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Neuntes Capitel.
Der Finger des Schicksals.

Rose gehörte zu den Frauen, die den Mann, der sie liebt, gleichsam eine hohe Schule der Thorheit durchlaufen lassen.

Roger fand, daß er in diesem schätzbaren Zweige des Wissens bemerkenswerthe Fortschritte machte. Ging er Abends, wie fast immer, im Zustande geistiger Abgespanntheit und Erschöpfung von ihr, so glaubte er zuweilen, das geliebte Wesen, das ihn in diesen Zustand versetzte, könne ihn durch keine Thorheit, durch keine Unvernunft mehr überraschen – und doch machte sie es möglich, ihn am nächsten Morgen durch einen neuen Einfall, eine neue Entdeckung auf dem Gebiet der Toilette, der Moral oder des geistigen Lebens in starres Erstaunen zu versetzen.

Eine geistreiche, eine gute, selbst eine böse Frau läßt sich bis zu einem gewissen Grade berechnen; die kindisch-unvernünftige ist unberechenbar. Hat die Thorheit einen gewissen Höhepunkt erreicht, so scheint sie die Unerschöpflichkeit des Genies zu besitzen, und wenn geistige Eigenschaften, wie die der Materie, mit der Wage gewogen oder im Schmelztiegel geprüft werden könnten, so würde sich wahrscheinlich herausstellen, daß sie wirklich eine Art von Genius ist, nur eine unechte, eine Bastard-Art.

Besonders zeigt sich diese Unerschöpflichkeit überall, wo es sich um die persönliche Eitelkeit handelt. Es giebt Frauen, die sich einbilden, einen, zwei, drei – zwanzig Männern das Herz gebrochen zu haben – Rose war bei der geringsten Veranlassung, oder auch ohne jede Veranlassung, geneigt, das vom ganzen Universum zu glauben. Mit Hilfe der Eitelkeit beschwingte sich selbst ihre Phantasie.

»Du wirst kaum errathen, was geschehen ist, Roger – Du wirst es nie errathen! Ich weiß auch nicht, ob es gut ist, es Dir zu sagen, Du böser, böser, eifersüchtiger Mann! Aber es würde ja noch schlimmer sein, wenn er käme, ohne daß Du vorbereitet bist«

Mit diesen Worten begrüßte Rose am nächsten Morgen den Verlobten in ihrem kühlen, maurisch decorirten Empfangszimmer.

Die Wittwe trug ein gesticktes Morgenkleid von indischem Mousselin (einen der reizenden acht Morgenanzüge, die sie mit von London gebracht hatte) und benahm sich so schüchtern, so coquett und zimperlich, wie eine Braut von achtzehn Jahren.

»Wenn es Dein Gewissen erleichtert, eine Beichte abzulegen, so verspreche ich Dir hiermit feierlich, meine Eifersucht möglichst im Zaume zu halten;« sagte Roger, wie wir glauben, nicht ohne selbst einen kleinen Gewissensbiß zu empfinden. »Du hast wieder eine Eroberung gemacht, Rose?«

Ein Senken der Augenlider bejahte die Frage.

»Das dachte ich mir. Der kleine portugiesische Jude, beim Frühstück – nein, der spanische Officier gestern Abend im Casino! Rose, ist es wirklich dieser hübsche, spanische Schurke?« –

»O, Roger, bitte, werde nicht heftig! –Was kann ich dafür, daß die Männer so lächerlich sind? – Ich – ich, die niemals Einen ermuthigt! Nein – es ist weder der Spanier noch der Portugiese – es ist ein Anderer. O, ich fühle mich so schuldvoll! Und solche Dinge passiren auch nur mir.«

»Ich möchte behaupten, daß sie den meisten schönen Frauen passiren;« entgegnete Roger, der selten eine Gelegenheit vor-übergehen ließ, ohne der Wittwe das erwartete Stück Zucker zu reichen. »Aber spanne mich nicht auf die Folter, Rose. Wer ist mein neuester Nebenbuhler?«

»So höre denn, Liebster. Spencer ging diesen Morgen für mich zur Post und fand dort einen Brief«

»Eine Liebeserklärung?«

»Er war von der Köchin in Brompton. Ich habe ihr Befehl gegeben, regelmäßig jede Woche einmal zu schreiben – und außerdem wohnt, der Vorsicht wegen, eine Freundin von Spencer im Hause. Es ist nicht meine Art, an der Ehrlichkeit der untern Klassen zu zweifeln, Roger – und sie kann ja auch nicht mit Tischen und Stühlen davon laufen; aber es sind doch Uhren da, und Verzierungen und die Hauswäsche – –«

»Aber mein Nebenbuhler, Rose, mein Nebenbuhler? Bedenke, daß ich vor Verlangen brenne, seinen Namen zu erfahren, während Du mir von der Köchin und der Hauswäsche erzählst.«

Wenigstens einmal, während seines Brautstandes, gelang es Roger, Wahrheit und Zärtlichkeit zu verbinden.

»Nun es scheint, daß er bald nach unserer Abreise nach mir gefragt hat. Ein großer, militärisch aussehender Mann mit einem Schnurrbarte, wie die Köchin schreibt. Er ließ sich auch gar nicht abweisen, sondern trat ein, als ob das Haus ihm gehörte – das sind die eigenen Worte der Köchin – und besah – besah besonders genau das Porträt Capitän Tempels im Frühstückszimmer. Ach, Roger, was muß er gelitten haben! Ich kann mir denken, was er in diesem Augenblicke gelitten haben muß!«

»Wer muß gelitten haben, Theuerste? das Ende vom Liede ist natürlich, daß die Köchin nach der Entfernung des militärisch aussehenden Herrn die Theelöffel zählen wollte und fand, daß sie verschwunden waren.«

»Nein, das ist nicht das Ende vom Liede,« sagte Rose ihre Federn aufblusternd wie ein kleiner Sperling. »Das Ende der Geschichte ist, daß ihm die Köchin meine hiesige Adresse gab, und ihm, wie ich fürchte, noch andere Mittheilungen machte, die ihn sehr schmerzlich berührten. Er sagte, er würde mir auf dem Fuße nach St. Jean de Luz folgen. Ich kann das nur Treue nennen – der arme Mensch. Obgleich er die Hoffnungslosigkeit seiner Lage einsehen mußte, beschloß er dennoch, ohne einen Moment zu zaudern, die Reise nach St. Jean de Luz zu machen.«

»Auch andere Leute, welche die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage einsahen, sind Dir treu geblieben, Rose;« entgegnete Roger zärtlich.

Schoß ihm nicht vielleicht der Gedanke durch den Kopf, daß es leichter schiene, die Treue in hoffnungsloser Lage zu halten, als in hoffnungsvoller?

»Und nun werdet Ihr Beide gleichzeitig hier sein – und gewiß ist er von heftiger, kampflustiger Gemüthsart. Diese tiefliegenden, blitzenden Augen, dieser lange, dunkle Schnurrbart und die große mächtige Gestalt geben ihm etwas so Imponirendes!« setzte Rose mit einem vorwurfsvollen Blick aus die nur mittelgroße Figur Roger's hinzu.

»Rose,« rief Roger mit einem ernstlich gemeinten Seufzer, »willst Du mich ganz und gar um mein Bischen Verstand bringen? Wer ist der Mann? Tiefliegende Augen, langer, dunkler Schnurrbart, imponirende Gestalt! Ich kann es nicht aushalten, Rose. Alles, auch mein Langmuth, hat seine Grenzen.«

Rose lächelte, und erröthete und schlug die Augen auf und wieder nieder, ohne alle Ahnung von der Ironie, die sie mit der Schmeichelei, Trank und Speise ihrer kleinen Seele, verschluckte.

»Wenn Du denn darauf bestehst, es zu wissen – es ist Oberst Drewe;« sagte sie endlich. »Es scheint, daß er seinen Namen den Leuten nicht genannt hat. Aber es giebt ein Ahnungsvermögen, das sich nicht täuschen läßt – es ist Stanley Drewe.«

»Drewe – Drewe – jener selbstgefällige alte Geck mit der Blume im Knopfloch, dessen Bild sich in Deinem Photographien-Album befindet? Du hast eine Weile mit Oberst Drewe coquettirt – nicht wahr, Rose?«

»Wenn Du Alles wüßtest, würdest Du mich in dieser Sache nicht zu tadeln finden, Roger. Du warst weit weg, in Indien – es war noch zu Lebzeiten des armen Major O'Shea; und er war so heftig und leidenschaftlich; ich wagte nicht, einen Mann zweimal anzusehen. Aber in welcher Gesellschaft ich mich auch während der einen Saison befinden mochte, immer war ich sicher, Oberst Drewe zu treffen. Ging ich in die Oper, Oberst Drewe war da! Fuhr ich in den Park, ich begegnete Oberst Drewe! Es war eine förmliche Tollheit, und wenn ich frei gewesen wäre – aber ich war nicht frei!« sagte Rose im Tone der Selbstverleugnung. »Ich war nicht frei und der arme Stanley benahm sich bewunderungswürdig! Er ging mit seinem Regiment nach Gibraltar und wir haben dann nur noch hin und wieder einen Brief gewechselt. Ich sandte ihm erst vor Kurzem die Nachricht von Onkel Robert's Tode. Welcher Schlag muß es für ihn gewesen sein!«

Ein Ausdruck, weniger des Aergers, als der Qual zog über Roger's Gesicht. Er mochte aufgehört haben, Rose zu lieben, aber er liebte noch immer in ihr sein altes Ideal, liebte noch immer jenes Gefühl, das, mochte es an und für sich auch vielleicht eine Thorheit sein, dennoch zwölf Jahre lang sein Leben ausgefüllt hatte, und in diesem Gefühl fand er sich durch die fade, gegenseitige Coquetterie der beiden nicht mehr jungen Londoner Schmetterlinge verletzt.

»Ein Schlag für Oberst Drewe! Unsere Verbindung ein Schlag für ihn? Standen die Dinge zwischen Dir und Oberst Drewe so, daß er das Recht hatte, unsere Verbindung als einen Schlag für sich zu betrachten?«

»O, bitte, theuerster Roger, sei nicht zornig! Wie kann ich Rechenschaft über des armen Stanley's Gefühle geben? Ich versichere Dich, daß ich zwischen Euch allen gar nicht mehr wußte, was ich thun sollte. Und nun – welche entsetzliche Verlegenheit, ihn hier zu haben!«

»Insofern ich dabei betheiligt bin, sollen Dir keine Verlegenheiten daraus entstehen;« sagte Roger kalt.

»Ihr Beide, Du und Oberst Drewe, müßt am besten wissen, ob Ihr Veranlassung dazu habt.«

Er fühlte sich geärgert und, allerdings mehr in ihrer, als in seiner Seele, erniedrigt und gedemüthigt. Rose, die so wenig Talent besaß, in der Seele Anderer zu lesen, hielt ihn nur für eifersüchtig (ein Mißgriff, zu welchem Leute ihrer Art aus Eitelkeit sehr leicht kommen) und zwitscherte unermüdlich weiter über die Bethörung des armen Stanley, seine tiefliegenden Augen, ihre eigene Unschuld und die Unannehmlichkeiten, welche ihr aus diesem Ueberreichthum an Anbetern erwüchsen, bis das Uebermaß von Thorheit Roger endlich wieder in gute Laune versetzte.

Gutes, kindisches Geschöpf! Wer konnte lange mit ihr zürnen? Ihre Eitelkeit war so naiv, ihre Coquetterie, wie überhaupt ihr ganzer Charakter, so leicht zu durchschauen!

»Du kannst glauben, er kehrte nach England zurück, sobald er die Nachricht von Onkel Robert's Tod empfing. Ich bin keine eitle Närrin und finde mich selbst sehr häßlich – aber ich weiß, daß den Männern daran liegt, Geld zu heiraten, und daß ich in meiner bescheidenen Weise eine Erbin bin. Kannst Du Dir denken, wie er sich das Haus angesehen, im Stillen berechnend, wie groß mein Vermögen wohl sein möchte – und wie er dann Dein Porträt erblickt hat! Ich bin jetzt sogar etwas zweifelhaft, ob es ganz schicklich war, dasselbe jetzt schon in meinen Zimmern aufzuhängen? Nichts würde mir peinlicher sein, als in den Augen des Obersten unzart zu erscheinen.«

»Und können wir denn ganz sicher sein, daß es Oberst Drewe war, Rose? Paßt die Beschreibung nicht etwa auf einen Andern aus der Reihe Deiner zahlreichen Opfer?«

O, über diesen Punkt war Rose ganz sicher. Wäre der Schnurrbart nicht, so hätte sie auch an den Reverend Rowland Lascelles denken können, den sie im vergangenen Jahre in Malvern getroffen – einer der elegantesten, geistvollsten Männer; aber nein – Rose seufzte ein wenig bei der Erinnerung an Malvern – nein, der Schnurrbart war entscheidend. Es mußte Oberst Drewe sein, kein Anderer.

»Und was die Sache noch merkwürdiger macht, Roger,« setzte Rose eben so klug als logisch hinzu, »es sieht wirklich aus, wie ein Finger des Schicksals – ich träumte letzte Nacht von dem armen Major O'Shea. Es war, als habe Jemand in Amerika ihm von meiner neuen Verlobung gesagt – ach, unsere Todten werden uns ja nur im Traume wiedergegeben! – und er hatte mir prachtvolle Türkisen und Perlen als Hochzeitsgeschenk mitgebracht – Major O'Shea pflegte zu behaupten, daß Perlen mich ausgezeichnet kleideten! Er schien über die Heirat sehr erfreut und sagte, er wünsche Dir von Herzen Glück. War das Alles nicht sehr merkwürdig?«

»Sehr merkwürdig und sehr unangenehm;« entgegnete Roger, jetzt ernstlich verdrießlich. »Um Gotteswillen träume nicht mehr, Rose! Mit Nebenbuhlern von Fleisch und Blut, bezaubernden Obersten und eleganten Geistlichen, will ich es aufnehmen, aber mit andern –«

Glücklicherweise öffnete sich in diesem Augenblicke die Thür und der Eintritt Belinda's und Miß Burke's beendete die Liebesscene.



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