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Belinda's Augen waren denen Roger's begegnet, und trotz aller vorherigen, eifersüchtigen Vorsätze fand es das junge Mädchen schwierig, ihren Zorn gegen Rose's zukünftigen Gatten aufrecht zu erhalten. Nie während ihres ganzen unstäten, liebeleeren Lebens war ein solcher Sonnenstrahl menschlicher Theilnahme auf sie gefallen, wie der, welcher jetzt aus Roger's gutem, ehrlichem Lächeln hervorbrach.
»Wie es mit dem Verlieben steht, weiß ich nicht, aber sicherlich werden wir Beide, Belinda und ich, Freunde werden,« sagte er, auf das junge Mädchen zutretend. »Nicht wahr, Belinda?«
Und ehe Belinda noch Zeit fand, sich zu besinnen und sich zur Wehr zu setzen, hatte Capitän Tempel's broncefarbener Schnurrbart ihre Wange berührt.
Die Begrüßung war der Art, daß selbst die kälteste Spröde sie kaum als einen Kuß hätte bezeichnen und verurtheilen können, hatte aber mit einem solchen doch Familienähnlichkeit genug, um auf Rose einen unangenehmen Eindruck zu machen.
»Ich – ich – wirklich, Roger,« stammelte sie, »Belinda sieht viel jünger aus, als sie ist.«
»Durchaus nicht,« rief Roger, indem er seine Hand freundlich auf die Schulter des jungen Mädchens legte. »Belinda ist fünfzehn Jahre alt – Sie sagten mir so, nicht wahr? – und so alt sieht sie auch aus. Lassen Sie sich durch Rose nicht irre machen, Belinda – sie kann sich noch nicht an den Gedanken gewöhnen, eine erwachsene Tochter zu haben.«
»Ich werde übernächste Woche siebenzehn,« entgegnete Belinda, den Kopf zurückwerfend, »und ich weiß nicht, was man damit will, daß man mich für ein Kind ausgiebt! Jedenfalls habe ich von der Welt und ihrer Schlechtigkeit genug gesehen, um mich alt zu fühlen,« setzte sie in dem gewöhnlichen harten, rebellischen Tone hinzu.
»Belinda wird anders aussehen – ich bin überzeugt, sie wird ganz anders aussehen, wenn sie ordentlich und passend gekleidet ist,« sagte die Wittwe, indem sie ihr Auge an den schimmernden Falten und Falbeln hinabgleiten ließ, die sie selbst umhüllten. »Ich muß mit Miß Burke darüber ein sehr ernstes Wort sprechen.«
»O, Miß Burke ist nicht daheim – mit der kannst Du nicht sprechen, Rose,« rief Belinda, die, wie es schien, darauf erpicht war, jede ärgerliche Wahrheit, deren sie habhaft werden konnte, zu enthüllen. »Meine natürliche Beschützerin und Führerin ist seit länger als einer Woche in Spanien, um Material für ein Buch, das sie schreiben will, zu sammeln, und ich strolche, wie Du siehst, allein herum – ganz allein mit meinem Hunde.«
»Allein!« rief Rose, nicht sowohl über die Thatsache an und für sich erschreckend, sondern mehr darüber, daß dieselbe in Gegenwart Roger's zur Sprache kam. »Du willst doch nicht sagen, daß Du ganz allein hier bist, liebe Belinda?«
»Nun, ich habe die Kameraden – die Jungen, die Du vorhin auf der Straße gesehen hast. – Und gestehe einmal aufrichtig, Rose,« fuhr sie unbarmherzig fort, »gestehe einmal aufrichtig, daß Du Dich geschämt hast, als Du mich zuerst erblicktest.«
»Ich – ich war allerdings erstaunt, Belinda,« entgegnete Rose in den süßesten, klagendsten Tönen. »Du weißt, man ist in England nicht gewöhnt, siebenzehnjährige Mädchen in kurzen Kleidern, die nur bis an die Knöchel reichen, zu sehen. Und dann diese schrecklichen – wie heißen sie denn, Belinda, diese schrecklichen Dinger, die Du an den Füßen hast?«
»Diese schrecklichen Dinger heißen auf spanisch Alpargetos, auf französisch Espadrilles,« antwortete Belinda ruhig, indem sie einen ihrer mit zerrissenen Sandalen bekleideten Füße zur besseren Besichtigung vorstreckte. »Wenn Du, wie ich, beim Ballspiel stundenlang im heißen Sande stehen müßtest, würdest Du froh sein, Espadrilles an den Füßen zu haben, anstatt barfuß zu gehen, wie ich meistens thue; das kannst Du glauben, Rose.«
Eine tiefe Schamröthe ergoß sich über das Gesicht der Wittwe. Sie hatte vor Roger, der auf die vornehmen Verbindungen seiner zukünftigen Frau einiges Gewicht legte, mit Belinda's Abkunft geprahlt und nach allen Seiten hin Capital daraus zu schlagen gewußt. Ihrer Erzählung nach zeigte die Enkelin des Earl of Liskeard – wie die Familie Vansitart im Allgemeinen – ohne geradezu schön zu sein, dennoch den Stempel ihrer vornehmen Geburt, war durchaus wohlerzogen u. s. w. Und wie fanden sie nun das junge Mädchen? Zerlumpt, schmutzig, mit Manieren und einer Sprache, die – das ist nicht mein Urtheil, sondern das Rose's – mehr an den Zögling einer Armenschule erinnerten, so ganz verwahrlost, daß sie sich selbst nicht scheute, in Gegenwart eines Mannes das anstößige Wort »barfuß« auszusprechen.
»Unsere liebe Belinda bedarf für einige Zeit der englischen Erziehung,« bemerkte Rose in einem Tone, welcher Roger von taubenhafter Sanftheit erschien, dessen sich Belinda aber zu wohl erinnerte, um sich täuschen zu. lassen. »Das ist der Nachtheil einer Erziehung auf dem Festlande. Man muß so Vieles von unseren guten, englischen Sitten für die Ausbildung der Talente opfern. Diese Talente lassen sich jetzt nun einmal nicht mehr entbehren, aber ich hoffe, daß Belinda, wenn sie einige Jahre eine gute, englische Kostschule besucht, sich Alles aneignen wird, was wir ihr nur wünschen können.«
Belinda sah ihrer Stiefmutter, nachdem diese ihre kleine Tirade beendigt hatte, einige Momente scharf in die Augen, dann schulterte sie ihre Schistera und ging der Thür zu.
»Ich muß gehen, Rose,« sagte sie, sich noch einmal umdrehend und den beiden Liebenden ironisch zunickend. »Aber wenn Du nicht willst, daß ich mit einer wandernden Zigeunerbande davonlaufe, wie ich schon oft willens war, so sprich mir nicht wieder von Kostschulen. Was die Ausbildung meiner Talente betrifft,« fuhr sie fort, indem sie sich mit spöttischer Bescheidenheit an Roger wendete, »was meine Talente, von denen Rose sprach, und für welche die ›guten, englischen Sitten‹ geopfert wurden, anbetrifft, so will ich Ihnen sagen, worin sie bestehen, und Sie sollen dann entscheiden, ob ich besser in eine der Schaubuden auf den baskischen Jahrmärkten, oder in eine englische Kostschule passe. Erstens verstehe ich das landesübliche Ballspiel, dasselbe, welches man in England, wie Mr. Jones mir sagte, fives nennt« – Belinda nahm bei Aufzählung ihrer Talente die braunen Finger zu Hilfe – »zweitens kann ich Bolero tanzen, drittens bin ich mit dem Gassenjungen-Rothwelsch in vier Sprachen ziemlich vertraut …«
»Belinda!«
»Laß mich nur die Aufzählung vollenden, Rose! Ich möchte mich Capitän Tempel gerne im besten Lichte zeigen. – Ich verstehe also Bolero, Ballspiel, Rothwelsch – von Allem ein Bischen. Praktisch angeeignet habe ich mir dann noch die Kenntniß, wie ich mich und meinen Hund täglich mit zwanzig Sous in Essen und Trinken erhalten kann – und außerdem besitze ich eine leidenschaftliche Vorliebe für Stiergefechte. Lieber möchte ich vierzehn Tage kein Fleisch essen und ein Jahr lang nicht in die Kirche gehen,« fuhr sie mit ungeheucheltem Enthusiasmus fort, »als die Gelegenheit versäumen, einem Stiergefechte beizuwohnen. Ueber meine weiteren Talente und Eigenthümlichkeiten mögen Sie, wenn Sie wollen, Mr. Augustus Jones befragen.«
Damit ging Belinda pfeifend – ja wirklich pfeifend, aus dem Zimmer.
Rose fühlte sich einer Ohnmacht nahe.
»Ein kleines Original, unsere künftige Stieftochter,« sagte Roger, dessen Augen während der Rede Belinda's immer größer geworden waren. »Aber ich bin überzeugt, sie ist ein gutherziges Kind und Sie dürfen nicht zu hart gegen sie sein, Rose.«
»Ich hart!« seufzte die Wittwe, indem sie ihn vorwurfsvoll ansah. »War ich jemals hart gegen einen Menschen? Wenn Sie wüßten, Roger – aber Männer verstehen solche Sachen nicht! – wenn Sie wüßten, welche Prüfung dies Mädchen von jeher für mich gewesen ist. Ich kann Sie versichern, daß ich Belinda als eine Strafe betrachte, welche mir die Vorsehung in ihrer Weisheit für alle meine Sünden auferlegt.«
Sie setzte sich auf das Sopha, wobei sie sorgfältig den Platz so wählte, daß nicht das volle Licht sie traf, und zog mit resignirter Miene ihr Taschentuch hervor.
»Ich habe Opfer für Belinda gebracht, wie kaum ihre rechte Mutter sie hätte bringen können, denn ich werde nie die blinde, hingebende Liebe vergessen, die ihr armer Vater für mich hatte. Gott weiß es, mit welchen Kosten ich sie auf das Festland schickte, wie ich immer schrieb, sie sollte die besten Lehrer, überhaupt von Allem das Beste haben, und das ist nun das Resultat. Wie schrecklich gewöhnlich sie ist!«
»Gewöhnlich? Nein, Rose, sie ist Alles eher, als gewöhnlich. Belinda steht in jenem unglücklichen Alter, das man als die Flegeljahre zu bezeichnen pflegt; auch ist ihr Anzug nicht wie der anderer junger Mädchen. Aber sie hat prächtige Augen und eine schöne Hand –«
»Eine schöne Hand! Belinda's Hände sollen schön sein! Aber sie sind ja sehr groß, wenigstens sechs und drei Viertel, zwei Nummern größer als die meinigen – und wie braun! Aber Sie halten jedes weibliche Wesen, das Sie sehen, für schön, Roger,« sagte Rose empfindlich. »Ich habe Sie nie von einer Dame sprechen hören, ohne daß Sie etwas an ihr zu bewundern hatten –«
»Und Alles das nur um Deinetwillen, Geliebte,« sagte Capitän Tempel mit Wärme. »Wenn der Mann eine Frau über Alles liebt, so besitzt jedes weibliche Wesen, auch das gewöhnlichste, in seinen Augen eine Art von Reiz! Verstehst Du das nicht?«
Dabei trat er näher und legte seine Hand auf den hübschen Kopf seiner Verlobten. Es war eine von Roger's gewöhnlichen Liebkosungen, aber gerade die, welche Rose am wenigsten gern sah. Konnte man wissen, ob nicht in einem Augenblicke besonderer Zärtlichkeit eine falsche Locke oder Flechte den abscheulichsten Streich spielte!
»O, Roger, wie kannst Du das thun?« rief sie etwas unbehaglich vor seiner Berührung zurückweichend. »Wirklich, Du wirst mit jedem Tage thörichter.«
Die Wittwe hielt in der That fest an der fixen Idee, daß Roger sie noch ebenso unaussprechlich und leidenschaftlich liebe, wie damals als neunzehnjähriger Jüngling; eine Idee, welche Roger seine Rolle als zärtlicher Anbeter unendlich erleichterte.
»Ich bin froh,« fuhr sie fort, »daß Belinda gegangen ist. Weißt Du, daß ich immer fürchtete, Du würdest in ihrer Gegenwart etwas sagen oder thun, was mich in Verlegenheit setzen konnte! Wie sehe ich denn aus, lieber Roger? Müde und häßlich, nicht wahr? Du sollst mir die Wahrheit sagen – die ganze Wahrheit.«
»Wie sehe ich aus, lieber Roger?« das war der Refrain jeder Liebesscene zwischen den Beiden. Rose's innerstes Herz verlangte nach Schmeicheleien, nicht nach Liebkosungen, und Roger fand es, nachdem er einige Wochen in der Lehre gewesen, gar nicht so schwierig, sie zu befriedigen. In den meisten Fällen würde die Aufgabe, einer und derselben Frau täglich sechs bis acht Stunden Complimente und Schmeicheleien zu sagen, eine ziemlich anstrengende gewesen sein und besonders die Erfindungsgabe des Mannes stark in Anspruch genommen haben – aber Rose, die selbst ganz ohne Phantasie war, strengte auch die Anderer nicht an. Wie ein Papagei durch sein eigenes ewiges: Jaquot, lieber Jaquot! – so fühlte sich die arme Rose durch die dürftigsten, ewig gleichen Gemeinplätze der Schmeichelei vollständig befriedigt.
»Du siehst reizend aus, Rose! Ich sah Dich niemals hübscher! Deine Augen glänzen wie –« Roger hatte nicht gleich einen Vergleich zur Hand, aber Rose nahm den guten Willen für die That. »Und wie reizend ist Dein Anzug – alle diese lavendelfarbenen Frisuren und weißen Borden! Wie fängst Du es an, Rose, immer so viel hübscher angezogen zu sein, als alle anderen Frauen?«
Nach mäßiger Berechnung mußte er ihr diese Frage seit ihrer Verlobung etwa zweihundert Mal vorgelegt haben, und er wußte das und wußte auch, mit welcher reizenden, abweisenden Verlegenheit und welchem bezaubernd kindlichen Lachen sie antworten würde. Er seufzte und würde, wenn er den Muth gehabt hätte, seiner natürlichen Regung zu folgen, gegähnt haben.
Schlimmer Stand eines Liebesverhältnisses, wenn wir gelernt haben, ein Gähnen hinter einem Seufzer zu verbergen! Schlimmer Stand eines Liebesverhältnisses, wenn wir gelernt haben, überhaupt etwas zu verbergen!
»Ich bin sehr ängstlich wegen meiner Kleider; die noch nicht hier sind,« fuhr Rose fort, »Zehn große Koffer, wie Du Dich erinnern wirst,« – wie hätte sich Roger nicht der zehn entsetzlichen Koffer erinnern sollen, die ihm in Paris, in Bordeaux, auf jeder Station das Leben schwer gemacht hatten? – »zehn große Koffer und jeder mit einem Stückchen blauen Bandes bezeichnet. Eine Verwechslung ist nicht möglich, wenn die Leute auf den Eisenbahnen ehrlich sind. Aber darauf kann man sich im Auslande ja nie verlassen. Es wäre für Belinda gewiß ein Leichtes gewesen, nach dem Bahnhofe zu laufen und nachzufragen; aber sie erbot sich nicht dazu und in meiner delicaten Lage als Stiefmutter habe ich nie die kleinste Gefälligkeit von dem guten Kinde verlangt. Ach, Roger« – Rose's Hand lag dabei in der ihres Verlobten, welcher sich neben ihr auf dem Sopha niedergelassen hatte – »wenn ich es wagte, möchte ich Dir ein Geheimniß anvertrauen, etwas, das uns Alle angeht!«
Roger entgegnete natürlich, daß er nicht begreife, was sie abhalten könnte? Durfte es überhaupt zwischen Menschen, die ihr Leben zu einer langen, innigen Gemeinschaft vereinigen wollten, wie sie, jetzt oder in Zukunft noch ein Geheimniß geben?
»Nun – so höre denn – ich weiß, daß ich ein thörichtes Geschöpf bin, und daß Du mich schelten wirst – aber ich habe vor, eine Heirat zu stiften,« sagte Rose in ihrer kindlich neckischen Weise. »Es ist nicht bloßer Zufall, daß sich Mr. Augustus Jones in St. Jean de Luz befindet.«
»Zufall oder nicht, die Thatsache ist verteufelt unangenehm,« bemerkte Capitän Tempel. »Wie und warum sich Mr. Jones hier eingefunden hat, ist seine Sache – aber daß wir seine langweilige Gesellschaft ertragen sollen, finde ich hart. Ich hoffte diesem widerwärtigen Menschen entgangen zu sein, als wir London verließen.«
»Sie haben ein Vorurtheil gegen ihn, Capitän Tempel. Ich fürchte, Sie können den armen Augustus nicht ausstehen, weil er etwas zu aufmerksam gegen mich war.«
»Rose!«
»Ja, ja, Roger, ich kenne die Leidenschaft, die Sie beherrscht und immer beherrscht hat. Es ist das grünäugige Ungeheuer, mein lieber Capitän –«
»Rose, ich schwöre Dir –«
»Nun, gegen solche Dinge läßt sich nichts machen, Lieber. Ich selbst bin ganz und gar nicht eifersüchtig – der gute Major O'Shea sagte oft, er wünschte, ich wäre etwas mehr zur Eifersucht geneigt – aber ich verstehe und entschuldige sie bei Andern. Ich scheine nun einmal dazu bestimmt,« fügte Rose mit einem Seufzer hinzu, »ich scheine nach den Erfahrungen, die ich gemacht habe, nun einmal dazu bestimmt, den eifersüchtigen Argwohn der Männer zu erregen und ertragen zu müssen.«
Beide schwiegen einige Minuten, und wenn Jemand Roger Tempel's Gesicht genau beobachtet hätte, so würde dieser Jemand in den Augen des jungen Mannes vielleicht die Willensanstrengung bemerkt haben, mit welcher er die Müdigkeit und Langeweile niederkämpfte, die ihm dies kindische Geplapper bereitete.
»Ich glaube, Du beurtheilst mich nicht ganz richtig, Rose,« bemerkte er nach einer Weile. »Wer beurtheilt überhaupt einen Andern ganz richtig. Jeder sieht doch nur durch seine eigene Brille! Wir sprachen eben von Mr. Jones, nicht wahr? Und Du glaubst, er wäre im Stande, mich eifersüchtig zu machen? Arme, kleine Rose –«
Dabei beugte sich Roger vor und küßte Rose zärtlich, aber doch mit einer gewissen Vorsicht, auf die Wange. Er war jetzt mit weiblichen Toilettenkünsten, besonders in Bezug auf die Anwendung des Reismehles, besser bekannt, als an jenem ersten, verhängnißvollen Abende in Brompton.
»Und nun heraus mit Deinem großen Geheimniß, Rose! Du hast Dich also auf's Ehestiften gelegt! Ich hoffe nur, Du hast nicht die Absicht, unsere kleine Belinda mit Mr. Augustus Jones zu verheiraten!«
»Er würde aber, vom weltlichen Standpunkte betrachtet, ein vortrefflicher Ehemann für sie sein,« sagte Rose, indem sie an dem Diamantring drehte, der ein Geschenk Roger's war und ihren hübschen dritten Finger schmückte. »Was die Erziehung betrifft, so hat der alte Jones, der seinen eigenen Mangel an Bildung sehr empfand, dem Sohne die besten Lehrer und Hofmeister gehalten – und Jeder, der Augustus sprechen hört, wird sagen, daß sein Wissen für einen reichen Mann vollkommen hinreichend ist.«
»Und dazu ist er ziemlich präsentabel, ziemlich elegant – ganz der Mann, in den sich ein junges Mädchen nicht nur verlieben, auf den sie auch stolz sein kann! Nun, Rose, arrangire die Sache ganz wie Du willst. Wenn Du Mr. Jones gern hast und Belinda ihn liebt, so werde ich sicherlich Deinem Plane nicht entgegen sein.«
»Da liegt eben die Schwierigkeit. Belinda mag Mr. Jones nicht leiden. Belinda und ich haben ja nie für dieselben Dinge oder Personen Sympathien gehabt.« – Arme Rose, wenn Dir die Vorsehung in diesem Augenblicke die Gabe der Prophetie verliehen hätte! – »Aber Du könntest mir in der Sache behilflich sein, wenn Du wolltest, lieber Roger, und ich weiß, Du willst,« fuhr sie fort, indem sie ihre Augen schmeichelnd zu denen ihres Verlobten erhob. »Du wirst meine Pläne für Belinda's Glück unterstützen, nicht wahr? Es war meine Veranstaltung, Roger – schilt nicht, wenn ich Dir die Wahrheit gestehe! – es war meine Veranstaltung, daß Mr. Jones nach St. Jean de Luz kam.«
»Also Du veranlaßtest ihn, hierher zu gehen! Aber warum sollte ich Dich darum schelten, Närrchen?«
Rose sprach und benahm sich wie ein Mädchen von sechzehn Jahren und Roger behandelte sie so, aber er war sich der Lächerlichkeit seines Thuns bewußt und empfand es auf's Schmerzlichste.
»Ich wußte,« fuhr sie, bescheiden die Augen niederschlagend, fort, »daß Augustus darauf brennt, sich zu verheiraten, und da ich vermuthete – fürchtete, seine Hoffnungen und Wünsche möchten nach einer Seite hin gehen, wo ihm eine Täuschung bevorstand – und da er mich bat, ihm für seinen Ausflug nach dem Festlande die Reiseroute vorzuschreiben, so kam mir der Gedanke, ihn mit Belinda zusammenzuführen. Alles, was er wünscht, sind vornehme Familienverbindungen – was sie braucht, ist Vermögen –«
»Aber Belinda ist noch ein Kind,« unterbrach sie Roger. »Du hast da zu ihrem Besten ein Luftschloß gebaut, liebes, süßes Herzchen; aber die Sache ist unmöglich. Belinda's Heimat muß für die nächsten drei oder vier Jahre bei uns sein, und Du hast dann genügende Zeit, Heiratspläne für sie zu machen. Wie kann ein Kind von ihrem Alter schon eine Entscheidung treffen?« fuhr Roger in seiner ehrlichen Weise fort. »Wie kann ein unerfahrenes, nach der Gefühlsseite hin noch ganz unentwickeltes Kind von Belinda's Alter darüber entscheiden, ob es sich für Kutschpferde und Diamanten an einen Geldprotzen, wie Jones, verkaufen soll oder nicht!«
»Lieber Roger,« entgegnete Rose in ihren sanftesten, engelhaftesten Tönen – Mrs. O'Shea's Engelhaftigkeit kam immer, wenn sie sich ärgerte, am meisten zum Vorschein – »lieber Roger, erlaube mir zu bemerken, daß romantische Ideen, wie die, ›sich für Diamanten und Kutschpferde zu verkaufen,‹ ganz und gar aus der Mode sind. Belinda war niemals ein Kind und ist niemals jugendlichen Empfindungen zugänglich gewesen. Was aber die Entwickelung ihrer Gefühle betrifft, so hast Du wohl gehört, was das arme Ding vorhin über ihre Freude an Stiergefechten sagte? Glaubst Du, lieber Roger, daß ich einem solchen Schauspiel beiwohnen könnte, ohne in Ohnmacht zu fallen? Es wäre mir unmöglich, diese schönen, interessanten jungen Männer in solcher Gefahr zu sehen! Und der gräßliche Stier, der Alles aufspießt – ich bin sicher, daß ich krank würde, wenn ich nur ein Bild davon sähe oder eine Beschreibung lesen sollte!«
»Das kommt auf die Gewohnheit und auf die Nerven an, Rose. Ich habe mehr als eine Engländerin gekannt, die größerer Grausamkeit fähig war, als die, welche dazu gehört, einem Stiergefecht beizuwohnen.«
»Und für die Wohlfahrt des jungen Mädchens, wie für unsere Gemüthsruhe wäre es – Du magst sagen, was Du willst – doch das Beste, sie so bald als möglich anständig zu versorgen. Nach meinem Urtheil ist Belinda – ich würde das zu Niemand sagen, als zu Dir, lieber Roger – nach meinem Urtheil ist Belinda völlig herzlos – und eine Frau ohne Herz –«
Die weitere Ausführung und Verallgemeinerung des Satzes wurde durch die Ankunft der Koffer mit den blauen Bändern unterbrochen. In ihrer Freude über die wiedererlangten Schätze vergaß Rose alle anderen Betrachtungen. Ihr Verlobter empfing die Erlaubniß, zu gehen und eine – aber nicht mehr als eine – Cigarre zu rauchen, sowie den Befehl, sich spätestens in einer Stunde wieder einzustellen. Er durfte eine kleine Weile in Freiheit athmen.