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Zwölftes Capitel.
Der Preis ist beinahe errungen.


Tito ging leichten Schritts von dannen, denn die unmittelbare Furcht war verschwunden, sein gewöhnlicher Frohsinn hatte wieder die Oberhand gewonnen, und er begab sich ja zu Romola. Und doch schien Romola's Leben ein Bild jener liebenden, erbarmenden Hingebung, jenes geduldigen Ertragens ermüdender Aufgaben, vor denen er zurückgebebt war und sich entschuldigt hatte. Er war aber nicht der Liebe zum Guten bar, oder bereit, sich dem Laster in die Arme zu werfen; noch war er in seiner frischen Jugend, voll sanfter Regungen für alles Reizende und Liebliche; noch hatte er einen gesunden Appetit auf gewöhnliche, menschliche Freuden, und das Gift konnte nur nach und nach wirken. Er hatte sich dem Bösen verkauft, aber jetzt schien ihm das Leben fast so gleich, daß er sich seiner Sklaverei nicht bewußt war. Er wähnte, daß Alles, sowol in ihm als außer ihm, noch so ginge, wie vordem; er wähnte, goldenen Ruhm durch verdienstliche Anstrengungen, geistvolles Studium und liebenswürdige Zuvorkommenheit zu gewinnen; er unternahm ja nichts, was ihn aus der Harmonie mit den Wesen, aus denen er sich etwas machte, bringen konnte. Und vor Allem machte er sich sehr viel aus Romola; er wünschte sie zu seinem majestätischen, schönen und liebenden Weibe. Allerdings konnte eine reichere Verbindung innerhalb des schließlichen Bereichs glücklicher Talente, wie er sie besaß, liegen, aber in ganz Florenz gab es kein Weib wie Romola. Wenn sie zugegen war und ihn mit ihren ehrlichen, hellbraunen Augen anblickte, so war er von einem wonnigen Einfluß beherrscht, der so gewaltig und unwiderstehlich war, wie jene musikalischen Schwingungen, welche uns mit einer rhythmischen Macht ergreifen, die, wenn sie eben verhallt, den Wunsch nach ihrem Wiederbeginn in uns rege macht.

Als er die steinernen Stufen erstieg, und noch draußen nur mit Maso allein war, schien jener Einfluß bereits durch die einfache Nähe der Ahnung seine Wirkung zu üben.

»Willkommen, Tito,« rief der Greis, noch ehe Tito ein Wort gesprochen hatte. Es lag eine neue Kraft in seiner Stimme, eine neue Fröhlichkeit auf dem blinden Antlitze seit jenem ersten Besuche Tito's vor mehr als zwei Monaten. »Ihr habt ohne Zweifel neues Manuscript gebracht, aber seit wir uns gestern Abend gesprochen haben, sind mir neue Gedanken gekommen; wir müssen uns ein weiteres Ziel stecken, wir müssen wieder umkehren.«

Tito ging, indem er Romola seine Hochachtung bezeugte, wie gewöhnlich gerade auf Bardo's Sessel zu und legte seine Hand in die ihm dargebotene, indem er sich in den kreuzbeinigen Rollstuhl an Bardo's Seite setzte.

»Ja,« sagte er in seiner milden Weise, »ich habe das neue Manuscript gebracht, das hat aber keine Eile. Ihr wißt, ich habe junge Glieder und kann ohne Mühe den Hügel wieder zurück hinaufgehen.«

Er sah bei diesen Worten Romola nicht an, wiewol er recht gut wußte, daß ihre Augen mit Vergnügen auf ihm ruhten.

»Gut gesprochen, mein Sohn!« Bardo hatte Tito in der letzten Zeit schon ein paar Mal so angeredet, »und ich gewahre mit Freuden, daß Ihr nicht zurückschreckt vor der Arbeit, ohne die, wie der Dichter sehr weise bemerkt, das Leben den Sterblichen nichts gewähren kann. Es ist zu oft die palma sine pulvere, der Preis des Ruhms ohne den Staub der Rennbahn, nach welchem der jugendliche Ehrgeizige strebt. Was sagt aber der Grieche? ›Am Morgen des Lebens arbeite, am Mittage spende Rath, und am Abende bete!‹ Freilich sollte man glauben, daß ich an diesem hülflosen Abende angelangt bin, aber dem ist nicht so, so lang' ich noch Rathschläge besitze, die bis jetzt nicht ertheilt sind. Denn wie ich schon oft gesagt habe, mein Geist war wie von einem Damm abgesperrt; die vollen Gewässer lagen düster und regungslos da, aber Ihr, Tito, habt ihnen eine Ableitung eröffnet, und sie strömen jetzt mit einer Gewalt hervor, die mich selbst in Erstaunen setzt. Also was ich jetzt wünsche, ist, daß wir unseren vorbereitenden Grund wieder durchgehen, und zwar mit einem ausführlichen Plane des Commentirens und Erläuterns; sonst könnte ich Gelegenheiten verlieren, welche ich jetzt mit einem Rückblicke gewahre, und die nie wiederkommen möchten. Ihr merkt doch auf das, was ich sage, Tito?«

Er hatte sich eben gebückt, um das Manuscript aufzuheben, das auf den Boden gerollt war, und Bardo's argwöhnisches Ohr war empfänglich für diese leise Bewegung.

Tito war wol zu entschuldigen, wenn er die Achseln bei solcher Aussicht zuckte, aber er war von Natur nicht ungeduldig; überdies war er in jener arbeitsamen, zugleich genauen und weitschweifigen Gelehrsamkeit auferzogen, welche die hauptsächlichste Geistesarbeit des Zeitalters war, und in Romola's Nähe schwebte er auf den Wogen wonniger Empfindungen, die ihm Alles leicht erscheinen ließen.

»Sicherlich,« antwortete er, »Ihr wünscht Eure Commentare über gewisse citirte Stellen zu erweitern.«

»Nicht nur das; ich wünsche einen gelegentlichen excursus anzubringen, wo wir einen Autor citirt haben, dem ich ein besonderes Studium gewidmet habe, denn ich könnte zu früh sterben, um ein besonderes Werk zu vollenden. Und die jetzige Zeit ist nicht danach angethan, daß gelehrte Rechtlichkeit und gehörig geläutertes Wissen brach liegen dürfen, wenn wir nicht nur kecke Unwissenheit zu fürchten haben, sondern wenn selbst Männer wie Calderino, wie dies Poliziano bewiesen hat, zu unverschämten Citatenfälschereien ihre Zuflucht nehmen, um ihren eitlen Zwecken zu fröhnen und ihren Mißgriffen einen Triumph zu verschaffen. Darum, mein Freund, halte ich es für nicht gerathen, uns eine Gelegenheit, die wir in Händen haben, entschlüpfen zu lassen. Und jetzt wollen wir zu dem Punkt zurückkehren, wo wir die Stelle aus dem Thucydides citirt haben, und ich wünschte, daß Ihr vorläufig alle meine Anmerkungen zu der lateinischen Uebersetzung des Lorenzo Valla durchgeht, für die der unvergleichliche Papst Nicolaus V. – der mich mit seiner persönlichen Bekanntschaft beehrte, als ich noch jung war und er noch Thomas von Sarzana hieß – ihm; und nicht ungerechterweise, die Summe von fünfhundert Goldscudi zahlte. Insofern aber Valla, obgleich sonst sein Ruhm ziemlich zweifelhafter Art ist, wegen seiner strengen Gelehrsamkeit in hohen Ehren gehalten wird, so daß jener Epigrammatiker im Scherz von ihm gesagt hatte, daß, seit er zu den Schatten gestiegen sei, Pluto selbst nicht mehr wage die alten Sprachen zu sprechen, so ist es um desto nothwendiger, daß sein Name nicht als Marke für die Güte verfälschter Waaren diene, deshalb wollte ich einen excursus über Thucydides anfertigen, worin meine Verbesserungen zu Valla's Text einen passenden Platz finden können. Romola, Du wirst die nöthigen Bände herabreichen, Du kennst sie ja, auf dem fünften Bort im Cabinet.«

Tito stand zugleich mit Romola auf, indem er sagte: »ich will sie herablangen, wenn Ihr mir sie zeigen wollt!« Und mit diesen Worten folgte er ihr rasch in das anstoßende, kleine Zimmer, in dem die Wände gleichfalls mit vollkommen geordneten Reihen von Büchern bedeckt waren.

»Da sind sie,« sagte Romola, in die Höhe zeigend, »jedes Buch steht noch da, wo es zur Zeit, als mein Vater sie noch sehen konnte, stand.«

Tito stand neben ihr, ohne sich mit dem Darreichen der Bücher zu übereilen. Sie waren nie zusammen in diesem Zimmer gewesen.

»Ich hoffe,« fuhr sie fort, Tito voll und vertraulich ernst anblickend, »ich hoffe, daß er Euch nicht langweilt, diese Arbeit macht ihn so glücklich.«

»Und mich gleichfalls, Romola, wenn Ihr mir nur erlaubt, daß ich Euch sagen darf: ich liebe Euch! wenn Ihr mich würdig haltet, mich auch ein wenig zu lieben.«

Seine Worte waren ein leises Geflüster, und das schöne dunkle Antlitz, das dem ihrigen noch nie so nahe war wie jetzt, blickte sie mit flehender Zärtlichkeit an.

»Ich liebe Euch,« flüsterte auch Romola, und dabei sah sie ihn mit ihrer gewöhnlichen, einfachen Würde an, aber ihre Stimme hatte noch nie so gedämpft geklungen. Es schien Beiden, als ob sie einander lange angeblickt hätten, ehe ihre Lippen sich wieder bewegten, und doch war nur ein Augenblick verflossen, bis sie sagte: »jetzt weiß ich, was es heißt: glücklich sein.«

Ihr Antlitz war jetzt dem seinigen ganz nahe, und seine dunklen Locken mischten sich einen Augenblick lang mit dem kräuselnden Golde der ihrigen. Daraus setzte Tito, schnell wie der Blitz, seinen Fuß auf eine vorspringende Leiste der Bücherborte und reichte die erforderlichen Bände herab. Beide waren froh zu schweigen und von einander entfernt zu stehen, denn diese erste wonnige Erfahrung gegenseitigen Bewußtseins war um so köstlicher, da keine unmittelbar darauf folgende Empfindung sie störte.

Es war dieses Alles so schnell geschehen, wie der unverhinderliche Erguß zweier Gewässer ineinander, denn selbst der heftige und argwöhnische Bardo war nicht ungeduldig geworden.

»Du hast die Bände, Romola?« fragte der Greis, als sie sich ihm näherten, »halte jetzt Deine Feder in Bereitschaft, denn während Tito die Scholien anzeichnet, welche wir excerpiren wollen, kannst Du sie aus der Stelle copiren; vergiß aber nicht, sie sorgfältig zu numeriren, damit sie genau zu den Nummern passen, die er in den Text setzt, den er schreiben wird.«

Romola hatte immer etwas zu thun, was ihr eine Beschäftigung bei der gemeinsamen Arbeit auferlegte, Tito stellte sich an das Pult, wo er schrieb und las, und sie setzte sich an den Tisch ihm gegenüber, wo sie bereit war, ihrem Vater das, was er brauchte, zu geben, oder ihm einen Band, mit dem er fertig war, abzunehmen. Diese Stellung hatten sie von jeher, seit das Werk begonnen war, eingenommen, heute aber schien es ihnen etwas Neues; es kam ihnen so ganz anders vor, daß sie einander gegenüber saßen; es war für Tito so seltsam, ihr ein Buch abzunehmen, das sie vom Schoose ihres Vaters fortgezogen hatte. Dennoch wurde keine List angewendet, noch einen Blick, noch eine Berührung zu gewinnen. Jedes weibliche Wesen formt nach ihrem Bilde die ihr dargebotenen Liebeszeichen, und Romola's tiefruhige Glückseligkeit umgab Tito wie der reiche, aber ruhevolle Abendschimmer, der alle Unstätheit beseitigt.

Sie hatten nur zwei Stunden bei ihrer Arbeit zugebracht, und schlossen dieselbe eben wegen der immer mehr abnehmenden Helle, als sich die Thüre öffnete und eine, mit der Richtung ihrer Gedanken und mit den Eindrücken der ganzen Umgebung seltsam contrastirende Gestalt eintrat. Es war dies die Gestalt einer kleinen, dicken, schwarzäugigen, etwa fünfzigjährigen Frau in einer schwarzen, enganschließenden, mit Perlen gestickten Sammethaube, unter der erstaunlich dicke, schwarze Haarflechten, die kleine hoch hervortretende Stirne überragend, hervorschauten und in reichgeflochtenen Biegungen über die Ohren fielen, während eine nicht minder erstaunliche carminrothe Färbung des oberen Theils der feisten Wangen einen auffallenden Gegensatz zu der umgebenden, gelblichen Farbe bildete. Drei Reihen Perlen und darunter ein goldenes Halsband ruhten auf dem horizontalen Polster ihres Nackens. Der gestickte Saum ihres schwarzsammetnen Schleppkleides und die gestickten, lang herabfallenden Aermel von rosa Damast waren ein wenig verschossen, aber sie gewährten Kenneraugen die befriedigende Ueberzeugung, daß sie das glänzende Ergebniß sechsmonatlicher Mühen einer gechickten Arbeiterin waren, und der rosafarbige Unterrock mit seinen zweifelhaft weißen Fransen und Staubperlenarabesken wurde gebührendermaßen gezeigt, um eine ähnliche wohlthuende Ueberzeugung hervorzubringen. Ein schöner Rosenkranz von Korallen hing an der einen Seite eines zu vermuthenden Gürtels, dessen wirkliche Existenz durchs ein großes Silberschloß in Niello Eingelegte Arbeit aus Silber und Gold. – D. Uebers. gearbeitet, hervortrat, während an der andern Seite, wo der Gürtel wieder nur geahnt werden konnte, eine große, rothsammetne, mit Perlen gestickte scarsella (Gürteltasche) hing. Ihre kleine, fette rechte Hand, die aus Teig gemacht und aus nur theilweisem Backen hervorgegangen zu sein schien, hielt ein kleines, gleichfalls prachtvoll in Sammet, Perlen und Silber gebundenes Gebetbuch.

Diese Gestalt war Tito schon zu bekannt, als daß sie ihn befremdet hätte, denn Monna Brigida war ein häufiger Gast bei Bardo's, da sie von dem allgemeinen Verbannungsdecret gegen weibliche Trivialität ausgeschlossen war, und zwar wegen der nahen Verwandtschaft mit Bardo's verstorbener Gattin, und wegen ihrer früheren Pflege Romola's, welche sich jetzt mit einem liebevollen Lächeln zu ihr wendete und aufstand, um den ledernen Stuhl in die gehörige Entfernung von ihres Vaters Sessel zu ziehen, damit der drohende Schwall von Geschwätz seinem Ohre nicht zu nahe sei.

»Die Base?« fragte Bardo, als er die kurzen Schritte und das Schleppen der Gewänder vernahm.

»Ja, es ist Eure Base,« versetzte Monna Brigida in munterem Tone, indem sie ihre Finger lächelnd gegen Tito erhob, und dann ihr Gesicht in die Höhe richtete, um von Romola einen Kuß zu erhalten, »immer der Störenfried von Base, die Eure Weisheit unterbricht,« fuhr sie fort, indem sie sich setzte und anfing, sich mit dem weißen, über ihren Arm hängenden Schleier zu fächeln. »Gut, gut! wenn ich Euch nicht dann und wann Neuigkeiten von der Welt brächte, so würdet Ihr, glaube ich, ganz vergessen, daß es im Leben noch etwas Anderes gibt als diese verschimmelten Alten, die, wenn Alles, was ich über sie höre, wahr ist, mit Weihwasser besprengt werden müßten. Nicht etwa, daß die Welt heut zu Tage nicht schlecht ist, denn die Skandale, die an jeder Ecke Einem dicht vor der Nase passiren – ich mag dergleichen nicht hören oder sehen, aber man kann doch nicht mit dem Kopf in einen Sack gesteckt herumgehen, und erst gestern – nun, nun, Ihr braucht nicht gegen mich aufzufahren, ich werde nichts erzählen; wenn ich auch nicht so weise bin wie die heiligen drei Könige, so weiß ich doch, wie viele Beine in einen Stiefel gehen. Trotz allem dem ist aber Florenz eine nichtsnutzige Stadt, nicht wahr Messer Tito? denn Ihr kommt ja unter die Leute. Nicht, daß man nicht ein klein wenig sündigen müßte, das erwartet ja der Herrgott von uns, wozu wären denn sonst die heiligen Sakramente? Und, was ich sagen wollte, wir sollen die Heiligen verehren, uns aber nicht verhalten, als könnten wir ihnen gleich kommen, sonst wäre ja das Leben unerträglich, wie dies auch der Fall sein wird, wenn die Sachen so nach der neuen Mode fortgehen. Was sagt Ihr dazu? Heute war ich auf der Hochzeit, Dianora Acciajoli mit dem jungen Albizzi, wovon so viel Redens war, und Jedermann wunderte sich darüber, daß sie heute statt gestern war. Aber, o Himmel! das war eine Hochzeit, die bis zum nächsten Fasten als Bußhandlung hätte aufgeschoben werden können, denn die Braut sah aus wie eine weiße Nonne, auch keine Spur von Perlen an sich, und der Bräutigam so ernst wie der heilige Joseph. Es ist wahr! Und die Hälfte der Gäste waren piagnoni Bezahlte Leidtragende. – D. Uebers. – so heißen sie nämlich jetzt, diese neuem Heiligen von Fra Girolamo's Macht. Und wenn man bedenkt, daß zwei Familien wie die Albizzi und die Acciajoli dergleichen Ideen annehmen, und dabei im Stande sind das Kostbarste zu tragen! Nun ja, sie hatten mich eingeladen, sie konnten aber nicht umhin, da mein Mann Luca Antonio's Oheim von mütterlicher Seite war, und es ging mir schön, während wir unter de Baldachin vor dem Hause warteten, ehe sie uns einließen. Ich konnte mich, wie es schien, in meinen Kleidern nicht sehen lassen, ohne ein Aergerniß zu geben; da war die Monna Berta, die zu ihrer Zeit schlimmere Geheimnisse hatte, als ich je von mir sagen konnte, die mich unter ihrer Kapuze, gleich einer pinzochera Laienschwester (gewöhnliche Bezeichnung für eine Frömmlerin oder Betschwester). – D. Uebers., anschaute und mir rieth, die Schrift des Mönchs über die Wittwen – die ihr so trefflich als Leitfaden gedient hatte – zu lesen. Heilige Madonna, es ist ja,als ob Wittwen heut zu Tage nichts zu thun hätten, als sich ihre Särge zu bestellen, und die Zeit nicht erwarten zu können, wo sie hineinkommen, statt sich ein wenig zu zerstreuen, wenn sie zum ersten Male etwas freie Hand bekommen Und was, meint Ihr, hatten wir für eine Musik, um das Mittagsmahl zu beleben? Eine lange Rede von Fra Domenico vom S. Marcokloster über die Lehren ihres vergötterten Fra Girolamo – die drei Lehren, welche wir alle auswendig lernen sollen, und er zählte sie alle an seinen Fingern auf, bis mich eine Gänsehaut überlief; die erste war, daß Florenz oder die Kirche – ich weiß nicht mehr wer von beiden,– denn erst nannte er das eine, dann die andere – gezüchtigt werden soll; wenn er aber damit die Pest meint, so sollte die Signoria solche Predigten verbieten, denn es können Einem schon vor Schreck die Beulen unter dem Arm hervorkommen. Dann sagte er, daß Florenz neu geboren werden müsse; aber wozu soll das helfen, wenn wir Alle an der Pest oder sonst woran gestorben sind? Und drittens sagte er, und, das wiederholte er am öftersten, daß dieses Alles in unseren Tagen geschehen solle, und das deutete er mit seinem Daumen an, bis ich anfing zu zittern wie das Gelée, das vor mir stand. Sie hatten nämlich Gelées mit dem Wappen der Albizzi und Acciajoli darauf in allen Farben, denn ganz haben sie in der Welt noch nicht das Oberste zu unten gekehrt. All' ihr Geschwätz geht aber darauf hinaus, daß wir zu den alten Sitten zurückkehren sollen; denn da sprang Francesco Valori auf, mit dem ich in der Via Larga getanzt habe, als er noch ein Junggeselle und ebenso eingenommen von den Medici's war wie irgend Jemand, und hielt eine Rede über die alten Zeiten, ehe die Florentiner aufgehört hatten: popolo! zu schreien und anfingen palle! zu rufen– als ob das etwas mit der Hochzeit zu thun gehabt hätte! – und daß wir uns an die Vorschriften der Signoria halten sollten, die Gott weiß wo niedergeschrieben sind; daß wir Dieses und Jenes nicht tragen, Dieses und Jenes nicht essen sollten, und daß unsere Sitten verderbt wären, daß wir schlechte Bücher läsen, obgleich er Das von mir nicht sagen kann, und –«

»Halt, Base!« unterbrach sie Bardo mit seiner gebieterischen Stimme, denn er hatte irgend eine Anmerkung zu machen und nur verzweifelte Mittel konnten der plappernden Weitschweifigkeit von Monna Brigida's Unterhaltung Einhalt thun. Sie aber schrak empor, zog ihren Mund zusammen und sah ihn mit weitgeöffneten Augen an.

»Francesco Valori,« fuhr er fort »hat nicht so ganz unrecht. Allerdings schätzt ihn Bernardo nicht sehr hoch und meint, daß er Privatgeselligkeiten mit dem Namen von ›Eifer für das allgemeine Beste‹ tauft; obgleich ich einräume, daß mein guter Bernardo zu wenig an jenen unverfälschten Patriotismus glaubt, der in seinem ganzen Glanze unter den Alten gefunden wurde. Wahr ist es aber, Tito, unsere Sitten sind von jener edlen Einfachheit abgewichen, die, wie man in dem öffentlichen Wirken unserer Mitbürger sehr wohl gesehen hat, die Mutter der wahrhaften Erhabenheit ist; denn wie ich höre, geben die Menschen jetzt für das flüchtige Schauspiel eines Turniers Summen aus, die genügen würden eine Bibliothek zu gründen, und so der Menschheit ein dauerndes Besitzthum zu verschaffen. Doch weiß ich, es ist wahr, daß wir Florentiner noch mehr wie irgend eine andere Stadt in Italien von jener erhabenen Einfachheit besitzen, welche eine gemeine Vergeudung haßt, um bei großen Gelegenheiten auf großartige Weise geben zu können; denn wie man mir gesagt hat, lachen die neapolitanischen und mailänder Höflinge über die Aermlichkeit unseres Silbergeschirrs, und verachten unsere großen Familien, weil sie bei ihren Gastmahlen jene Tafelgeräthe von einander borgen. Aber die Weisheit vernimmt im eitlen Gelächter der Thorheit schon halb den Beifall, der ihr gebührt.«

»Gelächter? o ja doch!« platzte Monna Brigida sogleich, wie Bardo schwieg, heraus, »wenn Jemand bei der heutigen Hochzeit hätte lachen hören wollen, so wäre er schön angekommen! denn als der junge Niccolo Macchiavelli versuchte einen Scherz zu machen und Geschichtchen aus Franco Sacchetti's Buch zum Besten gab, z. B. wie es ganz nutzlos wäre, daß die Signoria Gesetze für uns Frauen gäbe, weil wir mehr verständen als alle Maler, Architekten und Doctoren der Logik zusammen genommen, indem wir aus Schwarz Weiß, aus Gelb Roth, aus Krumm Gerade machen, und wenn Eines verboten wäre, einen neuen Namen dafür erfinden könnten – heilige Jungfrau! da blickten die piagnoni noch trauriger darein, und einige sagten: Sacchetti's Werk sei ein nichtsnutziges. Nun, ich lese es nicht, mich können sie nicht beschuldigen, irgend etwas zu lesen. Gott schütze mich, daß ich je wieder zu einer Hochzeit gehe, wenn sie künftig derartig sein werden, denn uns Allen, die wir keine Leichenbitter waren, war zu Muthe wie begossenen Küchlein. Ich bin noch in meinem Leben in keine solche Falle gegangen, außer einmal, und das war, als ich ihren vielgepriesenen Mönch während der vorigen Fastenzeit in San Lorenzo predigen hörte. Ich habe Euch das wol noch gar nicht erzählt, Messer Tito? das Blut gerinnt mir noch in den Adern, wenn ich daran denke, wie er uns arme Frauen herunterkanzelte; freilich die Männer auch, aber darauf gab er nicht so viel. Er nannte uns: Kühe, Fleischklumpen, verbuhlt und Unglücksstifter, das konnte ich aber noch ertragen, denn es waren eine Menge Andere zugegen, noch viel fleischiger und boshafter als ich, obgleich dann und wann die Bank hinter mir von seiner trompetenähnlichen Stimme erzitterte. Als er aber zu den capelli morti (dem falschen Haar) kam, o ewige Barmherzigkeit! da entwarf er ein Bild, o ich sehe es noch vor mir! von einer jungen Person, die als Leiche dalag, und wie wir Wittwen, – damit meinte er mich sowol wie die übrigen, denn ich trug meine Flechten, weil, wenn man alt wird, man doch eben nicht Lust hat, so scheußlich auszusehen wie eine beffana Dieser Name wurde den grotesken Gestalten mit schwarzen Gesichtern gegeben, welche die Magier ans dem Morgenlande vorstellen sollten, und am heiligen Drei-Königstage umhergetragen oder an den Fenstern aufgestellt wurden; das Wort beffana ist eine Verstümmelung von Epiphania. – also wie wir Wittwen uns wie kahlhäuptige Geier auf die Leiche stürzten und ihr das todte junge Haar abschnitten, um unsere alten Köpfe damit zu bedecken! O wie mir das in meinen Träumen nachher vorkam! Und dann heulte er und rang uns die Hände entgegen, und ich weinte auch. Und darauf nach Hause gehen, meine Juwelen abnehmen, diese Agraffe und Alles miteinander, und ein Paket daraus machen – das Alles war Sache eines Augenblicks. Und ich stand auf dem Sprunge, die ganze Bescheerung den frommen Herren in San Martino zur Vertheilung unter die Armen zu schicken, aber durch die Gnade Gottes bedachte ich mich noch und ging zuvor zu meinem Beichtvater, Fra Christoforo in der Santa Croce, und der sagte mir, daß das Alles nur ein Teufelswerk sei, dieses ganze Predigen und Prophezeien ihres Fra Girolamo, und daß die Dominicaner die Welt das Oberste zu unterst kehren wollten, und daß ich nie wieder hingehen und ihn hören sollte, sonst müßte ich Buße dafür thun; denn die großen Prediger Fra Mariano und Fra Menico hätten bewiesen, daß Fra Girolamo nur Lügen predige – und das war wahr, denn ich selbst habe beide im Dom gehört – und daß der Traum des Papstes von San Francesco, wie dieser die Kirche mit seinen Armen stütze, noch in Erfüllung gehe, daß aber die Dominicaner anfingen sie niederzureißen. Also gut, ich ging mit Gott und leichten Herzens von dannen. Ich werde mich auch nicht wieder von einem Predigermönch in's Bockshorn jagen lassen. Und ich sage nur so viel, daß ich wünsche, es wären nicht die Dominicaner gewesen, bei denen der arme Dino vor Jahren eingetreten war, denn dann wäre ich froh gewesen, wenn ich gehört hätte, daß er zurückgekehrt sei –«

»Ruhe!« gebot Bardo mit lauter, bewegter Stimme, während Romola halb vom Sessel auffuhr, die Hände zusammenfaltete und sich nach Tito umblickte, als dürfe sie jetzt sich an ihn wenden. Monna Brigida stieß einen leisen Schrei aus und biß sich auf die Lippen.

»Donna!« hub Bardo von neuem an »hört nochmals meinen Willen! Nennt mir diesen Namen nicht wieder in meinem Hause, und Dir, Romola, verbiete ich zu fragen. Mein Sohn ist todt.«

Bardo's ganze Gestalt schien vor Zorn zu beben, und Keiner wagte das Schweigen zu brechen. Monna Brigida fuhr in stummem Schrecken mit Schultern und Händen in die Höhe; dann erhob sie sich so leise wie möglich, Romola und Tito zu wiederholten Malen bedeutungsvolle Winke gebend, daß sie ruhig sitzen bleiben sollten, und stahl sich aus dem Zimmer wie ein strafbarer dicker Hühnerhund der zur unrechten Zeit angeschlagen hat.

Inzwischen hatte Tito's lebendiger Geist mit blitzgleicher Schnelle Gedanken combinirt. Bardo's Sohn war also nicht wirklich todt, dann war er, wie Tito geahnt hatte, ein Mönch geworden; er war »zurückgekehrt« und Fra Luca – ja, ja, es war die Aehnlichkeit mit Bardo und Romola, die ihm dies Gesicht halb bekannt hatte vorkommen lassen. Wenn er jetzt nur in Fiesole todt wäre! Dieser sich gewaltsam aufdrängende, selbstsüchtige Wunsch stieg vor allen anderen Gedanken unabweisbar in ihm auf. Allerdings war Bardo's eiserner Wille eine genügende Sicherheit gegen irgend welchen Verkehr zwischen Romola und ihrem Bruder, nicht so aber dagegen, daß dieser Anderen entdeckte, was er wußte, besonders wenn die Sache irgend wie auf's Tapet gebracht wurde durch eine Verbindung von Romola's Namen und dem des Tito Melema – desselben Tito, dessen Beschreibung er wie einen Anzeiger um den Hals getragen hatte. Nein, nur Fra Luca's Tod konnte jegliche Gefahr beseitigen, aber sein Tod war höchst wahrscheinlich, und nach der ersten augenblicklichen Erschütterung bei dieser Entdeckung beschwichtigte Tito seinen Geist mit jener zuversichtlichen Hoffnung.

Sie saßen lange Minuten in tiefem Schweigen und in der immer zunehmenden Dämmerung, als Romola endlich zu fragen wagte:

»Soll ich die Lampen anzünden, Vater, und wollen wir fortfahren?«

»Nein, Romola, wir wollen heute nicht mehr arbeiten. Kommt, Tito, und setzt Euch hier neben mich.«

Tito verließ das Lesepult und setzte sich auf die andere Seite Bardo's, dicht neben dessen linken Arm.

»Komm näher, meine Tochter,« fuhr Bardo nach einer kurzen Pause fort; und Romola setzte sich auf einen niedrigen Stuhl und ließ ihren Arm auf ihres Vaters rechtem Knie ruhen, damit er, wie er dies so gern that, seine Hand auf ihr Haar legen konnte.

»Tito, ich habe Euch nie erzählt, daß ich einst einen Sohn hatte,« sagte Bardo, ganz das, was ihm in der Aufregung bei Tito's erstem Besuch entfallen war, vergessend. Der alte Mann war tief erschüttert und fühlte sich, trotz seines Stolzes, gedrungen, seinen Gefühlen Lust zu machen. – »Aber er verließ mich, er ist todt für mich, ich habe ihn für immer verstoßen. Er war ein tüchtiger Gelehrter, gleich Euch, aber heftiger und ungeduldiger und auch zuweilen ganz ekstatisch und in sich selbst versunken, wie eine von Zeit zu Zeit genährte Flamme. Schon von früher Jugend an zeigte er einen Hang, seine Augen vom hellen Lichte der Vernunft und der Philosophie abzuwenden, um sich unter den Einfluß eines trüben, allen Regeln menschlicher Pflicht so wie allen Beweisgründen hohnsprechenden Mysticismus zu beugen. Und so endete es auch. Wir wollen nicht mehr von ihm sprechen, er ist für mich todt. Ich wünsche, sein Antlitz könnte aus jener Welt der Erinnerung, in welcher das Ferne heller zu werden und das Nahe zu verschwimmen scheint, auf immer verwischt werden«

Bardo hielt inne, aber weder Romola noch Tito wagten zu sprechen, seine Stimme zitterte gar zu heftig, und die Wage seiner Empfindungen schwankte zu sehr. Bald aber erhob er seine Hand und fand Tito's Schulter, auf der er sie ruhen ließ, während er mit einer sichtbaren Anstrengung, ruhiger zu scheinen, fortfuhr:

»Aber Ihr seid zu mir gekommen, Tito – und nicht zu spät. Ich werde keine Zeit mehr in müßigem Bedauern verlieren. Wenn Ihr an meiner Seite arbeitet, so kommt es mir vor, als habe ich einen Sohn wiedergefunden.«

Der Greis, einzig mit dem Hauptinteresse seines Lebens beschäftigt, dachte nur an das vielbesprochene Werk, welches die von Bernardo del Nero's Warnung angeregte Idee einer möglichen Verbindung zwischen Tito und Romola gänzlich in den Hintergrund gedrängt hatte. Aber Tito konnte es nicht gestatten, daß der Augenblick unbenutzt vorüberging.

»Wollt Ihr mich immer und gänzlich Euren Sohn sein lassen? Darf ich für Romola sorgen – ihr Gatte werden? Ich glaube, sie wird mich nicht verschmähen. Sie hat mir gesagt, daß sie mich liebt. Ich weiß, daß ich ihr weder an Geburt noch sonst worin gleichstehe, aber ich bin kein hülflos verlassener Fremdling mehr.«

»Ist das wahr, Romola?« fragte Bardo mit gedämpfter Stimme, indem ein sichtbares Beben ihn durchzuckte und den traurigen Ausdruck, der in seinen Zügen lag, verscheuchte.

»Ja, Vater,« antwortete Romola mit Festigkeit, »ich liebe Tito, ich wünsche ihn zu heirathen, damit wir Beide Eure Kinder sein und uns nie mehr von einander zu trennen brauchen.«

Zum ersten Male drückte Tito's Hand die ihrige, während sie sprach, aber Beider Augen ruhten gespannt auf dem Vater.

»Und warum sollte es nicht sein?« sagte Bardo in einem Tone, der eher klang, als ob er einen Widerspruch gegen seine Einwilligung beantworte, als daß er einwilligte, »es wäre ein großes Glück für mich, und auch Du, Romola, würdest dadurch glücklicher werden.«

Er strich zärtlich ihr langes Haar und neigte sich zu ihr herab.

»Ich wäre im Stande gewesen zu vergessen, daß Du noch einer andern Liebe als der meinigen bedurftest. Und Du wirst ein treffliches Weib werden. – Bernardo meint, daß ich kaum einen für Dich passenden Gatten finden werde. Vielleicht hat er Recht; denn Du bist nicht wie die große Mehrzahl Deines Geschlechts, Du bist ein Weib wie die, welche den unsterblichen Dichtern erschienen, wenn sie das Leben ihrer Helden besangen – zart, aber kräftig, wie Deine Stimme, welche mir in den Jahren meiner Blindheit statt des Lichts diente – also Du liebst ihn?«

Er saß wieder einige Augenblicke aufrecht da, und sagte dann in demselben Tone wie vorher: »und warum sollte es nicht sein? ich will es mir überlegen, ich werde mit Bernardo darüber sprechen.«

Tito empfand bei dieser Antwort einen kalten Schauder, denn Bernardo del Nero's Augen zeigten immer noch denselben lebhaften Argwohn, wenn sie auf ihn blickten, und die unangenehme Erinnerung an Fra Luca verwandelte jegliche Ungewißheit in Furcht.

»Legt ein gutes Wort für mich ein, Romola,« sagte er bittend. »Messer Bernardo spricht sicherlich gegen mich.«

»Nein, Tito,« entgegnete Romola, »mein Pathe wird sich Dem nicht widersetzen, was mein Vater ernstlich will. Und es ist doch Euer Wille, daß ich Tito heirathe, nicht wahr, Vater? Mir ist noch niemals früher etwas vorgekommen, was ich wirklich eifrig begehrt hätte; ich hielt es für unmöglich, daß ich mir aus etwas, was mir begegnen könnte, so viel machen könnte.«

Es war ein kurzer und einfacher Antrag, aber er enthielt die gesammelte Geschichte von Romola's selbstüberwindungsreichem, farblosem jungen Leben, welches seine ganze Leidenschaft auf die Sympathie mit altem Kummer, altem Ehrgeiz, altem Stolz und Zorn verwendet hatte. Es war Romola nie eingefallen, daß sie von ihrer Liebe zu Tito nicht eben so offen und nachdrücklich wie von irgend einem andern Gegenstande sprechen sollte.

»Meine theure Romola,« sagte der Vater, liebevoll seine Worte betonend, »es ist wahr, Du hast mich nie mit einem Dich betreffenden Wunsche behelligt, und ich bin nicht gesonnen, Deinen Wünschen entgegenzutreten, im Gegentheil, mein Herz war gleich bei Tito's ersten Worten bereit. Nichtsdestoweniger muß ich mit Bernardo über die nothwendig zu ergreifenden Maßregeln sprechen; denn wir dürfen nichts übereilt oder was sich nicht mit meinem Namen verträgt, thun. Ich bin arm und werde von den Reichen in unserer Familie gering geschätzt, ja, ich kann mich als einen hülflos verlassenen Mann betrachten, aber ich darf dabei doch nicht vergessen, daß edle Geburt ihre Verpflichtungen hat. Auch möchte ich von meinen Mitbürgern keine Vorwürfe wegen Uebereilung bei Verheirathung meiner Tochter hören. Bartolommeo Scala gab seine Tochter Alessandra dem Griechen Marullo, aber Marullo's Geschlecht war wohlbekannt, und Scala selbst ist von niederer Herkunft. Ich weiß, Bernardo wird darauf bestehen, daß wir uns Zeit lassen müssen, er wird mir vielleicht gar Vorwürfe wegen Mangels an Vorsicht vorwerfen; faßt Euch also in Geduld, Kinder, Ihr seid ja noch so sehr jung.«

Mehr konnte nicht gesagt werden, und Romola's Herz war vollkommen befriedigt. Nicht also das Tito's. Wenn die feine Mischung von Gut und Bös für menschliche Wahrheit und Reinheit Leiden bereitet, so schaffen dieselben gemischten Zustände auch dem Uebelthäter Leiden. Als an diesem Abende Tito beim Scheiden Romola küßte, brachte die Gewalt des Wonnebebens, das sein ganzes Wesen bei dem Gedanken durchzuckte, daß diese Jungfrau, deren Schönheit man sich kaum anders als eine nothwendige Folge ihres edlen Charakters denken konnte, sein Weib werden sollte, eine mächtige Reaction des Bedauerns hervor, daß er sich nicht frei gehalten hatte von jenem ersten Truge, welcher ihn in die Gefahr gestürzt hatte, vor ihr entehrt zu werden. Eine Quelle der Bitterkeit mischte sich mit dem Quell der süßen Empfindungen; sollte Fra Luca's Tod jene Quelle versiegen machen? Er hoffte es wenigstens.



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