Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Capitel.
Leicht vermählt und leicht verwitwet.

S t. Jean de Luz war allmälig aus seiner Mittagsruhe erwacht, und eine Stunde später, bei Ankunft des Pariser Zuges, war jedes Plätzchen, jedes Winkelchen der hübschen, kleinen Baskenstadt voll Farbe und Leben.

Castilianische Ammen in dem lustigen, rothen, mit silbernen Knöpfen besetzten Mieder, das ihren Stand bezeichnet, trugen Kinder mit bräunlichen Gesichtern auf dem Platze spazieren; Wasserverkäufer drängten sich mit dem singenden Rufe: » Agua! quien quieri agua!« durch die Straße; unter den Zeltdächern der verschiedenen Kaffeehäuser saßen Männer, die vor dem Essen ihre letzte Cigarre rauchten, und auf den Balconen blinzelten die jüngern Schönheiten hinter ihren Fächern hervor, während die ältern mit ihrem ewigen Tresillo zu thun hatten. Kurz die drei Hauptaufgaben des spanischen Lebens: Rauchen, Kokettiren und Kartenspielen waren in vollem Gange.

St. Jean de Luz sieht auf der Höhe seiner kurzen Badesaison überhaupt so spanisch aus, wie nur irgend eine Stadt der Halbinsel, denn die Eingeborenen pflegen sich, wie Mäuse, in Kellern und Bodenkammern zu verkriechen, so lange sie für ihre ersten und zweiten Etagen gute spanische Thaler erhalten.

Mit dem Schlage Sechs fuhr eine Kutsche mit jenem besonderen Peitschengeknall, das die Ankunft neuer zu rupfender Gäste anzeigt, am »Grand Hotel Isabella« vor. Kellner, Stubenmädchen, der Wirth selbst, stürzten herbei, um unter ehrfurchtsvollen Begrüßungen ihre Beute in Sicherheit zu bringen, und aus dem Wagen stieg eine Eleganz ersten Ranges – englischer Race und jenem Geschlecht angehörig, dessen Hilflosigkeit seinen besonderen Reiz ausmacht. Der höhere Toilettenkenner würde sofort entdeckt haben, daß dies Wunder in sogenannte »leichte Trauer« gehüllt war, während für ein ungeschultes Auge in der geschmackvollen Zusammenstellung von Weiß und Lila keine Hindeutung auf ein anderes trauriges Ereigniß lag, als auf die Verzweiflung der Frauen, die vor Neid starben, und die vollständige Niederlage und Vernichtung der Männer, welche dies Kunstwerk erblickten.

» Mes baggages, où est mes baggages?« lispelte eine Stimme in jener seltsamen Sprache, die in überseeischen Kostschulen für Französisch gehalten wird, in Frankreich aber völlig unverständlich ist. » Dix bagagges tout adressé und ein Stückchen blaues Band an jedem Stück. Dix … zehn … o, würde nicht irgend Jemand so gut sein, es den Leuten verständlich zu machen? Dix …« und sie hielt zehn hilflose Finger in lavendelfarbenen Handschuhen in die Höhe. »Wirklich, Spencer, Sie sollten sich doch etwas nützlich zu machen suchen!«

Auf dies Verlangen entstieg eine anderweitige Eleganz, aber zweiten Ranges, eine schwache Copie der ersten – leichte Seide statt der schweren Stoffe – langsam und nachlässig dem Wagen. Auch sie war von bewundernswürdigster Hilflosigkeit, auch sie sprach in einem außerhalb der Grenzen Englands völlig unverständlichen Idiom – in jenem Kauderwälsch, welches gewöhnlich die Kammerkätzchen sprechen, die in den Blättern ankündigen, daß sie dreier Sprachen mächtig und bereit sind, sich während einer Reise auf dem Continent jeder nicht erniedrigenden Arbeit zu unterziehen.

Die Beiden wendeten sich an den Wirth, an die Kellner, an den Kutscher – Keiner verstand sie und sie verstanden Keinen.

»Wenn ich nur Belinda her bestellt hätte,« seufzte die Dame. »Spencer, wenn Sie nur die mindeste Rücksicht für mich hätten, mußten Sie mich erinnern, an Miß O'Shea zu telegraphiren.«

Kaum waren diese Worte ihren Lippen entflohen, als sich ein Trupp englischer und französischer Jungen die Straße herunter drängte – zigeunerhaft aussehende, größtentheils barfüßige Buben von elf bis vierzehn Jahren, mit Schisteras in den Händen. Bei dem Namen Belinda blieb der Anführer der Schaar stehen und nickte seinem Hintermann zu. Alle machten Halt und starrten die Fremden an.

Endlich ließ der Eine von ihnen einen bedeutungsvollen Pfiff erschallen und im nächsten Augenblicke erschien Belinda auf dem Schauplatze. Ihr zerdrückter Hut hatte seit den zwei Stunden, da wir sie zum ersten Male erblickten, augenscheinlich noch einige Brüche und Beulen mehr bekommen, ihr Antlitz war von Anstrengung und Siegesfreude geröthet und ihre Espadrillas waren so zerrissen und zerfetzt, daß es geradezu wunderbar erschien, wenn sie noch an den Füßen halten konnten.

Auch Belinda hatte, wie ihre Gefährten, die Schistera in der Hand, und hinter ihr schritt Costa, der sich im Staube gewälzt hatte und unreputirlicher aussah, als je. Belinda kam fröhlich pfeifend daher. Sie hatte sowohl Mr. Jones und ihren Streit mit ihm, wie den Brief ihrer Stiefmutter und deren angedrohtes Kommen vergessen und war nur mit dem Gedanken an die Spielpartie beschäftigt, die sie eben gewonnen, als plötzlich unsere Eleganz Numero Eins das junge Mädchen zu Gesicht bekam, sie einen Moment anstarrte und erschreckend ausrief:

»Wie, Belinda … ist's möglich … das bist Du!«

»Wie Rose, schon angekommen?«

»Wie schmutzig sie aussieht!« dachte Rose.

»Wie geschminkt sie ist!« sagte beinahe laut Belinda.

Und dann küßten sich die Beiden zum höchsten Ergötzen der Kameraden Belinda's, die sicherlich nie eine ähnliche weibliche Zärtlichkeit von ihrer Spielgefährtin gesehen hatten.

»Du … Du bist größer geworden, wie es mir scheint?« sagte Rose, während sie die zerrissenen, staubbedeckten Kleider des jungen Mädchens mit entsetzten Blicken betrachtete, und sich mit aller Scham, deren ihre kleinliche Seele fähig war, erinnerte, daß ihre Kammerjungfer sich derselben Betrachtung hingab. »Und Du bist sehr von der Sonne verbrannt … wirklich sehr verbrannt, Belinda;« fügte sie dann hinzu.

»Das glaube ich gern! Aber wenn Du bei solcher Sonnengluth Ball geschlagen hättest, wärst Du ebenso verbrannt. – Wo ist denn Deine Kammerjungfer? Du wirst doch nicht den ganzen Weg von Brompton nach St. Jean de Luz allein gemacht haben?«

Bei diesen Worten warf Rose einen Seitenblick auf ihre pomphafte Abigail und flüsterte Belinda zu:

»Da ist sie … und es ist das unbrauchbarste, unerträglichste Geschöpf auf Erden. Aber da sie von Lady Harriet Howes zu mir gekommen ist – es war eine besondere Gefälligkeit, daß die Dame sie mir überließ – mag ich sie nicht wegschicken. Es ist ein so unschätzbarer Vortheil,« fügte sie in klagendem Tone hinzu, »ein Mädchen zu haben, das in einem vornehmen Hause gedient hat. Das begreifst Du doch?«

»Das begreife ich!« wiederholte Belinda mit ihrem spöttischen Gassenbubenlachen. »Ich bin ganz dazu gemacht, mich auf feine Damen und ihre Kammerjungfern zu verstehen, nicht wahr? … Aber ist's möglich, Rose, daß Du mit diesem prächtig gekleideten Frauenzimmer durch ganz Frankreich gereist bist, ohne daß man Euch entführt hat?«

»Ich … ich bin nicht immer ohne Schutz gereist;« entgegnete die Wittwe mit leichtem Erröthen.

Belinda dachte, sie müsse sich in Betreff des Schminkens doch wohl geirrt haben. Sie wußte noch nicht, daß es Frauen giebt, die sich auf Schminken und Erröthen zugleich verstehen.

»Ich war so glücklich, in Paris einen alten, sehr lieben Freund zu treffen, der mich eine Strecke weit begleitet hat und den ich auch in Bordeaux wiederfand. Ein seltsamer Zufall, nicht wahr?«

Bei diesen Worten legte Rose ihre volle Hand mit mädchenhafter Zutraulichkeit auf den hagern Arm Belinda's.

»Aber ich habe Dir noch andere interessante Dinge mitzutheilen, wenn wir allein sind. Mes baggages,« wendete sie sich abermals an den würdevollen baskischen Kutscher, der mit der Miene eines Fürsten und der Mütze auf dem Kopfe neben ihr stand und auf Bezahlung wartete.

»Belinda, willst Du diesem Wilden einmal deutlich machen, daß ich mein Gepäck verlange!« fuhr Rose fort. »Mein Französisch muß doch besser sein, als das vieler Anderer, denn ich habe zwei Semester hinter einander bei Miß Ingram den Preis dafür bekommen und meine arme Mama weinte, weil ich mich zu einem wahren Schatten abgearbeitet hatte. Aber die Franzosen sprechen mit so eigenthümlichem Accent, daß man sie wirklich nicht verstehen kann. Sag' ihm, bitte, daß es zehn große Koffer sind, jeder mit einem blauen Bande bezeichnet, und … ach, der gräßliche Hund! … Man soll den gräßlichen Hund wegjagen!«

Costa hatte die beiden Ankömmlinge, Herrin und Dienerin, in Augenschein genommen und drückte sein Mißfallen durch ein kurzes, rauhes Gebell aus.

»Ich glaubte, daß alle Hunde in Frankreich Maulkörbe tragen müßten,« fuhr Rose im kläglichsten Tone fort. »Spencer, Spencer, stellen Sie sich zwischen mich und das Ungethüm!«

Es dauerte lange, ehe man Rose begreiflich machen konnte, daß ihre kostbaren Koffer, gleich denen anderer Leute, mit dem Hotel-Omnibus kommen würden und als es sich dann darum handelte, die nöthigen Zimmer für sie auszusuchen, erhoben sich neue Schwierigkeiten.

Sie mußte durchaus ein Schlafzimmer haben, das mit dem Wohnzimmer in Verbindung stand, und dies Wohnzimmer mußte mit einem Balcon versehen sein, der von Blumen bedeckt war. Das Schlafzimmer mußte in der Nähe der Schlafzimmer anderer Leute liegen, für den Fall, daß Feuer entstünde, aber doch nicht allzunahe, weil es Leute giebt, die im Schlafe sprechen. Und Spencer mußte in derselben Etage logiren – und war es nicht möglich, zu erfahren, wer zuletzt in diesen Zimmern geschlafen hatte? Konnte Belinda den Leuten im Hause nicht vielleicht einen Eid abverlangen, daß im Laufe des Sommers keiner der Gäste die Blattern gehabt hatte?

»Einen Eid – o, ein Baske wird Dir jeden Eid schwören, den Du verlangst!« rief das boshafte junge Mädchen. »Natürlich haben diesen Sommer hier so viele Blatternkranke logirt, wie in jedem andern Hotel der Stadt; aber was kommt darauf an, Rose? Du wirst bis morgen früh ebenso von den Mosquitos zerstochen sein, wie unser Freund Augustus … Du wirst Dich im Spiegel nicht wiedererkennen … auf einige Blatternarben mehr oder weniger kommt also gar nichts an.«

Rose's schreckensstarre Augen füllten sich mit Thränen, aber sie mußte mit diesem Troste vorlieb nehmen.

»Wenn ich nur wüßte, wohin alle diese fürchterlichen Thüren führen?« seufzte sie, indem sie sich mit der reizendsten Aengstlichkeit umsah, während Spencer mit hoch erhobener Nase ihre eigenen Gemächer in Augenschein nahm. »Ich habe so schreckliche Geschichten gehört über das, was in fremden Hotels vorzugehen pflegt … Es hat ja Alles in den Zeitungen gestanden. Judasthüren nennt man sie, wenn ich nicht irre – und die Art und Weise, wie Einen die Franzosen auf der Straße anstarren, ist wirklich genug … Ich versichere Dich, daß mich nichts in der Welt jemals wieder dazu bringen könnte, allein auf dem Continente zu reisen.«

Mit diesen Worten trat sie erschöpft vor den Spiegel, nahm den Schleier ab und begann ihr zartes, weißes und rosiges Gesicht mit dem Battisttuch abzustäuben.

Belinda würde unter denselben Umständen ihre sonnenverbrannte Haut abgerieben haben, wie ein Hausmädchen Mahagonimöbel abreibt – aber elegante Frauen haben keine Haut, sondern einen Teint, und Rose behandelte den ihrigen vorsichtig und zärtlich, wie ja auch der Kunstkenner, und zwar nicht ohne Grund, eine feine Emaille oder irgend ein anderes leicht verletzliches Kunstproduct behandelt.

»Ich bin inzwischen eine alte Frau geworden … nicht wahr?« rief Rose mit einem sanften Lächeln und wendete dann ihr Gesicht, Bewunderung heischend, dem jungen Mädchen zu. »Ich bin überzeugt, daß Du mich nicht erkannt hättest, wenn wir uns unvermuthet auf der Straße begegnet wären. Sag' mir die Wahrheit, liebes Kind, ich hasse alle Schmeicheleien!«

Rose war in dieser Periode ihres Erdenlebens dem vierzigsten Jahre so nahe gekommen, als dies einer hübschen Frau nur irgend möglich ist. Aber wenn das reizende französische Sprichwort, daß ein Weib nur so alt ist, als es zu sein scheint, auf Wahrheit beruht, so könnten wir Rose – natürlich erst wenn die künstlerische Arbeit des Tages vollendet war – etwa auf neunundzwanzig Jahre schätzen.

Eigene Sorgen drückten dieser behaglichen, silberzüngigen, bezaubernden Wittwe nicht das Herz, und die Sorgen Anderer brachten selbstverständlich noch weniger Eindruck auf sie hervor. Darum hatte sie auch keine Runzeln. Die Linien, welche leidenschaftliche Liebe, tiefer Kummer, starke Gefühle irgend welcher Art in ein Menschenantlitz eingraben, fehlten auf dem ihrigen ganz und gar. Runde Wangen, die sich, wenn sie lächelte, wie die eines Kindes mit Grübchen schmückten, große, weit geöffnete Augen, von jenem immer gleichen Hellbraun, das oft mit hellblonden Wimpern und Brauen vereinigt ist; die reizendste, unbedeutendste, kleine Nase, die es je gegeben, und ein Mund, der vielleicht nicht von Natur durchaus lieblich war, aber zu einer beständigen künstlichen Freundlichkeit in Wort und Lächeln erzogen wurde. So war Rose!

Ihr Haar, das einst die matteste Flachsfarbe gehabt, war jetzt so goldglänzend, wie es nur irgend durch chemische Hilfsmittel zu werden vermochte, und dazu ein wahres Wunder von Fülle: die herrlichsten Puffscheitel und Flechten, die überraschendsten, anmuthig vorquellenden Löckchen, die Belinda an die alten Tage in dem ärmlichen Quartier zu London erinnerten, wo sie mit müden Fingern dies Haar glätten, flechten und in Locken ordnen mußte.

Rose's Figur war voll und würde es vielleicht etwas zu viel gewesen sein, ohne den qualvollen Beistand der Corsetmacherin und Rose's heldenmüthigen Entschluß, ihrer Taille nie mehr als zweiundzwanzig Zoll Umfang zu gestatten. Ihre von Natur schönen Farben waren durch Kunst und Sorgfalt verbessert – mit einem Worte, Rose hatte einen Teint und keine Haut – was soll ich noch weiter sagen?

Belinda betrachtete sie mit Augen, die alle Emaille, allen Poudre de riz durchdrangen.

»Wir Alle werden nicht jünger, Rose, Du so wenig wie Andere,« sagte sie endlich. »Aber Du siehst frisch und wohl aus. Nur wundere ich mich, Dich nicht mehr in Trauer zu finden,« fügte sie mit einem kalten Blick auf das Weiß und Lila hinzu, das ihre Stiefmutter schmückte. »Ist Onkel Robert seit acht oder zehn Wochen todt? Ich weiß es wirklich nicht mehr genau.«

»Acht Wochen? Aber liebste Belinda, wie kannst Du so vergeßlich sein!« rief Rose, von der wir, um ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sagen müssen, daß sie um Vieles freundlicher gegen Belinda gesinnt war, als diese gegen sie. Das Leben war gerade jetzt für die Wittwe Cornelius O'Shea's so angenehm wie nur möglich. Der gute Onkel Robert war so zur rechten Zeit in eine bessere Welt abgerufen worden; sein Testament erfüllte Alles, was von der überlebenden Verwandten nur irgend gewünscht und erwartet werden konnte; es lag noch immer in ihrer Hand, reizend auszusehen; und die Krone von dem Allem war: ein junger Anbeter von guter Familie.

Wie hätte Rose anders als liebenswürdig sein können, noch dazu, nachdem sie sich überzeugt, zu welcher unglücklichen Reizlosigkeit sich ihre arme, kleine Stieftochter entwickelte!

»Onkel Robert ist schon über drei Monate todt,« fuhr sie fort, »und ich bin in Halbtrauer. Die Putzmacherin behauptete, es wäre lächerlich, so lange zu trauern, und ich erinnere mich genau, daß Lady Harriet sechs Wochen nach dem Tode der alten Miß Howe schon wieder Roth trug. Aber ich … ich weiß, welchen Freund ich verloren habe! In meinen Briefen konnte ich natürlich nicht von so delicaten Sachen sprechen, aber sagen will ich Dir, Belinda, daß mir Onkel Robert Alles ohne jede Ausnahme vermacht hat. Geld, Haus, Silberzeug – Alles! Ich will nur hoffen, daß es mir gelingt« – hier schlug Rose die Augen zum Himmel empor – »daß es mir gelingt, von dem, was mir anvertraut ist, den rechten Gebrauch zu machen.«

Belinda's Gesicht nahm einen harten, kalten Ausdruck an. Das junge Mädchen konnte nicht vergessen, durch wessen Tod Rose's Reichthum erkauft war.

»So bist Du wohl recht glücklich, Rose, nicht wahr? Im Augenblick weiß ich wirklich nicht die rechten Worte zu finden, um Dir zu gratuliren … Was sind nun Deine Pläne für die Zukunft? Willst Du das große Haus in Brompton ganz allein bewohnen?«

Mrs. O'Shea schlug die Augen nieder. »Ich … ich habe Dir viel zu erzählen, Belinda, wie ich Dir schon in meinem Briefe andeutete. Aber wenn ich Dir meine kleine Geschichte mitgetheilt haben werde, bin ich überzeugt, daß Du für mich und meine Lage Theilnahme fühlst. Es ist die Elegie von zwei jungen Menschenleben,« fuhr sie in schüchternem, entschuldigendem Tone fort, »von einer Liebe, die der Pflicht zum Opfer gebracht wurde, von einem Herzen, das zwölf Jahre hindurch langsam gebrochen ist … Belinda, liebes Kind, Du hast gewiß … ja Du mußt von Roger Tempel gehört haben?«

Aber Belinda kam der verlegenen Beichte der Wittwe nicht durch ein Wort, nicht durch einen Blick zu Hilfe.

»Ich glaube wohl, daß ich irgendwo diesen Namen gehört habe,« antwortete sie mit der kältesten Gleichgiltigkeit. »Ich glaube fast, daß Dein Freund, Mr. Jones, von ihm gesprochen hat … aber ich gebe wenig Acht auf das, was Mr. Jones sagt.«

»Belinda, als wir Beide noch jung waren – ich hoffe, daß der Tag kommen wird, wo Du für solche Schmerzen und Kämpfe Anderer mehr Theilnahme fühlst! – als wir Beide jung waren, lernten wir uns kennen und Roger Tempel liebte mich …«

Tödtliches Schweigen. Die verlegene Wittwe glättete die Falten ihres Seidenkleides mit den weißen Fingern, während Belinda's hagere Gestalt mit über der Brust gekreuzten Armen aufrecht am Fenster stand und ihr Mund und ihr Auge ungefähr so viel Theilnahme verriethen, als wären sie in Granit gehauen.

»Er liebte mich … zu viel für seinen eigenen Frieden, aber die Pflicht stand zwischen uns und wir trennten uns,« fuhr Rose noch verlegener fort, »das Schicksal war hart gegen uns Beide. Und nun … Belinda … muß ich noch mehr sagen?«

»Bitte, sag' Alles, wenn Du willst, daß ich Dich verstehe.«

»Roger Tempel hat mich gebeten, nun endlich sein Weib zu werden … und ich …«

»Und Du willst Dich wieder verheiraten,« fiel Belinda voll Härte ein. »Zum dritten Male! Alles, was ich dazu sagen kann, Rose, ist, daß Du sehr gern zu heiraten scheinst.«

Die Aeußerung, das läßt sich nicht bestreiten, war herzlos und unweiblich – aber Belinda war, wie viele unerzogene Mädchen ihres Alters, durchaus herzlos in Bezug auf Liebesangelegenheiten, und in diesem Augenblicke trieb ihr die leidenschaftliche, unvernünftige Eifersucht auf den Nebenbuhler ihres verstorbenen Vaters das Blut zu heftig zum Kopf, als daß sie zu einer passenden Wahl der Worte fähig gewesen wäre.

»Es ist mir unbegreiflich, wie Du so gefühllos sein kannst!« sagte Rose beinahe weinend. »Aber so warst Du immer; schon als kleines Kind hattest Du nicht mehr Empfindung als ein Stein. Und doch spricht Roger immer so schön über Dich … und die Tempel's sind eine so gute Familie und Alles ist so passend … und doch kannst Du sagen, daß ich – die es unter allen Frauen der Welt am wenigsten verdient – sehr gern zu heiraten scheine! … Uebrigens will ich hoffen, Belinda, daß Du – welcher Art Deine Ansichten auch sein mögen – Dich nicht in Capitän Tempel's Gegenwart in solcher herzlosen und unzarten Weise aussprechen wirst.«

»In Capitän Tempel's Gegenwart!« wiederholte Belinda mit größter Unbefangenheit. »Wieso? … ist denn irgend eine Aussicht vorhanden, daß ich mit ihm zusammentreffen werde?«

»Du wirst hier, in St. Jean de Luz, mit ihm zusammentreffen, und das heute noch.«

»Mit Capitän Tempel in St. Jean de Luz! Du willst doch damit nicht sagen, daß Du mit einem jungen Mann in der Welt herumreisest, Rose?«

Belinda nahm dabei – das erste und letzte Mal, daß sie sich im Leben der Heuchelei schuldig machte – das Aussehen beleidigten Schicklichkeitsgefühls an.

»Roger hat mich in Paris und dann wieder in Bordeaux getroffen,« antwortete Rose, die unter ihrer Schminke vor Aerger erröthete. »Roger ist der alte Freund, von dem ich Dir erzählt habe … und Spencer war immer dabei und wir haben es vermieden, jemals in demselben Hotel abzusteigen. Er ist auch jetzt fortgegangen, um sich in einer andern Gegend der Stadt Quartier zu suchen. Wenn Du wüßtest, Belinda, ja, wenn Du wüßtest, wie ehrenhaft Roger Tempel ist, würdest Du nicht so unbedachtsam reden.«

»Du mußt bedenken, daß ich nicht das Mindeste von ihm weiß,« antwortete das junge Mädchen. »Und meine Erziehung war auch nicht darnach, mir großes Vertrauen auf die Ehrenhaftigkeit der Männer einzuflößen. Lass' es gut sein, Rose,« fuhr sie dann mit einem Anflug von mitleidiger Nachsicht fort. »Ich bin verletzt, das kann ich nicht leugnen, aber ich will meine Gedanken für mich behalten und kein Wort mehr sagen, nicht einmal zu Miß Burke.«

»Und willst Du, um meinetwillen, herzlich und rücksichtsvoll gegen Roger sein?«

Ehe das junge Mädchen noch antworten konnte, wurde ein männlicher Schritt im Gange hörbar und gleich darauf klopfte Jemand an die Thür.

» Entrez!« rief Belinda mit ihrer jungen, hellen Stimme.

»Mein Gepäck!« seufzte die Wittwe voll Aufregung und ihr Herz schlug dem Besitzthum entgegen, das ihr theurer war als der Geliebte – ihren Hutschachteln und Koffern.

Die Thür öffnete sich.

»Roger, so haben Sie schon den Weg hieher gefunden!« rief Rose mit leisem, erzwungenem Lachen, indem sie schnell aus dem hellen Lichte zurücktrat, das in unvortheilhafter Weise durch das offene Fenster auf ihr Gesicht fiel. »Liebste Belinda, mein alter Bekannter, Capitän Tempel. Und merkt Euch das« – sie sprach mit kindlicher Naivität – »ich werde Euch Beiden nie vergeben, wenn Ihr Euch nicht sogleich in einander verliebt. So bin ich immer gewesen – Miß Ingram pflegte zu sagen, ich wäre geradezu absurd – aber Jeder; den ich lieb habe, muß Alle, die mir theuer sind, in sein Herz schließen.«

Aber lange, ehe Rose mit ihren kleinen Falschheiten zu Ende gekommen, waren sich die Augen Belinda's und Roger Tempels begegnet – sie waren sich begegnet und hatten die Wahrheit gesprochen.

»Im Leben wie auf Eisenbahnen,« hat eine Meisterhand geschrieben, »giebt es gewisse Punkte, an denen es, wir mögen es wissen oder nicht, nur auf die Breite eines Haares ankommt, in welchen Zug wir geschleudert werden.«

In welchen Zug mochte Belinda's leidenschaftliches Herz, ohne daß sie es wußte, in diesem Augenblicke geschleudert sein?



 << zurück weiter >>