Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel

Der Stein der Weisen – Aequatoria, die Luftballonstadt – Der Erlöser der Menschheit – »Rudeag« – Die Probefahrt– Die Seeschlangenpanne – Die Fahrt um die Welt, Festreden und Frühstücke – Der Mars hat einen falschen Kurs – Ende

 

Fritz Krohn hatte den Stein der Weisen gefunden. Kurze Zeit nach dem Begräbnis des weisen Marabouts Mokri Ben Mahmet zog dessen treuer Diener Jussuff mit ihm nach dem Äquator und übergab ihm seines Herrn Erbschaft. Sofort ließ Fritz eine drahtlose Telephonstation errichten und setzte sich mit seinen alten Leidens- und Freudensgenossen Genendelsohn und Söröny in Verbindung. Es dauerte auch nicht lange, bis sie ankamen, und sie brachten Mia Pippa und Lotte mit, damit die Einsamkeit in der Wüste einigen Reiz erhielte. Moritz Genendelsohn übernahm wie immer sogleich die geschäftliche Ausnützung des Unternehmens und überließ Fritz den Ruhm des Erfinders. Söröny arrangierte mit Mia Pippa und Fritz ein großes internationales Preisjodeln und aus allen Ecken der Welt flogen die Aeroexpresse nach Aequatoria, wie Fritz die neue Station nannte. Innerhalb ganz kurzer Zeit wurden Hotels gebaut, die ganz aus Aluminium bestanden und künstlich von unten gekühlt wurden, da man Bohrlöcher anlegte, die bis auf die andere Seite der Erde reichten und die kalte Luft direkt von Sibirien zuführte. Dann verankerte man an riesenlangen Leinen Fesselballons, an denen Gondeln hingen, die so groß waren, daß zweihundert Personen darin schlafen, speisen und tanzen konnten. Zu jedem Ballon führte ein Lift hinauf, der nach Art des Eiffelturms gebaut war.

Genendelsohn verwaltete in seiner bekannten Art den ganzen Betrieb. Jeden Abend fuhr er auf einem kleinen Aeroplan durch die Luft und revidierte die einzelnen Ballonhotels, nahm das bar eingenommene Geld mit und machte dann unten auf der Erde die gleiche Runde in den Aluminiumbaracken, wenn alles sich um ein Uhr nachts zur Ruhe begeben hatte, setzte er sich auf seinen Klubsessel im Privatkontor, der auf einem besonderen Kühlapparat stand und ließ sich mit der Börse in Berlin telephonisch verbinden. Denn in Berlin war es gerade ein Uhr mittags, wenn es in Aequatoria ein Uhr nachts schlug. Die Ringbahn um die Erde (Fritzens Patent) war nämlich noch nicht negoziiert und Genendelsohn arbeitete daran, die ganze Sache in Form einer Aktiengesellschaft zu gründen.

Nachdem er einige Tage seine nächtlichen Telephongespräche fortgesetzt hatte, war es ihm gelungen, das ganze Aktienkapital zusammen zu bekommen und den Hauptteil der Aktien auf seinen Namen schreiben zu lassen. Fritz Krohn nährte sich inzwischen vom Ruhme.

Bald war es in der ganzen Welt bekannt, daß am Aequator ein Mann sitze, der eine Stufenbahn um die Erde baue. Überall hielt man große Meetings ab und feierte den Erlöser der Menschheit. Was war die Erfindung des »Lenkbaren Luftschiffes« gegen den Ring um die Erde! Man lächelte, wenn man an die Begeisterung dachte, die die Völker erfaßt, als damals ein armseliges Luftschiff zum ersten Male einige Stunden in der Luft gondelte, Krohn war der Held der Zeit, er hatte das Mittel gefunden, die Menschen einander näher zu bringen, er hatte gleichsam endgültig über Zeit und Raum triumphiert. Man feierte ihn wie einen Helden der Sage, man schrieb über ihn tausende von Abhandlungen und leuchtete in sein intimstes Leben hinein. Man entsandte von allen Seiten Reporter zu ihm, und er hatte den ganzen Tag nichts weiter zu tun, als sich interviewen zu lassen. Die Kolonie Aequatoria wuchs wie eine amerikanische Ansiedelung in kurzer Zeit zu einer Riesenstadt heran und Hunderttausende zogen hin, um an der großen Arbeit Teil zu haben, die Fritz mit dem Monokel im Auge kühl und gelassen als Oberingenieur leitete.

Es war nicht leicht, die hundert eisernen Ringe aufzubauen. Gerade ein Jahr dauerte es, bis der erste Ring fertig war. Denn dies war eigentlich das Schwierigste bei dem Unternehmen. Nach weiteren zwei Jahren gelang es, den siebenundneunzigsten Ring zu montieren und drei Monate später wurde die letzte Niete in den hundertsten Ring geschlagen.

Genendelsohn arrangierte ein großes Fest, das er nach Art der Richtfeste beim Hausbau vor sich gehen ließ. Der ganze letzte Ring war mit Guirlanden umhangen, die man aus Thüringen, dem Harz und der Schweiz kommen ließ. Man kann sich vorstellen, daß man sehr viel Tannengrün benötigt, um die ganze Erde zu dekorieren. Daher wurde ganz Mitteldeutschland und die Schweiz abgeholzt und brach gelegt. Übrigens hatten diese Gebirgsgegenden seit der Eröffnung der Kolonie Aequatoria sowieso an Reiz verloren, da niemand, selbst nicht mehr die reiselustigen Sachsen, dorthin fuhr, um im Schweiße des Angesichts Fußtouren zu machen. Die Schweizer Hoteliers machten zwar noch die größten Anstrengungen, um Gäste anzulocken, indem sie freie Fahrt gaben, wenn man überhaupt nur zu ihnen käme. Aber es war alles vergebens, was sollte man auf dem Brocken, auf dem Pilatus, auf dem Mont Blanc selbst, wenn man mit dem Lift in eine Höhe kam, die selbst ein Chimborasso sich nicht leisten konnte.

Genendelsohn feierte die letzte Niete des hundertsten Ringes. Ihm kam es weniger auf die Feier an, als auf die Reklame, die er dabei machen konnte. Als um zwölf Uhr mittags Fritz Krohn im Frack und weißer Binde, den Zylinder auf dem Kopf, mit einem kleinen goldenen Hammer drei Schläge auf einen Nagel tat, ging ein heiliges Schauern durch die vieltausendköpfige Versammlung und es war, als wenn dieses Schauern sich auf viertdimensionalem Wege der ganzen Welt mitteilte. Es war der erhabenste Augenblick, den je die Geschichte gesehen hatte, fast so erhaben, als jener Augenblick, in dem Alexander der Große das Licht der Welt erblickte.

Fritz konnte sich nicht enthalten, gerührt zu sein, sein alter Vater, der Herr Apotheker, saß vor ihm in der ersten Reihe der Tribünen, die an Ballons um die Rednerrostra schwebten und aus den Augen seiner mittlerweile sehr in die Breite gegangenen Frau Mutter flossen Tränen, und sie schluchzte in einem fort und sagte still vor sich hin: »Ach Gott, ach Gott, wenn der Junge sich bloß nicht zu sehr über das eiserne Geländer beugt!«

Und als Fritz einmal bei einer besonders schwunghaften Phrase eine Bewegung machte, die ihm beinahe das Gleichgewicht gekostet hätte – er mußte nämlich das Monokel fester klemmen – schrie Mama Krohn laut auf, so daß alle nach ihr hinsahen und den Kopf schüttelten über die alte Dame, deren Tränen über die Backen kullerten. Mama Krohn aber nahm sich zusammen und strich das seidene Kleid zurecht, das sie bei der Aufregung ein bißchen zerknittert hatte. Papa Krohn blinzelte aus seinen weltverständigen Augen seinen Sohn an und war stolz auf die vererbten Eigenschaften.

Der letzte Nagel des Ringes um die Erde wurde natürlich nicht nur durch Fritzens Rede verherrlicht. In sechsunddreißig Sprachen feierte man des Ereignis und jeder Redner redete immer noch länger als sein Vorredner. Aber als endlich um elf Uhr abends in der Esperantosprache die letzte Rede geschwungen und bereits einige hundert Damen aus den Ballontribünen ohnmächtig auf die Erde gelassen worden waren, klopfte Fritz noch ein allerletztes Mal mit dem goldenen Hammer auf, so daß es laut hin durch das Weltall schallte. Dann übergab er feierlich den Betrieb an die »Rund um die Erde Aktiengesellschaft (Sitz zu Berlin)« und taufte ihn mit einer Flasche Müller extra, der mit der Zeit alle französischen Sekte übertrumpft hatte, » Rudeag«.

Am nächsten Morgen war die offizielle Probefahrt. Die Presse der ganzen Welt hatte sich eingefunden und bestieg die Glaspavillons, deren Inneres mit dem denkbarsten Komfort und Luxus ausgestattet war. Es gab Schlaf-, Rauch- und Lesezimmer, Speisesalons wie auf den großen Atlantikschiffen früherer Zeiten, ferner alle Einrichtungen der Neuzeit, wie drahtlose Telephone, Telegraphe, Fernsichtapparate, kinematophonographische Anlagen. Neben jedem Sitz waren alle diese Leitungen angebracht, so daß der Reisende nicht nötig hatte, sich vom Platz zu erheben, um mit der Außenwelt in irgend einer Weise in Verbindung zu treten. Da die Fahrt längstens auf vierundzwanzig Stunden angesetzt war, hatte man bei der Einrichtung auf den schweren »Home«-Luxus verzichtet und dafür einen leichten Nachtingstil angewandt, der von einer eingetragenen Gesellschaft deutscher Kunstgewerbegenies für den besonderen Zweck des eisernen Erdringes erfunden war und den man den »modernen Erdlinienstil« nannte.

Am anderen Morgen also um acht Uhr sollte sich der erste Glaszug in Bewegung setzen. Eine Minute vor acht war alles in Ordnung und eine atemlose Spannung lag auf allen Gesichtern. Die Pressevertreter saßen mit dem Telephon am Mund sprechbereit da, die Photographen hatten die Apparate gezückt und der Kapellmeister eines tausendköpfigen Orchesters streckte den Taktstock im steifen Arm von sich.

Fritz stand im ersten Glaspavillon ganz vorn und wartete auf das Zeichen, das ihm der Obermaschinist neben ihm geben sollte.

Endlich – eine Uhr schlug unten auf der 67. Etage eines Wolkenkratzers in Aequatoria dröhnend acht – drückte Fritz auf den kleinen weißen Elfenbeinknopf und lautlos, als wenn nichts Besonderes vor sich ginge, setzte sich der kilometerlange Glaszug in Bewegung. Als ob diese Glasschlange langsam und vorsichtig um die Erde kriechen wollte. – Aber plötzlich klirrte es und zitterte es im Weltenraum und mit einem pfeifenden Zischen entschwand der Riesenwurm den Blicken der Zuschauer.

Drei Minuten nach acht Uhr hatte der »Anzeiger« in Berlin die Nachricht von dem glücklichen Vollbringen der größten Tat aller Jahrtausende. Um ½9 Uhr waren die Extrablätter mittels Radiumrotationsdruck fertig gestellt und um ¾9 Uhr lasen die Reichshauptstädter bereits das himmelstürmende Ereignis. Um Uhr erschienen wieder Extrablätter, die eine neue Sensation verkündeten: Bei der Überquerung des stillen Ozeans hatte der Glaszug eine Riesenseeschlange überfahren und dadurch einen kleinen Maschinendefekt erlitten. Da man aber ein Prachtexemplar dieses bisher mythischen Lebewesens dabei erbeutete, war der Verlust an Zeit durch den Gewinn, den man dadurch für die Wissenschaft erzielt hatte, kompensiert worden.

Um eine ganz gewissenhafte Schilderung zu geben, dürfen wir nicht vergessen noch zu erwähnen, daß bei der Riesenschlangenpanne der Berichterstatter des »Anzeigers« beinahe ertrunken wäre, da er sich mit dem ihn besonders auszeichnenden Wagemut zu weit über die Balustrade lehnte, um eine photographische Aufnahme zu machen, und dabei in den Ozean gefallen wäre, wenn ihn nicht sein Kollege vom Petit Parisien hinten am Rockzipfel festgehalten hätte. So weit ging die Kollegialität der Presse, die neidlos einander das Leben rettete. Man ersieht daraus, wie großes gemeinsames Glück die Menschen einander näher bringt, genau so wie gemeinsames Unglück.

Wir haben inzwischen Fritzens Freunde aus den Augen verloren. Es ist selbstverständlich, daß sich Genendelsohn als stiller Teilhaber offiziell nicht nennen ließ, er begnügte sich mit dem Bewußtsein, den größten Teil der Aktien des Unternehmens in seiner Hand zu wissen. Ferencz von Söröny, der die beiden Damen Mia Pippa und Lotte seiner Zeit beschützte, war äußerst vornehm geworden, man hätte fast sagen können, daß die alte magyarische Adelsgeburt endlich bei ihm zum Ausbruch gelangt war.

Er vertrat die Rudeag und die Stadt Aequatoria gleichsam diplomatisch, da man ihn zum Oberbürgermeister ernannte und der Schah von Persien sowie der Emir von Afghanistan je einen Orden auf ihn abgelagert hatten. Die Beförderung zum Grafen durch die Republik San Marino schlug er großmütig aus, da sie zu viel Geld kosten sollte.

Mia Pippa heiratete den Besitzer des Grand Hotel Bellevue auf der siebenten Ballon-Avenue in Aequatoria, Lotte jedoch ließ sich noch nicht in den Ehehafen hineinbugsieren, denn sie war immer noch schön und verfügte über Reize, die selbst in den Lüften von Aequatoria nicht ihre Wirkung verfehlten. Sie hatte sich von einem Milliardär aus Sanzibar eine reizende Villa bauen lassen, die in der Nähe der 80. Stufe des Erdringes über der Stadt an einem Ballon befestigt war, und die sie »Lottesluft« nannte. Außerdem war ein Konto auf der Bank von England in London angelegt, denn sie hatte zu dieser Bank mehr vertrauen als zu Herrn Moritz Genendelsohn aus Wien, der sie oft aufforderte, ihre überflüssigen Gelder bei ihm anzulegen. Außerdem ließ sie unter der Hand billig Terrains in der Nähe der Stufenbahn kaufen, wenn sie von Söröny hörte, daß städtischerseits dort elektrische Elevatoren errichtet werden oder Lenkballonbahnen hingelegt werden sollten.

Söröny nahm stillschweigend immer noch Provisionen, wenn er welche bekommen konnte und auch Lotte mußte die Prozente an ihn abliefern. Sörönys Vornehmheit und diplomatisches Zugeknöpftsein erstreckte sich nicht auf seine lange aristokratische Hand, die sich im gegebenen Moment stets öffnete, wenn ein Scheck darin verschwinden wollte. –

Wir haben die Eröffnungsfahrt des Glaszuges der Rudeag bei einer kleinen Panne im Indischen Ozean verlassen, in dem Augenblick, wo der Berichterstatter des Berliner »Anzeigers« beinahe ein Opfer seines Berufes geworden war. Rann man es einem Mann der Presse verargen, wenn er mit ungezähmter Neugier auf die Verwirklichung eines Traumes losstürzt? Sind wir Menschen nicht wie von Sinnen, betäubt fast, wenn wir ein Ideal, nach dem wir seit langem gestrebt, endlich Fleisch geworden vor uns sehen? Sollen wir es dem Berichterstatter übel nehmen, daß er die Seeschlange, die mit der Zeit geradezu der Mythos des ganzen Zeitungswesens geworden ist, endlich von Angesicht zu Angesicht sehen wollte, wenn er auch dabei sein Leben in die Schanze schickte? Und gerade der Berichterstatter des »Anzeigers« war in der ganzen Welt bekannt für den wagemutigsten Draufgänger, wenn es galt, seinem Blatte Nachrichten zukommen zu lassen, die Sensation hervorriefen.

Nachdem der kleine Defekt an dem Schaufelrad, in dessen Speichen sich die Riesenschlange verwickelt hatte, repariert war, ging es in rasendem Tempo weiter, In Sidney wurde gefrühstückt. Natürlich unter Verabreichung von einigen Festreden, die aber wegen der Kürze der Zeit – das Frühstück dauerte gerade elf und eine halbe Minute – auf Grammophonplatten bereits fertig hergestellt waren, so daß sie unterwegs abgeleiert werden konnten. Die Mittagszeitungen in Berlin, Paris und London brachten den vollständigen Text.

In Chicago ließ Edith Pikkleton (auf ihre beiden Männernamen hatte sie verzichtet) einen Salonglaswagen anhängen und bat Herrn Genendelsohn zu sich, um mit ihm die Finanzierung einer neuen Luftballonstadt zwischen Japan und Honolulu zu besprechen.

In Stockholm hielt der Zug um neun Uhr abends. Eine Deputation der Universität war am Bahnhof und überbrachte Fritz Krohn den Nobelpreis für das laufende Jahr, den Genendelsohn sofort an sich nahm und dafür Aktien der Rudeag auswechselte.

Eine Viertelstunde später leuchteten die Lichter von Berlin auf. Hier hatte Fritz einen längeren Aufenthalt vorgesehen. Unter den Linden standen zehn Regimenter Soldaten stramm und schrien Hurra, während vom Tempelhofer Feld Kanonendonner dröhnte. Hunderte von Militärmotorluftschiffen kreuzten um den Glaszug und ihre Führer manövrierten »rechts um« und »links um«.

Oben auf dem Perron drängten sich die Deputationen: Kriegervereine, Studentenschaft, Universität; alle eingetragenen zivilen Vereinigungen hatten ihre Vertreter gesandt. Der Hof war vertreten und die Bürgermeister und Stadtväter erwiesen dem großen Erfinder mit dem blankgebügelten Zylinder in der Hand die tiefste Reverenz. Man überbrachte Fritz die Ernennung zum wirklichen Geheimrat mit dem Titel Exzellenz und den Orden Pour le mérite, sowie den Kronenorden vierter Klasse. Söröny bekam den Roten Adlerorden und Genendelsohn das Allgemeine Ehrenzeichen, da man ihn fälschlicherweise als Portier auf die eingereichte Liste geschrieben hatte. Ein Kranz weißgekleideter Ehrenjungfrauen knixte in einem fort und ein Major a. D. kommandierte: »Beugt das Knie – eins – zwei – eins – zwei!«

Berlin tobte und brüllte. Aber nach zwanzig Minuten Aufenthalt ging es weiter in die Nacht hinaus. Schnell passierte der Zug Paris, London, Madrid, wo überall große Feierlichkeiten vorbereitet waren. Die Franzosen überschütteten Fritz mit dem Großkreuz der Ehrenlegion und wollten ihn zum Präsidenten der Republik wählen, die Engländer ernannten ihn zum Ehrenpräsidenten sämtlicher Golf-Clubs, die Spanier zum Torero auf Lebenszeit.

Über Marokko ging es weiter. Aber der ewige Thronfolgestreit da unten hatte das Land ganz verwüstet, und nachdem die Spielbank in Hammam R'Uma eingegangen war, lagen das Land und seine Rassen wieder brach.

Die Herren der Presse, die während der ganzen Fahrt telephoniert hatten, waren schon zum Umfallen müde, und nur der Sekt und Berge von Kaviarbrötchen hatten es vermocht, daß ihre Kräfte nicht dahinschwanden. Fritz aber, dem die Aufregungen und die großen Ehren eine übernatürliche Energie gegeben, stand aufrecht und fest vorn am Steuer und das treue Monokel blitzte siegessicher in den Weltenraum hinab.

Ganz nahe waren sie schon wieder an den Aequator gekommen. Höchstens eine halbe Stunde noch konnte es dauern, bis der Probezug ruhig, wie er abgegangen, in den Hauptbahnhof von Aequatoria wieder einfahren würde, plötzlich – – –

Die letzten Minuten, die uns von dem endgültigen Ziele trennen, kommen uns wie Stunden, wie Jahrhunderte vor. Unser Denken fliegt voran, unser Körper bleibt ohnmächtig zurück. Das Ziel winkt, aber es ist uns, als ob wir es niemals erreichen würden.

Irgend etwas war geschehen – kurz vor der Endstation. Fritz hörte, wie der Oberingenieur neben ihm schrie: »Obacht, stopp – der Mars hat seinen Kurs auf uns. Umschalten – Hinterbremse – – alle Ventile auf! – – –«

Bums – – – Ein unglaubliches Getöse und Gekrache, als wenn die Welt zugrunde gehen wollte.

Alle Lichter erloschen und die Nacht war wie die Ewigkeit selbst. Ein fürchterlicher Schlag traf Fritz. Das Monokel flog ihm aus dem Auge und in seiner Betäubung hörte er noch, wie die Scherben über die hundert eisernen Erdringe herunterfielen: klirr, klirr…

Fritz Krohn schreckte auf. Der Kellner hatte ihm ganz sacht auf die Schulter getippt. Der kleine silberne Kaffeelöffel war durch die Bewegung vom Tellerrand auf den Boden gefallen.

»I bitt' schön, Herr von Krohn«, sagte der müde Ganymed in seinem Kellnerdeutsch, »aber i möcht' Kassa machen, i geh nach Haus.«

Die Stühle waren schon auf die Tische gestellt und eine Reinmachefrau wischte um Fritzens Füße herum.

»Der Herr von Genendelsohn ist a schon gegangen und der Herr von Söröny und die Damen haben gesagt, der Herr Direktor möchten nur ruhig weiter schlafen – es tat Ehna schon gut – –«

Da entnahm Fritz Krohn, der Inseratenagent, seinem schon abgegriffenen Portemonnaie drei und einen halben Nickel deutscher Reichswährung und zahlte die Zeche der Nacht. Der Kellner half ihm in den dünnen Sommerpaletot und schlaftrunken verließ er das Kaffeehaus.

Draußen leuchteten die Sterne am dunklen Firmament. Ein eisiger Herbstwind pfiff über die Straßen Berlins. Fritz schlug den Rockkragen hinauf, dann blickte er in die Höhe, wo tausende von unentdeckten Welten zu schwimmen schienen, wo das Glück wie eine Seifenblase schimmerte. Einen fast feindlichen Blick warf er auf die Gestirne, die er noch vor kurzen Augenblicken mit dem eisernen Ring bezwungen hatte und wütend murmelte er: »Wenn der verdammte Mars nicht plötzlich seinen Kurs geändert hätte, führe ich noch um die Erde herum und brauchte jetzt nicht zu Fuß in die Goltzstraße zu laufen.«

* * *

Wollt ihr eine Moral, ihr Menschen?

Eines Tages begrub man Fritz Krohn, so wie man eines Tages einen jeden begräbt. Auf fernem Hügel stand ein einfacher Stein, darauf war seine Geburt und sein Ableben verzeichnet. Denn was dazwischen lag, war eitel Traum und Dunst geblieben. wieviel Zeitgenossen haben über etwas anderes zu berichten, wenn sie von dem Schauplatze ihrer Tätigkeit abtreten? War es nicht genug des Glücks, daß Fritz wenigstens einmal träumte, was er hätte werden können mit Hilfe unserer zeitgenössischen Technik und Kultur, wenn – ja wenn – nun sagen wir, wenn ihm nicht das Marsgestirn einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte??

Damit ist die Moral gegeben: denn das »wenn« ist immer noch das größte Verkehrshindernis in der Welt der Positiven.


 << zurück