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Siebentes Kapitel.

Das Motto zu Kapitel 29 (in dieser Übersetzung Band 2, Kapitel 7):

I found that no genius in another could please me. My unfortunate paradoxes had entirely dried up that source of comfort.

Oliver Goldsmith: The Vicar of Wakefield.


Es war einige Wochen nach ihrer Ankunft in Lowick, als eines Tages Dorothea – aber warum immer Dorothea? War denn ihre Art, ihre Heirath anzusehen, die einzig mögliche? Ich muß Protest dagegen erheben, daß wir all' unser Interesse, alle unsere Bemühungen zu einem Verständniß zu gelangen, den jungen Wesen zuwenden, welche, auch wenn sie nicht von Sorgen verschont geblieben sind, noch blühend aussehen; denn, auch sie werden altern und werden die den ältern Jahren eigenen nagenderen Bekümmernisse kennen lernen, die wir Alle gering zu achten geneigt sind.

Trotz seiner blinzelnden Augen und seiner weißen Muttermale, die Celia so unangenehm waren, und trotz des Mangels an Muskulatur, welchen Sir James so peinlich wie einen sittlichen Mangel empfand, trug Casaubon doch in sich ein höchst intensives Bewußtsein und empfand denselben Seelenhunger, der auch uns Uebrige bedrängt. Er hatte nichts Ungewöhnliches gethan, als er sich verheirathete, nichts, als was die Gesellschaft sanctionirt und als eine willkommene Veranlassung zur Darbringung von Guirlanden und Bouquets betrachtet.

Es war ihm klar gewesen, daß er die Ausführung seiner Absicht sich zu verheirathen nicht länger verschieben dürfe, und er war nach reiflicher Erwägung zu dem Schluße gelangt, daß ein Mann in seiner Stellung, wenn er sich verheirathen wolle, seine Wahl seinen berechtigten Ansprüchen gemäß, auf eine blühende junge Dame, – je jünger desto besser, weil sie dann nur um so lenksamer und ergebener sein werde –, von gleichem Range mit ihm, von religiösen Grundsätzen, tugendhaftem Charakter und gutem Verstande lenken müsse.

Für die Zukunft einer solchen jungen Dame war er bereit, bei seiner Verheirathung in der ausgiebigsten Weise zu sorgen und nichts zu versäumen, was zu ihrem Glücke beitragen könnte. Dafür glaubte er sich zu der Hoffnung berechtigt, daß er als Entgeld Familienfreuden genießen und nach seinem Tode jenes zweite Exemplar seines Selbst zurücklassen werde, welches die Sonnettendichter des sechszehnten Jahrhunderts für einen Mann so unerläßlich fanden.

Seitdem hatten die Zeiten sich geändert und kein Sonnettendichter hatte darauf bestanden, daß Casaubon der Welt ein zweites Exemplar seines Selbst hinterlasse; überdies war es ihm noch nicht einmal gelungen, ein Exemplar seines »Schlüssel's zu allen Mythologien« herauszugeben; aber es war immer seine Absicht gewesen, seine Pflichten gegen die Welt durch eine Heirath zu erfüllen, und die Erkenntniß, daß er rasch älter und die Welt trüber werde, und das Gefühl einer zunehmenden Vereinsamung waren ein Grund mehr für ihn gewesen, keine Zeit zu verlieren, sich ein häusliches Glück zu gründen, bevor es auch dazu zu spät sein möchte.

Als er dann Dorothea kennen lernte, schien es ihm, daß er in ihr Alles, was er suche, und noch mehr gefunden habe und daß sie wirklich eine Gehülfin für ihn sein und ihn der Unannehmlichkeit überheben würde, die Dienste eines besoldeten Sekretärs, zu dem er sich bisher noch nie hatte entschließen können, den zu engagiren ihn vielmehr eine argwöhnische Scheu abhielt, in Anspruch zu nehmen.

Casaubon fühlte sich immer von dem Bewußtsein geängstigt, daß man von ihm die Entfaltung eines gewaltigen Geistes erwarte. Die allgütige Vorsehung hatte ihm die Frau verschafft, deren er bedurfte. Von einer bescheidenen, mit der rein receptiven Begabung ihres Geschlechts ausgestatteten, von keinem Ehrgeiz berührten jungen Dame, darf mit Sicherheit vorausgesetzt werden, daß sie den Geist ihres Gatten gewaltig finden werde.

Ob die Vorsehung eben so gütig für Fräulein Brooke gesorgt habe, als sie ihr Casaubon bescheerte, das war eine Frage, die sich ihm kaum aufdrängen konnte. Die Gesellschaft hat noch nie die thörichte Forderung an einen Mann gestellt, ebensosehr daran zu denken, ob er die nöthigen Eigenschaften besitze, ein reizendes junges Mädchen glücklich zu machen, wie daran, ob sie ihn glücklich machen werde, – als ob ein Mann nicht nur seine Frau, sondern auch den Mann seiner Frau wählen könnte, oder als ob er verpflichtet wäre, in seiner eigenen Person für die Reize seiner Nachkommenschaft zu sorgen! – Als Dorothea Casaubon's Hand mit Entzücken annahm, schien ihm das nur natürlich und er glaubte, daß sein Glück nun beginnen werde.

In seinem bisherigen Leben hatte er noch keinen rechten Vorgeschmack des Glücks gehabt. Um ohne eine starke physische Organisation großer Freuden theilhaftig zu werden, muß man mit einer enthusiastischen Seele begabt sein. Casaubon hatte nie eine starke physische Organisation gehabt, und seine Seele war von reizbarer Empfänglichkeit, ohne enthusiastisch zu sein; sie war zu matt, um je den Zustand fortwährender Bewußtheit aufzugeben und in wonnigem Entzücken zu erbeben. Seine Seele flatterte stets dicht über dem sumpfigen Boden, auf welchem sie brütete, umher, war sich stets ihrer Schwingen bewußt und vermochte sich doch nie zu einem freien Fluge zu erheben. Seine innern Erfahrungen waren von jener kläglichen Art, welche eine ängstliche Scheu davor empfindet, Mitleid zu erregen, und nichts mehr fürchtet, als von andern gekannt zu sein; es war jene stolze beschränkte Empfindlichkeit, welche von zu dürftigem Stoffe ist, um sich in Sympathie zu verwandeln, und welche sich wie ein dünner Faden durch die kleinen Wege einer fortwährenden Preoccupation mit sich selbst, oder im besten Falle einer egoistischen Gewissenhaftigkeit windet.

Und an Gewissenhaftigkeit fehlte es Casaubon nicht; er war einer strengen Selbstbeherrschung fähig, war entschlossen, ein Mann von Ehre nach dem herrschenden Gesetze zu sein und sein Benehmen so einzurichten, daß es von keiner geltenden Meinung würde angefochten werden können. In seinem Verhalten im bürgerlichen Leben hatte er diese Zwecke erreicht; aber die Schwierigkeit, auch seinen »Schlüssel zu allen Mythologien« unanfechtbar zu machen, lastete auf seinem Gemüthe wie ein Bleigewicht, und die Broschüren oder »Parerga«, wie er sie nannte, durch welche er sein Publikum hatte vorbereiten und kleine Marksteine seines Weges hatte aufstellen wollen, waren durchaus nicht in ihrer vollen Bedeutung gewürdigt worden. Er hatte den Erzdechanten stark im Verdacht, diese Broschüren gar nicht gelesen zu haben, war in schmerzlicher Ungewißheit darüber, was die leitenden Geister von Brasenose » The Principal and Scholars of the King's Hall and College of Brasenose« in Oxford ist eine der konstituierenden Hochschulen der University of Oxford im Vereinigten Königreich. – Anm.d.Hrsg. wirklich über dieselben dachten, und hielt sich mit bitteren Empfindungen fest überzeugt, daß sein alter Bekannter Carp der Verfasser jener geringschätzigen Recension sei, welche Casaubon in einem kleinen Schubfache seines Schreibtisches verschlossen hielt und auch in einem kleinen Schubfache seines Gedächtnisses aufbewahrte.

Das waren schlimme Erfahrungen, mit denen er zu kämpfen hatte und die seinem Wesen jene melancholische Verbitterung gaben, welche die Folge aller zu hoch gespannten Ansprüche ist; selbst sein Glaube gerieth durch die Erschütterung seines Vertrauens in seiner Bedeutung als Autor in's Wanken, und die tröstende Hoffnung der christlichen Religion auf ein ewiges Leben schien der Anlehnung an die Unsterblichkeit des noch ungeschriebenen »Schlüssels zu allen Mythologien« nicht entbehren zu können.

Ich für mein Theil empfinde ein lebhaftes Mitgefühl für ihn. Es ist gelinde gesagt ein unbehagliches Loos, hochgebildet zu sein und doch nicht genießen zu können, dem großen Schauspiele des Lebens anzuwohnen, ohne sich je seines kleinen, fröstelnden, hungrigen Ich's entäußern zu können, niemals von der Herrlichkeit, die wir anschauen, ganz erfüllt zu sein, nie dahin zu gelangen, sein Bewußtsein in begeistertem Entzücken in eine lebendige Idee, in eine glühende Leidenschaft, in eine energische That umzuwandeln, sondern immer seiner Gelehrsamkeit sich bewußt und begeisterungslos, ehrgeizig und schüchtern, ängstlich-gewissenhaft und blödsichtig zu sein.

Auch wenn Casaubon Dechant oder gar Bischof geworden wäre, würde er sich darum doch, fürchte ich, nicht wesentlich behaglicher gefühlt haben. Treffend hat ein alter Grieche bemerkt, daß auch hinter der großen tragischen Maske und dem Schallrohre unsere armen kleinen Augen doch immer wie gewöhnlich blicken und unsere schüchternen Lippen mehr oder weniger ängstlich befangen sein müssen.

Diesem bereits vor einem Vierteljahrhunderte fixirten geistigen Besitzstande, diesen so eingehegten Empfindlichkeiten hatte Casaubon das Glück des Besitzes einer liebenswürdigen jungen Frau annectiren wollen; aber schon vor der Heirath fand er, wie wir gesehen haben, ein neues Element der Verstimmung in dem Bewußtsein, daß die neue Seeligkeit nicht beseeligend auf ihn wirke. Er empfand bald eine schmerzliche Sehnsucht nach seinen alten, ihm behaglicheren Lebensgewohnheiten. Und je tiefer er in das Wesen seiner neu begründeten Häuslichkeit eindrang, desto mehr mußte das Gefühl, daß er seine Schuldigkeit thue und sich angemessen benehme, jede andere Genugthuung ersetzen. Sein Verhängniß führte dahin, daß die Ehe, wie die Religion und die Gelehrsamkeit, ja wie das Autorenthum selbst, zu einem Gegenstande äußerer Pflichterfüllung für ihn wurde, und Edward Casaubon machte es sich zur Aufgabe, jede an ihn herantretende Pflicht auf das Gewissenhafteste zu erfüllen.

Selbst Dorothea bei seinen Studien nützlich zu verwenden, wie er es sich vor seiner Verheirathung vorgenommen hatte, erschien ihm jetzt als etwas so Schwieriges, daß er immer geneigt war, es hinauszuschieben, und daß er, wenn sie nicht fortwährend mit Bitten in ihn gedrungen wäre, vielleicht nie dazu gekommen wäre, es damit zu versuchen.

Aber sie hatte es glücklich zu einem zwischen ihnen getroffenen Arrangement gebracht, vermöge dessen sie sich jeden Morgen zeitig in der Bibliothek einstellte, um ihrem Gatten entweder laut vorzulesen oder etwas für ihn abzuschreiben. Die Arbeit hatte sich leichter bestimmen lassen, weil Casaubon augenblicklich einen unmittelbaren Zweck vor Augen hatte; er wollte ein neues Parergon, eine kleine Monographie über einige kürzlich aufgefundene Angaben in Betreff der ägyptischen Mysterien herausgeben, durch welche gewisse Behauptungen Warburton's William Warburton (1698-1779), englischer Kritiker; Bischof von Gloucester, Verteidiger der geoffenbarten Religion gegen die Deisten. – Anm.d.Hrsg. sich würden berichtigen lassen. Auch bei dieser Schrift bedurfte es umfassender Anmerkungen, denen es aber doch nicht an Text fehlen sollte, und dieser war sofort in der Gestalt niederzuschreiben, in welcher er der prüfenden Kritik von Brasenose und einer weniger furchtbaren Nachwelt unterworfen werden sollte.

Die Arbeit an diesen kleineren Monumenten seiner Gelehrsamkeit hatte immer etwas sehr Aufregendes für Casaubon; sein Verdauungsproceß wurde durch die unzeitige Einmischung von Citaten oder durch das unausgesetzt in seinem Gehirne vor sich gehende Ringen verschiedener dialektischer Phrasen mit einander gestört. Und von Anfang an hatte er beschlossen, der Monographie eine lateinische Dedication voranzuschicken, über deren Inhalt und Fassung noch durchaus nichts feststand, außer daß sie nicht an Carp gerichtet sein solle; es war eine sein Leben vergiftende Erinnerung für Casaubon, daß er früher einmal eine Dedication an Carp gerichtet hatte, in welcher er diesen böswilligen Recensenten den viris nulli aevo perituris beigezählt hatte, ein Irrthum, welcher den Dedicator unfehlbar dem Gelächter der nächsten Generation preisgeben und vielleicht schon in der Gegenwart von Pike und Tench Etwa: »den Männern, die, egal welchen Alters, dem Untergang geweiht sind«. Die Formulierung ist als Zitat nicht nachweisbar. – Anm.d.Hrsg. boshaft belacht werden würde.

So war Casaubon augenblicklich in einer seiner viel beschäftigten Perioden, und Dorothea ging, – wie ich im Beginne dieses Kapitels zu erzählen angefangen habe –, eines Morgens früh zu ihm in die Bibliothek, wo er allein gefrühstückt hatte. Celia war um diese Zeit zum zweiten und wahrscheinlich letzten Male vor ihrer Verheirathung zu einem längern Besuche in Lowick und befand sich eben im Salon, wo sie Sir James erwartete.

Dorothea, die sich bereits gut auf die äußern Anzeichen der Laune ihres Gatten verstand, fand, daß der Morgennebel bei ihm seit einer Stunde erheblich dicker geworden sei. Sie wollte sich eben schweigend an ihren Schreibtisch setzen; als er in jenem unnahbaren Tone, der bei ihm immer die Entledigung von einer unangenehmen Pflicht bedeutete, zu ihr sagte:

»Dorothea, da ist ein Brief für Dich, der in einen an mich gerichteten eingelegt war.«

Dorothea sah sofort nach der Unterschrift des zwei Seiten langen Briefes.

»Herr Ladislaw! Was kann der mir zu sagen haben?« rief sie in einem Tone angenehmer Ueberraschung aus. »Aber,« fügte sie hinzu, indem sie Casaubon ansah, »ich kann mir denken, worüber er Dir geschrieben hat.«

»Du kannst, wenn Du Lust hast, den Brief lesen,« erwiderte Casaubon, indem er mit strenger Miene, ohne Dorothea anzusehen, mit seiner Feder auf den Brief deutete. »Aber es ist vielleicht eben so gut, wenn ich von vornherein erkläre, daß ich den in dem Briefe enthaltenen Vorschlag, uns hier zu besuchen, ablehnen muß. Ich darf wohl darauf rechnen, daß man es entschuldigen wird, wenn ich in nächster Zeit von Zerstreuungen, wie sie bisher unvermeidlich gewesen sind, und namentlich von Gästen, deren unruhige Lebhaftigkeit ihre Gegenwart ermüdend macht, vollständig verschont zu bleiben wünsche.«

Es war zwischen Dorotheen und ihrem Gatten äußerlich nichts Unangenehmes vorgefallen seit jener kleinen Scene in Rom, die einen so tiefen Eindruck bei ihr zurückgelassen hatte, daß es ihr seitdem immer leichter geworden war, Aufwallungen der Heftigkeit niederzukämpfen, als sich den Folgen ihrer Aeußerung auszusetzen. Aber diese übellaunige Voraussetzung, daß sie den Besuch von Gästen wünschen könne, welche ihrem Gatten unangenehm sein möchten, diese unprovocirte Selbstvertheidigung Casaubon's gegen egoistische Klagen von ihrer Seite, waren doch ein zu empfindlicher Stich, als daß sie darüber hätte nachdenken können, ohne vorher ihrer Empfindlichkeit Luft gemacht zu haben.

Dorothea hatte geglaubt, sie würde mit John Milton Geduld gehabt haben, aber es war ihr nie als möglich erschienen, daß er sich so hätte betragen können, und einen Augenblick erschien ihr Casaubon von einer ganz beschränkten Urtheilslosigkeit und gehässigen Ungerechtigkeit. Mitleid mit ihm, dieses jüngst in ihr aufgekeimte Gefühl, welches mit der Zeit manchen Sturm in ihrem Innern beschwichtigen sollte, war diesem Windstoß noch nicht gewachsen.

Schon ihre ersten Worte sprach sie in einem Ton, welcher Casaubon erschreckte und ihn betroffen in ihre funkelnden Augen blicken ließ.

»Warum nimmst Du an, daß mir irgend etwas, was Dir unangenehm sein würde, wünschenswerth scheinen könnte? Du sprichst mit mir, als wäre ich Jemand, den Du bekämpfen müßtest. Warte doch wenigstens, bis ich Dir Veranlassung gebe vorauszusetzen, daß ich an mein Vergnügen denke, ohne auf das Rücksicht zu nehmen, was Dir angenehm ist.«

»Dorothea, Du übereilst Dich,« erwiderte Casaubon in nervöser Aufregung.

Sicherlich war dieses Weib, das nicht zu jenen farb- und charakterlosen Geschöpfen gehörte, die Alles ungeprüft hinnehmen, zu jung, um der furchtbaren Verantwortlichkeit, welche ihre Stellung als Frau mit sich brachte, gewachsen zu sein.

»Mir scheint, Du warst zuerst voreilig in Deinen falschen Voraussetzungen in Betreff meiner Gefühle,« entgegnete Dorothea in demselben Tone. Das Feuer ihres lodernden Zornes war noch nicht gelöscht, und es schien ihr unedel von ihrem Gatten, sich nicht bei ihr zu entschuldigen.

»Laß uns, bitte, nicht weiter über diesen Gegenstand reden, Dorothea. Ich habe weder Muße noch Kraft zu einer solchen Art von Debatte.«

Bei diesen Worten tauchte Casaubon seine Feder ein und that, als wolle er weiterschreiben; aber seine Hände zitterten so, daß die niedergeschriebenen Worte völlig unleserlich wurden.

Es giebt Antworten, welche, während sie anscheinend den Zorn bannen, denselben nur in die andere Ecke des Zimmers verweisen, und eine Diskussion kühl abgewiesen zu sehen, wenn man fühlt, daß man das Recht durchaus auf seiner Seite hat, ist noch erbitternder in der Ehe als in der Philosophie.

Dorothea ließ Ladislaw's beide Briefe ungelesen auf dem Schreibtische ihres Gatten liegen und setzte sich an ihren gewohnten Platz; in ihrer Entrüstung verschmähte sie es, die Briefe zu lesen, wie wir einen Plunder, in Betreff dessen man uns einer niedrigen Habgier für fähig hält, weit von uns wegwerfen. Sie hatte keine Ahnung von den verborgenen Quellen des Unmuths ihres Gatten über diese Briefe; sie wußte nur, daß dieselben die Veranlassung für ihn gewesen seien, sie zu beleidigen.

Sie fing ohne weiteres zu arbeiten an und ihre Hand zitterte nicht; im Gegentheil, bei dem Abschreiben der Citate, welche Casaubon ihr Tags zuvor zu diesem Zwecke übergeben hatte, fand sie, daß sie sehr schön schreibe, und es schien ihr, daß sie die Construction der lateinischen Sätze, welche sie abschrieb und zu denen sie jetzt schon einige Kenntniß der Sprache mitbrachte, besser übersehe als gewöhnlich.

In ihrer Entrüstung barg sich ein Gefühl der Ueberlegenheit, das sich aber für jetzt nur in einer festen Handschrift kundgab und sich nicht in eine klar vernehmbare innere Stimme zusammendrängte, die ihr zugerufen hätte, daß der einst so herablassende Erzengel nur ein armseliges Menschenkind sei.

So hatte etwa eine halbe Stunde lang anscheinend Ruhe im Zimmer geherrscht, während deren Dorothea nicht von ihrer Arbeit ausgesehen hatte. Da plötzlich vernahm sie das laute Geräusch eines auf den Fußboden fallenden Buches, und als sie sich rasch umwandte, sah sie, wie Casaubon auf seiner Bibliotheksleiter stehend sich an das Büchergestell anklammerte, als ob ihm auf einmal unwohl geworden sei.

Sie sprang sofort auf und eilte zu ihm, er holte offenbar sehr schwer Athem. Sie sprang auf einen Schemel, so daß sie bis an seinen Ellbogen reichte, und sagte in einem Tone, in welchem ihre ganze Seele sich in zärtliche Sorge auszuströmen schien:

»Kannst Du Dich auf mich stützen, lieber Edward?«

Noch etwa zwei bis drei Minuten lang, welche ihr eine Ewigkeit schienen, athmete er schwer und blieb unfähig zu reden oder sich zu bewegen. Als er endlich mühsam die drei Stufen der Leiter herabgestiegen und rücklings in den Lehnsessel, welchen Dorothea an den Fuß der Leiter geschoben hatte, gesunken war, schnappte er nicht mehr nach Luft, sondern schien ganz hülflos und im Begriff in Ohnmacht zu fallen.

Dorothea zog heftig an der Glocke, sofort erschien ein Diener und trug Casaubon auf die im Zimmer stehende Chaise longue; er fiel nicht in Ohnmacht und schien sich allmälig etwas zu erholen, als Sir James Chettam eintrat, der in der Halle mit der Nachricht empfangen worden war, daß Casaubon soeben in der Bibliothek »einen Zufall gehabt habe.«

»Guter Gott, das war vorauszusehen,« war sein erster Gedanke gewesen. Wenn er gedrängt worden wäre, die Ahnung seiner prophetischen Seele genauer zu bezeichnen, so würde er »nervösen Zufall« für den präcisen Ausdruck dessen, was er meine, erklärt haben.

Er fragte den Butler, der ihm die Nachricht mittheilte, ob bereits zum Arzte geschickt worden sei. Der Butler sagte, sein Herr habe seines Wissens noch nie einen Doctor gebraucht; meinte aber, es sei doch wohl richtig, jetzt zum Arzte zu schicken.

Als jedoch Sir James in die Bibliothek trat, konnte Casaubon seiner gewöhnlichen Höflichkeit schon wieder durch einige Geberden Ausdruck geben und Dorothea, welche in der Nachwirkung ihres ersten Schrecks an seiner Seite gekniet und geschluchzt hatte, stand jetzt auf und machte selbst den Vorschlag, einen Boten nach einem Arzte zu schicken.

»Ich rathe Ihnen zu Lydgate zu schicken,« sagte Sir James. »Meine Mutter hat ihn angenommen und findet ihn ungemein geschickt. Seit meines Vaters Tode hatte sie immer sehr gering von den Aerzten gedacht.«

Dorothea wandte sich mit einem fragenden Blick an ihren Gatten und er gab ein Zeichen der Zustimmung.

Es wurde daher zu Lydgate geschickt, der merkwürdig bald erschien; der Bote, welcher Sir James Diener war und Lydgate kannte, hatte diesen nämlich auf dem Wege nach Lowick getroffen, wie er eben sein Pferd am Zügel führte und Fräulein Vincy den Arm gab.

Celia, die sich im Salon befand, hatte nichts von dem Unfall erfahren, bis Sir James ihr denselben mittheilte. Nach Dorotheen's Bericht hielt er die Krankheit nicht mehr für einen »nervösen Zufall«; aber doch für etwas »der Art.«

»Die arme liebe Dodo – wie schrecklich!« sagte Celia, die so tief bekümmert war, wie ihr vollkommenes Glück es nur irgend zuließ. Sie hielt ihre kleinen Hände gefaltet in Sir James Händen, welche sie umgaben wie ein großer Kelch eine Knospe. »Es ist sehr traurig, daß Casaubon krank ist; aber ich habe ihn nie leiden mögen. Und ich finde, er hat Dorothea lange nicht lieb genug, und er müßte sie doch sehr lieb haben, denn ich bin überzeugt, keine Andere würde ihn genommen haben – glaubst Du nicht auch?«

»Ich habe es immer für ein furchtbares Opfer von Deiner Schwester gehalten,« sagte Sir James.

»Ja, aber die arme Dodo hat es nie gemacht, wie es andere Leute machen, und wird es, glaub' ich, nie so machen.«

»Sie ist ein edles Wesen,«sagte der biedere Sir James.

Er war erst eben in dieser Auffassung Dorotheen's durch einen neuen Eindruck bestärkt worden, als er gesehen hatte, wie zärtlich sie das Haupt ihres Gatten mit ihrem Arme stützte und wie sie ihre Blicke mit unaussprechlichem Kummer auf ihm ruhen ließ. Er wußte nicht, einen wie großen Antheil die Reue an diesem Kummer hatte.

»Ja,« entgegnete Celia, die es sehr schön von Sir James fand, daß er so von Dorothea sprach, doch aber überzeugt war, daß auch er nicht glücklich mit ihr gewesen sein würde.

»Soll ich zu ihr gehen? Glaubst Du, ich könnte ihr helfen?«

»Ich glaube, es wäre recht, wenn Du zu ihr gingest, noch ehe Lydgate kommt,« sagte Sir James. »Nur bleib' nicht lange.«

Als Celia fortgegangen war, ging er im Zimmer auf und ab und erinnerte sich dessen, was er gleich Anfangs über Dorotheen's Verlobung gedacht hatte, und empfand denselben Unwillen wie damals über die von Herrn Brooke bei jener Gelegenheit bewiesene Gleichgültigkeit. Wenn Cadwallader – wenn alle Uebrigen die Sache so angesehen hätten, wie er, Sir James, es gethan hatte, so hätte die Heirath vielleicht verhindert werden können. Es war nichtswürdig, ein junges Mädchen so blind über ihr Loos entscheiden zu lassen, ohne irgend einen Versuch zu machen, sie zu retten.

Sir James empfand persönlich schon lange kein Bedauern mehr über die Sache; er war ganz glücklich in seiner Verlobung mit Celia. Aber er war eine ritterliche Natur; und gehörte es nicht zu den Idealen des alten Ritterthums, den Frauen uneigennützig zu dienen? Die Verschmähung seiner Liebe hatte ihn nicht bitter gemacht, diese Liebe hatte im Vergehen noch süße Düfte ausgehaucht – ferne Erinnerungen, welche je ihm Dorothea noch geweiht erscheinen ließen. Er konnte ihr brüderlicher Freund bleiben und ihren Handlungen eine edel vertrauensvolle Auslegung geben.



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