Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Capitel.
Tito's Verlegenheit.


Als Fra Luca aufgehört hatte zu sprechen, stand Tito noch unentschlossen neben ihm, und nicht eher, als bis, nachdem das Gedränge der Spaziergänger vorüber war, der Mönch sich erhob und langsam in die Kirche von Santa Felicita ging, machte Tito sich auf den Weg, die Via de' Bardi hinab.

Wenn dieser Mönch, sagte er bei sich selbst, ein Florentiner ist, und wenn er hier bleibt, so muß Alles entdeckt werden! Er fühlte, daß eine neue Krise gekommen war, aber trotzdem war er nicht zu sehr aufgeregt, um Bardo seinen Besuch abzustatten und für seine Versäumniß um Verzeihung zu bitten. Tito's Talent für Verheimlichung wuchs rasch zu etwas minder Harmlosem heran. Noch war es möglich, vielleicht sogar unvermeidlich, offen und ehrlich die Aenderung der Verhältnisse hinzunehmen und Baldassarre's Existenz einzugestehen, wenn auch kaum, ohne ein widerwärtiges Licht auf seine bisherige Zurückhaltung zu werfen, die wie eine absichtliche Zweideutigkeit, um die Erfüllung heimlich als gerecht anerkannter Ansprüche zu vermeiden, erscheinen mußte, um gar nicht einmal von seiner ganz ruhig vorgenommenen Niederlassung und Anlegung seiner Gulden, während offenbar über seines Wohlthäters Schicksal nichts Gewisses bekannt war, zu reden. Es war wenigstens gerathen, vor der Hand zu thun, als ob nichts vorgefallen wäre, und er wollte in diesem Augenblicke nichts Entscheidendes überdenken; es war ja auch die ganze Nacht noch zum Ueberlegen da, und Niemand würde den genauen Termin erfahren, wann er den Brief erhalten hatte.

So trat er mit einem, wegen seines späten Erscheinens etwas weniger heiteren Gesicht als gewöhnlich in das Zimmer im zweiten Geschoß, wo Romola und ihr Vater zwischen Pergament und Marmor saßen, vom Straßenleben gleich entfernt an Feier- wie an Wochentagen. Dieses Bedauern über sein Zögern bedurfte keines Zeugnisses, da er es durch sein Fernbleiben vom Corso bethätigt hatte. Dann schickte er sich an, den Abend noch besonders zu beleben, obgleich die ganze Zeit über sein Gewissen, wie eine Maschine mit zusammengesetzter Thätigkeit, arbeitete, der Unterhaltung ganz fremde Stoffe hinterlassend, und als er die steinernen Treppen hinabstieg und aus der häßlichen Pforte hinaustrat in das Sternenlicht, hatte sein Geist in der That eine neue Stufe seiner Formung eines Planes erreicht.

Als er am folgenden Tage, nachdem er von seinen Lehrstunden frei war, die Via del Cocomero nach dem Kloster San Marco hinaufging, war er mit seinem Plane völlig im Reinen. Er wollte von Fra Luca genau erfahren, wie viel er von der Wahrheit muthmaßte, und aus welchem Grunde, und wie lange er in San Marco bleiben würde. Auf diese genauere Kenntniß der Sache hin hoffte er eine Darlegung zurecht zu machen, die ihn jedenfalls der Nothwendigkeit, Florenz zu verlassen, überheben würde. Tito hatte bisher niemals Gelegenheit gehabt, eine sinnreiche Lüge zu erfinden, jetzt war die Gelegenheit gekommen – die Gelegenheit, welche die Umstände stets für versteckte Falschheit herbeiführen, und sein Scharfsinn erprobte sich. Er hatte sich nämlich überzeugt, daß er gar nicht verpflichtet sei, Baldassarre nachzuforschen. Er hatte früher gesagt, daß er bei einer wirklichen Ueberzeugung vom Leben und Aufenthalt seines Vaters ohne Weiteres sich aufmachen würde, ihn aufzusuchen. Aber warum war er verpflichtet zu suchen? Was war, bei genauerer Untersuchung der Sache, der Zweck des ganzen Lebens Anderes, als die größte Menge von Vergnügungen aus demselben zu ziehen? Und war nicht sein jugendlich blühendes Leben eine Verheißung ungleich größerer Wonnen, nicht für ihn allein, sondern auch für Andere, als das verwelkte, winterliche Dasein eines Mannes, dessen Zeit lebendigen Genusses vorbei war, und dessen Gedanken jetzt zu kahler Starrheit erlahmt waren? Alle jene Gedanken waren in den frischen Boden von Tito's Geist gesäet und dort zu lebendigen Keimen geworden; so brachte es die Ordnung der Dinge mit sich, die Vorschrift der Natur, welche jede Reife als eine Bruthecke für die Jugend behandelt. Baldassarre hatte das Seinige gethan und seinen Antheil am 29 Leben genossen, jetzt kam die Reihe an Tito – so sagte dieser.

Und die Aussicht war so unbestimmt: »ich glaube, sie wollen mich nach Antiochia bringen;« was war das für eine Aussicht! Nach einer langen Reise Monate, vielleicht Jahre auf einer Entdeckungsreise zubringen, von der man selbst jetzt noch gar nicht gewiß wußte, ob sie nicht vergeblich wäre, und beim Aufbruche ein Leben voll Auszeichnungen und Liebe hinter sich lassen! und endlich, wenn er wirklich etwas fand, die alte anspruchsvolle Genossenschaft, die er aus Erfahrung schon vorher kannte, zu finden! Allerdings gehörten die Edelsteine, und also auch die Gulden, in gewisser Beziehung Baldassarre zu: das heißt in dem engeren Sinne, wodurch das Besitzthumsrecht in gewöhnlichen Fällen entschieden wird; aber von dem weiteren und wirklich natürlichen Standpunkte aus betrachtet, nach welchem die Welt der Jugend und Kraft angehört, waren sie eher sein Eigenthum, da er am meisten Genuß aus ihnen schöpfen konnte. Er war sich recht wohl bewußt, daß dieses nicht die Empfindung sei, welche das complicirte Spiel menschlicher Gefühle in der Gesellschaft erzeugt hatte. Die Leute umher würden von ihm erwarten, daß er ohne Weiteres diese Gulden zur Befreiung seines Wohlthäters verwendete. Aber was war die Empfindung der Gesellschaft? Weiter nichts als ein Gewirre unnatürlicher Ueberlieferungen und Ansichten, nach denen sich kein vernünftiger Mensch richtet, wenn nicht seine Behaglichkeit dabei in Betracht kommt. Nicht etwa, daß er sich etwas aus den Gulden machte; höchstens etwa Romola's wegen, sonst würde er die Gulden gern hingeben. Nur die ihm gebührende, seinen Lippen nahe gebrachte Freude war es, die er sich nicht verpflichtet hielt aufzuopfern und, vor Durst verschmachtend, weiter zu ziehen. Die Grundsätze, die von einem Menschen verlangten, daß er das Gute, das sein Leben verschönte, wegwerfen solle, waren weiter nichts als das nach außen gekehrte Futter menschlicher Selbstsucht; sie waren von Leuten ersonnen, welche begehrten, daß Andere sich ihretwegen aufopfern sollten. Es wäre ihm gewiß lieber gewesen, wenn Baldassarre nicht litt, er mochte nicht, daß überhaupt Jemand litt; aber gab es eine Philosophie, die ihm beweisen konnte, daß er sich um die Leiden Anderer mehr kümmern müsse, als um seine eigenen? Um das zu thun, hätte er Baldassarre inbrünstig lieben müssen, er liebte ihn aber nicht; war das sein Fehler? Dankbarkeit hatte, bei Licht betrachtet, gar keine gerechten Ansprüche. Das Leben seines Vaters wäre ohne ihn höchst traurig gewesen, und werden wir, als eine Verpflichtung gegen Menschen für das Vergnügen, das sie sich machen, habend, für schuldig erachtet?

Tito's Ueberlegung zeigte sich, nachdem sie einmal angefangen hatte, Baldassarre's Ansprüche hinweg zu deuteln, kräftig wie eine giftige Säure, indem sie alle Gewebe des Gefühls rasch zerfraß. Seinem Geiste fehlte es an jener Scheu, welche irrthümlicher Weise so dargestellt wird, als sei sie weiter nichts als die animalische Sorge um die eigene Haut – jene Scheu vor der Rachegöttin, welche die frommen Heiden empfunden, und, obgleich sie durch das Christenthum eine positive Gestaltung gewann, noch immer von der großen Masse der Menschen einfach als eine unbestimmte Furcht vor dem Unrechtthun gehegt wird. Diese Furcht vor dem Ungesehenen ist so hoch über der gewöhnlichen Sinnenfeigheit erhaben, daß sie eben jene Feigheit vernichtet; sie ist der Anfang zur Erkenntniß eines die Begierde zügelnden Sittengesetzes, und zähmt die herbe, kecke Forschung des unvollkommenen Gedankens nach Verpflichtungen, denen Niemand beim Mangel an Empfindung eine Heiligkeit einräumen wird. »Es ist gut,« so singen die alten Eumeniden beim Aeschylus, »daß die Furcht als Wächter der Seele dasteht und sie zur Weisheit zwingt; es ist gut, daß die Menschen beim vollen Sonnenscheine einen drohenden Schatten im Herzen tragen, denn wie sollten sie sonst lernen, das Recht zu ehren?« Dieses Wächteramt mag nutzlos werden, aber nur, wenn alle äußeren Gesetze nutzlos geworden sind, nur wenn Pflicht und Liebe zu einem Strom zusammengeflossen sind und eine gemeinsame Kraft gebildet haben.

Als Tito den äußeren Raum des San Marco-Klosters betreten und nach Fra Luca gefragt hatte, so war kein Schatten von Ahnung in seiner Seele; dazu fühlte er sich zu gebildet und zu skeptisch. Er war großgezogen in der Verachtung jener Erzählungen von Priestern, deren unkeusches Leben sprüchwörtlich geworden war, großgezogen in gelehrtem Vertrautsein mit Disputationen über das hauptsächliche Gute, die, Alles in Allem, seiner Meinung nach, dies als Geschmackssache aufgestellt hatten. Und doch war die Furcht ein bedeutendes Element in Tito's Charakter – die Furcht vor dem, was, wie er glaubte oder voraussah, ihm Vergnügen rauben könnte, und er hatte eine ganz deutlich ausgesprochene Furcht davor, daß Fra Luca das Mittel in Händen haben möchte, ihn aus Florenz zu vertreiben.

»Fra Luca? ach, der ist nach Fiesole – nach dem Dominikanerkloster dort gegangen. Er ward in der Morgenkühle in einer Sänfte dahin gebracht. Der arme Bruder ist sehr krank. Habt Ihr eine Bestellung an ihn zu hinterlassen?«

Diese Antwort ward von einem Fra converso oder Laienbruder gegeben, dessen Ausspruch deutlich davon zeugte, daß er ein roher Bauer war, und dessen stumpfer Blick keine Neugier verrieth.

»Ich danke, mein Geschäft hat keine Eile.«

Tito entfernte sich erleichtert. »Dieser Mönch,« sagte er bei sich selbst »wird schwerlich lange leben. Ich sah es ja, er ist ein reiner Schatten. Und in Fiesole ist wol nichts, was ihn an mich erinnern wird. Uebrigens wird meine Erläuterung, wenn er zurückkehren sollte, dann eben noch so zurecht kommen wie jetzt. Ich möchte aber doch wissen, was es eigentlich war, an das mich seine Züge erinnerten!«



 << zurück weiter >>