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Sechstes Capitel.
Capitän Tempel's Tänzerin.

Ein aus Tannenholz gezimmerter Tanzsalon, nach der See hin an drei Seiten offen, ein Orchester, das aus einer Harfe und einem Pianoforte bestand, ein zweites, kleineres Zimmer für Ecarté und Tresillo – daraus besteht das Casino von St. Jean de Luz und hier versammelt sich jeden Abend eine so bunt gemischte Gesellschaft, als man nur irgendwo in der Welt finden kann. Das blaueste Blut Altcastiliens neben dem jüdischen Kleinhändler aus Burgos; gekrönte Häupter und solche, denen die Krone wieder entfallen ist; umherziehende Künstler; achtbare Leute und noch einmal achtbare Leute – alle in der reizenden, republikanischen Ungezwungenheit des Badelebens vereinigt und durch einander gewürfelt. Hier brachte auch Belinda; wenn die Abwesenheit Miß Burke's ihr, bei Tage wie bei Nacht, volle Freiheit gewährte, ihre Abende zu.

Aber sie drang nicht in das innere Heiligthum des Ballsaales, das sich den Besuchern nur gegen ein Eintrittsgeld öffnete. Eine breite, sandige Terrasse zog sich rings um das Gebäude, und von hier aus beobachtete Belinda mit andern Vagabunden ihrer Art die Tanzenden, die Toiletten, die schönen Frauen und die Coquetterien, welche innerhalb der Arena ausgetauscht wurden – leider, wie wir gestehen müssen, nicht ohne die ätzende Empfindung des Neides.

Nur ein einziges Mal war das arme, kleine Mädchen zum Tanzen aufgefordert worden. Maria José de Seballos, der beringte, parfumirte junge Weinhändler aus Sevilla, der, wie wir gesehen haben, noch immer einen Platz in ihren Träumen einnahm, forderte sie an einem unvergeßlichen Abende, dem letzten, ehe er St. Jean de Luz verließ, zu einem Walzer auf. Belinda, in ihrem abgetragenen Kleidchen und ihren Espadrilles, befand sich für acht Minuten im Paradiese und drehte sich glückselig, zwischen Damen in seidenen Kleidern, zwischen mit Blumen und Juwelen geschmückten Tänzerinnen, vom Arme eines wirklich erwachsenen Mannes umschlungen, im Reigen und ließ sich Schmeicheleien in's Ohr flüstern, welche der Eitelkeit so süß erscheinen, selbst wenn sie zufällig nach Knoblauch duften sollten.

Aber solch' ein Glücksfall, das wußte sie, ereignete sich sobald nicht wieder. Maria José sprach eine Menge Unsinn – Unsinn, wie ihn die Männer aller Nationen schwatzen, wenn sie mit Backfischen tanzen – bat sie, ihn in ihr Gebet einzuschließen, bis zu dem glücklichen Tage, wo er im Stande sein würde, zu kommen, um sie nach Sevilla zu holen u. s. w. Aber Maria José war – mochte auch Belinda immerhin in ihren Träumereien seiner gedenken – für immer gegangen, und Mr. Jones, der einzige junge Mann, den sie kannte, tanzte keine Rundtänze und hätte sich wohl auch schwerlich eine Tänzerin im schwarzen, kurzen Kleide und mit zerrissenen Sandalen ausgesucht.

So blieb es denn Belinda's Schicksal, als Mauerblümchen zuzusehen, obgleich ihre Pulse beim Klange der Tanzweisen stürmisch flogen, ihre siebenzehnjährigen Füße kaum still zu halten waren und ihre Augen jedem jungen Mann, der im Ballsaal auf und ab spazierte, zuzurufen schienen: »Tanz' mit mir! tanz' mit mir!« Leider sahen diese jungen Männer, selbst wenn sie Belinda bemerkten, nichts in ihr, als ein ärmlich gekleidetes, häßliches Kind mit langen Zöpfen und betrachteten sie mit einer Gleichgiltigkeit, über die sich Belinda, welche in mancher Beziehung älter war, als ihre Jahre, nicht täuschte.

So schlenderte sie auch an dem Tage der Ankunft Rose's, Abends zwischen neun und zehn Uhr, wie gewöhnlich auf der Terrasse hin und her, während Costa ihr dicht auf den Fersen folgte. Die Gesellschaft war ungewöhnlich heiter, irgend ein naher Verwandter der spanischen Ex-Majestäten war gegenwärtig und der Tanzsalon überfüllt. Schwanenhälse und zarte Teints von Madrid; orientalische Augen und Titianisches Colorit von Sevilla; marmorweiße Schultern und griechisch geschnittene Gesichter von Cadix – wie schön diese spanischen Frauen sind! Wie das Leben ihnen lacht und leicht wird! Gesang, Tanz, Liebe und Liebelei in der Jugend, Tresillo und Gebete im Alter! Als verantwortliche, urtheilsfähige und urtheilsberechtigte Wesen haben die Frauen der anglo-sächsischen Race alle Ursache, stolz und auch dankbar zu sein – aber wie bezaubernd sind diese unwissenden, kindlichen, sich gleich Kindern an Allem erfreuenden schönen Frauen des Südens!

Die Damen waren an diesem Abende fast ohne Ausnahme in großer Toilette. Auch bei Gelegenheiten, wo die Pariserin ihre bescheidenen Reize bis an das Kinn verhüllt, erscheint die Spanierin stets mit entblößten Schultern. Sie zeigt sich nicht allein im Ballsaale und auf dem Balcon in ausgeschnittenem Kleide – man sieht in St. Jean de Luz Dutzende von ihnen in großer Toilette, in Atlasschuhen und mit Blumen im Haar, Abends bei Mondenschein in den Straßen und öffentlichen Gärten promeniren. Und wie kleidsam ist diese Toilette! Der nationale Schleier und der hohe Kamm à la manola, welche vor Kurzem von der Halbinsel zu verschwinden drohten, werden jetzt vorzugsweise von der hohen Aristokratie getragen, gleichsam als stummer Protest gegen den Eindringling, welcher den geheiligten Thron von Castilien kurze Zeit einnahm, als lebendige Illustration des Motto's dieser Partei: Fuera el Estrangero! Und wie dringend muß jeder Künstler wünschen, daß keine politische Umwälzung diese graziöse Tracht wieder vernichtet und ihre Trägerinnen zu den Schleppkleidern, den hochgethürmten Frisuren und ewig wechselnden Moden von Paris und London zurückführt, von denen die eine immer noch unmalerischer ist als die andere.

»Sie sehen nicht gerade schlecht aus,« sagte Rose, die spanischen Schönheiten mit kühlen Blicken musternd,, »sie sind nicht ganz so orangegelb, als ich glaubte – aber sie sind in abscheulich theatralischem Styl gekleidet. Finden Sie das nicht auch, Mr. Jones?«

Rose war unter guter Escorte nach dem Casino gekommen; Mr. Jones, der ebenfalls im Hotel Isabella wohnte, an der einen – ihren legitimen Sclaven, d. h. ihren zukünftigen Herrn und Gemahl, an der andern Seite.

»Sie finden diese Geschöpfe hübsch, Capitän Tempel,« fuhr sie zu Roger gewendet fort, »aber was würden Sie dazu sagen, wenn Sie eine Dame, die Sie etwas angeht, irgend eine Engländerin, in kurzem Kleide und mit nackten Schultern an einem öffentlichen Orte tanzen sähen?«

»Die kurzen Kleider lassen reizende Knöchel zum Vorschein kommen, Rose,« entgegnete Roger. »Ich möchte wohl wissen, ob es hier nöthig ist, sich vorstellen zu lassen? Wenn nicht, hätte ich große Lust, mein Glück einmal bei jener kleinen Blonden in rosa Atlas zu versuchen! Oder würdest Du selbst tanzen, Rose?« und flüsternd fügte er hinzu: »Thu' es um der Erinnerung an frühere Zeiten willen. Wir haben seit jener Nacht am Hannover Square – Du erinnerst Dich? – nicht wieder zusammen getanzt.«

Aber Rose hatte seit Jahren das Tanzen aufgegeben. Sie hatte gefunden, daß es mit einem Taillenumfange von zweiundzwanzig Zoll zur physischen Unmöglichkeit wurde, und lehnte es nun aus Gründen der strengsten Moral und der Aesthetik ab.

»Ich tanze aus Grundsatz nicht Walzer, Roger – billige überhaupt die Rundtänze nicht. Ich glaube, es würde sich für eine Frau, welche den Ernst des Lebens kennen gelernt hat, sehr schlecht schicken, wenn sie an so frivolen Vergnügungen theilnehmen wollte. Aber tanzen Sie, bitte, wenn Sie Lust haben. Denken Sie nur an Ihr Vergnügen, nicht an das meinige. Ich hatte geglaubt, wir gingen nur hierher, um zuzusehen. Aber gleichviel, kümmern Sie sich um nichts und gehen Sie nur Ihrem Amusement nach. Ich hoffe, Mr. Jones bleibt inzwischen bei mir und leistet mir Gesellschaft.«

Rose hatte Thränen in den Augen und Roger blieb bei ihr. Das Opfer, welches er ihr brachte, war kein sehr großes. Die kleine Blondine in rosa Atlas war freilich verzweifelt hübsch und blinzelte gerade in dem Moment über ihren Fächer hinweg zu ihm hinüber – aber einem Manne, der die zwölf besten Jahre seines Lebens in Madras zugebracht hat, konnte nicht übermäßig viel daran liegen, bei einem Thermometerstand von achtundneunzig Grad Walzer zu tanzen.

Und es war ja auch besser – Roger sagte sich das täglich ein Dutzend Mal – sich in das Joch, das er einmal gewählt, ganz und auf einmal zu fügen. Der Mann, welcher sich eine Braut von Rose's Alter erkoren, mußte von vornherein darauf gefaßt sein, an den meisten Vergnügungen nur als Zuschauer an ihrer Seite theilzunehmen.

Arme Rose! Und doch – würde das reizende, kleine Wesen ebenso reizend, ebenso liebenswürdig, so durch und durch weiblich gewesen sein, wenn es die Kraft besessen hätte, die Eifersucht abzustreifen? Und war er nicht ein glücklicher Mensch, daß er sie, diese ganze reizende, weibliche Schwäche, wie sie da war, für sich gewonnen hatte?

Aber die allerliebste kleine Frau, welche ihrem Verlobten nicht das Vergnügen eines Walzers gestattete, fand durchaus nichts Böses dabei, sich gelegentlich ein wenig den Hof machen zu lassen. Augustus Jones, ihr ergebener Begleiter und Vasall, stellte ihr im Laufe des Abends einige andere junge Engländer vor, meistens Leute seiner Art, deren Bekanntschaft er an der Table d'hôte des Hotels gemacht hatte; und Rose sah sich bald von einem Kreise von Männern umgeben, denn Franzosen und Spanier drängten sich ebenfalls herbei, um die hübsche, verblühte Engländerin zu sehen, wie sie lächelte und zwitscherte und die Augen mit der wohlberechneten Grazie einer reifen Coquette zu ihren jungen, laut sprechenden Landsleuten aufschlug.

Roger hielt sich fern von diesem Kreise. Tanzen wollte er nicht, da Rose aus höheren moralischen Gründen das Walzen mißbilligte; aber obgleich seine Füße auf diese Weise gefesselt waren, so lagen doch seine Augen nicht in Banden. Roger wollte noch einmal im Leben für einen kurzen Augenblick die Schönheit bewundern! Er näherte sich der hübschen Blondine in rosa Atlas, deren Augen und Fächer ein so coquettes Spiel mit ihm trieben, wie es nur Augen und Fächer einer Spanierin können. Er näherte sich anderen schönen Frauen, blonden und brunetten, erreichte endlich die offene Seite des Saales und trat hinaus, um frische Luft zu schöpfen, vielleicht auch mit dem Gedanken an eine heimliche Cigarre, die sich da draußen unter dem Sternenhimmel rauchen ließe – als er sich plötzlich seiner künftigen Stieftochter gegenüber sah.

»Wie, Belinda, Sie hier im Dunkeln und ohne Begleitung? Ich werde Sie zu Rose führen!«

»Nicht mit meiner Einwilligung, Sir. Ich kam hierher, um dem Tanze zuzusehen, nicht um mich selbst zu zeigen. Bedenken Sie, welches erschrockene Gesicht Rose machen würde, wenn ich so durch den Ballsaal auf sie zukäme,« sagte Belinda, indem sie eine Falte ihres verschlissenen Kleides mit einer Miene emporhob, in der wenigstens ebenso viel Stolz als Bescheidenheit lag.

»Rose ist viel zu gutherzig, um auf Ihr Kleid zu achten,« entgegnete Roger. »Alles, was Rose wünscht, ist, Andere glücklich zu sehen.«

»Hm! Ich sehe, Sie verstehen sich ausgezeichnet auf die Beurtheilung menschlicher Charaktere.«

»Und dann würde Rose Ihnen einige Tänzer vorstellen – ich nehme mit Gewißheit an, daß Sie gerne tanzen. Rose hat da einige junge Männer aus dem Hotel getroffen, die sich nur zu glücklich schätzen würden –«

»Mitleid mit meiner traurigen Lage zu haben, meinen Sie. Ich danke, Capitän Tempel. Glauben Sie wirklich, daß ich mit einem jener Laffen tanzen möchte, die dort mit Rose sprechen?«

»Einer dieser Laffen ist der reiche Mr. Augustus Jones,« sagte Roger, seinen Schnurrbart streichend und sich der Lection über das Stiften von Heiraten erinnernd, welche er vor Tische von Rose empfangen hatte; »ich glaubte, Jones wäre einer Ihrer Bewunderer, Belinda?« fügte er hinzu, indem er fragend in das zu ihm erhobene Gesicht des jungen Mädchens blickte.

»Einer meiner Bewunderer – das hat Ihnen wohl Rose gesagt? Als ob ich mir aus seiner Bewunderung etwas machte! Sehe ich wirklich aus, als ob ich mich um solchen Bettel kümmerte, Capitän Tempel?«

Roger zögerte zu antworten. Sein Herz zog ihn zu diesem armen, vernachlässigten Mädchen in dem schädigen Kleidchen hin, das ihn aus einem Paar sanften Kinderaugen zutraulich anblickte, aber er fand es beim besten Willen schwer, sich gütig gegen Belinda O'Shea zu erweisen, denn jede ihrer Gesten, jeder Ton und Ausspruch schien gegen Gönnerschaft und Theilnahme energisch zu protestiren.

»Mr. Jones tanzt auch keine Rundtänze, das Blut steigt ihm dabei zu Kopf,« fuhr sie spöttisch fort, fügte aber, indem ein sehnsüchtiges Lächeln um ihre Lippen spielte, mit etwas weicherem Tone hinzu: »Ich möchte wohl wissen, ob es Ihnen ebenso geht, Capitän Tempel?«

Roger trug eine Blume im Knopfloch, eine Oleanderblüthe, welche die zarten Finger seiner Verlobten von einem der Bouquets auf der Mittagstafel für ihn gepflückt hatte. Dieser Blume bemächtigte sich Belinda, während sie sprach, mit der ganzen harmlosen Unbefangenheit eines Kindes, roch einen Augenblick daran und steckte sie dann in ihren Gürtel.

»Steigt Ihnen, wenn Sie Walzer tanzen, auch das Blut zu Kopf, Capitän Tempel?« wiederholte sie noch einmal. »Ich möchte so gern einen Walzer tanzen, wenn Sie – wenn Sie wollten?«

»Wenn ich wollte! Gewiß will ich, liebes Kind! Sie hätten das längst sagen können. Hören Sie, da beginnt eben ein Walzer. Wir kommen gerade zur rechten Zeit.«

Roger vergaß Rose und ihre strengen Ansichten in Bezug auf Rundtänze, vergaß Belinda's schlechtes Kleidchen und schlecht gestopften Strümpfe, vergaß Alles, bis auf das sehnsüchtig bittende Kindergesicht vor ihm.

»Einen Walzer, armes Kind – mehr als einen, so viele Walzer als Du willst!« dachte der gutherzige Roger, nahm sie bei der Hand und führte sie muthig unter die Gaslichter und zwischen die Taffet- und Atlaskleider; ja er führte sie geradezu neben das rosa Atlaskleid und den Fächer, deren Eigenthümerin die blauen Augen jetzt gleichgiltig abwendete.

»Ich möchte wohl lieber meinen Hut abnehmen!« rief Belinda, bereit, sich ohne Säumen in den Tanz zu stürzen. »He, Costa, alter Bursche! Paß auf!«

Damit schleuderte sie ihren formlosen Hut dem alten Hunde zu, der seit Roger's Erscheinen auf dem Schauplatz den Verlauf der Dinge mit mißtrauischen Augen überwacht hatte und ihr jetzt mit eifersüchtigen Blicken aus einem Winkel der Thür nachsah. Dann legte sie ihre schmale, braune Hand auf Capitän Tempel's Arm.

»… Ich forderte Sie nur auf, mit mir zu walzen, um Sie zu prüfen,« flüsterte sie ihm zu, nachdem sie zwei- oder dreimal um den Saal herum getanzt hatten. »Ich dachte, ja, ich hoffte selbst, Sie würden sich meiner schämen, und dann hätte ich einen guten Grund gehabt, Sie zu hassen. Aber Sie haben ein besseres Herz, als ich dachte, obgleich Sie –«

»Obgleich ich – nun, liebes Kind, sprechen Sie weiter.«

»Sie sollen mich nicht ›liebes Kind‹ nennen und – und, ich kann nicht sprechen, wenn ich tanze,« entgegnete Belinda ziemlich unlogisch.

»Jedenfalls haben Sie darauf verzichtet, mich zu hassen, nicht wahr?« flüsterte ihr Roger in's Ohr.

Das Schicksal wollte, daß die Beiden, nachdem der Walzer zu Ende war, gerade Rose und ihrem Gefolge gegenüber stehen bleiben mußten, und zum ersten Male im Leben begegnete es Roger, daß er sich auf einer Feigheit ertappte. Ein Zug um die Lippen der rosigen, kleinen Frau, die ihm gehören sollte, ließ ihn zittern, ja zittern; und nur Männer, die keine Liebhaber sind, werden es wagen, in der Leichtfertigkeit ihres Herzens über ihn zu lachen.

»Wie sich Rose ärgert!« sagte Belinda, welche den grausamen Scharfblick ihres Alters im höchsten Grade besaß. »Ich kenne dies Lächeln nur zu gut! So lächelte sie immer, wenn Sie mich schlagen wollte.«

Roger schwieg. Er wußte, daß seine Rose einige wenige Dornen besaß, unschädliche kleine Stacheln, wie Eifersucht, Eitelkeit und dergleichen. Vielleicht konnte man der Liste auch noch einige kleine Launen beifügen – Launen, wie jede echte Frau sie hat – aber weiter mochte der ritterliche Sinn Roger's diese sträfliche Aufzählung nicht einmal mit der Phantasie verfolgen.

Er ließ deshalb das Gespräch fallen und entzog sich noch auf eine Weile der Moralpredigt, die, wie er wußte, seiner harrte, indem er Belinda vorschlug, ein wenig hinaus in's Freie zu gehen. ›Hatte Belinda etwas gegen eine Cigarette einzuwenden? Wenn nicht, so –‹

Belinda – das konnte sich der Capitän ein- für allemal gesagt sein lassen – hatte nicht das Mindeste gegen das Rauchen.

»Und was zahlen Sie in England für den Tabak? Sechzehn Schillinge, also zwanzig Francs für das Pfund? Gut, das nächste Mal, wenn ich nach Irun gehe, werde ich versuchen, am Zollhause vorbeizukommen und Ihnen etwas echten spanischen Tabak in meiner Tasche mitzubringen. – Das Zollamt, die Regierung betrügen? – O, wir hier zu Lande fragen nicht viel nach der Regierung, sondern schmuggeln, so viel wir können und thun es mit großem Vergnügen. Sie sparen wenigstens einen und einen halben Franc am Pfund Tabak und bekommen außerdem ein besseres Blatt.«

Sie traten in's Freie hinaus, wo Costa, der den Hut Belinda's zwischen den Zähnen trug, zu ihnen stieß. Er legte den Hut zu den Füßen seiner kleinen Herrin nieder und schob seine Nase mit einem leisen, halb ungeduldigen, halb freudigen Bellen in ihre Hand, um sich liebkosen zu lassen.

»Dies ist der beste Freund, den ich auf Erden habe,« sagte Belinda. »Er würde Sie im Handumdrehen packen und niederwerfen, wenn ich nur den Finger aufhöbe. Würdest Du das thun, Costa?«

Costa umkreiste bei dieser Anrede gerade verstohlenerweise den neuen Bekannten und beroch nach Hundeart seine Fersen.

»Hier, mein alter Bursche – hier, Costa!« rief Roger, seine Hand nach dem Hunde ausstreckend.

Zu Belinda's nicht geringer Verwunderung kam Costa mit dem Schweife wedelnd langsam herbei und leckte die Hand. Costa acceptirte den Capitän offenbar als Freund, gleichviel, ob seine Herrin den Nachfolger ihres Vaters liebte oder haßte.

Belinda hatte sich noch während des Walzers alle Mühe gegeben, das Letztere zu thun. Auch jetzt rief sie den Hund augenblicklich zu sich.

»Daß Du einem Fremden die Hände lecken würdest, hätte ich von Dir nicht geglaubt, Costa! Kusch Dich – ich will Deine Liebkosungen nicht! – Sie sind übrigens der erste von allen Günstlingen meiner Stiefmutter, mit dem sich Costa abgiebt, Capitän Tempel. Sie sollten nur sehen, wie gründlich er Miß Burke und Mr. Jones haßt.«

»Hunde haben für manche Dinge ein besseres Verständniß, als die Menschen, Belinda. Costa hat Erfahrungen genug gesammelt, um nicht alle in eine Classe zu werfen, wie Sie thun.«

So schlenderten sie mit einander in die Nacht hinein – eine jener köstlichen südlichen Nächte, die so ungleich schöner sind als die Tage, voll balsamischen Duftes, wie ein Sommernachmittag in England; die Luft so klar und durchsichtig, daß sich jeder Gegenstand, auf dem Meere und auf dem Lande, wie aus Silber gemeiselt von dem tiefdunkeln Himmel abhob.

Roger rauchte seine Cigarette und fühlte – was ihm in Damengesellschaft gewöhnlich zu begegnen pflegte – daß sein Herz weich wurde. Belinda ging pfeifend an seiner Seite.

»Wollen Sie meinen Arm nehmen, liebes Kind? Bitte um Entschuldigung – ich werde mich bemühen, künftig Ihren Befehlen besser Folge zu leisten – aber Sie sehen, ich kann es nicht lassen, den Ereignissen vorzugreifen.«

»Den Ereignissen vorzugreifen? Was meinen Sie damit?« rief Belinda, sich lebhaft nach ihm umdrehend. »Wird es je eine Zeit geben, wo Belinda O'Shea und Capitän Tempel so zärtlich, so vertraulich zu einander stehen?«

»O, ich hoffe, das wird geschehen, wenn wir Beide erst unter einem Dache mit einander leben,« entgegnete Roger freundlich. »Ich hoffe, liebe Belinda, daß Sie binnen Kurzem, ja vielleicht schon in wenigen Wochen ganz bei uns bleiben werden. Von Miß Burke's Schutz haben Sie, glaube ich – d. h. ich glaube, Rose denkt so! – von Miß Burke's Schutz scheinen Sie keinen großen Nutzen zu haben, und ich erwarte dann, daß Sie mir erlauben, zu Ihnen zu sprechen, als ob Sie mein eigenes Kind wären, wie zu meiner lieben, kleinen Tochter.«

»Ihre Tochter! Ich bin Niemands Tochter!« rief Belinda lebhaft. »Ich hasse den Klang des Wortes – hasse überhaupt alle Stiefverwandtschaften. Es gab eine Zeit, ja – aber jetzt habe ich Niemand mehr auf Erden, den ich liebe, und brauche auch Niemand! Und was den Plan betrifft, mit Ihnen und Rose zu leben, so ziehe ich bei weitem vor, mit Miß Burke in der Welt herumzuziehen. Wir sind wenigstens nichts für einander, als Miß Burke und Miß O'Shea – wir lieben einander nicht, aber wir machen auch keinen Anspruch darauf. Wir stehen Gott sei Dank in keiner Art von verwandtschaftlichem oder stiefverwandtschaftlichem Verhältniß zu einander.«

Die Bitterkeit dieser Worte und die unterdrückte Leidenschaft in der Kinderstimme rührte Roger's Herz nur noch mehr.

»Aber Sie erlauben mir doch, Ihnen meinen Arm zu bieten, Miß O'Shea?« fragte er.

»Nein, ich danke Ihnen, Capitän Tempel. Ich gehe lieber allein. Wir sind an so feine Manieren nicht gewöhnt, nicht wahr, Costa?«

      »Da auf der ganzen Erdenwelt
      Den Dingen, wie der Creatur
      Das Trinken gar so wohl gefällt,
      So trinken wir, wie die Natur.
Drum schwingt das Glas und stimmet ein,
Der Wein, der Wein! Die Liebe und der Wein!«

Belinda sang den Gassenhauer mit der ganzen Kraft ihrer Lungen und sprang dann mit Costa an dem sandigen Abhange hinab. Als Roger sie ein gutes Stück weiter hin wieder einholte, war der vorherige Ernst ihres Wesens in die wildeste Lustigkeit übergegangen.

»Der Walzer, den wir im Casino mit einander tanzten, war ein herrlicher Spaß, Roger – wenn Sie mich ›liebes Kind‹ nennen, darf ich ja wohl Roger zu Ihnen sagen – ›Stiefpapa Roger‹, nicht wahr? – Und wissen Sie, warum mich die Sache am meisten freut? weil ich weiß, wie sich Rose über meine Espagnottes, meine Strümpfe und über meinen ganzen Aufzug geärgert hat. Ordentliches Tanzen freilich – wenn Sie das sehen wollen, müssen Sie mit mir nach dem Ithurbida-Platz gehen. Dort tanzen die Bauernmädchen Bolero. Es ist nicht weit von hier – man hört deutlich die Tambourins, und ich verspreche, Sie heil und gesund zurückzubringen, Roger. Rose unterhält sich ja inzwischen sehr angenehm mit den jungen Leuten.«

So redete sie ihm zu, während ihr der Mond hell in's Gesicht schien und sich in ihren Augen spiegelte.

Zum ersten Male stieg in Roger der Gedanke auf, daß aus der wilden kleinen Zigeunerin eines Tages ein schönes Mädchen werden könnte.

»Führen Sie mich hin, wohin Sie wollen, Belinda. Ich verlasse mich nicht übermäßig auf Ihren Schutz – aber desto mehr auf den Costa's. Ich bin überzeugt, Costa würde nicht ruhig dabei stehen und zusehen, daß man mich umbrächte.«

»Ach, das beweist mir, wie gut Sie Costa kennen. Ich sagte Ihnen schon vorhin, daß ich Sie für einen vortrefflichen Beurtheiler der Charaktere halte. Dessenungeachtet können Sie ganz ruhig sein. Wenn ich einem meiner Feinde Böses wünschte – bemerken Sie, ich sagte ›wenn‹,« fügte sie in Parenthese hinzu, während ihre Stimme die unbestreitbarste Malice verrieth – »wenn ich meinem schlimmsten Feinde wirklich Böses wünschte, so würde ich ihn immer lieber seinem traurigen Schicksal überlassen, als seinen Qualen mit einem Male ein Ende machen. Aber solche Dinge wollen wir den Spaniern überlassen; wir, Sie und ich, haben damit nichts zu thun. – Welche sentimentale Augen Sie machen, Roger,« fuhr sie fort, indem sie den Blick bemerkte, mit dem er sie ansah. »Sie finden den Platz sehr romantisch, nicht wahr?«

Der Platz war allerdings in seiner Weise romantisch, besonders im Mondenschein, welcher die Natur idealisirt und ihr schmeichelt, wie galante Künstler zu thun pflegen, wenn sie Frauenköpfe malen. Gleich einem Salvator Rosa lag die wilde Landschaft, deren Oede nur hier und da durch ein niedriges weißes Kreuz oder eine dunkle Cypresse unterbrochen wurde, vor Roger's Augen – im Hintergrunde die gleichmäßige, unbewegliche blaue Linie des atlantischen Oceans.

»Sie stehen hier auf einem großen Grabe, Sir,« fuhr Belinda fort. »›St. Jean de Luz ist ein sehr gesunder Ort, außer wenn die Pestilenz drin haust,‹ sagt ein baskisches Sprichwort. Unglücklicherweise ist aber die Pestilenz sehr oft da, und dann begräbt man die Todten nicht zu Zweien oder Dreien, sondern zu Dutzenden, an Stellen, wo sich eben eine Grube graben läßt. Ich werde Rose und Mr. Jones an einem der nächsten schönen Abende hierher führen, werde sie einladen, sich auf einem dieser Hügel niederzulassen, werde sehr begeistert vom Klima und der Aussicht sprechen und ihnen dann sagen, daß sie auf einem Haufen menschlicher Gebeine sitzen – auf Dutzenden von Gerippen! Ich sah erst gestern hier Kinder mit einem Todtenkopfe spielen.«

»Und deshalb lieben Sie natürlich den Platz ganz besonders?« bemerkte Roger. »Bei Ihrem ernsten und melancholischen Charakter war Ihnen der Geschmack gerade zuzutrauen.«

»Besser in Gesellschaft von Todtenköpfen, als in der von Narren!« entgegnete Belinda mit einem Achselzucken. »Vielleicht kommen Sie nach Jahren, wenn Sie die Menschen erst von so verschiedenen Seiten kennen gelernt haben, wie ich, zu derselben Ansicht.«

Belinda schlug einen holperigen, abwärts führenden Pfad, eine Art von Hohlweg ein, der die Beiden nach wenigen Minuten auf die Straße brachte, welche vordem, ehe die Eisenbahn existirte, die Hauptstraße nach Spanien gewesen war, jetzt aber, verödet und vereinsamt, nur selten durch umherstreifende Carlistenbanden, Züge von bepackten Maulthieren oder die Ochsenkarren der Landbewohner belebt wurde. Gerade vor ihnen lag das Gebirge, in seinen Schattenpartien von durchsichtigem, prächtigem Violett, während die mondbeschienenen Höhen und Grate in mattem Alabasterweiß erglänzten. Zwischen ihnen und dem Gebirge lag der schimmernde Fluß und glänzten die Lichter des Städtchens. Vom Ithurbida-Platze, welcher von Oliven und Korkeichen dicht beschattet war, tönte Musik herüber; eine barbarische, nervenerregende Tanzweise, welche den modernen Walzern, die da oben im Casino gespielt wurden, etwa so ähnlich war, wie der Geruch des Moorlandes im September dem Geruche eines Friseurladens.

»Jetzt werden Sie einmal wirkliches Tanzen sehen,« sagte Belinda, indem sie ihre schlanken Arme wie zur Cachuca über den Kopf erhob, während ihre ganze leichte Gestalt von Leben und Musik erfüllt schien. »Tra, la-la, la-la, lira, la lira, la lira!«

Das Orchester bestand aus einem baskischen Tambourin und einem Dudelsack, welche beide Instrumente von alten, in Lumpen gehüllten Frauen gespielt und von den Tänzern ad libitum mit Castagnetten begleitet wurden. Das Corps de ballet bestand aus drei Paar Männern und Frauen, welche sämmtlich der niedersten Volksclasse angehörten. Sie trugen weder Schuhe noch Strümpfe, waren aber sämmtlich Künstler, wenn Originalität und Feuer, im Verein mit der bewundernswürdigsten Fähigkeit des Ausdrucks und der vollendetsten Schönheit der Form, den Künstler ausmacht. Der Baske tanzt wie er schmuggelt, trinkt und spielt – mit Leidenschaft. Geldgierig wie die Franzosen, vergnügungssüchtig wie die Spanier, benützt dieses Volk jeden Moment seines Daseins. Man denke sich, daß der Landmann des Nordens nach einem Sommertage voll Arbeit zu seinem Vergnügen noch bis Mitternacht Cachucas und Fandangos tanzen sollte!

Belinda sah, an Roger's Seite stehend, dem Tanze ruhig zu; aber bei den ersten Tönen des zweiten begannen ihre Füße zu zucken.

»Dies ist der baskische Bolero, der Nationaltanz,« flüsterte sie ihm zu. »Aber die besten Tänzer sind heute Abend nicht da. Sie sollten die Zigeunerinnen sehen, die zu Zeiten der Jahrmärkte aus dem Oberlande herunter kommen, oder« – die kleine Hexe gab sich den Anschein, als schieße ihr der Gedanke eben erst durch den Kopf, als habe sie Roger nicht ausschließlich dazu hierhergeführt – »oder Sie sollten mich sehen. Wollen Sie mich Bolero tanzen sehen, Capitän Tempel?«

»Später einmal, liebes Kind; einmal Abends in Rose's Hotel, wenn –«

»Nein, jetzt gleich! Im Freien, zu wirklicher baskischer Musik, oder niemals! Glauben Sie, ich würde Bolero auf einem Parquetfußboden tanzen, während Rose dabei sitzt, den Kopf schüttelt und beschreibt, wie reizend die jungen Damen bei Miß Ingram die Fußspitzen nach auswärts setzen? Ich tanze jetzt für Sie, Capitän Tempel, oder niemals. Wenn es Ihr Gefühl verletzt, so können Sie sich ja nach einer andern Richtung hin entfernen und thun, als ob Sie nicht zu mir gehörten.«

Dabei schlüpfte die leichte Gestalt zu einer offenen Stelle zwischen den Bäumen, etwa sechs oder acht Yards von dem Haupttanzplatze entfernt, und hier, ohne Partner und stolz wie eine Herzogin, die sich bei Hofe im feierlichen Tacte einer Menuette bewegt, tanzte die Enkelin des Earl of Liskeard ihren Bolero. Belinda besaß die ganze Originalität, die geschmeidige Kraft und die Ausdauer der Eingeborenen; aber sie besaß noch etwas mehr: die seelische Anmuth und Grazie, in welcher die Poesie jedes echten Tanzes besteht, eine Eigenschaft, von deren verführerischem Reiz sie selbst nicht die leiseste Ahnung hatte.

Roger beobachtete sie, soweit sein künstlerischer Sinn dabei in Frage kam, mit Entzücken, während er gleichzeitig ein seltsam quälendes Gefühl empfand. Er hatte zu lange in Indien gelebt, um sich bei diesem Anblick nicht der Bajaderen und ihrer Leistungen zu erinnern, und gleichzeitig traten ihm die tadelnden Anmerkungen Rose's in Bezug auf Belinda mit unangenehmer Schärfe vor die Seele.

Die Eingebornen nahmen, mit dem ihrer Race eigenen Tactgefühl, keine andere Notiz von Belinda, als daß sie ihr zulächelten und zunickten, wenn die Touren des Tanzes sie an ihr vorüberführten. Als der Bolero beendigt war, setzten sie sich auf dem Rasen nieder, die Mädchen neben einander, die Männer ein wenig entfernt von ihnen, und Alle fingen nun an, in ihrer Sprache, jenem Bastard-Sanscrit, zu plaudern, das allein schon wie Musik klingt.

»Nicht wahr, ich tanze ziemlich gut? Ich tanze besser als eine jener feinen, zerbrechlichen Hermione's und Dolores' im Casino, nicht wahr?« rief Belinda gespannt zu Roger aufblickend.

Der Bolero hatte Belinda's ausdrucksvolles Gesicht noch mehr belebt; ihre tiefen, irischen Augen glühten, ihre halboffenen Lippen bebten. Roger entdeckte, daß in seiner künftigen Stieftochter nicht nur das Material zu einem hübschen, sondern zu einem sehr hübschen Mädchen vorhanden war, und vermochte nicht, sich zu der tugendhaften Strenge und zu dem ernsten Verweis aufzuschwingen, welche die Gelegenheit zu fordern schien.

»Sie tanzen zu gut, Belinda – zu gut für diese Gesellschaft, meine ich.«

»Ach, das sind Ihre englischen Vorurtheile, Sir. Mr. Jones sagte mir heute Morgen etwas Aehnliches. Meine ›Gesellschaft‹, wie Sie es nennen, ist wenigstens ebenso gut, wie die Krämer aus Madrid, welche im Casino mittanzen. Wissen Sie nicht, daß die Basken ein Volk von Edlen sind? Die Bettler unter ihnen tragen ihre Lumpen mit einem Anstand, welcher Seife und Wasser als gemein erscheinen läßt; jeder Ochsentreiber hat ein Geschlechtsregister so lang – und er fühlt sich jeder Zoll ein Edelmann und sieht auch so aus.«

»Dann lassen Sie diesen baskischen Adel seine Bolero's unter sich tanzen,« entgegnete Roger. »Ich bin eifersüchtiger Natur, liebes Kind, und es gefällt mir nicht, daß Sie sich und Ihren Tanz den Blicken jedes Fremden preisgeben, der auf der Landstraße vorübergeht.«

Das Blut stieg in Belinda's braune Wangen. Der Tadel, wenn es ein Tadel war, hatte einen Anklang von Zärtlichkeit, die sie so lange entbehrt hatte, einer Zärtlichkeit, die so gefährlich tief und süß in ihr Herz eindrang.

»Nun, tanze ich gut oder nicht?« fragte sie noch einmal. Aber sie schlug zum ersten Male die Augen vor den seinen nieder und spielte ein wenig verlegen mit der Oleanderblüthe in ihrem Gürtel. »Ich führte Sie hierher, weil – o, weil ich Ihnen einen Verdruß, ein Aergerniß bereiten wollte, wie ich Rose und Mr. Jones zuweilen bereite. Aber tanze ich nicht wirklich sehr hübsch – tanze ich nicht wirklich besser als jene Landmädchen?«

»So viel besser, Belinda, daß ich Sie bitten möchte, nie, so lange Sie leben, wieder Bolero oder Cachuca zu tanzen.«

Sie stand einen Augenblick unentschlossen, dann, wendete sie sich ohne ein Wort von ihm ab. Eitelkeit, kindische Siegesfreude und ein brennendes, ihr vollkommen neues Gefühl der Scham kämpften in Belinda's Herzen einen harten Kampf und machten sie stumm.

»Wenn ich nur das Recht hätte, ein Versprechen von Ihnen zu verlangen,« fuhr Roger fort, indem er sich einer ihrer Hände bemächtigte und sie mit warmer Herzlichkeit drückte.

»Aber Sie haben nicht das Recht – Sie haben es ebenso wenig, wie es Mr. Augustus Jones hat!« rief sie, ihm mit Heftigkeit ihre Hand entziehend und in ein lautes Gelächter ausbrechend. »Augustus hätte mich vielleicht bestechen können, wenn er für einen Franc Macaronen daran gewendet hätte. Aber Sie – Sie! Sparen Sie Ihre Eifersucht, Capitän Tempel, bis zu der Zeit, wo Rose mit den Bauern Bolero tanzt. Was mich betrifft:

»Drum schwingt das Glas und stimmet ein:
Der Wein, der Wein! Die Liebe und der Wein!«

Belinda sang das Lied womöglich mit noch mehr Feuer als sonst, und verschwand, die Pas des Bolero wiederholend, im Schatten der Oliven. Capitän Tempel holte sie erst in der Nähe des Casinos wieder ein.

Mrs. O'Shea, welche mit Mr. Augustus Jones auf der Terrasse die Sterne bewunderte, empfing die Beiden mit honigsüßem Lächeln. Bewunderung wirkte auf Rose's inneres Wesen wie Wein; und sie war diesen Abend viel bewundert worden – wenigstens hatte man sie viel angesehen, was für sie dasselbe sagen wollte. Wenn man ein gewisses Alter erreicht hat, thut man ja am klügsten, jede Aufmerksamkeit zu acceptiren, wie sie geboten wird, ohne sie allzu genau auf ihren Inhalt zu prüfen.

»O, Ihr bösen, unartigen Kinder!« sagte sie, indem sie ihren Arm unter den Roger's schob. »Wir haben Euch überall gesucht. Wie schön Ihr zusammen getanzt habt! Ich freute mich so, Capitän Tempel mit Dir tanzen zu sehen, Belinda! Aber ich fürchte, es tanzt sich in diesen abscheulichen Sandalen recht unbequem, Liebe!«

Belinda's sensitive Ohren hörten das verborgene Gift, den unterdrückten Aerger aus diesen Worten heraus – aber Roger vernahm nichts als den sanften Ton der Stimme, fühlte nichts, als den Druck der weichen Hand auf seinem Arme und segnete ihre Unwissenheit. Geliebte, schüchterne Rose! Wie bezaubernd diese echt weiblichen Frauen doch sind, trotz des etwas läppischen, tändelnden Wesens. Die herbe Sprödigkeit einer kleinen Halbbarbarin, wie Belinda, mag gelegentlich Wohlgefallen erregen, wie man ja auch dann und wann Xeres und bitteren Branntwein wohlschmeckend findet – aber für den täglichen Gebrauch, Morgens, Mittags und Abends, geht nichts über ein gesundes Tischbier – ein Tischbier mit der Andeutung eines Stiches in's Sauere.

»Die Aussicht von hier aus ist nicht die schlechteste,« begann Mr. Augustus Jones, mit möglichst unbefangener Miene an seinen Manschetten zupfend. »Zur Rechten haben wir hier die Ruinen von St. Barbara, welche noch die Spuren der englischen Kanonen vom Jahre Dreizehn tragen; zur Linken die spanische Küste, während sich hier im Vordergrunde –«

»Der dunkle Kirchthurm von St. Jean de Luz erhebt,« fiel Belinda ein, indem sie des armen Burschen Sprache bewundernswürdig nachäffte, »das geheiligte Bauwerk, in welchem Ludwig XIV. im Jahre des Heils 1660 mit Maria Theresia, Infantin von Spanien, feierlich vermählt wurde! Wie lange wird es noch dauern, bis Sie Ihr großes Reisewerk herausgeben, Mr. Jones? Es wäre wahrhaftig schade, wenn so werthvolle Studien verloren gingen.«

»Belinda – liebe Belinda, wie kannst Du nur so sein!« sagte Rose in verweisendem Tone. »Aber lassen Sie sich nicht von ihr irre machen, Mr. Jones. Ich bin überzeugt, was Sie uns erzählen wollten, ist sehr interessant. Der arme Ludwig XIV. und die arme Marie Antoinette! Wir lassen die Geschichte des Krieges in Spanien bei Miß Ingram. Belinda ist solch' ein Spottvogel! Und hat es nicht etwas beinahe Romanhaftes, lieber Roger, daß wir uns hier so nahe an der spanischen Grenze befinden?«

Das war Rose's Conversationsstyl in's Orthographische übersetzt; das inhaltloseste Geschwätz, welches aber nicht verfehlt, im Munde einer hübschen Frau – die dabei ihre Augen spielen läßt und bald leise kichernd hinter ihrem Taschentuch verschwindet, bald ihre Hand sanft auf den Arm ihres Begleiters drückt – einen gewissen Zauber auf den überlegenen männlichen Geist auszuüben.

»Ja wirklich, liebe Rose!« entgegnete Roger, der für das kindliche Geplauder seiner Verlobten stets dieselbe unschädliche, nichtssagende Antwort bereit hielt.

Augustus, der, wie andere unglückliche junge Männer seiner Classe, Schweigen für ein Zeichen mangelhafter Bildung hielt, machte abermals den Versuch, ein Gesprächsthema auf's Tapet zu bringen!

›Was glaubte wohl Capitän Tempel – wie viele Personen konnten wohl, seiner Schätzung nach, in dem Casino hier Platz finden?‹

Augustus vermuthete, daß Roger ihn nicht leiden konnte – er selbst war sich seiner Abneigung gegen Capitän Tempel voll bewußt und trat von einem Fuß auf den andern und beschäftigte sich eifrig mit seinen Handschuhknöpfchen (Augustus Jones trug bei den Casinobällen hellgelbe Handschuhe!), während er die Frage stellte.

»Wie viele Personen in dem Casino Platz finden können? Wirklich, davon habe ich nicht die leiseste Ahnung, Mr. Jones,« entgegnete Roger, der ein vortrefflicher und liebenswürdiger Gesellschafter für Diejenigen war, die ihn kannten und die er gern hatte, gegen Menschen wie Augustus Jones aber eine unüberwindliche Abneigung hegte und dieselbe nicht zu verbergen vermochte. »Ich habe mich mit solchen Fragen nie beschäftigt. Belinda, können Sie vielleicht Mr. Jones sagen, für wie viele Personen das hiesige Casino Raum bietet?«

»Nein, dazu bin ich nicht im Stande,« erwiderte Belinda mit ihrer gewöhnlichen, vernichtenden Schonungslosigkeit. »Solche Fragen kann auch nur Jemand stellen, der Material zu einem Reisehandbuche sammelt. Wenn Sie dagegen etwas über das da drinnen versammelte Publicum selbst zu wissen wünschen, Mr. Jones, so kann ich Ihnen jede Auskunft geben.«

»Geben Sie uns die Auskunft jedenfalls,« sagte Roger Tempel, indem er, trotz eines kleinen unwilligen Druckes von Rose's Fingern, dem jungen Mädchen näher trat. »Fangen Sie einmal mit der kleinen Dame in rosa Atlas an. Ich meine die da drüben, die über ihren Fächer hinweg den Herrn mit dem furchtbaren Schnurrbart so scharf fixirt. Wissen Sie etwas von ihr?«

»Ob ich etwas von ihr weiß? Ich denke wohl! Auch von dem Manne mit dem Schnurrbarte weiß ich Allerlei. Beide sind von Burgos und …«

Und nun folgte eine Erzählung, welche Rose, die überscrupulöse, überanständige Rose, mit anhören mußte! Und der ersten Geschichte folgten ein Dutzend andere ähnlicher Art. Beständig in der Gesellschaft von Straßenjungen, die jünger waren als sie, hatte Belinda alle Scandalgeschichten des Badeortes aufgelesen, wie Straßenjungen es thun, und erzählte die Einzelheiten ohne jede Anwandlung von Verlegenheit.

Und sie erzählte sehr gut, dramatisirte hier und da eine Scene, wobei sie es an drastischer Mimik nicht fehlen ließ, und führte ihrem Auditorium alle Charaktere in scharfer, lebendiger Zeichnung vor,

»Jetzt haben wir genug, und mehr als genug Scandal gehört,« rief Rose endlich. »Mir vergeht der Athem, Belinda. Dies mögen die Sitten ausländischer Badeorte sein, mit solchen Dingen mag man sich im Auslande unterhalten, in England sind sie kein Gesprächsthema für Damen. Ich hatte als junges Mädchen keinen Begriff von solchen schlimmen Dingen!«

»Dann mußt Du ja ein recht schwaches Begriffsvermögen gehabt haben, liebe Rose,« bemerkte Belinda in liebevollem Tone. »Das war wohl damals, in jenen unschuldigen Tagen, als Du Capitän Tempel kennen lerntest?«

Unter diesem Hohne zuckte selbst Roger zusammen. Die unschuldigen Tage – als er am Käfig des Hyppopotamus dem jungen Weibe des alten Shelmadeane seine heiße Leidenschaft gestand!

»Sie sind heute Abend etwas herbe, Belinda,« bemerkte er kühl. »Sie machen keinen Unterschied zwischen Freund und Feind.« Und sich dann zu der Wittwe niederbeugend, fuhr er leise, aber doch nicht so leise fort, daß Belinda nicht jede im zärtlichsten Tone geflüsterte Sylbe verstanden hätte: »Wird es Dir nach den Anstrengungen der Reise nicht zu spät hier draußen? Ich werde Dich nach dem Hotel zurückbringen, Theuerste. Du siehst blaß aus.«

»Aber Belinda!« rief Rose großmüthig, indem sie einen scheinbaren Versuch machte, den Arm ihres Verlobten loszulassen. »Denken Sie nicht an mich, Roger – Belinda muß erst nach Hause gebracht werden.«

»Ich danke Dir, Rose!« rief das junge Mädchen. »Wenn sich Belinda in den letzten vier Jahren allein heim fand (wenn sie nur ein Daheim gehabt hätte!), so wird sie heute wahrscheinlich ebenfalls dazu im Stande sein!«

»Wenn – wenn Sie mir erlauben wollten …« fiel Mr. Jones ein, indem er, dem Winke Rose's folgend, näher trat. »Es ist zu spät, Miß O'Shea, um ohne Begleitung durch die Straßen gehen zu können.«

»O, Miß O'Shea hat Costa zum Begleiter!« rief Belinda mit ihrer gewöhnlichen kecken Unabhängigkeit, aber als sie plötzlich bemerkte, daß Roger Tempel ihr Gesicht aufmerksam beobachtete, schoß ihr ein neuer boshafter Gedanke durch den Kopf. »Miß O'Shea hat zwar Costa zum Begleiter, wird Ihnen, Mr. Jones, aber heute wie immer für Ihren Schutz dankbar sein!« fügte sie hinzu, indem sie Jones mit den Lippen zulächelte, während ihre Augen ihn verspotteten und lächerlich machten.

»… Sie werden sehen, Roger, das giebt ein Paar!« sagte Rose, als sich die beiden Gestalten im Mondenschein entfernten. »Ich bin Ihnen so verpflichtet, daß Sie Belinda heute Abend beschäftigten und ferne hielten; ich hatte ein langes Gespräch mit Mr. Jones und bin überzeugt, er meint es ernstlich. Ja, was mehr ist, Roger, ich glaube mit Bestimmtheit, daß ihn Belinda trotz ihres phantastischen Wesens nehmen wird. Meine einzige Besorgniß ist, daß er sie zu entgegenkommend findet und daran Anstoß nimmt. Welches junge Mädchen sagt denn einem heiratsfähigen Manne, sie würde ihm › heute wie immer‹ für seinen Schutz dankbar sein!«

»Du mußt Ihr Alter bedenken, Rose, darfst nicht jedes Wort, das ein solcher Kindskopf sagt, auf die Goldwage legen.«

»Ich kann die Reden und Handlungen der Leute nicht anders verstehen, als sie sind,« entgegnete Rose, die nichts in der Welt begriff, was über ihren eigenen Horizont hinausging. »Außerdem darfst Du nicht vergessen, daß sie von der Familie Vansitart abstammt und die Töchter gewöhnlich den Müttern nachschlagen.« So stolz die Wittwe Cornelius O'Shea's auch auf die Verwandtschaft sein mochte, konnte sie sich doch nicht versagen, bei jeder Gelegenheit einen Stein auf Lady Elisabeth's Grab zu werfen. »Wir Alle wissen, in welchem Rufe die Frauen jener Familie stehen«

»Sie stehen, wie ich hörte, in dem Rufe ungewöhnlicher Schönheit,« sagte Roger im unschuldigsten Tone.

»Sie hat seinen Arm angenommen! Als wir junge Mädchen waren, hätten wir das auf keinen Fall gethan, ehe die Verlobung erklärt war. Belinda läßt sich von Mr. Jones führen – sehen Sie es, Roger?«

»Ja, ja – ich sehe es!« entgegnete Roger Tempel mit einem Anfluge von Ungeduld. Seltsamer Widerspruch – wenn man in dem Verhältnisse der beiden Geschlechter zu einander irgend einen Widerspruch seltsam finden darf – Rose's Liebhaber erlag in dem Augenblicke einer schmerzlichen Regung der Eifersucht!

»Du könntest wissen, liebe Rose, daß Mädchen von siebenzehn Jahren jedem jungen Manne entgegenkommen, der ihnen Kutschpferde und Diamanten zu Füßen zu legen vermag.«

»Und Belinda vor Allen,« fügte Rose mit einem ihrer reizendsten Seufzer hinzu. »Die pecuniären Interessen für die Liebe zu opfern, wie wir thaten, ist bei unseren jungen Mädchen ganz und gar aus der Mode gekommen.«

Roger dachte an Mr. Shelmadeane und schwieg.



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