Paul Ernst
Komödianten- und Spitzbubengeschichten
Paul Ernst

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Der Mäzen

Der Schauspieler braucht den Direktor, denn wer sollte ihm wohl sonst die Gage zahlen? Der Mann braucht die Frau, denn wer kocht ihm sonst das Essen, flickt und wäscht seine Sachen? Der Schuster braucht den Lederhändler, denn wie soll er ohne Leder Schuhe machen? Der Dichter braucht den Mäzen.

Er braucht unbedingt den Mäzen.

Aber jeder Schauspieler findet seinen Direktor, jeder Mann seine Frau, jeder Schuster seinen Lederhändler, nur der Dichter findet nie seinen Mäzen. Man hat schon die Ansicht geäußert, der Mäzen sei überhaupt nichts Wirkliches, er sei nur eine Idee, er sei nur etwas Ähnliches, wie für den Dramatiker von heute die Bühne, die ihn aufführt, oder wie für das Kamel im Wüstensande die Flasche mit Wasser, welche der Reiter an einer Angelrute ihm vor den Augen baumeln läßt; das Kamel glaubt, es braucht nur einen Schritt zu machen, dann hat es die Flasche; aber die Flasche geht mit, wenn es schreitet und so schreitet und läuft und eilt und rennt das Kamel, bis es in der Stadt angekommen ist, wo der Reiter seine Geschäfte zu besorgen hat; der zieht seelenruhig die Angelrute ein, entkorkt die Flasche und trinkt sie selber aus.

Diese Ansicht ist falsch. Es gibt den Mäzen.

Lelio kommt zu dem Dichter und erzählt ihm, daß aus dem nördlich liegenden Lande, wo die Leute in hölzernen Häusern wohnen, dumm sind und viel Geld haben, ein Mann angekommen ist, der eine große Brille trägt, sehr tugendhaft ist und ein großes Buch über die Dichter schreiben will, welche Theaterstücke verfaßt haben. Der Doktor hat ihn kennengelernt, und als er ihm zum zweitenmal auf der Straße begegnet, macht der Fremde ein verlegenes Gesicht, tut, als ob er den Doktor nicht sieht, und schlägt sich schnell in eine Nebengasse; er hat den Doktor für einen richtigen Doktor gehalten und hat sich geschämt, daß er noch nicht krank gewesen ist. So zartfühlend ist der Fremde. Durch den Doktor hat Lelio die Bekanntschaft gemacht. Lelio kennt seine Leute. Er hat ihn einfach sofort angepumpt.

Wie?

Er erzählte ihm, es hat ihn geträumt, es geht ihm bitter schlecht, er muß Bindfaden essen statt Makkaroni, und Bindfaden ist schwer verdaulich und hat keinen Nährwert, es ist ein Selbstbetrug, wenn man Bindfaden ißt. Also er träumt weiter, er pumpt den Fremden an um einen Scudo, um sich Makkaroni zu kaufen, und der Fremde verspricht ihm den Scudo, nur er hat das Geld gerade nicht bei sich. Nun, der Fremde wird verlegen, wie ihm Lelio den Traum erzählt, er wird rot, er entschuldigt sich, er habe ganz vergessen, daß er Lelio den Scudo versprochen; und was tut er? Er zieht seine Börse, nimmt den Scudo und gibt ihn Lelio. »Das ist der Mäzen«, sagt Lelio zu dem Dichter; und so nimmt er denn den Dichter unter den Arm, weil er doch den Fremden gut kennt, und führt ihn zu dem Fremden hin.

Der Fremde ist ärgerlicher Stimmung, als die beiden kommen. Sein Wirt liebt die Komödianten nicht und sagt ihm immer, die Komödianten betrügen ihn. Der Fremde hat vom Direktor ein Kaninchen gekauft, ein abgerichtetes Kaninchen, das so brüllt wie ein Löwe, und dem der Direktor das Fressen abgewöhnt hat, wodurch es natürlich sehr billig zu unterhalten ist, denn was braucht ein Kaninchen sonst. Das Kaninchen hatte bei dem Fremden aber nicht gebrüllt, sondern es hatte sich hingelegt und war gestorben. Der Wirt hatte den Fremden aufgereizt, daß er zum Direktor ging und sich beklagte; der Direktor schüttelte den Kopf und sagte: »Gestorben? Höchst merkwürdig! Das hat das Tierchen bei mir nie getan!« Wenn der Direktor das sagt, dann ist es auch wahr. Der Fremde macht dem Wirt Vorwürfe, daß er ihn in eine peinliche Lage bringt, und ist ärgerlich.

Aber er wird gleich freundlich, als Lelio ihm den Dichter vorstellt. Er freut sich sehr, den Dichter kennenzulernen. Der Dichter erklärt, daß die Freude auf seiner Seite ist. Der Fremde spricht sehr schön über das Theater, der Dichter spricht sehr schön über die Wissenschaft. Der Fremde findet, daß das Theater dem Leben einen Spiegel vorhält. Der Dichter findet, daß die Wissenschaft uns vertieft. Der Fremde findet, daß das Theater die Sitten bessert. Der Dichter findet, daß die Wissenschaft den Menschen von Vorurteilen befreit.

Der Fremde nimmt den Dichter an die Hand und führt ihn in eine Kammer. Dort hat er auf Brettern sich Bücher aufgestellt, alte Bücher und neue, in Schweinsleder und Pergament gebundene und lose geheftete, die zerflattern, wenn man sie in die Hand nimmt, große Bücher und kleine, dicke und dünne, gedruckte Bücher und geschriebene Bücher. Auf diese Bücher ist er sehr stolz, denn sie enthalten alle Komödien, und am stolzesten ist er auf die geschriebenen Bücher. Er hat sie überall zusammengekauft, auf dem Trödelmarkt, bei den Krämern, welche einfach ein Blatt aus einem alten Buch reißen, eine Düte daraus machen und für einen Soldo Zimmetblüte hineintun; er hat sie auch bei Buchhändlern gekauft. Alle diese Bücher braucht er, weil er ein Buch über sie schreiben will. Lelio muß sich bezwingen, um nicht laut zu lachen, den Dichter aber hat eine tiefe Rührung erfaßt, denn er sieht einen dicken Band, in welchen er Schauspiele von sich selber geschrieben hat; er hat den Band einmal für ein Viertelpfund Öl an einen Krämer verkauft. Nun findet er ihn bei dem fremden Gelehrten, und auf diesen Band legt der fremde Gelehrte einen besonderen Wert, denn die Stücke, welche er enthält, sind sehr schön, und sind noch nie gedruckt, und stammen von einem Dichter, den die gelehrte Welt noch nicht kennt. Die Tränen des Dichters fließen, aber er wagt nicht zu sagen, daß er selber diese Stücke gedichtet hat; das ist ja auch schon so lange her, daß er in diesem Band geschrieben hat, damals war er noch ein ganz junger Mann.

»Ja«, sagt der Fremde, »Tränen könnte man weinen, wenn man sieht, wie schön diese Stücke sind; und nun ist der Name des Dichters unbekannt, die Wissenschaft weiß nichts von ihm. Welch ein Verlust ist das für die Wissenschaft!« Schüchtern sagt der Dichter, er glaube, daß er den Verfasser gekannt habe, nein, er glaube nicht nur, er wisse es. Der Fremde fragt erregt, der Dichter antwortet mit zitternder Stimme. Der Fremde will die Stücke drucken lassen, er will sie auf schönem Papier drucken lassen mit Kupferstichen von berühmten Künstlern, er will ihnen wissenschaftliche Untersuchungen beigeben, in welchen er nachweist, welches die Vorgänger des Dichters waren, woher er seine Stoffe hat, in welchen Kreisen er gelebt hat; dem Dichter wird schwindlig, nun sollen also seine Stücke gedruckt werden! Er ist verzweifelt, daß er nicht gesagt hat, daß sie von ihm sind. Der Fremde fragt ihn nach dem Verfasser aus, der Dichter nennt einen Namen, der ihm einfällt, er sagt, der Polizeihauptmann Tromba habe sie geschrieben, der vor kurzem gestorben ist. Der Gelehrte findet seine Vermutungen bestätigt, er fragt weiter, und der Dichter erzählt von Tromba, was er von Tromba weiß, daß er ein guter Mann war, und daß er nur eine Tochter hatte; und daß ihn alle Leute geliebt haben, auch die Spitzbuben, denn er war ein umgänglicher Mann; und so erzählte er allerlei. Endlich sagt Lelio, daß der Dichter selber auch viel geschrieben habe, weil die Truppe doch schon seit dreißig Jahren immer nur seine Stücke aufführe. Der Dichter macht eine ablehnende Handbewegung und erklärt, seine Stücke seien zu unbedeutend; aber Lelio erzählt dem Fremden den Inhalt eines Stückes und schildert ihm, was für eine Rolle für ihn darin gewesen ist; der Fremde will nun auch die Stücke des Dichters lesen; der Dichter sieht ein, daß er dann an der Gleichheit der Handschrift erkennen wird, daß auch der Band, den er selber hat, von ihm ist; er macht Ausflüchte, sagt, seine Handschrift sei zu schlecht, seine Stücke seien immer auf einzelne Blätter geschrieben, er könne nichts zusammenfinden; der Fremde wird eindringlicher, Lelio weiß von einem Schreiber, der sie für billiges Geld schön abschreibt, wie gestochen schreibt er, mit der Lupe kann man seine Schrift ansehen, der eine Buchstabe gleicht dem anderen; und kurz und gut, der Fremde nötigt dem Dichter ein großes Paket feinstes holländisches Konzeptpapier mit dem Wasserzeichen der Lilie auf, und ein Goldstück, er soll seine Stücke dem Abschreiber geben, damit der sie mit seiner schönen Handschrift auf das Papier schreibt, und wenn er für ein Goldstück abgeschrieben hat, so soll er dem Fremden seine Abschriften bringen, der wird ihm dann wieder ein Goldstück geben, damit er im Abschreiben fortfahren kann.

Lelio verläßt mit dem Dichter den Fremden und erklärt dann auf der Straße: »Was habe ich gesagt! Ein Mäzen!« Der Dichter nickt still mit dem Kopf und schleppt schwer an dem Packen Konzeptpapier.

Der Wirt, bei welchem der Fremde wohnt, schenkt einen guten Wein, und obwohl er die Komödianten immer bei dem Fremden anschwärzt, finden die es doch anständig, daß man ihm das Geld zu verdienen gibt, das von dem Fremden kommt, weil der ja bei ihm wohnt. Der Dichter möchte zwar gern seine Stücke auf das schöne Papier abschreiben lassen, denn wenn schon die alten Jugendwerke dem Fremden so gut gefallen haben, die er eigentlich schon lange vergessen hatte, dann werden ihm die späteren doch erst recht gefallen, und er wird sie auch drucken lassen auf schönem Papier und mit Kupferstichen, und diesmal aber mit dem Namen des Dichters, denn zum zweitenmal ist man natürlich nicht so dumm, daß man seinen Ruhm dem Hauptmann Tromba überläßt, noch dazu, ohne daß man einen Soldo davon hat. Aber die Komödianten finden das ganz überflüssig, daß man die Stücke druckt, denn dann können sie bloß von den anderen Truppen auch gespielt werden, und so wird der Dichter denn überstimmt, und alle steigen in den Keller, wo der Wirt sie mit Lobsprüchen empfängt, denn er weiß schon, daß der Fremde ihnen Geld gegeben hat.

Lelio bestellt. Er bestellt ein Fritto. Der Wirt hat einen ausgezeichneten Cessanese, einen Cessanese, fünf Jahre lang hat ihn der Wirt im Keller gehabt, er hat nie an das Faß gerührt, er hat nicht aufgefüllt, der Verlust war ihm gleichgültig, ihm kam es auf den Cessanese an; und das ist denn auch ein Cessanese geworden! Also Cessanese bestellt Lelio. Der Wirt hat ein Zicklein; er bringt es an, er wiegt es in der Hand, er hebt ein Beinchen hoch und läßt es fallen, die Mutter kennt er; das ist eine Ziege, drei Liter Milch gibt sie täglich, wie Nuß schmeckt die Milch, wenn man die Milch getrunken hat, dann ist einem jede andere Milch ekelhaft, man kann sie nicht mehr riechen! Drei Wochen ist das Zicklein bei der Mutter gewesen, das ist aber auch Fleisch! Es zergeht einem auf der Zunge, zu kauen braucht man gar nicht, man schnalzt nur! Also Lelio bestellt auch das Zicklein. Der Wirt hat einen Montepulciano. Hier fällt ihm der Dichter ins Wort. Er bestellt auch Montepulciano.

Und so setzen die Komödianten denn einen Speisezettel auf und suchen die Getränke dazu aus, und wenn auch vielleicht nicht alles so recht zusammenstimmt, denn sie suchen nur das aus, was der Wirt gerade hat und ihnen anpreist, so finden sie doch das Essen sehr schön und den Wirt sehr liebenswürdig, und sind alle sehr befriedigt und kommen alle in eine fröhliche Stimmung.

Am Ende aber macht Lelio die Rechnung mit dem Wirt, und weil der Wirt genau weiß, was sie von dem Fremden bekommen haben, so macht die Rechnung etwas über ein Goldstück aus, und so nimmt er denn das feine holländische Konzeptpapier mit in Zahlung.

Der Fremde ist am anderen Morgen verdrießlich, denn er hat die Nacht nicht schlafen können, weil die Komödianten natürlich einen sehr großen Spektakel gemacht haben. Aber als er dem Wirt Vorwürfe macht, da zuckt der mit den Achseln und bringt das feine holländische Konzeptpapier zum Vorschein und erzählt, daß die Komödianten alles verzecht haben, was er dem Dichter gegeben hat, und macht dazu moralische Bemerkungen, daß der Menschenkenner wisse, mit was für Leuten er zu tun habe, und er als Wirt müsse freilich gegen jeden höflich sein, der zu ihm komme, das sei seine Pflicht, dafür sei er Wirt, und ihn gehe es ja nichts an, woher die Leute das Geld haben, das sie bei ihm verzehren, seine Ware sei reell, und Unfug werde bei ihm nicht geduldet, eine anständige Heiterkeit freilich könne er den Leuten nicht verbieten; und so spricht er weiter, indessen der Fremde sich in sich hineinärgert, denn er ist mißtrauisch geworden gegen die Komödianten und ist jetzt geneigt, Lelio und den Dichter für zwei abgefeimte Hochstapler zu halten.

Dem Dichter ist es natürlich peinlich, den Fremden wieder zu besuchen; dieser hätte vielleicht über alles aufgeklärt werden können, wenn er seinerseits den Dichter besucht hätte; aber daran hindert ihn sein Vorurteil. So reist er denn wieder ab aus Rom, ohne daß er die Werke des Dichters kennenlernt. Nur den Band der Jugenddramen, die er für Schriften des Hauptmanns Tromba hält, nimmt er mit.

Wie wir wissen, wollte er sie herausgeben; und da von dem Dichter sonst nichts gedruckt ist, so würde der heutige Leser, wenn er sich durch einen Antiquar, der gute Verbindungen hat, ein Exemplar der Werke des Hauptmanns Tromba verschaffte, sich eine Vorstellung von den Dichtungen des Dichters machen können, und brauchte dem Erzähler nicht aufs Wort zu glauben, daß er ein guter Dichter war.

Aber der fremde Gelehrte war ein sehr gründlicher Mann. Er arbeitete lange Jahre an den Untersuchungen über die Persönlichkeit Trombas, den Stil seiner Dramen, seine Duellen, seine Vorgänger und Nachahmer, und die Arbeit war noch nicht beendet, als er starb. Seine Erben aber verkauften seine Bibliothek und seine Handschriften, und so kamen denn die Jugenddramen des Dichters zum zweitenmal zum Krämer, und dieses Mal wurden sie nicht wieder gerettet; der Krämer riß Blatt für Blatt aus dem Buch und machte Düten aus ihnen, für ganzen Pfeffer und gestoßenen Pfeffer, für Muskatnuß und Gewürznägelein, für Zimt und Kümmel, und in manche Blätter wickelte er auch einen Häring oder ein Viertel Pfund grüne Seife; und so kommt es, daß wir heute gar nichts von dem Dichter lesen können.


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