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Sechstes Capitel.
Aufdämmernde Hoffnungen


Als Maso die Thüre wiederum öffnete und die beiden Fremden einführte, stieß Nello, indem er sich zuerst tief vor Romola verneigte, Tito sanft vor sich her und näherte sich mit ihm dem alten Manne.

»Messer Bardo,« sagte er in einem ihm selbst fremden Tone der Mäßigung und Hochachtung, »ich habe die Ehre, Euch den griechischen Gelehrten vorzustellen, welcher es sich so sehr angelegen sein ließ, mit Euch zu reden, nicht minder wegen des Berichts, den ich ihm über Eure Gelehrsamkeit und Eure unschätzbaren Sammlungen gab, als wegen des Vortheils, den Eure Gönnerschaft ihm bei der augenblicklichen Noth, in welche ihn ein Schiffbruch gebracht hat, gewähren kann. Sein Namen ist Tito Melema, zu Euren Diensten.«

Romola's Staunen hätte kaum größer sein können, würde der Fremde ein Pantherfell und einen Thyrsusstab getragen haben, denn der schlaue Barbier hatte kein Wort über Alter oder Aussehen des Griechen fallen lassen, und unter den gelehrten Besuchern ihres Vaters hatte sie fast nur gesetzte oder grauköpfige Männer gesehen.

Es gab nur ein männliches Antlitz, jung und schön, dessen Bild tief in ihre Seele gegraben war, das ihres Bruders, welcher vor langen Jahren sie auf seinen Schoos genommen, sie geküßt hatte, und niemals wiedergekommen war, ein liebes Antlitz mit, sonnenhellen Haaren, gleich den ihrigen. Aber ihre gewöhnliche Stimmung Fremden gegenüber – ein stolzes Selbstvertrauen und der Entschluß: nichts, auch nicht einmal durch ein Lächeln zu begehren, – von ihres Vaters Klagen über die Ungerechtigkeit der Welt noch verstärkt, glich einem den Erguß bewundernden Staunens eindämmenden Schneedeiche.

Tito's leuchtendes Antlitz zeigte seine Schönheit in ihrer vollen, von keiner andern übertroffenen Farbe über seiner schwarzen bis an die Kniee reichenden Tunica.

Es war wie ein Frühlingskranz, der plötzlich in Romola's junges aber winterliches Leben fiel, das nichts als Erinnerungen geerbt hatte: Erinnerungen an eine todte Mutter, an einen verlorenen Bruder, an die besseren Tage eines blinden Vaters, Erinnerungen an entschwundene Lichtfülle, Liebe und Schönheit, welche in dunklen Gruben von Büchern lagen, und die kaum wieder in ihrem Glanze strahlen konnten, wenn sie nicht durch die Fackel eines bekannten Freundes wieder für sie entzündet wurden.

Trotzdem erwiderte sie Tito's Verbeugung bei seinem Eintritt mit demselben bleichen, stolzen Gesichte, das sie zu zeigen pflegte; als er sich aber näherte, schmolz der Schnee, und als er sie wieder anzublicken wagte, während Nello sprach, überflog eine tiefe Röthe ihr Antlitz, die aber eben so schnell wieder entschwand, als wenn ihr gebieterischer Wille sie verscheucht hätte.

Tito's Blick dagegen zeigte jene sanfte, flehende Bewunderung, welche die gewinnendste Berufung an ein stolzes und schüchternes Mädchen, und vielleicht die einzige Entschuldigung des Mannes für seine zu große Schönheit ist. Der vollendete Zauber seiner Miene stammte hauptsächlich von dem Mangel an Begehren und Anmaßung her. Es war die Miene eines leichten, sanftfelligem schwarzäugigen Thieres, welches Euch gefällt, weil es nicht gleichgiltig von Euch fortspringt, sondern unvermuthet sein Kinn in Eure Hand legt und zu Euch aufblickt, als wünschte es, daß Ihr es streichelt, als liebte es Euch

»Messere, ich heiße Euch willkommen,« sagte Bardo mit einiger Herablassung. »Mißgeschick mit Gelehrsamkeit und besonders griechischer Gelehrsamkeit verbunden, ist ein Beglaubigungsschreiben, um das Ohr jedes unterrichteten Florentiners zu gewinnen. Ihr werdet wissen, daß seit jener Zeit, da Euer Landsmann Manuello Crisolora das Licht seiner Gelehrsamkeit in den Hauptstädten Italiens verbreitete, es mögen wol hundert Jahre her sein, kein Mann den Namen eines Gelehrten verdient, der nur die verpflanzte und abgeleitete Literatur der Lateiner kennt; ja die Faullenzer werden als opici oder Barbaren gebrandmarkt, wie die Römer selbst, die ihre Urnen ganz frei und offen an der Urquelle füllten, sie benannten. Ich bin, wie Ihr bemerkt und wie Euch Nello zweifelsohne vorher schon mitgetheilt haben wird, gänzlich blind; ein Gebrechen, dem wir Florentiner ganz besonders unterworfen sind, sei es nun wegen der kalten Winde, welche im Frühjahr von den Apenninenpässen auf uns herabstürmem oder wegen des plötzlichen Ueberganges aus der kühlen Dunkelheit unserer Häuser in den blendenden Glanz unserer Sommersonne, wodurch es, wie man sagt, so viele lippi (Blödsichtige) unter den alten Römern gab, oder sei es aus irgend einer, unserer oberflächlichen Vermuthung spottenden, geheimen Ursache. Doch ich bitte Euch, nehmt Platz! Setzt Euch, Freund Nello.«

Bardo hielt inne, bis sein seines Ohr ihn überzeugt hatte, daß die Gäste sich setzten und daß Romola ihren gewöhnlichen Sitz an seiner rechten Seite einnahm; dann fuhr er fort:

»Aus welchem Theile Griechenlands kommt Ihr, Messere? Ich hatte geglaubt, daß Euer unglückliches Vaterland fast alle Söhne verloren hätte, die in ihrem Herzen noch ein Bild seines ursprünglichen Ruhmes bergen konnten, obgleich allerdings in neuester Zeit die barbarischen Sultane sich nicht ungeneigt gezeigt haben, den kostbaren Weinstock, den ihre rohen Schaaren umgehauen und unter die Füße getreten hatten, auf ihren wilden Stamm zu pfropfen. Aus welcher Gegend Griechenlands kommt Ihr?«

»Ich komme zunächst von Nauplia,« antwortete Tito »habe aber in Constantinopel und Thessalonichi gelebt, und viele, seit den Siegen der türkischen Waffen von abendländischen Christen wenig besuchte Länder durchreist. Ich muß Euch aber sagen, Messere, daß ich nicht in Griechenland, sondern in Bari geboren bin. Die ersten sechszehn Jahre meines Lebens brachte ich in Süditalien und Sicilien hin.«

Während Tito so sprach, glitt eine Bewegung über Bardo's feine Züge, wie ein Hauch über Gewässer; er neigte sich vornüber, streckte seine Rechte nach Romola und wendete sein Haupt nach ihr hin, als ob er zu ihr sprechen wolle; dann aber, wie sich besinnend, wandte er sich wieder ab und sagte mit gedämpfter Stimme:

»Verzeiht! nicht wahr, Ihr seid jung?«

»Dreiundzwanzig Jahre,« antwortete Tito.

»So?« fuhr Bardo im Tone unterdrückter Aufregung fort. »Und Ihr hattet ohne Zweifel einen Vater, der für Euern ersten Unterricht sorgte? der vielleicht selbst ein Gelehrter war?«

Es verflossen einige Momente, ehe Tito's Antwort zu Bardo's Ohren gelangte, aber für Romola und Nello begann diese Antwort mit einem leisen Beben, das ihn zu rütteln und seine Lippen einen Augenblick zucken zu machen schien, wahrscheinlich bei dem Erwachen einer äußerst schmerzlichen Erinnerung. Endlich erwiderte er:

»Ja, wenigstens einen Adoptivvater; er war ein Neapolitaner und gleich vollkommen im Griechischen wie im Lateinischen bewandert; aber,« fuhr er nach einem abermaligen kurzen Schweigen fort, »ich habe ihn auf einer Reise, die er zu eilig nach Delos unternahm, verloren.«

Bardo lehnte sich wieder zurück, da er zu feinfühlend war, um noch eine Frage zu thun, die einen Schmerz erregen konnte, der, wie er ahnte, noch zu neu war.

Romola, wol wissend, welche Gefühle Tito's Stimme in ihrem Vater berührt hatte, fühlte, daß dieser neue Bekannte wunderbar schnell innerhalb der Schranken, welche zwischen ihnen und der Außenwelt lagen, angelangt war. Nello, welcher dachte, daß diese offenbare Stockung in der Unterhaltung ihm eine angenehme Gelegenheit, sich vom Stillschweigen zu befreien bot, sagte:

»In Wahrheit, es ist klar wie venetianisches Glas, daß dieser bel giovane die schönste Erziehung genossen hat, denn die beiden Cennini haben ihn bereits bei ihren griechischen Büchern beschäftigt, und wie mir scheint, sind das nicht die Leute, die zu schneiden anfangen, ehe sie die Schärfe ihrer Instrumente geprüft haben; sie haben ihn gehörig vorher probirt, dessen können wir gewiß sein, und wenn es zwei Dinge gibt, die sich nicht verbergen lassen: Liebe und der Husten, so sage ich, daß es noch ein drittes gibt, nämlich die Unwissenheit, wenn Jemand einmal etwas Anderes thun soll, als den Kopf schütteln. Der tonsor inaequalis (der ungleich-scheerende Barbier) muß sich nothwendig verrathen, wenn er die Scheere in die Hand nimmt, nicht wahr, Messer Bardo? Ich spreche nach Art eines Barbiers, aber wie Luigi Pulci sagt:

Perdonimi s'io fallo: chi m'ascolta
Intenda il mio volgar col suo latino.
« Verzeiht mir, wenn ich fehle; wer mich hört, verstehe mit seinem Latein meinen Volksdialect. – D. Uebers.

»Mein guter Nello,« sagte Bardo mit einer Miene freundlicher Strenge »Ihr seid nicht ganz und gar ungebildet, und hättet sicher anständigere Fortschritte in der Gelehrsamkeit machen können, wenn Ihr Euch etwas mehr von der Cicalata und dem Straßeneckengeschwätz, das unsere Florentiner so sehr gern haben, fern gehalten hättet; noch mehr aber, wenn Ihr Euer Gedächtniß nicht mit den leichtfertigen Productionen beschwert hättet, von denen Luigi Pulci die sündhaftesten geliefert hat, ein wahres Compendium von Extravaganzen und den, am weitesten von den Mustern eines reineren Zeitalters entfernten Unschicklichkeiten, die eher den grylli oder Einfällen einer Periode gleichen, wo mystischer Sinn als Vollmacht für Ungeheuerlichkeit der Form galt; seit dem Unterschiede, daß, während die Ungeheuerlichkeit geblieben, der mystische Sinn verschwunden ist, in verachtungswürdigem Contrast mit dem großen Gedichte Virgil's, der, wie ich lange Zeit mit Filelfo übereinstimmte, ehe noch Landino es übernommen hatte, dieselbe Meinung zu expliciren, die tiefsten Lehren der Philosophie in einer anmuthigen und gut gearbeiteten Fabel verkörperte. Und ich kann nicht umhin, die Vermehrung dieser plappernden, regellosen Producte, obgleich sie durch den Schutz und das Beispiel Lorenzo's, des sonst so großen Freundes wahrer Gelehrsamkeit, aufgemuntert sind, als ein Merkmal anzusehen, daß die glänzenden Hoffnungen dieses Jahrhunderts in Dunkel erlöschen werden; ja, daß sie das gleißnerische Vorspiel eines Zeitalters waren, das noch schlechter ist als das eherne, nämlich des Zeitalters von Flittern und fliegenden Sommerfäden, in dem kein Gedanke so viel Substanz hat, um in eine feste und dauerndes Form gebracht zu werden.«

»Nochmals bitte ich um Entschuldigung,« sagte Nello, seine Handfläche nach Außen zu öffnend und die Achseln zuckend, »ich weiß so viele Sachen in gutem Toskanisch, ehe ich Zeit habe, daran zu denken, wie sie auf Lateinisch heißen, und Messer Luigi's Reime führen meine Kunden stets im Munde, das verderbt mich. Doch, weil wir gerade von Kunden sprechen, da fällt mir eben ein, daß ich meinen Laden und meinen Ruf schon zu lange unter der Obhut meines faulen Sandro gelassen habe, der nicht einmal den Namen eines tonsor inaequalis verdient, sondern einfach ein, was man in der Volkssprache Pfuscher nennt, ist. So will ich denn mit Eurer Erlaubniß, Messer Bardo, mich verabschieden, wohlverstanden, daß ich, so oft Maso mich ruft, zu Euren Diensten stehe. Es kommt mir immer wie tausend Jahre vor, bis ich das Haar des Fräuleins flechte und salbe, dieses Haar, welches werth ist, am Himmel als Sternbild zu scheinen, obgleich es Schade wäre, wenn es so weit aus unserem Bereich käme.«

Drei Stimmen tönten in freundlicher Fuge Nello, als er mit einer Verbeugung gegen Romola und einem Nicken von Titus Abschied nahm, als Lebewohl nach. Der schlaue Barbier merkte, daß der hübsche Junker, der sich wie durch Zauber in seine Zuneigung eingeschlichen, auch bedeutende Fortschritte in Bardo's freundlicher Beachtung gemacht hatte; und zufrieden, daß seine Einführung so weit nicht mißlungen war, fühlte er, daß es schicklich sei, sich zu entfernen.

Durch den kleinen Erguß von Aerger, den Nello's unglückliches Citat hervorgebracht hatte, war Bardo's Geist von den Gefühlen, die vorher das Gespräch in's Stocken gebracht hatten, abgewendet worden, und er redete Tito mit seiner gewöhnlichen Ruhe an:

»Ach, junger Mann, Ihr seid glücklich, daß Ihr im Stande waret, die Vortheile des Reisens mit denen des Studiums vereinigen zu können, und Ihr werdet unter uns willkommen sein als ein Herold neuer Mittheilungen aus einem Lande, das uns leider ohne die Agenten eines jetzt so beschränkten Handels und ohne die Erzählungen rasch vorübereilender Pilger ganz entfremdet wäre. Denn jene Tage liegen weit hinter uns, die ich selbst erlebte, als Leute wie Aurispa und Guarino nach Griechenland wie nach einem Magazin gingen und mit Manuscripten, die jeder Gelehrte sich zu leihen, aber, man muß sich schämen es zu gestehen, nicht immer zurückzugeben geneigt war, beladen zurückkehrten; selbst die Tage, als gelehrte Griechen unseren Ufern zuströmten, um dort Schutz zu suchen, scheinen längst verschwunden zu sein, länger als das Herannahen meiner Blindheit. Allein ohne Zweifel waren Nachforschungen nach den Schätzen des Alterthums dem Zwecke Eurer Reisen nicht fremd, junger Mann?«

»Sicherlich nicht,« entgegnete Tito, »im Gegentheil, mein Begleiter, mein Vater, war gesonnen, sein Leben an seinen Eifer für die Entdeckung von Inschriften und anderen Spuren alter Civilisation zu setzen.«

»Und es wird doch gewiß ein Bericht über seine Forschungen und deren Ergebnisse vorhanden sein?« sagte Bardo eifrig, »da dieselben noch kostbarer sein mußten, als sogar die Ciriaco's, die ich selbst fleißig benutzte, obgleich sie nicht immer mit angemessener Gelehrsamkeit erklärt sind.«

»Ein solcher Bericht war allerdings vorhanden,« antwortete Tito, »aber er ging mit allem Uebrigen bei dem Schiffbruch, den ich unterhalb Ancona's erlitt, verloren; der einzige Bericht, der noch existirt, ist der in unserem – in meinem Gedächtniß aufbewahrte.«

»So dürft Ihr keine Zeit verlieren, ihn zu Papiere zu bringen, junger Mann,« sagte Bardo mit steigendem Interesse. »Ohne Zweifel erinnert Ihr Euch vieler Dinge, wenn Ihr beim Copiren halft, denn als ich in Eurem Alter war, gruben sich Worte in meine Seele ein, als ob sie dort von dem Stichel des Formschneiders eingravirt worden wären. Deshalb staune ich immer über die Wunderlichkeit des Gedächtnisses meiner Tochter, welches gewisse Gegenstände mit Zähigkeit auffaßt, und alle die kleinen Umstände, von denen die Genauigkeit, die Seele der Gelehrsamkeit abhängt, vergißt; aber bei Euch erwarte ich solche Gefahr nicht, junger Mann, wenn Euer Wille mit den Vorzügen Eurer Erziehung gleichen Schritt gehalten hat.«

Als Bardo diese Anspielung auf seine Tochter machte, erlaubte sich Tito, seine Augen auf sie zu richten, und bei der Klage gegen ihr Gedächtniß nahmen seine Züge ihr heiterstes Lächeln an, welches so unvermeidlich wie plötzlich hervorbrechende Sonnenstrahlen von denen Romola's zurückgeworfen wurde. Man denke sich die ihr so wohlthuende Wonne dieses Lächelns!

Romola hätte sich nie träumen lassen, daß es einen Gelehrten in der Welt gebe, der ihr wegen eines Gebrechens, dessen sie sich stets schuldig fühlen mußte, zulächeln würde.

Es war ihr wie das Aufdämmern einer neuen Empfindung, der der Kameradschaft. Sie wendeten ihr Blicke nicht sogleich von einander fort, als sei das Lächeln ein gestohlenes gewesen, sondern sie sahen einander an und lächelten einander zu mit dem Gefühle eines offenen und ehrlichen Genusses.

»Sie ist wirklich nicht so kalt und stolz,« dachte Tito.

»Ich möchte wissen, ob er auch vergißt,« dachte Romola, »ich hoffe nicht, sonst würde er meinem Vater Verdruß machen.«

Aber Tito war genöthigt, sich abzuwenden, um auf Bardo's Frage zu antworten.

»Ich habe,« sagte er, »viele Uebung im Copiren gehabt, aber in den Fällen, wo Inschriften während denkwürdiger Auftritte, die durch das Gefühl der damit verbundenen Wagnisse und Gefahren einen doppelt tiefen Eindruck machten, copirt wurden, mag es wol vorgekommen sein, daß mein Gedächtniß, was die geschriebenen Charaktere betrifft, geschwächt wurde. Aus der Ebene am Eurotas oder unter den gigantischen Steinen von Mycenä oder Tyries wird, besonders wenn die Furcht vor den Türken wie ein Geier über Einem schwebt, der Geist verwirrt, selbst wenn die Hand das treu nachschreibt, was das Auge dictirt. Etwas habe ich allerdings noch im Gedächtnisse behalten,« fügte Tito mit einer Bescheidenheit, die nicht erheuchelt war, hinzu, obgleich er wol wußte, daß sie eigentlich nur Politik war, »etwas, das vielleicht Nutzen gewähren könnte, wenn ein größerer Gelehrter als ich es erläuterte und verbesserte.«

»Wohlgesprochen, junger Mann,« sagte Bardo ganz entzückt, »und die Beihilfe, die ich Euch geben kann, will ich Euch nicht entziehen, wenn Ihr Euch mit mir über Eure Erinnerungen besprechen wollt. Ich sehe im Geiste ein Werk voraus, welches ein nützlicher Anhang zu Cristoforo Buondelmonte's Isolario sein, und auf einer Stufe mit den Itineraria des Ciriaco und des bewundernswerthen Ambrogio Traversari stehen wird. Aber wir müssen auf Verläumdung gefaßt sein, junger Mann,« fuhr Bardo energisch fort, als ob das Werk schon so weit vorgeschritten wäre, daß die Zeit der Prüfung sich nahte, »wenn Euer Buch neue Mittheilungen enthält, so wird man Euch der Fälschung zeihen, wenn meine Erläuterungen gegen irgend ein Princip eines andern Gelehrten verstoßen sollten, so wird unser persönlicher Charakter angegriffen werden, man wird uns niederträchtiger Handlungen bezichtigen, Ihr müßt darauf vorbereitet sein, daß man Euch sagt, daß Eure Mutter ein Fischweib, Euer Vater ein abtrünniger Priester oder ein gehenkter Verbrecher war. Ich selbst habe es erlebt, daß man, als ich einmal einen Irrthum hinsichtlich einer einfachen Präposition aufdeckte, ein Pasquill gegen mich schrieb, in dem mir Verrätherei, Betrug, Unsittlichkeit und selbst scheußliche Verbrechen vorgeworfen wurden. Das, mein junger Freund, sind die Blumen, mit denen der ruhmvolle Pfad der Gelehrten bestreut ist. Aber sagt mir: ich habe bereits vor geraumer Zeit von Demetrio Calcondila, der erst vor kurzem Florenz verlassen hat, viel über Byzantium und Thessalonichi erfahren; aber Ihr habt, wie mir scheint, weniger bekannte Orte besucht?«

»So ist's; wir machten, was ich eine gefahrvolle Pilgerfahrt nennen möchte, um Plätze zu besuchen, welche fast gänzlich aus der Erinnerung des Abendlandes verschwunden sind, weil sie weitab von dem gewöhnlichen Pfade der Pilger liegen, und mein Vater pflegte zu sagen, daß selbst Gelehrte glauben, daß sie nur in den Büchern existiren. Er meinte, daß eine neue und schönere Aera für die Gelehrsamkeit anbrechen würde, wo man anfangen würde, seine Commentare über alte Schriftsteller in den Ueberbleibseln von Städten und Tempeln, ja in den Flußbetten und in Thälern und auf Bergen zu suchen.«

»Ah,« rief Bardo leidenschaftlich, »Euer Vater war also kein gewöhnlicher Mensch. War er glücklich, darf ich fragen? hatte er viele Freunde?« Diese letzten Worte wurden in einem bedeutungsvollen Tone gesprochen.

»Nein, Feinde hatte er, besonders, wie ich glaube, wegen eines gewissen ungestümen Freimuths; und sie hinderten sein Fortkommen, so daß er in Dürftigkeit lebte. Und er wollte sich nie herbeilassen nachzugeben – nie konnte er eine Beleidigung vergessen.«

»So?« rief Bardo wieder mit einem tiefen, langgedehnten Tone.

»Unter unseren gefährlichen Expeditionen,« fuhr Tito fort, um ferneren Fragen über eine so persönliche Angelegenheit vorzubeugen, »erinnere ich mich besonders lebendig eines flüchtigen Besuchs in Athen. Unsere Eile und die doppelte Gefahr, daß die Türken uns zu Gefangenen machten und daß unsere Galeere ihre Anker lichtete, ehe wir zurückkehren konnten, machten diesen Ausflug zu einer Art fieberischer Nachtvision – die weite Ebene, die umgebenden Berge, die Ruinen von Portico's und Säulen, die in der Ferne emporragten, als wichen sie vor unseren eiligen Schritten zurück, oder in verworrenen Massen zwischen den Wohnungen zu Sklaven entwürdigter Christen, oder zwischen den Forts und Thürmen ihrer moslemitischen Eroberer, die in der Akropolis nisteten, eingeklemmt lagen!«

»Ihr setzt mich in Erstaunen,« rief Bardo, »Athen ist also nicht, wie ich glaubte, gänzlich zerstört und vertilgt?«

»Dieser Irrthum Eurerseits nimmt mich nicht Wunder, denn selbst wenige von den Griechen, die jenseits der Gebirgsscheide Attika's wohnen, wissen etwas von dem gegenwärtigen Zustande Athens oder – wie die Seeleute es nennen – Setine's. Ich erinnere mich, daß der griechische Lootse, den wir am Bord unserer venetianischen Galeere hatten, als wir das Vorgebirge von Sunium umschifften, auf die ungeheuren Säulen deutete, die auf dem Gipfel des Felsens stehen – wie Ihr wißt, die Ueberbleibsel des Tempels der Göttin Athene, die von diesem erhabenen Altar triumphirend auf ihren besiegten Nebenbuhler Poseidon herabschaut – und sagte: ›dies war die Schule des großen Philosophen Aristoteles.‹ – Und in Athen selbst bestand der Mönch, welcher uns bei dem flüchtigen Besuche als Führer diente, darauf, uns den Platz, wo der heilige Philippus den äthiopischen Eunuchen taufte, oder eine ähnliche Sage, zu zeigen.«

»Sprecht mir nicht von Mönchen und ihren Legenden, junger Mann,« rief Bardo, Tito heftig unterbrechend, »es ist genug, menschliche Hoffnungen und Entwürfe mit einem ewigen Frost zu überziehen, wenn man daran denkt, daß auf dem Boden, welcher von Philosophen und Dichtern betreten wurde, diese Insektenschwärme alberner Fanatiker oder heulender Heuchler herumkriechen.«

» Per Dio,« sagte Tito achselzuckend »Sklaverei paßt zu einer Religion wie die dieser Leute, die in der Abschwörung alles dessen liegt, was anderen Menschen das Leben verschönt. Und sie tragen das Joch, das sich für sie ziemt; ihre Morgengesänge werden von der Stimme des Muëzzin, der von der Galerie des hohen Thurmes auf der Akropolis die Moslim zum Gebet ruft, übertönt. Dieser Thurm steigt vom Parthenon selbst auf, und jedesmal, als wir stehen blieben und unsere Blicke dahin richteten, erhob unser Führer einen Wehruf, daß ein Tempel, der einst den teuflischen Ceremonien der Heiden abgewonnen war, um das Heiligthum einer andern Jungfrau als Pallas, nämlich der jungfräulichen Gottesmutter zu werden, jetzt wieder zu den verfluchten Zwecken der Moslim dienen müßte. Der Anblick dieser Mauern der Akropolis, welche sich in der Ferne zeigten, als wir über den Bord unserer, von Gegenwinden in dem Piräus zu ankern gezwungenen Galeere lehnten, war es, der den Geist meines Vaters zu dem Entschlusse anfeuerte, Athen auf jede Gefahr hin zu sehen, trotz der Warnungen der Seeleute, daß sie, wenn wir bis zu einem Umspringen des Windes zögerten, ohne uns abfahren würden. Es war indessen unmöglich, der Akropolis zu nahen, denn der Anblick von Leuten, die ›alte Steine‹ untersuchten, erweckte den Verdacht, daß wir venetianische Spione wären, und wir mußten zum Hafen zurückeilen.«

»Wir werden über diese Sachen noch weiter sprechen,« sagte Bardo eifrig »Ihr müßt Euch Alles, bis auf die kleinste in Eurer Erinnerung zurückgebliebene Spur, in's Gedächtniß zurückrufen. Ihr werdet Euch die Dankbarkeit der Nachwelt erwerben, wenn Ihr einen Bericht über den Anblick hinterlaßt, den Griechenland gewährte, als die Barbaren noch nicht jede Spur der Bauwerke, die Pausanias und Plinius beschrieben, vertilgt hatten. Ihr werdet diese großen Schriftsteller zu Mustern nehmen, und das, was mein reiferer Geist Euch als kritische und Conjecturalbeigaben gewähren kann, daran soll es Euch nicht fehlen. Es wird viel zu sagen sein, denn Ihr habt, wie Ihr sagtet, Reisen im Peloponnesus gemacht?«

»Ja, und in Böotia gleichfalls! Ich habe in den Hainen des Helikon geruht und aus der Quelle Hippokrene getrunken, aber an jeden merkwürdigen Ort in Griechenland hat eine Eroberung nach der andern ihr Siegel gelegt, bis eine solche Verwirrung des Eigenthumsrechts selbst in den Ruinen herausgekommen ist, daß nur sorgfältiges Studiren und Vergleichen sie lösen kann. Hoch über jeden festen Platz, von den Ebenen Lakedämons bis zu den Engpässen von Thermopylä ragt eine gewaltige fränkische Burg, einstmals von irgend einem italiänischen oder französischen Marquis bewohnt, jetzt aber verlassen oder von türkischen Schaaren besetzt, empor.«

»Halt!« rief Bardo, dessen Geist jetzt zu sehr von den Ideen des künftigen Buches eingenommen war, als daß er Tito's fernerer Erzählung irgend eine Aufmerksamkeit geschenkt hätte, »wollt Ihr lateinisch oder griechisch schreiben? Griechisch paßt allerdings mehr zu Euern Gedanken und ist das edlere von den beiden Idiomen; andererseits aber ist Latein die Sprache, in der wir uns mit der größeren und berühmteren Zahl unserer heutigen Nebenbuhler messen werden. Und wenn Ihr darin nicht so bewandert seid, so will ich Euch helfen, ja, so will ich Euch die langgesammelten Studien weihen, die ursprünglich in ein anderes Werk fließen sollten – in ein Werk, bei dem ich selbst einen Gehülfen hätte haben sollen.«

Bardo hielt einen Augenblick inne, dann fügte er hinzu:

»Aber wer weiß, ob jenes Werk nicht dennoch noch vollendet wird? Denn auch Ihr, junger Mann, seid von einem Vater erzogen worden, der alle die lang angesammelten Fluthen seiner Kenntnisse und Erfahrungen in Euren Geist leitete. Unsere Unterstützung kann eine gegenseitige sein.«

Romola, die ihres Vaters wachsende Aufregung bemerkt hatte und recht wohl die verborgenen Strömungen der Gefühle errieth, die jede einzelne Frage oder Bemerkung hervorriefen, glühte vor fieberhafter Angst. Sie richtete ihre Augen beständig auf Tito, um den Eindruck zu beobachten, den die Worte ihres Vaters auf ihn machten, indem sie befürchtete, daß er am Ende die Visionen von Mitarbeiterschaft, die ihres Vaters Antlitz mit neuer Hoffnung verklärten, zu nichte machen würde. Er sah aber so mild, so lieblich aus, er mußte gleich ihr fühlen, daß in diesem ängstlichen Eifer blinden Greisenthums genug Jammer lag, um eine unerschöpfliche Geduld zu erwecken. Und um wie viel mehr würde er dies fühlen, wenn er von ihrem Bruder wüßte. Ein Mädchen von achtzehn Jahren denkt sich die Gefühle in einem Antlitz, das sie mit seiner sympathetischen Jugend ergriffen hat, mit solcher Leichtigkeit wie Naturvölker die Laune der Götter im schönen Wetter erblickten – an was sollte sie denn auch sonst glauben, wenn nicht an solche aus dem Innern kommende Erscheinung? –

Und in der That war Tito nicht im Mindesten ungeduldig; er war froh dazusitzen mit dem Gefühle, daß Romola's Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet war, und daß er sie gelegentlich ansehen konnte. Es freute ihn, daß Bardo sich für ihn interessirte, und er verweilte nicht ernsthaft genug bei der Aussicht auf das Werk, für welches er Beistand erhalten sollte, um dadurch zu etwas Anderem als zu jener leichten, ihm eigenthümlichen gemüthlichen Hingebung angeregt zu werden.

»Ich werde mich stolz und glücklich fühlen,« sagte er, in Beantwortung von Bardo's letzten Worten, »wenn meine Dienste als eine passende Gabe für Messer's reife Gelehrsamkeit angesehen würden; allein ohne Zweifel« – und dabei sah er Romola an – »macht das liebliche Fräulein, Eure Tochter, alle andere Hülfe überflüssig; denn ich habe von Nello gehört, daß sie von ihrer Kindheit an in die tiefsten Studien eingeweiht wurde.«

»Ihr irrt,« entgegnete Romola, »ich genüge meinem Vater keineswegs; ich besitze nicht die zur Gelehrsamkeit nothwendigen Gaben.«

Romola sprach diese sie selbst herabsetzende Mittheilung nicht im Tone ängstlicher Demuth, sondern mit stolzem Ernste.

»Nein, liebe Romola,« erwiderte ihr Vater, der nicht wollte, daß der Fremdling einen zu geringen Begriff von den Fähigkeiten seiner Tochter bekäme, »es fehlt Dir durchaus nicht an Fähigkeiten, im Gegentheil, Du bist mehr begabt als sonst die Weiber sind, aber Du hast doch die zarte Constitution des Weibes, welche immer Ruhe und Abwechselung verlangt, und so eine unstäte Phantasie gebiert. Meine Tochter« – und dabei wandte er sich gegen Tito – »ist mir unschätzbar gewesen, indem sie nach Kräften Sohnes Stelle vertreten hat, denn ich hatte einst einen Sohn – –«

Hier unterbrach sich Bardo selbst, er wollte nicht in Gegenwart eines Fremden eine klagende Haltung einnehmen, und er erinnerte sich, daß dieser junge Mann, für den er so unerwarteter Weise Theilnahme gefühlt hatte, noch ein Fremder war, dem gegenüber es geziemender schien die Stellung eines Gönners zu behaupten. Sein Stolz war durch die Furcht, seiner Würde etwas vergeben zu haben, doppelt lebhaft angeregt.

Er fuhr also in seinem ursprünglichen Ton der Herablassung fort: »Aber wir kommen von dem ab, was, wie ich glaube, für Euch das Allerwichtigste ist. Nello berichtete mir, daß Ihr einige Gemmen besitzt, die Ihr zu veräußern gesonnen seid, und daß Ihr eine Empfehlung an einen reichen Mann von Geschmack, der Euch dieselben abkaufte, wünscht.«

»Das ist wahr, denn obgleich ich eine Beschäftigung als Corrector bei den Cennini bekommen habe, so läßt meine Besoldung doch wenig Raum über die kleinen nothwendigen Bedürfnisse, und würde mir noch weniger lassen, wenn nicht mein Freund Nello darauf besteht, daß ich eine Wohnung beziehen und daß von Bezahlung der Miethe erst in besseren Zeiten die Rede sein soll.«

»Nello ist ein gutmüthiger Verschwender,« sagte Bardo, »und obschon er mit seinem allezeit fertigen Ohr und Mund zu sehr dem übelberüchtigten Margites gleicht, viele Dinge, aber alle schlecht wissend, wie ich ihm eben sagte, so ist er doch ein ›abnormer Gelehrter‹ nach Art unserer eingebornen Florentiner. Aber habt Ihr die Gemmen bei Euch? Ich möchte wol gern wissen, was sie sind – doch wozu nützt das? nein, nein! es möchte meinen Kummer noch vermehren. Ich kann meiner Sammlung Nichts hinzufügen.«

»Ich habe ein paar intagli von großer Schönheit,« sagte Tito, indem er sich anschickte aus seiner Tasche ein Kästchen hervorzuziehen.

Aber kaum gewahrte Romola diese Bewegung, als sie ihn mit bedeutsamem Ernste ansah und den Finger an die Lippen legte:

» con viso che tacendo dicea, taci. Mit einer Miene, welche schweigend sagte: schweige! – D. Uebers.

Sie wußte recht gut, daß Bardo, wenn er merkte, daß die Gemmen in seiner unmittelbaren Nähe wären, eine genaue Beschreibung derselben verlangen, und daß es ihm wehe thun würde, wenn sie ihm entgingen, selbst falls er nicht auf eine Idee geriethe, wie er sie trotz seiner Armuth an sich bringen könne. Kaum aber hatte sie Tito dies Zeichen gemacht, als sie sich auch schon schuldig fühlte und sich schämte, einem Fremden die Schwächen ihres Vaters wirksam offenbart zu haben. Es schien, als sei sie bestimmt, zu diesem jungen Griechen in eine, ihrem sonst so festgewurzelten Stolze und ihrer Zurückhaltung ganz fremde Vertraulichkeit treten zu müssen, und dieses Bewußtsein rief auf's Neue die ungewohnte Röthe auf ihre Wangen.

Tito verstand Blick und Zeichen, und zog alsbald seine Hand vom Kästchen, indem er obenhin, als wolle er nur an seine letzten Worte anknüpfen, sagte: »sie sind aber gewöhnlich im Verschlusse von Messer Domenico Cennini, der sichere und feste Aufbewahrungsplätze für solche Sachen hat. Er taxirt sie auf wenigstens fünfhundert Ducaten.«

»O, dann müssen es schöne intagli sein,« sagte Bardo, »fünfhundert Ducaten! mehr als das Lösegeld für einen Menschen!«

Tito zuckte kaum bemerkbar zusammen, und sah mit seinen langen dunklen Augen und wie mit fragendem Staunen den blinden Bardo an, als ob jene Worte – die doch weiter nichts als eine gewöhnliche Redensart waren, wie dergleichen zu einer Zeit, da oft Menschen aus der Sklaverei oder der Gefangenschaft losgekauft wurden, gang und gäbe waren – mit besonderm Bezug auf ihn gesprochen worden wären. Dann blickte er aber sogleich Romola an, als ob deren Augen die Dolmetscher ihres Vaters wären. Auf Alles, was ihren Vater betraf, im höchsten Grade aufmerksam, meinte sie, daß Tito sie wieder anblickte, um sich Rath bei ihr zu erholen, und sie begann daher alsbald:

»Ihr wißt ja, daß Alessandra Scala eine große Freundin von Gemmen ist, Vater! Sie nennt sie ihre Winterblumen, und der Secretär würde gewiß einige von denen des Messere kaufen, wenn sie es wünschte. Ueberdies sammelt er selbst einen großen Vorrath von Ringen und Siglen, die er als Mittel gegen Gelenkschmerzen trägt.«

»Es ist wahr,« sagte Bardo, »Bartolommeo hat ein zu großes Vertrauen auf die Kraft der Steine, ein Vertrauen, das weiter geht als von Plinius gutgeheißen wird, welcher es ganz offen ausspricht, daß er manchen Glauben dieser Gattung für müssigen Aberglauben hält, wiewol er nicht so weit geht, die medicinischen Eigenschaften der Steine gänzlich zu läugnen. Deshalb trage ich selbst, wie Ihr bemerken werdet, gewisse Ringe, die der kluge Camillo Leonardi mir brieflich vorschrieb, als ich vor etwa zwei Jahren eine Art plötzlicher Lähmung fühlte. Aber Du hast wahr gesprochen, Romola, ich werde einen Brief an Bartolommeo dictiren, den Maso ihm bringen soll. Aber es wäre gut, wenn Messere Dir mittheilte, was es für Edelsteine sind, und welche intagli sich auf ihnen befinden, als Beweis für Bartolommeo, daß sie jener Aufmerksamkeit würdig sind.«

»Nicht doch, Vater,« sagte Romola, deren Besorgniß, daß ein Anfall von Sammlermanie ihren Vater überkommen möchte, ihr den Muth gab, seinem Vorschlag zu widersprechen. – »Euer Wort wird genügen, daß der Herr ein vielgereister Gelehrter ist. Der Secretär wird keiner Veranlassung weiter bedürfen, um ihn zu empfangen.«

»Wahr, mein Kind!« sagte Bardo, in dessen Herzen eine anklingende Saite berührt war, »es bedarf keiner Beweise und Proben bei Bartolommeo, um meine Worte zu bestätigen, und ich bezweifle nicht, daß das Aussehen dieses jungen Mannes mit dem Tone seiner Stimme harmonirt, so daß er, wenn die Thüre einmal geöffnet ist, sein bester Advocat sein wird.«

Bardo schwieg einige Augenblicke, aber in seinem Schweigen lag augenscheinlich eine Idee, die er zu äußern zauderte, denn er neigte sich einmal vornüber, als wolle er sprechen, dann wandte er den Kopf seitwärts nach Romola hin und sank wieder zurück in den Sessel. Endlich sagte er, als habe er einen Entschluß gefaßt, in einem Tone, der sich für einen Fürsten, welcher Jemanden gnädig entläßt, gepaßt hätte.

»Ich bin heute Morgen etwas ermüdet, und es wäre mir lieber, Euch morgen wieder zu sehen, wo ich dann im Stande sein werde, Euch die Antwort des Secretärs zu übergeben, die Euch ermächtigt, Euch ihm zu einer bestimmten Stunde vorzustellen; ehe Ihr aber geht« – hier wurde die Stimme des Greises unwillkürlich unsicher – »werdet Ihr mir vielleicht erlauben, Eure Hand zu berühren? Es ist so lange her, daß ich die Hand eines jungen Mannes berührte.«

Bardo hatte seine alte weiße Hand ausgestreckt, und Tito legte alsbald seine gebräunten, aber schlanken zarten Finger hinein. Die Finger des Greises schlossen sich krampfhaft um dieselben her, und er hielt sie einige Augenblicke schweigend fest; dann hub er an:

»Romola, hat der junge Mann dieselbe Gesichtsfarbe wie Dein Bruder – bleich und licht?«

»Nein, Vater,« antwortete Romola mit erzwungener Fassung, obgleich ihr Herz in widerstrebenden Empfindungen zu pochen begann, »das Haar Messere's ist schwarz, seine Gesichtsfarbe dunkel.« Bei sich selber sagte sie: »wird er sich Etwas daraus machen? wird es ihm unangenehm sein? o nein, er sieht so lieb und gutmüthig aus,« – dann fuhr sie laut fort:

»Würde Messere meinem Vater wol erlauben sein Haar und Antlitz zu berühren?«

Ihre Augen sahen ihn schüchtern bittend an, während sie dies fragte, und Tito's sanfter Blick begegnete dem ihrigen, indem er sagte: »ohne Zweifel!« Dann, indem er sich vornüber beugte, führte er Bardo's Hand an seine Locken mit einer bereitwilligen Zustimmung, die für Romola um so beruhigender war, als Tito dies ohne ein Zeichen von Verlegenheit that.

Bardo fuhr mit der Hand hin und her über die langen Locken und faßte sie ein wenig fester, als ob ihr spiralförmiger Widerstand sein inneres Gesicht heller machte; darauf strich er ihm Stirn und Wange, dem Profil mit der Seite der Handfläche und dem vierten Finger folgend und die Breite seiner Hand auf dem vollen Oval seiner Wange ruhen lassend, dann, nachdem dieselbe von dort herabgeglitten, auf des jungen Mannes Schulter ruhte, sagte er:

»Ach, Romola, er muß Deinem Bruder durchaus nicht ähnlich sehen, desto besser. Ich hoffe, junger Freund, daß Ihr kein Visionär seid?«

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thüre, und unangemeldet trat ein hoher, ältlicher Mann in einem schönen schwarzseidenen lucco ein, der, als er sein becchetto vom Halse losmachte und seine Mütze abnahm, ein Haupt, eben so weiß als das Bardo's zeigte. Er warf einen scharfen Blick des Erstaunens auf die Gruppe vor ihm; der junge Fremde in jener kindlichen Stellung, Bardo's Hand auf seiner Schulter ruhend und Romola mit vor Angst und Aufregung weit geöffneten Augen daneben sitzend. Aber jetzt trat eine blitzschnelle Veränderung der Gruppe ein: Bardo ließ seine Hand sinken, Tito erhob sich aus seiner gebeugten Stellung, und Romola stand auf, um den Gast mit einer Fröhlichkeit zu begrüßen, welche von um so größerer Intimität zeugte, als sie auch nicht von dem kleinsten Lächeln begleitet war.

»Nun, Töchterchen,« sagte der stattliche alte Herr, indem er Romola's Schulter berührte – »Maso sagte mir zwar, Ihr hättet einen Gast, ich bin aber dennoch eingetreten.«

»Ah, Du bist es, Bernardo,« sagte Bardo, »nun, Du bist zur guten Stunde gekommen. Dieses, junger Mann,« fügte er hinzu, während Tito sich erhebend eine Verbeugung machte, »ist einer der angesehensten Bürger von Florenz, Messer Bernardo del Nero, mein ältester, beinahe hätte ich gesagt: mein einziger Freund, dessen gute Meinung, wenn Ihr sie erwerben könnt, Euch tüchtig vorwärts zu bringen vermag. Bernardo, der Messere ist erst dreiundzwanzig Jahre, aber er kann Dir Vieles erzählen, was Dich interessiren wird, denn obgleich er ein Gelehrter ist, hat er schon weite Reisen gemacht, und noch andere Dinge als Manuscripte, die Du lange nicht hoch genug achtest, gesehen.«

»Aha, wahrscheinlich ein Grieche,« sagte Bernardo, Tito's Verbeugung nachlässig erwidernd und ihn mit einem jener Blicke prüfend, die wie feiner Stahl zu schneiden scheinen, »wie es scheint erst in Florenz angekommen! Messere's Namen, oder wenigstens einen Theil davon, denn er ist sicher sehr lang?«

»Im Gegentheil,« antwortete Tito mit vollkommen guter Laune, »er ist bescheidenerweise ganz frei von vielsylbigem Pomp, mein Name ist Tito Melema.«

»In der That?« sagte Bernardo etwas geringschätzig, indem er sich setzte, »ich hatte erwartet, daß er wenigstens so lang sein würde wie die Namen einer Stadt, eines Flusses, einer Provinz und eines Landes zusammengenommen. Wir Florentiner machen es mit den Namen gewöhnlich wie mit den Krabben, wir ziehen ihnen alle äußere Hüllen ab, ehe wir sie in den Mund nehmen.«

»Also, Bardo,« fuhr er dann fort, als ob der Fremde einer weiteren Beachtung nicht würdig wäre, und von dem Ton sarkastischen Argwohns in den der Trauer übergehend, »wir haben ihn begraben!«

»Ach ja,« erwiderte Bardo im gleich traurigen Tone, »und eine neue Epoche, ich fürchte eine sehr trübe, beginnt jetzt für Florenz. Lorenzo hat eine Erbschaft hinterlassen, die dem Laboratorium des Alchymisten gleicht, wenn die Weisheit des Alchymisten verschwunden ist.«

»Nicht so ganz,« entgegnete Bernardo, »Piero de' Medici hat viel Geist; seine Fehler sind nur die des heißen Blutes. Ich liebe den Knaben, denn das wird er mir immer sein, wie ich ihm stets sein ›Väterchen‹ gewesen bin.«

»Aber alle Neuerungslustige werden neue Hoffnungen schöpfen, ich fürchte wir werden die alten Parteikämpfe wieder erleben.«

»Wenn wir,« sagte Bernardo, »eine neue Ordnung des Staats haben könnten, die etwas Anderes ist als einen Wappenschild herabwerfen, um einen andern dafür hinzustellen, so würde ich gleich sagen: ich gehöre keiner Partei an, ich bin ein Florentiner! So lang es sich aber um Parteien handelt, bin ich ein Anhänger der Medici's und will es bis zu meinem Tode bleiben. Ich denke darin ganz wie Farinata degli Uberti: wenn mich Jemand fragt,was das heißt eine Partei ergreifen, so werde ich wie er sagen: Jemandem wohl oder übel wollen für frühere Unbilden oder Freundschaft.«

Während dieses kurzen Zwiegesprächs war Tito aufgestanden und beurlaubte sich jetzt.

»Komm morgen,« sagte Bardo höflich, ehe Tito das Zimmer verließ, »um dieselbe Zeit wieder, damit ich Euch Bartolommeo's Antwort mittheilen kann.«

»Aus welcher Himmelsgegend ist dieser hübsche griechische Junker so dicht neben Deinen Sessel herabgefallen, Bardo?« fragte Bernardo del Nero, als die Thür sich geschlossen hatte. Er sprach mit einem trockenen Nachdruck, der augenscheinlich darauf berechnet war, Bardo etwas mehr anzudeuten, als in den einfachen Worten lag.

»Er ist ein Student, der Schiffbruch gelitten und einige Edelsteine gerettet hat, für die er einen Käufer zu finden wünscht. Ich will ihn an Bartolommeo Scala weisen, denn Du weißt, daß es von mir klüger ist, nichts mehr anzukaufen.«

Bernardo zuckte die Achseln und sagte dann: »Romola, willst Du nicht einmal nachsehen, ob mein Diener draußen ist? ich habe ihm befohlen, hier auf mich zu warten.«

Als Romola weit genug entfernt war, neigte er sich vornüber und flüsterte Bardo in leisem, aber nachdrücklichem Tone zu:

»Vergiß nicht, Bardo, daß Du selbst einen kostbaren Edelstein besitzest, und sieh Dich vor, daß ihn Niemand bekommt, der etwa nicht den gehörigen Preis dafür zahlen kann. Dieser hübsche Grieche hat eine gewisse Glätte, die wunderbar danach angethan scheint, in jedes Nest zu schlüpfen, auf das er speculirt.«

Bardo fuhr erschreckt zusammen; die Ideenverbindung zwischen Tito und dem Bilde seines verlorenen Sohnes hatte den Gedanken an Romola gänzlich entfernt, statt ihn hervorzurufen; aber sogleich schien eine Rückwirkung bei ihm einzutreten, welche diese Warnung als eine Hoffnung, an die er sich klammerte, erscheinen ließ.

»Und warum nicht, Bernardo? wenn der junge Mann sich als würdig bewährt – er ist ein Gelehrter und – und – es würde keine Schwierigkeiten wegen der Mitgift haben, was Dich ja immer so düster stimmt.«



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