Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Capitel.
Lagrimas!

Miß Lydia Burke war äußerlich durchaus kein abschreckendes Exemplar der »Frau der Zukunft«. Sie hatte einen erträglich weißen Teint, ziemlich hübsches, blondes Haar, Zähne, die beinahe zu weiß und regelmäßig waren, und ein Paar lebhafte, kleine, graue Augen. Ihr Gang war energisch, ihre Figur elastisch wie eine Uhrfeder, obgleich sie augenscheinlich das Alter von vierzig Jahren bereits überschritten hatte. Welche Eigenschaften dieser klar und energisch blickenden Dame mochten wohl Belinda's Haß und Mißfallen erregt haben? Was hatte den unausrottbaren Samen der Zwietracht zwischen ihnen ausgestreut?

Hauptsächlich beruhte die üble Gestaltung dieses Verhältnisses wohl auf dem unveränderlichen Princip, daß Wahrheit und Lüge sich ebenso wenig auf die Dauer miteinander verbinden können, als Oel und Wasser. Keinem übermäßig gewissenhaften Stamme entsprossen, in keiner übermäßig scrupulösen Schule erzogen, war dennoch eine Tugend in Belinda festgewurzelt – die Tugend der absoluten Wahrhaftigkeit. Es giebt fein organisirte Naturen, die instinctmäßig fühlen, wenn gewisse Blumen oder Thiere in der Nähe sind. Belinda war in ähnlicher Weise begabt – instinctiv durchschaute sie jede Art von falschem Schein. Und die arme Miß Burke, obgleich sie ohne Unterlaß vom Ernst des Lebens, von Frauen-Arbeit und der Mission des weiblichen Geschlechtes sprach und predigte, war durch und durch unecht – unecht bis in die Fingerspitzen! Als Charakterstudie war Miß Burke für den Menschenkenner durchaus nicht uninteressant, für eine Seele, so aufrichtig und ohne Falsch wie die Belinda's konnte es keine abstoßendere Natur geben als diese.

Vor zehn bis fünfzehn Jahren, so berichtete die Tradition der Reisenden im Morgenlande, machte Miß Lydia Burke die Hotels in Egypten und Palästina unsicher. Sie war damals ziemlich hübsch, hübsch und ohne Schutz, aber dennoch nicht mehr jung genug, um das Mißfallen und den Argwohn der Frauen zu erregen, welche unter den Fittigen eines legitimen Gemahls oder Bruders reisten. Die Geschichten, die man sich von ihr erzählte, waren vielleicht nicht begründet, Thatsache aber war, daß sie Geld von jedem Menschen borgte, der sich dazu bereit finden ließ. Hinzusetzen müssen wir indessen, daß Miß Lydia Burke damals mit dem Plane umging, Schulen für verwahrloste Judenkinder in der Levante zu gründen, und wer konnte behaupten, daß die geborgten Summen nicht für jene Schulen verwendet wurden?

Späterhin besuchte Miß Burke die Alpen. Sie war noch immer ohne Schutz, litt noch immer an Geldmangel, war eine unermüdliche Bergsteigerin, trug Bloomercostüm, wurde von den Damen mehr gemieden als früher – ihre Schönheit war leider sehr im Abnehmen begriffen! – und war namentlich der Schrecken aller Männergesellschaften, an die sie sich unter allerlei Vorwänden anschloß und mit der grausamen Hartnäckigkeit eines Blutigels anklammerte. Nach dieser Periode schrieb Miß Burke ein Buch, betitelt: »Meine Erfahrungen,« und tauchte damit – noch ein wenig verblühter, in finanzieller Beziehung noch beschränkter – in London auf.

Dieses Buch, ein Gemengsel zweifelhafter orientalischer Erzählungen und noch zweifelhafterer hochkirchlicher Frömmigkeit, war einfach unter aller Kritik, wurde aber durch eine jener äußerlichen Zufälligkeiten, die oft über das Schicksal der Bücher bestimmen, wie über das der Menschen, viel gekauft. Dieser Erfolg feuerte Miß Burke an, sofort einen dreibändigen Roman zu fabriciren, welcher mit denselben Gewürzen gewürzt war, in welchem aber die Frömmigkeit fehlte, und der sich nicht verkaufte.

Seit dieser Zeit warf sich Miß Burke auf die ernste Seite des Lebens. Sie kürzte ihre Kleider, trug Jaquets, die wie Männerröcke aussahen, erreichte endlich die Rednerbühne, hielt einen oder zwei Vorträge über das Stimmrecht der Frauen und begann in der gewöhnlichen Unterhaltung »von dem Weibe als solches« zu sprechen. Eben bei diesem melancholischen Wendepunkte auf dem abwärts führenden Wege angekommen, lieferte die Annonce in der »Times« Belinda O'Shea in ihre Hände.

Da sie sich durch einen großen Theil der Mitglieder ihrer starkgeistigen Schwesterschaft in London verleugnet und zurückgestoßen sah – Neubekehrte, wenn sie kein Geld haben, werden bei mehr als einer Secte von älteren Mitgliedern gern über die Achsel angesehen, – so hatte die arme Miß Burke zu überlegen, auf welche Weise der Ernst des Lebens sich verwerthen lassen könne, und in einem glücklichen Momente der Inspiration verfaßte sie die Anzeige, welche über Belinda's Schicksal entschied. Und dann begann das Abenteurerleben auf dem Continente noch einmal – nur diesmal mit einer Veränderung.

Alle Engländer, mögen sie sonst in ihren Ansichten und in ihrer geistigen Richtung noch so verschieden sein, hängen und drängen sich ohne Ausnahme an Alles, was in irgend welchem Zusammenhange mit der vornehmen Welt steht. Miß Burke versprach sich deshalb viel von der Enkelin des Earl of Liskeard, obgleich ihr das Kind und seine Gesellschaft vom ersten Moment, da Belinda's Augen ihre hohle Seele durchschauten, unangenehm waren.

» The Honourable Der Titel »Honourable,« ehrenwerth, kommt nur den jüngeren Söhnen, sowie den Töchtern der Earls und Barone zu. Miss Belinda O'Shea and Miss Burke.« So pflegte sie in der ersten Zeit ihrer Streifzüge in die Fremdenbücher der Hotels zu schreiben und in die Listen der englischen Kirchen auf dem Continent eintragen zu lassen, trotz aller Protestationen, welche Belinda gegen diese Täuschung erhob. Reisten sie in einem Coupé mit andern Engländern, saßen sie einem Engländer am Frühstücks- oder Mittagstische gegenüber, so gelang es Miß Burke immer, ihre Landsleute von der Geburt und vornehmen Verwandtschaft ihrer kleinen Begleiterin zu unterrichten, und fast ausnahmslos erreichte sie den gewünschten Zweck. Belinda erinnerte sich noch voll Bitterkeit und Empörung an Diners, Spazierfahrten und Theaterbillets, die ihnen damals von solchen Table-d'hôte-Bekanntschaften geboten wurden und für welche, wie sie jetzt wußte, ihr Name und ihre Gesellschaft der Preis gewesen. Es giebt ja ebenso gut Menschen in der Welt, die für die Ehre bezahlen, der Enkelin des Earl of Liskeard die Hand zu schütteln, wie Andere für das Vergnügen, General Tom Thumb Die war der Künstlername von Charles Sherwood Stratton (1838-83), einem kleinwüchsigen US-amerikanischen Zirkuskünstler und Schauspieler. – Anm.d.Hrsg. oder die zweiköpfige Nachtigall zu sehen.

Mit der Zeit empörte sich Belinda, wie kaum erwähnt zu werden braucht, gegen dies Verfahren wie gegen manches Andere.

»Ich habe kein Recht an den Titel und ich will nicht, daß Sie mir ihn beilegen,« sagte sie. »Der Earl, mein Großvater, hat mich nie gesehen, wünscht mich auch nicht zu sehen und erkennt meine Existenz nicht an. Wenn Sie seinen Namen noch einmal vor diesen Handlungsreisenden nennen, so werde ich ihnen die ganze Wahrheit erzählen.«

Und Miß Burke kannte die trotzige, furchtlose Natur ihrer Pflegebefohlenen zu gut, um den Versuch noch einmal zu wagen.

Zu einem offenen und endgiltigen Bruche kam es zwischen den Beiden niemals. Belinda's Geld stand zwischen Miß Burke und dem Mangel, Miß Burke stand zwischen Belinda und ihrer Stiefmutter. Sie haßten einander, hatten einander aber nöthig und blieben zusammen. Führt nicht in der tollen Comödie der Irrungen, welche wir »die Gesellschaft« nennen, ein großer Theil der Menschen fortwährend dasselbe Duett auf? Leben nicht die meisten in solcher unpassenden, gezwungenen Zusammengehörigkeit?

»Die arme kleine Belinda ist so ganz oberflächlich, so ganz und gar unfähig zu ernstlicher Beschäftigung,« sagte Miß Burke, wenn sie einer Beschönigung bedurfte. »Aber ihre Gesundheit ist so zart – Vater und Mutter sind früh gestorben – und damit muß ich denn mein Gewissen über das müßige Leben im Freien, das sie führt, zu beruhigen suchen.«

»Miß Burke ist die durchtriebenste Lügnerin und Heuchlerin, die es auf Erden giebt,« pflegte Belinda gelegentlich ihren Freunden unter den Straßenjungen zu erzählen. »Ich habe einmal im Theater ›Tartuffe‹ gesehen, aber der ist gar nichts im Vergleich zu ihr. Und wozu lügt und heuchelt sie? Wenn ich das wüßte, würde ich sie vielleicht weniger verachten. Ich glaube, dies Geschöpf lügt nur, um zu lügen – sie träumt sogar Lügen.«

So hatten sich im Laufe der Zeit die Verhältnisse herausgebildet, die wir kennen. Miß Burke trug Material für ihr Buch: »Das Weib der Zukunft,« zusammen, während Belinda wild und vernachlässigt in den Straßen von St. Jean de Luz herumstrolchte und nahe dabei war, auf Wege zu gerathen, auf denen das, was gut und unschuldig an ihr war, ernstlich in Gefahr kam. Die Praxis war hier, wie so oft im Leben, im Widerspruch mit dem Ideale.

Nichts konnte freundlicher verlaufen, als das Zusammentreffen zwischen Belinda's Stiefmutter und Miß Burke. Letztere war wörtlich dem Vertrage nachgekommen, welchen Beide in London abgeschlossen – sie hatte das Kind in den letzten drei Jahren von Rose ferngehalten. Ebenso gewissenhaft hatte Rose die Bedingungen erfüllt. Jede Vierteljahrszahlung »für mütterliche Ueberwachung und höhere geistige Förderung« war pünktlich im Voraus und ohne lästige Fragen bezahlt worden.

Das Gespräch begann mit Gemeinplätzen, Rose fand die liebe Belinda sehr groß geworden, aber ein wenig von der Sonne verbrannt. Miß Burke hoffte, daß Mrs. O'Shea sich von den Anstrengungen der Reise erholt hatte? Eine wirklich anstrengende Tour von London nach St. Jean de Luz!

»Ja, in der That, besonders wenn man allein mit einem Kammermädchen reist!« rief Rose in dem tugendhaften Bewußtsein, daß sie mit Roger Tempel nur in Paris, in Bordeaux und einigen andern Orten zusammen getroffen. »Man fühlt sich so furchtbar hilflos, ohne den Schutz eines Mannes.«

»Ich meinestheils kann keinen Nutzen irgend welcher Art darin erblicken;« entgegnete Miß Burke. »Reisen Sie allein, so haben Sie sich um Nichts zu kümmern, als um Ihr Gepäck, haben Sie dagegen einen Mann bei sich« – hier warf sie einen geringschätzigen Blick nach der Richtung, wo sich Roger befand – »so müssen Sie Ihre Sachen und ihn dazu im Auge behalten.«

»Was meine Sachen betrifft,« bemerkte hier Belinda in ihrem spöttischen Tone, »so würden mir diese in ihrem gegenwärtigen Zustande, weder mit noch ohne einen Mann, viel zu schaffen machen. Denken Sie sich, Miß Burke, die Wäscherin sagt, von meinen Sachen wäre rein gar nichts übrig geblieben, was sie mir wiederbringen könnte. Ich glaube fast, die Vögel haben die letzten Lümpchen fortgetragen, um sich Nester davon zu bauen.«

Sie saß bei dieser Eröffnung in ihrer Lieblingsstellung auf der Ecke des Tisches und sah sich lustig im Kreise der Anwesenden um.

Ein kalter Glanz trat in Miß Burke's Augen.

»Sie sind nachgerade in einem Alter, Miß O'Shea, um sich ein wenig an Ordnung zu gewöhnen;« entgegnete sie. »Ohne Ordnung läßt sich nicht das Geringste erreichen. Als ich siebenzehn Jahre alt war, kannte ich kein größeres Vergnügen, als meine Garderobe gut im Stande zu halten.«

»Aber ich besitze keine Garderobe, die ich im Stande halten könnte, Miß Burke! Garderobe! Dies ist mein einziges Kleid, und was meine Strümpfe betrifft – –«

»Belinda, meine liebe Belinda, Du vergißt! – ein anderes Mal –« unterbrach sie Rose erröthend. »Wie hast Du den Morgen zugebracht, Liebe? Und gestern Abend? hat Dich Mr. Jones glücklich heimgeleitet? Er schrieb mir diesen Morgen ein Billet, worin er mir mittheilte, daß er in die Berge ginge und daß ich von Dir das Nähere hören würde. Nun, sage mir, was hat das Alles zu bedeuten?«

Dabei hüpfte sie wie ein Lämmchen zu ihrer Stieftochter, schlang ihren Arm um die Taille Belinda's, welche die Liebkosung sehr steif aufnahm und begann, ihr, nach Schulmädchen-Art, in's Ohr zu flüstern und zu plauschen. Miß Burke und Roger sahen sich auf ihre gegenseitige Unterhaltung angewiesen.

»Ein sehr interessantes Land, Sir,« bemerkte die Dame mit einem scheelen Blick auf Roger Tempels hübsches Gesicht – sie die vor fünfzehn Jahren keinen Mann ohne ein hingebendes Lächeln hatte ansehen können. »Interessant, meine ich für diejenigen, welche gewisse Zwecke im Auge haben.«

»Ja, man sagt mir, daß hier im Winter sehr viele Schnepfen geschossen werden;« entgegnete Roger, welcher Miß Burke's Ausdrucksweise nicht verstand.

»Ich spreche von den Bewohnern, die, obgleich jetzt in Aberglauben versunken, dennoch die Ueberbleibsel eines edeln Volkes sind. Es ist Ihnen vielleicht nicht bekannt, daß die Basken fünf verschiedene Völker überlebt haben. Die Carthager, die Celten, die Romanen, die Gothen und die Saracenen.«

»Murray's Handbuch,« sagte Belinda bei Seite. »Einleitende Bemerkungen über die Pyrenäen, Seite zweihundert neun und vierzig.«

Roger strich seinen Schnurrbart und bemühte sich, sehr erbaut auszusehen.

»Das Baskenvolk muß demnach sehr alt sein;« begann er, um doch etwas zu sagen.

»Das Werk, an dem ich jetzt arbeite und welches allerdings jeden Augenblick meiner Zeit in Anspruch nimmt, giebt dafür die Beweise. Sie haben vielleicht von Miß O'Shea gehört, daß ich soeben dabei bin, ein Buch zu schreiben? Nein? Nun das ließ sich erwarten. Miß O'Shea's Interessen liegen nicht in der Richtung der meinigen. Ich schreibe ein Buch unter dem Titel: ›Das Weib der Zukunft._ Ich bin eine Arbeiterin – eine sehr bescheidene Arbeiterin freilich – an dem größten reformatorischen Werke unserer Zeit, an dem Werke, die Frau wieder auf den Platz zu stellen, von welchem die blinden Vorurtheile des Jahrhunderts sie verdrängt haben.«

»Ah, so!« entgegnete Roger in nicht gerade enthusiastischem Tone, während er auf Belinda's ungestopfte Strümpfe blickte. »Ich meinestheils kann die Nothwendigkeit einer Reform nicht einsehen,« fügte er dann galant hinzu. »Es scheint mir, als wären die Frauen, wie sie jetzt sind, ganz außerordentlich reizend.«

»Gerade so denken die Türken, die entarteten Asiaten, über ihre Sclavinnen!« rief Miß Burke. »Aber das Zeitalter so wohlfeilen Ritterthums ist vorüber. Können Sie, ein Engländer, heute noch den Satz aufstellen, daß die Eigenschaft, reizend zu sein, als Motiv für die Existenz eines Wesens mit unsterblicher Seele hinreicht?«

»Mir scheint, daß hübsche Frauen nach keinem weitern Motiv für ihre Existenz zu fragen haben,« entgegnete Roger, welcher in der Stille die Entfernung zwischen seiner Gegnerin und der Thür mit den Augen maß. »Aber um Ihnen mit Gründen entgegenzutreten, kann Niemand ungeschickter sein, als ich.«

»O, so leichten Kaufes entkommen Sie mir nicht. Aus Ihren frivolen Ansichten und Urtheilen über die Frauen geht ganz zweifellos hervor, daß Sie ein Anhänger der cynischen Schule sind. Können Sie bestreiten, Sir – ich frage Sie mit dem ganzen Ernste, welcher der Sache gebührt – können Sie bestreiten, daß Sie die Frauen als Puppen betrachten?«

So zum Eid getrieben sah Roger Tempel Miß Burke auf ihre persönliche Anziehungskraft genauer an, als vorher: ihr schmales, kaltes Gesicht, ihre glitzernden Augen, ihre Uhrfedergestalt – und er sagte sich, daß er sie niemals, selbst nicht in den wildesten Momenten, in dem strafwürdigen Lichte betrachten würde, das sie voraussetzte. Mit vollkommen reinem Gewissen entgegnete er deshalb:

»Ich bestreite es.«

»Nun dann – wollen Sie mir dann sagen, als was Sie uns betrachten?« fuhr Miß Burke unbarmherzig fort.

Roger maß noch einmal die Entfernung zwischen sich und der Thür, dann stand er auf. Er war ein muthiger, tapferer Soldat, ein kühner Jäger – aber Miß Lydia Burke flößte ihm Furcht ein.

»Ich bitte sehr um Entschuldigung, aber ich habe die Frauen immer nur als Frauen betrachtet;« entgegnete er bescheiden.

Miß Burke wendete verächtlich den Kopf.

»Es ist wirklich merkwürdig,« seufzte Rose, welche die letzten Worte gehört hatte, »es ist merkwürdig, wie ungern es die Männer sehen, wenn wir Frauen Geist besitzen! Ich meinestheils beneide jedes weibliche Wesen, das sich über das Gewöhnliche erhebt, und habe immer gewünscht, wenn auch nicht ein vollständiger Blaustrumpf, aber doch ein wenig blau zu sein. Du nicht auch, Belinda?«

»Nein, Rose, dazu liebe ich meine natürliche Farbe zu sehr,« entgegnete das junge Mädchen keck. »Müßte ich aber diese wechseln, so wäre mir blau ebenso lieb, wie eine andere Couleur. Weibliche Wesen, die sich über das Gewöhnliche erheben, pflegen wohl auch nicht Perlpulver und Roth aufzulegen?«

Belinda sah bei diesem Stich, den sie ihrer Stiefmutter versetzte, so boshaft aus, wie ein Kobold und alle die knospende Grazie, die scheu aufdämmernde Weiblichkeit der »Lagrimas« von gestern Abend war verschwunden.

»Aber muß die Wahl denn gerade zwischen diesen beiden Farben getroffen werden?« fragte Roger in dem sanften Tone, der sie gleichzeitig beruhigte und reizte. »Sind blau und roth die einzigen Farben der Welt?«

»Gewiß nicht, Capitän Tempel. Es giebt z. B. noch sonnenbraun, oder Vandyk-braun, die schöne natürliche Farbe der Straßenjungen, Bettler, Zigeuner und des sonstigen Pöbels – meine Farbe.«

»Pöbel! Belinda, Du bringst mich mit solchen Ausdrücken aus aller Fassung,« sagte Rose. »Du brauchst übrigens an Deinem Teint noch nicht zu verzweifeln. Spencer soll Dir etwas Rosenmilch bereiten Sie hat das Recept von Lady Harriet bekommen und man sagt, es sei von außerordentlicher Wirkung gegen Sonnenbrand und Sommersprossen. Ich meinestheils glaube freilich nicht an dergleichen Schönheitsmittel. Ein von Natur dunkler Teint wird schwerlich jemals weiß werden«

Ihr letztes Phantasiestück, bezüglich des Obersten Drewe, hatte die gute Rose gegen die ganze Welt, Belinda mit eingeschlossen, mild gestimmt. So mild und so mittheilsam, daß sie ihre Hoffnungen, Befürchtungen und Pläne dem jungen, sich durchaus theilnahmlos verhaltenden Mädchen in's Ohr flüstern mußte.

›Ein alter und, um der Wahrheit die Ehre zu geben – theurer Freund kam ihr nach St. Jean de Luz nachgereist. Konnte man sich etwas Schwierigeres denken, als das Verhalten, welches sie zu beobachten hatte? Und dabei war Roger so eifersüchtig! Die Eifersucht war ja bekanntlich seine schwache Seite. Und wußte Belinda vielleicht, wo Spencer eine der so kleidsamen spanischen Mantillas nebst Kamm kaufen konnte?‹

Rose nahm bei jedem nahenden Ereignisse ihre Zuflucht in das Departement des Putzes und suchte hier ihre Bühnenrequisiten, während eine höher stehende Frau vielleicht überlegt hätte, was sie sagen, fühlen oder verbergen mußte. Machte der Oberst seinen Besuch Morgens, so war Rose entschlossen, ihn in weißem Caschemir zu empfangen, der nur hier und da durch ein Band von der hellsten Nuance in Lavendelfarbe zusammengehalten wurde; für den Fall, daß er Abends kam, hatte sie sich für den hohen spanischen Kamm, einen Spitzenschleier und ein Kreuz von schwarzem Jet bestimmt. Was konnte passender für eine liebenswürdige Wittwe sein, die in der Welt umherzog und das Herz jedes unglücklichen Mannes brach, der ihr begegnete?

Der Besuch war ein langer, aber Capitän Tempel, der unter der doppelten Aussicht von Rose und Miß Burke stand, fand keine Gelegenheit, eine Silbe allein mit Belinda zu wechseln. Endlich sprang das junge Mädchen, mitten in einer der schönsten Auseinandersetzungen Miß Burke's über weibliche Bestimmung, vom Tische und verließ das Zimmer. Roger begleitete sie bis an den Fuß der Treppe, und hier konnten sie einen Moment unter vier Augen sprechen.

»Sie werden heute doch nicht Ball spielen gehen?« fragte er, denn sie trug wie gewöhnlich Federball und Schistera in der Hand. »In dieser glühenden Sonnenhitze! Ich werde es nicht erlauben, Belinda.«

»Wirklich nicht – und warum nicht, Capitän Tempel?«

»Weil Sie Ihren Teint nicht verderben sollen.«

»Meinen braunen Teint, an dem Lady Harriet's Rosenmilch probirt werden soll! Ist's nicht ein Vergnügen, Rose's und Miß Burke's Unterhaltung mit anzuhören? Welchen Nutzen habe ich daraus gezogen, daß diese beiden Extreme weiblicher Intelligenz meine Erziehung leiteten!«

»Versprechen Sie mir, nicht wieder Ball zu spielen, weder heute noch einen andern Tag.«

Sie zauderte und sah vor sich nieder; ihre Lippen zuckten und ein tiefes Erröthen wurde unter der klaren Olivenfarbe ihrer Wangen sichtbar.

»Lagrimas!« flüsterte er sanft. »Wollen Sie es mir versprechen, Lagrimas?«

Jetzt schlug sie die Augen auf. Sie versprachen Alles – versprachen, unbewußt, eine Welt zuviel für Roger Tempel.



 << zurück weiter >>