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Der Anfang nach dem Ende – Die Kautschukseele – »Der Krebs« – Der Stammtisch – Die drei Abonnenten – Der Graf und die anständige Frau – Die unangenehme Klingel – Die Lebensversicherung als Notlüge.
Daß Leben ist wie eine Zirkus-Arena. Man läuft im Kreise umher und schließlich hält man sich selbst für den dummen August, über den die Galerie lacht. – Nachdem Fritz Krohn diese oder eine ähnliche tiefsinnige Bemerkung gemacht hatte, fühlte er sich ebenso erleichtert wie sein Portemonnaie nach dem denkwürdigen verschwinden des Herrn Moritz Genendelsohn. Da man aber von tiefsinnigen Betrachtungen allein nicht leben konnte, und da Tante Lieschen und ihre Erbschaft endgültig vom Schauplatz getreten waren, so sah sich unser Held gezwungen, wieder von neuem da anzufangen, wo er vor der Eroberung Berlins durch die »Internationale Magentee-Gesellschaft« aufgehört hatte.
Wir wissen, daß es ein Verbrechen ist, seinen Mitmenschen totzuschlagen; auch können wir nicht umhin, unsere Freunde zu mißachten, wenn sie uns unsere Frauen abspenstig machen. Wir schaudern davor, einen Meineid zu leisten und halten den für den gemeinsten Kerl, der Pferde stehlen würde. Was sind diese Fähigkeiten, seinen Zeitgenossen Böses anzutun, gegenüber der Begabung, jemanden dazu zu bewegen, für irgend ein Blatt ein Inserat aufzugeben? Diese Beschäftigung bringt zwar Verdienst und Gewinn, muß aber viel raffinierter gehandhabt werden, als zum Beispiel ein Mord oder ein Einbruch. Zu diesen beiden Tätigkeiten gehört Kaltblütigkeit und eine gewisse Roheit der Empfindung. Zu der Tätigkeit des Inseratemachens gehört nicht nur Kaltblütigkeit, Roheit der Empfindung, absolute Wurstigkeit, sondern man muß die Elastizität eines Stehaufmännchens haben, der, eben umgeworfen, sofort wieder auf die Füße kommt.
Nach einiger Zeit hatte Krohn die zum Inseratemachen erforderliche Kautschukseele. Nachdem er bereits alle möglichen Firmen für alle möglichen Blätter zu Annoncen veranlaßte, kam er auf die geniale Idee, ein eigenes Blatt zu gründen, worin er durch seinen Freund, den Maler Neudorf, der sozusagen als einziges Objekt aus dem Nachlaß des Herrn Genendelsohn übrig geblieben war, unterstützt wurde.
Neudorf und Fritz bildeten in dem Kaffeehaus »Unter den Linden« einen Stammtisch, um den sich bald eine Korona von Asphaltgrößen der Reichshauptstadt versammelte. Diese Asphaltgrößen gründeten das Blatt »Der Krebs«.
Der Stammtisch bestand aus folgenden Mitgliedern, die gleichzeitig die Teilhaber der neuen Gesellschaft mit beschränkter Haftung wurden: Als geistiges Oberhaupt Fritz Krohn, zu dem sie alle großes Vertrauen hatten, denn es ging von ihm die Sage durch das Kaffeehaus, daß jeder Mensch, der fünf Minuten lang mit ihm spräche, gezwungen wäre, seine Unterschrift auf einen Inseratenschein zu setzen. Ferner war da der Maler Neudorf, der die künstlerische Ausgestaltung des neuen Blattes übernehmen sollte. Ferner war da Robert Batzke, ein junger Mann mit schwarzem Haar, einer in die Stirn fallenden Locke und einem bunten Oberhemd, das vorsichtigerweise in einem ganz tiefen Dunkelblau gehalten war, so daß man nicht genau feststellen konnte, ob er es erst heute frisch angezogen hatte. Robert Batzke war zwar erst neunzehn Jahre alt, blickte aber bereits auf eine reiche journalistische Tätigkeit zurück, die im Abfassen von Lokalnotizen und Unglücksfällen reichliche Nahrung gefunden hatte. Ferner war am Stammtisch Herr Paul Gustav Weber, Besitzer eines Automobils, Lebemann und Freund einer sehr schönen Frau. Das Automobil hatte er auf Wechsel gekauft und die zweite Rate bereits prolongieren lassen. Die schöne Frau war zwar nicht auf gleiche Weise in seinen Besitz geraten, aber Herr Weber duldete es großmütig, daß seine Freundin über einige Tage der Woche anderweitig verfügte, wegen seines Automobils und wegen seines doppelten Vornamens ernannte Fritz Krohn Herrn Paul Gustav Weber zum Verleger des neuen Blattes. Ferner war am Stammtisch Herr Franz von Söröny, oder wie er sich lieber nannte Söröny Ferencz aus Budapest, Magyar Baczi. Herr von Söröny war sehr tipptopp, trug ganz enge Ärmel und stets Lackstiefel. Er spuckte beim Sprechen und hatte alle zwei Minuten einen neuen genialen Gedanken. Trotz dieses Überflusses an Genialität gelang es ihm selten, die dreißig Pfennige für seine Schale Haut aufzubringen, und er erlaubte daher seinem Freund Paul Gustav Weber die Zeche zu bezahlen, wofür er sich bei ihm revanchierte, indem er sich mit ihm öffentlich in seinem Automobil zeigte. Herr Baron von Söröny wies nämlich öfters auf seinen uralten Adel hin und beschränkte sich darauf von diesem Verdienst vorläufig zu leben. Fritz Krohn hatte Söröny dazu bestimmt, die repräsentative Stellung des neuen Verlages zu übernehmen.
Ferner waren am Stammtisch Max Lewinsohn, Erich Müller und Otto Meyerstein. Diese drei Herren rechneten sich zur jeunesse dorée und ihre väterlichen Behausungen lagen im Westen Berlins. Sie bildeten die ersten Abonnenten des Blattes und hatten für das laufende Jahr sofort bei der Gründung im voraus bar bezahlt.
Außer diesem Stammtisch interessierte sich vorläufig noch niemand für die neue epochemachende Zeitschrift »Der Krebs«. Nun aber zeigte es sich, daß Fritzens Genie nur den richtigen Nährboden haben mußte, um in die Höhe zu schießen. Sollte er vielleicht von Herrn Genendelsohn etwas gelernt haben? Jedenfalls können wir die geheimen Machenschaften, die Unterminierung Berlins, die in den nächsten Wochen durch Fritz und seine Leute vorgenommen wurde, nicht genau verfolgen. Wir wissen nur, daß, abgesehen von dem Geld für die drei Abonnements, eingezahlt durch die Herren Lewinsohn, Müller und Meyerstein, keine Barmittel am Tage der Gründung des Blattes »Der Krebs« zur Verfügung standen. Nicht einmal Paul Gustav Webers Automobil konnte man als Wertobjekt rechnen, denn der Benzinlieferant hatte es verpfänden lassen. Aber nach vier Wochen stehen wir vor dem Faktum, daß in den Straßen Berlins Hunderte von Zeitungsverkäufern den Passanten ein neues Blatt entgegenschrien: »Der Krebs! Zehn Pfennige! Enthüllungen aus der Berliner Gesellschaft!«
Herr von Söröny hatte richtig bei seinem Spucken einmal einen wirklichen Gedanken herausgesucht. Ihm und Fritz gelang es, einen Drucker, einen Papierlieferanten und einen Zinkätzer zu veranlassen, die Zeitung herzustellen.
Also war Fritz wieder auf der Höhe, entwickelte eine fieberhafte Tätigkeit, und sein Intimus Söröny begleitete ihn überall wie sein Schatten. Söröny, der jetzt das riesenhafte Gehalt von zweihundert Mark monatlich bezog, verzichtete auch fernerhin darauf, in den Restaurants und Kaffeehäusern sein eigenes Portemonnaie in Anspruch zu nehmen, dafür spuckte er aber täglich neue geniale Gedanken heraus und brachte alle Augenblicke neue Abonnements.
Das ganze Kaffeehaus sprach eine Zeitlang von nichts weiter als von dem »Krebs« und Fritz hatte alle seine alten Beziehungen herausgesucht, um Inserate aufzunehmen. Die ersten beiden Nummern der Zeitschrift waren erschienen, an den Säulen klebte ein grünes Plakat mit einem roten Krebs darauf gemalt und mit weithin leuchtenden Buchstaben; »Heute neue Nummer«. Die Auflage wurde sogar gekauft, denn das Großstadtpublikum ist immer neugierig und Neuerscheinungen gegenüber sehr empfänglich. Der Krebs war eigentlich in der Tendenz
eine Zwischenstufe zwischen einem Gesellschaftsblatt und einem Witzblatt. Den gesellschaftlichen Teil redigierte Herr Robert Batzke, den humoristischen Teil Herr Kunstmaler Neudorf. Bei der dritten Nummer stellte es sich heraus, daß Herr Robert Batzke leider trotz der vielen Unglücksfälle, die er früher für den Lokal-Anzeiger und die Morgenpost reportierte, leider keine große Fühlung mit der Gesellschaft hatte. Und es stellte sich ferner heraus, daß die Witze des Herrn Kunstmalers Neudorf bereits in den ältesten Jahrgängen der Fliegenden Blätter das deutsche Volk erfreut hatten, und daß die von ihm selbst erfundenen Originalbeiträge, sowohl in zeichnerischer wie in literarischer Beziehung, auf einem zu hohen Niveau ständen, als daß sie von der blöden Masse verstanden werden konnten. Zuerst war es Herr Lewinsohn, einer der ersten drei Abonnenten, der mit dem Kopf schüttelte, dann fragte Herr Müller, wo die Pointen wären, und schließlich behauptete Herr Meyerstein, an der Börse hätte einer gesagt: der »Krebs« sei auch'n Blatt, wobei er mit den Schultern verächtlich zuckte. Und die drei Abonnenten erklärten Herrn Fritz Krohn, das Blatt müßte ganz anders werden und überhaupt, es wäre doch so leicht, und es müßten Schlager in der Nummer fein, denn sonst zögen sie ihr Abonnement zurück.
Aber Herr von Söröny brachte jeden Tag einen Stoß neuer Abonnements an und ließ sich vom Drucker, der über die Barmittel verfügte, die Provision auszahlen. Fritz tat dasselbe mit Inseraten.
Die vierte Nummer konnte nicht mehr herausgebracht werden. Es waren zwar noch genügend Zeichnungen von Herrn Neudorf vorhanden, und Herr Batzke hatte gerade eine wundervolle neue Enthüllung erfunden, aber Herr von Söröny wechselte plötzlich das Kaffeehaus und ließ sich nicht mehr blicken. Er hatte es fertig bekommen, in kurzer Zeit sechstausend Abonnenten zu sammeln. Wenn man bedenkt, daß Herr von Söröny selten in die Lage kam, die Spesen des täglichen Lebens aus eigener Tasche zu bezahlen, so müssen wir feststellen, daß ihm diese sechstausend Abonnenten ein hübsches Stück Geld an Provision eingebracht haben. Es ereignete sich aber, daß nicht einer von den sechstausend Abonnenten etwas von der Existenz des Herrn Barons wußte, und was noch schlimmer war, auch nicht von der Existenz des »Krebses«. Somit kehrten alle die schönen Kreuzbandsendungen wieder zurück und nur die Deutsche Reichspost hatte ein Vergnügen davon, denn die Portis waren nun einmal ausgegeben.
Es half nichts, daß Fritz empört war. »Der Krebs« verendete, und das war um so bedauerlicher, als Paul Gustav Weber zur selben Zeit sein Automobil und seine Freundin verlor. Das Automobil wurde ihm endgültig abgepfändet, und seine Freundin wurde durch einen reichen Grafen in den Stand gesetzt, das Leben einer »anständigen Frau« zu führen.
Lewinsohn sagte, man hätte das Blatt anders anfangen müssen. Müller meinte, man hätte es schon beim Spucken gesehen, daß Söröny ein Hochstapler wäre, und Meyerstein klemmte ein Monokel ins Auge, was er immer tat, wenn er die Absicht hatte geistreich zu sein. Dann resümierte er, an dem Titel hätte es gelegen. Wie kann man auch ein Blatt »Krebs« nennen, da muß es ja rückwärts gehen. »Der Frosch« hätte es heißen sollen, der vorwärts springt.
Um treu historisch vorzugehen, wollen wir feststellen, daß Lewinsohn, Müller und Meyerstein die ersten und einzigen Abonnenten des »Krebses« geblieben waren.
* * *
Man entsinnt sich des reichen Grafen, der zur selben Zeit zwar noch hinter den Kulissen, aber bereits in greifbarer Form auf den Schauplatz der Begebenheiten trat. Dieser reiche Graf, der wie alle Grafen, wenn ihn ihre Vorfahren noch etwas hinterlassen haben, über ungeheure Besitztümer verfügte, liebte die Kunst und beschäftigte sich damit, Lieder zu komponieren, obgleich er es gar nicht nötig hatte.
Wir müssen nun wieder mit tränendem Auge berichten, daß der Mensch im allgemeinen undankbar ist und am liebsten seinen Wohltäter mit Haut und Haaren verzehren möchte. Im Anschluß an diesen soeben konstatierten allgemein menschlichen Zug haben wir zu melden, daß eines Tages Paul Gustav Webers frühere Freundin Fräulein Lotte das Leben einer »anständigen Frau« etwas langweilte. Man kann nämlich auch an der Seite eines reichen Grafen, der die Musik liebt, sich langweilen, selbst wenn einem die Anständigkeit reichlich vergütet wird. Und so begab es sich, daß Fritz Krohn, nachdem er über die Inserate zur Versicherungsbranche übergegangen war, eines Abends mit Fräulein Lotte in ihrem reizenden Heim im Bayrischen Viertel soupierte und den Kognak und Rotwein des reichen Grafen von außerordentlich guter Qualität fand. Es traf sich nun ferner, daß Fritz öfters die Abende mit Fräulein Lotte zubrachte, wenn der reiche Graf dienstlich verhindert war, denn wenn man ein Graf ist, muß man von Zeit zu Zeit auch noch etwas anderes tun, als Lieder komponieren und sich mit Lottes Erziehung zur »Anständigkeit« beschäftigen.
Eines Mittags aber machte Fritz Krohn die Bekanntschaft des reichen Grafen. Fritz saß in Lottes schönem Salon auf einem schwellenden Fauteuil und sie lag auf einem eben so schwellenden Diwan in malerischer Pose ihm gegenüber. Es klingelte zweimal. Das Leben des Großstädters steht im Zeichen der Klingel. Im Wachen und im Schlafen schreckt ihn immer irgend eine Klingel, wenn die Elektrizität auch sonst von großem Vorteil für die Menschheit geworden ist, auf die Klingelei hätte sie verzichten sollen und ihre Kraft lieber für etwas anderes aufsparen sollen, wenn nun der Mensch plötzlich durch ein zweifaches Klingeln in eine unerwartete und peinliche Situation gerät, so kann man es ihm nicht verdenken, wenn er in diesem Augenblick nicht sehr gut auf die Erfindung der Elektrizität zu sprechen ist. Und das war Fritz, als es an Lottes Korridortür zweimal kurz hintereinander klingelte und sie von dem schwellenden Diwan verwirrt aufsprang: »Das ist der Graf.« Fritz sagte nur: »Donnerwetter«, aber im selben Augenblick holte er seinen Hut und seinen Stock aus dem Nebenzimmer und fand seine Geistesgegenwart wieder Dann rief er Lotten zu: »Du stellst mich einfach vor und nur per Sie.«
Lotte öffnete dem reichen Grafen mit beklommenem Herzen die Tür.
Nach einer halben Stunde verzeichnete Fritz folgende Erfolge: Erstens hatte er den Grafen veranlaßt, für Fräulein Lotte eine Lebensversicherung auf hunderttausend Mark einzugehen, zweitens hatte der Graf selber sich von ihm gegen Einbruch, Unfall und eventuellen Todesfall auf rollendem Material versichern lassen. Drittens befand er sich nach dieser halben Stunde und nach Erledigung der geschäftlichen Angelegenheiten mit dem Grafen in angeregtester Unterhaltung und rezitierte ihm einige seiner alten lyrischen Ergüsse. Der reiche Graf war entzückt und beschloß, verschiedene Gedichte zu komponieren. Und Fritz schlug ihm vor, ein hochkünstlerisches Kabarett zu gründen, in dem ihre gemeinschaftlichen Lieder einem ausgewählten Publikum vorgeführt würden. Er kenne eine großartige Vortragskünstlerin, und dabei fiel ihm »Mia Pippa« ein, die frühere Tippdame mit dem lyrischen Knacks.
Wir sehen, daß dieses Kapitel nicht so traurig endet, wie seine Vorgänger. Im Gegenteil haben wir eine aufsteigende Linie in Fritzens Leben zu bemerken. Wir berichten nun noch, daß dieser Tag, an dem das schrille zweifache Klingeln die harmlose Zusammenkunft zweier sich nicht ganz unsympathischer Menschen gestört hatte, bei Hiller endete, wo Lotte und Fritz von dem reichen Grafen hingeführt waren, um die neue Bekanntschaft würdig zu feiern. Bei dieser Gelegenheit würde auch der Grundstein zu Fritzens neuem Unternehmen gelegt, und wir freuen uns, daß wir nunmehr mit Spannung an das neue Kapitel gehen können, das Fritz damit begann, sich die reichliche Provision für die gräflichen Versicherungen von seiner Gesellschaft am anderen Vormittag sofort auszahlen zu lassen.