Paul Ernst
Komödianten- und Spitzbubengeschichten
Paul Ernst

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Neue Liebe

Der Kapitän Spavento und Silvie sind zwei in ihrem Herzen Verwundete; trotz seiner Tapferkeit, seiner männlichen Gestalt, seines prächtigen Schnurrbarts – er ist der einzige Schauspieler, der einen Schnurrbart hat – wurde er von Colombinen verlassen; und Silvie hat trotz ihrer zärtlichen Liebe, ihrer Jugend, ihrer Schönheit den flatterhaften Flavio verloren. In einer kleinen Schauspielertruppe sind nicht viel mögliche Kombinationen; denn man muß doch immer bedenken, daß Pantalon, der Doktor, der Notar und Cassander ausscheiden, weil sie schon alte Männer sind. Es wäre also das Gegebene, daß der Kapitän Silvien liebte und Silvie den Kapitän.

Nun liebt zwar Silvie den Kapitän; aber trotz ihrer Erlebnisse mit Flavio hat sie noch immer nicht gelernt, wie ein Mädchen es anfangen muß, damit ein Mann sie wiederliebt. Manche von den Schauspielern behaupten, das sei ein Beweis ihrer Talentlosigkeit; sie hat ja Erfolge beim Publikum, unzweifelhafte Erfolge; aber die Schauspieler sagen, das komme nur daher, daß sie immer sich selber spiele; eine eigentliche Künstlerin sei sie nicht. Also der Kapitän liebt sie nicht; er liebt dafür Bettinen, die ränkevolle Bettine, die ganz gewiß Talent haben muß; denn unzweifelhaft versteht sie es, zu bewirken, daß die Männer sie lieben; das ist in vielen Fällen nur Talentprobe, daß sie das bewirkt; sie hat gar nicht die Absicht, die Liebe immer zu erwidern. Auch in diesem Falle liebt Bettine nicht wieder.

Man kann sich Silviens Kummer vorstellen. Das arme Kind hat es ja noch nicht ganz verwunden, daß Flavio sie verlassen hat; und nun hat sie gleich wieder ein neues Unglück in der Liebe!

Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Des Kapitäns Talent ist ja wohl unbezweifelt; aber in Liebessachen ist auch er von einer merkwürdigen Torheit. Sollte man es für möglich halten: zur Vertrauten seines Liebeskummers um Bettinen hat er sich gerade Silvien ausgesucht! Sie muß seine Schwüre und Flüche mit anhören; und das arme Kind, das noch nicht so ganz unterscheiden kann, was bei dem tapferen Spavento Rolle ist und was Natur, erschrickt über die fürchterlichen Schwüre bis in den Tod; doch mit jenem süßen Erschrecken des verliebten Mädchens, das den Geliebten wegen seiner furchtbaren Männlichkeit nur noch mehr liebt.

Der Mut des Kapitäns ist nicht nur Silvien bekannt, alle Welt weiß von ihm. Ist es nicht wunderbar, wie ein solcher Mut vor einem Mädchen verschwindet? Spavento wagt Bettinen nicht seine Liebe zu gestehen, er wagt ihr noch nicht einmal Blumen zu überreichen. Silvie muß ihr in seinem Namen ein Veilchensträußchen bringen; Bettine lacht verschmitzt und sagt etwas – nein, das kann Silvie dem Kapitän nicht wiedersagen, das bräche ihm das Herz. Man weiß ja, wie er damals krank geworden war, als Colombine ihn verlassen hatte! Sie erzählt also, daß Bettine den Strauß geküßt hat. Die Brust des Kapitäns wölbt sich, er streicht sich den Schnurrbart; dann faßt er die bebende Silvie unters Kinn und sagt: »Geküßt? was? die Veilchen des Kapitäns geküßt! Es gibt manches Weib, das sich nach dem Kapitän umsieht! Ich werde mir das Weitere überlegen!« Ach, vielleicht besinnt er sich anders, denkt Silvie, wie er sich von ihr wendet, die Faust in den ungeheuren Degenkorb stoßend.

Man sollte denken, daß der Kapitän nun sich selber an Bettinen wenden würde; aber die Künstlernatur ist inkonsequent; er behält Silvien als Liebesbotin bei. Er schreibt einen Brief. Silvie weiß, daß Bettine über den Brief lachen, ihn vielleicht sogar ihrem Liebhaber zeigen wird; sie weint, wenn sie an den Kapitän denkt, und wagt nicht, den Brief abzugeben; der Kapitän fragt sie, drängt sie; sie hat ja schon den Brief auseinander gebogen und einige Zeilen gelesen; endlich faßt sie sich ein Herz, öffnet ihn und beantwortet ihn selber in Bettinens Namen. Die Handschriften der Schauspielerinnen von damals waren noch nicht sehr differenziert, eher war es ihre Orthographie; der Kapitän merkt nichts von dem freundlichen Betrug; er liest den Brief, lacht glücklich, reicht ihn dann der zitternden Silvie zum Lesen und sagt: »Da, Kleine, lies ihn genau durch, so schreibt ein liebendes Weib!« Silvie errötet und wagt den Brief nicht zu nehmen; der Kapitän lacht und steckt ihn in die Tasche.

Solche Verhältnisse entwickelten sich damals schnell. In seinem nächsten Brief schon schlägt der Kapitän Bettinen ein nächtliches Stelldichein vor.

Silvie erschrickt noch tiefer, wie sie diesen Brief öffnet, noch tiefer ist ihre Liebe verwundet; einer Bettine ein Stelldichein vorzuschlagen, einer Bettine, die einen, zwei, drei Liebhaber außer dem Theater hat, einen Materialwarenhändler, einen Goldschmied und einen Abbate! Wie blind die Männer sind, so eine zu lieben! Sie weint herzbrechend, sie weint stundenlang. Aber was soll sie tun? Soll sie Bettinen erzählen, daß sie den vorigen Brief selber beantwortet hat? Was würde der Kapitän sagen, wenn er ihren Betrug erführe!

Sie schreibt die Antwort wieder selber in Bettinens Namen. Sie schreibt, daß sie ihn liebe, daß sie ihn besuchen wolle, aber sie werde beargwöhnt und überwacht; sie wolle nach der Vorstellung zu ihm kommen, in ihren schwarzen Schleier eingewickelt, damit man sie nicht erkenne; er solle sie erwarten, aber er dürfe niemandem, niemandem etwas erzählen. Der heutige Leser wird denken: aber wenn nun Spavento ein Licht in seiner Kammer brennen hat? Keine Furcht; ein Schauspieler ist nicht so reich, daß er abends Licht brennt; wenn die Vorstellung zu Ende ist, so geht er im Dunkeln nach Hause; seine Treppe ist eng genug, er wird sich nicht auf ihr verirren, und in seiner Kammer sind nicht so viele Möbel, daß er an eines anstoßen könnte.

Der Kapitän lächelt überlegen als er den Brief liest. Er fragt Silvien: »Soll ich ihn dir geben?« – »Nein«, fährt er fort; »der Kapitän weiß ein Geheimnis zu wahren. Mit Zangen kann man es ihm nicht aus dem Busen reißen.«

Es wird Abend; die Vorstellung beginnt; noch nie hat der Kapitän mit solchem Feuer gespielt; ein Maronenverkäufer im parterre wird ohnmächtig vor Schreck, vor Schreck! Donnernder Beifall wird dem Kapitän zuteil. Auch sonst wird der Kapitän heimlich geliebt. Eine verschleierte Dame in einer Loge ist mit einem großen Rosenstrauß gekommen; man kann sie nicht erkennen, unzweifelhaft ist sie eine feine Dame, eine vornehme Dame, vielleicht eine Marchesa; sie hat also einen Rosenstrauß. In ihrer Begeisterung wirft sie statt des Rosenstraußes ihr Korsett dem Kapitän auf die Bühne; sie hat es sich nicht etwa in ihrer Loge ausgezogen; es war zum Ausbessern gegeben und sie hatte es abgeholt, ehe sie ins Theater ging. Verwirrt flieht sie aus der Loge; der Kapitän hebt das Paket auf, das vor seinen Füßen liegt, öffnet es und holt das Korsett vor. »Dieses Korsett ist mir mehr wert als ein Rosenstrauß«, ruft er gefühlvoll; Silvie vergießt in den Kulissen Tränen der Freude.

Wie sollen wir beschreiben, was jeder Beschreibung spottet, die höchste Seligkeit der zwei Liebenden? Es ist dunkel auf der Straße, im Haus, auf der Treppe, in des Kapitäns Zimmer; Silvie hat sich zu ihm geschlichen, sie hängt an seinem Hals, er ruft aus: »Bettine! Dieser Augenblick sollte der letzte unseres Lebens sein!« Silvie seufzt heimlich und denkt: Wenn das doch wahr würde! Aber es wird nicht wahr; lange vor Morgengrauen schleicht sie sich wieder von ihm fort.

Es ist Probe am Vormittag. Der Kapitän erscheint, seine Blicke mustern die Anwesenden; Bettine steht neben dem Doktor, dem alten Doktor, mit einem Gesichtsausdruck, einem Gesichtsausdruck! Der Kapitän runzelt die Stirn und sieht sie strafend an; sie lacht ihm ins Gesicht, nimmt die Hand des Doktors und drückt sie auf ihr Herz. Wie? Sie drückt die Hand des Doktors auf ihr Herz! Der Kapitän erblaßt und wendet sich ab; in der äußersten Ecke, allein, steht Silvie; er geht zu Silvien und stammelt: »Vorige Nacht war sie bei mir!« Die Tränen sind am Losbrechen bei ihm.

Silvie flüstert ihm zu: »Strafe sie mit Verachtung«, schiebt ihren Arm unter den seinen und wendet sich mit ihm zu den übrigen. Im Gehen nimmt sie seine freie Hand und drückt sie. Alle Schauspieler sehen die beiden an, sehen Silviens heiteres Gesicht, das noch umwölkte Gesicht des Kapitäns. Man kann ja von Bettinen nicht verlangen, daß sie den Zusammenhang versteht, und so denkt sie denn, was die Anderen denken, nur, daß sie die erste ist, die es sagt: »Kinder, jetzt haben sich die beiden schon gezankt, und wir wußten noch gar nicht, daß sie ineinander verliebt sind.« Natürlich muß dem Kapitän dieser Ausruf als die höchste Lieblosigkeit von Bettinen erscheinen. Verächtlich preßt er seine Lippen aufeinander; dann spricht er endlich: »Ja, ich liebe Silvien, ich habe nie ein anderes Weib geliebt als sie.«


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