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Vierzehntes Capitel.
Der Bauernmarkt.


Die an und ab wogende Menge und das verschiedenartige Geräusch, das auf Tito eindrang, als er die Piazza betrat, erinnerte ihn an das, was Nello ihm über die Fierucoloni gesagt hatte, und er bahnte sich seinen Weg bis mitten in's Gedränge, mit einer Art von Vergnügen an dem Gekreisch und den Püffen, welche die Pausen ausfüllten, und bei ihm die Berechnung der Zukunft übertäubten, welche ihm mit so neuen Schrecken entgegenstarrte, indem er sich im Geist bereits auf der Jagd nach irgend einem unbekannten Glück sah, so daß schon der Gedanke in ihm aufgetaucht war, dennoch sich auf den Weg zu machen, um Baldassarre aufzusuchen.

An jedem der einander gegenüberliegenden Zugänge sah er Leute sich auf die Piazza drängen, während über ihnen auf Stöcken getragene Papierlanternen hin und her schwankten. Ein roher eintöniger Gesang bildete deutlich hörbare Tönelinien, zwischen denen Geschrei, Gepfeife, Spottlieder, schrillende Kinderstimmen, Gerassel von nacchere (Trommeln) und Geklingel von Glöckchen einander in sinnbetäubendem Getöse durchkreuzten. Hin und wieder verschwand eines der matten schwankenden Lichter mit einem Geprassel von einem, mehr oder weniger auf's Gerathewohl im Schabernack geworfenen Steine, worauf ein Schrei und erneutes Gejauchze erfolgte. An den äußersten Umkreisen des wirbelnden Tumults sah man Gruppen, welche die Vigilien von Mariä Geburt auf eine methodischere Art als durch Steinwürfe oder Spottlieder begingen. Gewisse zerlumpte Kerle, die scharfe, gespannte Blicke umherwarfen, während ihre Zungen lustig schwatzten, forderten die Landleute auf, mit ihnen in offener und ehrlicher Weise zu spielen; zwei verlarvte Figuren auf Stelzen, welche aus der Menge Laternen erwischt hatten, schwangen sie meteorähnlich hin und her, während sie auf und ab marschirten; ein kluger Verkäufer machte ein gutes Geschäft in einer kleinen gedeckten Bude, in der er warme berlingozzi, ein aus Mehl bereitetes Lieblingsgericht, feilbot; ein Mann auf einer Tonne, den Rücken fest an eine Säule der, dem Spedale degl' Innocenti (Findelhaus) gegenüber befindlichen Loggia gelehnt, verkaufte Pillen, von einem Doktor in Salerno erfunden und gut gegen Zahnschmerzen und Ertrinken; nicht weit davon zeigte, an einen andern Pfeiler gelehnt, ein Gaukler seine Kunststücke auf einer Plattform, während eine Schaar Lehrbuben, die flaue Unterhaltung durch Guerilla-Steinwerfen verschmähend, unter sich eine concentrirte Partie dieses Florentiner Lieblingsspiels an dem schmalen Eingange in die Via dei Febbrai arrangirt hatten.

Tito, gezwungen, sich einen Weg durch zufällig entstehende Oeffnungen in der Menge zu bahnen, befand sich in einem Augenblicke dicht neben der einhertrabenden Procession barfüßiger, hartfersiger Bäuerinnen, und konnte ihre sonnverdorrten gebräunten Gesichter sehen, so wie ihre seltsamen Bruchstücke von Gewändern, farblos von fortererbtem Schmutz, von unbekannten Stoffen und Moden, welche sie in den Augen der Städter gleich einer Procession ermüdeter Ahnen, die von einer, vor einem Jahrhundert unternommenen Pilgerfahrt zurückkehrten, erscheinen ließen. Gerade in diesem Augenblicke kamen die kräftigen genügsamen Bauerweiber von Pistoja, mit der Arbeit eines ganzen Jahres in kleinen Bündeln auf dem Rücken, und im Herzen die magere Hoffnung auf Glück und die große trübe Angst vor Unglück, für welche die heilige Jungfrau irgend wie sorgen müßte, vor deren wunderthätigem, von Engeln gemalten Bilde heute, am Vorabend der Geburt Mariä, der Vorhang weggezogen wurde, damit ihre Macht ohne Hinderniß hervorströmen könne.

Im nächsten Augenblicke wurde er gegen das Ende der Piazza gedrängt, wo die stehenden Bewerber um Aufmerksamkeit und Kleingeld sich klugerweise aufgestellt hatten, um den Rücken frei zu haben. Unter diesen erkannte Tito seinen alten Bekannten Bratti, der, mit dem Rücken an einen Pfeiler gelehnt und den Mund verächtlich in die Höhe gezogen, dastand, Jeden, der ihm nahte, mit einem kalten Blicke der Ueberlegenheit musternd und die Hand fest auf eine Serschdecke haltend, welche den Inhalt des vor ihm hängenden Korbes verhüllte. Ueber dies, bei einem so eifrigen Handelsmanne ungewöhnliche Gebahren erstaunt, ging Tito näher, und gewahrte zwei Weiber, welche auf Bratti's Korb mit neugierigen Blicken zuschritten, worauf der Hausirer die Decke noch fester zusammenzog und anderswo hinblickte. Das war gar zu aufregend, und eines der Weiber fragte, was denn im Korbe sei?

»Ehe ich Euch darauf eine Antwort gebe, Monna, muß ich wissen, ob Ihr die Absicht habt, zu kaufen. Ich kann solche Waaren wie die meinigen auf diesem Jahrmarkt nicht jeder Fliege zeigen, damit sie sich darauf setzt und nichts zahlt. Dazu sind meine Sachen doch etwas zu kostbar. Ueberdies habe ich nur noch zwei Stück davon übrig, und will sie gar nicht verkaufen, denn bei der Aussicht auf die Pest, von der weise Männer sprechen, ist es wahrscheinlich, daß sie ihr Gewicht in Gold werth werden. Nein, nein, geht mit Gott!«

Die beiden Weiber sahen einander an.

»Und was mag der Preis davon sein?« fragte die Zweite.

»Mehr als Ihr wahrscheinlich in Eurer Börse haben werdet, gute Frau,« sagte Bratti in einem mitleidig unverschämten Tone, »ich empfehle Euch, auf den lieben Herrgott und seine Heiligen zu bauen, arme Leute können für sich nicht mehr daran wenden.«

»Nicht so arm,« sagte das zweite Weib entrüstet, indem sie ihren Geldbeutel zog, »also! was meint Ihr zu einem grosso

»Ich meine, daß Ihr für einen grosso einundzwanzig quattrini bekommt,« antwortete Bratti ganz ruhig, »aber nicht von mir, denn ich habe kein Kleingeld.«

»Nun kommt! zwei?« sagte das Weib erbittert werdend, während ihre Gefährtin sie neidisch ansah, »mehr wie zwei wird es doch nicht werth sein?«

Nach fernerem Bieten einer- und kaufmännischer Koketterie andererseits nahm Bratti die Miene der Gewährung an.

»Nun, da Ihr so erpicht darauf seid,« sagte er, langsam die Decke zurückschlagend, »so würde es mir leid sein, Euch ein Unglück auf den Hals zu ziehen, denn Maëstro Gabbadeo pflegte zu sagen: Wenn ein Weib Lust auf etwas hat und es nicht bekommt, so ist sie mehr von der Pest gefährdet als vorher. So! Ich habe nur zwei übrig, und ich darf Euch sagen: das dritte Exemplar steckt an dem Finger des Maëstro Gabbadeo, der nach Bologna gegangen ist, eines Doctors, der so weise ist wie je einer war, der an einer Thür sitzt.«

Die kostbaren Gegenstände waren zwei plumpe, eiserne Ringe, nach Art der alten, mitunter bei Ausgrabungen aufgefundenen römischen Ringe gearbeitet. Der Rost darauf und die gänzlich verborgene Eigenschaft ihrer Kraft waren so genügend, daß die grossi ohne Murren bezahlt wurden, und die erste der beiden Frauen, der das schöne Geld fehlte, brachte es, nach vielem Widerstreben von Bratti's Seite, dahin, einen Handel mit einem Theil ihres Garns abzuschließen, und trug den letzten Ring im Triumph davon. Bratti deckte seinen Korb wieder zu, der jetzt mit allerlei, wahrscheinlich auf ähnliche Weise wie das Garn eingetauschten Waaren gefüllt war, und indem er seinen Pfeiler verließ, trat er rasch auf Tito zu, der, wenn es ihm die Zeit erlaubt hätte, dieser Wiedererkennung gern ausgewichen wäre.

»Bei St. Johannis' Haupt,« rief Bratti, Tito mit sich zurück an den Pfeiler ziehend, »das nenne ich Glück haben. Ich habe heute Morgen von Euch gesprochen, Herr Grieche! aber, so sagte ich, er ist jetzt zu den Signori emporgestiegen, und das freut mich, denn ich bin mit Ursache an seinem Glück, allein ich bekomme ihn jetzt selten zu sprechen, denn jetzt trifft man ihn nicht mehr auf den Steinen liegend. Doch das ist Euer Glück und nicht das meine, ausgenommen vielleicht eine Kleinigkeit, um mir meine Mühe bei den Verhandlungen zu lohnen.«

»Ihr sprecht sprecht in Räthseln, Bratti,« entgegnete Tito, »bedenkt, ich schärfe meinen Witz nicht gleich Euch, indem ich einen so schwierigen Handel mit eisernen Ringen treibe. Ihr müßt gerade heraus sprechen.«

»Bei den heiligen Evangelien! es war ein bequemer Handel für sie. Wenn ein Hebräer zweiunddreißig Procent bekommt, so denke ich, darf ein Christ doch etwas mehr nehmen. Wäre ich nicht so gewissenhaft gewesen, so hätte ich noch einmal so viel Geld und Garn bekommen können. Dir wir aber gerade von Ringen sprechen, so kann ich Euch sagen, daß ich für Euren Ring, für den da, den Ihr am Finger fragt, einen Käufer bekommen kann, und das einen Käufer mit einem vollen Geldsack.«

»Im der That«?« sagte Tito, auf seinen Ring blickend und aufmerksam zuhörend.

»Wie ich höre ein Genueser, der geraden Weges nach Ungarn reist. Er kam und kramte meinen ganzen Laden durch, um zu sehen, ob ich alte Gegenstände hätte, deren Preis ich nicht kenne. Ich versichere Euch, er glaubte, ich hätte einen Kürbis statt eines Kopfes auf den Schultern. Er hatte alle Läden von Florenz durchstöbert. Und er trug einen Ring, nicht ganz so wie der Eurige ist, aber so etwas in der Art, und als er von Ringen sprach, sagte ich ihm, daß ich einen schönen jungen Herrn sehr genau kenne, der einen ähnlichen Ring besitze. Und er fragte: wer ist es denn? sagt ihm, daß ich dafür gebe, was er begehrt. Und ich wollte Euch morgen bei Nello aufsuchen, denn meine Ansicht von Euch ist, daß Ihr nicht der Mann seid, der Bouillon im Arno fließen sehen und dabei stehen würde, ohne den Finger einzutauchen.«

Tito war kein Wort von dem, was Bratti sprach, entgangen, aber sein Geist war die ganze Zeit über geschäftig gewesen. Weshalb sollte er den Ring behalten? Es war eine reine Gefühlssache, weiter nichts als eine Laune gewesen, die ihn abgehalten hatte, den Ring mit den übrigen Edelsteinen zu verkaufen; wäre er klüger gewesen und hätte ihn weggegeben, so würde er der Erkennung durch Fra Luca entgangen sein. Freilich war er von Baldassarre's Finger gezogen und auf den seinigen gesteckt worden, als seine junge Hand die erforderliche Größe erreicht hatte, aber es lag doch nichts wahrhaft Jemandem Nützliches in diesem abergläubischen Bedenken hinsichtlich lebloser Dinge. Der Ring hatte zu seiner Entdeckung geführt. Tito haßte bereits Entdeckungen, welche von der Vergangenheit erhobene Ansprüche waren. Das Anerbieten dieses Fremden, wenn derselbe wirklich einen guten Preis zahlen wollte, war eine gute Gelegenheit, den Ring los zu werden ohne die Mühe, einen Käufer zu suchen. Er sagte daher:

»Ihr sprecht mit Eurer gewöhnlichen Weisheit, Bratti; ich habe nichts dagegen, zu hören, was Euer Genueser bietet; aber wann und wo werde ich ihn sprechen?«

»Morgen um drei Uhr nach Sonnenaufgang, wird er in meinem Laden sein, und wenn Euer Verstand so scharf ist, wie ich ihn stets gehalten habe, Herr Grieche, so werdet Ihr einen hohen Preis fordern. Er macht sich nichts aus Geld, und ich glaube, das er nicht für sich selbst, sondern für einen Andern, vielleicht für irgend einen großen Herrn kauft.«

»Es ist gut,« sagte Tito, »ich will, wenn nichts dazwischen kommt, in Eurem Laden sein.«

»Und Ihr werdet ohne Zweifel aus alter Bekanntschaft anständig gegen mich sein, deshalb will ich mich nicht aufhalten, die kleine Summe zu bestimmen, die Ihr mir als Anerkennung für meine Dienstleistung bei dieser Sache zukommen lassen wollt. Die Zeit wird mir lange, bis ich von der Piazza fortkomme, denn es giebt nichts Langweiligeres, um nicht zu sagen etwas Abscheulicheres, als einen Jahrmarkt, wenn man keine Waare mehr zum Verkaufe hat.«

Tito machte ein eiliges Zeichen des Einverständnisses und Lebewohls, und sah sich, als er den Pfeiler verließ, wieder nach der Mitte der Piazza und dann wieder zurückgedrängt, ohne die Macht zu haben, nach freier Selbstbestimmung eine Richtung einzuschlagen. In dieser Zickzackbewegung wurde er bis an das Ende der Piazza, der Kirche gegenüber, gestoßen, wo in einer tiefen, von einer Unregelmäßigkeit des Baues in der Häuserreihe gebildeten Mauerblende eine Unterhaltung stattfand, welche besondere Anziehungskraft für die große Menge zu haben schien. Lautes Gelächter unterbrach einen Monolog, der bald langsam und predigtähnlich, bald schnatternd und hanswurstartig war. Hier war ein Mädchen mit augenscheinlichem Widerstreben in den inneren Kreis geschoben, und dort bahnte sich eine freche Dirne laut lachend ihren Weg mit dem Ellbogen. Es war eine seltsame Beleuchtung auf der Piazza. Die bleichen Sterne tauchten droben am Himmel auf, und drunten die matten schwankenden Laternen, die Alles nur undeutlich erkennen ließen, was sich nicht gerade dicht unter den hin und her schießenden Lichtern befand; aber in dieser Blende war ein helleres Licht, gegen welches die Häupter der umherstehenden Zuschauer sich in dunklen Umrissen abzeichneten, als Tito nach und nach dahin gedrängt wurde, während über ihnen der Kopf eines Mannes der eine weiße Kopfbedeckung mit gelben kabbalistischen Figuren darauf trug, hervorragte.

»Seht, meine Kinder,« so hörte Tito ihn ausrufen, »seht da eine gute Gelegenheit! versäumt ja nicht das heilige Sacrament der Ehe, da Ihr es für die kleine Summe von einem weißen Quattrino haben könnt, die billigste Ehe, die jemals angeboten wurde, und die noch obendrein durch eine Specialbulle schon von vorn herein wieder nach Jedermann's Lust und Belieben aufgelöst werden kann. Seht da die Bulle!« hierbei hielt der Redner ein Stück Pergament mit großen Siegeln daran, in die Höhe, »seht da den Ablaß, den Seine Heiligkeit Alexander der Sechste bewilligt hat, der, wegen seiner besondern Frömmigkeit erst neulich zum Papst erwählt, die Kirche reformiren und reinigen will, und wohlweislich damit beginnt, die priesterlichen Mißbräuche abzuschaffen, die einen zu großen Theil dieser privilegirten Ehe der Geistlichkeit überlassen und die Laien beschränken. Spuckt aus, meine Söhne, und bezahlt einen weißen Quattrino! das ist der ganze und einzige Preis des Ablasses. Der Quattrino ist der einzige Unterschied, den der heilige Vater zwischen uns und der Geistlichkeit, die da spuckt und nicht bezahlt, bestehen lassen will.«

Tito glaubte die Stimme zu kennen, welche einen eigenthümlich scharfen Klang hatte, aber das Gesicht war von den hinter ihm befindlichen Lichtern zu tief in den Schatten gebracht, als daß man die Züge hätte genau erkennen können. Indem er so nahe als möglich trat, gewahrte er innerhalb des Kreises hinter dem Sprecher einen, von einer rothen, mit gelben kabbalistischen Figuren reich gestickten Draperie bedeckten, altarähnlichen Tisch auf einem kleinen Gerüste. Ein halbes Dutzend dünner Kerzen brannte hinter diesem Tische, auf dem Beschwörungsgeräthschaften umherlagen, in der Mitte lag ein großes offenes Buch, und an einer der Vorderecken befand sich ein, durch einen Strick an einen kleinen Ring angebundener Affe, der eine kleine Kerze hielt, welche bei seiner unaufhörlichen unruhigen Bewegung mehr oder weniger querüber glitt, während ein gnomenartiger Knabe in weißem Ueberwurf hauptsächlich damit beschäftigt war, den Affen zu fassen und die Kerze wieder gerade zu richten. Der Mann mit der Mitra trug gleichfalls einen Ueberwurf, und darüber noch ein Meßgewand, auf welchem die Zeichen des Thierkreises in groben schwarzen Umrissen auf gelbem Grunde angebracht waren. Tito erkannte jetzt deutlich die scharfen aufwärts gezogenen Linien des Gesichts unter der Kopfbedeckung; es war das des Meisters Vaiano, aus dessen Händen er Tessa befreit hatte, die kleine reizende Tessa! Am Ende war sie auch mit den anderen Bäuerinnen in die Stadt gekommen?

»Kommt, Ihr Mädchen! Jetzt ist die Zeit für die Schönen, welche viel Aussicht, und für die Häßlichen, die wenig Aussicht haben. Hier ist die Hochzeit zu bekommen ganz brühwarm, und wie berlingozzi zu essen und leicht zu verdauen! Und seht,« dabei hielt der Zauberer ein Päckchen kleiner Beutel empor, »jeder Braut gebe ich ein Breve mit einem Geheimniß darin, das Geheimniß allein ist das Geld werth, was Ihr für die Hochzeit ausgebt; es ist das Geheimniß, wie man – – nein, ich werde Euch nicht sagen, was das für ein Geheimniß ist, und deshalb ist es ein doppeltes. Hängt es Euch um den Hals, wenn Ihr wollt, und faßt es nie an; ich sage nicht, daß das nicht das Beste sein wird, denn dann werdet Ihr allerlei Dinge sehen, die Ihr nicht erwartet habt; obgleich Ihr, wenn Ihr es öffnet, allerdings ein Bein brechen könnt, aber Ihr werdet wenigstens das Geheimniß erfahren haben. Etwas weiß Niemand, mich ausgenommen! Und merkt wohl – ich gebe Euch das Breve, ich verkaufe es nicht, wie manche andere heilige Männer thun würden; der Quattrino ist für die Ehe, und das Breve bekommt Ihr umsonst. Also immer heran, junge Burschen, kommt als gehorsame Söhne der Kirche und kauft den Ablaß Sr. Heiligkeit Alexander's des Sechsten.«

Diese Hanswurstiade war gerade dem Geschmack der Zuhörerschaft angemessen; der Trödelmarkt war nur eine unbedeutende Gelegenheit, so konnten die Städter mit etwas weniger unanständigen Scherzen zufrieden sein, als die, welche sie bei jedem Carneval zu hören gewohnt waren, und die der Magnifico und seine poetischen Trabanten in leidlich fließende Verse gebracht hatten; während die Weiber, über dem Geschmack am Spaß, in der That einen Kitzel nach den Brevi empfanden. Verschiedene Paare hatten die Ceremonie bereits durchgemacht, wobei das feierliche Kauderwelsch und die Grimassen des Zauberers vor dem offenen Buch, die Fratzen des Affen, und selbst das vorhergehende Spucken schallendes Gelächter erregt hatten; und eben jetzt drängte sich ein gut aussehender junger Mensch mit fröhlichen Blicken, in einer losen Tunika und rothen Mütze heran, indem er eine plumpe Brünette, deren ärmlicher zerlumpter Anzug ihre wohlgerundeten Arme und Beine malerisch zeigte, bei der Hand hielt.

»Bindet uns ohne Weiteres, Maëstro,« rief der junge Mensch, »denn ich muß meine Braut nach Hause nehmen und sie bei dem Lichte einer Laterne malen.«

»Aha, Mariotto, mein Sohn, ich lobe Deine Befolgung frommer Gebräuche« – der Zauberer wollte fortfahren, als ein lautes Geschnatter hinter ihm ihn vermuthen ließ, daß mit seinem Affen irgend eine unangenehme Krisis vorgegangen sei.

Das Temperament dieses unvollkommenen Gehülfen war durch die überthätige Züchtigungsweise seines Collegen im Ueberwurfe etwas aufgeregt, und ein plötzlicher Faustschlag, den er erhielt, als seine Kerze in eine horizontale Lage gerieth, machte, daß er mit einer Heftigkeit zurücksprang, die zu stark für den losen Knoten war, woran man seinen Strick befestigt hatte. Sein erster Sprung war nach dem andern Ende des Tisches, von wo aus seine Gesten so drohend waren, daß der Teufelsjunge im Ueberwurf als Gegendrohung einen Stab ergriff, worauf der Affe auf den Kopf eines großen Frauenzimmers im Vordergrund sprang, seine Kerze unterweges fallen lassend, und von dieser Höhe herab mit zunehmender Lebhaftigkeit schnatterte. Das Geschrei und die Verwirrung waren groß, da ein großer Theil der Zuschauer eine unbestimmte Furcht vor dem Affen des Maëstro hatte, den sie fähig hielten, mehr mysteriöses Unheil, als nur mit Zähnen und Klauen, anzurichten; der Zauberer selbst war in Besorgniß, daß seinem Hausgenossen ein Leides widerfahren könne. Während des Tumults, der sich erhob, um die Schnur des Affen zu erwischen, trat Tito aus dem Kreise, und da ihm nichts daran lag, sich wieder um seinen Platz zu bemühen, ließ er sich gemüthlich nach der Nunziata-Kirche und hinein unter die Betenden schieben.

Die glänzende Erleuchtung schien, nach der trüben, nur theilweisen Beleuchtung und den tiefen Schatten auf der Piazza mit fühlbarer Kraft auf seine Augen zu wirken, und in den ersten Augenblicken konnte er nichts deutlich erkennen. Dieser gelbe Glanz war an sich selbst schon etwas Uebernatürliches und Himmlisches für einige Bäuerinnen, denen die Hälfte des Himmels durch die Berge verborgen blieb, und welche schon in der Abenddämmerung in ihr Bett zu gehen pflegten; während der anhaltende Gesang vom Chor den Ohren erlaubte, von dem Höllenlärm der Menge außerhalb der Kirche auszuruhen. Allmälig wurde die Scene vor ihm klarer, wiewol noch ein feiner gelblicher Duft vom Weihrauch, der sich mit dem Athem der Anwesenden mischte, auf dem Ganzen lag. In einer Capelle links vom Schiff, mit silbernen Lampen behängt, war die wunderthätige Freske der Verkündung enthüllt, welche, da Tito sie von der rechten Seite des Schiffes aus in schiefer Linie sah, von dem Uebermaß des Lichts rings umher, dunkel erschien. Der ganze weite Raum der großen Kirche war mit knieenden oder stehenden Bauerweibern angefüllt; die grobe braungelbe Haut und die schmutzig dunklen Gewänder der rauheren Gebirgsbewohnerinnen stachen von den feineren Zügen und der weißen oder rothen Kopfbekleidung der vermöglichen Thalbewohnerinnen, welche in einzelnen unregelmäßigen Gruppen hier und dort umherstanden, ab. Und hoch und weit an den Wänden und der Decke befand sich noch eine andere Schaar, gleichfalls dicht an einander gedrängt, um der mächtigen Jungfrau recht nahe zu sein. Es war die Schaar wächserner Votivbilder, Conterfeie großer Herrschaften, in die Kleider, die diese im Leben trugen, gehüllt; Florentiner von großer Familie im schwarzen Seidentalar, wie sie im Rathe da saßen, Päpste, Kaiser, Könige, Cardinäle und berühmte Condottieri mit befiederten Helmen, auf ihren Streitrossen, alle angesehene Fremde, welche durch Florenz kamen oder mit dessen Angelegenheiten zu thun hatten, sogar Muhammedaner in bereitwilligst zugelassener Gesellschaft mit christlichen Rittern; Einige von ihnen, von dem ätzenden Hauch der Jahrhunderte die Gesichter geschwärzt und die Kleider zerfetzt, Andere frisch und glänzend in neuen rothen Mänteln oder stählernen Brustharnischen, die genauen Abbilder der Lebenden. Und zwischen diese hineingedrängt einzelne Arme, Beine, Hände und andere Glieder, und nur hier und da eine Lücke, wo ein Bild öffentlichen Schimpfes wegen herabgenommen oder als ein Vorzeichen herabgefallen war, wie sich dieses vor sechs Monaten mit dem Bilde Lorenzo's zugetragen hatte. Es war ein vollständiger Auferstehungsschwarm von entfernten Sterblichen oder deren Gliedmaßen, in den verschiedenen Abstufungen der Frische den dunklen Schmutz und den gesprenkelten Glanz der Volksmasse unten widerstrahlend.

Tito's Blick streifte über die große Volksmenge, als suche er etwas. Er hatte schon Tessa's gedacht, und die weißen Kapuzen ließen ihn die Möglichkeit ahnen, ihre Züge unter einer derselben zu entdecken. Es war dies wenigstens ein Gedanke, dem er lieber nachhängen mochte, als dem an Romola, wenn sie ihn mit veränderten Blicken ansah. Aber er suchte vergeblich, und wollte eben, eines Anblicks, der keine Mannichfaltigkeit bot, überdrüssig, die Kirche verlassen, als er gerade an der Thür, zwei Ellen weit von ihm entfernt, Tessa erblickte. Sie kniete mit dem Rücken gegen die Wand hinter einer Gruppe von Bäuerinnen, welche nach einem, dem heiligen Bilde näher gelegenen Standplatz suchten. Ihr Köpfchen war etwas seitwärts geneigt und ihre blauen Augen blickten zerstreut ein Altarstück an, auf dem der Erzengel Michael in voller Rüstung, mit jugendlichem Antlitz und wallendem Haar zwischen bärtigen und tonsurirten Heiligen stand. Ihre rechte Hand, die einen Bündel Cocons hielt, hing nachlässig an ihrer Seite herab, und ihre runden Wangen waren bleich – entweder von dem Licht oder von der Mattigkeit, die sich in ihrer ganzen Haltung aussprach. Ihre zusammengepreßten Lippen waren nach unten gezogen, und ihre Augenlider fielen dann und wann halb zu; kurz, sie war das vergrößerte Bild eines lieblichen, schläfrigen Kindes. Tito fühlte einen unwiderstehlichen Drang, sich ihr zu nähern und ihrer reizenden zutraulichen Blicke und ihres Gesprächs theilhaftig zu werden. Dieses Geschöpf das kein, ihn verdammen könnendes sittliches Urteil hatte, dessen kleine, liebende, unwissende Seele eine Welt für sich bildete, in der er sich frei von Argwohn und Ansprüchen fühlen durfte, hatte jetzt für ihn eine neue Anziehungskraft. Sie schien ihm eine Zuflucht zu bilden vor der drohenden Vereinsamung und dem Schimpf, die ihn erwarteten. Er sah sich vorsichtig um, ob Monna Ghita auch nicht in der Nähe sei, und dann flüsterte er, indem er leise neben sie schlich und sich auf ein Knie niederließ, mit sanfter Stimme: »Tessa!«

Sie bewegte sich kaum etwas mehr, als sie sich bei einem sanften Lüftchen, das sie, wenn sie es bedurfte, gefächelt hätte, geregt haben würde. Sie wandte das Haupt und sah Tito's Antlitz dicht neben dem ihrigen, und viel, viel schöner als das des Erzengels Michael, der doch so mächtig und gut war, daß er mit der Madonna und allen Heiligen zusammen lebte, und mit ihnen gemeinschaftlich im Gebet angerufen wurde. Sie lächelte in seligem Schweigen, denn Tito's Nähe erfüllte ihr ganzes Wesen.

»Meine kleine Tessa! Du siehst sehr ermattet aus. Wie lange kniest Du hier?«

Sie schien einige Minuten ihre Gedanken zu sammeln, und endlich sagte sie:

»Ich bin sehr hungrig.«

»So komm mit mir!«

Er hob sie auf und führte sie unter die den Vorhof umgebenden Kreuzgänge, welche damals offen und noch nicht mit den Frescogemälden von Andrea del Sarto geziert waren.

»Wie kommt es, daß Du so ganz allein und so hungrig bist, Tessa?«

»Die Mutter ist krank, sie hat heftige Schmerzen in den Beinen, und schickte mich, der heiligen Nunziata diese Cocons zu bringen, weil sie so schön sind, seht nur!« dabei hielt sie das Bündel Cocons, welche durch Zufall ganz regelmäßig an einem Stängel hingen, in die Höhe, »und sie wollte sie selbst hieherbringen, aber sie konnte nicht; und so hat sie mich damit geschickt, weil sie glaubt, die heilige Madonna werde ihr die Schmerzen nehmen. Da hat mir nun Jemand meinen Sack mit Brot und Kastanien weggenommen, und die Leute stießen mich zurück, und ich hatte solche Angst, in's Gedränge zu kommen, und konnte nirgends in die Nähe der heiligen Madonna gelangen, um dem Pater die Cocons zu geben, aber ich muß, ich muß es doch.«

»Ja, meine liebe Tessa, Du sollst sie ihm auch bringen, aber erst will ich Dir einige berlingozzi geben. Hier in der Nähe sind welche zu bekommen.«

»Wo kommt Ihr her?« fragte Tessa etwas verwirrt, »ich glaubte schon, daß Ihr nie wieder zu mir kommen würdet, weil Ihr Euch gar nicht mehr auf dem Markt, um Milch zu nehmen, sehen ließet. Ich fing an Ave's zu sagen, ob sie Euch nicht zurückbringen würden, aber ich hörte damit auf, weil sie das doch nicht vermochten.«

»Du siehst aber doch, daß ich komme, wenn Du Jemanden brauchst, der sich Deiner annimmt, Tessa. Vielleicht haben mich die Ave's doch geholt, nur ein bischen langsam. Aber was wirst Du thun, wenn Du nun hier ganz allein bist? wohin wirst Du gehen?«

»O, ich bleibe hier und schlafe in der Kirche, das thun Viele, in der Kirche und da herum; ich habe es schon einmal gethan, als ich mit der Mutter herging; und mein Stiefvater kommt morgen früh mit den Maulthieren.«

Sie befanden sich jetzt draußen auf der Piazza, wo die Volksmenge weniger laut tobte und die Anzahl der Lichter geringer war als vorher, da der Strom von Pilgern aufgehört hatte. Tessa hing in seligem Schweigen an Titos Arm, während er sie der Bude zuführte, wo, wie er sich erinnerte, er die Eßwaaren gesehen hatte. Sie legten den Weg jetzt bequemer zurück, da eben ein großer Andrang nach der Piazza hin war, wo die Masken auf Stelzen Raum gefunden hatten, einen Tanz auszuführen. Es war wirklich ein Vergnügen, das arglose Mädchen ihre Cocons in Tito's Hand legen und ihre berlingozzi mit dem Appetit eines hungrigen Kindes essen zu sehen. Tito war in der That da, um sich ihrer anzunehmen, wie er schon früher gethan hatte, und die wundersame Glückseligkeit, bei ihm zu sein, war ihr wieder erschienen. Ihr Hunger war um so rascher gestillt, als der neue Reiz des Glücks sie aus ihrer Müdigkeit emporgerüttelt hatte; und als sie die Bude wieder verließen, erwähnte sie kein Wort weiter davon, in die Kirche zurückkehren zu wollen, sondern blickte umher, als ob die Scenen auf der Piazza jetzt, da sie an Tito's Arm sich sicher fühlte, nicht ohne Anziehungskraft für sie wären.

»Wie können sie das nur zu Stande bringen,« rief sie aus, indem sie zu den Stelzentänzern aufsah. Dann fuhr sie nach einer kleinen Pause fort: »glaubt Ihr nicht, daß Sanct Christoph ihnen hilft?«

»Wol möglich. Und was meinst Du damit, Tessa?« fragte er, seinen rechten Arm um sie schlingend und liebevoll auf sie hinabblickend.

»Weil Sanct Christoph so groß und so gut ist; wenn Jemand ihn ansieht, so hilft er Dem den ganzen Tag. Er ist an der Kirchenwand, zu groß dort darauf zu stehen, ich sah ihn aber an einem Sanct Johannistag durch die Straßen gehen mit dem Jesuskindlein.«

»Du liebes Täubchen, Du! meinst Du, daß Jemand umhin könnte, für Dich zu sorgen, wenn Du ihn ansiehst?«

»Werdet Ihr immer kommen und für mich sorgen?« fragte Tessa, ihr Gesicht zu ihm erhebend, während er mit seiner linken Hand ihre Backe drückte, »und werdet Ihr immer erst so lange ausbleiben?«

Tito merkte, daß einige Umstehende über sie lachten, und obgleich die Freiheit des Straßenscherzes unter Künstlern und jungen reichen Männern, so wie unter Leuten der niederen Klassen in wenigen Fällen ein Abenteuer zur Seltenheit oder gar zu einer schimpflichen Sache machte, so zog er es doch vor, sich an das andere Ende der Piazza zu begeben.

»Vielleicht komme ich recht bald wieder zu Dir, Tessa,« antwortete er etwas träumerisch, als sie sich entfernt hatten. Er dachte daran, wie angenehm es sein müßte, wenn alle Anderen ihm den Rücken gekehrt hätten, von diesem kleinen Wesen, das sich an ihn schmiegte, angebetet zu werden. Der Mangel an anmaßendem Selbstdünkel bewirkte, daß Tito desto wehrloser gegen voraussichtliche Vorwürfe war; ihm waren sanfte Blicke und Liebkosungen zu sehr Bedürfniß, als daß er zu unverschämt hätte sein können.

»Auf den Markt?« fragte Tessa, »dann aber nicht morgen früh, weil der Stiefvater da sein wird, und der ist so widerwärtig. Aber Ihr habt ja Geld, und wenn Ihr ihm Salat abkauft, so wird er nicht so grob sein. Es sind auch Kastanien da! Mögt Ihr gern Kastanien?«

Er antwortete nicht, sondern fuhr fort, sie mit einer Art träumerischer Milde anzusehen, und Tessa fühlte sich so wunderselig; ihr schien Alles so neu, als ob sie auf einem Wolkenwagen dahinflöge.

»Heilige Jungfrau!« rief sie plötzlich aus, »da ist ein heiliger Vater wie der Bischof, den ich in Prato sah.«

Tito blickte gleichfalls auf, und bemerkte, daß er, ohne es zu wissen, in die Nähe des Zauberers, Maëstro Vaiano gekommen war, der in diesem Augenblicke von der großen Menge verlassen dastand. Sein Gesicht war von ihnen abgewendet, und er beschäftigte sich eben mit dem Apparat auf seinem Altar oder Tische, indem er inzwischen eine neue Zerstreuung für die Zeit vorbereitete, wenn das Interesse am Tanze erschöpft sein würde. Der Affe lag unter dem rothen Tuch und außerhalb der Möglichkeit eines Schadens gefangen, während der Knabe im weißen Ueberwurf eine Art Schüssel oder Teller hielt, aus dem sein Meister einige Ingredienzen herausnahm. Der altarähnliche Tisch mit der schimmernden Decke, die Reihe Kerzen, das nachgeäffte Bischofsgewand, der Begleiter mit dem Ueberwurf, ja selbst die Bewegungen der Gestalt mit der Mitra, als sie abwechselnd das Haupt neigte und dann einen Gegenstand dicht vor den Lichtern in die Höhe hob, bildeten eine so ähnliche Parodie heiliger Gebräuche, daß die Ehrfurcht der armen Tessa dadurch erweckt wurde, und diese heilige Scheu wurde noch durch das Geheimnißvolle der Erscheinung an diesem Orte erhöht, denn sie hatte schon früher einen Altar auf der Straße gesehen, und das war am Frohnleichnamstage, wo eine Procession den Grund dafür bezeichnete. Sie bekreuzte sich, und dann sah sie Tito an und sagte, als ob sie Zeit zur Ueberlegung gehabt hätte: »Es ist wegen der Natività

Inzwischen hatte Vaiano sich umgewendet, und indem er mit der Hand nach seiner Kopfbedeckung fuhr, um sich umzukleiden, erkannte sein rascher Blick Tito und Tessa, die ihn Beide ansahen, ihre Züge von dem Lichte der Kerzen beschienen, während die seinigen im Schatten waren.

»He, meine Kinder!« rief er alsbald, die Hände wie zum Segnen ausstreckend. »Ihr kommt, um Euch zu vermählen. Ich erkenne Eure Reue an; der Segen der heiligen Kirche kann niemals zu spät kommen.«

Während er so sprach, hatte er den Sinn der Stellung und des Ausdrucks Tessa's begriffen, und ersah die Gelegenheit zu einer neuen Art von Scherz, welche es ihm nöthig erscheinen ließ, vorsichtig und feierlich aufzutreten.

»Möchtest Du Dich wol mit mir verheirathen, Tessa?« fragte Tito sanft, halb sich am Spaß ergötzend, als er den reizenden kindischen Ernst in ihrem Gesichte sah, halb von jenen unbestimmten Ahnungen getrieben, die dem Rausch der Verzweiflung eigen sind.

Er fühlte, wie sie erbebte, ehe sie zu ihm aufblickte und furchtsam entgegnete: »Wollt Ihr es erlauben?«

Er antwortete nur durch ein Lächeln, und indem er sie vor den Marktschreier hinführte, der, in dem offenbaren Wahn Tessa's einen köstlichen Spaß sehend, eine übermäßig priesterliche Feierlichkeit annahm und die mimische Ceremonie freigebig mit Redensarten aus der lingua furbesca (Rothwälsch) ausstattete. Einige Anzeichen einer neuen Bewegung in der Volksmasse trieben ihn an, die Sache schnell zu enden, und er entließ sie, die Hände in segnender Haltung über die beiden Knieenden gestreckt. Tito, stets geneigt, Wohlwollen, und wenn es auch nicht von den Ausgesuchtesten herrührte, zu erhalten, steckte, indem er sich entfernte, Jenem ein Stück von vier grossi in die Hand, und erhielt dafür einen Dank mit einem Winke, welcher, wie der Zauberer gewiß glaubte, ein vollkommenes Verständniß der ganzen Sache ausdrückte.

Tito war aber selbst weit entfernt von jenem Verständniß und wußte in der That nicht, ob er Tessa sogleich den Scherz erklären und sie als Gänschen verlachen, oder ob er sie in ihrem Wahne lassen und abwarten sollte, was daraus werden, was sie nun sagen und thun würde.

»Ihr werdet also nun nicht wieder von mir gehen,« sagte Tessa, nachdem sie einige Schritte gethan hatten, »und werdet mich in Eure Wohnung mitnehmen.« Sie sprach wie überlegend, aber nicht fragend; gleich darauf fuhr sie fort: »Ich muß aber doch noch einmal zur Mutter zurückkehren und ihr sagen, daß ich die Cocons abgegeben habe, daß ich verheirathet bin und nicht mehr wiederkommen werde.«

Tito fühlte die Nothwendigkeit, jetzt zu sprechen, und in dem raschen, von dieser Nothwendigkeit hervorgerufenen Gedanken sah er, daß, wenn er Tessa enttäusche, er sich wenigstens etwas von jenem reizenden Vertrauen raubte, das ihm vielleicht später als einziger Rettungshafen vor der Verachtung dienen könnte. Es hieße Tessa verderben, wenn er sie auch nur ein wenig klüger oder argwöhnischer machte.

»Ja, kleine Tessa,« sagte er schmeichelnd, »Du mußt zur Mutter zurückkehren, ihr aber nicht sagen; daß Du verheirathet bist; das muß ein Geheimniß für Jedermann bleiben, sonst würde mir ein großes Unglück zustoßen und Du würdest mich nie wiedersehen.«

Sie sah ihn mit einem vor Schreck bleichen Gesichte an.

»Du mußt zurückkehren und Deine Ziegen und Maulthiere füttern, und so thun, wie Du es von jeher gewohnt warst, und zu Niemandem ein Wort über mich reden.«

Ihre Mundwinkel zogen sich ein wenig niederwärts.

»Dann komme ich auch vielleicht und nehme mich Deiner an, wenn Du meiner bedarfst, wie ich schon gethan habe. Du mußt aber thun, wie ich Dir sage, sonst siehst Du mich niemals wieder.«

»Ja, ja, das will ich,« sagte sie laut flüsternd, bei dieser farblosen Aussicht in die Zukunft erschreckend.

Beide schwiegen einige Augenblicke, dann fuhr Tessa fort, auf ihre Hand blickend:

»Die Mutter trägt einen Trauring. Sie ging zur Kirche, wo man ihn ihr ansteckte, und Tages darauf wurde sie verheirathet. So war es auch mit der Base Nannina. Sie heirathete aber den Gollo,« fuhr das arme kleine Wesen fort, von dem schwierigen Vergleich ihrer eigenen Sache mit der Anderer, die sie kannte, ganz verwirrt.

»Du darfst aber keinen Trauring tragen, Tessa, weil Niemand wissen darf, daß Du verheirathet bist,« erwiderte Tito, da er fühlte, daß er eindringlich werden mußte, »und das Amulet, das ich Dir gab, hat dieselbe Gewalt für die Verlobung; einige Leute werden mit Ringen verlobt, andere wieder nicht.«

»Ja, es ist wahr, sie würden den Ring sehen,« sagte Tessa, indem sie sich selbst zu überreden suchte, daß etwas, was sie so gern hätte, in der That nicht gut für sie sei.

Sie waren jetzt wieder nahe beim Eingang in die Kirche, und sie erinnerte sich ihrer Cocons, die Tito noch in der Hand hielt.

»Ach, Ihr müßt mir das yoto geben,« sagte sie, »und wir müssen hineingehen, und ich muß es dem Pater geben und den übrigen Theil meines Rosenkranzes beten, weil ich vorhin zu müde war.«

»Ganz recht, Du mußt hineingehen, Tessa, aber ich werde nicht mitgehen, sondern muß Dich jetzt verlassen,« sagte Tito, zu erhitzt und ermüdet, um sich wieder in den erstickenden Dunst hineinzuwagen, und einsehend, daß dieses die am mindesten schwierige Art war, sich von ihr los zu machen.

»Und nicht wieder kommen? Wohin geht Ihr denn?« Tessa's Geist hatte sich nie eine Vorstellung von seinem Aufenthalte oder seinem Thun und Treiben, wenn sie ihn nicht sah, gemacht; er war entschwunden, und ihre Gedanken, statt ihm zu folgen, verweilten immer auf dem Flecke, wo er neben ihr gewesen war.

»Ich komme wol schon noch wieder, Tessa,« sagte Tito, sie nach den Kreuzgängen zur Kirchenthür führend, »Du mußt nicht weinen, sondern einschlafen, wenn Du Deinen Rosenkranz fertig hergesagt hast. Hier hast Du auch Geld, um Dir ein Frühstück zu kaufen. So, jetzt gieb mir einen Kuß und sieh heiter aus, sonst komme ich nicht wieder.«

Es kostete ihr eine große Selbstüberwindung, ihre Lippen zu einem Kuß zu spitzen und es sich gefallen zu lassen, sanft umgedreht zu werden mit dem Gesicht nach der Kirchenthür. Tito sah sie hineintreten, und dann, mit einem Achselzucken über seine Entschlossenheit sich gegen einen Pfeiler lehnend, nahm er die Mütze ab, strich sein Haar zurück und fragte sich, wo Romola jetzt wol sei, und was sie von ihm denke. Die arme kleine Tessa war hinter dem Vorhang unter der Menge von Bäuerinnen verschwunden, aber die Liebe, welche mit allen seinen irdischen Hoffnungen, mit dem Ehrgeiz und dem Genusse, die den ernstern Theil seines Lebens bilden sollten, verwebt war, die Liebe, die mit seinem höhern Ich Eins geworden war, die konnte er nicht aus seinem Bewußtsein verbannen. Selbst für Denjenigen, der jeder Unannehmlichkeit den elastischsten Widerstand entgegensetzt, kommen Augenblicke, wo der Druck von Außen zu stark ist, und wo er unwillkürlich den Schmerz und den verwundenden Druck fühlt. Ein solcher Augenblick war für Tito genaht. Es gab keine mögliche Geistesstimmung, keinen Thatenentwurf, welche das Ausreißen aller seiner neugepflanzten Hoffnungen ihn nicht schmerzlich empfinden lassen mußten.



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