Paul Ernst
Komödianten- und Spitzbubengeschichten
Paul Ernst

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Der Dichter

Bei der Truppe ist natürlich auch ein Theaterdichter; die Schauspieler nennen ihn unter sich den Stückeschreiber und haben die Ansicht von ihm, daß er nichts vom Theater versteht; und er selber findet, daß die Schauspieler mühsam von ihm abgerichtet werden und von dem, was sie am Abend sagen, keine Ahnung haben.

Der Dichter ist bekanntlich der berühmteste Mann von Italien. Der Sultan hat schon seit Jahren den Wunsch, ihn an seinen Hof zu ziehen, aber er ist Römer und bleibt Römer, er wird nie von Rom fortgehen, trotzdem man ihn in der Heimat natürlich nicht anerkennt, wie man eben nie einen großen Mann in Rom anerkannt hat. Einem – nun, wir wollen den Namen nicht nennen – wird das Geld ja nur so in den Schoß geworfen, weil er mit seinen Stücken den niedrigen Begierden der Masse schmeichelt; nun, er weiß sich zu trösten in seiner ehrenvollen Armut, er würde mit keinem tauschen, mit keinem.

Man hat ein neues Stück von ihm gegeben, mit ungeheurem Beifall natürlich. Die junge Eminenz war in einer Loge, dieser fürstliche Beschützer von Kunst und Wissenschaft, und hat seine höchste Begeisterung ausgedrückt; der Dichter bekommt für den nächsten Tag eine Einladung zum Mittagessen. Er geht zu Leander, zu Lelio, zu Flavio, zu Pantalon, zum Kapitän und borgt sich bei allen das Passende an Garderobe zusammen; die Schauspieler sind selber geschmeichelt durch die Einladung, denn sie sind es ja, die das Stück herausgerissen haben, und so helfen sie ihm, wie sie können; Silvie wäscht und plättet ihm Jabot und Manschetten, Isabelle frisiert ihn, der Kapitän näht ihm die aufgeplatzten Stiefel und schwärzt die geflickten Stellen, daß man sie nicht merkt, gar nicht; der Direktor borgt ihm seine silberne Schnupftabakdose, Coraline sogar gibt ihre Uhr her, die sie von ihrem Aristokraten geschenkt bekommen hat, die einzige Uhr, die es unter den Mitgliedern der Truppe gibt; sie bindet sie ihm auf die Seele, ihre Uhr, daß er sie nicht verliert oder sich stehlen läßt, denn eine Uhr bekommt man nur einmal im Leben geschenkt; sie zittert, als er gegangen ist, macht Flavio Vorwürfe, daß er es ihr nicht verboten hat, ihm die Uhr zu borgen, aber schließlich, sie hat sie ihm doch geborgt.

So geht denn der Dichter zu dem Kardinal, in Lelios grünseidenem Wams, Flavios Spitzenjabot, Leanders blausamtner Hose, mit dem Degen des Kapitäns und dem Gehstock Pantalons; er geht angezogen und geschmückt, wie noch nie ein Dichter zu einer Einladung gegangen ist.

Der junge Kardinal ist ein wirklich feiner, wirklich gebildeter Mann. Der Dichter ist allein zu Tische bei ihm, niemand ist sonst geladen, und der Kardinal unterhält sich mit ihm über Literatur, nur über Literatur. Er kennt die Alten genau, die Neueren mag er nicht lesen; man kann das von einem Mann nicht verlangen, der die Alten kennt. Nur des Dichters Stücke würde er lesen; aber sie sind nicht gedruckt, die Stücke des Dichters, sie werden nur gespielt. Des Dichters Augen schimmern feucht. Ja, die Stücke des – nun, wir wollen seinen Namen nicht nennen – sind gedruckt, und was gedruckt vorliegt, das kauft das Publikum. Der Dichter schweigt und denkt: wenn er Geld hätte, dann würde er eine Auswahl seiner Dramen herausgeben, er würde sie auf eigene Kosten drucken lassen; vielleicht nur fünf wären nötig. Das wäre der Nachruhm, wofür lebt man denn? Für diesen flüchtigen Beifall des Abends, der morgen schon wieder vergessen ist, für die Anerkennung der Schuster und Schneider, welche im Parterre sitzen? Auch Homer war ein armer Mann, auch er ernährte sich kümmerlich von Almosen, die man ihm zuwarf, wenn er seine unsterblichen Lieder vorgetragen hatte; und heute sind alle Könige und Fürsten vergessen, alle adeligen Herren und reichen Leute, die damals lebten, Homers Namen aber ist in aller Munde; und noch mehr! von seiner Unsterblichkeit hat er den Helden und Fürsten abgegeben, die er besungen; nur durch ihn leben noch Achill und Hektor, Odysseus und Agamemnon. Aber gedruckt muß man werden! Wenn ein Stück abgespielt ist, so wird es vergessen. Der Dichter hebt sich seine Handschrift auf; aber wenn er tot ist, dann kommen Hauswirt, Krämer, Wäscherin, Milchfrau, Bäcker; alle Menschen kommen, denen er schuldig ist; seine Habe wird auseinandergeworfen, die Handschriften werden verkauft, und mit den Dichtungen, welche bestimmt waren, Jahrtausende hindurch die Menschen zu erfreuen, wird Wurst und Käse eingewickelt.

Ganze Stellen aus dem Stück von gestern abend kann der junge Kardinal auswendig; er trägt sie vor mit seinem edlen Anstand, seinem feurigen Temperament; bewundernd macht er auf ihre Schönheiten aufmerksam; wo sein Gedächtnis versagt, hilft der Dichter selber ein; es kommt ein neuer Fiasco, und Kardinal und Dichter tragen sich nun gegenseitig das ganze Stück vor, sind bis zu Tränen gerührt durch die Schönheit der Verse, lachen bis zu Tränen über den Witz des Dialogs, weinen über die Herrlichkeit der ganzen Komposition, und sinken sich endlich gerührt in die Arme.

Hinter dem Stuhl des Kardinals steht immer der ernste, feierliche, vornehme Kammerdiener; keine Miene seines Gesichts verrät, daß er dem Gespräch zuhört, mit ausgesuchter Höflichkeit bedient er den Dichter, schneidet er ihm Käse ab, reicht er ihm die Dessertschüssel, wechselt er ihm die Teller.

Man wird sich vielleicht über den merkwürdigen Kardinal wundern. Die Italiener haben einen netten Ausdruck in ihrer Sprache: «Jugendkind«. Der Heilige Vater, welcher damals auf dem Stuhle saß, war auch einmal jung gewesen; damals hatte er eine Schauspielerin geliebt, und der Kardinal war ein Jugendkind von ihm. Nun versteht man gewiß, woher beim Kardinal die Theaterbegeisterung kam. Sie hatte aber noch einen anderen Ursprung, der freilich wohl auf dieselbe Quelle zurückging: der Kardinal hatte nämlich selber ein Drama geschrieben. Man wird zugeben, daß er für einen Kardinal recht unerfahren in der Welt war, wenn er annahm, daß er dieses Stück durch die Vermittlung des Dichters auf die Bretter bringen konnte; aber er war nun einmal so; er war ja noch sehr jung.

Wird man verstehen, daß der Kardinal dem Dichter etwas sehr Liebes antun wollte und sich doch schämte, ihm das Liebste anzutun, nämlich ihm eine volle Geldbörse zu schenken? Hätte der Dichter eine volle Geldbörse bekommen, so wäre er gleich zu einem Drucker gegangen und hätte mit ihm akkordiert; aber der Kardinal schämte sich; und so zog er einen kostbaren Diamantring vom Finger, den er sich vorher zu dem Zwecke angesteckt; und wie der Dichter einmal mit einer lebhaften Bewegung gestikulierte, ergriff er seine Hand und steckte ihm den Ring an den Finger, schloß die Hand, gab ihr einen leichten Klaps und lachte. Einen Diamantring, man denke! Der Dichter wußte nicht, ob er saß, das Zimmer bewegte sich um ihn; der schweigsame Kammerdiener hinter dem Stuhl machte große runde Augen. Dann aber holte der Kardinal sein Stück vor, gab es dem Dichter und sagte einsilbig: »Lesen.«

Der Ring und das Stück hatten den Gefühlen einen solchen Schwung gegeben, daß die bisherige Stimmung nicht aufrechtzuerhalten war. Der Dichter erhob sich, stammelte seinen Dank, der Kardinal umarmte ihn, dann ging er. Der Kammerdiener folgte ihm, reichte ihm draußen seinen Hut – es war Lelios Hut – und sah ihn an. Der Dichter sah ihn wieder an; er wußte nicht, was der Diener meinte. Dann öffnete der Diener die Hand.

Dem Dichter fuhr es heiß durch den ganzen Körper. Er hatte an Jabot und Uhr, an Tabaksdose und Spitzenmanschetten gedacht, aber er hatte nicht daran gedacht, sich einen Paolo zu borgen als Trinkgeld für den Diener. Er hatte nichts in der Tasche, nicht einen einzigen elenden Bajocco. Es schien ihm, als bemerkte er ein leichtes Grinsen im Gesicht des Dieners. Da zog er den kostbaren Ring vom Finger, den Ring, den er hatte verkaufen wollen, um den Drucker zu bezahlen, reichte ihn mit entschlossener Bewegung dem Diener und sagte kalt: »Behalten Sie diesen Ring zum Andenken!« Aber nun machte der Diener erst Augen!

Der Dichter pflegte zu sagen: »Ich habe keine Überzeugungen. Wenn es mir vorteilhaft ist, so werde ich Mohammedaner. Nur eines kann ich nicht: Ich kann nicht von einem schlechten Stück sagen, daß es gut ist.«

Und das Stück des Kardinals war schlecht, wenigstens hielt es der Dichter für schlecht; manche Menschen behaupten, daß Dichter immer die Stücke der anderen für schlecht halten. Natürlich konnte er es mit seinen Überzeugungen nicht vereinbaren, es dem Direktor zu empfehlen, ja, es ihm nur zu überreichen, trotzdem der es, weil es doch von einem Kardinal war, auch ohne die Empfehlung des Dichters gespielt hätte. Und so kann man sich denn nicht wundern, wenn er von dem Kardinal keinen zweiten Diamantring bekam; und das ist der Grund, weshalb die Dramen des Dichters nicht gedruckt wurden; und weil sie nicht gedruckt wurden, so sind sie vergessen, und selbst der Name des Dichters ist vergessen, deshalb hat er noch nicht einmal in dieser Geschichte einen.


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