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Achtes Capitel.
Ein Gesicht in der Menge.


Es ist leicht für Nordländer, frühzeitig am Mittsommermorgen aufzustehen, den Thau am Grasrande des staubigen Landwegs zu sehen, die frischen Sprößlinge zwischen dem dunkleren Grün der Eiche und Föhre im Unterholz zu gewahren, und über den Thorweg nach der gemähten Wiese zu blicken, ohne daran zu denken, daß es der Namenstag St. Johannes des Täufers ist.

Nicht so für den Florentiner, am allerwenigsten für den Florentiner des fünfzehnten Jahrhunderts. Ihm hatte gerade an diesem Morgen der Schimmer der östlichen Sonne auf dem Arno etwas Eigenthümliches, das Läuten der Glocken war ihm eine deutlich vernehmbare Sprache, die ihm sagte, daß dieses das große Sommerfest von Florenz, der Tag von S. Giovanni sei.

San Giovanni war seit wenigstens achthundert Jahren der Schutz-heilige von Florenz; seit jener Zeit, als Theudelinde, die Königin der Lombarden, ihren Unterthanen befohlen hatte, ihm besondere Ehre zu erweisen, ja schon, so sagt der alte Villani, nach seinem besten Wissen, seit den Tagen Constantin's des Großen und des Papstes Sylvester, als die Florentiner ihr altes Idol, den Mars absetzten, den sie trotzdem sich wol hüteten schlecht zu behandeln, denn während sie ihren schönen und edlen Tempel zu Ehren Gottes und des » beato Messere Santo Giovanni« einweihten, stellten sie den alten Mars ehrfurchtsvoll auf einen hohen Thurm nahe dem Arnoflusse, indem sie in alten Denkschriften fanden, daß er unter gewissen siderischen Einflüssen zu ihrem Schutzgott erwählt worden war, daß, wenn er zertrümmert oder sonst unwürdig behandelt würde, die Stadt großen Schaden und Veränderungen erleiden könnte. Aber im fünfzehnten Jahrhundert war diese zarte Rücksicht auf die Empfindungen des »männermordenden« Gottes längst entschwunden; der Gott mit Speer und Schild blickte nicht mehr am Ufer des Arno hernieder, und man hielt dafür, daß die Vertheidigungsmittel der Republik in ihrer Kunst und ihren Goldkoffern lägen; denn Speer und Schild konnte man mittelst der Goldgulden miethen, und auf den Goldgulden war stets das Gepräge des heiligen Johannes gewesen.

Florenz hatte viel Glück seit den dunklen Zeiten des Kampfes zwischen dem alten und dem neuen Patron der Stadt gehabt.

Freilich hatte es manchmal Zwist und Blutvergießen zwischen Guelfen und Ghibellinen, zwischen Schwarzen und Weißen, zwischen rechtgläubigen Söhnen der Kirche und ketzerischen Paterini, manche Ueberschwemmung, Hungersnoth und Pestilenz, aber auch vielen Reichthum und Ruhm gegeben.

Florenz hatte manche ummauerte Städte, die einst mächtiger waren als jenes selbst, erobert, besonders aber das gehaßte Pisa, dessen Marmorgebäude zu hoch und schön, dessen Masten zu geehrt waren an den griechischen und italiänischen Küsten. Der Name »Florenz« ward immer stolzer an allen Höfen Europas, ja selbst in Afrika, wegen der reinsten Goldprägung, der schönsten Gewebe und Färbereien, der hervorragendsten Gelehrsamkeit und Poesie und der feinsten Köpfe in Diplomatie und Börsengeschäften; Florenz war ein so allgegenwärtiger Name, daß ein witziger Papst die Florentiner »das fünfte Element« genannt hatte.

Und für dies erhabene Geschick, obgleich es hauptsächlich von den Sternen und der Madonna dell' Impruneta abhängen mochte und sicherlich von anderen höheren, minder oft genannten Mächten abhing, hatte man sich sehr beim heiligen Johannes, dessen Bild sich auf den schönen Goldgulden befand, zu bedanken.

Deshalb war es nicht mehr als billig, daß der Johannistag, dieses schon zu den Zeiten des heiligen Augustinus so ehrwürdige Kirchenfest, für Florenz ein Tag besonderer Lust sein, und von einem genau nach der alten Florentiner Weise eingerichteten Vorabend eingeleitet werden mußte, einer Vorfeier mit vielem Tanzen, vielen Gassenscherzen und wol auch mit etlichem Steinschleudern und Fenstereinwerfen, aber besonders in die Augen fällig mit gewissen Straßenschauspielen, wie sie eben nur eine Stadt liefern konnte, die in ihren Diensten einen so tüchtigen Ingenieur und Architekten wie Cecca, gleich verwendbar bei Belagerungen und öffentlichen Aufzügen hatte. Mit Beihülfe Cecca's schienen die Heiligen, von ihrem mandelförmigen Heiligenschein umgeben und mit ihrer fröhlichen Gesellschaft geflügelter Cherubim auf Wolken schwebend, wie man sie heute noch auf den Gemälden Perugino's sieht, an diesem Vorabend der Johannisfeier ihr Stück Himmel in die engen Gassen herabgebracht zu haben und dieselben langsam zu durchziehen.

Ja, was noch wunderbarer war, man sah Heilige von riesiger Größe mit einem Gefolge von Engeln, nicht etwa sitzend, sondern auf eine gemessene mysteriöse Weise durch die Straßen schweben, gleich einer Procession kolossaler von den hohen Kuppeln und Emporkirchen der Gotteshäuser herabgestiegener Gestalten.

Die Wolken waren von gutem, gewobenem Stoffe gemacht, die Heiligen und Cherubim waren noch nicht zur ewigen Herrlichkeit eingegangene Sterbliche, die von festen Stangen gehalten wurden, und jene mysteriösen Riesengestalten waren wirkliche, schwindelfreie Menschen auf Stelzen, gleich den griechischen Tragöden durch ungeheure Larven und ausgestopfte Schultern vergrößert.

Das wäre aber ein jämmerlich phantasieloser Florentiner gewesen, der nur daran gedacht hätte, ja, er wäre sogar etwas gottlos gewesen, denn wohnte nicht den bildlichen Darstellungen heiliger Gegenstände eine Eigenschaft dieser Gegenstände selbst inne? Und wenn darauf eine Gesellschaft lustiger, schwarzer, mit Krallen und Peitschen und anderen ähnlichen Werkzeugen wolbewaffneter Teufel folgte, um aus dem Stegreif Possen mit Prügeln und Kleiderzerreißen darzustellen, nun, so war das eben die Art und Weise, wie die Teufel Festvorabende feierten, und auch sie konnten ja von Decke und Emporkirche herabgestiegen sein.

Der toskanische Geist glitt vom Religiösen zum Burlesken eben so rasch wie das Wasser um eine Ecke herum, und die Heiligen waren ja auch schon an der Reihe gewesen, sie waren schon fürbaß gezogen und rasteten jetzt pflichtgemäß vor den Pforten von S. Giovanni, um ihm am Vorabend seines Festes ihre Huldigung darzubringen. Und am nächsten Morgen, dem auf solche Art eingeleiteten Tage, geziemte es sich, daß die Florenz von allen abhängigen Städten, Districten und Dörfern (ob sie nun erobert waren, unter dem Schutze von Florenz standen oder ihm seit undenklicher Zeit angehört hatten) dargebrachten Tributsymbole am Altare S. Giovanni's in der alten achteckigen Kirche, einst der Kathedrale, jetzt der Taufcapelle, wo jeder Florentiner das Zeichen des Kreuzes mit dem heiligen Chrisam auf die Stirne erhielt, niedergelegt wurden; es geziemte sich, daß die ganze Stadt, vom weißhaarigen Greise bis zum kleinsten Bürschchen, von der Matrone bis zum stammelnden Kinde ihre besten Feierkleider dem großen Tage zu Ehren trug, und um das große Schauspiel zu sehen; es war ferner geziemend, wenn die Sonne zur Rüste ging und die Straßen kühler wurden, daß das großartige Wettrennen oder der Corso stattfand, wobei die ungesattelten Pferde im reichen Geschirr quer durch die Stadt von der Porta al Prato im nordwestlichen Ende über den Mercato vecchio zu der Porta Santa Croce am südöstlichen Ende liefen, wo die glänzendsten palii oder Sammet- und Brokatbanner mit Seidenbesatz und Goldfransen, wie es einer Stadt zukam, welche zur Hälfte die feingekleidete Welt mit Zeug versah, auf einem Triumphwagen, die Sieger oder Eigenthümer der Sieger erwartend, standen.

Darauf folgte noch mehr Tanz; ja, den ganzen Tag, so sagt ein alter Chronikenschreiber zu Anfang jenes Jahrhunderts, waren da Hochzeiten und große Versammlungen mit so vielem Pfeifen, Musiciren und Singen, mit Bällen, Festen, mit Fröhlichkeit und Gepränge, daß man diese Erde für ein Paradies hätte halten können.

Im jetzigen Jahre 1492 wäre eine solche Verwechselung nicht so leicht gewesen.

Der prachtliebende und gewandte Lorenzo war todt, und der anmaßende, unbehutsame Piero war an seine Stelle getreten; ein schlechter Tausch für Florenz, wenn nicht etwa das kluge Pferd den schlechten Reiter vorzog, weil er leichter aus dem Sattel zu werfen ist. Schon nahmen die Klagen um Lorenzo ab und die leise geäußerten Wünsche nach einer Regierung auf breiterer Basis nahmen in demselben Maße zu – nach einer Regierung, in welcher der Bestechung Einhalt gethan werden und dem allgemeinen Ehrgeiz, welcher das Freiheitsideal der guten, alten, streitsüchtigen, kämpfereichen Zeit war, da Florenz seine großen Gebäude errichtete, seine eigenen Soldaten hielt, Herrscher, die die Tyrannen spielen wollten, mit der Schärfe des Schwertes vertrieb, und stolz darauf war, zu seinem eigenen Schaden Treue und Glauben zu bewahren, freier Spielraum gewährt werden konnte.

Lorenzo war todt, der Papst Innocenz lag im Sterben, und eine mißliche neapolitanische Erbfolge nebst einem intriguirenden, ehrgeizigen Mailänder Eine Art Echinit. – D. Uebers. konnte binnen Kurzem Italien übereinander bringen; die Zeiten konnten sehr leicht recht schlimm werden. Doch war dies Alles desto mehr ein Grund, daß die Republik ihre religiösen Feste beging.

Und der Morgen des 24. Juni im Jahre 1492 war nicht minder hell als gewöhnlich. Schon am frühesten Morgen waren die symbolischen Geschenke, welche in Procession umhergetragen werden sollten, an ihrem Ausgangspunkte auf der Piazza della Signoria aufgestellt, auf jener berühmten Piazza, wo damals (so wie noch heutigen Tages) der massive, mit Thürmchen versehene, Palazzo vecchio genannte Volkspalast und die geräumige, von Orcagna erbaute Loggia standen und die der Schauplatz aller großen Staatsceremonien war. Der Himmel bildete das schönste, blaue Zelt, unter dem die Glocken so kräftig läuteten, daß jeder böse Geist, der Verstand genug hatte, um furchtbar sein zu können, längst Reißaus genommen haben mußte; Fenster und Terrassen auf den Dächern lebten von menschlichen Gesichtern; finstere steinerne Häuser sahen durch die herabhangenden Draperien freundlich aus; der kühn emporragende Palastthurm, der noch ältere viereckige von Bargello und der nahen Badia schienen hoch oben die Wacht zu halten, und drunten, auf den breiten, vieleckigen Quadern der Piazza zeigte sich das stattliche Gepränge von Bannern und Rossen, mit reichen Decken und gigantischen ceri oder Kerzen, die man mit Fug und Recht »Thürme« nannte – seltsam vergrößerte Nachkommen jener Fackeln, bei deren schwachem Licht die Kirche zuerst in den Katakomben betete. Schon am frühesten Morgen mußten alle Processionen sich unter dem Mittsommerhimmel von Florenz in Bewegung setzen, wo sie den Schutz der engen Gassen dann und wann mit dem blendenden Licht der offenen Plätze zu vertauschen hatten, und die Sonne mußte hoch am Himmel stehen, ehe der lange Zug seinen Marsch auf der Piazza di San Giovanni beendigt hatte.

Aber hier mußte der Zug halten, die prachtliebende Stadt mit ihrem talentvollen Cecca hatte ein anderes Zelt als den Himmel hergerichtet; die ganze Piazza del Duomo, von dem Octogon der Taufcapelle in ihrer Mitte bis zu der Façade der Kathedrale und den Mauern der Häuser an den anderen Seiten des Vierecks, war bis zur Höhe von vierzig Fuß und darüber, mit einer blauen, von schön gesteppten gelben Lilien und den Familienwappen gezierten Draperie bedeckt, während Bündel vielfarbiger Fahnen an passenden Ecken unter dem sich über sie wölbenden Blau herabhingen – ein prachtvolles regenbogenhelles Schirmdach für die harrenden Zuschauer, die sich aus den Fenstern herablehnten und, eine schmale Einfassung des Straßenpflasters bildend, sich nach dem Herannahen des Zuges sehnten.

Unter diesen Zuschauern befand sich Tito Melema. Glänzend, inmitten alles Glanzes, saß er an dem Fenster des Zimmers oberhalb des Nello'schen Ladens da, seinen rechten Ellbogen auf die rothe vom Fenstergesimse herabhängende Draperie gelehnt und das Haupt rückwärts gebeugt und von der rechten Hand gestützt, welche die Locken gegen das Ohr zurückdrückte. Sein Gesicht zeigte jene, gleichweit von Reizbarkeit wie von Schwerfälligkeit oder Trübsinn entfernte Lebhaftigkeit, welche den bei Männern und Weibern beliebten Gesellschafter anzeigt, den Gesellschafter, der niemals aus unbequemer Eitelkeit oder übertriebenem, animalischem Muthwillen zudringlich oder lärmend ist, und dessen Stirne nie von Zorn oder Bosheit gefurcht wird. Man bemerkte an ihm keine andere Veränderung seit den zwei Monaten (oder noch länger), die seit seinem ersten Erscheinen in der verwitterten Tunica und Hosen verflossen waren, als jenen größeren Glanz, das Zeichen des Glücks, welcher der eben bemerkbaren Reinheit einer Blume gleicht, nachdem sie die Morgensonnenstrahlen eingeschlürft hat. Dicht hinter ihm, in dem engen Winkel zwischen seinem Stuhl und den Fensterrahmen eingezwängt, stand die hagere Figur Nello's im Festgewande, zu seiner Linken der jüngere Cennini: Pietro, der gelehrte Corrector der Probebogen, nicht Domenico der Arbeiter. Tito blickte abwechselnd bald auf die Scenen unten, bald auf die bunte Menge von Zuschauern und plaudernden Gruppen um ihn, von denen einige eingetreten waren, nachdem sie den Anfang der Procession auf der Piazza della Signoria mit angesehen hatten. Piero di Cosimo brachte sie zum Lachen wegen seiner Grimassen und Flüche über das Gelärme der Glocken, gegen welche keine Art die Ohren zu verstopfen etwas verschlug, denn je mehr er die Ohren verstopfte, desto heftiger fühlte er die Schwingungen an seinem Schädel, und er versicherte, daß er sich bei einem Feste künftig an dem einsamsten Fleck des Valdarno verbergen würde, wenn er nicht verdammt wäre, als Maler den Geheimnissen der Färbung aufzulauern, die mitunter bei dem Wallen der Banner und den zufälligen Gruppirungen der Menge zu erspähen wären.

Tito hatte eben sein lachendes Gesicht von dem seltsamen Kauz von Maler abgewendet, um auf das kleine Drama, welches sich unter der buntscheckigen Einfassung von Zuschauern abspielte, herniederzusehen, als er an der Ecke der Marmorstufen vor dem Dom, Nello's Laden fast gerade gegenüber, das Gesicht eines Mannes erblickte, das nach ihm emporgerichtet war und einen Blick auf ihn heftete, der mehr auszudrücken schien als das gewöhnliche, flüchtige Anschauen eines Fremden. Es war ein Gesicht mit einem tonsurirten Haupt, das aus dem schwarzen Mantel und der weißen Tunika eines Dominikaner-Mönchs hervorsah, eine gewöhnliche Erscheinung in Florenz, aber der Blick hatte für Tito etwas ganz Eigenthümliches an sich. Es lag eine keinesweges unangenehme Kunde darin, aber welche angenehme Verbindung hatte er jemals mit Mönchen gepflogen? Keine! Der Blick und die Mittheilung darin hatten kaum länger gedauert als ein Blitzstrahl.

»Nello,« rief Tito rasch, aber gleich darauf fuhr er im Tone der Enttäuschung fort, »er hat sich umgewendet; es war jener hohe, hagere Mönch, welcher die Stufen hinaufsteigt. Ich wollte Euch fragen, ob Ihr etwas über ihn wißt?«

»Einer von den Predigermönchen,« antwortete Nello gleichgültig, »Ihr werdet doch nicht glauben, daß ich das Privatleben der Krähen kenne?«

»Mir scheint das Gesicht bekannt,« sagte Tito, »ein ungewöhnliches Gesicht.«

»Wie? Ihr meintet wol, es sei unser Fra Girolamo? Zu groß; und der zeigt sich auch nicht auf so zufällige Weise.«

»Uebrigens ist dieser lautbellende Hund des Herrn Ein Wortspiel mit »Dominikaner« ( Domini canes, die Hunde des Herrn); diese Benennung hatten sie selbst angenommen, und sie ist sinnbildlich in einer von Simone Memmi für die Dominikaner gemalten Freske dargestellt. eben jetzt nicht in Florenz,« sagte Francesco Cei, der Volksdichter »er hat sich Piero de Medici's Wink: seine Schmähwahrsagungen ein wenig auf Reisen zu führen, zu Nutzen gemacht.«

»Der Mönch schmäht und prophezeit gegen Niemanden,« sagte ein Mann im gesetzten Alter an der anderen Ecke des Fensters »er wahrsagt nur gegen das Laster, und wenn Ihr das für einen Angriff auf Eure Gedichte haltet, Francesco, so ist das nicht der Fehler des frommen Bruders.«

»Er ist jetzt in den Dom gegangen,« sagte Tito, der die Gestalt aufmerksam beobachtet hatte, »nein, Nello, in dem Irrthume habe ich mich nicht befunden. Euer Fra Girolamo hat eine lange Nase und dicke Unterlippe. Ich sah ihn einmal, er ist nicht schön, aber dieser Mann – –«

»Genug von Euren Beschreibungen!« rief Cennini »hört! seht! da kommen die Reiter und die Banner! Diese Standarte,« fuhr er fort, seine Hand vertraulich auf Tito's Schulter legend, »die da auf dem Pferde mit der weißen Decke getragen wird, mit dem rothen Adler, der den grünen Drachen zwischen den Klauen hält, und mit der rothen Lilie über dem Adler, ist die der Guelfen, und die Reiter rings darum sind die Hauptanführer dieser Partei. Das ist eines unserer stolzesten Banner, obgleich wir darüber murren; es bedeutet den Triumph der Guelfen, dieser bedeutet den Triumph des Willens von Florenz, und dieser bedeutet hinwiederum den Triumph der popolani

»Nun, so fahre doch fort, Cennini,« sagte der ältliche Mann am Fenster, »und dieser bedeutet den Triumph der fetten popolani über die mageren, und dieser bedeutet seinerseits den Triumph des fettesten popolano über die minder fetten.«

»Cronaca, Ihr werdet sententiös,« entgegnete der Drucker, »die Predigten Fra Girolamo's werden Euch verderben und machen, daß Ihr das Leben beim unrechten Ende anfaßt. Glaubt mir, Eure Karniese werden die Hälfte ihrer Schönheit verlieren, wenn Ihr sie erst mit Bitterkeit versetzt; das ist die deutsche Manier, gegen die Ihr zu predigen pflegtet, als Ihr von Rom kamt. Beim nächsten Palaste, den Ihr baut, werden wir sehen, wie Ihr versucht, die Lehren des Mönchs in Stein zu verarbeiten.«

»Das ist ein herrlicher Aufzug von Cavalieren,« rief Tito, der inzwischen die beste Art, sich bei den Florentinern beliebt zu machen, gelernt hatte, »sind aber nicht Fremde darunter? Ich sehe ausländische Trachten.«

»Gewiß,« antwortete Cennini »Ihr seht da die Oratores von Frankreich, Mailand und Venedig, hinter ihnen deutsche und englische adelige Herren, denn es ist ein Herkommen, daß alle Gäste von Rang dem heiligen Johannes in diesem Fahnenzuge ihre Huldigungen darbringen. Ich meinestheils glaube, daß unsere florentinischen Cavaliere eben so gut zu Pferde sitzen als jene steifen Nordländer, deren Verstand in ihren Fersen und Sätteln liegt, und was jenen Venetianer dort betrifft, so meine ich, er würde sich viel behaglicher auf dem Rücken eines Delphins fühlen. Wir müssen etwas von der Reitkunst verstehen, denn wir in Italien sind Alle Meister im Turnieren, und das Geld, was es uns kostet! Aber Ihr werdet nachher noch einen viel schöneren Aufzug von unseren vorzüglichsten Männern sehen, Melema; mein Bruder selbst wird unter den Officieren der Zecca sein.«

»Die Banner sind das Beste an der ganzen Geschichte,« sagte Piero di Cosimo, den Lärmen über dem Entzücken an dem wallenden Farbenstrom vergessend, als die tributären Standarten rings um die Piazza zogen. »Die Florentiner sind so, so! sie sehen in dieser Entfernung mit ihrem Lappen von matter Fleischfarbe über den schwarzen Gewändern sehr kläglich aus; aber diese Banner mit ihrem Sammet, Atlas, Grauwerk, Brokat und ihrem endlosen Spiel im zarten Licht und Schatten! Va! Eure menschlichen Reden und Werke sind nur ein fader Scherz; das einzige Leben, voll Leidenschaft liegt in Form und Farbe!«

»Ja, Piero, wenn Satanas malen könnte, so würdest Du Deine Seele verkaufen, um seine Geheimnisse zu erlernen,« sagte Nello, »aber das ist sehr unwahrscheinlich, da die Engel selbst nur Stümper in Verschmelzung von Licht- und Schattenfarbe sind, wenn man nach ihrem Meisterwerke, der Madonna Nunziata, ein Urteil fällen darf.«

»Da kommen die Banner »von Pisa und Arezzo,« sagte Cennini. »Ja, Herr Pisaner, es hilft Nichts, daß Ihr ein Gesicht zieht; Ihr könnt eben so gern Euer Banner mit guter Miene unserm San Giovanni darbringen. ›Die Pisaner falsch, die Florentiner blind‹ – die zweite Hälfte des Sprichworts ist nicht mehr stichhaltig. Da kommen die Fahnen der uns unterthänigen Städte und Signorien, Melema! sie werden sämmtlich bis zum nächsten Jahr in San Giovanni aufgehängt, wo sie dann durch neue ersetzt werden.«

»Ein schöner Anblick,« rief Tito, »und San Giovanni wird gewiß eben so zufrieden mit diesen Erzeugnissen italiänischer Webestühle sein, wie Minerva mit ihren Peplo's, besonders da er sich mit so weniger Gewandung begnügt. Weniger entzückt sind aber meine Augen von diesen sich herumdrehenden Thürmen, die noch machen werden, daß ich, von sympathischem Schwindel ergriffen, aus dem Fenster stürze.«

Die » Thürme«, von denen Tito sprach, bildeten einen, von den Florentinern für sehr schön gehaltenen Bestandtheil der Procession, und da sie vielleicht ihren Ursprung einer verworrenen Zusammenstellung der thurmartigen Triumphwagen, welche die Römer von den Etruskern entlehnt hatten, mit einer gewissen Uebertreibung der Alles vermögenden Wachskerzen verdankten, so wurden sie gleichfalls ceri genannt. In so fern aber jede Hyperbel in reeller und buchstäblicher Beziehung unausführbar ist, so waren diese riesigen ceri, von denen einige so groß waren, daß sie fortgerollt werden mußten, nicht massiv, sondern ausgehöhlt, und ihre Oberfläche bestand nicht allein aus Wachs, sondern auch aus Holz, Pappe, die vergoldet, geschnitzt und bemalt (wie dies oft bei heiligen Kerzen der Fall ist) waren, mit langen aufeinanderfolgenden Reihen von Figuren: Kriegern zu Pferde, Fußsöldnern mit Lanze und Schild, tanzenden Mädchen, Thieren, Bäumen und Früchten, kurz – so sagt der alte Chronikenschreiber – mit Allem was Auge und Herz erfreuen kann. Dabei hatte dieses Hohlsein den Vortheil, daß Männer in diesen hyperbolischen Kerzen stehen und sie beständig herumdrehen konnten, so daß sie damit die Wirkung einer Phantasmagorie hervorbrachten, welche, da die Anzahl der Thürme bedeutend war, darauf berechnet gewesen sein mußte, einen Schwindel in wahrhaft großem Style hervor zubringen.

» Pestilenza!« rief Piero di Cosimo, sich vom Fenster entfernend, »diese wirbelnden Kreise, immer einer über dem andern, sind ja noch ärger, als das Gebimmel all' der Glocken. Sagt mir, wenn die letzte Kerze vorüber ist.«

»Aha, Ihr wollt wahrscheinlich gern gerufen werden, wenn die Landleute mit ihren Fackeln kommen,« sagte Nello »um nicht die Kerle von Mugello und Casentino zu versäumen, von denen Euer Liebling Leonardo Hunderte von grotesken Skizzen machen würde.«

»Nein,« entgegnete Piero entschlossen, »ich will nichts sehen bis der Wagen der Zecca kommt. Ich habe genug Narren mit oder ohne Kapuzen und mit schräg gehaltenen Kerzen gesehen, um nicht mein ganzes Leben genug davon zu haben.«

»Nun also, da kommt er, der Wagen der Zecca,« rief Nello nach einiger Zeit, während welcher Thürme und Kerzen in immer abnehmender Größe langsamer vorbeigezogen waren.

» Fediddio!« rief Francesco Cei, »das ist ein gut gegerbter San Giovanni! gewiß irgend ein derber Bettler aus der Romagna. Unsere Signoria bewirthet allen jüdischen und christlichen Abschaum, vor dem jede andere Stadt ihre Thore sperrt, und läßt sie sich an uns fett fressen, wie die Schweine des heiligen Antonius.«

Um diesen Ausruf Cei's verständlich zu machen, muß man wissen, daß der Thurm der Zecca (Münze) ursprünglich ein ungeheurer hölzerner Thurm oder cero war, in derselben Weise aufgeführt, wie die anderen tributären ceri, auf einem prachtvollen Wagen stehend und von zwei mausfarbenen Ochsen gezogen, deren gutmüthige Köpfe aus reichen, mit dem Wappen der Zecca geschmückten Decken hervorsahen. Die letztere Hälfte des Jahrhunderts schämte sich aber nachgerade der Thürme mit ihren kreis- oder schneckenförmigen Malereien, welche die Augen und Herzen der ersteren Hälfte erfreut hatten, so daß sie zum verächtlichen Sprichwort geworden waren, und jede schlecht gemalte Figur, die (wie dies wol auf Gemälden aus den besten Kunstperioden zuweilen vorkommt) aussah, als wären ihr die Knochen für eine Pastete ausgenommen, wurde ein fantocoio da cero, eine Thurmpuppe genannt. Demzufolge hatte ein geläuterter Geschmack, mit Beihilfe Cecca's, für die prachtliebende Zecca einen Triumphwagen wie einen pyramidenförmigen Katafalk, mit kunstreichen Rädern, um leicht um die Ecken zu biegen, ersonnen. Um den Sockel waren lebendige Gestalten von Heiligen und Engeln in bildhauerischer Weise aufgestellt, und an der Spitze, auf einer Höhe von dreißig Fuß, stand, an einer Eisenstange gut befestigt und ein gleichfalls fest eingefügtes eisernes Crucifix haltend, ein lebendiger Stellvertreter Johannes des Täufers, mit bloßen Beinen und Armen, ein Gewand von Tigerfell um den Leib und einen goldenen Heiligenschein am Haupte angebracht, ganz wie der Vorbote des Herrn in den Klöstern und Kirchen gewöhnlich erschien, ehe er sich den Malern als ein bräunlicher, derber Knabe, der mit zur heiligen Familie gehörte, offenbart hatte. Wo konnte auch das Bild des Schutzheiligen passender stehen, als auf dem Symbol der Zecca? War nicht das königliche Vorrecht, Münzen zu schlagen, das sicherste Zeichen, daß eine Stadt ihre Unabhängigkeit errungen hatte? und durch die Gnade San Giovanni's hatte diese seine »schöne Schafhürde« am frühesten unter den italiänischen Städten jenes Zeichen gezeigt. Nichts desto weniger gehörte das jährliche Geschäft, den Schutzheiligen darzustellen, nicht zu den großen Gewinnen des öffentlichen Lebens; man bezahlte dafür zehn Lire, einen Kuchen von vierzehn Pfund, zwei Flaschen Wein und einen hübschen Vorrath von Eßwaaren. Das Geld wurde von der großmüthigen Zecca geliefert, und die Zahlung in natura, nach einem besondern »Privilegium«, in einem an einer Stange von den oberen Fenstern eines Privathauses hangenden Korbe dargereicht, worauf das Abbild des strengen Heiligen sich alsbald durch eine anständige Portion Süßigkeiten und Wein stärkte, den Rest unter das Volk warf, und während der übrigen Zeit der Procession den großen Kuchen fest unter dem rechten Arm hielt. Dieses war die Stellung, in welcher der mimische San Giovanni sich zeigte, als der große Wagen, auf seiner langsamen Fahrt um die Piazza nach der nördlichen Pforte der Taufcapelle, stoßend und schwankend vorüberrollte.

»Da kommen dies Herren von der Zecca, und dort ist mein Bruder; seht Ihr ihn, Melema?« rief Cennini mit einer freudig stolzen Regung, einem Fremden das zu zeigen, was zu alltäglich für die Eingeborenen war, »hinter ihnen kommen die Mitglieder der Corporation von Calimara Arte di Calimara; arte wird in dieser Beziehung für »Gilde, Zunft, Innung« gebraucht., die Händler mit fremdem Tuch, dem wir Florentiner die letzte Vollendung gegeben haben, lauter Männer von gesetztem Alter, wie Ihr seht, welche matriculirt wurden, ehe Ihr noch auf die Welt kamt. Jetzt kommt die berühmte ›Kunst‹ der Geldwechsler.«

»Viele von ihnen wurden auch in die edle Zunft des Wuchers aufgenommen, ehe Ihr geboren wurdet,« unterbrach ihn Francesco Cei, »wie Ihr an einem gewissen krampfhaften Stieren des Auges und an der scharfgebogenen Nase sehen könnt, die ihre Abstammung von den alten Harpyen, deren Figuren das Wappen der Zecca halten, zeigen. Nach Ablegung aller Vorurteile würde eine Procession wie diese hier, von etwa vierhundert ziemlich häßlichen Männern, die ihre Kerzen wie Diogenes bei hellem Tage, als ob sie einen verlorenen Quattrino suchten, tragen, ein sehr lustiges Schauspiel für das Narrenfest abgeben.«

»Verspottet die Gebräuche unserer Stadt nicht,« sagte Pietro Cennini beleidigt; »es gibt jetzt neumodische Witzbolde, die da glauben, daß sie die Dinge richtiger sehen, weil sie wie Gaukler und Marktschreier auf den Köpfen stehen, um sie zu betrachten, statt die Stellung vernünftiger Leute nachzuahmen. Gewiß ist, daß es den Affen des Maëstro Vaiano ziemlich gleichgültig ist, ob sie die Köpfe oder die Rückseite zu oberst haben, wenn sie Donatello's Statue der Judith anschauen.«

»Eure Ehrwürdigkeit wird doch hoffentlich der heiteren Laune auch ein Plätzchen vergönnen,« sagte Cei achselzuckend, »was würde sonst aus den Alten, deren Vorbild Ihr Gelehrten ehren müßt, Messer Pietro? Das Leben war niemals mehr als ein beständiges Schwanken zwischen Scherz und Ernst.«

»Dann behaltet Euren Scherz für Euch, bis Euer Ende der Stange zu oberst ist,« rief Cennini noch immer zornig, »und das findet nicht statt, wenn der große Bund unserer Republik sich in alten Symbolen ausspricht, ohne welche der gemeine Mann nichts fühlen würde, was über die kleinlichen Bedürfnisse seines Rückens und Magens hinausgeht, und niemals sich zum Begriffe der Gemeinsamkeit in Glauben und Gesetz erheben würde. Es gab kein großes Volk ohne Processionen, und derjenige, welcher sich zu weise dünkt, von denselben zu etwas Anderem als zur Verachtung angeregt zu werden, gleicht der Pfütze, die stolz darauf war, stillzustehen, während der Fluß vorbeirauschte.«

Alles schwieg bei diesem Ausbruche der Entrüstung Cennini's, bis er selbst wieder fortfuhr:

»Hört! die Trompeten der Signoria! jetzt kommt die letzte Abtheilung des Schauspiels, Melema! Der da in der Mitte mit dem sternengestickten Mantel, vor dem das Schwert hergetragen wird, das ist unser Gonfaloniere. Vor zwanzig Jahren waren wir gewohnt, unseren fremden Podesta, der unser Richter in Civilsachen war, zu seiner Rechten gehen zu sehen; aber unsere Republik ist von tüchtigen Aerzten Ein Wortspiel mit medici (Aerzte) und dem Familiennamen der Medici. – D. Uebers. übercurirt worden. Der da an der Linken ist der Proposto Sprecher oder Vorsteher. der Priori, dann kommen die übrigen sieben Priori, und dann alle die anderen Magistratspersonen und Beamten unserer Republik. Seht Ihr Euren Gönner, den Secretarius?«

»Da ist ja auch Messer Bernardo del Nero,« sagte Tito, »ein schönes und ehrwürdiges Antlitz, obgleich es mich etwas versteinernd angeblickt hat.«

»Ja,« sagte Nello, »er ist der Drache, der die Ueberbleibsel vom Golde des alten Bardo bewacht, das aber, wie ich glaube, hauptsächlich in dem, Haupt und Schultern der schönen Romola umwallenden Jungferngolde besteht; wie, mein junger Apollo?« fügte er, Tito's Kopf streichelnd, hinzu.

Tito besaß die jugendlich anmuthige Gabe des Erröthens, aber auch zugleich die gewandte und schlagfertige Rede, welche macht, daß Erröthen nicht wie Verlegenheit aussieht, und er erwiderte rasch:

»Und es ist ein wahrer Pactolus, ein Strom mit goldenen Wellen; wäre ich ein Alchymist –«

Der Nothwendigkeit, weiter zu sprechen, wurde er durch das plötzliche Fortissimo von Trommeln, Trompeten und Pfeifen überhoben, welche über die ganze Breite der Piazza in einem wahren Sturme von Tönen losbrachen, ein Gerassel, Geschmetter und Geschrille, wie es sich für eine wegen ihrer Musikinstrumente berühmte Stadt wol paßte und selbst die am dichtesten zusammengedrängten Menschengruppen betäubte.

Während dessen bemerkte Nello, wie Tito's Hand sich zur Begrüßung irgend Jemandes unten im Volksgedränge bewegte, da er aber die Richtung seiner Blicke nicht verfolgt hatte, so konnte er auch den Gegenstand des Grußes, ein reizendes, rundes, blauäugiges Gesicht unter einer weißen Kapuze, nicht entdecken, welches sich schnell unter der schmalen Reihe von Köpfen verlor, wo ein beständiges Verschwinden runder Wangen von Landmädchen zwischen den groben Zügen oder gebeugten Schultern alter Bauern bemerkbar war, und wo sich Profile so rasch von Norden nach Süden wendeten, wie Wetterfahnen bei umspringendem Winde.

Als es sich aber zeigte, daß das Schauspiel zu Ende war, als die zwölf zur Feier des Tages freigelassenen Gefangenen und die Rennpferde mit den auf die Decken gestickten Wappen der Eigenthümer der Signoria gefolgt waren, um herkömmlicher Weise dem heiligen Johannes geweiht zu werden, und als Alles sich von den Fenstern entfernte, legte Nello, dessen florentinische Neugierde von jener Hundsnatur war, die nichts zu gering zum Durchstöbern achtet, seine Hand auf Tito's Schultern und sagte:

»Was war denn das für eine Bekanntschaft, der Ihr Zeichen machtet – he, giovane

»Irgend eine kleine Dirne vom Lande, die mich wahrscheinlich irrthümlicherweise für einen Bekannten hielt, denn sie beehrte mich mit einem Gruße.«

»Oder die eine Bekanntschaft anknüpfen wollte,« sagte Nello. »Aber Ihr seid ja noch für die Via de' Bardi und das Musenfest in Beschlag genommen, man kann also auf Euch bei einem kleinen Scherz nicht rechnen, sonst hätten wir zusammen einige Abenteuer in dem Gedränge da unten aufsuchen und etwas Narretheidung zu Ehren San Giovanni's treiben können. Aber Euer großes Glück ist Euch zu früh über den Hals gekommen, ich meine damit nicht etwa den Professorenmantel, der ist weit genug, einige gestohlene Küchlein darunter zu verstecken, aber – der Messer Endymion sah gut auf seine Manieren nach dem seltenen Glück, das ihm begegnet war, und was sagt unser Luigi Pucci?

» Da quel giorno in quà ch'amor m'accese
Per lei son fatto e gentile e cortese.
« Von jenem Tage an, als die Liebe mich entflammte, wurde ich durch sie liebenswürdig und höflich gemacht. – D. Uebers.

»Freund Nello,« antwortete Tito, mit einem Blicke der Resignation die Achseln zuckend, der bei ihm die Nähe des Zorns andeutete, »Du hast eine unerträgliche Kunst, das Leben schal zu machen, indem Du es einem mit Deinem Gerede vor der Nase wegschnappst, um gar nicht einmal davon zu sprechen, daß dergleichen grundloses Gewäsch von der Göttin, für deren ergebenen Verehrer Du Dich auszugeben pflegst, als eine grobe Beleidigung angesehen werden könnte.«

»Ich werde ganz stumm sein,« sagte Nello, mit einem entsprechenden Achselzucken den Finger an den Mund legend; »ich spreche ja aber auch nur unter vier Augen so thörichte Dinge von ihr.«

»Entschuldigt! Ihr waret eben dicht daran, und zwar so, daß auch Andere es hören konnten. Wenn Ihr mich in der Meinung Bardo's und seiner Tochter stürzen wollt –«

»Genug, genug!« rief Nello, »ich bin ein alberner, alter Barbier. Das kommt Alles von meiner Enthaltsamkeit her, daß ich in meiner Jugend keine schlechten Verse machte. Weil ich meiner Thorheit nicht auf diese Weise freien Lauf ließ, als ich achtzehn Jahre zählte, läuft sie mir jetzt über die Zunge, da ich in dem unanständigen Alter von vierzig Jahren stehe. Aber deswegen trägt Nello seinen Kopf doch nicht eingemummt, und er kann recht wohl einen Büffel im Schnee unterscheiden. Addio, giovane!«



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