Albert Ehrenstein
Mörder aus Gerechtigkeit
Albert Ehrenstein

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Der Bonze

Seit Wu Sung als Schatzhüter abgereist war, blieb Wu Ta viel zu Hause, dem Rat seines Bruders gehorsam. Er war erst drei oder vier Tage daheim, und schon schimpfte ihm die Frau täglich die Ohren voll, bis er fast die Geduld verlor. Er ließ es sich nicht anmerken, ließ seine Frau schelten und tat trotzdem nur, was der Bruder ihm gesagt hatte. Er buk nur die Hälfte von dem, was er sonst verkauft hatte, kehrte früh heim, wartete nicht bis zum Abend, sondern schloß sofort die Tür ab, saß in der Küche. Die Frau sah das täglich: lüstern fühlte sie sich bedrückt, beengt in ihrer Vergnügungssucht. Mit einem Finger zeigte sie auf sein Gesicht, keifte: »Du bist ein dummer Kerl! Ich habe nie gesehen, daß ein Mensch mittags ausgeht, Ware zu verkaufen, und gleich nach Mittag wieder zurückkommt. Den ganzen Tag zu Hause sitzen und die unglückliche Tür immer zuschließen! Andere Leute werden denken, bei uns sei etwas geschehen! Hör nur auf deines Bruders Unsinn, bis die Leute dich auslachen!«

Sie sprach nicht nur einmal so, sondern täglich, immer antwortete Wu Ta: »Laß die andern Leute nur mich auslachen, mein Bruder hat immer recht; wenn ich ihm folge, kann ich viel Kummer sparen.«

Sie spie ihm ins Gesicht, schrie: »Pfui! Schmutz! Du bist ein Mann und kannst doch nicht selber Herr und Meister sein – achtest nur auf anderer Leute Stänkern!«

Wu Ta schüttelte ihr geiferndes Gekeif mit der Hand 69 ab: »Laß! Laß! Meines Bruders Wort ist Gold wert!«

Wu Sung war schon über zehn Tage fort –Ta tat immer das, was Sung gesagt hatte. Die Frau zankte sich einige Male tüchtig mit ihm; aber als sie sah, daß alles nichts half, beruhigte sie sich scheinbar. Sie schätzte Tag für Tag ab, wann etwa er nach Hause kommen müsse, zog dann den Bambusvorhang herunter und schloß die Tür. Wu Ta jedoch dachte ahnungslos: »Das ist viel besser als früher.«

Der Winter ging endlich, es kam herrliches Frühlingswetter. Es ward warm, die Leute waren viel auf der Straße unter der freundlichen Sonne. Auch Goldlotos merkte: ihr Herz war voll Frühling. Man sagt: Die Unternehmungslust einer sinnlichen Frau ist so groß wie der Himmel. Goldlotos entsann sich eines jungen Bonzen namens Pei Ju Hei, der im Vergeltungstempel lebte. Wenn er die heiligen Bücher vorlas, Bittgebete sprach – immer hatte er eine herrlichere Stimme als alle anderen Bonzen, immer hatte er Lust, laut zu singen und mit der Glocke hell zu klingeln. Eines Tages, als Wu Ta eben mit seinen Bohnenpuffern ausgegangen war, konnte Goldlotos ihres Blutes Gefühle nicht länger unterdrücken. Sie kämmte ihr Haar glatt nach hinten, band ihre Füßchen in saubere Tücher, wusch Gesicht und Oberkörper, zog neue, wohlriechende, einfarbige Kleidung an, suchte einen Weihebecher heraus, ging zu ihrer Nachbarin, der alten Frau Wang, bewog sie, die Teestube zu schließen und mit ihr den Tempel zu besuchen. Frau Wang war willig, kaufte Kerzen, 70 Papiergeld für das Brandopfer, bestellte eine Sänfte für Goldlotos und sich.

Die Sänfte kam – Goldlotos war sie nicht rasch genug, aber es dauerte nicht lang, und sie waren schon da. Der Bonze Pei stand zufällig vor dem Tor des Vergeltungstempels. Als er die hübsche junge ungeschminkte Frau aus der Sänfte in sein fleischloses Leben steigen sah, begann er sich zu freuen. Die alte Wang eröffnete das Gefecht mit den Worten: »Wir müssen Lehrvater ein wenig stören.«

Goldlotos: »Wir bereiten Lehrvater wohl viel Umstände. Aber Magister Jao, der Vater meines Mannes, hat sich vor Jahren erhängt. Verrichten Sie Gebete, daß die Seele des Toten endlich in den Himmel dringt.«

Der Bonze: »Gern. Meine Gebete werden dem Toten nützen.«

Er führte die Frauen in ein Gebetzimmer, dort hingen Götter an der Wand. Auf einem Tisch standen Teller mit Gemüse als Opferspende, Weihrauch, Kerzen und Goldpapier. Auf anderen Tischen Musikinstrumente: Zimbel, Glocke, wohlklingende Steine, Trommel, Holzfisch, Zimmerorgel und Flöte. Bald kam ein Wandermönch, zündete die Kerzen an und führte zehn Taoisten ins Zimmer, die musizierten und laut aus ihren Gebetbüchern lasen und sangen. Goldlotos grüßte und dankte allen. Bonze Pei saß inmitten der zehn Taoisten als Vorbeter, schlug die Glocke und verbrannte Himmelsgesuche, Fo herbeizubitten. Die Taoisten lasen Hymnen, neigten ihr Haupt vor den überirdischen Mächten, betend und 71 bittend, den toten Magister Jao in den Himmel aufzunehmen. Dann schritt Goldlotos an einen Tisch, auf dem die Figur des Kaisers der Hölle stand. Sie kniete nieder am Gebetpodium, mit eigenen Händen zündete sie Weihrauch und Kerzen an, brachte den Weihebecher dar.

Der Bonze Pei las ein besonders inniges Bittgesuch an den Himmel, dem toten Schwiegervater den Selbstmord und alle anderen Sünden zu verzeihen. Danach verbrannte er das Gesuch und Papiergeld – der Gottesdienst war beendet. Bonze Pei ließ seine Ordensbrüder gut bewirten, bat die alte Wang und Goldlotos, in seinem Zimmer etwas Tee zu trinken, und führte sie in ein ruhiges Gemach, das er für solche Zwecke eingerichtet hatte.

Als alle im Vorderzimmer Platz genommen hatten, rief er: »Lehrbruder, bring Tee.«

Zwei dienende Brüder traten ein, Teetassen tragend, so weiß wie Schnee, mit rotem Untersatz. Die Frauen tranken – merkten sofort: Guter Tee!

Er zeigte ihnen ein Zimmer, das hinten lag. Es war zierlich eingerichtet, an der Wand hingen beliebte Malereien und Kalligraphien. An Stelle von Stühlen gab es schwarz gestrichene Bänke. In der Mitte des Zimmers ein Tisch. Auf dem brannte fromm riechendes Holz in einer Schale. Alte Wang und Goldlotos saßen auf einer Bank – der Bonze ihnen gegenüber. Goldlotos lobte das Zimmer: »Lehrvater, Sie haben wirklich, aus der Familie ausgeschieden, einen guten Platz gefunden. Hier ist alles ruhig, behaglich, sauber und glücklich.« 72

Er: »Gute Schwester spricht zu höflich, wie kann man dies hier mit einem Heim vergleichen.«

Sie plauderten eine Weile, sprach die alte Wang: »Wir haben Lehrvater viel Mühe gemacht, nun wird es Zeit, daß wir nach Hause gehen.«

Der Bonze ließ die beiden nicht fort: »Es ist so selten, daß ehrliche Frauen zu uns kommen, und Sie sind doch nicht bei Wilden! Wie können Sie fortgehen, ohne wenigstens einige Nudeln gegessen zu haben? Lehrbruder, bring schnell was her.«

Auf seinen Wink brachten die dienenden Mönche fleischloses Essen: Datteln aus der Osthauptstadt und andere seltene Früchte, Gemüse und Wein herbei. Sie deckten den Tisch, und Goldlotos fragte vorwurfsvoll: »Warum muß Lehrvater so viel auftragen lassen? Haben wir Sie noch nicht genug gestört?«

Der Bonze antwortete mit einem Lächeln, bot der alten Wang einen gefüllten Becher an: »Ehrliche Großmutter kommt nicht oft zu uns, bitte, kosten Sie den Wein.«

Die Alte trank und lobte: »Guter Wein, seltenes Blut!«

Pei: »Wir haben ihn von einem uns ergebenen Freund des Tempels bekommen. Wir haben viel davon hier; morgen bringen wir Ihnen auch etwas für Ihren werten Gatten.«

Die Weiber dankten. Der Bonze neigte sich zu Goldlotos: »Wir haben leider nichts Gutes, eine solche Schwester zu bewirten. Bitte, trinken Sie noch einen Becher.« Die zwei kleinen Diener reichten den Wein 73 einige Male rundherum, dann mußte Frau Wang diesen Dienst übernehmen.

Goldlotos: »Halt, ich kann nicht mehr vertragen!«

Die Alte fragte besorgt, ob auch die Sänftenträger etwas Wein bekommen hätten.

Pei: »Ehrliche Großmutter, darum brauchen Sie sich nicht zu bekümmern, kleiner Mönch hat schon alles besorgt, sie haben alle Wein getrunken und feine Nudeln gegessen.«

Der Bonze hatte den Frauen zielbewußt kräftigen Wein vorsetzen lassen. Die alte Wang konnte nichts vertragen – war bald betrunken. Der Mönch fragte, ob die alte Dame ein Weilchen ruhen möchte? Die zwei dienenden Brüder kamen und brachten die Alte in ein ruhiges Zimmer, sehr geeignet, dort zu schlafen. Weintrunken, schlaftrunken wünschte die alte Frau Wang abgehend der Frau Goldlotos noch: »Verbrennen Sie gut Kerzen!«

Pei aber bot der jungen Frau immer mehr Wein an. Der junge Bonze, Frühling und Wein hatten sie in heitere Stimmung gebracht. Sie fühlte sich bald in einem unklaren Zustand und murmelte leise: »Lehrvater, mit welcher Absicht bieten Sie mir immer mehr Wein an? Der Wein hat mich erledigt.«

Der Bonze: »Darf ich gnädige Frau bitten, in kleinen Mönchs Zimmer zu gehn und eine heilige Reliquie anzuschaun?«

Sie lachte: »Ich komm ja gerade darum!«

Er führte sie in sein Schlafzimmer, es war freundlich eingerichtet. Sie guckte es sich sehr genau an: »Ihr Schlafzimmer ist sehr sauber und gut erhalten!« 74

Er lachte: »Es fehlt nur eine Frau.«

Sie: »Versuchen Sie, eine zu bekommen.«

Er: »Wo kann ich denn eine so gute und ergebene Spenderin bekommen wie Sie?«

Dann kam der Bonze einige Schritte näher und wisperte: »Ich will nur nachsehen, ob Frau Wang gut schläft.«

Lief nach unten, kam rasch wieder, schloß eilends die Tür ab. Goldlotos lächelte: »O Lehrväterchen – warum verschließt du mich hier?«

Der Glatzkopf konnte sein lüsternes Herz nicht länger bezwingen, kam nah und nahm die Frau in seine Arme: »Ich liebe dich. Deinetwegen hab ich mir immer mit dem Singen viel Mühe gegeben, endlich, endlich bist du heute hergekommen, du darfst nicht grausam sein!«

Goldlotos: »Aber mein Mann?! Kind, wenn er es später erfährt, wird er das dir nie verzeihen. Sein Bruder ist ein wilder Tigertöter.«

Der Bonze kniete nieder: »Sei lieb!«

Sie schaute ihn groß an, hielt ihre Hand schräg: »Du kleiner Dieb, du willst eine anständige Frau zum mönchischen Leben verführen? Ich werd dir gleich eine Ohrschelle geben.«

Er lachte: »Bitte, schlag mich, aber tu dir dabei nicht weh.«

Ihr ganzes Herz war voll Frühling, sie konnte diese Scherze nicht länger anhören, hob ihn hoch, zog ihn an sich: »Du dummer Glatzkopf! Denkst du, ich werde dich wirklich schlagen?!« 75

Der Mann stand auf, begann Freude zu suchen, Freude zu finden.

Nach Wolken und Regen hielt er Goldlotos fest im Arm: »Wenn du zu mir Herz genug hast, werd ich es nicht bereuen, für dich mein Leben zu geben. Heut hab ich es dir zu verdanken, daß ich einen Augenblick glücklich bin! Aber es kann nicht lange dauern – später wird mich meine Sehnsucht töten.«

Goldlotos: »Du brauchst dich nicht zu grämen, du bist jung, ich will dein Frühlingsleben nicht verderben, ich hab schon einen Plan. Mein Mann geht alle Tage über Mittag aus. Ich werde Frau Wang kaufen: sie soll immer achtgeben. Solange mein Mann nicht zu Hause ist, steht draußen bei Frau Wang immer ein kleiner Tisch, zum Zeichen der Sicherheit wird auf ihm Nachtweihrauch glimmen. Dann kannst du ruhig zu mir kommen. Ich fürchte nur, daß wir ermüdet einmal zu fest einschlafen und nicht rechtzeitig aufstehen. Du mußt einen Bettelmönch jeden Tag einige Male überallhin gehen lassen, die Zeit ausrufen. Laß ihn vor der Hintertür auf den Holzfisch klopfen – er soll laut zu Fo rufen, zum Zeichen, daß du fortgehen kannst. Wenn du so einen Mann hast, wird das sehr gut sein. Erstens kann er sich für dich draußen umschauen, zweitens wirst du bei mir nicht die Zeit verschlafen.«

Er freute sich über ihren Vorschlag: »Guter Plan! Tu, wie du gesagt hast. Ich hab einen Taoisten hier, dem werd ich deinen guten Einfall beibringen.«

Sie: »Ich kann heut nicht mehr lang hierbleiben, sonst beginnen die Leute noch zu reden. Ich geh lieber 76 schnell fort, aber du darfst dein Versprechen nicht vergessen.«

Sie machte sich zurecht, kämmte ihr Haar zu Wolken, puderte sich, öffnete die Tür, ging Frau Wang wecken, tat, als wäre die Alte soeben eingeschlafen; die zwei Frauen stiegen in ihre Sänfte und nahmen Abschied vom Bonzen.

Im Vergeltungstempel gab es einen Taoisten namens Hu, der hinterm Tempel wohnte. Jeden Tag stand er zur Zeit des fünften Gongs auf und schlug laut seinen Holzfisch, alle Bonzen zum Gebet zu wecken. Dann räumte er die Reste des Gebetessens weg – das war seine Tätigkeit. Eines Tages rief Pei ihn zu sich. Zuerst ließ er ihn Wein trinken, dann schenkte er ihm Geld. Taoist Hu war nur eine Art Tempeldiener, bekam jetzt plötzlich viel Geld, wunderte sich: »Schüler hat keinen Dienst geleistet, wie kann er so viel annehmen? Ich habe schon allzu oft von Lehrvater Gutes erhalten.«

Pei: »Ich sehe: Sie sind ein vernünftiger Mensch. Jetzt oder später werd ich Ihnen auf meine Kosten ein Zeugnis kaufen, damit Sie Ihre Haare abschneiden und Bonze werden können. Nehmen Sie dies Geld und schaffen Sie sich vorläufig Kleider an.«

Taoist Hu bekam von Pei oft Mittagessen und wurde an Festtagen von ihm mitgenommen, wenn irgendwo Gebete an den Himmel verlesen wurden; dann hatte er viel zu tun. Hu war Pei zu Dank verpflichtet und überlegte: Warum heute so viel Geld? Vielleicht braucht der mich?! Er wartete nicht, bis Pei seinen 77 Mund öffnete: »Wenn Lehrvater mich irgendwo braucht, geht der kleine Taoist gern hin.«

Pei: »Taoist Hu, wenn Sie so aus gutem Herzen sprechen, will ich Ihnen mein Geschäft nicht verheimlichen. Frau Goldlotos will möglichst oft mit mir zusammenkommen. Wir haben verabredet, daß ich, wenn draußen vor der Hintertür ein Tisch steht, zu ihr kann. Aber ich darf mich dort nicht allzuviel sehen lassen. Wenn es Ihnen möglich ist, gehen Sie für mich hin und horchen, dann komm ich nach. Morgens, zur Zeit des fünften Gongs, müssen Sie sowieso aufstehen, alle zum Beten zu wecken. Wecken Sie dann gleich die ganze Stadt! Und nachmittags kommen Sie vor die Hintertür der Frau Goldlotos, schlagen laut den Holzfisch und rufen Fo an, zum Zeichen, daß ich raus soll.«

Taoist Hu sagte sofort zu, ohne weitere Überlegung. Am selben Tag noch schlich er zur Hintertür der alten Wang, etwas Essen zu erbetteln. Die Wang trat heraus und schalt: »Sie Taoist, warum gehen Sie nicht zur Vordertür, Gebetessen erbetteln, warum kommen Sie hierher?«

Der Taoist gab ihr keine Antwort – las ruhig seine Gebetsätze immer weiter. Goldlotos hörte drinnen alles, ging an die Tür und fragte den Mann, ob er der Taoist sei, der die Leute zur Zeit des fünften Gongs wecke?

Hu: »Kleiner Taoist ist es, der die Menschen zeitlich früh weckt und abends Weihrauch verbrennt. Fo wird sich darüber im Nirwana freuen.«

Goldlotos wußte sofort, was er damit meinte. Sie 78 lachte vergnügt, ging nach oben, eine Schnur Münzen holen. Der Taoist nahm die Gelegenheit wahr und dankte ihr: »Kleiner Taoist ist der Vertraute von Lehrvater Pei. Er sandte mich als Weghorcher.«

Goldlotos: »Ich weiß schon. Immer, wenn Sie herkommen und draußen einen kleinen Tisch sehen, können Sie ihm bestimmte Nachricht geben.«

Der Taoist nickte mit dem Kopf, ging seines Wegs. Dann rief Goldlotos die alte Wang zu sich, erzählte ihr das Nötigste, machte ihr Versprechungen. Wenn solchen Menschen große Dinge versprochen und immer wieder Kleinigkeiten gegeben werden, dann verkaufen sie ohne weiteres sich, Himmel und Erde. Kaum war Wu Ta mit seinen Bohnenpuffern abgezogen, stellte die alte Wang den Signaltisch auf die Gasse. Goldlotos konnte vor Leidenschaft gar keine Ruhe finden und wartete hinter der Tür. Sie mußte nicht lange warten, bis ein Mann schnaufend ankam, sich scheu umblickte und schnell ins Tor lief. Die alte Wang erschrak, fragte: »Wer?«

Dieser eilige Besucher gab keine Antwort. Goldlotos stand hinter dem Bambusvorhang, streifte ihm den Hut ab: ein Glatzkopf leuchtete auf. Goldlotos patschte ihm zärtlich darauf: »Diebsmönch! Du kannst dich sehr gut verkleiden!«

Nun mußte Frau Wang den Tisch hereinbringen, die Tür schließen und wachen. Goldlotos und Pei keuchten Liebesworte, mild wie Honig, sie konnten einander so gut vertragen wie der Fisch das Wasser. Sie flüsterten sich süße Worte zu, schlummerten endlich sanft und selig ein. Plötzlich hörten sie unten 79 laut den Holzfisch schlagen und mörderisch zu Fo rufen. Sie wurden beide im tiefsten Traum gestört. Der Bonze nahm Abschied: »Ich geh, morgen können wir weitersehen.«

Goldlotos: »Aber wenn morgen kein Tisch draußen steht, darfst du nicht einfach reinkommen.«

Sie drückte ihm den Hut tief ins Gesicht. Die alte Wang öffnete die Hintertür – schnell wie der Wind entfloh er.

Von diesem Tag an kam der Mönch immer, wenn Wu Ta nicht daheim war. Frau Wang hatte von Goldlotos das Versprochene erhalten, tat alles, was die Lage erforderte, und nur einer war zu fürchten: Wu Ta. Das Weib und der Bonze konnten nicht mehr allein bleiben – einen Monat lang: einander trafen sie täglich.

Goldlotos und Mönch Pei verstanden einander sehr gut, es fiel ihnen oft schwer, sich zu trennen. Sie hatte Wu Ta im Herzen ganz vergessen; wenn er ihr einmal nahe kam, ärgerte und beschimpfte sie ihn, konnt ihn nicht mehr ausstehen, drehte ihm gewaltig den Rücken. Wu Ta war sehr traurig darüber, begann zu trinken, viel fortzubleiben, sich nachts mit heißem Wein über sein kaltes Weib zu trösten und, da ihm sein Haus verleidet war, in Weinstuben oder gar – wenn die geschlossen waren und dem Halbbetrunkenen der Weg in die kahle Einsamkeit seiner Schlafstatt zu weit schien – in Bedürfnisanstalten zu übernachten. Er sehnte Wu Sung herbei, vor ihm sein Schicksal anzuklagen und es mit Hilfe des stärkeren Bruders irgendwie zu wenden. Die alte Frau 80 Wang war klüger und erfahrener als Goldlotos, und aus denselben Gründen, die Wu Ta eine hartnäckige und rachsüchtige Sehnsucht nach Wu Sung einflößten, fürchtete sie die Heimkehr des Tigertöters. Ihr listiges Herz versuchte, die Spannung zwischen den Eheleuten zu vermindern und die Entzweiten wieder zu vereinen. Als Wu Ta einmal einige Regennächte lang nicht heimgekehrt war, ging Frau Wang aus eigenem Antrieb abends in die Nähe des Amts, den unglücklichen Bohnenpufferverkäufer zu suchen.

Endlich fand sie ihn; er ging ohne Ware in einer Sackgasse traumverschluckt auf und ab. Sie rief: »Herr Wu Ta, wohin gehen Sie? Wir haben uns schon zu lange nicht gesehn!«

Als sich Wu Ta endlich umdrehte, erkannte er Frau Wang, die ihn süßlich ansang: »Herr Wu Ta, viele Tage hab ich Sie schon eingeladen, zu uns zu kommen; aber es ist schwer, Sie zu treffen! Wenn die kleine wertlose Goldlotos Sie beleidigt hat, müssen Sie immer Geduld haben – ich will ihr sagen, daß sie sich bei Ihnen entschuldigen soll. Heut hab ich das Glück, Sie zu treffen, bitte, kommen Sie mit mir nach Haus.«

Wu Ta: »Heut hab ich mit den Bohnenpuffern viel zu tun, ich kann meine Zeit nicht frei machen; aber nächstens komm ich bestimmt.«

Die Alte: »Nein! Das geht nicht! Goldlotos hat Sie zu Haus immer erwartet, kommen Sie doch endlich, sie aufzuheitern.«

Wu Ta versuchte, sich weiter auszureden, aber die Frau hielt ihn am Ärmel fest: »Wer hat Sie gar so 81 aufgehetzt? Wenn die andern Leute etwas Schlechtes sprechen, dürfen Sie nicht hinhören! Kommen Sie doch, bitte, mit zu uns.«

Wu Ta: »Sie brauchen mich nicht zu belästigen. Ich muß alles selbst besser wissen. Ich habe sehr viel Bohnenpuffer zu verkaufen und kann noch nicht heimkommen.«

Die Alte: »Herr Wu Ta – wenn Sie diesmal nicht kommen, ein andermal kann ich Sie schwer wieder treffen. Sie müssen mitkommen, ich werd Ihnen zu Haus einiges erzählen.«

Er war ein kleiner, aber vom Weintrinken heißblütig gewordener Mann und konnte nicht leiden, daß die alte Hexe so bettelte! »Bitte, lassen Sie mich doch los, ich komme schon mit.«

Die Alte: »Wu Ta, Sie dürfen mir aber nicht wieder fortlaufen, ich kann Ihnen nicht nachrennen.«

»Ach«, ärgerte sich Wu Ta, »das werd ich nicht tun.«

Sie gingen beide in die Lilasteinstraße; als sie vor der Tür ihrer Teestube waren, packte die Alte ihn wieder fest und sprach: »Herr Wu Ta, wollen Sie nicht hineingehen?«

Wu Ta ging stöhnend hinein, setzte sich halb auf einen Stuhl. Wang war sehr klug auf ihre Weise: sie hatte Angst, daß er fortgehen könnte, wenn sie nach oben ging, Goldlotos holen. Sie setzte sich daher neben ihn und rief laut hinauf: »Mein Kind, dein dich herzlich liebender Herr ist hier!«

Goldlotos lag oben im Bett und dachte, bis jetzt ist der kleine Pei noch nicht hier! Als Goldlotos hörte, 82 wie Frau Wang rief: »Der Liebling ist hier!« wähnte sie, es wär ihr Bonze. Sie stand schnell auf, strich mit einer Hand das Haar nach hinten und sprach zu sich: Der kleine kurzlebige Kerl hat mich so lange warten lassen! Er wird von seiner alten Großmama zuerst zwei Ohrschellen bekommen! Sie eilte wie fliegend von oben nach unten, guckte durchs Fenster und sah im Schein der Lampe, daß es nicht Pei war, sondern nur der winzige Wu Ta. Goldlotos drehte sich um, ging nach oben – legte sich wieder ins Bett. Die alte Frau Wang hörte Goldlotos kommen und wieder zurückgehen. Sie rief ihr nach: »Mein Kind, dein Herr erwartet dich hier, warum bist du wieder hinaufgegangen?«

Goldlotos lag faul auf dem Bett, tat, als ob sie sehr müde sei, kreischte: »Ist mein Zimmer sehr weit? Könnt ihr nicht herkommen? Er ist doch nicht blind, warum kommt er nicht? Muß ich ihn vielleicht noch herauftragen? Er soll mich nicht dauernd belästigen.«

Frau Wang: »Das wertlose Weib kommt nicht runter, man kann sich nur ärgern. Aber, Herr Wu Ta – Sie sind alt und weise, sollen sich nicht darum kümmern.«

Sie lachte, packte ihn bei der Hand: »Wu Ta, ich gehe mit Ihnen zusammen hinauf.«

Wu Ta hörte alles und war zu fünf Zehnteln nicht mit Goldlotos zufrieden; weil aber die alte Frau ihn anfaßte, mußte er hinaufgehen. Im Oberstock war vorn ein Balkonzimmer, hinten der Schlafraum. Drei Seiten des schmuckverzierten Betts waren mit Gittern umgeben, von oben hing rotseiden ein Himmel 83 herunter. An der andern Wand stand ein großer Kleiderschrank und ein Waschständer nebst einigen vergoldeten Stühlen; auf dem Tisch eine versilberte Lampe. An der großen Wand hing ein Bild, eine reiche Frau darstellend – von einem beliebten Maler gemalt – auf der andern Seite waren zu sehen berühmte Vorlagen altertümlicher Schreibkunst. Während Wu Ta aufwärts stieg, hielt Frau Wang ihn fest und führte ihn ins Zimmer. Er setzte sich auf einen Stuhl, die Alte ging ans Bett, hob Goldlotos hoch: »Dein Herr ist doch hier! Mein Kind, dein Charakter ist furchtbar schlecht, durch deine Sprache hast du ihn beleidigt, deshalb kommt er nicht mehr; du bist zu Hause sehr traurig und denkst immer an ihn. Jetzt hab ich ihn nach vielen Schwierigkeiten hierher gebracht, und du stehst nicht auf, dich zu entschuldigen! Wie kannst du auf dem Bett liegen bleiben und ein Maul ziehen?«

Goldlotos stieß der Alten Hand zurück, keifte: »Was willst du von mir?! Ich hab ihm nichts getan! Wenn er nicht zu mir nach Haus kommt, wie kann ich zu ihm gehen, mich entschuldigen.«

Wu Ta sagte gar nichts. Die Wang stellte einen Stuhl neben seinen und brachte Goldlotos doch dazu, sich drauf niederzusetzen.

Wang: »Du sollst hier mit deinem Herrn ein wenig sitzen! Selbst wenn du nicht sprechen willst, brauchst du nicht so unhöflich zu sein.«

Goldlotos wollte nicht so nah sitzen, kauerte sich Wu Ta gegenüber nieder. Der ließ seinen Kopf hängen und sprach kein Wort. Die Alte sah, daß Frau 84 Goldlotos den Kopf zur andern Seite drehte, versuchte noch etwas: »Wenn man keinen Wein und kein Essen hat, wie kann man ein Fest bereiten? Ich hab eine Flasche guten Wein hier und kaufe noch einige vornehme Früchte; Herr Wu Ta soll endlich wieder einmal zu Haus etwas essen und trinken. Mein Kind, sei mit Herrn Wu Ta ein wenig nett, du brauchst dich vor mir nicht zu schämen!«

Wu Ta dachte: Die alte Hexe hat mich hierher geholt und bereitet jetzt alles vor, ich warte, bis sie runtergeht, einholen, dann kann auch ich verschwinden! Die Alte aber hatte seine Gedanken erraten – wie sie aus dem Zimmer wich, verriegelte sie hinter sich die Tür. Er stöhnte: Das Aas hat mich durchschaut. Sie ist noch schlauer als ich.

Frau Wang legte Holz und Stroh ans Feuer, ließ Wasser kochen; dann ging sie aus und kaufte ein. Früchte, frische Fische, ein zartes Hühnchen brachte sie nach Haus, bereitete alles zu, wärmte Wein und goß ihn in die Flasche. Sie nahm drei Becher, drei Stäbchen, ging mit allem nach oben. Sie riegelte die Tür auf, stellte die Sachen auf den Tisch. Sie sah, daß Wu Ta seinen Kopf immer noch hängen ließ, Goldlotos auf die andere Seite schaute. Mahnend sagte sie zu ihr: »Hör mal, steh auf und gieß den Wein in die Becher.«

Goldlotos: »Eßt allein, ich hab nicht so viel Geduld!«

Frau Wang: »Mein Kind, du bist von klein auf sehr verwöhnt, aber du darfst doch nicht vor lieber Leute Gesicht so sein!«

Goldlotos: »Wenn ich das nicht anders will, was 85 dann? Ihr könnt ja doch nicht meinen Kopf abschlagen!«

Die Wang lachte: »Ich habe ja wieder allzuviel gesprochen. Aber Herr Wu Ta, Sie sind kein kleinlich denkender Mensch, Sie werden sich doch deswegen nicht mit ihr zanken!«

Zu Goldlotos sagte sie: »Wenn du schon keinen Wein eingießen willst, dreh dich wenigstens um und trink ein wenig.«

Goldlotos drehte ihren Kopf nicht um. Frau Wang bot Wu Ta mehrere Male Wein an, kostete selber einen Becher: »Herr Wu Ta, Sie dürfen es nicht übelnehmen. Die Leute erzählen vieles, ich werd Ihnen später auch einiges sagen. Aber die Leute sind neidisch und sprechen alles Schlechte, sie blasen schlechte Luft. Sie dürfen darauf niemals hören, trinken Sie einige Becher.«

Sie schob den beiden die gefüllten Becher zu – stieß Goldlotos in die Seite: »Sei nicht so kindisch, trink doch ein bißchen Wein.«

Goldlotos: »Warum fängst du immer wieder mit mir an?! Ich bin satt, kann nicht essen, nicht trinken!«

Frau Wang: »Du sollst doch mit deinem Herrn trinken.«

Goldlotos hörte das und dachte: Ich weiß nur Pei – wie kann ich mit diesem Zwerg zusammensitzen! Wenn ich ihn nicht betrunken mache, wird er mich später noch mehr belästigen!

Sie handelte danach: trank einen halben Becher Wein. Die Alte lachte: »Kind, du darfst nicht immer so 86 heftig sein, trink noch einige Becher und schlaf dann. Herr Wu Ta, trinken Sie auch.«

Sie bot ihm immer mehr Wein an, sah aber, daß Goldlotos keinen trank und dies Wu Ta sehr unangenehm war; aber später trank Goldlotos doch noch einen halben Becher. Wang freute sich darüber, ging in die Küche und wärmte mehr Wein. Bei sich dachte sie: Wenn er heut nacht hier bleibt – bis der Bruder kommt, hat er alles vergessen! Soll er nur einmal hier bleiben, dann können wir sehen, was weiter wird.

In der Küche, Wein wärmend, trank Frau Wang drei Becher für sich, fühlte sich danach sehr aufgeheitert. Sie sah, als sie wiederkam, daß Wu Ta immer noch traurig war. Goldlotos spielte mit ihrem Gürtel – lachte Frau Wang laut: »Ihr beiden seid doch nicht aus Holz oder Erde, warum sprecht ihr keinen Ton? Herr Wu Ta, Sie sind doch ein erfahrener Mann, Sie müssen zart sein und etwas Nettes sagen!«

Wu Ta war ratlos, schwieg dumpf und trotzig. Frau Wangs Rede machte seine Schüchternheit, Feigheit, Stummheit und Schwäche nur noch ärger, er wußte nicht mehr, was er beginnen sollte. Goldlotos dachte: Wenn Wu Ta nicht mit mir spricht, wartet er wohl auf mich – daß ich, wie immer, zuerst zu sprechen anfangen soll?! Aber wer hat noch große Lust, mit ihm zu scherzen?! Jetzt werd ich es erst recht nicht tun!

Die alte Wang trank mehr Wein – schon war es zu viel für sie! Deshalb sprach sie vielerlei Dinge über 87 ihre Nachbarn, und eben erzählte sie eine Sache so und gleich darauf wieder anders.

In der Stadt gab es einen kleinen Händler Tang Niu, der war immer auf der Straße, andern Leuten zu dienen. Von Wu Ta und Wu Sung hatte er schon viel Trinkgeld bekommen; wenn er Wu Ta einen kleinen Dienst leistete, bekam er immer etwas Geld und Bohnenpuffer von ihm, und wenn gar Wu Sung ihn benötigte, wäre Tang Niu am liebsten für ihn ins Feuer oder Wasser gegangen: es schmeichelte der Eitelkeit des Jungen, mit dem blutigen Tigertöter zusammen gesehen zu werden.

An diesem Tag hatte Tang Niu beim Spiel sein ganzes Geld verloren, wußte nicht, was er anfangen sollte. Er ging rund ums Amt, Wu Ta zu finden; aber dort sah er ihn nicht. Man fragte ihn: »Tang Niu, warum so eilig? Wen suchen Sie?«

Er: »Ich habe große Not, such einen Geldmann, find ihn aber nicht.«

Alle fragten eifrig: »Wer ist der Geldmann?«

Tang Niu: »Das ist Herr Bohnenpufferverkäufer Wu Ta.«

Man antwortete: »Wir haben ihn eben gesehen, er ging mit der alten Frau Wang hier vorbei.«

Tang Niu schimpfte: »O diese wertlose Goldlotos! Sie hat mit diesem Glatzkopf Pei ein Verhältnis und will nun Wu Ta blenden! Er scheint auch schon was davon gehört zu haben, war schon lange nicht zu Hause. Heute muß die Alte etwas zusammengelogen und Wu Ta mitgeschleppt haben. Ich werde hingehn, 88 vielleicht bekomm ich etwas Geld auf ein paar Becher Wein.«

Er ging geradeswegs in die Lilasteinstraße, sah in der Wohnung Licht – fand die Tür unverschlossen. Er trat ein, hörte oben Frau Wang sprechen und lachen. Er schlich hinauf. Durch den Türspalt sah er: Wu Ta und Goldlotos ließen die Köpfe hängen. Die alte Frau saß in der Mitte, war sehr lustig, schwatzte hemmungslos. Er öffnete die Tür, trat ein, grüßte alle drei, stellte sich bescheiden zur Seite. Wu Ta dachte: Sehr gut, daß er kommt!

Er machte ihm heimlich Zeichen; Tang wußte sofort Bescheid. Zu Wu Ta gewandt, überstürzte er sich: »Ich bin überall gewesen und habe Sie nirgends gefunden, endlich hier, wo Sie in zu großer Ruhe Wein trinken!«

Wu Ta fragte: »Gibt es vielleicht geschäftlich etwas Wichtiges zu besorgen?«

Tang Niu: »Herr Wu Ta! Haben Sie das schon vergessen? Es ist noch dieselbe Sache, die wir heute früh hatten. Der Oberste aller Bohnenpufferverkäufer hat sich sehr geärgert und schon viele Leute ausgeschickt, Sie zu suchen! Ich glaube, Sie sollten sofort gehen, sonst bekommen Sie mit der Zunft noch Unannehmlichkeiten!«

Wu Ta: »Himmel und Erde! Wenn es so wichtig ist, muß ich gleich zur Gilde!«

Er stand auf, wollte fort. Frau Wang hielt ihn fest: »Herr Wu Ta, Sie brauchen mit mir nicht Verstecken zu spielen! Tang Niu, kommen Sie hierher! Sie sind ein schlauer Dieb, möchten mich zum Narren halten! 89 Als ich so jung war und solche Kniffe gebrauchte, waren Sie noch gar nicht geboren! Jetzt ist es zu spät, der Oberste der Bohnenpufferverkäufer ruht schon längst in seinem Palast, trinkt mit seinen Frauen Wein und ist glücklich! Was sind das jetzt noch für Sachen, Sie können das anderen Leuten, aber nicht Ihrer Großmutter erzählen!«

Tang: »Es ist doch wahr, ich lüge nicht!«

Wang: »Sie brauchen Ihre Hundeluft nicht hier zu lassen, meine Augen sind so hell wie die Lampe! Eben hat der Herr Wu Ta mit dem Mund Zeichen gemacht, daß Sie was lügen sollen! Sie bemühen sich nicht, ihn nach Haus zu seiner Frau zu bringen; aber holen möchten Sie ihn!«

Sie stand auf, packte ihn beim Kragen, zerrte ihn aus dem Zimmer. Tang Niu schrie: »Was? Sie wollen mich anfassen?!«

Wang: »Wenn jemand dem andern das Brot fortnimmt, ist es ebenso, wie wenn er ihm Eltern und Kinder mordet. Wenn Sie nochmal was sagen, werd ich Sie Bettler schlagen!«

Während des Zankens waren sie schon bis an die Haustür gekommen. Er rief: »Schlagen Sie doch!«

Die Frau Wang hatte zuviel Wein getrunken und war in Form. Sie schlug mit allen fünf Fingern in sein Gesicht, warf ihn zur Tür hinaus und schloß sie ab. Tang Niu hatte die Prügel, stand vor der Tür und lärmte: »Sie alte Diebin, ich werde mich rächen! Wenn ich nicht wegen des Offiziers Wu Sung ruhig wäre, würd ich gleich Ihre Wohnung zerschlagen oder Feuer anzünden – Sie versoffene Kupplerin! 90 Warten Sie nur, wenn ich Sie nicht zu Ende bringe, soll meine Name nicht Tang Niu sein!«

Während dieser Rede schlug er sich mit der Hand auf die Brust, um seinen Mut zu zeigen, fluchte und ging dann ruhig seines Weges. Die Wang kehrte zu den andern zurück und schnaufte: »Wu Ta, denken Sie nicht an den Bettler! Der hat zuviel getrunken und geht überall hin, über andere Leute schlecht reden.«

Wu Ta war ein unbeholfener Mensch, merkte: Die Wang wußte, daß er fortgehen wollte – und er sah ein, es war jetzt unmöglich, eine Ausrede zu finden. Frau Wang riet Goldlotos: »Mein Kind, trink noch einige Becher Wein mit deinem Herrn! Ihr beide habt euch schon lange nicht gesehn, ich werd alles in die Küche bringen.«

Sie schenkte Wu Ta noch einige Becher ein, packte alles zusammen und verschwand in die Küche.

Wu Ta blieb notgedrungen oben und dachte: »Meine wertlose Frau spielt angeblich mit dem Bonzen Pei Lustspiele, ich glaub es nicht ganz fest und hab es auch nicht mit eigenen Augen gesehen. Jetzt ist die Nacht schon tief, so muß ich hier schlafen, kann sehen, ob die Frau heute nacht für mich noch etwas Liebe übrig hat.«

Frau Wang torkelte noch einmal ins Zimmer, lallend: »Die Nacht ist schon so weit, gehen Sie gleich ins Bett.«

Goldlotos: »Das geht Sie nichts an, gehen Sie ins Bett!« 91

Die Alte watschelte ab, lachte: »Wu Ta, stehen Sie nicht zu früh auf!«

Sie wusch in der Küche alles ab, löschte das Licht und ging schlafen. Wu Ta saß auf dem Sessel, schielte nach Goldlotos und stöhnte. Es war Mitternacht, aber sie entkleidete sich nicht, sondern legte sich angezogen ins Bett. Den Kopf auf dem gestickten Kopfkissen, drehte sie sich zur Wand, tat, als ob sie schliefe. Das schmerzte ihn sehr, es gluckste in ihm: Das schauerliche Weib hat mich gar nicht beachtet, sie schläft allein! Die Alte hat mir heute so viel Wein angeboten, und ich hab arg getrunken, ich kann so nicht mehr sitzen. Ich werd auch schlafen! Er legte seinen Hut auf den Tisch, zog seine Kleider aus, legte alles auf den Kleiderständer. Den Gürtel und die Tasche hängte er ans Bettgitter. Zog die Strümpfe aus und legte sich nieder. Er schlief nicht fest und hörte im Halbschlaf Goldlotos immer höhnisch schnarchen. Darüber ärgerte er sich und konnte nicht ruhig schlafen. Das alte Sprichwort sagt: Wenn man glücklich zusammen – denkt man, die Nacht ist zu kurz; aber vor Langerweile findet der Einsame sie um viele Ewigkeiten zu ewig.

Am Morgen, kaum es dämmerte, stand er auf, wusch sich in kaltem Wasser, kleidete sich an und schimpfte vor sich hin: »Oh! Das schamlose Weib ist sehr unfreundlich!«

Goldlotos schlief nicht fest – hörte, wie er sich ärgerte. Sie drehte sich um: »Schämst du dich nicht?«

Wu Ta ging zur Haustür; als die alte Wang Schritte 92 hörte, rief sie heiser: »Herr Bohnenpufferverkäuf er, legen Sie sich noch ins Bett und warten Sie, bis es hell ist. Sie haben doch keine Eile, warum sind Sie schon so früh aufgestanden?«

Er antwortete nicht, wollte nur die Tür öffnen; die alte Wang schalt: »Wu Ta, wenn Sie schon hinausgehen, lassen Sie wenigstens die Tür nicht offen.«

Wu Ta stolperte mühsam aus der Tür, ärgerte sich, konnte vor Wut kaum atmen. Es war die Zeit des fünften Gongs – in der Ferne hörte er einen Wandermönch den Holzfisch schlagen und alle Welt wecken.

 


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