen, und wenn du dazu Rat, Hilfe und Stütze eines redlichen Freundes bedarfst, dann rufe mich, – es soll wahrlich nicht vergeblich sein!«

Hörte sie seine Worte?

Sie hatte das Haupt tief geneigt und die Augen geschlossen, nur ihre Brust hob und senkte sich unter stürmischen Atemzügen.

»Was sagst du dazu, Severa? Möchtest du es nicht versuchen?« bat er weich.

Da richtete sie sich mit jähem Ruck empor, ein Blick flammte zu ihm empor, welcher ihm das Wort auf den Lippen ersterben ließ.

Haß, wilde trotzige Leidenschaft waren es, welche ihm entgegenloderten.

Ein scharfes, schrilles Auflachen.

Vom Scheitel bis zur Sohle musterte sie ihn.

»Nein, ich will es nicht versuchen, denn dies Rezept für eine ehr- und tugendsame Hausfrau ist mir zu abgeschmackt! – Meine Liebe zu dir war treu und groß, du selber hast sie entwertet und mir bewiesen, daß die Treue eine Münze ist, mit welcher selbst so fromme Leute wie du heutzutage nicht mehr zahlen! Du hast dich sehr schnell getröstet und vergessen, – ich werde es auch tun und den letzten Rest von Gewissensbissen, welche ich dir gegenüber empfand, über Bord werfen! Es ist ja gut, daß du nicht unglücklich geworden bist, – ich werde es auch nicht sein, und die sentimentale Rolle einer büßenden Magdalena andern überlassen! – Also Glück auf! zu dem neuen Leben, welches wir nun beide anfangen! – Auf Wiedersehen sagen wir uns wohl nicht dabei!«

Wieder ein kurzes, höhnisches Auflachen, sie wandte ihm brüsk den Rücken, die seidene Schleppe rauschte wie ein dunkler Schatten über den Teppich, und Manfred war allein.

Mit tiefem Aufseufzen warf er sich in einen Sessel und deckte die Hand über die Augen.


 << zurück weiter >>