Albert Ehrenstein
Mörder aus Gerechtigkeit
Albert Ehrenstein

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Die Dattelhändler

Es war in der Mitte des Monats, ein strahlend lichter Tag und sehr heiß. Hauptmann Wu Sung wollte womöglich vor dem Fünfzehnten des nächsten Monats mit dem Schatz in der Osthauptstadt sein. Sie waren erst fünf Tage lang gegen Süden marschiert, stets früh aufgestanden. Wenn es kühl war, gingen sie bis Mittag, und nur wenn es dann zu heiß war, rasteten sie. Einige Tage später waren auf dem Weg weder Häuser noch Menschen mehr zu sehen. Wu Sung wollte von nun an immer in der Frühe rasten und Mittags marschieren. Die elf starken Soldaten hatten ihre schweren Pakete auf der Schulter; so die Sonne allzusehr brannte, konnten sie nicht schnell genug gehen. Wenn sie einen Wald erblickten, wollten sie immer gleich hineinlaufen: rasten! Wu Sung trieb alle zur Eile an; wenn jemand zurückblieb oder 93 eigenmächtig rastete, schimpfte er den Kerl gleich tüchtig aus oder drohte ihm mit der Peitsche. Die beiden feinen Hofoffiziere hatten ihre Pakete auch auf der Schulter und wollten mit dieser unbequemen Last ungern schnell laufen. Sie bekamen nur schwer Atem, aber Wu Sung schnauzte sie grob an:

»Ihr zwei habt keinen Verstand und kein Verständnis für die große Verantwortung! Ihr drängt die Soldaten nicht, schnell zu gehen; im Gegenteil: Ihr selber haltet euch immer im Hintergrund und bleibt gern zurück! Ihr dürft die Sache nicht so leicht nehmen!«

Die zwei Hofoffiziere: »Das ist nicht unsere Schuld, wenn wir langsam laufen, in Wirklichkeit ist das Wetter zu heiß. Wir können nicht schnell gehen. Früher sind wir immer frühmorgens gelaufen, solang es kühl war; jetzt aber machen wir es gerad umgekehrt. Das ist denn doch keine vernünftige Marscheinteilung!«

Wu: »Was ihr gesagt habt, ist genau so, als ob ihr euern Wind abgeblasen hättet. Als wir in der Früh marschierten, war es noch eine sichere Gegend, jetzt aber wird es schon gefährlich, wir müssen den ganzen Tag laufen. Es wäre wahnwitzig, in der Nacht oder morgens zu marschieren!«

Die zwei verstummten, wagten kein Wort, aber sie dachten: »So ein Kerl! Ob es nun dafürsteht oder nicht, er muß gleich fluchen und die armen Leute zusammenschimpfen!«

Wu Sung hielt die Peitsche in der Hand und zwang die Soldaten zu Gewaltmärschen. 94

Die beiden Offiziere saßen am Rastort im Schatten der Weiden und warteten auf den alten Haushofmeister. Als er kam, brummten sie: »Dieser entsetzliche Wu ist nur ein simpler Offizier bei unserm Gouverneur! Aber jetzt bläst er sich gern auf wie ein dummer Frosch!«

Der alte Haushofmeister: »Das schon, der Herr Gouverneur hat uns aber auch gesagt, wir sollen ihm nicht widersprechen, deswegen sag ich keinen Ton. In den letzten Tagen kann auch ich ihn nicht leiden; aber was hilft es, wir müssen ihn ertragen.«

Die zwei: »Der Gouverneur mußte so sprechen; aber was dieser Wu jetzt treibt, geht über allen Verstand hinaus.«

Gegen Nachmittag fanden sie ein Rasthaus und blieben dort. Die Soldaten schwitzten, der Schweiß rann an ihnen runter wie Regen, sie konnten keine Luft bekommen. Alle gingen zum alten Haushofmeister und klagten: »Wir sind leider Soldaten geworden! Und wissen, daß wir auf Befehl hierher geschickt worden sind. So ein heißes Wetter, und dabei haben wir noch so schwer zu tragen! In den letzten Tagen durften wir nicht marschieren, solang es noch kühl war, und wenn etwas passiert, schlägt er uns auf den Kopf. Wir haben unser Fleisch und unsere Knochen von den Eltern, aber nicht dazu – solche Schmerzen erdulden zu müssen!«

Der alte Haushofmeister: »Ach, ihr braucht euch doch darüber nicht zu ärgern! Bald, sowie wir in der Osthauptstadt sind, werdet ihr alle eine besondere Extrabelohnung bekommen.« 95

Die Soldaten: »Ja, wenn alle Leute so zu uns wären wie Sie, Herr Haushofmeister, dann wären wir ganz zufrieden.«

Am nächsten Morgen war es noch nicht hell, da erhoben sich alle und wollten in der Morgenkühle weitermarschieren. Wu Sung sprang auf und schrie: »Wohin geht ihr? Legt euch jetzt noch schlafen, später können wir weiter sehen.«

Alle schrien durcheinander: »Wenn wir nicht jetzt in der Früh aufbrechen – wenn das Wetter nachher wieder so heiß ist, können wir gar nicht laufen und bekommen wieder Schläge.«

Wu fluchte und schrie: »Was wißt ihr Vogelhirne?« Nahm die Peitsche und wollte gleich schlagen. Die armen Soldaten mußten sich ins Bett legen und weiterschlafen. Als die Sonne hervorkam, standen sie auf, kochten und marschierten weiter. Auf dem Weg jagte Wu alle mit Drohungen und Schlägen vorwärts, sie durften auch nicht einen einzigen Augenblick im Kühlen rasten. Alle brummten schwere Beschimpfungen vor sich hin. Auch die beiden Hofoffizierchen sagten vor dem alten Haushofmeister immer Verächtliches über Wu Sung. Der Alte hörte das, sagte aber nichts, nur im Innern haßte auch er ihn.

Sie waren schon vierzehn Tage unterwegs – keiner war mit Sung zufrieden. Waren sie in einer Herberge und sollten morgens aufbrechen – machten sie alles absichtlich langsam. Es war am vierten Tage des sechsten Monats und noch lange nicht Mittag; aber die rote Sonne stand am Himmel und brannte. Keine Wolke war zu sehen. Es war zu warm, die Bergsteige 96 nicht zu erklimmen! Als sie zwanzig Li weit gegangen waren, wollten die Soldaten sich im kühlen Schatten der Weiden erholen – schon kam Wu Sung mit seiner Peitsche: »Auf! Marsch! Schnell! Ich laß euch heut abend eher rasten.«

Alle sahen nach dem Himmel, es gab keine Wolke, die Hitze war unerträglich, aber trotzdem mußten sie auf dem steilen Weg weiterlaufen. Gegen Mittag waren die Steine so heiß, daß die Soldaten sich die Füße verbrannten. Alle murrten: »So heißes Wetter! Wir werden alle sterben.«

Aber Wu Sung kommandierte erbarmungslos: »Laufschritt! Wenn wir über den Berg sind, können wir rasten.«

Endlich kam der Berg. Sie erklommen mühsam die Anhöhe, legten dann ihre Pakete auf die Erde, gingen in den Tannenwald hinein und ließen sich zu Boden fallen.

Wu Sung: »Schrecklich! Furchtbar! Was ist das für ein gefährlicher Platz, und ihr wollt euch gerade hier abkühlen! Kommt, steht schnell auf, wir müssen rasch auf und davon!«

Er nahm die Peitsche und drohte den Soldaten; einer stand auf, der andere legte sich wieder, er konnte nicht alle gleichzeitig zum Aufstehen zwingen. Die beiden Offiziere und der Haushofmeister saßen auch unter den Tannen und konnten keinen Atem bekommen. Als der alte Haushofmeister sah, daß Sung Soldaten schlagen wollte, bat er: »Offizier Sung! Jetzt ist es wirklich zu heiß, man kann nicht weitergehen! Die armen Soldaten können doch nichts dafür!« 97

Sung: »Herr Haushofmeister, Sie wissen es nicht, aber gerade hier ist der Sammelplatz der schlechten Menschen, von hier aus machen sie ihre Raubzüge. Man nennt den Ort ›Gelber Erdberg‹, schon zur Friedenszeit brachen immer wieder aus diesem Wald Räuber hervor! Jetzt sind doch überall Unruhen, wie können wir hier bleiben?!«

Die beiden Offiziere warten kaum, bis Sung ausgeredet hat: »Wir hören von Ihnen immer wieder dieselbe Geschichte! Ihre Absicht ist ja nur, uns zu erschrecken!«

Der alte Haushofmeister bat Sung, ein wenig rasten und sich abkühlen zu dürfen, wenigstens bis die Mittagssonne vorbei sei, dann könnten sie wieder weiterlaufen.

Sung: »Sie haben gar keine Ahnung, wo Sie sind! Wie können wir das tun! Am Fuß des Berges wohnen nur wenig Leute, schon das zeigt, wie gefährlich es hier ist. Wie können Sie gerade hier ruhen wollen?!«

Der alte Haushofmeister: »Ich muß hier ein wenig Atem holen, in der Zeit können Sie die anderen zum Weitergehen antreiben.«

Sung nahm wieder die Peitsche zur Hand und schrie: »Jeder von euch, der nicht weitergeht, kriegt von mir zwanzig Peitschenhiebe!«

Alle schrien vor Angst auf, einer brüllte: »Herr Offizier, wir alle haben Lasten zu tragen, über hundert Pfund drücken unsere Schultern, Sie können sich nicht mit uns vergleichen, der Sie nichts zu tragen haben! Sie behandeln uns nicht wie Menschen! Wenn 98 der Herr Gouverneur Liang hier wäre, ließe er uns auch zu Wort kommen! Sie haben kein Mitleid mit uns, Sie können nur brutal sein!«

Wu Sung blieb unerbittlich: »Du Biest wirst mich noch totärgern! Ich sehe schon ein, daß ich euch alle schlagen muß!«

Wütend schlug er den Sprecher ins Gesicht. Dem alten Haushofmeister wurde das zuviel, er rief Sung zu:

»Halt! Offizier Wu Sung! Hören Sie, was ich Ihnen sage: Früher war ich Haushofmeister beim Reichskanzler, es gab hunderte und tausende Offiziere unter seinem Tor, und alle waren sehr höflich zu mir. Es ist nicht bös gemeint von mir, wenn ich Ihnen sage: Ich weiß, daß Sie ein vorbestrafter Mensch sind und ein gemeiner Soldat waren. Sie lebten in der Stadt Tsching Hê, haben sich dort oft besoffen, einmal in der Trunkenheit mit einem Beamten Streit gehabt und ihm im Zorn einen Stoß gegeben, daß er zusammenbrach. Sie dachten, er sei tot, und haben sich aus Furcht vor der Strafe lange versteckt gehalten. Ein Tiger hatte die Freundlichkeit, Sie durch seinen Tod dem öffentlichen Leben zurückzugeben. Der Gouverneur faßte so große Vorliebe für Sie, daß er Sie unbegreiflicherweise unter die Offiziere einreihte. Aber für mich ist Ihr Posten so gut wie nichts, Sie brauchen sich vor meinen Augen nicht groß zu machen. Doch sollen Sie auch vor mir als dem Haushofmeister des Kanzlers keinen besondern Respekt haben, aber nehmen Sie an, ich wär ein Dorfältester und gäb Ihnen einen guten Rat! Was für 99 ein Mensch sind Sie, daß Sie den Mann, der doch unschuldig ist, schlugen!«

Wu Sung: »Herr Haushofmeister, ich war selber ein einfacher Soldat und bin nie ein Soldatenschinder gewesen. Ich schlage diese armen dummen Leute nur, damit sie nicht von den Räubern erschlagen werden – damit sie in der Hitze marschieren, während die Räuber schlafen! Sie sind in der großen Stadt geboren und am Kanzlerhof aufgewachsen, Sie können beim besten Willen nicht erkennen, wie große Schwierigkeiten man unterwegs mit unvernünftigen und noch dazu ungehorsamen Leuten hat.«

Haushofmeister: »Ich bin überall im Reich umhergekommen, aber ich habe nicht wie Sie den anderen darüber Unendliches erzählt!«

Sung: »Ja damals – das war noch in der Friedenszeit, damals war es nicht so unruhig wie heute.«

Der alte Haushofmeister wurde böse: »Für Ihre Phrasen sollten Sie mit dem Tod bestraft werden. Wie können Sie sagen, daß es jetzt überall unruhig ist?«

Sung wollte schon mit dem Alten weiterzanken, als er zufällig einen Mann erblickte, der hinter einem Baum im Wald stand – der Kopf guckte hervor.

Sung: »Was hab ich eben gesagt? Jetzt kommen schon die Räuber.«

Er warf seine Peitsche fort, packte sein breites Schwert und ging schnell in den Wald hinein, schrie: »Sie sind furchtlos! Am hellichten Tag verstecken Sie sich hier und horchen!«

Tiefer im Wald sah er sieben große Schubkarren in 100 einer Reihe stehen. Sechs Männer lagen nackt auf der Erde und kühlten sich. Ein großer Mann, mit einem breiten Muttermal auf der Stirn, stand Wache, ein langes Schwert in der Hand. Als sie Wu Sung sahen, bekamen sie einen Schreck und sprangen empor.

Wu Sung: »Wer seid ihr?«

Die sieben fragten ihn dasselbe.

Wu Sung: »Seid ihr Räuber?«

Sie antworteten: »Das fragen Sie uns?! Wir sind kleine Händler und haben kein Geld, es Ihnen zu geben!«

Wu Sung war wieder ruhig geworden: »Wenn Sie nicht viel Geld haben, glauben Sie vielleicht, ich habe mehr?!«

Jetzt fragten sie Wu Sung: »Wer aber sind Sie?«

Wu Sung: »Antwortet ihr mir erst! Von wo kommt ihr her?«

Sie sprachen: »Wir sind sieben Händler aus Kiang Tschou und möchten unsere Datteln in der Osthauptstadt verkaufen. Wir hörten oft die Wanderer erzählen, daß auf dem Gelben Berg sehr häufig Kaufleute von schlechten Menschen ausgeraubt werden. Wir dachten: Wir haben keine wertvollen Waren und können also ruhig unsere Straße ziehen. Als wir unsere Wagen diesen Berg emporgeschoben hatten, konnten wir die Hitze nicht mehr ertragen und sitzen deshalb hier nackt im Wald und warten bis zum Abend, daß es etwas kühler wird und wir endlich weitergehen können. Eben hörten wir Leute näher kommen, dachten, es seien schlechte Menschen, 101 und schickten einen von uns an den Saum des Waldes, dort ein bißchen herumzuhorchen.«

Wu Sung: »Ach so, ihr seid also auch nur reisende Kaufleute; vorher hat einer von euch herausgeguckt, und da dacht ich: Vielleicht sind Räuber im Wald – und sah nach, ob die Luft rein ist.«

Die sieben Händler boten ihm Datteln an, er lehnte dankend ab, verließ den Wald. Der alte Haushofmeister saß unter einem Baum und sagte höhnisch zu Wu Sung:

»Wenn es dort im Wald schlechte Menschen gibt, müssen wir laufen!«

Wu Sung: »Ich dacht, es wären Räuber, aber es sind einige Dattelhändler.«

Der alte Haushofmeister drehte sich zu den Soldaten um, zog ein Gesicht: »Eben vorher, als er uns Angst machte, dacht ich, unser Leben sei schon verloren!«

Wu Sung: »Darüber wollen wir nicht sprechen. Hauptsache: alles ist sicher, dann ist es gut für uns. Sie können alle ein bißchen rasten und warten, bis es kühler wird, dann wollen wir weitergehen.«

Alle lachten über diese Bekehrung. Er setzte sich unter einen Tannenbaum, sein breites Schwert neben sich, und atmete auf. Es war kaum eine halbe Stunde nachher, als ein Mann mit zwei Fässern den Berg erstieg und sang:

»O rote Sonne, du unerträglich heiße!
    Sengendes Feuer!
O Wildnis! Reis und Getreide dorren gebückt –
    Dürre haust heuer. 102
Mit Fächern kühlen sich in fauler Ruh des Reiches Prasser –
Des Bauern Herz kocht auf wie wildes Wasser.«

Der Mann kam singend in die Nähe des Waldes, legte sein Faß auf den Boden und ruhte aus. Aber ein paar Soldaten störten ihn sofort:

»Was haben Sie in Ihrem Faß?«

Der Mann: »Weißwein!«

Die Soldaten: »Wohin wollen Sie den bringen?«

Der Mann: »Ich verkauf ihn im nächsten Dorf.«

Da fragten sie: »Was kostet ein Faß?«

Der Weinhändler: »Fünf Schnüre voll Münzen.«

Sie sagten sich: Uns ist sehr heiß, wir sind durstig, warum kaufen wir nicht, vielleicht kann uns das ein wenig helfen. Als sie unter sich das Geld für den Wein sammelten, sah Wu Sung das und schrie: »Was treibt ihr schon wieder?«

Alle: »Wir möchten ein wenig Wein kaufen.«

Wu Sung packte Schwert und Peitsche, fuchtelte damit herum: »Ihr beachtet meine Befehle nicht und möchtet unvorsichtig euch allerhand zum Essen und Trinken kaufen, ihr seid wirklich wahnsinnig!«

Die Soldaten: »Das ist doch keine gefährliche Sache. Warum kommen Sie schon wieder daher, uns rüffeln. Wir sammeln unser Geld, um Wein zu kaufen, das geht Sie doch nichts an! Weshalb wollen Sie uns schlagen?!«

Wu Sung: »Ihr Dorfochsen versteht nichts. Was kann man nicht alles unterwegs erleben! Es gibt viele 103 Helden, die nur durch Schlafmittel Geld und Leben verloren haben!«

Der einäugige Weinhändler schielte Wu Sung wie einen Tollen an und meinte kühl: »Der Herr hat kein bißchen Verstand! Wenn ich das früher gewußt hätte! Nein, ich verkaufe nicht! Dann brauchen Sie nicht so schwachsinniges Zeug von sich zu geben!«

Als sie alle so miteinander stritten, kamen aus dem Wald die Dattelhändler hervor, jeder ein Schwert in der Hand, und fragten:

»Was zankt ihr euch hier herum?«

Der Weinhändler: »Ich trage meinen Wein hier vorbei, um ihn im nächsten Dorf zu verkaufen. Das Wetter ist so heiß, und ich wollte hier ein wenig rasten. Die elf da wollten Wein, ich hatte aber noch nichts verkauft, da kommt der Herr daher und sagt, in meinem Wein sei vielleicht ein Schlafmittel. Was sagen Sie dazu, ist das nicht zu albern?!«

Die sieben Dattelhändler: »Darum der Lärm? Wir dachten schon, hier wären Räuber. Desto besser! Was der gesagt hat, macht nichts, wir möchten auch ein wenig Wein trinken. Wenn diese Leute ihn für Gift halten, verkaufen Sie uns ein Faß.«

Der Weinhändler sehr erbost: »Ich verkaufe nicht! Ich verkaufe nicht!«

Die sieben: »Sie haben aber gar kein bißchen Vernunft! Wir haben doch nichts gesagt! Wenn Sie den Wein weiter ins Dorf zum Verkauf tragen, bekommen Sie doch auch nur denselben Preis, Sie verlieren also nichts dabei, wenn Sie uns etwas verkaufen. Es gibt so viel gute Menschen, die Suppe oder Wein 104 müden Wanderern schenken, warum verkaufen Sie uns nicht wenigstens Ihren Wein?«

Der Weinhändler: »Gut, ich verkauf euch ein Faß. Ich ärgere mich nur über den Verleumder. Aber ich habe keinen Weinschöpfer bei mir.«

Ein Dattelhändler: »Sie sind zu kleinlich. Was auch immer der Mann gesagt haben mag, das ist Wind. Übrigens haben wir Weinschöpfer hier!«

Zwei Dattelhändler gingen an ihre Wagen heran und holten ihre Weinschöpfer, ein dritter brachte eine Menge Datteln mit. Die sieben standen neben dem Faß, öffneten den Deckel, und einer nach dem andern trank Wein und aß Datteln dazu. Nicht lange, da hatten sie das ganze Faß Wein ausgetrunken. Sie dankten dem Weinhändler:

»Mhm! Guter Wein, aber wir haben ganz vergessen, Sie zu fragen, was der Wein kosten soll?«

Der Weinhändler: »Eben hab ich den andern gesagt: Fünf Schnüre Münzen ein Faß und zwei Fässer zehn Schnüre.«

Die sieben Dattelhändler: »Einverstanden! Wir geben Ihnen fünf für ein Faß, aber Sie müssen uns noch einen Weinschöpfer voll Wein geben.«

Weinhändler: »Nein! Das gibt es nicht, der Preis ist fest!«

Ein Dattelhändler gab ihm das Geld, ein anderer machte währenddessen einfach das zweite Faß auf und wollte einen Schöpfer voll trinken. Der Weinverkäufer ließ ihn nicht, der Dattelhändler nahm aber den Schöpfer, halbvoll mit Wein, und lief damit in den Wald. Der Weinhändler lief ihm nach – 105 zur selben Zeit kam ein anderer Dattelmann aus dem Wald heraus und hielt auch einen Weinschöpfer in der Hand. Er benützte die Gelegenheit, daß der Weinhändler nicht da war und nahm noch einen Schöpflöffel voll; aber er war nicht schnell genug, der Weinträger kam zurück, riß ihm den Schöpfer aus der Hand und tat den Wein in das Faß zurück. Er legte den Deckel wieder auf, warf den Weinschöpfer fort und schimpfte:

»Ihr Dattelverkäufer seid alle keine guten Menschen! Nach dem Zahlen möchtet ihr noch mehr haben.«

Die Soldaten sahen, daß die Leute alle tranken, das Wasser lief ihnen im Mund zusammen, sie bekamen große Lust, mitzutun. Einige gingen also zum alten Haushofmeister hin und baten:

»Sehr geehrter Herr, bitte, sprechen Sie für uns! Diese Dattelverkäufer haben auch ein Faß gekauft und getrunken, wir möchten auch eins kriegen, wir haben großen Durst und bekommen vor Brand schon Halsschmerzen. Es ist so heiß; wir können ja nichts dafür, daß es in der Nähe nirgends Wasser gibt.«

Der alte Haushofmeister wollte auch gern ein wenig Wein trinken, ging zu Wu Sung:

»Die andern Leute haben schon ein Faß getrunken, lassen Sie unsere Leute auch ein Fäßchen kaufen. Hier auf dem Berg kann man ja nirgends Wasser bekommen für den Durst.«

Wu Sung dachte: Na ja, ich sah von weitem, die haben alle den Wein ausgetrunken, und außerdem kam noch ein Mann und hat auch vom andern Faß etwas getrunken. Ich glaube, der Wein wird schon 106 gut sein. Ich habe die Leute den halben Tag geärgert – dafür werd ich sie jetzt etwas kaufen lassen. Er entschied:

»Ja, Sie sagen so einfach: Lassen Sie die Leute etwas trinken! Bloß – sofort nach dem Trinken müssen wir marschieren!«

Alle freuten sich, nahmen das gesammelte Geld und wollten den Wein kaufen. Der Weinhändler aber: »Nein, ich verkauf allen Menschen, aber euch nicht! Es gibt Schlafmittel in meinem Wein!«

Alle Soldaten lachten und bettelten: »Ach, Bruder, warum quälen Sie uns so?!«

»Nein!« sagte der Weinverkäufer, »ich verkaufe nicht! Sie brauchen sich weiter keine Mühe zu geben! Ich bin ein Giftmischer!«

Da kam ein Dattelverkäufer und redete ihm zu: »Sie sind auch so ein verbohrter Mensch; der Mann hat doch unrecht gehabt, Sie sollen das nicht so ernst nehmen. Schließlich können doch die armen Packträger nichts dafür. Verkaufen Sie doch denen auch!«

Der Weinhändler: »Es ist eine Lüge, was der gesagt hat. Warum soll ich mich beschimpfen und alle Leute an meiner guten Ware zweifeln lassen?«

Ging ein zweiter Dattelhändler ans Faß, schob einfach den Weinhändler beiseite, hob den Deckel hoch und ließ alle Durstigen trinken. Die Soldaten hatten aber keinen Weinschöpfer und mußten sich von den Dattelhändlern einen ausborgen. Die Dattelhändler: »Wir können euch auch einige Datteln geben, könnt sie dazuessen.«

Die Soldaten dankten ihnen; die Dattelhändler: »Wir 107 sind alle arme Vorbeigänger, wir brauchen über solche Kleinigkeiten nicht zu reden.«

Sie nahmen zwei Weinschöpfer und gaben einen gefüllt Wu Sung und einen dem Haushofmeister. Der alte Haushofmeister trank ihn auf einen Zug aus. Die zwei Hofoffiziere tranken auch jeder einen Schöpflöffel voll, und die Soldaten leerten das Faß. Als Wu Sung sah, daß nichts passierte, bekam er auch Lust, zu trinken; er wollte nicht recht, aber der Durst plagte ihn, so trank er einen halben Schöpflöffel und aß auch einige Datteln. Dann sagte der biedere Weinhändler den Soldaten: »Aus diesem Faß hat einer von den Händlern getrunken, es war also nicht ganz voll, dafür zahlt ihr etwas weniger.«

Sie zahlten, er nahm das Geld, schulterte die leeren Fässer und ging singend weiter. Bald nachher umringten die sieben Dattelhändler einen Baum, gingen in feierlicher Prozession um ihn herum, zeigten mit den Fingern auf die fünfzehn Leute und sangen:

»Fallet um! Fallet um! Fallet um! Um! Um!«

Sofort fielen alle hin. Die Füße waren ihnen leicht und der Kopf so schwer. Sie guckten einander an, fühlten sich so weich und konnten sich nicht rühren. Die sieben Dattelhändler zogen ihre Wagen hervor, warfen die wertlosen Datteln auf die Erde, packten den Schatz ein und zogen den Gelben Erdberg singend hinab.

Wu Sung sah alles, konnte jedoch keine Bewegung machen, ebenso die fünfzehn Leute; sie sahen, wie das Geburtstagsgeschenk geraubt wurde, vermochten aber betäubt nichts dagegen zu tun. 108

Was denken die geehrten Leser? Wer waren die Dattelhändler? Es waren die Räuber! Alle werden staunen und fragen: Wie kommt das Schlafmittel in den guten Wein?!

Es waren zwei giftfreie Fässer, als der Weinhändler singend den Berg erstieg. Die sieben Kerle hatten erst ein Faß ausgetrunken, dann kam einer von ihnen, warf den Deckel des zweiten Fasses weg und nahm für sich noch Wein mit dem Schöpfer heraus. Er wollte damit zeigen, daß auch dieser Wein gut sei, niemand etwas zu befürchten hätte. Als der Weinhändler ihm nachlief, kam ein zweiter Dattelhändler von der anderen Seite daher mit einem Weinschöpfer voll von einem guten Schlafmittel, tat, als wenn er Wein nehmen wollte; aber in Wirklichkeit hatte er das Schlafmittel ins Faß getan und alles verrührt. Der Weinhändler eilt herbei, nimmt ihm den Schöpflöffel fort und gießt den Wein daraus wieder ins Faß. Der ganze Wein im zweiten Faß war nun schon in der zweckmäßigsten Verfassung. Zweck, Sinn des von Wein- und Dattelhändlern aufgeführten Spiels: Die Schätze ohne Blutvergießen zu rauben!

Wu Sung hatte nicht so viel getrunken wie die andern – ein paar Stunden später war er wieder wach und vermochte aufzustehen. Die vierzehn lagen noch betäubt da, der Speichel lief ihnen zum Mund heraus, sie konnten noch keine Bewegung machen. Wu Sung dachte: »Wenn ich das Geburtstagsgeschenk nicht zurückbringe, darf ich gar nicht mehr zurück zum Gouverneur Liang. Den Brief brauch ich dann auch nicht mehr.« 109

Er zerriß ihn gleich, stöhnte: »Jetzt hab ich ein Heim, aber ich kann nicht mehr zurück. Es gibt ein so großes Reich, China ist so groß – wo soll ich bleiben?! Am besten, ich spring hier hinab; das einzige, was ich im Leben noch finden kann, ist der Tod!«

Er zog seinen Mantel aus, wollte in die letzte Tiefe springen, seufzte:

»Das ist der Gelbe Erdberg! Ach, meine Eltern haben mich in die Welt gesetzt mit einem so großen Körper und so vielen Talenten. Früh hab ich mit achtzehnerlei Waffen fechten gelernt, wer hätte geahnt, daß es zu solchem Ende kommen würde? Aber – wenn ich heut einen Platz unter den Toten bekomme, durch Selbstmord sterbe wie mein armer Vater, wäre das um nichts besser, als wenn ich mich später verhaften lasse. Sterben kann ich auch später.«

Er drehte sich um und sah die vierzehn Leute immer noch auf der Erde liegen. Ihre Augen waren weit geöffnet, sie konnten sich noch immer nicht bewegen. Er zeigte mit einem Finger auf sie und verfluchte sie: »Das ist so gekommen, weil ihr alle nicht auf mich gehört habt! Dies ist nun das Ende. Nur mich habt ihr umgebracht!«

Er nahm sein breites Schwert zur Hand, hängte seinen Dolch an die Seite, schaute sich lang überall um, aber nirgends war etwas von Dattelhändlern zu sehen. Er lief den Berg hinab und tröstete sich: »Ich habe noch etwas Gutes zu tun in der Welt, ich muß eilen, in Yang Gu heimlich vor den vierzehn Kerlen ankommen und meinen Bruder Wu Ta warnen, ihm 110 zur Flucht helfen, damit nicht der unschuldige Wu Ta für mich bestraft wird.«

Die vierzehn Leute erwachten gegen Mitternacht, standen auf, guckten einander an, wußten nicht, was sie tun sollten. Der alte Haushofmeister sagte weise: »Ihr alle hörtet nicht, was der Offizier Wu Sung zur Warnung sagte; jetzt ist es zu spät, auch ich muß darunter leiden.«

Alle plapperten durcheinander: »Geschehen ist geschehen – Reue hilft nicht – wir müssen zusehen, was weiter wird.«

Der Alte fragte sie nach ihrer Meinung: »Ja«, krächzten sie, »das alles ist unsere Schuld, aber ein altes Sprichwort meint: ›Wenn das Feuer den Körper verbrennt, muß man es löschen, wenn Biene und Hummel in den Mantel dringen, muß man ihn ausziehn.‹ Wenn Offizier Wu Sung hier wäre, hätten wir nichts zu sagen. Jetzt ist er allein fortgegangen, wir wissen nicht, wohin! Nun müssen wir zum Gouverneur Liang zurück – warum schieben wir nicht alle Schuld auf ihn? Wir sagen so: Unterwegs beschimpfte und schlug er alle. Er hat uns so in Furcht versetzt, daß wir eigenmächtig auch nicht einen Finger zu rühren wagten. Vorher hat er mit den Räubern einen sauberen Plan verabredet, hat uns alle betäubenden Wein trinken, unsere Hände und Füße fesseln lassen und den großen Schatz gestohlen!«

Der alte Haushofmeister: »Einverstanden. Morgen früh gehen wir hier zum Amt und erstatten Anzeige. Die beiden Hofoffiziere müssen hier bei der Behörde bleiben und geduldigst warten, bis sie die Räuber, 111 diese verfluchten Dattelhändler, fangen können. Wir andern alle marschieren Tag und Nacht durch und erstatten schnell unserem Gouverneur Liang Bericht. Es muß ein Steckbrief in alle Städte geschickt werden, wir lassen die Sache auch den Kanzler wissen. Das Amt hier muß verantwortlich gemacht werden, muß Wu Sung und dies Räubergesindel verhaften!«

Am nächsten Morgen gingen alle zum Mandarin des Bezirks, meldeten den Raub – die Soldaten erhoben Klage gegen den Räuber Wu Sung.

 


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