Paul Ernst
Komödianten- und Spitzbubengeschichten
Paul Ernst

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Das spitzenbesetzte Wäschestück

Lange Rübe ergeht sich auf dem Korso. Er ist ein schöner großer Mann mit gesunden Gliedern und von vornehmem Auftreten, und so erscheint es nicht wunderbar, wenn die Herzoginnen, Markgräfinnen, Gräfinnen und Baroninnen, welche in ihren prächtigen Wagen vorbeifahren, um zu zeigen, wie fein sie sind, ihm die feurigsten Blicke zuwerfen.

Auf dem Trottweg huscht vor ihm eilig hin eine vornehme junge Witwe, kokett in ihren schwarzen Schleier gehüllt, die Augen sittsam auf die Erde geschlagen, aber sie sieht doch alles; Lange Rübe fühlt sich mächtig durchströmt, er eilt ihr mit langen Schritten nach. Da fallen plötzlich große Tropfen vom Himmel, schnell werden ihrer mehr, und mit einem Male strömt ein Platzregen nieder, der auf der Straße aufklatscht, den Schmutz hochschleudert, Pfützen mit springenden Blasen erzeugt; die heitere, bunte Menge, welche eben noch die Trottwege füllte, stiebt auseinander in Hausflure und Geschäftsläden, die feinen Kutscher auf den vornehmen Wagen entfalten zunächst große Regenschirme, damit sie nicht naß werden, schlagen dann das Verdeck hoch, damit auch die Herrschaften geschützt sind, peitschen auf die Pferde, und die Pferde rennen mit gesenkten Köpfen und von jedem Haar triefend verdrießlich stallwärts.

Lange Rübe und die junge vornehme Witwe finden sich zusammen im Laden einer Weißwarenverkäuferin. Es ist nur ein Stuhl im Laden, zu welchem Lange Rübe die Dame mit weltmännischer Sicherheit geleitet; die Verkäuferin betrachtet das Paar mit mütterlichem Lächeln, holt dann für den Herrn einen zweiten Stuhl; der Laden ist sehr eng, und man sitzt so dicht aneinander, daß man die Nähe des andern verspürt, die vornehme junge Witwe schlägt wieder die Augen nieder.

Nun holt die Verkäuferin Schachteln und Kästen vor und breitet aus: da hat sie Hemden aus Batist und Rohseide aus spanischer Luftgaze und indischem Feuermull, aus Seidenkrepp und chinesischem Krausstoff, aus Musselin und Wimpernhaargewebe; die Hemden sind mit Spitzen besetzt, mit Valenciennesspitzen, irischen Spitzen, Schweizer Stickereien, mit Okki, geklöppelten, genähten, gehäkelten Spitzen; sie haben Stüfchen und Einsätze, und sie haben entzückende seidene Bänder in Rosa und Himmelblau; sie haben halblange Ärmel nach deutscher Art, gar keine Ärmel und seidene Schulterschleifen nach französischer, und kurze Ärmel nach italienischer Art. Sie sind begeisternd, die Hemden, wenn eine junge Witwe vornehm und zurückhaltend mit niedergeschlagenen Augen neben einem sitzt und zuweilen leise seufzt; Lange Rübe wird beredt, er läßt die Stoffe durch die Hände gleiten, die Verkäuferin hält die Hemden der Dame an den Hals, die junge Witwe sitzt still und rührt sich nicht. Die Verkäuferin begeistert sich immer mehr. Sie schiebt die Schachteln und Kästen mit den Hemden zur Seite und holt eine andere Schachtel vor; diese Schachtel enthält aus Seide, aus Mull, aus Krepp, aus Batist, besetzt mit venezianischen, französischen, indischen und chinesischen Spitzen, also enthält ... wie soll man sagen ... das Wäschestück, das für die Dame ebenso notwendig ist wie das Hemd, man kann auch sagen, es ist noch notwendiger ... man versteht schon, das durchaus notwendige Wäschestück ... Die vornehme junge Witwe errötet und blickt noch mehr zur Erde; die Verkäuferin entfaltet bewundernd das eine Wäschestück; es ist aus rosa Batist, durchscheinend, die Knöpfchen aus Perlmutter, die beiden Bänder unten über den beiden Falbeln aus violetter Seide, und dann Spitzen darunter, Spitzen, fein wie ein Traum, zart wie zwei Stanzen aus dem befreiten Jerusalem, süß wie der Kuß eines Kardinals. Lange Rübe nimmt der Frau das Wäschestück aus der Hand, die junge Witwe seufzt, er fragt nach dem Preis; die Frau hat verschieden abgestufte Preise, und wenn zwei junge Leute kommen, dann nimmt sie immer die höheren Stufen, je nachdem, ob es ein Ehepaar ist oder ein Brautpaar, oder ein Paar, das weder verheiratet ist, noch sich verheiraten will. Diesen letzteren nimmt sie immer die höchsten Preise ab, und so tut sie denn auch bei Lange Rübe. Also das Wäschestück kostet hundert Skudi, und es ist das kostbarste im ganzen Laden, ein kostbareres hat die Frau nicht, und der Heilige Vater hat schon fünfundzwanzig Skudi dafür geboten, und die andern Wäschestücke mag man gar nicht mehr sehen, wenn man dieses gesehen hat, und sie packt sie denn auch mit verdrießlichem Gesichtsausdruck wieder ein.

Inzwischen aber hat sich das Wetter draußen wieder aufgehellt; die letzten Sprüher sind vorüber, die Leute halten die Hand aus den Torwegen und wagen sich wieder hinaus, die Kutscher klappen ihre Schirme zu und schlagen die Wagen nieder; die Fürstinnen, Gräfinnen und Baroninnen in den Wagen haben nicht gelitten und lächeln wie vorhin, indem sie der Menge zu Fuß das Beispiel der Feinheit und Vornehmheit geben, und die Sonne lacht fröhlich auf die bunte Straße.

Die junge Witwe hat sich erhoben. Lange Rübe zieht die Stirn in Falten. Es tut ihm unendlich leid, das Wäschestück ist ja sehr schön, aber seine Gemahlin wäre entehrt, entehrt wäre sie, sie hat bis jetzt immer fünfhundert Skudi bezahlt für das Wäschestück; das ist ein Räuber gewesen, der ihr die fünfhundert Studi abgenommen hat, denn dieses Wäschestück, das ist ja gar kein Vergleich, wieviel schöner es ist; diesen Laden muß man sich merken, man muß ihn empfehlen; aber das ist unmöglich, das Wäschestück für hundert Skudi – nicht wahr? Die vornehme junge Witwe schüttelt auch den Kopf. Es ist unmöglich. Die Witwe dankt freundlich, grüßt und geht, Lange Rübe dankt; es ist unmöglich, sie wäre entehrt; dann grüßt er gleichfalls und geht; die Verkäuferin bleibt erstarrt zurück und fragt sich, ob es nicht falsch war, daß sie nicht einfach fünfundzwanzig Skudi verlangt hat.

Auf der Straße gehen die beiden eine Weile nebeneinander, dann sagt Lange Rübe: »Ich habe sie«, er meint das Wäschestück; damit zeigt er es der Witwe.

Wir müssen annehmen, daß Lange Rübe mit seinem bekannten Scharfblick den Charakter der vornehmen Witwe sofort durchschaut hat, und daß diese gleichfalls sehr viel Menschenkenntnis besitzt. Die beiden verstehen sich also, es braucht demnach auch weiterhin nicht vieler Worte, um festzustellen, daß Lange Rübe, der sehr gern gebratene Hähnchen ißt und Falerner dazu trinkt, einmal mit der jungen Witwe zusammen essen möchte, und daß diese junge Hähnchen und Falerner auch liebt. Es ist natürlich keine Rede davon, daß die Witwe das Wäschestück etwa gleich mitnähme, sie macht gar nicht den Versuch, ihm das vorzuschlagen, sie hat eine sehr behagliche Wohnung mit eigenen Möbeln, die sie gern einem Freund zeigt, von dem sie weiß, daß er Sinn für Häuslichkeit hat; und morgen also wird Lange Rübe sie besuchen, und sie wird ihn mit Hähnchen und Falerner erwarten. Vor ihrer Haustür verabschieden sich die beiden, und Lange Rübe küßt ihr ritterlich die Hand.

Am andern Morgen geht die vornehme junge Witwe, gefolgt von ihrer Dienerin, auf den Markt und kauft ein. Die jungen Hähnchen liegen gerupft, weiß vor Fett, fleischig und prall, appetitlich in einer Reihe, die Beine auseinander, das Köpfchen mit den halbgeschlossenen Augen nach rechts gewendet; der Händler nimmt eines in die hohle Linke und preist es wägend an, er spreizt ihm die Flügel und kneipt mit Daumen und Zeigefinger in das Fleisch, er richtet das herunterhängende Köpfchen liebevoll auf und biegt es zierlich neben den Körper, er erzählt, daß das Tierchen nur mit Gerste gemästet ist, mit reiner Gerste, was der Kenner ja denn gleich bei dem ersten Happen merkt, der vergeht auf der Zunge wie Butter, und daß die Hähnchen anziehen, er aber liefert sie noch zum alten Preis. Die Witwe handelt, sie bietet zwei Paoli statt vier; der Händler wirft das Hähnchen mit gekränktem Gesichtsausdruck auf den Tisch; sie wendet sich; der Händler ruft ihr nach, wenn sie mehrere Hähnchen nimmt, so wird er einen Paoli ablassen; sie kommt zurück, betrachtet unschlüssig die Hähnchen, sagt, sie werde zwei nehmen, wenn sie sehr gut seien, aber mehr wie zwei und einen halben Paoli zahlt sie nicht; der Händler verflucht seine Mutter im Grabe, wenn er ihr die Hähnchen dafür geben sollte, dann sucht sie die zwei schönsten aus, er wickelt sie ein und erzählt von einem Kunden, dem das Wasser immer im Mundwinkel herabgelaufen ist, daß er die Wäsche hat wechseln müssen, so vorzüglich sind die Hähnchen; endlich rechnet er fünfeinenhalben Paoli zusammen; sie legt ihm fünf Paoli hin, er stößt das Geld zurück, sie nimmt die Hähnchen der Dienerin wieder ab und drückt sie ihm in die Hand; er sagt, daß sie eine Sünde begeht, eine Todsünde, denn er setzt Geld zu, aber sie ist nun einmal eine Kundin, und einer so schönen Signora kann er nichts abschlagen, das weiß sie, weil sein Herz so weich ist, und so nimmt er denn zuletzt die fünf Paoli, und die Dienerin legt die Hähnchen in den Korb. Die beiden gehen weiter und kaufen Artischocken, sie kaufen Weißbrot; Nüsse und Rosinen kaufen sie und zwei Flaschen Falerner. Zwei Flaschen Falerner, nicht eine, denn die Witwe denkt, daß Lange Rübe den Wein gern hat, und sie hat ihn auch gern, und es kommt ihr auf die eine Flasche nicht an, denn Lange Rübe ist, wie gesagt, ein schöner Mann, er ist viel schöner als der Graf.

Vom Grafen übrigens brauchen wir jetzt noch nichts zu wissen, der erscheint erst später.

Also die beiden gehen nach Hause zurück und packen aus, braten und kochen, die Küche riecht nach gebratenen Hähnchen, die Stube, der Gang, die ganze Wohnung, das Haus, und als Lange Rübe kommt, da empfängt ihn schon an der Haustür der herrliche Geruch.

Lange Rübe tritt ein, und die Witwe geht ihm entgegen, und auf dem Tisch stehen die Hähnchen, braun, glänzend und duftend, stehen die Artischocken, steht die kristallene Schale mit den Rosinen; sie hat einen Sprung, die Schale, der Graf hatte einmal so mit der Faust auf den Tisch gehauen, daß sie umgefallen war, aber man sieht den Sprung nicht; stehen die Weingläser, steht eine Flasche Falerner; die zweite ist im Kleiderschrank, sie soll nachher, wenn die erste ausgetrunken ist, überraschend hervorgeholt werden, wenn Lange Rübe, die Beine von sich streckend, die Hände in den Taschen, zur Decke sieht und spricht: »Wie schade, daß die Flasche schon leer ist, jetzt, wo es einem gerade am besten schmeckt.« Die zweite Flasche soll der Höhepunkt werden, der Höhepunkt des Dramas, wo die Peripetie nicht mehr weit ist.

Bis hierher war nun alles erwartet, und deshalb sieht diese Geschichte noch gar nicht so aus wie eine Novelle; sie hat bis jetzt entschieden epischen Charakter. Aber nun kommt das Unerwartete: der Graf erscheint.

Der Graf ist ein hitziger Mann, aber er ist auch ein umständlicher Mann. Er wendet sich zunächst an die Witwe und teilt ihr mit, daß er habe Geld von ihr holen wollen, und nun erlebe er so etwas. Die Witwe sinkt in Ohnmacht. Der Graf zieht einen unendlich langen Degen und dringt auf Lange Rübe ein. Lange Rübe hat natürlich keine größeren Geldbeträge bei sich, die ganze Lage kommt ihm lächerlich vor, denn das muß die Witwe doch wissen, er kann sich nur vorstellen, daß der Graf aus Versehen zu früh gekommen ist, daß er erst auftreten sollte, nachdem er das spitzenbesetzte Wäschestück übergeben hatte; kurz, er erklärt, er möge mit dem Gaunerpack nichts zu tun haben und entfernt sich.

Wir wissen, daß er im Irrtum war; der Graf ist wirklich unerwartet gekommen. Er kommt sonst nie um diese Zeit. Nämlich der Graf hat Colomba kennengelernt, er hat sich in Colomba verliebt und hat sich mit ihr verabredet, daß sie zusammen gebratene Hähnchen essen wollen; man versteht, daß Colomba durch Lange Rübe eine Vorliebe für Hähnchen und Falerner bekommen hat. Die wollen sie in der Wohnung Colombas essen, und der Graf soll sie mitbringen. Er hat sie unterwegs bei einem Stadtkoch fertig kaufen wollen, und weil er natürlich kein Geld hatte, so wollte er von der Witwe welches holen.

Über das schnelle Verschwinden von Lange Rübe ist er betroffen; er pflegt in solchen Fällen zu erklären, daß er der Bruder der Witwe ist, daß der Besucher seine Ehre gekränkt hat und daß nur eine schleunige Heirat seine Ehre wieder herstellen kann; der Besucher gerät in Angst, es werden Unterhandlungen angefangen, und zuletzt opfert der Besucher das Geld, das er bei sich hat und geht traurig und in seinen schönsten Erwartungen getäuscht nach Hause. Die Witwe liegt noch immer in Ohnmacht, und die Ohnmacht ist echt. Der Graf geht verdrießlich in die Küche, holt sich den Korb, packt die Hähnchen, Artischocken, Semmeln, Trauben und den Wein in den Korb und verläßt das Haus, um zu Colomba zu gehen.

Inzwischen aber hat sich auch Lange Rübe schon zu Colomba auf den Weg gemacht, und da er in empörter Gemütsverfassung ist, so ist er sehr schnell bei ihr angekommen. Er erzählt, daß Kaffern ihn haben prellen wollen, ihn, Lange Rübe, aber sie haben sich da denn doch verrechnet. Er ist natürlich gegangen, denn man kann ja nicht wissen, ob der andere nicht stärker ist; aber wofür halten einen die, solche Tricks mögen in Viterbo oder vielleicht sogar in Florenz noch gehen, aber in Rom! Ihm mit so etwas zu kommen! Er zieht das spitzenbesetzte Wäschestück aus der Tasche und wirft es ihr auf den Tisch, Colomba entfaltet es, hält es mit zwei Fingern jeder Hand vor sich hin, sie ruft: »Ah! und Oh!«, sie schmatzt und schnalzt; Lange Rübe ist etwas besänftigt durch ihre Freude und sagt, daß er es ihr schenkt, das hatte die andere nun haben sollen; und nun erzählt er abgebrochen und bruchstückweise; plötzlich beginnt er zu vertuschen, fängt er an, seine Erzählung zu verwirren, springt er auf einen andern Gegenstand über und schimpft auf die Polizei. Aber Colomba hat alles erraten. Sie stemmt die Arme in die Seiten und tritt energisch vor ihn hin.

Hier geraten wir nun in die Psychologie, und zwar, was erschwerend ist, in die weibliche. Aber es geht nicht ohne Psychologie. Es ist ja klar, die Psychologie ist ein Kunstfehler. Aber wer würde das folgende verstehen, wenn wir es nicht psychologisch begründeten?

Es liegt in der Natur des Berufes, den Lange Rübe und Colomba ausüben, daß sie nicht aufeinander eifersüchtig sind. Sie sind es auch nie, solange sie in ihrem Beruf wirken. Aber in diesem Fall hatte Lange Rübe nicht gearbeitet; und kurz, Colomba wird von grimmiger Eifersucht erfaßt.

Doch wie äußert sie diese Eifersucht? Sie läßt ihre Hände sinken, ihre Gestalt und Mienen drücken die höchste Gleichgültigkeit aus, und mit kaltem Ton erklärt sie, sie habe einen Grafen kennengelernt, der allerdings offenbar vermögenslos sei, aber ein äußerst liebenswürdiger Mann, und dieser werde sie besuchen und Falerner mitbringen.

Lange Rübe beißt sich auf die Lippen. Er geht ruhig zum Tisch, legt das spitzenbesetzte Kleidungsstück – aber weshalb sollen wir denn so zurückhaltend sein, wir sehen ja doch jetzt, in welcher Gesellschaft wir uns befinden, also er legt das Spitzenhöschen auseinander und glättet es, und mit gezwungener Stimme sagt er, daß es ihr gut stehen werde. Plötzlich aber wendet er sich zu ihr um, tritt mit geballten Fäusten vor sie hin und ruft aus: »Ich mache dich kalt, verdammte Kanaille!«

Colomba ist zu Tränen gerührt. »Du liebst mich doch noch!« ruft sie aus und hängt sich an seinen Hals. Auch ihm kommen die Tränen.

In diesem Augenblick klopft es an die Eingangstür. Colomba schiebt Lange Rübe in die Küche und öffnet. Der Graf tritt ein, setzt seinen Korb auf den Tisch, zwirbelt das Bärtchen, faßt Colomba um die Taille; Colomba öffnet den Korb und sieht die Hähnchen, die Artischocken, den Wein; sie ruft: »Ich muß erst decken« und eilt in die Küche. Aus der Küche kommt Lange Rübe mit gezogenem Degen, Colomba sinkt in Ohnmacht, der Graf wird blaß und begreift sofort die Lage. Die Hähnchen und der Wein sind verloren, aber das Spitzenhöschen liegt so, daß er es mit einer geschickten Handbewegung erreichen kann. Er steckt es ein, ohne daß es Lange Rübe merkt, denn wie der Graf ihn, so hat er den Grafen wiedererkannt, aber auf ihn wirkt natürlich verblendend, was des Grafen Fähigkeiten erhöht, denn er wird wütend, und der Graf wird kaltblütig durch die Entdeckung.

Der Graf also entfernt sich mit dem Spitzenhöschen; und da er in seiner Liebeserwartung getäuscht ist, so kehrt er zu der Witwe zurück. Diese empfängt ihn liebevoll und verzeiht ihm; er ist beschämt und übergibt ihr das Spitzenhöschen; sie entfaltet es, staunt und bewundert, erklärt, daß sie nie so etwas gesehen, rühmt die Geschicklichkeit des Grafen, der ein solches Kunstwerk ausfindig gemacht, fragt und bedrängt ihn, wo er es geschossen habe. Er lächelt still und schweigt, schüttelt den Kopf und spricht dunkel von Geheimnissen. Nun geht sie zum Kleiderschrank und holt die zweite Flasche Falerner vor, die sie dort versteckt hatte, und so wird denn Versöhnung und Geschenk gefeiert.

Colomba richtet sich schnell auf, als der Graf verschwunden ist, denn ihre Ohnmacht war nur eine Bequemlichkeitsohnmacht gewesen. Sie eilt mit flinken Füßen in die Küche, holt Tischtuch, Teller und Gläser zusammen, legt glänzende Mundtücher neben die Teller, legt die Hähnchen auf eine Schüssel, deren Rand sie mit Blumen verziert, die sie von den Blumentöpfen im Fenster des Nachbarn pflückt, eines melancholischen Junggesellen, der tagsüber bei einem Advokaten schreibt und abends die Flöte bläst; sie gießt den Falerner in eine geschliffene Glasflasche mit Silberbeschlag, und zu dem Unterton, den der Geruch der Hähnchen gibt, kommt als Oberton der Duft des Falerner. Dann setzen sich die beiden.

Die Witwe hat also ihr Spitzenhöschen, und Lange Rübe hat die Hähnchen. Dazu haben beide den Falerner.

Der Falerner ist ein wunderbarer Wein. Trinkt man ein Glas, so vergißt man Kummer und Ärger. Trinkt man zwei Gläser, so beginnt die Einbildungskraft frei zu werden, der lästige Verstand wird zur Seite geschoben, und man fängt an, sich auszumalen, was man wünscht. Trinkt man drei Gläser, so verschwimmt die Grenze zwischen Wunsch und Erfüllung; und bei vier Gläsern ist man bereit zu schwören, daß man mit dem heiligen Petrus zu Abend ißt oder die Tochter des reichsten Juden von der Welt geheiratet hat. Lange Rübe trinkt Falerner, und die Witwe trinkt Falerner.

Wieder müssen wir jetzt psychologisch werden. Wer denkt hier nicht an die berühmte Geschichte in den Wahlverwandtschaften, wo der Baron nächtlicherweile die Baronin besucht? Lange Rübe ist ja nur ein armer Spitzbube, und die Witwe ist nur eine arme Gaunerin; beider Herz ist schon abgenutzt durch vielfachen Gebrauch; aber die Liebe – nun ja, es ist ja nicht die Liebe der anständigen Leute; aber auch die unanständigen Leute haben ein fühlendes Herz; also die Liebe kann auch bei ihnen Wunder wirken; und wenn man bedenkt, daß noch Falerner dazukommt, dann muß man nicht erstaunt sein, wenn sie dieses Wunder tatsächlich wirkt.


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