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Viertes Capitel.
Was Männer Liebe nennen.

Rose hatte von der Elegie zweier junger Menschenleben gesprochen, von einer Liebe, die der Pflicht geopfert worden, und einem Herzen, das zwölf Jahre hindurch langsam brechen mußte. Wir können dies als poetische Darstellung gelten lassen, aber wir wollen die Geschichte auch in Prosa erzählen.

War Roger Tempel's Herz wirklich, wie sich Rose einbildete, zwölf Jahre hindurch langsam gebrochen, so mußte dies Herz beim Beginn des Processes entweder außerordentlich zäher Natur gewesen sein, oder dieser Proceß hatte auf die körperliche Kraft und Frische des Mannes keinen Einfluß gehabt.

Roger war ein gut gewachsener, hübscher Mensch von etwas gelblicher Hautfarbe, wie die meisten Männer, deren Verdauung durch die längere Einwirkung eines heißen Klimas und den Genuß starker Gewürze gelitten hat. In seinen ehrlichen, englischen, blauen Augen zeigte sich vielleicht ein Anflug indischer Gleichgiltigkeit – was aber ein gebrochenes Herz, ein Verzehren in Verzweiflung, ein seelisches Hinsiechen betrifft, so hielten seine Freunde und Regimentskameraden, die ihn am genauesten kannten, Niemand freier davon, als ihn. Sie rühmten ihm nach, daß er der beste Schütze, der kühnste Reiter, der angenehmste Kamerad im Bivouac und am Officierstische war, aber für sanftere Regungen hielt man ihn wenig zugänglich. Sollte er dereinst in das Joch der Ehe geschmiedet werden – ein Schicksal, das auch den bravsten Burschen treffen kann – so konnte das voraussichtlich nur mit Hilfe eines kühnen Handstreiches gelingen.

»Es wäre möglich, daß Roger nicht den Muth hätte, nein zu sagen, wenn ihm eine hübsche Frau unumwunden die Heirat antrüge, aber sicherlich würde er selbst nie die Energie besitzen, die Präliminarien einer Werbung zu eröffnen.«

So ungefähr würde die ungeschminkte, einstimmige Aussage seiner Kameraden gelautet haben – wie ließ sich nun der Widerspruch zwischen diesem Urtheil und dem Rose's erklären?

Wir Alle erinnern uns des Holme'schen Ausspruches von den drei verschiedenen Persönlichkeiten, aus welchen jeder einzelne Mensch besteht. Zur Erklärung obigen Widerspruches möchten wir diesen drei Persönlichkeiten noch eine vierte beigesellen, diejenige, als welche der Mann in den Augen der Frau erscheint, die er liebt – sicherlich ein Wesen, das den männlichen Freunden des armen Burschen ebenso unbekannt ist, wie ihm selbst.

In Prosa erzählt, war die Geschichte einfach folgende:

Rose war in früher Jugend mit einem ältlichen Londoner Advocaten verheiratet worden, einem unbedeutenden, gewöhnlichen Menschen, dem conventionellen Ehemann einer hübschen Frau, mit dem unsere Erzählung nichts weiter zu thun hat. Die junge, durch ihre frühe Heirat in einen Kreis langweiliger Wohlanständigkeit versetzte Frau war mit sechsundzwanzig Jahren ein so frisches, unschuldiges Wesen, wie nur je eines geathmet hatte. Damals bedurfte sie weder des Friseurs, noch der Schönheitsmittel aus dem Parfumerieladen. Ihr flachsfarbenes Haar schmiegte sich glatt gescheitelt, wie es die Mode des Tages mit sich brachte, an ihr jugendfrisches Gesichtchen, dessen von keinerlei Cosmetica berührte Farben, trotz einiger kleinen Sommersprossen, an eine eben erblühte Heckenrose erinnerten. Ihr Geistes- und Herzensleben war damals genau, was es später war; von der Welt kannte sie nichts, als ihren eigenen, kleinen pharisäischen Kreis – in der That ein sehr enger Spielraum für die Eitelkeit und ein noch engerer für die Empfindung. So fand sie Roger Tempel und liebte sie.

Der indische Aufstand war damals eben vorüber und Roger, ein hübscher Bursche von neunzehn Jahren, war nach diesem seinem ersten Waffengange verwundet nach England zurückgekommen. Er lernte Rose Shelmadeane bei einer Mittagsgesellschaft kennen, zu welcher ihn ein gleichgiltiger Bekannter mitgenommen hatte; er saß ihr gegenüber, und da er erst beim Dessert erfuhr, daß sie bereits eines andern Mannes Kleinod und Lebensglück war, so faßte er eine so heftige Leidenschaft für sie, wie nur je ein thörichter Bursche für ein thörichtes Weib gefaßt hat.

Die Londoner Saison war auf ihrer Höhe; selbst Rose's eintönige Lebensweise wurde durch eine ungewöhnliche Menge von Gesellschaften, Spazierfahrten, Ausflügen nach dem zoologischen Garten und Besuchen von ländlichen Verwandten, für deren Unterhaltung gesorgt werden mußte, unterbrochen. Roger traf überall mit ihr zusammen, folgte ihren Schritten und legte ihr seine Huldigungen zu Füßen. Da eine ihrer ländlichen Cousinen unverheiratet war, konnten Mr. Tempel's Aufmerksamkeiten ehrenhaften Heiratsplänen zugeschrieben werden, und da er von guter Familie und ein hübscher Mann mit »guten Aussichten« war, so verstand es sich von selbst, daß man ihm ermuthigend entgegen kam.

So wußte Rose durch schwächliche Ausreden ihr schwächliches Gewissen für einige Wochen zu beruhigen; dann aber kam das Ende, d. h. das Ende des Prologes, nicht des Dramas.

Während sie an einem Juli-Sonntage im zoologischen Garten das Hyppopotamus betrachteten, indeß sich die Cousine vom Lande und der gleichgiltige Ehemann außer Gehörsweite befanden, ließ Roger seiner Thorheit die Zügel schießen und flüsterte in abgebrochenen leidenschaftlichen Worten Mrs. Shelmadeane ein Geheimniß zu, das sie zwar mit größter Seelenruhe seit einiger Zeit geahnt hatte, das aber, sobald es zur Aussprache gekommen war, so unschicklich, so ganz unschicklich wurde, daß sie gar nicht mehr daran denken durfte.

Sie eilte, sich Roger Tempel's Gesellschaft zu entziehen; ihr schönes, junges Antlitz glühte, und mit der Miene einer neuen Cornelie legte sie die Hand auf den Arm ihres Gatten. Drei Abende später – wir dürfen nicht vergessen, daß Rose sechsundzwanzig, Roger neunzehn Jahre alt war – tanzte sie mit ihm im Saale des Hannover-Square, wohin sie ihre Cousine vom Lande begleitet hatte, einen Walzer.

Mr. Tempel hatte sich vergangen, so schwer vergangen, daß ihr der Athem stockte, wenn sie nur daran dachte, indem er gewagt, sie, eine ehrsame Ehefrau, mit andern Gefühlen als denen der kühlsten Achtung und Ehrfurcht zu betrachten. Dennoch war Rose's mildes Herz geneigt, den armen mißleiteten Knaben zu bedauern und ihn womöglich auf bessere Wege zu führen. Außerdem erschienen ihr das Leben in Bloomsbury-Square und ihr theurer Ehemann jetzt, nachdem sie durch Erfahrung hellsehend geworden, so unerträglich monoton, und die Huldigung eines jungen, hübschen, gebildeten Mannes, wie Roger, war ihrer Eitelkeit so honigsüß!

Dazu kam die Erinnerung, mit welchen Ausdrücken die öffentlichen Blätter von Mr. Tempels Tapferkeit in Indien gesprochen hatten, und an alle die gräßlichen Sepoys, die er getödtet haben mußte – er trug den Arm ja noch immer in der interessanten schwarzen – Binde! Kurz, was blieb Rose übrig, als ihm die Freundschaft zu gewähren, um die er flehte, und jenen bösen, schuldvollen, aber durchaus nicht unangenehmen Auftritt zu vergessen, der im zoologischen Garten vor dem Käfig des Rhinoceros stattgefunden hatte.

Eine Frau, die besser oder schlechter gewesen, entweder durch die Phantasie erleuchtet oder durch Erfahrung gewitzigt worden wäre, hätte sich vielleicht vor den Gefahren einer solchen Lage gescheut. Die gute, leidenschaftslose, phantasiearme, nur mit sich selbst beschäftigte Rose fühlte, nachdem der erste Schreck überwunden war, nicht die mindeste Angst. Ihr vorherrschendes Gefühl, wenn es überhaupt möglich war, ein solches aus dem Gewirr kleiner Eitelkeiten, in denen sie aufging, herauszuschälen, war das befriedigter Herrschsucht.

»Ziehe einem Sclaven die Haut ab, so wirst du darunter einen Tyrannen finden.« Wie Millionen ihres Geschlechtes, war Rose von Geburt an, erst als Mädchen, dann als Frau, Sclavin gewesen und in geistiger Knechtschaft gehalten worden. Jetzt sah sie sich plötzlich in der Stellung einer Herrscherin, und sie gebrauchte dies neue Vorrecht, wie es Menschen, die nicht zur Macht geboren sind, zu gebrauchen pflegen.

Der Jüngling gab Alles, Zeit, Freude, Vergnügungen, sein ganzes Leben an sie hin – und was empfing er dafür? – Moralpredigten, einen oder zwei nicht ganz saubere weiße Handschuhe und so viel verwelkte Blumen – einige derselben waren noch in seinem Besitze – daß er im Stande gewesen wäre, ein ziemlich großes Herbarium damit zu füllen.

Nach und nach wurde das Verhältniß bekannt; nicht in Rose's steifem Kreise, sondern unter Roger Tempel's Kameraden, von denen es selbst mehreren gelang, Mrs. Shelmadeane zu erblicken. Aber, o Himmel, welche gewöhnliche, kleine Sterbliche war des armen Roger's Gottheit in den Augen Derer, die nicht, wie er, im Zauberbann der Leidenschaft befangen waren!

»Hübsch, wenn man will – jene Art von roth und weißer, nichtssagender Schönheit, der man täglich ein dutzendmal in jedem Provinzialstädtchen begegnen kann – aber durchaus nichts weiter! Und daß gerade Roger – mit seinem verfeinerten Geschmack, seinen hochfliegenden, knabenhaften, idealen Ansprüchen an weibliche Anmuth und Feinheit, um solcher kleinen Prüde willen den Verstand verloren haben mußte! Roger, dem die besten Häuser offen gestanden, dem so viele gute, schöne, gebildete Frauen Gewährung zugelächelt hätten, wenn seine Wahl auf sie gefallen wäre!«

Roger's Verblendung überlebte die Saison; dann führte der alte Shelmadeane, der nachträglich vielleicht einigen Verdacht geschöpft hatte, welcher Art die Opfer waren, die Rose ihren Pflichten darbrachte, sein Weib nach Margate, und Roger's Urlaub erreichte sein Ende. Er war geärgert, verbittert, herzenskrank, denn seine Göttin hatte ihn bei der letzten Zusammenkunft gleichzeitig vermahnt, getröstet und über alle Maßen gequält.

Er beschloß, nach Indien zurückzukehren, ohne sie noch einmal gesehen zu haben und sie zu hassen und zu vergessen! Zu dem Allen war er entschlossen und würde es wahrscheinlich durchgeführt haben – mit neunzehn Jahren ist dem Menschenherzen noch so Vieles möglich! – wenn Rose Shelmadeane eingewilligt hätte.

Aber sie war weit entfernt, das zu thun.

Rose war – wir stellen das ein für alle Mal fest, um nicht wieder darauf zurückzukommen – jetzt sowohl wie späterhin, soweit es ihr Thun betraf, eine der tugendhaftesten Frauen, die je gelebt haben; ja sie war in jener früheren Lebensperiode weit entfernt, im gewöhnlichen Sinne des Wortes coquett zu sein, aber sie liebte ihre neu erworbene Macht, wie sie überhaupt nur etwas zu lieben vermochte, und würde ihrem Sclaven aus keiner andern Rücksicht die Freiheit gegeben haben, als um ihre Seele vor unerlaubter Nachgiebigkeit zu bewahren. Er sollte auf nichts hoffen dürfen – auch nicht auf den Tag, an welchem er vielleicht das Recht haben würde, ihre Hand zu begehren. Nein, sie würde sich für das sündhafteste Geschöpf gehalten haben, hätte sie einen Menschen ermuthigt, auf den Tod eines Andern zu hoffen.

»Was wäre denn solche Hoffnung,« pflegte sie zu sagen, indem sie mit frommer Miene ihr blondes Köpfchen schüttelte, »was wäre sie anders, als eine Art von Mord?«

Mr. Tempel durfte von der Zukunft nichts erwarten und von der Gegenwart nichts fordern. Er mußte sich immer erinnern, daß sie an einen Mann verheiratet war, dessen sittlichen Werth sie hochachtete, immer sprechen und handeln, als ob Mr. Shelmadeane gegenwärtig wäre – aber ob Roger Tempel in England blieb, oder ob er nach Indien zurückkehrte, seine Freiheit durfte er nicht wiedergewinnen.

So wickelte sie ihre Gefühle selbst für den eigenen Gebrauch in das glänzendste Flittergold, das in dem Waarenlager der Heuchelei zu finden war. Den armen jungen Mann in seiner jetzigen Stimmung abreisen lassen, hieß ihn der Verzweiflung preisgeben. Er wäre im Stande gewesen, irgend ein schreckliches Geschöpf zu heiraten, wie Männer, deren Gefühle verletzt wurden, häufig gethan, und sie hätte dann die Gewissensbisse dafür zu tragen gehabt. Wer aber vermochte vorherzusagen, welche günstige Wirkung eine herzliche Versöhnung, ein paar feierliche, schwesterliche Abschiedsworte auf die ganze künftige Laufbahn des jungen Mannes ausüben konnten?

So schrieb sie ihm denn mit ihrer Schulmädchenhandschrift und in ihren Schulmädchenphrasen ein kleines, süßes, klagendes Briefchen. Roger Tempel besaß das Billet noch heute.

Zufälligerweise – so lautete sein Inhalt – hatte Mr. Shelmadeane in der City gehört, daß Mr. Tempel im Begriff stehe, nach Indien zurückzukehren. Er wollte doch sicherlich nicht abreisen, ohne seinen aufrichtigsten, wohlmeinendsten Freunden Lebewohl zu sagen? Leider waren sie zur Erholung nach Margate gegangen, und Rose gestand in voller Unbefangenheit, daß sie Margate ziemlich langweilig fände; aber Mr. Shelmadeane klagte hier weniger über sein Podagra, also mußte sie dankbar sein. Und sie äßen um Sechs und Mr. Shelmadeane wäre immer zu Hause, ausgenommen Montags und Dienstags. Wann wollte Mr. Tempel kommen?

Weder an einem Montage noch an einem Dienstage, wie jeder ältere, mit dem Leben in der Welt vertraute Mann nach dem Empfange eines solchen Billets gethan haben würde. Roger dagegen hätte sich keine persönliche Befriedigung durch den Mißbrauch der kindlichen, engelhaften Unbefangenheit der geliebten Frau erkaufen mögen. Als ehrenhafter Don Quixote erschien er an einem Tage, wo er der Anwesenheit des Ehemannes gewiß war, in Margate und hielt zum letzten Male Mrs. Shelmadeane's weiße Hand in der seinigen.

Und welch' ein Abschied war das für ihn! Erst das Mittagessen mit dem alten Rechtsgelehrten, der sich über Politik unterhielt und sich über seinen Hummer beklagte, während das unschuldige, mädchenhafte Gesicht seiner Frau lächelnd zu ihm hinübersah. Dann das Dessert – eine wahre Folterqual, da Rose darauf bestand, den Gatten mit »seinem« Freunde allein zu lassen. Endlich ein halbstündiger Spaziergang am Strande, »gerade Zeit genug, um eine Abschiedscigarre mit dem guten Mr. Shelmadeane zu rauchen,« wie Rose mit einem leisen, wohl nur für Roger hörbaren Beben ihrer sanften Stimme sagte.

Während dieser halben Stunde gewährte ihnen der Zufall das Glück, etwa drei Minuten allein zu sein – es waren die köstlichsten, schrecklichsten Augenblicke, die Roger in seinem jungen Dasein erlebte – und in dieser Zeit sagten sie sich, umgeben von Badekarren, Lebewohl – ein an Wahnsinn grenzendes Lebewohl! Dann kam der alte Shelmadeane herbeigestürzt: »Ein Viertel auf Neun, Sir; wenn Sie Ihren Zug nicht versäumen wollen, müssen Sie gehen!« rief er – und für ein Dutzend ereignißvoller Jahre sahen sie sich nicht wieder.

Lange Briefe gingen nun zwischen ihnen hin und her – ob mit oder– ohne Mr. Shelmadeane's Wissen, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Jedenfalls waren es Briefe, die Mr. Shelmadeane ebenso gut wie jedem Andern ohne Bedenken in die Hände gegeben werden konnten. Ja, zu Zeiten wollte es Rose sogar bedünken, daß es ihrem Opfer fast zu gut gelänge, die Erwähnung seiner Qualen zu unterdrücken. Anfänglich schrieb er mit jedem Postschiff, dann mit jedem zweiten, dann jeden dritten oder vierten Monat, zuletzt zweimal im Jahre. So wurde der Briefwechsel, der Roger's unglücklicher Liebe diente, fortgeführt. Endlich starb Mr. Shelmadeane

Nun flog Roger Tempel doch natürlich nach England zurück, um sein Anrecht an die Hand der Geliebten sofort geltend zu machen? Nein, Roger Tempel that nichts dergleichen. Er befand sich tief im Innern des Landes, als ihn nach längerer Verzögerung die Nachricht, daß Rose Wittwe geworden, erreichte. Und er war ein leidenschaftlicher Jäger … und seine zwei oder drei Jagdgefährten waren seine intimsten Freunde … und mußte nicht die Trauerzeit vorübergehen, ehe man den schwarzen Flor durch Hochzeitsbänder ersetzen durfte! … Wie konnte er, der Rose's feines Gefühl für das Schickliche kannte, es wagen, schon jetzt … In der That ein seltsames Gemisch von Gefühlen und Beweggründen – jedenfalls aber eine Illustration der menschlichen Schwachheit in Bezug auf erreichbare und unerreichbare Wünsche!

Roger eilte weder nach England, noch schrieb er einen Brief, der Rose's eben gewonnene Freiheit bedroht hätte. Wir müssen uns erinnern, daß seine Verzweiflung bereits eine Reihe von Jahren gedauert hatte, daß sich der Mensch an Alles, selbst an eine hoffnungslose Leidenschaft gewöhnt und sich, der besseren Einsicht zum Trotz, nur schwer dazu versteht, einen vertrauten Ideengang aufzugeben. Wie der bekannte Franzose, der nach jahrelangem Sehnen mit dem Weibe seines Herzens verbunden wurde, ausrief: »Was soll ich nun mit meinen Abenden anfangen?« so hätte sich Roger Tempel bei Mr. Shelmadeane's Tode versucht fühlen können, zu fragen: »Was soll ich nun mit meiner Verzweiflung machen?«

»Der höchste Reiz einer verheirateten Frau beruht ohne Frage in ihrem Manne,« sagt ein satirischer Comödienschreiber.

Als Roger's thörichte Lippen zum ersten Male im zoologischen Garten sein Geheimniß verriethen, oder damals, als er in zitterndem Schmerze in der Bucht von Margate wahnsinnige Abschiedsworte stammelte, hätte man ihn schwerlich davon überzeugen können, daß Mr. Shelmadeane der Hauptreiz seiner Gattin war – aber manches Epigramm, das uns in der Jugend ohne Pointe erscheint, wird uns im Laufe der Zeit verständlich.

Roger sandte der Wittwe den zartsinnigsten Condolenzbrief, der je geschrieben wurde, stellte sich und seine selbstsüchtigen Hoffnungen und Besorgnisse ganz in den Hintergrund und beschäftigte sich nur mit ihr und ihrem Verluste. Mit Empfindung, aber in ganz unbestimmter Weise, sprach er von den langen Jahren ihrer Trennung und noch unbestimmter von dem Tage des möglichen Wiedersehens. Von Heirat war auch nicht mit einem Worte, nicht mit der leisesten Andeutung die Rede.

Jede einfach verständige Frau hätte, noch ehe sie einen solchen Brief zu Ende gelesen, die Ueberzeugung gewonnen, daß ihres Anbeters Liebe für sie zu Ende war. Rose dagegen, die durch die unwiderlegliche Logik des Unverstandes geleitet wurde, erblickte darin nur einen neuen Beweis für die Ergebenheit ihres Sclaven.

»In weiter Ferne lebt ein Mensch, der mich anbetet, aber zu hoch- und großherzig ist, um an etwas Anderes als an meinen Schmerz zu denken,« sagte sie zu Major O'Shea, dem es um diese Zeit gelungen war, sich bei der hübschen Wittwe einführen zu lassen und der ihr eifrig und eindringlich den Hof machte, ehe ihr Krepp noch sechs Wochen alt war. »Ach, Major O'Shea, wenn Sie die Gewissenhaftigkeit, die edle Entsagung und die uneigennützige Seele jenes armen, jungen Mannes besäßen!«

Cornelius O'Shea pflegte bei solchen Gelegenheiten zu behaupten, daß sein Herz stärker sei als seine Selbstbeherrschung und daß seine übermächtigen Gefühle – Cornelius war damals den Fünfzigen näher als den Vierzigen und war in der einen oder andern Weise immer verliebt gewesen, seit er das erste Jaquet trug – daß seine übermächtigen Gefühle ihn über die kalten Schranken der conventionellen Schicklichkeit hinausrissen. Dann seufzte und erröthete die Wittwe, wischte sich eine oder zwei Thränen von den Wimpern, nannte ihn einen bösen, bösen Mann und überließ ihm ihre Hand, um sie zu küssen. Das Ende von alledem war, daß die nächste Nachricht, die Roger von Rose Shelmadeane empfing, in einer Vermählungsanzeige bestand, welche die »Times« brachte und welche ihm den unwiderleglichsten Beweis ihrer Untreue gab.

Und wie verkehrt ist die menschliche Natur! Die Nachricht von dieser Heirat bereitete ihm nicht nur heftige Qualen der Eifersucht, sondern erweckte seine Liebe zu neuem Leben und entfachte sie zu der ganzen früheren Gluth. Das Dasein eines Ehemannes, irgend eines Ehemannes, schien in der That die unerläßliche Bedingung für die Leidenschaft Roger Tempel's zu sein. Der Brief, in dem er der Braut seine Glückwünsche darbrachte, enthielt die bittersten Vorwürfe, verhüllt zwar, aber doch aus jeder Phrase, aus jedem Worte herauszulesen.

Rose weinte sich, als sie diesen Brief empfing, fast die Augen aus, verbarg ihn sorgfältig vor Cornelius – der die ganze Sache, wenn sie zu seiner Kenntniß gekommen wäre, sicherlich sehr philosophisch genommen hätte – und sandte Roger mit wendender Post einen Brief voll beschönigender Entschuldigungen. In diesen Brief legte sie drei Veilchen, welche ihn an die glücklichen Tage ihrer Freundschaft erinnern sollten, wo er ihr ganze Bouquets von diesen Blumen zu bringen pflegte.

Und Capitän Tempel – er erzählte es Rose später mit eigenem Munde – Capitän Tempel küßte Veilchen und Brief und setzte die Absenderin in seiner Phantasie – beinahe hätte ich gesagt in seinem Herzen – wieder auf den Thron, den sie so lange innegehabt.

Den weiteren Verlauf dieser Liebesgeschichte wollen wir nur so kurz als möglich andeuten. Der Leser hat bereits einen Einblick in die häuslichen Bedrängnisse gewonnen, in welche Rose als Mrs. O'Shea gerieth, und wir brauchen uns darüber nicht weiter zu verbreiten. Cornelius verschwendete ihr Vermögen, vernachlässigte sie, ging endlich nach Amerika, wo ihn sein Schicksal ereilte, und Rose war nach dem Tode ihres Onkels noch einmal frei – frei mit einem schönen Einkommen und einer vollständig eingerichteten Villa in Brompton.

Unter diesen Verhältnissen sahen sich die beiden Liebenden wieder.

Roger war ganz unerwartet nach England zurückgekehrt. Er hatte den langen Urlaub, um den er gebeten, mehrere Monate früher erhalten, als er selbst gedacht, und an einem schönen Maiabende, während Rose ihn tausende von Meilen entfernt in Indien glaubte, klopfte er in Brompton an die Thür und fragte mit einer Stimme, welcher er vergeblich Festigkeit zu geben suchte, ob Mrs. O'Shea zu Hause sei?

Es war eigentlich zu spät für eine ceremoniöse Visite, schon zwischen zehn und elf Uhr, und der erstaunt aussehende Diener, welcher die Thür öffnete, sagte ihm, Mrs. O'Shea sei zwar zu Hause, aber für Fremde nicht zu sprechen. Sie hätte Gäste und …

»Mrs. O'Shea wird mich empfangen,« unterbrach ihn Roger. »Sie brauchen mich nicht zu melden – ich werde erwartet.«

Und eine Minute später stand er inmitten der Wachskerzen, der Gäste und der ganzen glänzenden Einrichtung ihres Salons.

Unangemeldet, wie er gewünscht, trat er herein und sah sich unter den Versammelten vergeblich nach Rose um. Im Zimmer befanden sich sieben oder acht elegante, mit Juwelen und Blumen geschmückte Damen, aber vergeblich suchte er unter ihnen nach Rose's bescheidenem Gesicht und ihrem glatt gescheitelten blonden Köpfchen.

Endlich trat eine blühend aussehende, aber – daß ich es sagen muß! – mittelalterliche Dame mit sehr aufgepufftem Haar und in extremster Toilette mit einer Verbeugung auf ihn zu.

»Ich entsinne mich nicht, das Vergnügen zu haben …« sagte sie, indem sie ihn befremdet ansah.

Jetzt erkannte er ihre Stimme.

Arme Rose, wenn sie in diesem Augenblicke in das Herz ihres ehemaligen Anbeters hätte sehen können!

Während der nächsten Stunden beobachtete er sie mit Empfindungen, unter denen Erstaunen und Enttäuschung sich um die Oberhand stritten.

Jede Frau muß, wenn sie die schönste Blüthezeit überschritten, im Laufe von zwölf Jahren an Frische und äußerem Reiz verlieren, und Rose hatte sich diesem allgemeinen Naturgesetze nicht zu entziehen vermocht – aber es waren nicht die Spuren der Jahre, nicht die natürlichen Verheerungen der Zeit, welche Roger frappirten, sondern die erstaunliche, die völlige Umwandlung ihres ganzen Wesens.

Aus der schüchternen, taubenhaft sanften Frau, die Rose mit sechsundzwanzig Jahren gewesen, hatte sich eine reife, üppige Syrene entwickelt; ihre ehemalige kindliche Naivetät war in's Kraut geschossen und hatte sich zur blühenden Thorheit ausgebildet. Die flachsfarbigen Scheitel glänzten jetzt in goldenem Schimmer und waren zu wunderbaren, ungeheuren Pyramiden aufgethürmt, aus welchen eine unbeschreibliche Menge von Puffen und Löckchen hervorquollen. Die sanfte Rosenfarbe ihrer Haut hatte sich in entschiedenes Weiß und ebenso entschiedenes Roth verwandelt, die blassen Augenbrauen waren dunkel geworden, die ehemals so sanften Augen erschienen – vielleicht nicht ganz ohne Nachhilfe von Belladonna – ein wenig starr und hart und das frühere bescheidene, halbhohe Kleid hatte der Draperie einer griechischen Statue Platz gemacht.

Roger, der so lange fern von London gelebt hatte, wußte nicht, daß dies die gewöhnliche Art und Weise ist, in welcher die moderne Engländerin »mit Grazie alt wird,« und betrachtete, wie schon gesagt, die üppigen, offen zur Schau getragenen Reize der armen Rose mit einem Gemisch von Erstaunen und Widerwillen – einer Empfindung, deren er sich, wie wir hinzusetzen müssen, von Herzen schämte.

So blieb es, bis die Gäste Rose's sich entfernten und ihn mit ihr allein ließen. Als sie dann in den alten süßen Tönen zu ihm sprach – ihre Stimme war trotz aller sonstigen Veränderungen die frühere geblieben – als seine Augen sich gleichsam an die äußere übertünchte Erscheinung seines vernichteten Ideals gewöhnt hatten, wurde seine Empfindung etwas weicher.

Roger hatte, wie Mrs. O'Shea nun auf ihre Fragen erfuhr, nicht zu Mittag gegessen. Er war spät am Nachmittage in London angekommen und hatte sich, ohne an seine körperlichen Bedürfnisse zu denken, sogleich auf den Weg gemacht, um sie aufzusuchen. Sie ließ also ein kleines Souper auftragen, eine Flasche des besten Champagners aus Onkel Robert's Keller beifügen – und nun begannen der Mann und die Frau, welche so lange mit der Liebe gespielt, sich, Auge in Auge, zu erzählen, was sie – in Wirklichkeit oder in der Einbildung – gelitten hatten, seit sie sich getrennt.

Die Jahre, die zwischen ihnen lagen, verschwanden vor ihren Blicken. Sie flüsterten mit einander wie damals vor dem Käfig des Hyppopotamus, wie damals, als sie am Strande von Margate Abschied nahmen, und nach und nach fand Rose's Hand, die noch immer jugendlich schön und weiß war, ihren Weg in die Capitän Tempel's. Sie zitterte, er drückte sie sanft, um sie zu beruhigen. Rose machte einen schwachen Versuch, sich aus seiner Nähe zu entfernen, und – zum ersten Male im Leben begegneten sich ihre Lippen.

Damit war Roger's Schicksal besiegelt.

Die Wachslichter waren herabgebrannt und Rose hielt ihr Gesicht sorgfältig im Schatten, oder vielmehr, sie verbarg es ganz an des Geliebten Brust, und als er ihr prächtiges, goldenes Haar küßte, kam es ihm nicht in den Sinn, daran zu denken, von welchem todten Haupte es wohl abgeschnitten sein möchte. Ja, als sie endlich ihr Gesicht aufhob, um ihm die süßesten Versprechungen ewiger Treue zuzuflüstern, bemerkte er nicht einmal die Menge von Poudre de riz, welche sie auf seiner Weste zurückgelassen.

Wer liebt, kritisirt nicht und Roger Tempel, oder Roger Tempel's Phantasie, liebte wenigstens in dieser Stunde des Rausches.

Was er am nächsten Morgen dachte und empfand, als er seine Lage und Mrs. O'Shea's Angesicht bei Tageslicht in's Auge faßte, hat außer ihm selbst nie ein Mensch erfahren.

Er war, wie wir wiederholen müssen, kein Mann, der sich auf Frauen verstand. Er hatte in den letzten Jahren wenig Verkehr mit Damen gehabt, hatte sie noch weniger zu seinem Studium gemacht, und seine ganze Kenntniß des weiblichen Geschlechts war mehr auf ideale Voraussetzungen; als auf Thatsachen gegründet. Wenn ihm dann und wann sein Mißgriff zum Bewußtsein kam, wenn ihn zuweilen die Scham beschlich, die dem Liebhaber ohne Liebe nicht erspart bleibt, so erfuhren Rose und die Welt wenigstens niemals etwas davon.

Rose liebte ihn! Was kam auf einen kleinen Unterschied der Jahre an, wenn die Liebe jung geblieben war? Fällt die Frucht, nach welcher ein Mann jahrelang die Hand ausgestreckt, ihm endlich in den Schoß, so hat er kein Recht, sich darüber zu beklagen, daß sie im Laufe der Zeit ein wenig überreif geworden.

So argumentirte Roger sich selbst in die Zufriedenheit mit seinem Lose hinein, und so suchte er sein Herz mit der Erreichung seines sehnsüchtigsten Wunsches auszusöhnen.

Und dennoch fühlte er zuweilen eine drückende Last auf der Seele und sein Herz wurde kalt, wenn ihm durch Perlpulver und Carmin hindurch das Alter seiner Verlobten anschaute.

»Du wirst jeden Tag thörichter, lieber Roger!« bemerkte Rose, die von der Macht ihrer Reize fest überzeugt war, wenn sie in solchen Momenten seinen Blicken begegnete. »Warum siehst Du mich so an? An was denkst Du?«

»An die Jahre unserer Trennung, Geliebte!« lautete dann Roger's Antwort. »Bedenke, daß ich Dich zwölf Jahre nicht gesehen und viel nachzuholen habe!«

Und Rose, die leicht befriedigt war, wenn man ihrer Eitelkeit schmeichelte, fragte nicht weiter.



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