Paul Ernst
Komödianten- und Spitzbubengeschichten
Paul Ernst

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Der Smaragd

Bei dem Pastetenbäcker Cecco ist seit einiger Zeit ein junges Mädchen beschäftigt, welches den Kunden mit einem anmutigen Lächeln und einem Knicks die Pasteten bringt, wenn sie an den runden Tischchen sitzen, den Schnurrbart streichen, Geschichten von Weibern, Pferden und Juden erzählen und furchtbar aufschneiden. Der Laden Ceccos ist in Aufnahme gekommen, seit die schöne Pastetenbäckerin in ihm wirtschaftet; wie durch einen magischen Zauber zieht sie durch ihre blitzenden Augen die Kunden an, und zum Glück nicht bloß die vornehmeren Herren, welche die Geldbeutel vergessen haben, wenn sie zahlen wollen, sondern auch die schüchternen Bürgersöhne, welche sich geehrt fühlen, wenn sie in einem Raum mit den anderen sitzen dürfen. Und dabei ist sie tugendhaft. Nichts kann man ihr nachsagen, gar nichts. Flüche machen ebensowenig Eindruck auf sie wie Seufzer, und wenn ein Bürgerssohn ihr bescheiden ein Geldstück als Trinkgeld schenkt, so ist sie zu ihm nicht freundlicher wie zu dem Kavalier, der sich symbolisch selber in die Backe kneift und sie dabei verliebt ansieht.

Lange Rübe kommt auch gelegentlich einmal zu Cecco, natürlich als Kavalier. Auch er macht der schönen Pastetenbäckerin verliebte Augen, aber er kann sich nicht größerer Erfolge rühmen wie die anderen.

Die Menschen sind ja sehr verschieden. Unter den Bürgerssöhnen taucht plötzlich ein junger Mann auf, niemand weiß woher, der auch sogar die Kavaliere in Erstaunen versetzt. Man behauptet, es sei gar nicht möglich, daß er bloß ein Bürgerssohn ist; man fragt ihn, ob seine Mutter nicht ihrer Zeit hübsch gewesen sei; die Vaterschaft ist ja immer ein ungewisses Ding, weshalb soll nicht einmal ein Kavalier die Mutter des jungen Mannes geliebt haben, wenn sie wirklich hübsch war? Der junge Mann lächelt nur bescheiden und stolz. Er hat eine etwas zu lang geratene Oberlippe, und weil er Augustin heißt, so nennt man ihn Augustin von der Lippe.

Augustin von der Lippe ist ein anschlägiger Kopf. Da er sieht, daß alle bisherigen Belagerungsmethoden bei der Tugendfestung der schönen Pastetenbäckerin versagen, so erfindet er eine neue. Er erzählt nämlich Geschichten aus seinem Leben und rundet diese immer so ab, daß er eine außerordentlich vorteilhafte Rolle in ihnen spielt, oder er macht sonstige Bemerkungen, aus denen seine große Bedeutung hervorgeht. Er denkt auf diese Weise sich der Phantasie des jungen Mädchens zu bemächtigen, und jeder Frauenkenner weiß, wenn man einmal die Phantasie eines Weibes gewonnen hat, so hat man alles gewonnen.

Es wird etwa einmal davon gesprochen, daß der Magnet seine Kraft verliert in Gegenwart eines Diamanten, und weil keiner der Anwesenden noch einen Diamanten gesehen hat, die Kavaliere, weil sie keinen haben können, und die Bürgerlichen, weil sie keinen haben dürfen, so glaubt man das allgemein. Augustin erklärt: »Begreiflich, wenn ich in der Nähe einer Tugend bin, sofort verliert die Tugend ihre Kraft.« Verdrießlich winkt ein Kavalier der schönen Pastetenbäckerin zu und sagt ihr: »Bestellen Sie das Grabgeläute für Augustin. Ich werde ihn fordern.« »Nimm dich in acht«, ruft ihm ein Freund zu, »Augustin schläft auf einer Matratze, die mit den Schnurrbärten seiner abgestochenen Duellgegner ausgestopft ist.« »Ein Kavalier brachte mich einmal in Wut«, erzählt Augustin, »Euer Glück, Herr, sagte ich, daß ich wütend bin, denn ich töte nur bei kaltem Blut.« Die Kavaliere schweigen. Augustin aber sieht triumphierend die Pastetenbäckerin an.

Gegenüber dem Pastetenbäcker wohnt der Juwelenhändler Matteo. Man sagt von ihm, daß er Beziehungen zu dem allgemeinen Verband der römischen Taschendiebe unterhält, und daß man deshalb gute Gelegenheitskäufe bei ihm machen kann. Im Schaufenster liegt ein Ring mit einem Smaragden, einem wunderbaren Smaragden; er ist der schönen Pastetenbäckerin im Traum erschienen, denn wenn sie einmal einen freien Augenblick hat, so steht sie vor dem Schaufenster. Er soll aber hundert Skudi kosten. Die Kavaliere würden ja die hundert Skudi ausgeben, um ihr eine Freude zu machen, aber sie haben sie nicht; die Bürgerssöhne haben sie, aber sie geben sie nicht aus; das ist nämlich der Grund, daß sie sie haben, denn wenn man sie ausgäbe, dann hätte man sie ja nicht mehr.

Eines Tages erzählte Augustin eine Geschichte, die ihm passiert ist, als er in Frankreich reiste. Es ist wahr, die Geschichte ist etwas schwierig zu glauben, denn sie handelt von einer vornehmen Dame, die in Augustin verliebt war, deshalb wollen wir sie nicht nacherzählen. Die Kavaliere merken schon längst, daß er Eindruck auf das Herz der gemeinsamen Geliebten gemacht hat; sie haben sich verschworen, ihn in ihren Augen zu verderben; wie er seine Geschichte beendet hat, da erklären sie einstimmig, daß sie erlogen ist und daß er überhaupt nie Rom verlassen hat.

Augustin erblaßt, sieht sich hilflos um, die Schöne unterdrückt ein Lachen. Er steht auf, um zu gehen.

Aber da erhebt sich Lange Rübe, schreitet auf Augustin zu, schließt ihn in die Arme und ruft: »Habe ich endlich meinen Reisekameraden wiedergefunden!« Alle sehen ihn erstaunt an, aber er wendet sich zu ihnen und sagt: »Herrschaften, die Geschichte ist wahr. Ich bin mit dem Signor zusammen in Frankreich gewesen, ich habe sie miterlebt.«

Die andern schweigen, August erwidert seine Umarmung, und nun beginnt Lange Rübe ihn an Einzelheiten der Reise zu erinnern. Er erzählt, wie Augustin beim Abschied zu der Dame gesagt hat: »Ich lasse Ihnen Ihre Augen zurück, um mich zu beweinen!« Augustin fährt fort, wie die Dame ihm entgegnete: »Geben Sie mir mein Herz wieder, es wird in meiner Brust ewig für Sie schlagen.« Plötzlich unterbricht ihn Lange Rübe und sagt: »Aber Herzbruder, was fällt mir ein! Die hundert Skudi, die ich dir in Paris gepumpt habe, hast du mir ja noch nicht zurückbezahlt.«

Ein irres Lächeln tritt in das Gesicht Augustins und hebt seine Oberlippe. »Du bist jetzt bei Gelde, ich habe nichts, du kannst mir die lumpigen paar Silberlinge jetzt wiedergeben«, fährt Lange Rübe fort. Augustin hängt starr an seinen Augen und legt unbewußt die Hand auf seinen Geldbeutel.

Die Kavaliere erheben sich. Vielleicht glauben sie die Geschichte nicht ganz, aber jedenfalls finden sie, daß Augustin hundert Skudi bezahlen kann. »Herrschaften, es ist nichts nötig, der Signor bezahlt schon«, ruft ihnen Lange Rübe zu; Augustin greift hastig in die Tasche, er bringt nicht ganz achtzig Skudi zusammen; die andern Bürgerssöhne ziehen ihre Geldbeutel, rechnen und zählen, machen die Summe vollständig. Lange Rübe zahlt nach und steckt den Betrag kaltblütig in die Tasche. Augustin spricht bescheiden von einer Quittung, Lange Rübe aber antwortet ihm: »Ein Kavalier verlangt eine Summe nicht zweimal. Habe ich von dir in Paris einen Schuldschein verlangt?«

Natürlich erwarten die Kavaliere nun, daß Lange Rübe sie einladen wird, um mit ihnen die hundert Skudi in Pasteten und Wein anzulegen, den sie dann auf das Wohl Augustins von der Lippe trinken werden. Lange Rübe aber geht gegenüber zu Matteo, dem Juwelenhändler.

Man muß nämlich wissen, daß die Pastetenbäckerin die berühmte Colomba ist; die Polizei hat ein so lebhaftes Interesse für sie, daß sie es für richtig hielt, sich eine Weile unerkannt in einen anderen Beruf zurückzuziehen. Wenn nun Lange Rübe zurückkommt und ihr den Smaragden schenkt, den sie sich so lange gewünscht hat, dann kann man wohl annehmen, daß er manches mit ihr gesprochen hat, was die anderen nicht wissen; vielleicht hat er sogar vorher mit Matteo gesprochen.

Die Kavaliere sind starr über Lange Rübe, dann aber klatschen sie in die Hände und rufen Bravo; wenn die schöne Pastetenbäckerin den Smaragden bekommt, dann verzichten sie gern auf Wein und Pasteten, auch einige der Bürgerssöhne klatschen, und Augustin tritt mit gefaßter Miene zu ihr und drückt ihr die Hand.


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