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Viertes Buch.
Drei Liebesprobleme.


Zwölftes Kapitel.

Das Motto zu Kapitel 34 (in dieser Übersetzung Band 2, Kapitel 12):

1st Gent.
Such men as this are feathers, chips, and straws.
Carry no weight, no force.

2nd Gent.
           But levity
Is causal too, and makes the sum of weight.
For power finds its place in lack of power;
Advance is cession, and the driven ship
May run aground because the helmsman's thought
Lacked force to balance opposites.


Es war an einem Maimorgen, als Peter Featherstone begraben wurde. In der prosaischen Umgebung von Middlemarch war der Mai nicht immer warm und sonnig, und an diesem Morgen trieb ein kalter Wind die Blüthen von den Bäumen der angrenzenden Gärten auf die grünen Erdhügel des Lowicker Kirchhofs. Rasch vorüberjagende Wolken gestatteten nur dann und wann einem Sonnenstrahl einen oder den andern Gegenstand, der zufällig von feinem goldenen Schimmer getroffen wurde, zu beleuchten.

Auf dem Kirchhofe hatte sich ein kleiner Haufe von Landleuten angesammelt, um dem Leichenbegängniß zuzusehen. Es hatte sich die Nachricht verbreitet, daß es ein »großes Leichenbegängniß« werden würde; der alte Herr habe schriftliche Verfügungen in Betreff jedes Punktes hinterlassen und habe ein Leichenbegängniß für sich angeordnet »schöner, als es die vornehmen Leute haben.«

Das verhielt sich in der That so; denn der alte Featherstone war kein von der ewig hagern und ewig gierigen Leidenschaft des Sparens ganz verzehrter Harpagon gewesen, der schon im Voraus einen Handel mit seinem Leichenbestatter hätte abschließen mögen. Er liebte das Geld, aber er liebte es auch als Werkzeug zur Befriedigung seiner besondern Neigungen und vor Allem als ein Mittel, Andere seine Macht fühlen zu lassen.

Wenn Jemand nun behaupten wollte, daß der alte Featherstone doch gute Züge gehabt haben müsse, so will ich dem nicht unbedingt widersprechen, muß aber doch bemerken, daß angeborne Güte ein sehr bescheidenes Ding ist, welches sich leicht entmuthigen läßt und sich, wenn es in der Jugend viel mit schamlosen Lastern in Konflikt gerathen ist, gern in die geheimsten Winkel zurückzieht, so daß diejenigen, welche sich einen alten, selbstsüchtigen Mann theoretisch construiren, leichter an seine guten Züge glauben als diejenigen, welche ihr weniger günstiges Urtheil auf ihre persönliche Bekanntschaft mit dem Betreffenden gründen.

Wie dem aber auch sein möge, gewiß ist, daß der alte Featherstone darauf bedacht gewesen war, sich ein schönes Leichenbegängniß anzuordnen und dafür zu sorgen, daß Personen zu demselben »entboten« würden, welche es vorgezogen haben würden, zu Hause zu bleiben. Er hatte sogar gewünscht, daß auch weibliche Verwandte ihm das letzte Geleit geben möchten, und seine arme Schwester Martha hatte zu diesem Zweck eine beschwerliche Reise von der kalkigen Niederung her machen müssen.

Sie und Jane würden in diesem Anzeichen, daß ein Bruder, der sie ungern sah, solange er lebte, sich an dem Gedanken ihrer Gegenwart für den Zeitpunkt, wo er ein Erblasser geworden sein würde, erfreut habe, eine thränenreiche Befriedigung gefunden haben, wenn dieses Anzeichen nicht dadurch wieder an Werth verloren hätte, daß die Aufforderung, dem Leichenbegängniß beizuwohnen, sich auch auf Frau Vincy erstreckte, deren verschwenderische Entfaltung von schönem Krepp für die anmaßlichsten Hoffnungen zu sprechen schien – was noch unleidlicher durch Frau Vincy's blühendes Aussehen wurde, welches deutlich genug zeigte, daß sie nicht zu den Blutsverwandten des Verstorbenen, sondern zu jener im Allgemeinen verwerflichen Klasse von sogenannten »Verwandten der Frau« gehöre.

Wir lassen uns Alle in einer oder der andern Weise von Phantasiegebilden leiten; denn die Phantasie ist die Brutstätte unserer Wünsche, und der arme alte Featherstone, der sich gern über die Art, wie Andere sich mit trügerischen Hoffnungen schmeicheln, lustig machte, entging dem allgemeinen Loose der Menschen, sich von Illusionen zu nähren, keineswegs.

Beim Niederschreiben des Programms für die Feier seines Leichenbegängnisses hatte er es sich gewiß nicht klar gemacht, daß sein Vergnügen an dem kleinen Drama, von welchem das Leichenbegängniß einen Theil bildete, in Wahrheit nur in der eingebildeten Vorwegnahme eines Genusses, der ihm nicht zu Theil werden würde, bestehe. Als er sich vergnüglich an der Vorstellung der Qualen weidete, welche er den Menschen auch noch nach seinem Tode mit den scharfen Krallen seiner todten Hand würde bereiten können, vermengte er seinen bewußten Zustand mit der starren, bleichen Leblosigkeit seines abgeschiedenen Selbst und beschränkte sich, sofern er sich mit seinem zukünftigen Leben beschäftigte, auf die Genugthuung, die ihm in seinem Sarge zu Theil werden würde. Und so ließ sich auch Peter Featherstone auf seine Art von einem Phantasiegebilde leiten.

Wie dem auch sei, am Morgen des Leichenbegängnisses waren die drei Trauerkutschen den Anordnungen des Verstorbenen gemäß besetzt; die Zipfel des Leichentuches hielten Träger zu Pferde, welche mit Trauerschärpen von schwerer Seide und wallendem Krepp an den Hüten geschmückt waren, und auch die Träger zu Fuß hatten Trauerschmuck von guter Qualität.

Als die Trauer-Procession auf dem Kirchhofe angelangt war, ließ die Kleinheit des Raumes sie nur um so größer erscheinen; die feierlichen Gesichter und das düstere Trauergepränge gemahnten an eine andere Welt und contrastirten seltsam mit dem leichten Blüthenregen und den vom Sonnenschein geliebkosten Gänseblümchen.

Der Geistliche, welcher den Leichenzug empfing, war Herr Cadwallader, und zwar gleichfalls in Gemäßheit einer ausdrücklichen Bestimmung Peter Featherstone's, der sich auch hierbei wie gewöhnlich durch besondere Gründe hatte leiten lassen. Er verachtete Pfarrgehülfen, welche er »Handlanger« nannte, und war entschlossen den Trauergottesdienst an seinem Grabe von einem bepfründeten Geistlichen versehen zu lassen.

Herr Casaubon war außer Frage, nicht nur weil er Functionen dieser Art überhaupt nicht versah, sondern weil Featherstone eine besondere Abneigung gegen ihn hatte, die sich daraus erklärte, daß Casaubon als Pfarrer seines Kirchspiels ein Anrecht an den Ertrag alles in demselben belegenen Landes in der Gestalt des geistlichen Zehnten hatte und daß er die Frühpredigten hielt, welche der alte Mann, der zu so früher Stunde noch nicht müde genug war, um schlafen zu können, mit innerlichem Widerwillen hatte anhören müssen. Pastoren, die von ihrer Kanzel herab ihm etwas vorpredigten, waren ihm unleidlich.

Aber seine Beziehungen zu Herrn Cadwallader waren anderer Art gewesen: der Forellenbach, welcher durch Casaubon's Land floß, nahm seinen Lauf auch durch Featherstone's Land, so daß Cadwallader, anstatt ihm etwas vorzupredigen, in der Lage gewesen war, eine Gunst von ihm zu erbitten. Ueberdies gehörte er zu der höheren Gesellschaft, welche vier Meilen von Lowick entfernt wohnte, und rangirte mit dem Grafschafts-Sheriff und andern Würdenträgern, welche in dem Vorstellungskreise der damaligen Generation als unentbehrliche Stützen des Staates erschienen.

So empfand Featherstone eine Genugthuung in dem Gedanken; von Cadwallader begraben zu werden, dessen bloßer Name schon eine hübsche Gelegenheit darbot ihn, wenn man Lust hatte, falsch auszusprechen.

Diese dem Pfarrer von Tipton und Freshitt gewordene Auszeichnung war die Veranlassung, daß Frau Cadwallader sich mit in der Gruppe befand, welche dem Leichenbegängniß aus einem der obern Fenster des Herrenhauses zusah. Sie kam nicht gern in das Haus, aber sie liebte es, wie sie sagte, solche Menagerien ausländischer Thiere, wie sich eine bei diesem Leichenbegängniß zusammenfinden würde, zu sehen, und hatte daher Sir James und die junge Lady Chettam überredet, den Pfarrer und sie selbst in ihrem Wagen nach Lowick zu fahren, damit der Besuch sich durchaus angenehm gestalten möge.

»Ich will gern mit Ihnen gehen, wohin Sie wollen, Frau Cadwallader,« hatte Celia gesagt, »aber ich bin keine Freundin von Leichenbegängnissen.«

»Liebes Kind, wenn man einen Geistlichen in der Familie hat, muß man seinen Geschmack zu accomodiren wissen: ich habe das bei Zeiten gethan. Als ich Humphrey heirathete, entschloß ich mich, Geschmack an Predigten zu finden und fing damit an, von dem Schluß immer sehr erbaut zu sein. Und diese Befriedigung erstreckte sich bald auch auf die Mitte und den Anfang, da ich mich doch des Schlusses nicht erfreuen konnte, wenn ich nicht auch den Anfang und die Mitte mit angehört hatte.«

»Das ist sehr richtig,« bemerkte die alte Lady Chettam mit gemessenem Nachdruck.

Das obere Fenster, aus welchem das Leichenbegängniß am besten zu sehen war, befand sich in dem Zimmer, welches Casaubon bewohnt hatte, so lange ihm das Arbeiten verboten war; jetzt aber war er, aller Abmahnungen und ärztlichen Vorschriften ungeachtet, bereits fast ganz wieder zu seiner gewöhnlichen Lebensweise zurückgekehrt und hatte sich eben nach einer höflichen Begrüßung Frau Cadwallader's wieder in seine Bibliothek geflüchtet, um hier einige noch nicht verarbeitete Mißverständnisse in Betreff der Länder »Cush« und »Mizrajim« wiederzukäuen.

Auch Dorothea würde, wenn nicht ihre Gäste sie daran verhindert hätten, in der Bibliothek geblieben sein und dem Schauspiel des Leichenbegängnisses des alten Featherstone nicht beigewohnt haben. Dieses Leichenbegängniß, welches ihrer ganzen Lebensauffassung so fern zu liegen schien, tauchte später, so oft gewisse schmerzliche Erinnerungen in ihr wach gerufen wurden, immer wieder vor ihr auf, gerade wie sich ihr in Momenten der Niedergeschlagenheit immer wieder das Bild des Innern der Peterskirche in Rom aufdrängte.

Scenen, welche für das Loos unserer Nebenmenschen von entscheidender Bedeutung sind, bilden nur den Hintergrund unserer eigenen Lebensschicksale, und doch verknüpfen sie sich, ähnlich wie gewisse landschaftliche Eindrücke, untrennbar mit den wichtigsten Momenten unseres Lebens und werden zu einem Bestandtheil jener Einheit, welche in unserm lebendigen Gesammtbewußtsein liegt.

Die traumartige Verknüpfung von etwas ihr Fremdem und Unverständlichem mit den geheimsten Erfahrungen ihres innern Lebens erschien Dorotheen wie ein Spiegelbild jenes Gefühls der Vereinsamung, welches gerade in ihrer feurigen Natur seinen Grund hatte. Die zur höheren Gesellschaft gehörenden Familien aus dem Lande lebten in jenen Tagen in einer verdünnten socialen Atmosphäre; auf ihrer einsamen Höhe hatten sie nur ein sehr mangelhaftes Urtheil über das unter ihnen, in einer dickeren Luftschicht sich bewegende Leben, und Dorothea fühlte sich auf ihrer kalten Höhe nicht wohl.

»Ich mag nicht mehr zusehen,« sagte Celia, nachdem der Trauerzug sich in die Kirche begeben hatte, indem sie sich ein wenig hinter den Ellbogen ihres Gatten stellte, so daß sie seinen Rock verstohlen mit ihrer Wange berühren konnte. »Ich glaube, Dodo sieht gern zu; sie findet Geschmack an melancholischen Scenen und häßlichen Menschen.«

»Ich finde Geschmack daran, etwas von den Menschen unter denen ich lebe, zu wissen,« antwortete Dorothea, die Alles mit dem regen Interesse eines auf einer Ferienreise begriffenen Mönchs beobachtet hatte. »Mir scheint, wir wissen nichts von unsern Nebenmenschen, wenn sie nicht unsere Gutsangehörigen sind. Man möchte immer wissen, welche Art von Leben andere Menschen führen und wie sie die Dinge auffassen. Ich weiß es Frau Cadwallader wirklich Dank, daß sie hergekommen ist und mich aus der Bibliothek gerufen hat.«

»Sie haben allen Grund, mir dankbar zu sein,« sagte Frau Cadwallader. »Ihre reichen Pächter in Lowick sind gerade so merkwürdige Thiere wie Büffel und Bisamochsen, und doch bekommen Sie, glaube ich, nicht einmal in der Kirche die Hälfte von ihnen zu sehen. Es sind ganz andere Leute wie die kleinen Pächter Ihres Onkels oder Sir James' – Ungeheuer – Pächter ohne Gutsherrn, man weiß gar nicht, wie man sie classificiren soll.«

»Die meisten Leute bei diesem Trauergefolge wohnen gar nicht in Lowick,« bemerkte Sir James. »Es sind vermuthlich Erben von weiter her oder von Middlemarch. Der alte Knabe hat, wie mir Lovegood sagt, sehr viel Geld und bedeutenden Landbesitz hinterlassen.«

»Und dabei,« sagte Frau Cadwallader, »giebt es so viele jüngere Söhne, die nicht genug haben, ihr Mittagessen zu bezahlen.« Als die Thür geöffnet wurde, fuhr sie sich umwendend fort, »da kommt Herr Brooke; mir war bisher, als ob wir incomplet wären, jetzt weiß ich warum. Und Sie kommen natürlich auch, um dieses sonderbare Leichenbegängniß mit anzusehen?«

»Nein, ich bin gekommen, um Casaubon zu besuchen und zu sehen, wie es ihm geht. Und um eine kleine Neuigkeit zu bringen – eine kleine Neuigkeit, liebes Kind,« fuhr Herr Brooke fort, indem er Dorotheen, welche ihm entgegenkam, zwickte. »Ehe ich hier hinaufkam, guckte ich in die Bibliothek und sah da Casaubon wieder über seinen Büchern sitzen. Ich sagte ihm, das könne so nicht fortgehen. Ich sagte, das kann unmöglich so fortgehen, denken Sie an Ihre Frau, Casaubon. Und er versprach mir herauf zu kommen. Ich sagte ihm nichts von meiner Neuigkeit, ich sagte ihm nur, er müsse hinaufkommen.«

»Jetzt treten sie wieder aus der Kirche,« rief Frau Cadwallader aus, »du lieber Himmel! was für eine wunderlich gemischte Gesellschaft! Herr Lydgate vermuthlich als Arzt des Verstorbenen! aber die Frau da sieht wirklich sehr gut aus, und der blonde junge Mann muß ihr Sohn sein. Wissen Sie nicht, wer die Beiden sind, Sir James?«

»Ich sehe da Vincy, den Mayor von Middlemarch; vermuthlich sind es seine Frau und sein Sohn,« erwiderte Sir James, indem er Herrn Brooke einen fragenden Blick zuwarf; dieser nickte zustimmend und sagte:

»Ja, eine sehr anständige Familie – ein sehr netter Mann, der Vincy; er macht dem Stande der Fabrikanten Ehre. Sie haben ihn schon einmal bei mir getroffen, wissen Sie.«

»O ja; er ist eines der Mitglieder Ihres geheimen Wahlcomités,« sagte Frau Cadwallader in einem herausfordernden Ton.

»Der Mann ist aber auch ein Jagdliebhaber,« sagte Sir James mit der Geringschätzung eines Fuchsjägers.

»Und einer von denen, die den unglücklichen Handwebern in Tipton und Freshitt das Blut aussaugen. Da kann seine Familie wohl so hübsch und glatt aussehen,« bemerkte Frau Cadwallader wieder. »Und die schwarzen Leute da mit den dunkelrothen Gesichtern sind eine vortreffliche Folie. Sie sehen, weiß Gott aus wie ein Satz Steinkrüge. Sehen Sie doch einmal Humphrey an. Man könnte sich ihn in seinem weißen Chorhemd als einen häßlichen, hoch über den Leuten fliegenden Erzengel vorstellen.«

»Ein Leichenbegänguiß ist aber doch ein feierlich Ding,« bemerkte Herr Brooke, »wenn man es nur so ansehen will, wissen Sie.«

»Ich sehe es aber nicht so an. Ich darf meine feierliche Stimmung nicht zu oft aussetzen, sonst nutzt sie sich ab. Es war Zeit, daß der Alte starb, und keiner von den Leuten da unten betrauert ihn wirklich.«

»Wie kläglich!« sagte Dorothea. »Ich habe in meinem Leben nichts so trübseliges gesehen wie dieses Leichenbegängniß. Es muthet mich an wie eine Verunzierung dieses Frühlingsmorgens. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß Jemand sterbe, ohne Menschen zu hinterlassen, die seiner liebend gedenken.«

Sie wollte noch weiter reden, aber sie sah ihren Gatten eintreten und sich im Hintergrunde des Zimmers niedersetzen. Seine Gegenwart wirkte nicht immer glücklich auf sie; sie fühlte, daß er innerlich oft gegen das, was sie sagte, etwas einzuwenden habe.

»Wahrhaftig,« rief Frau Cadwallader, »da kommt von hinten her ein neues Gesicht zum Vorschein, der breite Mann da, der noch curioser aussieht als alle Uebrigen, mit seinem kleinen runden Kopf und seinen aufgequollenen Augen. Der muß zu einer andern Familie gehören.«

»O lassen Sie mich ihn doch auch einmal sehen!« bat Celia, die neugierig geworden war, indem sie sich hinter Frau Cadwallader hinstellte, und sich über deren Kopf hin vorüber beugte. »O, was für ein komisches Gesicht! Aber Dodo,« fügte sie plötzlich in einem andern, gleichfalls überraschtem Tone hinzu, »Du hast mir ja nie gesagt, daß Herr Ladislaw wieder hier ist.«

Dorothea war betroffen; Jedermann bemerkte ihre plötzliche Blässe, als sie sofort zu ihrem Onkel aufblickte, während Casaubon sie ansah.

»Ich habe ihn mitgebracht, weißt Du, er ist mein Gast – nimmt bei mir in Tipton-Hof vorlieb,« sagte Herr Brooke, in seinem behaglichsten Tone, indem er Dorotheen zunickte, als ob diese Mittheilung durchaus nichts Unerwartetes für sie haben könnte. »Und wir haben auch das Bild oben auf dem Wagen mitgebracht. Ich wußte, daß Ihnen die Ueberraschung Freude machen würde, Casaubon. Auf dem Bilde stehen Sie leibhaftig vor Einem – als Thomas von Aquino, wissen Sie. In dem Bilde ist grade das Richtige getroffen. Sie müssen den jungen Ladislaw darüber sprechen hören. Er spricht ungewöhnlich gut – weist auf Dieses und Jenes und manches Andere hin – versteht sich auf Kunst und alles der Art – ist ein guter Gesellschafter, wissen Sie – in allen Sätteln gerecht – grade ein Mensch, wie ich ihn schon lange gesucht habe.«

Casaubon verneigte sich mit kalter Höflichkeit, indem er seine Aufregung doch nur dadurch zu bemeistern vermochte, daß er schwieg. Er erinnerte sich des Briefes von Will ganz so gut wie Dorothea, er hatte bemerkt, daß sich derselbe nicht unter den Briefen befand, die man während seiner Krankheit für ihn zurückgelegt, hatte daraus geschlossen daß Dorothea Will habe wissen lassen, er möge nicht nach Lowick kommen, und hatte sich in stolzer Empfindlichkeit jeder Anspielung auf diesen Gegenstand enthalten. Er schloß jetzt weiter, daß Dorothea ihren Onkel gebeten habe, Will nach Tipton-Hof einzuladen, und ihr war es unmöglich, in diesem Augenblick auf eine nähere Erklärung der Sache einzugehen.

Frau Cadwallader's Augen, die sich von dem Kirchhofe abwandten, sahen vor sich ein stummes Spiel, das ihr nicht ganz so verständlich war, wie sie es wohl gewünscht hätte, und sie konnte die Frage nicht unterdrücken:

»Wer ist Herr Ladislaw?«

»Ein junger Verwandter des Herrn Casaubon,« antwortete Sir James rasch; seine Herzensgüte machte ihn oft in persönlichen Angelegenheiten scharfsichtig und er hatte aus dem Blick, welchen Dorothea auf ihren Gatten gerichtet hatte, errathen, daß sie sich beunruhigt fühlte.

»Ein sehr netter junger Mensch, für den Casaubon alles Mögliche gethan hat,« fügte Herr Brooke erklärend hinzu. »Er lohnt Ihnen, was Sie auf ihn verwendet haben, Casaubon,« fuhr er fort, indem er ihm ermuthigend zunickte. »Ich hoffe, er wird lange bei mir bleiben und mir helfen, meine Documente nutzbar machen. Mir steht eine Fülle von Ideen zu Gebote, wissen Sie, und ich finde, daß er grade der rechte Mann ist, um diesen Ideen und Thatsachen Gestalt zu geben. Er erinnert sich im rechten Augenblick der rechten Citate, omne tulit punctum Horaz ( Ars poetica, V. 343): Omne tulit punctum, qui miscuit utile dulci (»Jeden Punkt, d. h. allen Beifall, hat gewonnen, wer das Angenehme mit dem Nützlichen verbindet.«). – Anm.d.Hrsg. und Aehnliches, – weiß den Dingen immer eine Art Façon zu geben. Ich habe ihn vor einiger Zeit, als Sie krank waren, Casaubon, eingeladen; Dorothea sagte mir, Sie könnten Niemanden bei sich aufnehmen, wissen Sie, und bat mich ihm zu schreiben.«

Die arme Dorothea fühlte, daß jedes Wort ihres Onkels von Casaubon ungefähr so angenehm empfunden werde, wie ein Sandkorn, das ihm in's Auge geflogen wäre. Sie durfte aber doch nicht daran denken zu erklären, daß ihr Onkel keineswegs auf ihren Wunsch Will Ladislaw eingeladen habe.

Ueber die Gründe der Abneigung ihres Gatten gegen Will's Anwesenheit, – eine Abneigung, die sie bei jener Scene in der Bibliothek so schmerzlich hatte erfahren müssen – war sie ganz im Unklaren, aber sie fühlte, wie unschicklich es sein würde, etwas zu sagen, woraus Andere diese Abneigung würden schließen können.

In der That hatte Casaubon sich jene Gründe sehr gemischter Natur selbst nicht völlig klar gemacht; denn er suchte, wie wir es Alle zu thun pflegen, seine gereizte Stimmung mehr vor sich selbst zu rechtfertigen, als sich von ihren Gründen genaue Rechenschaft zu geben. Aber er war bestrebt, jede Aeußerung seiner Empfindungen zu vermeiden, und nur Dorothea's scharfes Auge beobachtete die Veränderungen, die im Gesichte ihres Gatten vorgingen, bevor er mit einem noch ungewöhnlich würdevolleren Wiegen des Kopfes und einem noch salbungsvolleren Tone als gewöhnlich bemerkte:

»Sie sind außerordentlich gastfrei, mein werther Herr Brooke, und ich bin Ihnen zu Dank dafür verpflichtet, daß Sie Ihre Gastfreundschaft gegen einen Verwandten von mir üben.«

Das Leichenbegängniß war zu Ende und der Kirchhof war wieder leer geworden.

»Jetzt können Sie ihn sehen, Frau Cadwallader,« sagte Celia! »Er gleicht einem Miniaturportrait von Herrn Casaubon's Tante, welches in Dorothea's Boudoir hängt, auf ein Haar – er sieht recht gut aus«

»Ein sehr hübscher Junge,« sagte Frau Cadwallader trocken. »Was will denn Ihr Neffe werden, Herr Casaubon?«

»Um Vergebung, er ist nicht mein Neffe, er ist mein Vetter.«

»Nun Sie wissen,« fiel Herr Brooke ein, »er versucht erst seine Flügel. Er gehört aber zu den jungen Männern, welche es in der Welt zu etwas zu bringen pflegen. Ich würde mich freuen, wenn ich ihm eine Gelegenheit geben könnte, weiter zu kommen. Er würde einen guten Secretair abgeben, wie Hobbes, Milton, Swift und andere Leute derart.«

»Ich verstehe,« erwiderte Frau Cadwallader, »einer, der Reden zu schreiben weiß.«

»Ich will ihn jetzt heraufholen, wie, Casaubon?« sagte Herr Brooke. »Er mochte nicht erscheinen, ehe ich ihn gemeldet hätte, wissen Sie. Und dann wollen wir mit ihm hinuntergehen und uns das Bild ansehen. Auf dem Bilde sind Sie leibhaftig in der Gestalt eines tiefen seinen Denkers, der mit dem Zeigefinger auf die aufgeschlagene Seite eines vor ihm liegen den Buches weist, während der heilige Bonaventura oder ein anderer wohlbeleibter Heiliger von blühendem Aussehen zur Dreieinigkeit aufblickt. Alles auf dem Bilde ist symbolisch, wissen Sie, wie es der höhere Kunststil mit sich bringt; ich liebe das bis zu einem gewissen Punkt, wenn es nicht gar zu weit getrieben wird; es ist etwas anstrengend die symbolischen Beziehungen immer herauszufinden, wissen Sie. Aber Sie sind ja in diesem Gebiete zu Hause, Casaubon. Und Ihr Künstler malt das Fleisch vortrefflich, sein Fleisch ist fest, durchsichtig und was sonst dazugehört. Ich habe mich seinerzeit sehr viel mit dieser Seite der Kunst beschäftigt. Aber jetzt will ich gehen und Ladislaw holen.«



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