Paul Ernst
Komödianten- und Spitzbubengeschichten
Paul Ernst

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Hauptmann Tromba

Die oberste Polizeiperson in Rom ist der Hauptmann Tromba. Tromba ist von einer stattlichen und breiten Figur, nicht so ein Männchen, wie man sie oft sehen kann, der neben seiner Frau sitzt und für einen Soldo Bohnen ißt, indessen die Frau, breitschulterig und mit starken Hüften, eine Schüssel voll Krammetsvögel, ein halbes Brot und einen Haufen Salat nebst einem großen Fiasco Wein vor sich hat. Nein, Tromba ist ein Mann, und wenn sein Säbel auf dem Pflaster klirrt, wenn er die Backen aufbläst, die Augen rollt, den Schnurrbart streicht und spanische Flüche von sich gibt, dann zittern alle Gauner Roms, soweit sie wenigstens überhaupt vor der Polizei Furcht haben.

Er hat viele Besorgungen in der Umgebung Roms zu machen, und deshalb hält er sich einen leichten zweirädrigen Wagen und ein Pferd. Dieses Pferd ist von einer merkwürdigen Rasse; es hat einen sehr dicken Leib und sehr dünne Beine und ist so klein, daß man es leicht für einen Esel oder mindestens für den Sohn eines Esels halten kann, wenn man nicht weiß, daß es ein Pferd ist. Tromba hat schon Unannehmlichkeiten mit ihm gehabt, man wollte es vom Frühjahrskorso ausschließen, weil der für Esel verboten ist; Tromba aber hat dem wachthabenden Beamten einfach erklärt, ihn würde man freilich nicht auf den Korso lassen, wenn er eingespannt wäre; darüber entstand ein solches Gelächter unter den Zuhörern, daß der Beamte bestürzt wurde und Tromba durchließ.

Tromba hat also viel in der Umgebung zu tun, unter anderem muß er jeden Ersten nach Frascati fahren. In Frascati aber bereitet er jetzt einen Hauptschlag vor. Wahrscheinlich nämlich wird es ihm glücken, die große Gaunerin Colomba abzufangen. Ein Agent hat ihm berichtet, daß der Priester Mario eine neue Haushälterin bekommen hat, auf welche ganz die Beschreibungen von Colomba passen. Er hat bis nun immer nur beobachtet, denn der ehrwürdige Herr Mario ist schon ein alter Herr und ist etwas heftiger Natur; er hat kürzlich erst einen Sbirren die Treppe hinabgeworfen, daß er ein Bein brach, weil der Mann eine Haussuchung nach eingeschmuggeltem Käse bei ihm halten wollte; man muß dem ehrwürdigen Herrn Mario mit Tatsachen kommen, dann beugt er sich, aber auf bloßen Verdacht gibt er nichts.

Tromba ist in Frascati und hört den Agenten kopfschüttelnd und pustend an; der ehrwürdige Herr Mario hat eine Hypothek zurückbezahlt bekommen, zehntausend Skudi; der Agent glaubt, daß es die zehntausend Skudi sind, wegen deren Colomba in den Dienst gegangen ist; alle seine Maßregeln sind getroffen; wenn sie Frascati verlassen will, dann wird sie festgenommen; und die Beiden malen sich schon das bestürzte Gesicht des ehrwürdigen Herrn aus, wenn sie zu ihm kommen und ihm sagen: »Vermissen der ehrwürdige Herr nicht zehntausend Skudi? Hier sind sie, die Polizei des Heiligen Vaters schützt das Eigentum des friedlichen Bürgers.« Tromba billigt also alle Anordnungen des Agenten; es ist schon spät, er muß noch nach Rom zurück, und so nimmt er denn Abschied.

Eben will er mit seinem Gefährt aus der Stadt ins Freie fahren, da steht ein junges und hübsches, kleidsam angezogenes Mädchen, mit einem Bündel am Arm, an der Straßenecke und winkt ihm zu; er hält, das Mädchen tritt an den Wagen und bittet ihn um seinen Schutz; sie muß noch diesen Abend nach Rom gehen; ihre Mutter liegt schwerkrank darnieder; die Tante in Frascati hat ihr Arzneien gegeben, die sie wieder gesund machen, denn die Tante hat einmal bei einem Arzt gedient und kann die Krankheiten heilen, und sie kennt ja doch das Innere der Mutter ganz genau; die Arzneien trägt sie in ihrem Bündel eingewickelt, die eine Rolle ist eine Flasche mit einem Trank zum Schwitzen, die andere enthält einen Trank, der die zerrissenen Eingeweide heilt, und die dritte ist zur Stärkung; und nun fürchtet sie sich, in der Dunkelheit den weiten Weg zu machen, und sie hat gedacht, der Herr Polizeihauptmann Tromba nimmt sie vielleicht mit auf seinem Wagen, denn bei dem Herrn Polizeihauptmann würde sie sich ganz sicher fühlen, und das Bündel ist auch so schwer, denn in den Arzneien find lauter kostbare Bestandteile; und so spricht sie mit geläufiger Zunge, und ab und zu wischt sie sich eine Träne aus den Augen, und dann sieht sie den Hauptmann wieder so rührend an; und so sagt der denn lachend, einem so hübschen Mädchen wird ein feiner Mann nichts abschlagen; sie gibt ihm das schwere Bündel hinauf, das er sorgfältig neben sich setzt; dann reicht er ihr die Hand, sie tritt auf die Nabe und schwingt sich leicht über den Radkranz neben ihn. Das Pferd zieht an, sie fahren an einem Mann vorüber, der sie neugierig ansieht; der Mann macht einen etwas verdächtigen Eindruck, das Mädchen drückt sich ängstlich an Tromba, und Tromba nimmt die Zügel in die eine Hand und legt die andere um das Mädchen, um sie väterlich an sich heranzuziehen. Dann beruhigt er sie; seit er im Amt ist, sind die Straßen schon sicher, und der Mann, welcher sie ansah, war sogar ein geheimer Angestellter der Polizei.

So fahren die beiden denn nun den Berg hinunter und über die Ebene, bis sie vor Rom ankommen; der Polizei-Hauptmann klopft mit dem Peitschenstiel an das Tor, die Wache sieht aus dem Fenster, erkennt Tromba, öffnet das Tor und läßt den Wagen ein. Das Mädchen hat während der Fahrt von der Mutter erzählt, denn sie ist von denen, die immerzu reden können, Tromba hat öfters versucht, das Gespräch auf andere Gegenstände zu bringen, hat sie auch einmal küssen wollen, sie aber ist beleidigt gewesen und hat gesagt, er müsse nicht denken, daß sie so eine sei; das hatte er denn auch nicht gedacht; und so war die Zeit angenehm vergangen. Er läßt es sich nicht nehmen, die Kleine bis nach ihrem Hause zu fahren; sie steigt flink ab, er gibt ihr das Bündel, sie läßt den Türklopfer fallen, und er fährt weiter. Frühmorgens am andern Tage kommt der Agent aus Frascati. Der Polizeihauptmann haut sich erfreut auf die starken Schenkel und ruft aus: »Haben wir sie?« Der Agent sieht ihn erstaunt an, dann schweigt er. Der Hauptmann fragt verwundert: »Was ist denn geschehen?« Der Agent aber geht ans Fenster, sieht gleichgültig auf die Straße und macht eine Bemerkung über das Wetter. Wir wollen die Sache abkürzen: Das junge Mädchen war Colomba gewesen, in ihrem Bündel hatte sie die zehntausend Skudi gehabt, und der Aufpasser hatte geglaubt, als er den Polizeihauptmann so vertraut neben ihr sitzen sah, er habe sich mit ihr geeinigt und bekomme vielleicht die Hälfte des Geldes; denn man kann es ja doch einem Beamten nicht übelnehmen, wenn er auch einmal an seine Familie denkt. Natürlich hatte er sie nicht angehalten. Nun war der Agent gekommen und hatte geglaubt, der Hauptmann würde ihm für seine Mühe etwas abgeben, und als der Hauptmann so tat, als wüßte er von nichts, da war er selbstverständlich beleidigt, was man ihm, wenn man sich auf seinen Standpunkt stellt, doch auch nicht übelnehmen kann.

Als nun alles klar wird, gerät der Hauptmann in eine heftige Entrüstung, denn natürlich müssen ihn doch alle seine Untergebenen jetzt für einen unehrenhaften Mann halten, daß er von Colomba das Geld nimmt und ihnen nichts abgibt. Der Agent teilt seine Erbitterung, denn schließlich hatte Colomba die zehntausend Skudi leicht genug verdient, und es wäre wirklich nicht schlimm gewesen, wenn sie der Polizei die Hälfte abgegeben hätte, die doch oft genug ihr gefällig sein muß. Was er über seinen Vorgesetzten denkt, sagt er nicht, aber bekanntlich fällen die Untergebenen im stillen oft scharfe Urteile über die oberen Behörden. Nun beschließen die beiden, energisch vorzugehen. Der Agent weiß, daß sie ein Kind hat, ein kleines Mädchen von vier Jahren, das bei einer Freundin von ihr untergebracht ist. Es werden Aufpasser an der Straße aufgestellt, die berichten müssen, wenn sie in das Haus geht; und siehe, schon am zweiten Tage kommt ein Aufpasser zum Hauptmann und erzählt, daß sie im Hause ist. Der Hauptmann schnallt seinen Säbel um, setzt seinen Helm auf und eilt zur Stelle. Die Aufpasser werden um das Haus verteilt, damit sie nicht entweichen kann, und nun öffnet er mit einem Ruck die Haustür, steigt gewichtig die Treppe hinauf und verlangt die Öffnung der Wohnung.

Das ganze Zimmer durchsucht er, den Schrank, den Kamin, das Bett; er sieht unterm Tisch nach, aber weder das Kind, noch Colomba ist zu sehen. Alles hat ihm die Freundin aufgeschlossen, die Betten hat sie herausgerissen, damit er sieht, daß das Bett leer ist. Dann ringt sie die Hände und klagt nur immer über die Schande, daß man bei ihr Haussuchung hält, beteuert, daß sie arm, aber ehrlich ist, erzählt, daß ihre Mutter die Amme eines Kardinals war und ihr noch auf dem Sterbebette anbefohlen hat, immer den geraden Weg zu gehen, denn ehrlich währt am längsten, und wen Gott liebt, dem müßten alle Dinge zum besten dienen; sie berichtet, daß sie nur für die feinsten Herrschaften arbeitet, zerrt ein Ballkleid vor, an welchem sie gerade näht, und hält es dem Hauptmann vor die Augen, indem sie ihm die echten Spitzen und die Silberknöpfe zeigt, denn das alles vertraut man ihr an. Der Hauptmann ist verlegen und will gerade grob werden, als er auf einmal, wie die Freundin gerade eine Pause in ihrer Rede machen will, um zum Schluchzen überzugehen, ganz deutlich ein unterdrücktes Kinderweinen hört, das unterm Bett herkommt. Er schiebt die Freundin fort, die immer vor dem Bett steht, die Kissen und Decken, welche herabgerissen sind, kniet pustend nieder und sieht unter die Bettstelle. »Ins Spinnhaus kommst du, du Kanaille!« ruft er, »endlich haben wir dich erwischt!« Colomba antwortet nicht. Aber er sieht, wie sie das Kind an sich gepreßt hat, wie das Kind sein Weinen zu verbeißen sucht, er sieht Colombas entsetzte Augen, die auf ihn gerichtet sind, und wie sie das Kind nicht läßt. Da muß er an seine Beppina denken, wenn die Mutter ärgerlich geworden ist und ihn geschimpft hat, und wenn sie dann zu ihm kommt, sich an ihn preßt und die Arme um seinen Hals schlingt; sie ist gerade so groß wie Colombas Kind. Der gute Hauptmann zerdrückt eine Träne der Rührung, richtet sich auf und ruft der Freundin drohend zu: »Diesmal hast du noch Glück gehabt, sie ist uns wieder entwischt. Aber einmal fassen wir dich doch!« Dann verlangt er energisch eine Bürste; die Freundin eilt, holt mit zitternden Händen die Bürste aus dem Schubfach, kniet selber vor dem Hauptmann nieder und bürstet ihn. Endlich geht Tromba aus dem Zimmer, indem er vor sich hinknurrt: »Verdammte Spitzbubenbande«, und noch einen letzten drohenden Blick auf die geleitende Freundin wirft.

Noch an demselben Nachmittag verlangt eine verschleierte Dame den Hauptmann in seinem Hause zu sprechen. Die Dame reicht ihm ein verschnürtes und versiegeltes Päckchen, sagt mit verstellter Stimme, daß sie das abgeben solle, und entfernt sich dann wieder. Tromba setzt sich, wendet das Päckchen aufmerksam nach allen Seiten, studiert das Siegel, dann zerschneidet er mit der Papierschere den Bindfaden und wickelt das Papier auf. Das Päckchen enthält fünftausend Skudi.

Eine anständige Person ist die Colomba doch, denkt er bei sich. Dann zählt er tausend Skudi ab, die er für den Agenten und die Aufpasser bestimmt, die übrigen viertausend behält er, und das ist auch in der Ordnung, denn er ist ja doch Hauptmann und hat die ganze Verantwortung.


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