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Zweites Capitel.
Ein Frühstück für Liebe.


Nachdem Bratti zu dem Haufen Redender getreten war, wurde es der junge Fremdling, der alle Hoffnung aufgegeben hatte, die Ursache jener allgemeinen Bewegung zu erfahren und dem auch nicht viel daran lag, zu wissen, was jeden Andern als einen eingeborenen Florentiner wenig interessiren konnte, bald müde, auf die Begleitung Bratti's zu warten; er beschloß also, um die Piazza herum zu spazieren und nach einem Eßwaarenverkäufer sich umzusehen, der etwas weniger von der durchschnittlich vorherrschenden Neugier nach öffentlichen Neuigkeiten besitzen mochte. Aber wie von der Mahnung eines plötzlichen Gedankens ergriffen, steckte er seine Hand in eine an seiner Hüfte hängende Börse oder Reisetasche und durchsuchte sie immer wieder und wieder mit einem Blicke des Getäuschtseins.

»Nicht einen Obolus, beim Jupiter!« murmelte er in einer Sprache, welche nicht toskanisch, ja nicht einmal italiänisch war. »Ich glaubte noch ein lumpiges Geldstück zu besitzen. Nun, so muß ich mein Frühstück durch Liebe verdienen.«

Er war noch nicht viele Schritte gegangen, als es ihm vorkam, er habe eine Abtheilung des Marktes entdeckt, wo dieses Tauschmittel nicht von der Hand gewiesen werden würde.

In einer Ecke, weitab von allen Gruppen der Plaudernden, standen zwei mit rothen Quasten und Bändern reichgeschmückte Maulthiere. Eines von ihnen trug hölzerne Milchgefäße, das andere ein paar mit Kraut und Salat gefüllte Körbe. Dort erblickte er ein junges, anscheinend nicht mehr als sechszehn Jahre altes Mädchen, ihren Arm auf den Hals des Maulthiers, welches die Milch trug, lehnend, mit einer rothen Kapuze, die ihr Gesicht umgab, welches dadurch, daß ihr Haar ganz versteckt war, noch an lieblicher Kindlichkeit gewann. Das arme Kind war vielleicht von seiner Arbeit vom frühesten Morgendämmern, durch die Zurüstungen zu seinem Gange von irgend einem, etliche Meilen entfernten Burgflecken nach dem Markte, müde, denn sie schien in dieser halb aufrechten, halb anlehnenden Stellung eingeschlafen zu sein. Trotz dessen machte unser Fremdling sich gar kein Gewissen daraus, sie aufzuwecken, aber die Art und Weise, wie er dies that, war so zart, daß es der Jungfrau in ihrem Halbtraum vorkam, als habe ein kleiner Thymianstengel ihre Lippen berührt, während sie sich bückte, die Kräuter zu pflücken. Mit ihrem Traum war es aber doch aus, denn sie öffnete ihre blauen kindlichen Augen, und fuhr verwirrt und erschreckt empor, als sie einen fremden jungen Mann so dicht vor sich sah. Sie hörte ihn mit einer Stimme, die so fremdartig und sanft zugleich schien, zu ihr sprechen, daß sie, selbst wenn sie gefaßter gewesen wäre, die Ueberzeugung gehabt haben würde, er habe etwas ihr ganz und gar Unverständliches gesagt, und ihre erste Bewegung war die, ihren Kopf etwas abzuwenden und einen Zipfel ihres grünen Sarschemantels wie einen Schirm in die Höhe zu heben. Er wiederholte seine Worte: »Vergebt mir, schönes Kind, daß ich Euch aufgeweckt habe, aber: muoio di fame – ich sterbe vor Hunger – und der Geruch der frischen Milch da macht mir ein Frühstück wünschenswerther denn je.«

Er hatte die Wort: » muoio di fame« gewählt, weil er wußte, daß sie ihren Ohren bekannt klingen würden, und er hatte sie scherzend mit dem Tone eines Bettelnden ausgesprochen. Jetzt verstand sie ihn auch, der Zipfel des Mantels sank wieder herab, und einige Augenblicke später wurde ihm eine große Schale duftender Milch gereicht. Er ließ sich auch, ehe er sie an die Lippen setzte, auf keine weiteren Complimente ein, und während er trank, raffte das junge Mädchen den Muth zusammen, die langen braunen Locken des Fremden mit der eigenthümlichen Stimme anzusehen, der im Tone eines Bettlers um Nahrung gebeten, aber, obgleich seine Kleider sehr schadhaft waren, ganz anders ausschaute wie alle Bettler, die sie je gesehen.

Während dieser Musterung leitete eine andere Gefühlsströmung ihre Hand zu einem an der Seite des Maulthiers herabhängenden Sack, und als der Fremde die Schale niedersetzte, sah er ein großes Stück Brot, das ihm dargereicht wurde, und gewahrte einen Blick der blauen Augen, welcher ihn ermuthigen sollte, auch noch diese Gabe hinzunehmen.

»Aber das ist ja am Ende Euer eigenes Frühstück,« sagte er; »nein, ich habe dafür, daß ich nichts gezahlt habe, genug bekommen. – Tausend Dank, mein schönes Kind!«

Es erfolgte keine laute Antwort, aber das Stück wurde ihm noch näher hingehalten, als wäre man über seine Weigerung aufgebracht, und wie die großen dunklen Augen des Fremden auf dem Kinderantlitz ruhten, schien dieses immer mehr und mehr Muth zu gewinnen, aufzusehen und jenen zu begegnen.

»Nun denn, wenn ich das essen Brot soll,« sagte er, es in die Hand nehmend, »so werde ich noch kühner werden und um einen zweiten Kuß bitten, damit mir das Brot noch besser schmeckt.«

Seine Sprache wurde merkwürdig verständlich, trotz der seltsamen Stimme, welche ihr anfangs so vorkam, als müsse sie sich davor bekreuzen. Sie erröthete tief, und hielt auf's neue einen Zipfel ihres Mantels vor den Mund; aber eben als der zu kühne Fremde sich vorüberneigte und seine Finger auf den Arm legte, der den schirmenden Mantel hielt, wurde er von einer dicht neben seinen Ohren ertönenden grellen Stimme emporgeschreckt.

»Wer seid Ihr? – daß Euch die Pest hole! Sicherlich kein rechtlicher Käufer, sondern ein Spießgeselle der Würfelspieler oder gar etwas noch Schlimmeres. Seht zu, daß Ihr weiter kommt und eine passendere Gesellschaft findet, oder ich werde Euch ein rascheres Tempo aufspielen, als Euch lieb sein möchte!«

Der junge Fremde trat einen Schritt zurück und sah die Sprecherin mit einem von Unruhe und Abbitte gänzlich freien Blicke an, und der leise Ausdruck muthwilligen Sichlustigmachens löste sich schnell in ein offenes freundliches Lächeln auf, als er die Gestalt der ihn Bedrohenden genauer anschaute. Sie war eine dicke, aber muskulöse Frau, mit einem Männerwamms über ihre grüne Sarsche-Gamurra (Rock) geworfen, und die spitze Kapuze eines abgedankten Mantels um ihr sonnverbranntes Gesicht geschlagen, das zwischen allen seinen vorzeitigen Runzeln und seiner Plumpheit eine halb traurige, halb komische mütterliche Aehnlichkeit mit dem zarten Kindergesicht des jungen Mädchens zeigte – eine Aehnlichkeit, welche oft eine mehr unglückverheißende und schaudererregende Prophezeiung zu sein scheint, als die eines Todtenkopfes.

Es lag etwas unwiderstehlich Gewinnendes in dem offenen, jugendlichen Lächeln, aber Monna Ghita war nicht die Frau, eine Schwäche zu verrathen, und sie fuhr mit anscheinend steigender Erbitterung fort:

»Ja, ja, Ihr könnt eben so gut grinsen wie andere Affen in Kappe und Wamms; ich möchte darauf schwören, Ihr seid ein Bänkelsänger oder Quacksalber; Ihr seht eben so albern aus wie ein Glas ohne Fuß, das umgestülpt ist und sich wieder aufrichtet. Und was hast Du wieder für Dummheiten gemacht, Tessa?« fügte sie, sich zu ihrer Tochter umwendend, deren erschrockenes Gesicht mehr zum Schimpfen einlud, hinzu – »Milch und Eßwaaren, wie mir scheint, weggegeben? Ja, ja, Du würdest Wasser für irgend einen faullenzenden Landstreicher mit Deinem Ohr schöpfen, wenn er zu bequem wäre, sich danach zu bücken, Du dummes glotzendes Kaninchen Du! Dreh' Dich um, und nimm das Gemüse aus den Körben, sonst werde ich Dir zeigen, wie man einige Ave's sagt, ohne den Rosenkranz dabei zu zählen!«

»Nein, Madonna,« sagte der Fremde mit einem bittenden Lächeln, »seid nicht böse auf Eure hübsche Tessa, daß sie mit einem hungrigen Reisenden, der wider sein Vermuthen keinen Quattrino in der Tasche fand, Mitleiden hatte. Euer schönes Gesicht sieht so gut aus, wenn es zürnt, daß ich es einmal von einem Lächeln verklärt sehen möchte.«

» Va, va! ich weiß schon, aus was für einem Teig Ihr geknetet seid; Ihr könnt mich mit dem Stroh da lange kitzeln, ehe ich lache, das will ich Euch doch sagen – macht, daß Ihr zum Teufel fortkommt, sonst mache ich Euch eine oder zwei Schönheitsfleckchen auf Euer Gesicht, die Euch das Küssen vor Advent verleiden sollen.«

Eben als Monna Ghita ihre furchtbaren Klauen erhob, um dem ersten und letzten Erforderniß ihrer Beredtsamkeit nachzukommen, sagte Bratti, der einige Minuten zuvor herangetreten war, zu seinem Begleiter: »Was dünkt Euch mit diesem Papagei, Nello? hat seine Zunge nicht einen venetianischen Beigeschmack?«

»Nein, Bratti,« antwortete der Barbier halbleise, »Deine Weisheit hat viel vom Esel an sich, wie ich Dir eben bemerkt habe, namentlich was die Ohren betrifft. Dieser Fremde ist ein Grieche, oder ich bin nicht der einzige und ausschließliche Barbier des trefflichen Demetrios, der ihm mehr als einen kranken Zahn aus seinem gelehrten Munde gerissen hat. Und dieser Jüngling würde aussehen, als käme er direct vom Olympos – wenigstens, wenn er von meinem Rasirmesser berührt worden wäre.

» Orsú, Monna Ghita,« fuhr Nello fort, der gerne seinen Spaß haben wollte, »was hat denn da ein solches Donnerwetter veranlaßt? Hat sich dieser junge Fremdling etwa schlecht aufgeführt?«

»Bei San Giovanni!« rief der vorsichtige Bratti, der seinen ursprünglichen Verdacht hinsichtlich des ärmlich gekleideten Besitzers von Juwelen noch nicht hatte fahren lassen – »er hatte Recht, von mir wegzulaufen, wenn er durchaus zu Schaden kommen wollte. Ich kann beschwören, daß ich ihn unter der Loggia de' Cerchi fand, mit einem Ring am Finger, wie ich ihn bei Bernardo Rucellai selbst gesehen habe; sonst wüßte ich nicht, daß er noch eines rostigen Nagels Werth bei sich gehabt hätte.«

» Che, che!« erwiderte Nello, den Fremden gutmüthig anschauend, »die Sache ist die, daß der hübsche junge Mann ein bischen zu keck die Reize der Monna Ghita bewundert und es versucht hat, sie zu küssen, während die Tochter ihren Rücken gewendet hatte. Denn ich gewahre, daß die schöne Tessa zu geschäftig ist, jetzt hieher zu sehen. War dem nicht so, Messer?« schloß Nello seine Rede in höflichem Tone.

»Ihr habt mein Vergehen wie ein Wahrsager errathen,« lachte der Fremde, »nur daß ich nicht das Glück hatte, Monna Ghita zuerst hier zu finden. Ich bat ihre Tochter um eine Schale Milch, und hatte dieses Brot angenommen, für welches ich mich eben demüthig bedanken wollte, ehe ich das größere Vergnügen hatte, mich diesen reifen Reizen gegenüber zu sehen, bei deren Bewunderung ich vielleicht zu kühn war.«

» Va, va! macht, daß Ihr fortkommt, Alle zusammen, und bleibt im Fegefeuer, bis ich bezahle, daß Ihr daraus erlöst werdet, versteht Ihr?« rief Monna Ghita zornig, indem sie Nello bei Seite stieß und ihr Maulthier vorwärts zog, so daß sie den Fremden nöthigte seitwärts zu springen. – »Tessa, Du dummes Ding, zieh' Dein Maulthier etwas nach vorn, der Wagen wird uns gleich über den Hals kommen!«

Indem Tessa sich wandte, um den Zügel des Maulthiers zu ergreifen, warf sie noch einen schüchternen Blick auf den Fremden, welcher jetzt eben mit Nello einem herankommenden Marktwagen auswich; und dieser Blick genügte gerade, um seine winkende Handbewegung zu bemerken, welche andeutete, daß er nur diese Gelegenheit, ihr Lebewohl zusagen, abgewartet hatte.

» Ebbene,« sagte Bratti über den Wagen hinwegsprechend, »ich lasse Euch mit Nello allein, junger Mann, denn ich will meinen Sack und meinen Korb nicht weiter tragen, und habe noch Geschäfte zu Hause. Ihr werdet Euch aber an unsern Handel erinnern, denn wenn Ihr Tessa ohne mich gefunden habt, so ist es nicht meine Schuld. Nello wird Euch meinen Laden in der Ferravecchj zeigen, und ich werde Euch nicht verlassen.«

»Tausend Dank, Freund!« rief der Fremde lachend, und ging mit Nello die enge Straße hinauf, welche geraden Weges zur Piazza del Duomo (Domplatz) führte.



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