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Neunzehntes Capitel.
Die Hoffnung des Greises.


Messer Bernardo del Nero war in seiner Ansicht, daß die Hochzeit bis Ostern verschoben werden müßte, in der That so unerbittlich, wie Romola vorausgesehen hatte, und in dieser Angelegenheit stand Bardo gänzlich unter dem Einflusse seines schlauen und praktischen Freundes. Nichts desto weniger konnte Bernardo, obgleich er eben so wenig wie früher für den Zauber, den Tito's Persönlichkeit auf Andere ausübte, empfänglich war, den günstigen Erfolgen, die stets über Weltleute eine gewisse Gewalt haben, nicht ganz widerstehen. Tito machte rasch seinen Weg in den höheren Cirkeln. Besonders gewann er immer mehr die Gunst des jungen Cardinals Giovanni de' Medici, der sogar ein Wort davon hatte fallen lassen, daß Tito mit von seinem gelehrten Gefolge auf einer bevorstehenden Reise nach Rom sein solle. Der glänzende junge Grieche, der auf Alles eine bereite, aber niemals bösartige Antwort hatte, wurde immer mehr und mehr ein gern gesehener Gast bei den munteren Abendgelagen in der Via Larga und bei florentinischen Spielen, in denen er keine Ansprüche auf besondere Geschicklichkeit machte, dafür aber die Piero's de Medici in der anmuthigsten Art bewundern konnte. Nach einem unfehlbaren Folgerungsgesetz machte Tito's Ruf als liebenswürdiger Gesellschafter in den feinen Cirkeln, daß sein Talent und seine Gelehrsamkeit in noch hellerem Lichte erschienen, und er war wirklich so sehr begabt, daß eine übertriebene Schätzung ihm nicht gefährlich werden konnte.

Messer Bernardo hatte alte Vorurteile und Neigungen, welche jetzt anfingen das jüngere und schwächere Vorurteil gegen den jungen griechischen Fremdling, der nur zu schmiegsam war, niederzukämpfen. Es war dem alten Florentiner unmöglich, die Empfehlung eines Wohlangeschriebenseins bei den besten florentinischen Familien zu verachten, und seitdem Tito nun förmlich in den Kreisen aufgenommen war, deren Ansichten die unzweifelhafte Musterprobe so vielen Werthes waren, schien es unvernünftig, zu bestreiten, daß die Aussicht auf einen solchen Eidam für Bardo, und auf einen solchen Gatten für Romola eine befriedigende sei. Der blinde alte Gelehrte (dessen stolze Wahrheitsliebe sich niemals auf jene erheuchelte und übelangebrachte Bewunderung einließ, welche, mit einer entsprechenden Maßlosigkeit im Tadeln vermischt, das Gewebe alles gelehrten Verkehrs ausmachte) war selbst bei seinen Mitbürgern in Vergessenheit gerathen, und wenn man überhaupt einmal von ihm sprach, so hatte man sich schon seit langer Zeit daran gewöhnt zu behaupten, daß, obgleich seine Blindheit und der Verlust seines Sohnes bemitleidenswerthe Unglücksfälle waren, er die Leute mit seinem Streiten für den Werth seiner eigenen Arbeiten langweile, so wie auch, daß sein Mißvergnügtsein sich für einen Mann schlecht passe, der ganz offenkundig die religiösen Gebräuche vernachlässige, und in früheren Tagen Anerbietungen, die ihm von verschiedenen Seiten gemacht worden waren, von der Hand gewiesen hatte, wenn er nur Aufträge annehmen wollte, ohne welche es den Gönnern nicht leicht wurde, für jeden Gelehrten zu sorgen. Seit Tito's Besuchen aber lag nicht mehr dieselbe Einförmigkeit in den Gedanken, welche Bardo's Namen hervorrief; man sagte, daß der alte Mann sich nicht mehr beklage, und seine schöne Tochter nicht mehr in mitgiftarmem Stolze zurückgezogen und auf eine Familienverbindung wartend lebe. Die gewinnenden Sitten und das stets steigende Ansehen des schönen Griechen, der in der doppelten Beziehung als Sohn und Gatte in die Familie treten sollte, trugen dazu bei, das neu erwachte Interesse ein durchaus freundliches sein zu lassen, und es war jetzt nichts Seltenes mehr, daß irgend ein Gast die stille Bibliothek besuchte. Aeltliche Leute kamen aus jenem unbestimmten Triebe, eine frühere Bekanntschaft zu erneuern, welcher sich entwickelt, wenn ein alter Freund wieder zum Gegenstande des Tagesgespräches wird. Junge Leute, welche einmal einführen zu dürfen, Tito die Erlaubniß erbeten hatte, fanden es bequem, wieder hinzugehen, wenn sie ihn auf seinem Wege nach der Via de' Bardi einholten und, indem sie ihre Hand auf seine Schulter legten, ein vertrauliches Gespräch mit ihm anknüpften. Denn es war wohlthuend, Romola's Schönheit zu erblicken, sie zu sehen, wie des alten Firenzuola's Verfasser eines Werkes über die weibliche Schönheit. – Der Uebers. Modell weiblicher Majestät, »mit einer gewissen Grandezza sitzend, mit Ernst sprechend, mit Bescheidenheit lächelnd und gleichsam einen Duft königlicher Würde verbreitend;« sie aber schien sich wie eine kräftige weiße Lilie unter diesem natürlichen Odem der Bewunderung und Huldigung zu entfalten. Es gehörte dieses Alles mit zu ihrem neuen hellen Leben in Tito's Liebe.

Tito hatte es sogar vermocht, in Bardo's Geist die Hoffnung zu kräftigen, daß er noch vor seinem Tode die ersehnte Gewißheit hinsichtlich seiner Bibliothek erlangen würde: nämlich, daß sie nicht mit einer andern Sammlung vermischt werde; daß sie an keine geistliche Körperschaft übergeben und nach einem Kloster benannt werde, sondern daß sie für alle Zeiten die »Bardi'sche Bibliothek« und zum Gebrauch der Florentiner Bürger bestimmt bleiben solle. Denn die alte Gewohnheit, sich auf die Medici zu verlassen, konnte nicht aussterben, so lange ihr Einfluß noch der mächtigste Hebel im Staate war. Tito, wenn er erst das Vertrauen des Cardinals Giovanni de' Medici ganz und gar besaß, vermochte mehr dazu beizutragen als selbst Messer Bernardo, das gewünschte Interesse zu erregen, denn er konnte einer gelehrten Versammlung den ganz besondern Werth der Bardo'schen Sammlung darthun. Tito selbst sprach sehr sanguinisch von einem solchen Resultate, da er dem Greis gern eine Freude bereiten wollte und da er wußte, daß Romola diese freundlichen, an ihren Vater gerichteten Worte mit einer gewissen Anbetung belohnte, welche keine ihr selbst dargebrachte Huldigung ihr hätte entlocken können.

Dies Bibliothekfrage war der Gegenstand mancher Berathungen mit Bernardo del Nero, als die Weihnachten vorüber waren und die Aussicht auf die Vermählung näher rückte; aber Alles wurde verhandelt, wenn Bardo es nicht hören konnte. Der Greis hatte nämlich die Vermuthung, in welcher Jene ihn nicht beirren wollten, daß sein Eigenthum, auch ohne die Bibliothek, bedeutend genug sei, um allen Forderungen gerecht werden zu können. Er wollte sogar nicht einmal, außer unter dem augenblicklichen Drucke zorniger Niedergeschlagenheit, sich selbst eingestehen, daß sein letzter Wille, durch den er Dino enterbt hatte, Romola als Erbin von Schulden und weiter nichts hinterlassen würde; oder daß er eine besondere Gönnerschaft zu etwas nöthig hätte, außer zu der Gewißheit, daß seine Bibliothek abgesonderte Räumlichkeiten als Gegengabe dafür, daß er sie in einer Schenkungsurkunde der Republik Florenz hinterließ, angewiesen erhalten würde.

»Meine Meinung,« sagte Bernardo zu Romola während einer Besprechung, die sie unter der Loggia hatten, »ist: daß, da Du Dich nun verheirathen sollst und Messer Tito ein angemessenes Einkommen haben wird, wir nachgerade anfangen müßten, die Sachen zu ordnen und genau die Summe zu berechnen, welche nothwendig ist, um die Bibliothek davor zu bewahren, daß sie je angerührt werde, statt die Schulden immer mehr und mehr anwachsen zu lassen. Dein Vater braucht nichts als tagtäglich seine Hammelcoteletten und seine Maccaroni, und ich glaube, Messer Tito könnte die Verbindlichkeit übernehmen, ihm dieses für die noch übrigen Jahre seines Lebens zu sichern; er kann es als Morgengabe, die er Dir zubringt, ansehen.«

»Tito hat stets gewußt, daß mein Leben mit dem meines Vaters eng verbunden ist,« erwiderte Romola erröthend, »und er ist besser gegen den Vater als ich; es ist sein größtes Vergnügen, ihn glücklich zu sehen.«

»Ah so, er ist nicht von demselben Stoff gemacht wie andere Menschen?« sagte Bernardo lächelnd. »Dein Vater wollte Dich von der weiblichen Thorheit frei halten, indem er Dich mit Griechisch und Latein vollstopfte; Du bist aber eben so schnell bei der Hand gewesen, an die ersten feurigen Augen und sanften Worte zu glauben, die Dir in die Nähe kamen, als ob Du nichts gethan hättest, als gleich anderer Christen Töchter das Vaterunser auswendig zu lernen.«

»Aber lieber Pathe,« entgegnete Romola, den Kopf mit Lächeln schüttelnd, »als ob ich Tito nur seiner feurigen Augen und sanften Worte wegen liebte! Das müßt Ihr doch besser wissen! Ihr wißt, daß ich meinen Vater und Euch liebe, weil Ihr Beide gut seid, und ich liebe Tito gleichfalls, weil er so gut ist; das sehe und fühle ich in Allem, was er sagt und thut. Dazu kommt noch, daß er schön ist; und warum sollte ich ihn deshalb nicht noch mehr lieben? Mir scheint, daß Schönheit ein Theil der vollendeten Sprache ist, mit welcher Güte zu uns spricht. Ihr müßt jedenfalls ein sehr schöner junger Mann gewesen sein, Pathe,« dabei sah sie den stattlichen alten Herrn mit ihrem wonnigem liebevollen Lächeln an, »Ihr waret ungefähr von Tito's Größe, und hattet herrliche Augen, nur daß Ihr etwas finsterer und stolzer aussaht, und – –«

»Und Romola will allen Stolz für sich bewahren?« sagte Bernardo, der gegen diese allerliebste Schmeichelei nicht unempfindlich war; »jedenfalls ist es in einer Hinsicht gut, daß Tito's Ansprüche bescheidener sind als die irgend eines florentinischen Ehemannes von passendem Rang, den wir für Dich hätten finden können, denn er verlangt keine Mitgift.«

So wurde die Sache zwischen Messer Bernardo del Nero, Romola und Tito abgemacht. Bardo gab mit einer Handbewegung seine Zustimmung, als Bernardo ihm sagte, daß er meinte, es sei gerathen, jetzt damit zu beginnen, Eigenthum zu verkaufen und Schulden zu berichtigen; denn er war gewöhnt, an Eigenthum und an Schulden wie an eine Art von dichter Waldung zu denken, in die seine Phantasie sich niemals hinein wagte, noch viel weniger hindurch drang. Tito aber machte sich daran, Messer Bernardo's Achtung zu gewinnen, indem er mit seinem schnell auffassenden Geiste sich nach den florentinischen Geldangelegenheiten, den Geheimnissen der öffentlichen Bauten, dem Werth des Eigenthums, und dem Nutzen des Anlegens von Capitalien erkundigte.

»Ihr werdet bald vergessen haben, daß Tito kein Florentiner ist,« sagte Romola zu ihrem Pathen; »seht nur, wie er Alles lernt, was Florenz betrifft.«

»Mir scheint, er ist einer von den Dämonen, die kein besonderes Vaterland haben,« erwiderte Bernardo lächelnd; »sein Geist ist etwas zu zart, um mit dem Plunder, den wir Menschen in unseren Herzen tragen, gewogen zu werden.«

Romola lächelte gleichfalls, voll seligen Vertrauens.



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