Albert Ehrenstein
Mörder aus Gerechtigkeit
Albert Ehrenstein

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Gift

Als Yüng Kê die harte Hand der alten Wang kennengelernt hatte, wollte er seinem bedrückten Herzen Luft machen. Den Korb mit den unverkäuflichen Birnen nahm er unter den Arm und lief durch große und kleine Straßen, Wu Ta zu finden. Endlich kam ihm der mit seinen Bohnenpuffern entgegen. Der Junge hielt ihn an: »Nanu, ganz kurze Zeit hab ich Sie nicht gesehen, wie können Sie so schnell schon dick gefüttert worden sein?«

Wu Ta legte seinen Träger auf die Erde und sagte mit erstauntem Gesicht: »Ich bin doch immer so, wie können Sie sagen: dick gefüttert?«

Der Junge: »Vor einigen Tagen wollt ich Weizenkörner und Spreu kaufen, hab aber nirgends welche bekommen. Die Leute sagten, in Ihrer Wohnung gäb es welche.«

Wu Ta: »Ich fütter in meiner Wohnung keine Gänse noch Enten, wozu brauch ich solche Körner und Hülsen?«

Yün Kê höhnte: »Sie sagen, Sie haben keine, aber wie können Sie dann so dick gefüttert sein wie ein Zuhälter? Wenn man Sie mit einer Hand hochhebt und auf den Kopf stellt, bleiben Sie auch stehn. Wenn 166 man Sie im Kochtopf siedet, bekommen Sie keine Wut darüber.«

Wu Ta schrie: »Sie erbärmlicher Affe, was wollen Sie damit sagen? Meine Frau stiehlt doch keinen anderen Mann, wie kann ich eine ausgehaltene Ente: ein Zuhälter sein?«

Der Junge: »Ihre Frau stiehlt keinen Mann; aber einen Geliebten hat sie!«

Wu Ta hielt den Jungen mit einer Hand am Kragen fest, kreischte: »Du, gib den Mann her!«

Der Junge guckte ihn verächtlich von der Seite an, grinste: »Ich lach über Sie, wie Sie zwar mich festhalten können, aber Angst haben, Ihrem wirklichen Feind das Ohr abzubeißen.«

Wu Ta bat: »Guter Bruder, sag mir, wer ist es? Ich schenk dir gern zehn Bohnenpuffer.«

Yüng Kê schnipste geringschätzig mit den Fingern: »Puffer sind zu wenig. Heut müssen Sie schon eine Kleinigkeit ausgeben. Wenn Sie mich zu drei Bechern einladen, schenk ich Ihnen reinen Wein ein.«

Wu Ta: »Können Sie auch trinken?« Er nahm seine Träger wieder auf die Schulter – führte den Jungen in eine kleine Weinkneipe. Die Träger stellte er vor die Tür, nahm einige Bohnenpuffer heraus, kaufte ein wenig Fleisch dazu, eine große Flasche Wein und lud den Jungen zum Essen ein. Der Junge erklärte mit männlicher Entschlossenheit: »Also Wein brauchen wir nicht mehr, aber Fleisch könnten wir noch haben.«

Wu Ta drängte: »Guter Bruder, sag es mir jetzt doch!« 167

Yüng Kê: »Wir brauchen nicht solche Eile zu haben, warten Sie, bis wir mit dem Essen fertig sind, dann sollen Sie alles wissen! Sie dürfen sich aber nicht totärgern, ich werd Ihnen ja helfen, die beiden zusammen zu erwischen.«

Wu Ta sah, daß der Junge mit Wein und Fleisch fertig war, bettelte: »Bitte, jetzt können Sie es sagen.«

Yüng Kê lamentierte: »Sehen Sie mal, fühlen Sie mal mit Ihrer Hand auf meiner Stirn – da ist eine große Beule.«

Wu Ta: »Wie können Sie eine so große Beule haben?«

Yüng Kê: »Ich sag Ihnen, heut bin ich mit einem Korb Schneebirnen zu Si Mên Tsching gegangen, aber ich traf ihn nicht zu Haus. Unterwegs sagte mir jemand, wo er zu finden sei, und ich dachte: Geh hin, einige Münzen zu verdienen. Wer hätte ahnen können, daß die alte Frau Wang so ein Tier sein würde, mich nicht zu ihm ins Zimmer zu lassen? Sie hat mich arg geschlagen und hinausgeworfen! Ich weiß, daß er in Frau Wangs Zimmer mit Ihrer Frau Wolken und Regen spielt, darum mußt ich Sie sprechen.«

Wu Ta öffnete seine Augen und seinen Mund weit und schrie: »Ist das wahr?«

Der Junge: »Sehen Sie, ich dachte schon, daß Sie so ein Vogelmensch sind! Die beiden sind täglich beisammen und vergnügen sich! Ihre Frau wartet, bis Sie weg sind, dann geht sie zu Frau Wang, dem 168 Si Mên den Frühlingstee zu bereiten. Fragen Sie nur, ob es wahr ist!«

Wu Ta: »Bruder! Ich kann Ihnen nichts vorerzählen; meine Frau geht täglich zur Wang, sie sagt – ihr beim Kleidermachen helfen. Wenn sie zurückkommt, ist ihr Gesicht immer ganz rot. Ich hab mir auch schon so was gedacht – Ihre Nachricht ist wahr! Ich werde meine Träger irgendwohin stellen und geh gleich, die beiden packen. Was denken Sie?!«

»Sie sind ein so großer Mensch und haben kein bißchen gesunden Menschenverstand! Sie wissen nicht, was das Tier: die alte Wang, für ein gefährlicher Drache ist! Sie müssen einen richtigen Plan machen! Die drei haben sicher ein geheimes Zeichen. Wenn die Wang sieht, daß Sie in die Teestube kommen, versteckt sie Ihre Frau sofort. Mit Si Mên ist das gar kein Spaß, das ist ein gewalttätiger Mensch, ein Raufbold, der kann sich mit einem Dutzend solcher Jammerer wie Sie herumprügeln. Wenn Sie ihn nicht in einer Falle fangen, werden Sie umsonst von ihm Schläge bekommen. Er hat Geld und Einfluß – wird Sie beim Richter verklagen, und Sie werden obendrein festgenommen. Sie haben niemand beim Amt, der für Sie spricht oder Ihnen helfen wird – dann sind Sie fertig!«

Wu Ta machte ein verzweifeltes Gesicht und bat den Jungen, ihm zu helfen, er wolle nur seine Ruh wieder haben.

Yüng Kê: »Ich habe von der Alten Schläge bekommen und will es ihr vergelten. Ich geb Ihnen einen Rat: Heute gehen Sie nicht zu früh nach Haus, Sie dürfen 169 Ihre Frau nichts merken lassen, seien Sie genau so wie immer. Morgen verkaufen Sie nicht viel Puffer, ich werd in der nächsten Straße auf Sie warten. Wenn ich Si Mên hineingehen seh, werd ich schnell einen Plan machen. Also, was denken Sie davon?«

Wu Ta: »Wenn es so ist, brauch ich Bruder aber nötig. Ich hab einige Münzen hier, nehmen Sie das, bringen Sie Ihrem Vater etwas zu essen. Aber morgen dürfen Sie ja nicht zu spät in die Lilasteinstraße kommen, ich wart auf Sie!«

Yüng Kê hatte viel Geld bekommen, nahm noch einige Puffer und ging nach Haus. Wu Ta bezahlte alles in der Weinstube, packte seine Träger hoch und verkaufte, um sich ein wenig zu beruhigen, auf der Straße noch ein paar Bohnenpuffer. Dann ging er in die Lilasteinstraße. Früher schimpfte ihn seine Frau täglich aus und stichelte arg, um ihn zu beleidigen und zu kränken. In den letzten Tagen aber wußte sie, was sie getan hatte, und war sanft wie Öl. Sie wartete immer mit dem Essen, bis er mit seinen Trägern nach Hause kam, und hatte alles gut zurechtgemacht. Sie sagte zärtlich: »Bist du müde, armer Kürbiskern? Möchtest du Wein trinken?«

Er: »Eben hab ich mit einem Händler drei Becher Wein getrunken.«

Sie bereitete sein Abendbrot, er aß stockend, verlegen, zerstreut. Am nächsten Morgen buk er sehr wenig Puffer und stellte sie in seine Träger. Ihr waren die Gewissensbisse bereits vergangen, in Gedanken war sie schon bei Si Mên – so hatte sie nicht bemerkt, daß er wenig gegessen und nicht so viel wie 170 sonst gebacken hatte; endlich trug er seine Träger auf die Straße, seinen Geschäften nachzugehen. Frau Wu wartete voll Ungeduld, bis er außer Sehweite war, huschte dann leise zu Frau Wang, dort den großen Herrn zu erwarten.

Wu Ta schleppte mühselig seine Träger, traf gleich in der Lilasteinstraße den Jungen, ächzte neugierig: »Wie steht unsere Sache?«

Der Junge wichtig: »Es ist noch zu früh! Verkaufen Sie etwas und gehen dann lieber zurück. Er kommt ja bestimmt, Sie brauchen nur in dieser Gegend zu warten.«

Wu Ta ging schnell fort; aber nach kurzer Zeit kehrte er wieder um. Yüng Kê flüsterte ihm etwas ins Ohr und sagte dann lauter: »Warten Sie, bis ich zum Zeichen meinen Korb aus der Teestube auf die Straße werfe, dann müssen Sie schnell sein.«

Wu Ta stellte seine Träger bei jemand unter. Der Junge nahm seinen Korb zur Hand, ging in die Teestube, grüßte: »Altes Schwein! Große Sau! Warum haben Sie mich gestern geschlagen?!«

Frau Wang hatte ihren Charakter nicht verändert, war wieder unvorsichtig, sprang auf und keifte: »Du winziger Affe! Alte Mutter hat mit dir nichts zu tun! Warum kommst du wieder her, mich beleidigen?!«

Der Junge stampfte mit beiden Füßen auf die Erde, lärmte und fluchte: »Tote alte Hündin! Sie sind nicht wert, einen Wind zu atmen!«

Frau Wang wurde wütend, hielt ihn fest und wollte ihn schlagen. Der Junge brüllte: »Was? Sie schlagen 171 mich?!« Nahm seinen Korb und warf ihn auf die Straße. Sie wollte den Kleinen mit beiden Händen packen, aber er schrie und hielt geschickt ihre beiden Hände bei den Hüften fest, mit seinem Kopf rannte er gegen ihren Leib, daß sie fast umgefallen wäre; aber sie hatte Glück – hinter ihr war Wand. Der tapfere Junge preßte sie mit seinem Kopf fest dagegen, da kam Wu Ta mit hochgehobenen Kleidern in großen Sätzen in die Teestube gestürzt. Frau Wang sah ihn, hätt ihn gern aufgehalten, aber sie konnte nicht los, der Kleine hielt sie zu fest. Sie hatte nur noch die Kraft, zu röcheln: »Wu Ta kommt!«

Goldlotos im Zimmer wußte zuerst vor Schreck nicht, was sie tun sollte, dann aber lief sie zur Tür und hielt sie von innen zu.

Si Mên Tsching versteckte sich unterm Bett. Wu Ta wollte die Tür mit Gewalt öffnen; aber es war zu spät. Er schrie: »Du hast etwas sehr Gutes getan!« Seine Frau hielt die Tür fest, zitterte am ganzen Körper, kreischte: »In Friedenszeiten prahltest du mit deiner großen Schnauze immer, wie gut du mit dem Stock kämpfen kannst und wie gut boxen! Jetzt ist eine Gelegenheit, es zu zeigen, aber du kannst gar nichts! Nur ein Tiger aus Papier kann vor dir Angst haben!«

Sie sprudelte das nur so hervor, um Si Mên Tsching anzudeuten, er brauche sich nicht zu fürchten, er könne ihren Mann leicht niederschlagen und sich so freien Weg bahnen. Si Mên lag unter dem Bett, aber jetzt bekam er Mut, kroch hervor, öffnete die Tür 172 und schrie: »So etwas brauch ich gar nicht zu schlagen!«

Wu Ta wollte ihn festhalten; aber Si Mên trat zu, stieß ihn mit der Spitze seines Fußes. Weil Wu Ta so klein war, traf der Tritt in die Herzgrube, daß Wu Ta sofort ohnmächtig niederfiel. Als Si Mên sah, daß er ihn niedergestoßen, rief der große Herr triumphierend: »Kleiner Nagel, verschrumpftes Korn!« Dann lief er fort.

Yüng Kê merkte noch zur rechten Zeit, daß sein Feldzugsplan gescheitert war, ließ von Frau Wang ab und verschwand. Die Nachbarn und Vorübergehenden wußten, daß Si Mên Böses getan hatte; aber keiner dachte daran, sich in so unangenehme Dinge zu mischen.

Frau Wang hob Wu Ta vom Boden auf. Als sie sah, daß Blut aus seinem Mund lief, sein Gesicht so gelb war wie Gold, rief sie Frau Wu heraus. Die Weiber flößten ihm etwas Wasser ein, damit er wieder zu sich komme, dann brachten sie ihn heim: ließen ihn oben in seinem Schlafzimmer allein.

Am nächsten Tag hatte Si Mên Tsching bereits überall umhergehorcht, ob etwas gegen ihn unternommen worden sei. Nichts war geschehen! So traf er ruhig wieder mit Frau Wu zusammen – beide hofften, Wu Ta würde bald sterben. Wu Ta war fünf Tage lang schwerkrank, konnte sich nicht drehen noch wenden. Seine Frau pflegte ihn nicht. Sie machte sich nichts aus ihm; früher hatte sie noch ihre Abneigung gegen ihn verborgen, aber jetzt zeigte sie ruhig offen, daß sie immer mit dem großen Herrn 173 zusammen war. Wu Ta sah, daß seine Frau sich jeden Tag viel schminkte, hübsche Kleider wählte und ausging; wenn sie zurückkam, war ihr Gesicht gerötet, und er merkte: Sie war betrunken. Er ärgerte sich darüber, verlor vor ohnmächtiger Wut einige Male das Bewußtsein. Hilflos lag er im Bett; doch als sie endlich zu ihm kam, war er so unvorsichtig, ihr zu drohen: »Was du getan hast, hab ich mit eigenen Augen gesehen! Du hast deinem Geliebten den Rat gegeben, mein Herz zu treten, daß ich jetzt nicht leben und nicht sterben kann! Aber immer noch gehst du zu ihm. Wenn ich nur schon tot wär! Ich kann ja auch als Lebender nicht mit euch kämpfen! Aber mein Bruder Wu Sung! Der Tigertöter! Für ihn ist ein Si Mên ein Tiger aus Papier! Wenn Sung bald oder später zurückkommt, wird er mit euch sehr zärtlich umgehn! Wenn du ein bißchen menschliches Gefühl hast, wenn du Mitleid mit mir und dir hast, pflegst du mich jetzt gut, damit meine Krankheit sich bessert; wenn er zurückkommt, erzähl ich ihm dann nichts davon! Wenn du mir nicht hilfst, wart ich, bis er hier ist, und sag ihm alles, er wird dann schon mit euch abrechnen!«

Sie hörte zu, antwortete kein Wort, zog sich langsam an und ging in Frau Wangs Teestube. Dort erzählte sie Si Mên Tsching und Frau Wang alles. Si Mên war es, als ob man ihm eine Kanne kalten Wassers über den Kopf gieße oder als ob er aus einem heißen Bad in einen Eiskeller geworfen würde; er stöhnte: »O Himmel und Erde! Ich wußte, daß der Mann, der auf dem Tsching Yangberg den Tiger erschlug, 174 Offizier Wu ist. Er ist der erste Held der Stadt Tsching Hê. Jetzt bin ich mit dir so lange beisammen, und wir haben uns mächtig lieb, aber an ihn haben wir nicht gedacht! Was soll ich tun? Es ist überaus schmerzvoll!«

Frau Wang höhnte: »Ich habe nie bemerkt, daß Sie steuern können – leider bin ich der Passagier! Wenn ich keine Furcht habe, wie können Sie, feiger Hase, schon jetzt vor lauter Angst nicht mehr wissen, wo Sie Hand und Fuß hinstellen sollen!«

Si Mên: »Ich bin umsonst als Mann zur Welt gekommen! Bis hierher ging es, jetzt kann ich nicht weiter, was haben Sie für einen Plan, bitte, schützen Sie uns beide.«

Die alte Wang: »Ich muß Sie beide fragen, ob Sie lange Mann und Frau bleiben wollen, oder ob es nur kurze Zeit dauern soll?«

Er: »Mütterchen, sagen Sie: Was meinen Sie? Lang oder kurz?«

Die alte Wang: »Wenn Sie nur kurze Zeit beisammen bleiben wollen, bitte, dann gehen Sie heute sofort auseinander. Warten Sie, bis Wu Ta wieder gesund ist, und bitten Sie ihn um Verzeihung. Wenn Wu Sung wieder zurückkommt, wird Ta dann darüber nicht sprechen, und wenn Wu Sung wieder auswärts zu tun hat, trifft man sich wieder. Haben Sie jedoch die Absicht, lange beisammen zu bleiben, täglich einander gut zu sein und niemand zu fürchten, hab ich einen schönen Plan, aber es ist schwer, Ihnen alles beizubringen.« 175

Si Mên: »Mütterchen, geben Sie uns, bitte, Ihren Rat, wir möchten immer als Mann und Frau zusammen bleiben.«

Die Alte: »Dieser Plan erfordert ein ganz besonderes Material, das nicht jede Familie besitzt, durch Zufall hat es nur der große Herr.«

Er: »Wenn es nötig ist, daß meine Augen gebraucht werden, opfre ich sie auch für unsere Sache! Was ist es?!«

Frau Wang: »Großer Herr, jetzt ist das Menschlein so schwerkrank, laßt ihn nicht gesund werden, nur so können wir meinen Plan ausführen! Bringen Sie aus Ihrem Geschäft ein wenig Arsenik her, die gnädige Frau muß zu einem Arzt gehen – Medizin holen – dem Herzkranken zu helfen! Dann mischen wir beides durcheinander und lassen es das Menschlein trinken, sein Leben abzutöten! Die Leiche lassen wir verbrennen – mag sein Bruder noch so ein großer Held sein, die Spur kann er nicht finden, Ihnen kann er dann nichts anhaben. Weise Sprüche lehren: ›Schwägerin und Schwager dürfen nicht viel miteinander verkehren!‹ und: ›Bei der ersten Heirat muß man auf die Eltern hören, aber beim zweitenmal muß man sich selber den Gefährten aussuchen.‹ Was hat ein Schwager über das Leben seiner ehemaligen Schwägerin zu bestimmen? Sie beide können sich heimlich treffen, warten ein oder zwei Jahre, bis die Trauerzeit vorüber ist, dann kann der große Herr Sie heiraten und als seine Frau heimführen. Was denken Sie von meinem Plan?«

Si Mên: »Mütterchen, ich fürchte die Sünde! Aber 176 wenn man den Hund aufzieht, muß man ihn auch essen!«

Frau Wang: »Das ist das beste! Wenn der Bauer Unkraut jätet, muß er auch die Wurzel ausgraben, dann kann es im nächsten Frühjahr nicht wieder wachsen. Großer Herr, gehen Sie schnell, bringen Sie rasch das Gewünschte; ich werde Frau Wu belehren, wie sie es zu machen hat. Aber wenn die Sache erledigt ist, muß ich eine schwere Belohnung bekommen.«

Si Mên: »Das ist doch ausgemacht, Mütterchen, das brauchen Sie nicht zu wiederholen.«

Er ging nach Haus, brachte ein kleines Päckchen Arsenik mit und gab es Frau Wang, die sah Frau Wu scharf an: »Gnädige Frau, ich werd Ihnen beibringen, wann und wie Sie diese Medizin hineinschütten müssen. Erster Wu hat Ihnen doch gesagt, Sie sollen ihn pflegen und Medizin holen! Sie werden jetzt gleich nett zu ihm sein, und wenn er von Ihnen Medizin verlangt, geben Sie ihm Arsenik mit der richtigen Medizin zusammen, vermischt! Sie warten, bis er alles getrunken hat, dann gehen Sie fort. Sowie das Gift wirkt, geht der Magen entzwei, und er wird schreien. Sie brauchen nur eine dicke Decke über ihn zu breiten, daß niemand etwas hört. Vorher heizen Sie einen Kessel Wasser und legen einige Lappen zurecht. Nachdem der Tod eingetreten ist, wird aus seinen sieben Gesichtsteilen das Blut herauslaufen, sein Mund wird krampfhaft verbissen sein. Warten Sie, bis er keine Bewegung mehr macht, nehmen Sie dann die Decke fort und waschen ihn mit dem Lappen, bis kein Blut mehr zu finden ist. Wir legen den 177 seligen Herrn Bohnenpufferverkäufer dann in einen guten Sarg, lassen die Träger ihn hinaustragen und den ehemaligen Herrn Wu Ta verbrennen, dann ist alles erledigt.«

Frau Wu: »Das ist sehr gut – aber meine Hand ist zu weich für solche Sachen. Ich kann keine Leiche anfassen.«

Alte Wang: »Das ist doch leicht, Sie brauchen doch nur gegen die Wand zu klopfen, dann komm ich Ihnen helfen!«

Si Mên: »Sie müssen sehr achtgeben, morgen früh hol ich mir Nachricht.« Damit trennten sie sich.

Als Goldlotos nach Hause kam, lag ihr Mann im Bett und konnte kaum atmen. Sie nahm einen Stuhl, setzte sich neben den Kranken, dann fing sie an, kräftig zu weinen. Wu Ta öffnete seine Augen: »Warum weinst du?«

Sie wischte sofort die Tränen weg – lispelte zaghaft: »Ich habe dir großes Unrecht getan! Er hat mich verführt! Ich kann nichts dafür, daß du einen so schweren Tritt von ihm bekommen hast. Ich habe mich in den letzten Tagen sehr bemüht, für dich das richtige Heilmittel zu finden. Ich wollte gleich eines kaufen, aber ich zweifelte, ob du es nehmen willst oder nicht, deswegen wein ich.«

Wu Ta war ein einfacher Mensch und ahnte keineswegs, daß in ihrer Rede ein Zweck und ein Mensch begraben lag!

»Wenn du mir mein Leben rettest, verzeih ich dir alles. Auch wenn mein Bruder kommt, sprech ich nicht davon. Bitte, geh schnell die Medizin holen.« 178

Goldlotos nahm einige Münzen zur Hand, ging zu Frau Wang, blieb in der Teestube und ließ Frau Wang die Medizin kaufen. Bald brachte die das Mittel, und Goldlotos ging zu Wu Ta und zeigte es ihm. Sie sagte: »Diese Medizin ist besonders gut für Herzkranke, der Arzt meint, du nimmst sie am besten um Mitternacht ein. Nachher liegst du ruhig im Bett, deckst dich mit dicken Bettdecken zu und schwitzest. Morgen kannst du dann schon aufstehn.«

Wu Ta: »Das wäre sehr gut! Aber du darfst heute nacht nicht fest schlafen, wenn du mir die Medizin um Mitternacht reichen mußt.«

Sie beruhigte ihn: »Du kannst fest schlafen, ich werde nicht fortfliegen.«

Es war dunkel, sie zündete Licht an. In der Küche ließ sie viel Wasser kochen und suchte einige Lappen. Als der Wächter das Gong zum drittenmal geschlagen hatte, kam sie mit einer Tasse, in der Arsenik schon enthalten war, und brachte noch etwas Wasser. Sie weckte ihn: »Jetzt ist es Zeit, bitte, wo ist die Medizin?«

Wu Ta: »Sie liegt unter meinem Kissen.«

Sie zog die Medizin hervor, und schüttete sie in die Tasse; dann goß sie Wasser hinzu, nahm eine silberne Nadel aus ihrem Haar und rührte Medizin und Arsenik durcheinander. Als sie alles zubereitet hatte, hob sie mit der linken Hand Wu Ta hoch, mit der rechten flößte sie ihm die Mischung ein.

Wu Ta hatte bereits einen Mund voll mühselig geschluckt, da zog er die Augenbrauen zusammen: »Diese Medizin ist sehr schwer einzunehmen!« 179

Frau: »Hauptsache, sie ist gut für die Krankheit, keine Medizin schmeckt gut!«

Wu Ta nahm die Tasse, um mehr zu trinken; sie goß ihm alles hinein, bis er die ganze Tasse ausgetrunken hatte. Dann deckte sie ihn gut zu – eilte, sich von seinem Bett zu entfernen. Nach kurzer Zeit stöhnte Wu Ta: »Du, ich habe die Medizin genommen, aber mein Magen schmerzt entsetzlich! Ich kann es gar nicht ertragen.«

Sie lief herbei, bedeckte ihn mit zwei dicken Bettdecken, ohne sein Gesicht frei zu lassen. Er röchelte: »Ich kann kaum atmen!«

Sie: »Der Arzt hat gesagt, du sollst tüchtig schwitzen, dann wird deine Krankheit bald vorbei sein.«

Er wollte noch etwas sagen; aber sie fürchtete, er könnte Lärm machen, sprang auf sein Bett und drückte das Bettzeug so stark nieder, daß er keine Luft mehr bekam. Sie hörte, wie er stöhnte und einige Male jäh Atem holte. Dann war alles ruhig. Sie hob das Bettzeug hoch und entsetzte sich vor ihm. Er bewegte sich nicht mehr – tot! Er hatte die Zähne fest zusammengepreßt, vor Schmerz die Lippen zerbissen. Aus allen Gesichtsteilen lief Blut Sie fürchtete sich, hastete aus dem Zimmer, klopfte gegen die Wand. Frau Wang hörte es, kam zur Hintertür und hüstelte. Goldlotos sprang hinab, öffnete.

Frau Wang: »Alles erledigt?«

Goldlotos: »Es ist aus! Aber meine Hände und Füße sind zu schwach, ich kann nicht mehr!«

Sie gingen beide hinein, Frau Wang krempelte ihre Ärmel hoch, nahm einen Eimer heißes Wasser und 180 Lappen, ging nach oben. Zuerst schob sie das Bett bei Seite und wusch Ta das Blut vom Mund. Dann reinigte sie die andern Gesichtsteile von Blut, bis man nichts mehr merken konnte. Goldlotos legte neue Kleider auf die Leiche, dann trugen beide den Toten von oben nach unten. Sie suchten eine alte Tür aus, schoben an jeder Seite eine Bank unter, legten die Tür fest darüber, Wu Ta darauf. Frau Wang kämmte der Leiche das Haar, setzte ihr einen neuen Hut auf, bekleidete sie vollständig, legte sie nieder, nahm ein dünnes weißseidenes Tuch, bedeckte das Gesicht, suchte eine saubere Decke, verhüllte den Körper des Toten. Dann gingen sie wieder hinauf, säuberten das Bett, in dem Wu Ta gestorben; hernach ging Frau Wang fort.

Jetzt schrie Goldlotos laut auf und lärmte, damit alle Nachbarn es hörten. Alte Leser, in der Frauenwelt gibt es ganz verschiedene Gemüter. Eine Frau, der die Tränen echt vom Herzen kommen, weint still; aber eine Frau ohne echte Tränen lärmt, heult, schreit.

Nachdem Goldlotos eine Weile aus Leibeskräften geschrien hatte, beruhigte sie sich. Am nächsten Tag in aller Frühe kam Si Mên Tsching zu Frau Wang, Nachricht holen. Sie erzählte ihm alles, er gab ihr etwas Geld, einen Sarg zu kaufen und die Leiche zu bestatten. Frau Wu kam auch herbei: »Mein Wu Ta ist heute schon tot, ich habe nur noch dich, verlasse mich jetzt ganz auf dich!«

Si Mên: »Das brauchst du nicht erst zu sagen!«

Frau Wang: »Jetzt steht uns noch eine wichtige 181 Sache bevor. Es gibt hier einen Bezirksinspektor namens Hê, die Leute nennen ihn den Neunten Onkel. Er ist ein sehr sorgfältiger Mensch, ich fürchte, daß er die Todesursache sofort erkennt und die Leiche nicht bestatten läßt.«

Si Mên: »Ich werd es ihm sagen, er muß mein Wort nehmen, er wird schon gehorchen, wenn er Geld riecht.«

Frau Wang: »Großer Herr, Sie müssen sofort gehn, sonst wird es zu spät.«

Die Sonne war kaum aufgegangen, da hatte Frau Wang schon einen Sarg besorgt und Räucherwerk, Papiergeld, Kerzen gekauft. Sie brachte alles zu Frau Wu. Vor der Leiche brannte eine Öllampe, wie es die Sitte erfordert. Alle Nachbarn kamen, sich von dem Toten zu verabschieden. Goldlotos schlug die Hände über ihrem gepuderten Gesicht zusammen, schrie und tat sehr traurig. Die Leute fragten sie: »Woran ist denn der arme Herr gestorben?«

Sie: »Er hatte eine Herzkrankheit, die war sein Tod, Tag und Nacht ward es immer schlimmer, gestern nacht ist er gestorben.« Sie schrie weiter, um den Leuten ihren Kummer zu zeigen. Alle wußten, daß des Mannes Tod zu plötzlich gekommen war, aber niemand wagte es, sie zu fragen. Der Sitte gemäß sagte man ihr: »Der Tote ist unwiderruflich tot. Wenn der Mann noch leben würde, müßt er sich noch weiter rackern, Sie brauchen also nicht so traurig zu sein. Ein altes Sprichwort meint: ›Der lebende Mensch bedauert den Toten, er ist wie ein 182 dummer Hund, der einem himmelfliegenden Vogel nachläuft, ihn zu fangen!‹ Seien Sie nicht traurig!« Sie verstellte sich, dankte allen, und die Nachbarn gingen, die Köpfe schüttelnd, wieder fort. Frau Wang ging zum Bezirksinspektor Hê, bat ihn, die Leiche einzusargen. Sie kaufte alles ein, was gebraucht wurde, lud zwei Mönche aus dem Vergeltungstempel ins Haus, die abends Sutras und religiöse Formeln lesen mußten: um der Sünden des Toten willen betend, auf daß er schnurstracks in den Himmel eingehe. Hê, der Neunte Onkel, schickte einige von seinen Leuten, alles vorzubereiten; ein wenig später verließ er selbst das Haus. Als er in die Lilasteinstraße einbog, traf er Si Mên, der ihm zurief: »Neunter Onkel, wohin eilen Sie?«

Hê: »Kleiner Mensch geht Wu Ta einsargen.«

Si Mên: »Kann ich mit Ihnen einiges besprechen?«

Hê folgte ihm in die kleine Weinstube an der Ecke. Sie setzten sich in eine ruhige Nische. Si Mên bot ihm den besten Platz an, war sehr höflich mit ihm. Er bestellte guten Wein, ein wenig Gemüse und Früchte. Hê überlegte: Warum will der Mann durchaus mit mir zusammen Wein trinken? Die heutige Einladung muß eine Bedeutung haben!

Sie tranken zusammen – nach einer halben Stunde nahm Si Mên aus seinem Ärmel zehn Tael Silber, legte das auf den Tisch: »Neunter Onkel, Sie dürfen nicht denken, daß es zu wenig ist, morgen werd ich Ihnen noch etwas schicken.«

Hê faltete seine Hände: »Kleiner Mensch hat doch nichts für Sie getan, wie kann ich vom großen Herrn 183 so viel Geld bekommen? Wenn ich dem großen Herrn keinen Dienst leiste, kann ich nichts nehmen.«

Si Mên: »Ich habe keinen anderen Ausweg, nachher bekommen Sie auch von der betreffenden Familie Geld für Ihre Bemühungen. Es wäre gut, wenn Sie die Leiche des Ersten Wu einsargen ließen. Ein sehr braves Sprichwort sagt: ›Ein Blumenbeet kann alles bedecken!‹ Hoffentlich werden Sie uns helfen!«

Hê: »Das ist doch eine kleine Sache! Sie haben nichts zu befürchten. Aber wie kann ich so viel nehmen?«

Si Mên: »Neunter Onkel, wenn Sie das Geld nicht nehmen, heißt das soviel: Sie lehnen meinen Wunsch ab?!«

Hê hatte Angst vor ihm, weil der Raufbold Si Mên ein übler Bursche war, immer etwas mit den Beamten zu tun hatte, um hinterrücks andere Leute zu schädigen – darum mußt er das Geld nehmen. Sie tranken noch einige Becher, verließen dann die Kneipe. Jeder ging seines Weges.

Hê, der Neunte Onkel, zu Frau Wus Wohnung. Er dachte bei sich: Die ganze Sache ist zu sonderbar! Ich gehe, des Kuchenbäckers Leiche anzusehen. Warum gab Si Mên mir dafür so viel Geld? Die Sache hat irgendeine geheime Bedeutung! Seine drei Leute erwarteten ihn schon vor der Tür.

Hê fragte sie: »An was für einer Krankheit starb Wu Ta?«

Seine Leute antworteten: »Frau Goldlotos hat Herzkrankheit angegeben.«

He schlug den Bambusvorhang zurück und trat ein. 184

Frau Wang kam ihm entgegen: »Ich habe Neunten Onkel schon lange erwartet.«

Hê: »Ich hatte noch eine persönliche Angelegenheit zu erledigen, darum komm ich so spät«

Er sah Goldlotos in Trauerkleidern ihm entgegensegeln, sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, um den Leuten zu zeigen, wie sie weinte.

Hê: »Tante, weinen Sie nicht so trostlos, es hilft doch nicht. Es ist sehr schade, daß Ihr lieber Mann allein in den Himmel gegangen ist. Aber der gelbe Springbrunnenweg nach dem westlichen Himmel kennt nicht alt noch jung.«

Goldlotos erzwang Tränen: »Ich kann es Ihnen nicht kurz erzählen. Ich dachte nicht, daß er an seiner Herzkrankheit so schnell sterben würde. Jetzt läßt er mich allein auf der Welt.«

Hê sah die Frau vom Kopf bis zu den Füßen genau an und dachte: Ich habe nur gehört, daß Wu Ta häßlich und verheiratet ist; aber seine Frau hatte ich niemals gesehen. Der kleine Wu hat so eine Frau geheiratet! Dann weiß ich schon, was dies Geld, das mir Si Mên Tsching gab, für einen Grund hat.«

Er ging zur Leiche, zog die sie bedeckende Tausend-Herbstefahne: die Glücksfahne des Toten, hoch, zog das weißseidene Tuch vom Gesicht fort. Er nahm sein Kristallglas zur Hand, die Leiche genau zu betrachten. Plötzlich schrie er laut auf, fiel um. Man sah aus seinem Mund ein wenig Blut fließen, sein Gesicht verfärbte sich goldgelb, seine Augen waren ohne Licht, die Lippen violett. Niemand wußte, was ihm geschehen war. Seine Leute hoben ihn hoch. 185

Frau Wang: »Ihm ist der die Leiche bewachende Teufel begegnet, schnell Wasser her!«

Sie nahm kaltes Wasser in den Mund – spritzte es ihm ins Gesicht. Nach und nach kam Hê wieder zu sich, seine Gesellen holten ein Brett, legten ihn darauf und trugen ihn nach Hause. Seine Familie war bestürzt, denn er lag lange besinnungslos im Bett. Seine Gattin weinte und schrie: »Als du fortgingst, lachtest du, wie kannst du mir jetzt so zurückgebracht werden?! Niemals fehlte dir etwas!«

Sie saß am Bettrand, klagte und weinte. Hê merkte, daß seine Gesellen alle weggegangen waren, berührte seine Frau zart mit dem Fuß und tröstete sie: »Du brauchst nicht traurig sein, mir fehlt nichts! Als ich zur Wohnung des armen Wu Ta gehen wollte, traf ich Si Mên, er lud mich ein, mit ihm Wein zu trinken, und bot mir Geld an, alles für ihn zu begraben: mit Erde zu bedecken. Später, als ich in Wu Tas Wohnung kam, sah ich, daß seine Witwe nicht den Eindruck einer anständigen Frau macht. Ich zweifelte, und als ich die Tausend-Herbstefahne zurückgeschlagen hatte, sah ich in Wu Tas Gesicht – es war dunkelschwarz, überall Blut. Seine Lippen waren verbissen: er muß durch Gift gestorben sein. Ich wollt erst tun, was recht ist, aber es gibt noch niemanden, der den Toten rächt, außerdem will ich Si Mên nicht zum Feind haben. Es ist schon so. Niemand will von einer Biene gestochen werden. Auch ich wollte mit dem Giftstachel keine Bekanntschaft machen! Ich sollte die Leiche eigenhändig einsargen, aber zum Glück hab ich mich noch daran erinnert, daß der 186 Bruder des Wu Ta ein Held ist: der Tigertöter, Hauptmann Wu Sung. Er ist ein Mann, der tötet, ohne mit den Wimpern zu zucken. Sollt er jetzt oder später zurückkehren, wird die Tat ans Licht kommen.«

Seine Frau antwortete: »Ich hörte, daß Yüng Kê, der hinter uns wohnt, mit Wu zusammen in die Teestube der Frau Wang gegangen ist, um die Ehebrecher hoppzunehmen. Vielleicht begann so die Geschichte dieses Mordes; du kannst später alles erforschen. Vorläufig haben wir keine Schwierigkeiten, du läßt deine Gesellen hingehen, läßt sie die Leiche einsargen und fragen, wann der Tote fortgetragen werden soll? Antworten sie, daß die Leiche liegenbleiben soll, bis Wu Sung zurückkommt, die Trauerfeierlichkeit erst dann veranstaltet wird, haben wir mit der Sache nichts mehr zu tun. Wenn seine Frau ihn beerdigen lassen will, macht es auch nichts; aber wenn sie ihn sofort verbrennen lassen will, muß das einen schlimmen Grund haben! Du wartest, bis die Leiche verbrannt ist, dann gehst du hin, stiehlst zwei Knochen, packst sie mit den zehn Tael Silber zusammen, als Beweis für später. Sollte Wu Sung uns nicht fragen, haben wir das Geld und stehen auch mit Si Mên Tsching gut, vielleicht können wir ihn noch brauchen.«

Hê: »Wenn es in einer Familie eine kluge Frau gibt, ist das sehr viel wert! Du hast in allem recht!«

Er rief seine Gesellen herbei: »Ich bin krank, kann nicht mehr hingehn, kann nicht die Leiche einsargen; besorgt es allein und fragt, wann sie abgeholt werden 187 soll. Bringt mir aber, bitte, sofort Bescheid. Wenn ihr Geld bekommt, teilt es unter euch, aber für mich nehmt keine Münze an.«

Seine Gesellen gingen zu Frau Wu. Bald kehrten sie zurück, meldeten: »Seine Frau sagt: nur drei Tage soll die Leiche im Haus liegenbleiben, dann wird sie geholt, außerhalb des Tors verbrannt zu werden.«

Als sie wieder gegangen waren, sagte Hê zu seiner Frau: »Du hast recht gehabt, ich muß wohl dann hingehn und einige Knochen stehlen.«

Zur Trauerfeierlichkeit besorgte Frau Wang alles für Frau Wu. Am zweiten Tage kamen zwei zum Himmel betende Mönche aus dem Vergeltungstempel, am dritten Tage vier Gesellen des Hê, den Sarg abzuholen. Einige Nachbarn gingen mit, den Toten zu ehren. Frau Wu hatte ein einfaches weißes Leinenkleid angezogen. Auf dem Wege zur Verbrennungsstelle schrie sie sehr laut, den Leuten ihren Schmerz zu zeigen. Bald war der Trauerzug außerhalb des Tores am Feuerplatz angelangt, und die Leiche wurde verbrannt. Hê trat hinzu, in der Hand hielt er Geldpapier, bat den Toten, es in der anderen Welt zu benützen, und warf es dann ins Feuer. Frau Wang und Goldlotos dankten ihm für sein Erscheinen: »Neunter Onkel, es freut uns, daß Sie wieder gesund sind und uns beehrt haben.«

Hê: »Kleiner Mensch hat oft von Herrn Wu Ta Bohnenpuffer gekauft und sie nicht bezahlt – darum verbrenn ich heute das Geldpapier.«

Er verbrannte noch Papiergeld, wo der Sarg stand; die beiden Frauen dankten ihm. Er sah, daß der Sarg 188 fast niedergebrannt war und sagte teilnahmsvoll den Frauen: »Kleiner Mensch kann hier alles allein besorgen, gehen Sie in die Halle, den Nachbarn für ihr Erscheinen danken, ich werde dies hier allein in beste Ordnung bringen.«

Er schickte die Frauen fort, um aus dem niederbrennenden Feuer zwei Knochen heraussuchen zu können, die noch nicht ganz verbrannt waren. Er legte sie ins Wasser – sie waren schwarz. Dann versteckte er sie unter seinen Kleidern, ging auch in die Halle, verabschiedete sich von den Trauergästen. Als alles verbrannt war, wurden die Reste des Wu Ta in einen kleinen Teich geworfen, die Trauergäste gingen nach Haus. Hê trug die Knochen heim, schrieb auf einen Zettel das Datum des Tages, die Namen der Leute, die bei der Bestattung gewesen, steckte alles in eine Tasche und verwahrte sie an einem sicheren Ort. Goldlotos stellte im Flur ihres Hauses auf einen Tisch eine Seelentafel mit der Aufschrift: Platz des gestorbenen Gatten Wu Ta.

Vor der Tafel stand eine brennende Kristallampe, auf dem Tisch lag etwas Papiergeld und allerlei Malereien zur Ehre des Toten. Sie aber traf sich täglich oben in ihrem Zimmer mit Si Mên Tsching. Es war gar kein Vergleich mit den Zusammenkünften bei der Frau Wang. Hier im Hause hatte niemand mehr etwas zu sagen, er konnte kommen und gehen, wann er wollte – niemand hatte was dreinzureden. Alle Leute wußten, was die beiden trieben; aber keiner wollte mit dem großen Herrn Händel anfangen. Auch Wu Ta war still und störte nicht. 189

 


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