Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Capitel.
Erste Eindrücke.


Guten Tag, Messer Domenico,« rief Nello dem ersten der beiden in seinen Laden tretenden Gäste zu, während er dem andern stillschweigend zuwinkte. »Ihr kommt gerade gelegen wie Käse auf Maccaroni. Ah so, Ihr habt Eile – wollt ohne Säumen rasirt sein? – ecco! Und heute Morgen hat Jedermann ernste Dinge im Kopfe. Florenz verwaist, der eigentliche Schildzapfen Italiens ausgerissen – der Himmel selbst in Verlegenheit, was er nun zunächst thun soll. – O weh! Und doch geht die Sonne wieder vorwärts der Stunde des Mittagsessens zu, und wie ich eben sagte, Ihr kommt wie Käse auf Nudeln, denn dieser junge Fremde erkundigte sich nach einem ehrenwerthen Handelsmann, der ihm auf einen gewissen werthvollen Ring eine Summe vorstreckte, und wenn ich alle Goldschmiede und Geldverleiher in Florenz an den Fingern hergezählt hätte, so würde ich doch keinen besseren Namen haben finden können, als den des Menico Cennini. Außerdem hat er noch andere Waaren, mit denen Ihr handelt, wie z. B. griechische Gelehrsamkeit und junge Augen, zwei Gegenstände, deren Ihr Buchdrucker immer bedürft.«

Der ernste, ältliche Mann – ein Sohn jenes Bernardo Cennini, der zwanzig Jahre vorher, als er von dem neuen durch die Deutschen eingeführten Druckverfahren gehört, seine eigenen Typen in Florenz gegossen hatte – verharrte nothgedrungen in eingeseiftem Schweigen und in Ruhe, während Nello seine Rede vor ihm ausschüttete, aber er warf einen langsamen Seitenblick auf den Fremden.

»Dieser schöne junge Mann,« fuhr Nello, der Alles weitläufig paraphrasirte, fort »hat unbegränztes Griechisch, Latein und Italiänisch zu Euern Diensten bereit; er ist ein eben so großes Wunder von jugendlicher Gelehrsamkeit, wie Francesco Filelfo oder unser unvergleichlicher Poliziano. Dabei ist er ein zweiter Guarino, denn er hat das Unglück gehabt, Schiffbruch zu leiden, und wird wahrscheinlich einen Vorrath kostbarer Handschriften verloren haben, die selbst Eure correcten Ausgaben nicht genauer hätten machen können, Domenico. Zum Glück hat er noch einige edle Steine von seltenem Werth geborgen. Sein Name ist – wie sagtet Ihr doch, Messer, daß Euer Name ist?«

»Tito Melema,« sagte der Fremde, indem er seinen Ring vom Finger streifte und ihn Cennini hinreichte, den Nello, welcher eben so rasch mit seinem Rasirmesser wie mit seiner Zunge war, jetzt eben vom Barbiertuch befreit hatte.

Inzwischen hatte Der, welcher zugleich mit dem Goldschmied in den Laden getreten war – eine große Gestalt, etwa fünfzig Jahre alt, mit einem kurzgestutzten Bart, einem alten Filzhut und einem fadenscheinigen Mantel – seine Augen fest auf den Griechen gerichtet, und sagte jetzt plötzlich:

»Junger Mann, ich male eben ein Bild von Sinon, der den alten Priamus verräth, und ich würde mich sehr freuen, Euer Gesicht für meinen Sinon zu haben, wenn Ihr mir einmal sitzen wollt.«

Tito Melema trat zurück und sah mit einem vor Bestürzung bleichen Gesicht wie bei einer unerwarteten Anklage umher, aber der Barbier ließ ihm keine Zeit, wegen einer Antwort in Verlegenheit zu kommen, sondern sagte: »Piero, Du bist das außerordentlichste Compositum von Launen und Schrullen, die jemals in eine Menschenhaut gepackt wurden. Was für einen Schabernack willst Du wieder mit dem schönen Gesicht dieses jungen Gelehrten treiben, daß es sich für Deinen Verräther eignet? Bitte ihn lieber, daß er die Augen emporschlägt, und Du kannst einen heiligen Sebastian aus ihm machen, der ganze Schaaren frommer Frauen herbeiziehen wird, oder, wenn Du in Deinem classischen Zuge bist, setze ihm Myrten in die Locken und mache einen jugendlichen Bacchus aus ihm, oder noch besser, einen Phöbus Apollo, denn sein Antlitz ist warm und hell wie ein Sommermorgen; es machte mich zu seinem Freunde in kürzerer Zeit, als man braucht, um ein Credo herzusagen.«

»Ja, Nello,« erwiderte der Maler in abgebrochenen Sätzen, »wenn Deine Zunge so lang' aufhören kann in Einem fort zu zirpen, bis Dein Verstand die Sache erwägt, so wirst Du einsehen, daß Du eben den Grund angegeben hast, warum das Gesicht dieses Herrn zu meinem Verräther taugt. Ein vollkommener Verräther sollte ein Gesicht haben, auf welches das Laster keinen Zug schreiben kann, – Lippen, die mit einem Grübchen bildenden Lächeln lügen, – Augen von so achatähnlichem Glanz und Tiefe, daß keine Infamie sie verdunkeln kann, – Wangen, die eben von einer Mordthat kommen und nicht bleich aussehen. Ich sage nicht, daß dieser junge Mann ein Verräther ist, sondern ich meine, daß er ein Gesicht hat, das ihn zu einem allervollkommensten Verräther stempeln würde, wenn er das Herz eines solchen hätte, womit ich nicht mehr und nicht weniger sage, daß er ein schönes Antlitz hat mit warmem, jungem Blut, das sattsam von Speise und Trank genährt werden und seine Farbe auch ohne Zuthun der Tugend bewahren wird. Er mag nebenbei noch das Herz eines Helden haben, ich behaupte nichts Gegentheiliges. Frag' doch Domenico dort, ob die Gemmenhändler einen Stein einzig und allein vom Ansehen beurteilen können. Aber jetzt werde ich mir das Werg in die Ohren stopfen, denn Dein Geschwätz und das Glockengeläute dazu sind mehr, als ich ertragen kann; also sprich nichts mehr mit mir, sondern stutze mir den Bart.«

Bei diesen Worten zog Piero (der nach seinem Meister Cosimo Rosselli den Beinamen »di Cosimo« führte) zwei Stücke Werg aus der Tasche, steckte sie in die Ohren und setzte sich in den Sessel vor Nello, der die Achseln zuckte und dem Griechen eine Grimasse des Einverständnisses zumachte, als wollte er ihm sagen: »Seht Ihr wohl, was für ein grillenhafter Kerl das ist! Jedermann nimmt seine Worte als eitel Spaß auf.«

Tito, welcher wie durchbohrt, die großen dunklen Augen auf den Unbekannten, der ihn auf eine so zweideutige Weise angeredet hatte, geheftet dastand, schien jetzt durch Piero's veränderte Stellung seine Selbstbeherrschung wiedergewonnen zu haben, und von dessen Erklärung anscheinend befriedigt, wandte er sich jetzt wieder Cennini zu, als dieser eben zu ihm sagte:

»Das ist ein seltener und kostbarer Ring, junger Mann. Dieser geschnittene Fisch mit der gekrönten Schlange darüber in dem schwarzen Felde des Onyx, oder richtiger Niccolo Onxx-Achat. – D. Uebers., wird von dem umgebenden Blau des oberen Feldes sehr schön hervorgehoben. Der Ring hat zweifelsohne eine Geschichte?« fügte Cennini hinzu, den jungen Fremden scharf ansehend.

»Allerdings,« antwortete Tito, den forschenden Blick ruhig aushaltend; »der Ring ward in Sicilien gefunden, und ich habe von Leuten, welche sich mit Gemmen und Siegeln beschäftigen, gehört, daß der Stein sowol wie die Gemme darauf die Gabe besitzen, dem Eigenthümer Glück zu gewähren, namentlich zur See, und ihn alles Verlorene wiederfinden zu machen. Aber,« fuhr er lächelnd fort, »obgleich ich ihn, seit ich Griechenland verließ, beständig trug, hat er mir doch kein Glück zur See gebracht, wie Ihr seht, wenn ich nicht etwa das als einen Beweis seiner Kraft betrachten will, daß ich dem Ertrinken entgangen bin. Wir müssen nun noch erst sehen, ob meine verlorenen Kisten wieder an's Tageslicht kommen; um aber die Mittel zu finden, dieses zu ermöglichen, möchte ich Euch, Messer, ersuchen, diesen Ring auf kurze Zeit als ein Pfand für eine kleine Summe weit unter seinem Werth zu behalten, und ich werde ihn wieder auslösen, sobald ich einige andere in diesem Wamms verborgene Edelsteine veräußert habe, oder sobald ich Etwas durch eine Anstellung im Gelehrtenfach, wenn ich so glücklich sein sollte, eine solche zu finden, verdient haben werde.«

»Das wollen wir sehen, junger Mann, wenn Ihr mit mir kommt,« sagte Cennini; »mein Bruder Pietro, der ein besseres Urteil in gelehrten Sachen hat als ich, wird Euch vielleicht eine Beschäftigung zuweisen können, in der Ihr Eure Fähigkeiten erproben könnt. Nehmt inzwischen Euern Ring zurück, bis ich Euch die nöthigen Gelder geben kann, und nun kommt mit mir, wenn es Euch beliebt.«

»Ja, ja,« sagte Nello »geht mit Messer Domenico, Ihr könnt in keiner besseren Gesellschaft gehen; er ward unter dem Gestirn geboren, welches einem Menschen Talent, Reichthümer und Redlichkeit verleiht, was es auch für eine Constellation sein mag, eine Sache, die von minderer Wichtigkeit ist, da Säuglinge sich nicht selbst ihre Horoskope aussuchen können; denn wenn sie das im Stande wären, so würde es zu besonderen Zeiten einen ungeziemenden Andrang von Säuglingen geben. Uebrigens hat unser Phönix, der unvergleichliche Pico, bewiesen, daß Horoskope unsinnige Träumereien sind – eine Meinung, die die am wenigsten beschwerliche ist. Addio, bel giovane! vergeßt nicht, mich wieder zu besuchen.«

»Das besorgt nicht,« sagte Tito, ihm ein Lebewohl zuwinkend, indem er an der Thüre sein freundliches Antlitz nochmals nach ihm wandte, »Ihr sollt mir einen großen Dienst erweisen – das bietet Euch wol die größte Sicherheit dafür, daß Ihr mich wiedersehet.«

»Du magst sagen, was Du willst, Piero,« rief Nello, als der junge Fremde verschwunden war – »ich sehe nie ein solches Aeußere, ohne es als das Merkmal eines liebenswürdigen Charakters zu betrachten. Donnerwetter! am Ende wirst Du sagen, daß Leonardo, für den Du immer so schrecklich schwärmst, seinen Judas so schön wie einen heiligen Johannes hätte malen sollen. Doch Du bist ja mit dem verfluchten Werg in den Ohren so taub, wie der Gipfel des Morello-Berges. Nun gut ich werde aus diesem jungen Mann etwas mehr von seiner Lebensgeschichte herausbekommen, ehe ich ihn zu Bardo Bardi hinbringe.«



 << zurück weiter >>