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Achtzehntes Kapitel.

Das Motto zu Kapitel 40 (in dieser Übersetzung Band 2, Kapitel 18):

Wise in his daily work was he:
   To fruits of diligence,
And not to faiths or polity,
   He plied his utmost sense.
These perfect in their little parts,
   Whose work is all their prize –
Without them how could laws, or arts,
   Or towered cities rise?


Wenn wir Wirkungen, und wären es auch nur die einer electrischen Batterie, beobachten wollen, müssen wir oft nothwendig unsern Standort verändern, um einen Gegenstand in einiger Entfernung von dem Punkte zu betrachten, von welchem die uns interessirende Bewegung ausging. Der Gegenstand unserer Beobachtung ist eine Gruppe von Menschen, die wir um Caleb Garth's Frühstückstisch in dem großen Wohnzimmer versammelt finden, wo der Schreibtisch steht und Landkarten an den Wänden hängen. Die Gruppe besteht aus Vater, Mutter und fünf Kindern. Mary war jetzt zu Hause und suchte eine neue Stelle, während dagegen Christy, der auf sie folgende Bruder, in Schottland billige Kost und billigen Unterricht genoß, da er zum großen Bedauern seines Vaters eine ausgesprochene Neigung, nicht für den heiligen Beruf des »Geschäfts«, sondern für Bücher gezeigt hatte.

Eben war die Post gekommen – neun theure Briefe, für welche der Briefträger drei Shilling und sechs Pence erhalten hatte, und Herr Garth vergaß seinen Thee und sein geröstetes Brod über der Lectüre dieser Briefe, welche er, bald den Kopf langsam hin- und herwiegend, bald in innerer Ueberlegung den Mund spitzend, offen einen auf den andern legte, ohne jedoch zu vergessen, ein großes rothes Siegel für Letty, die wie ein gieriger Terrier danach schnappte, sorgfältig auszuschneiden.

Die Uebrigen unterhielten sich ruhig weiter; denn nichts vermochte Caleb aus seinen Gedanken aufzuscheuchen, außer wenn man, während er schrieb, an den Tisch stieß.

Zwei von den neun Briefen waren für Mary gewesen. Nachdem sie dieselben gelesen, hatte sie sie ihrer Mutter gereicht und saß nun mit ihrem Theelöffel spielend wie abwesend da, bis sie plötzlich wieder aus ihrer Träumerei zu erwachen schien und ihre Näharbeit, welche sie während des Frühstücks auf dem Schooß behalten hatte, wieder zur Hand nahm.

»Mary, laß das Nähen,« sagte Ben, indem er sie am Arme zog, »und mache mir einen Pfau aus diesem Brot.«

Er hatte zu diesem Zweck schon einen kleinen Teig zusammengeknetet.

»Nein, nein, Du Nichtsnutz,« sagte Mary freundlich und versetzte ihm einen kleinen Stich mit der Nadel. »Versuch' es doch einmal selbst, den Pfau zu machen; Du hast ja oft genug gesehen, wie ich es mache. Ich muß diese Näharbeit fertig haben. Sie ist für Rosamunde Vincy. Sie soll nächste Woche heirathen, und die Hochzeit kann nicht sein, wenn dieses Schnupftuch nicht fertig ist,« schloß Mary in einem durch die Ergötzlichkeit dieser Vorstellung hervorgerufenen heitern Ton.

»Warum kann denn die Hochzeit nicht ohne das Schnupftuch sein?« fragte Letty, welche dieser geheimnißvolle Zusammenhang auf das Lebhafteste interessirte, und trat dabei mit dem Kopf so dicht an Mary heran, daß diese jetzt mit ihrer Nadel Letty's Nase bedrohte.

»Weil dieses zu einem Dutzend gehört und weil es ohne dasselbe nur elf sein würden,« antwortete Mary im Tone einer ernsthaften Erklärung, so daß Letty sich mit dem Bewußtsein einer erlangten Aufklärung zurückzog.

»Hast Du Deinen Entschluß gefaßt, liebes Kind?« fragte Frau Garth, indem sie die Briefe neben sich auf den Tisch legte.

»Ich werde die Stelle auf der Schule in York annehmen,« sagte Mary. »Ich kann noch eher in einer Schule als in einer Familie unterrichten. Wenn ich schon unterrichten muß, will ich es am liebsten in größeren Classen thun. Und unterrichten muß ich ja nun einmal, siehst Du, etwas Anderes bietet sich mir nicht.«

»Unterrichten scheint mir die köstlichste Thätigkeit in der Welt,« erwiderte Frau Garth mit einer Nüance des Vorwurfs in ihrem Tone. »Ich würde Deine Abneigung dagegen begreifen, Mary, wenn es Dir an den nöthigen Kenntnissen fehlte oder wenn Du nicht kinderlieb wärest.«

»Ich glaube, Mutter, wir können nie recht begreifen, warum ein Anderer das, was wir gern haben, nicht mag,« entgegnete Mary etwas kurz. »Ich liebe Schulstuben nicht, ich ziehe die Außenwelt vor. Es ist das ein Mangel, der mir sehr schlecht zu Statten kommt.«

»Ich denke es mir schrecklich langweilig, immer in einer Mädchenschule zu sein,« sagte Alfred, – »eine solche Gesellschaft von Zierpuppen wie Frau Ballard's Pensionärinnen, die zwei und zwei spazieren geführt werden!«

»Und sie haben gar keine ordentlichen Spiele,« sagt Jim, »sie können nicht werfen und nicht springen. Ich begreife sehr gut, daß Mary das nicht mag.«

»Was mag Mary nicht, wie?« fragte Caleb über seine Brille wegblickend, als er eben im Begriff stand, den nächsten Brief zu öffnen. –

»Sie mag nichts mit Zierpuppen zu thun haben,« sagte Alfred.

»Ist das die Stelle, von der Du schon gehört hattest?« fragte Caleb, indem er Mary freundlich ansah.

»Ja, Vater, die Stelle in der Schule in York. Ich habe mich entschlossen, sie anzunehmen. Sie ist entschieden die beste. Fünfunddreißig Pfund jährlich und ein Extrahonorar für den Klavierunterricht der kleinsten Klimperer.«

»Das arme Kind. Ich wollte, sie könnte bei uns bleiben, Susanne,« sagte Garth, indem er seine Frau mit einem betrübten Blick ansah.

»Mary würde sich nicht glücklich fühlen, wenn sie nicht ihre Pflicht thäte,« erwiderte Frau Garth in einem strengen und lehrhaften Tone, den ihr das Bewußtsein ihrer eigenen gewissenhaften Pflichterfüllung eingab.«

»Mich würde es nicht glücklich machen, eine so greuliche Pflicht zu erfüllen,« sagte Alfred – und Mary und ihr Vater lachten still vor sich hin, während Frau Garth sehr ernst sagte: »– Du solltest Dich nach einem passenderen Worte, als ›greulich‹ für Alles, was Dir nicht gefällt, umsehen, lieber Alfred. Und wie, wenn nun Mary Dir mit dem Geld, was sie verdienen wird, behülflich wäre, zu Herrn Hanmer in die Lehre zu kommen?«

»Dazu sollte sie ihr Geld hergeben? das wäre ja schmählich! Aber sie ist ein Hauptkerl« sagte Alfred, indem er aufstand, hinter Mary's Stuhl trat und ihren Kopf in seine Hände nahm, um sie zu küssen.

Mary erröthete und lachte, konnte aber doch nicht verbergen, daß die Thränen ihr in die Augen traten.

Caleb, der mit in die Höhe gezogenen Augbrauen über seine Brille hinweg sah und dessen Gesicht einen aus Kummer und Entzücken gemischten Ausdruck zeigte, ging wieder an das Oeffnen seines Briefes, und selbst Frau Garth ließ mit einem Ausdruck ruhigen Behagens, der ihre Lippen umspielte, für dieses Mal Alfred's unpassende Sprache ohne Correctur passiren, obgleich Ben sich das von Alfred gebrauchte Wort sofort aneignete und in einem raschen Takte, den er auf Mary's Arm schlug, singend rief: »Sie ist ein alter Hauptkerl, ein Hauptkerl, ein Hauptkerl!«

Aber jetzt wurden Frau Garths Blicke auf ihren Gatten gelenkt, der schon ganz in die Lectüre seines Briefes vertieft war. Sein Gesicht trug den Ausdruck einer ernsten Ueberraschung, die sie ein wenig beunruhigte, aber er hatte es nicht gern, wenn man ihn etwas fragte, so lange er las, und sie beobachtete ihn ruhig mit ängstlicher Spannung, bis er plötzlich mit einem kleinen vergnügten Lachen den Anfang des Briefes noch einmal las und dann, indem er seine Frau über seine Brille hinweg anblickte, in leisem Tone sagte:

»Was denkst Du davon, Susanne?«

Sie stand auf, stellte sich hinter seinen Stuhl und legte ihre Hand auf seine Schulter, während sie den Brief zusammen lasen. Derselbe war von Sir James und machte Herrn Garth das Anerbieten, die Verwaltung seiner Güter in Freshitt und anderswo zu übernehmen, mit dem Hinzufügen, daß Sir James von Herrn Brooke von Tipton ersucht worden sei-bei Herrn Garth anzufragen, ob derselbe wohl geneigt sein würde, gleichzeitig die Verwaltung von Tipton wieder zu übernehmen. Der Baronet fügte in sehr verbindlichen Ausdrücken hinzu, daß er selbst lebhaft wünsche, die Güter von Freshitt und Tipton unter eine Verwaltung gestellt zu sehen, und daß er hoffe, daß sich die zwiefache Verwaltung unter für Herrn Garth annehmbaren Bedingungen werde beschaffen lassen. Er werde sich freuen, Herrn Garth um zwölf Uhr am nächsten Tage in Freshitt Hall bei sich zu sehen.

»Er schreibt hübsch, nicht wahr Susanne?« sagte Caleb, indem er die Augen zu seiner Frau aufschlug, während sie die Hand von seiner Schulter wegzog und an seine Wange legte und sich dabei mit dem Kinn auf seinen Kopf stützte.

»Ich merke wohl, Brooke mochte mich nicht selbst auffordern,« fuhr er still vor sich hinlachend fort.

»Kinder, Eurem Vater ist eine große Ehre wiederfahren,« sagte Frau Garth, indem sie ihre Blicke über die fünf Paar Augen, die alle fest auf die Eltern gerichtet waren, schweifen ließ. »Er wird von Leuten, die ihn vor langer Zeit entlassen haben, aufgefordert, seinen Posten wieder zu übernehmen. Dies zeigt, daß er seine Arbeit gut gethan hat und daß sie ihn nicht entbehren können.«

»Wie Cincinnatus – Hurrah!« rief Ben, der sich in dem angenehmen Gefühl, daß es jetzt nicht so genau werde genommen werden, rittlings auf seinen Stuhl setzte.

»Werden sie herkommen und ihn abholen, Mutter?« fragte Letty, die dabei an den Mayor und den Stadtrath in ihren Festgewändern dachte.

Frau Garth streichelte Letty das Haar und lächelte; als sie aber bemerkte, daß ihr Mann seine Briefe zusammen raffte, und voraussah, daß er sich nun alsbald in sein geheiligtes »Geschäft« versenken und unnahbar sein werde, legte sie ihm die Hand wieder fest auf die Schulter und sagte mit Nachdruck:

»Jetzt lässest Du Dich aber ordentlich bezahlen, Caleb, hörst Du.«

»O ja,« erwiderte Caleb in einem tiefen Ton der Zustimmung, als ob sich das bei ihm ganz von selbst verstehe. »Für die beiden Verwaltungen zusammen wird sich die Sache auf vier- bis fünfhundert Pfund belaufen.« Dann aber fuhr er, als ob ihm plötzlich etwas einfalle, zu Mary gewandt fort: »Mary, schreibe die Stelle an der Schule ab, bleib' bei uns und hilf Deiner Mutter im Hause. Jetzt, wo mir das eingefallen ist, bin ich vergnügt wie Polichinell Die Figur des Pulcinella in der Commedia dell'arte, zumeist zumeist ein schlauer, listiger, grober und zugleich einfältiger und tölpelhafter, gefräßiger Diener bäuerlicher Herkunft. Im deutschsprachigen Raum etwa beeinflusste bzw. diente er als Vorlage für die Figuren Hanswurst, Kasper oder Kasperl. – Anm.d.Hrsg.

Man konnte nichts der Ausgelassenheit Polichinells Unähnlicheres sehen als das Behaben Caleb's; aber es war nicht seine Force, im Sprechen treffende Ausdrücke zu finden, obgleich er es mit denselben beim Briefschreiben sehr genau nahm und seine Frau als ein Muster correcter Sprache verehrte.

Die Kinder waren jetzt völlig aus dem Häuschen, und Mary hielt das gestickte Battiste-Schnupftuch mit flehender Geberde gegen ihre Mutter empor, daß sie es in Sicherheit bringen möge, während die Knaben sie mit Gewalt zu einem Tanz heranzogen. Frau Garth fing in ihrer ruhigen Freude an, das Frühstücksgeschirr wegzuräumen, während Caleb seinen Stuhl vom Tische abschob, als wolle er sich an seinen Schreibtisch setzen; dann aber, seine Briefe in der Hand, noch eine Weile sitzen blieb und nachdenklich vor sich hin auf den Fußboden blickte, wobei er in einer ihm eigenen stummen Zeichensprache die Finger der linken Hand ausgespreizt hielt.

Endlich sagte er:

»Es ist ewig Schade, Susanne, daß Christy keine Lust zum »Geschäft« gehabt hat. Ich werde mit der Zeit Hülfe brauchen, und Alfred muß Ingenieur werden, das steht einmal fest bei mir.« Eine Weile versank er wieder in Nachdenken und Fingerzeichensprache und fuhr dann fort: »Ich werde Brooke neue Contracte mit seinen Pächtern abschließen lassen und werde einen Plan zu einer rationellen Wechselwirthschaft auf seinem Gute entwerfen. Und ich möchte darauf wetten, daß wir aus dem Lehm in Bott's Cornet schöne Backsteine gewinnen können. Ich muß mich darum bekümmern, das würde uns die Reparaturen billiger machen. Es ist eine herrliche Arbeit, Susanne. Ein Mann ohne Familie würde sie mit Vergnügen umsonst thun.«

»Daß Du Dir das nur nicht einfallen lässest,« sagte seine Frau, indem sie ihm mit dem Finger drohte.

»Nein, nein; aber es ist doch eine schöne Sache, mit einem Manne zu thun zu haben, wenn er zu einer richtigen Ansicht vom »Geschäft« gelangt ist – eine Chance zu haben, ein Stückchen Land ›in die Reihe zu bringen‹, wie sie es nennen, und den Leuten bei ihrer Bewirthschaftung auf den rechten Weg zu helfen und ein bischen ordentlichen Betrieb und solides Bauwerk herzustellen, damit es den jetzt Lebenden und denen, die nach ihnen kommen, besser ergehe. Das würde mich mehr freuen, als wenn ich ein reicher Mann wäre. Ich halte das für die ehrenvollste Arbeit, die ein Mensch verrichten kann.«

Bei diesen Worten legte Caleb seine Briefe wieder auf den Tisch, steckte die Finger der rechten Hand zwischen die Knöpfe seiner Weste und richtete sich auf; fuhr dann aber, den Kopf ein wenig auf die Seite neigend, mit einer gewissen Feierlichkeit des Tones fort:

»Es ist eine große Gnade von Gott, Susanne.«

»Das ist es,« sagte Frau Garth in einem warmen Tone der Zustimmung. »Und es wird Deinen Kindern zum Segen gereichen, einen Vater gehabt zu haben, der solche Arbeit gethan hat, einen Vater dessen gute Werke ihn überdauern werden, wenn auch sein Name vielleicht in Vergessenheit geräth.«

Es war ihr nicht möglich, wegen der Bezahlung jetzt noch weiter in ihn zu dringen.

Am Abende, als Caleb, etwas ermüdet von seinem Tagewerk, sein Taschenbuch offen auf dem Knie haltend, schweigend dasaß, während Frau Garth und Mary mit Nähen beschäftigt waren und Letty sich in einer Ecke des Zimmers flüsternd mit ihrer Puppe unterhielt, kam Herr Farebrother die Obstbaumallee herauf, die sich mit dem Buschwerk auf dem Rasen und mit den Zweigen der Apfelbäume in die schönen Lichter und Schatten der Augustsonne theilte.

Wir wissen bereits, daß er auf die Garth's, die zu seiner Gemeinde gehörten, viel hielt und daß er es der Mühe werth gefunden hatte, Mary's gegen Lydgate Erwähnung zu thun. Er machte sich das ihm als Geistlichen zustehende Vorrecht, die Middlemarcher Rangunterschiede zu mißachten, vollauf zu Nutze und sagte seiner Mutter immer, daß Frau Garth mehr einer ächten Lady gleiche als irgend eine der verheiratheten Frauen in der Stadt.

Und doch brachte er seine Abende, wie wir gesehen haben, bei den Vincy's zu, wo die Frau vom Hause, wenn auch weniger eine ächte Lady, in einem wohlbeleuchteten Salon mit Whisttischen die Honneurs machte. In jenen Tagen war gegenseitige Achtung nicht allein maßgebend für den Verkehr der Menschen; aber für die Garth's empfand der Pfarrer aufrichtige Hochachtung, und ein Besuch von ihm hatte für die Familie nichts Ueberraschendes.

Heute aber gab er gleichwohl, noch während er den Familienmitgliedern die Hand reichte, einen besondern Grund für seinen Besuch an, indem er sagte:

»Ich komme als Abgesandter zu Ihnen, Frau Garth, ich habe Ihnen und Garth etwas in Betreff von Fred Vincy zu sagen. Die Sache ist,« fuhr er fort, indem er sich setzte und die Drei, die ihm zuhörten, mit seinen hellen Augen ansah, »daß der arme Junge mich zu seinem Vertrauten gemacht hat.«

Mary's Herz schlug rascher, sie war begierig zu erfahren, wie weit Fred in seinem Vertrauen gegangen sei.

»Wir haben den Jungen seit Monaten nicht gesehen,« sagte Caleb, »ich habe mich öfter gefragt, was wohl aus ihm geworden sei.«

»Er ist zum Besuch bei Freunden gewesen,« antwortete der Pfarrer, »weil es ihm zu Hause ein bischen zu heiß geworden war und Lydgate seiner Mutter erklärt hatte, der arme Junge dürfe noch nicht wieder anfangen zu studiren. Aber gestern kam er zu mir und schüttete mir sein Herz aus. Das freute mich sehr; denn ich habe ihn seit seinem vierzehnten Jahre heranwachsen sehen und bin bei den Vincy's so zu Hause, daß ich die Kinder wie meine Neffen und Nichten betrachte. Aber es ist schwierig, in Fred's Fall einen Rath zu geben. Indessen hat er mich gebeten, zu Ihnen zu gehen und Ihnen zu sagen, daß er fortreis't und daß ihn seine Schuld gegen Sie und die Unmöglichkeit, in der er sich befindet, dieselbe abzutragen, so unglücklich mache, daß er sich nicht entschließen könne, Ihnen Lebewohl zu sagen.«

»Sagen Sie ihm, wir dächten gar nicht mehr an die Sache,« sagte Caleb mit einer abwehrenden Bewegung der Hand. »Im ersten Augenblick hat es ein bischen wehe gethan, aber wir haben es überwunden, und jetzt werde ich bald so reich sein wie Krösus.«

»Was so viel sagen will wie,« ergänzte Frau Garth, dem Pfarrer zulächelnd, »daß wir genug haben werden, den Jungen eine ordentliche Erziehung zu geben und Mary zu Hause zu behalten.«

»Und worin besteht Ihr geheimer Schatz?« fragte Farebrother.

»Ich soll die Verwaltung von zwei Gütern, Freshitt und Tipton, übernehmen und vielleicht noch die eines hübschen Stück Landes in Lowick dazu. Das gehört Alles derselben Familie und – wenn man erst einmal eine Thätigkeit gefunden hat, so pflegt Einem die Beschäftigung von allen Seiten zuzuströmen. Es macht mich sehr glücklich, Herr Farebrother,« – bei diesen Worten warf Caleb den Kopf ein wenig zurück und legte die Arme auf die Lehnen seines Sessels –, »daß ich wieder eine Gelegenheit gefunden habe, mich mit Landwirthschaft zu beschäftigen und vielleicht einige Verbesserungen in's Werk zu setzen. Es drückt Einem das Herz ab, wie ich oft zu Susannen gesagt habe, wenn man über Land reitet und über die Hecken hinweg alle die Verkehrtheiten sehen muß, ohne im Stande zu sein, die bessernde Hand anzulegen. Wie die Leute es übers Herz bringen können, sich mit Politik zu befassen, begreife ich nicht; mich macht es fast wahnsinnig, wenn ich nur ein paar hundert schlecht bewirthschaftete Acker Landes sehe.«

Es kam selten vor, daß Caleb sich ohne Nöthigung auf eine so lange Erörterung einließ, aber sein Glück wirkte auf ihn wie Bergluft; seine Augen glänzten und, die Worte flossen ihm mühelos von den Lippen.

»Ich wünsche Ihnen von Herzen Glück dazu, Garth,« sagte der Pfarrer. »Das ist die beste Nachricht, die ich Fred Vincy hätte bringen können; denn er konnte sich nicht darüber trösten, daß Sie durch seine Schuld um Geld gebracht – beraubt seien,« sagte er, – »dessen Sie zu anderen Zwecken bedurft hätten. Ich wollte, Fred wäre nicht ein so fauler Bursche; er hat einige sehr gute Seiten und sein Vater ist ein wenig hart gegen ihn.«

»Wohin geht er denn?« fragte Frau Garth etwas kalt.

»Er will es noch einmal mit seinem Examen versuchen und will noch bis zum Schluß des Semesters fleißig studiren. Ich habe ihm dazu gerathen. Ich dringe nicht in ihn, Geistlicher zu werden – im Gegentheil. Aber er will sich in den Stand setzen, beim Examen durchzukommen, dadurch wird er doch eine Gewähr für seine Energie und seine Willenskraft bieten, und er ist ganz rathlos, er weiß nicht, was er Anderes anfangen soll. Auch wird er damit seinen Vater vorläufig befriedigen; inzwischen aber habe ich ihm versprochen zu versuchen, ob ich nicht Vincy mit dem Gedanken an einen andern Lebensberuf seines Sohnes aussöhnen kann. Fred gesteht offen, daß er nicht zum Geistlichen tauge, und ich möchte Alles, was in meinen Kräften steht, aufbieten, um einen Menschen zu verhindern, den verhängnißvollen Schritt der Wahl eines falschen Lebensberufs zu thun. Er erwähnte gegen mich, was Sie darüber einmal zu ihm gesagt haben, Fräulein Garth – erinnern Sie sich dessen?«

Farebrother pflegte sie sonst nicht, Fräulein Garth, sondern ›Mary‹ zu nennen; aber mit der ihm eigenen Delicatesse befleißigte er sich gegen sie jetzt einer besonderen Ehrerbietung, weil sie, wie sich Frau Vincy auszudrücken beliebte, für ihr Brot arbeiten mußte.

Mary fühlte sich unbehaglich, antwortete aber, entschlossen, die Sache leicht zu nehmen, sofort: »Ich habe in meinem Leben Fred so viele Impertinenzen gesagt! – wir sind ja alte Spielkameraden.«

»Nach seiner Aussage haben Sie zu ihm gesagt, er würde einer jener lächerlichen Geistlichen werden, die ihre Lächerlichkeit dem ganzen geistlichen Stande aufprägen. Das war wahrhaftig so treffend, daß ich mich selbst ein wenig getroffen fühlte.«

Caleb lachte. »Sie hat ihre Zunge von Dir, Susanne,« sagte er vergnüglich.

»Nicht ihre lose Geschwätzigkeit, Vater,« sagte Mary rasch, aus Furcht, daß die Bemerkung ihrer Mutter unangenehm sein möchte. »Es ist wahrhaftig abscheulich von Fred, Herrn Farebrother meine losen Reden zu wiederholen.«

»Das war allerdings ein voreiliges Wort, liebes Kind,« sagte Frau Garth, bei welcher spöttische, die Würde eines Standes antastende Bemerkungen für ein schweres Vergehen galten. »Wir würden doch unseren Pfarrer nicht weniger hochschätzen, weil es etwa im nächsten Kirchspiele einen lächerlichen Geistlichen gäbe.«

»Es ist aber doch etwas Wahres an dem, was sie sagt,« bemerkte Caleb, der Mary's scharfen Verstand nicht unterschätzt wissen wollte. »Ein schlechter Arbeiter thut in jedem Fache dem Vertrauen zu seinen Berufsgenossen Eintrag. Alle Dinge stehen mit einander in Zusammenhang,« fügte er hinzu, indem er, in dem Bewußtsein der Unzulänglichkeit seiner Ausdrucksweise, den Blick zu Boden senkte und die Füße unbehaglich hin und her bewegte.

»Vollkommen richtig,« erwiderte der Pfarrer, den die Sache ergötzte. »Wenn wir uns verächtlich machen, stimmen wir die Gemüther der Menschen auf den Ton der Geringschätzung herab. Ich muß mich der Ansicht von Fräulein Garth durchaus anschließen, gleichviel ob ich selbst durch dieselbe verurtheilt werde oder nicht. Was aber Fred Vincy anlangt, so scheint mir, daß er einen billigen Anspruch auf eine etwas nachsichtige Beurtheilung hat. Das verleitliche Benehmen des alten Featherstone hat ihn mit verdorben. Es war wahrhaft teuflisch von dem Alten, ihm nicht einen Heller zu hinterlassen, indeß Fred ist verständig genug, diesem Gedanken nicht weiter nachzuhängen. Was ihm aber den meisten Kummer macht, ist, daß er Sie, Frau Garth, gekränkt hat; er fürchtet, Sie würden nie wieder gut von ihm denken.«

»Ich habe mich allerdings in Fred getäuscht gefunden,« sagte Frau Garth in einem sehr entschiedenen Tone. »Aber ich will gern wieder gut von ihm denken, wenn er mir Grund dazu giebt.«

In diesem Augenblick verließ Mary das Zimmer und nahm Letty mit sich hinaus.

»O, wir müssen es jungen Leuten zu Gute halten, wenn sie traurig sind,« sagte Caleb, indem er Mary, die eben zur Thür hinausging, nachsah. »Und wie Sie ganz richtig bemerkten, Herr Farebrother, es war etwas wahrhaft Teuflisches in dem alten Featherstone. Jetzt wo Mary hinausgegangen ist, muß ich Ihnen doch etwas erzählen, was außer Susannen und mir Niemand weiß – und Sie werden es nicht weiter erzählen. Der alte Schuft verlangte in der Nacht, wo er starb, als Mary allein bei ihm aufsaß, von ihr, daß sie eines seiner Testamente verbrenne, und bot ihr eine Summe Geldes, die er in einem Blechkasten bei sich führte, wenn sie das thun wolle. Aber Sie begreifen, daß Mary sich auf so etwas nicht einlassen konnte, daß sie sich weigerte, seinen eisernen Geldschrank zu öffnen, und was weiter dazu nöthig gewesen wäre. Nun war aber, wie Sie denken können, das Testament, welches er verbrannt haben wollte, eben das jetzt publicirte, so daß, wenn Mary gethan hätte, was der Alte von ihr verlangte, Fred Vincy zehntausend Pfund bekommen hätte. Der Alte wollte Fred im letzten Augenblick wieder wohl. Das geht nun Mary sehr nahe; sie konnte nicht anders, sie that Recht, so zu handeln, wie sie gehandelt hat; sie sagt aber, ihr sei zu Muthe, als habe sie in einem Moment berechtigter Nothwehr fremdes Eigenthum zu Boden fallen lassen und gegen ihren Willen zerbrochen. Ich kann ihr das nachfühlen, und es sollte mich sehr freuen, wenn ich die Sache irgendwie gegen den Jungen wieder gut machen könnte, anstatt ihm wegen des Unrechts, das er uns gethan hat, zu grollen. Was sagen Sie dazu, Herr Farebrother? Susanne ist nicht meiner Meinung. Sie sagt – sag' doch Herrn Farebrother selbst, was Du denkst, Susanne.«

»Man würde nicht anders haben handeln können, selbst wenn sie vorausgesehen hätte, welchen Einfluß ihr Handeln auf Fred's Schicksal üben würde,« sagte Frau Garth, indem sie sich in ihrer Handarbeit unterbrach und zu Farebrother aufsah. »Sie wußte aber durchaus nichts davon. Mir scheint, ein Verlust, der einen Andern betrifft, weil wir Recht gethan haben, kann unser Gewissen nicht belasten.«

Farebrother antwortete nicht sogleich und Caleb sagte wieder: »Das ist Gefühlssache. Das Kind fühlt einmal so, und ich fühle mit ihr. Man läßt auch sein Pferd nicht absichtlich auf einen Hund treten, wenn man, um auszuweichen, ein paar Schritte zurückreitet; wenn es aber geschieht, so ist man doch eben die Veranlassung gewesen.«

»Dann wird Frau Garth Ihnen gewiß Recht geben,« sagte Farebrother, der mehr aufgelegt schien, sich die Sache durch den Kopf gehen zu lassen als zu sprechen. »Man wird das Gefühl für Fred, von dem Sie reden, kaum ein falsches oder irregeleitetes nennen können, wenn auch ein solches Gefühl Niemandem einen begründeten Anspruch verleihen könnte.«

»Nun, nun,« sagte Caleb, »die Sache bleibt unter uns, Sie werden Fred nichts davon sagen.«

»Gewiß nicht. Aber ich darf ihm doch die andere gute Nachricht bringen, daß Sie den Verlust, den er Ihnen verursacht hat, jetzt zu tragen im Stande sind.«

Bald darauf ging Farebrother; im Obstgarten fand er Mary mit Letty und ging auf sie zu, ihr Adieu zu sagen. Es war ein anmuthiges Bild, wie sie dastanden, beleuchtet von der untergehenden Sonne, welche die an den alten spärlich belaubten Aesten hängenden Aepfel erglänzen machte: Mary in ihrem lavendelfarbenen Kattunkleide mit schwarzen Schleifen, einen Korb haltend, während Letty in ihrem abgetragenen Nankinkleidchen die zu Boden gefallenen Aepfel aufsammelte.

Wer genauer wissen möchte, wie Mary aussah, braucht nur an einem beliebigen Tage durch eine belebte Straße zu gehen und scharf aufzupassen. Da wird er, zehn gegen eins, einem Gesichte, wie es das ihrige war, begegnen. Er wird sie nicht unter jenen Töchtern Zions finden, die da hochmüthig sind und mit vorgestrecktem Halse und frechen Blicken einherstolziren; er lasse alle solche Weiber unbeachtet vorüberziehen und fasse vielmehr irgend eine kleine runde Person mit bräunlichem Teint und fester, aber ruhiger Haltung, die um sich her schaut, aber nicht glaubt, daß irgend Jemand sie ansieht, ins Auge. Wenn sie dazu ein breites Gesicht und eine viereckige Stirn, scharf geschnittene Augbrauen und dunkles krauses Haar und eine gewisse schalkhafte Munterkeit des Blicks, dessen Geheimniß ihr Mund bewahrt, und im Uebrigen ganz unbedeutende Züge hat, so kann er diese gewöhnliche, aber nicht unangenehme Person als das Ebenbild von Mary Garth betrachten. Wenn man sie lächeln machte, zeigte sie schöne kleine Zähne, wenn man sie erzürnte, sagte sie in der Regel, ohne je die Stimme zu erheben, eins der bittersten Worte, die der Beleidiger je gehört hatte; wenn man ihr eine Freundlichkeit erwies, vergaß sie dieselbe nie.

Mary hatte für den hübschen kleinen Pfarrer mit dem lebhaften Gesicht und den wohlgebürsteten fadenscheinigen Kleidern eine größere Verehrung, als für irgend einen anderen Mann, den sie kennen zu lernen Gelegenheit gehabt hatte. Sie hatte ihn nie etwas Närrisches sagen gehört, obgleich sie wußte, daß er bisweilen unweise handle, und vielleicht waren ihr närrische Aeußerungen mehr zuwider als irgend eine von Farebrother's unweisen Handlungen. Wenigstens war es auffallend, daß die dem Pfarrer als Geistlichen unbestreitbar anhaftenden Schwächen bei ihr nie die Gefühle des Hohns und Widerwillens erweckten, welche sie gegen die Schwächen äußerte, die Fred nach ihrer Voraussetzung als Geistlichem anhaften würden.

Solchen Anomalien des Urtheils begegnen wir, glaube ich, auch bei reiferen Geistern, als es Mary Garths war; unsere Unparteilichkeit bewahren wir uns für abstracte Tugenden und Mängel, die keiner von uns je gesehen hat. Wer kann sagen, für welchen von diesen beiden so sehr von einander verschiedenen Männern Mary eigentlich zärtliche Gefühle hegte, für den, gegen welchen sie besonders streng zu sein geneigt war, oder für den Andern, welchen sie besonders milde beurtheilte?

»Haben Sie irgend eine Bestellung für Ihren alten Spielkameraden, Fräulein Garth?« fragte der Pfarrer, während er aus dem Korbe, den sie ihm entgegen hielt, einen köstlich duftenden Apfel nahm und in die Tasche steckte. »Etwas, was Ihren harten Ausspruch über ihn mildern könnte? Ich gehe jetzt direct zu ihm.«

»Nein,« erwiderte Mach kopfschüttelnd und lächelnd. »Wenn ich durchaus erklären müßte, daß er als Geistlicher nicht lächerlich sein würde, so müßte ich sagen, daß er noch etwas Schlimmeres als lächerlich sein würde. Aber es freut mich sehr, daß er von hier fortgeht, um zu arbeiten.«

»Mich dagegen freut es sehr, daß Sie nicht von hier fortgehen, um zu arbeiten. Meiner Mutter werden Sie eine große Freude machen, wenn Sie sie einmal im Pfarrhause besuchen. Sie wissen, sie unterhält sich sehr gern mit jungen Leuten, und sie hat sehr viel von alten Zeiten zu erzählen. Sie thun wirklich ein gutes Werk, wenn Sie zu ihr gehen.«

»Das thue ich außerordentlich gern, wenn ich darf,« sagte Mary. »Ich weiß mich gar nicht in so viel Glück auf einmal zu finden. Ich dachte, ich würde mein Lebelang dazu verurtheilt sein, mich nach Hause zu sehnen, und in der Entbehrung dieses Verlangens kann ich mich eines gewissen Gefühls der Leere nicht erwehren. Ich denke mir, die Sehnsucht vertrat bei mir bisher den Verstand.«

»Darf ich mit Dir gehen, Mary?« flüsterte Letty, ein sehr unbequemes Kind, das immer auf Alles, was gesprochen wurde, hörte. Aber Farebrother machte sie jauchzen, als er sie ins Kinn kniff und auf die Wangen küßte, ein Ereigniß, das sie sofort ihren Eltern mittheilte.

Wer den Pfarrer auf seinem Wege nach Lowick scharf beobachtet hätte, würde ihn zweimal die Achseln zucken gesehen haben. Ich glaube, daß die wenigen Engländer, welchen diese Geberde eigen ist, nie, – oder ich will aus Furcht, daß mich ein schwerfälliges Individuum einmal dementiren könnte, lieber sagen: kaum jemals, – zu der schwerfälligen Gattung gehören. Sie haben gewöhnlich ein glückliches Temperament und viele Nachsicht gegen die kleinen Irrthümer der Menschen, sie selbst mit einbegriffen.

Der Pfarrer führte ein innerliches Zwiegespräch, in welchem er sich erzählte, daß zwischen Fred und Mary Garth wahrscheinlich noch etwas anderes spiele als die Neigung alter Spielkameraden, und sich die Antwort auf diese Mittheilung mit der Frage gab, ob nicht diese kleine Verkörperung der Weiblichkeit viel zu gut sei für diesen unreifen jungen Menschen. Die Antwort darauf war das erste Achselzucken.

Dann lachte er über sich selbst, weil er sich auf einer Anwandlung von Eifersucht ertappt zu haben glaubte, als ob er im Stande gewesen wäre zu heirathen: »was,« fügte er hinzu, »ich doch offenbar nicht bin.«

Darauf zuckte er zum zweiten Male mit den Achseln. Was konnten nur zwei so verschiedene Männer an diesem ›braunen Ding‹, wie Mary sich selbst nannte, finden? Ihre Häßlichkeit war es doch gewiß nicht, was sie anzog – und mögen nur alle häßlichen jungen Mädchen auf ihrer Hut sein vor der gefährlichen Aufmunterung, welche die Gesellschaft ihnen giebt, sich auf ihre Häßlichkeit zu verlassen. Ein menschliches Wesen ist in unseren Tagen einer alternden Menschheit ein höchst wunderbares Ganze, das langsame Ergebniß einer langen Reihe von Wechselwirkungen, und in ihrer Begegnung üben zwei solche Wesen, ein liebendes und ein geliebtes, einen geheimnißvollen Zauber auf einander aus.

Als Herr und Frau Garth wieder allein waren, sagte Caleb: »Susanne, rath' einmal, woran ich denke.«

»An die Wechselwirthschaft auf den Feldern,« erwiderte Frau Garth lächelnd, während sie ruhig weiter strickte, »oder vielleicht an die Hinterthüren der Pächterhäuser in Tipton.«

»Nein,« antwortete Caleb ernst, »ich denke daran, daß ich Fred Vincy einen Dienst leisten könnte. Christy ist fort, Alfred wird bald fortgehen und es wird noch fünf Jahre dauern, bis Jim für ›das Geschäft‹ zu brauchen sein wird. Ich werde Hülfe nöthig haben, und ich könnte Fred zu mir nehmen, ihn unterweisen und unter meiner Leitung praktisch arbeiten lassen, und so könnte man ihn vielleicht zu einem nützlichen Menschen machen, wenn er es aufgeben wollte, Geistlicher zu werden. Was meinst Du dazu?«

»Ich meine, daß es kaum eine ehrenwerthe Beschäftigung giebt, gegen welche seine Familie mehr einzuwenden haben würde, als gegen diese,« sagte Frau Garth in sehr entschiedenem Ton.

»Was kümmern mich ihre Einwendungen?« erwiderte Caleb in einem eigensinnigen Ton, in den er leicht verfiel, wenn seine Ansicht über etwas einmal feststand. »Der Junge ist mündig und muß sich selbst sein Brod verdienen. Er hat natürlichen Verstand und rasche Auffassung genug für die Sache, er ist gern auf dem Lande, und ich bin überzeugt, daß er ›das Geschäft‹ gut würde lernen können, wenn er Lust dazu hätte.«

»Glaubst Du das aber? Seine Eltern möchten gern einen feinen Herrn aus ihm machen, und ich glaube, das wäre auch am meisten nach seinem eigenen Sinn. Sie halten sich Alle für etwas besseres als uns. Und wenn der Vorschlag von Dir ausginge, bin ich überzeugt, daß Frau Vincy sagen würde, wir wollten Fred für Mary haben.«

»Das Leben ist doch ein erbärmliches Ding, wenn es von solchem Unsinn beherrscht wird,« sagte Caleb wie angeekelt.

»Ja, aber es giebt einen gewissen Stolz, der berechtigt, ist, Caleb.«

»Ich nenne es einen unberechtigten Stolz, wenn man sich durch die thörichten Ideen Anderer abhalten läßt, eine gute Handlung zu thun. Es giebt keine Art von Arbeit,« sagte Caleb feurig, indem er seinen Worten durch Auf- und Abbewegen der ausgestreckten Hand Nachdruck gab, »es giebt keine Art von Arbeit, welche gut gethan würde, wenn man sich an das kehren wollte, was thörichte Menschen schwatzen. Man muß einen Plan in seinem Innern reifen lassen, ihn dann aber rücksichtslos ausführen.«

»Ich will mich keinem Plane, den Du gefaßt hast, widersetzen, Caleb,« sagte Frau Garth, die eine Frau von entschiedenem Charakter war, die aber wußte, daß es einige Dinge gab, in Betreff deren ihr milder Gatte noch entschiedener war als sie. »Aber es scheint doch ausgemacht, daß Fred wieder auf die Universität gehen soll. Wäre es nicht besser zu warten, bis er zurückkommt, um zu sehen, wie er dann darüber denkt? Es ist nicht leicht, Leute gegen ihren Willen zu halten, und Du bist Deiner eigenen Stellung und dessen, was Du dabei für Hülfe brauchen wirst, noch nicht gewiß genug.«

»Nun gut, es ist vielleicht besser, noch ein wenig zu warten. Aber daß ich reichlich Arbeit für Zwei haben werde, dessen bin ich so ziemlich gewiß. Ich habe immer alle Hände voll zu thun gehabt, mit verschiedenartigen Beschäftigungen fertig zu werden, und es kommt immer noch etwas Neues hinzu. Noch gestern – ich glaube wahrhaftig, ich habe es Dir gar nicht erzählt! – es war sonderbar, daß zwei Leute von ganz verschiedenen Auftraggebern zu mir kamen, um mir dieselbe Arbeit zu übertragen. Und wer, meinst Du, daß diese Leute waren?« fragte Caleb, indem er eine Prise nahm und dieselbe zwischen den Fingern emporhielt, als ob das zu seiner Mittheilung unerläßlich wäre. Er liebte es, gelegentlich eine Prise zu nehmen, wenn er daran dachte; gewöhnlich aber vergaß er ganz und gar, daß er nur in die Tasche zu greifen brauche, um sich diesen Genuß zu verschaffen.

Seine Frau hörte einen Augenblick auf zu stricken und sah ihn aufmerksam an.

»Nun der Eine war der Rigg oder Rigg Featherstone. Aber Bulstrode war ihm schon zuvorgekommen, und so werde ich die Sache für Bulstrode machen. Ob es sich dabei nur um Hypotheken oder um einen Kauf des Landes handelt, kann ich noch nicht sagen.«

»Ist es denn denkbar, daß der Mann das Land, das er eben geerbt und um dessentwillen er einen andern Namen angenommen hat, schon wieder verkaufen will?« fragte Frau Garth.

»Das mag der Teufel wissen,« entgegnete Caleb, der die Kenntniß unehrenhafter Handlungen nie einem höhern Wesen als dem Teufel zuschrieb. »Aber Bulstrode hat schon lange danach getrachtet, ein hübsches Stück Land in die Hände zu bekommen, das weiß ich. Und das ist schwer in dieser Gegend zu finden.«

Caleb verstreute seinen Schnupftaback sorgfältig, anstatt ihn zu sich zu nehmen, und fügte dann hinzu:

»Es geht oft sonderbar zu in der Welt. Da ist das Land, das sie Alle seit lange für Fred bestimmt glaubten, und nun scheint es, daß der Alte nie daran gedacht hat, ihm einen Zoll davon zu hinterlassen, und er hat es diesem dunklen Sprößling, den er vor der Welt geheim hielt, vermacht und wollte offenbar, daß Der darauf bleibe und alle Menschen ärgere, wie er selbst sie nur hätte ärgern können, wenn er leben geblieben wäre. Nun wäre es doch sonderbar, wenn es schließlich doch in Bulstrode's Hände gelangte. Der Alte haßte Bulstrode und wollte nie mit ihm Geschäfte machen.«

»Was konnte denn der elende Mensch für einen Grund haben einen Mann zu hassen, der ihn gar nichts anging?« fragte Frau Garth.

»Pah, wer kann wissen, aus was für Gründen ein solcher Patron etwas thut oder läßt? Des Menschen Seele,« sagte Caleb in dem tiefen Ton und mit dem feierlichen Kopfschütteln, mit welchen er stets diese Worte aussprach – »des Menschen Seele wird, wenn sie einmal verwest ist, immer allerlei Giftschwämme bergen, und kein menschlich Auge kann sagen, von wannen die Saat gekommen ist.«

Es war eine von Caleb's Sonderbarkeiten, daß er, bei seiner Schwierigkeit den rechten Ausdruck für seine Gedanken zu finden, so zu sagen nach Redefiguren haschte, durch welche er verschiedene Gesichtspunkte oder Gemüthszustände klar zu machen suchte, und so oft ihn ein Gefühl ehrfurchtsvoller Scheu überkam, glaubte er sich einer Art von biblischer Sprachweise bedienen zu müssen, wenn er auch kaum im Stande gewesen sein würde, irgend eine Bibelstelle genau zu citiren.



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