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Achtes Kapitel

Marokko – Siebenundzwanzig Gegensultane – Aktiengesellschaft zum gegenseitigen Regierungsbetrieb – Der Sultan in der Luft – Der Pascha mit den sieben Roßschweifen – Das Spielkasino in der Sahara

 

In Marokko herrschte immer noch eine entsetzliche Unruhe. Mit der Zeit hatten sich eine ganze Anzahl von Gegensultanen eingefunden, die sich alle das Reich streitig machten. Die Franzosen hielten das Land besetzt und sorgten an den großen Plätzen für Unterhaltung. Die Engländer liefen in Sportkostümen herum und spielten zur heißesten Tageszeit mitten in der Wüste Golf und Tennis, nur die Deutschen standen den ganzen Tag über stramm, klopften Gewehrgriffe und übten den Parademarsch zu Ehren des Geburtstages Seiner Majestät des alten Sultans. Die anderen Sultansgeburtstage wurden nämlich nicht gefeiert, obgleich jedem der sich befehdenden siebenundzwanzig Kalifen bereits von seinen Anhängern ein Marmordenkmal gesetzt war, das man aus Berlin bezogen hatte.

Mitten in diese unklare politische Situation fiel Fritz mit seinem Lenkbaren nieder. Es konnte nicht wundernehmen, daß die Menge der herumstehenden Araber erregt war, denn sie hielten gerade eine Generalversammlung ab, in der die siebenundzwanzig Gegensultane eine Fusion beschließen wollten, eine Art Regierungsaktiengesellschaft zu gründen. Auf irgend eine Weise war ihnen dieser schlaue Gedanke gekommen, der ihnen allerdings von einem smarten Europäer eingeflößt war.

Wir haben im vorigen Kapitel Herrn Genendelsohn mit großer Freude wieder begrüßen und sein geschicktes Einspringen in die von Mrs. Krohn-Pikkleton geschaffene Lücke bewundern können. Nichts im Leben stählt den Mann so, wie das plötzliche Erfassen des Augenblicks, das beherzte Gegenübertreten einer Gefahr, das Ausnutzen einer günstigen Lage, kurz die Möglichkeit, auf seinen beiden Füßen fest zu stehen, wenn auch der Wind ein wenig stark bläst.

Man weiß bereits, aus dem Verfolg unserer Erzählung, daß es für Herrn Genendelsohn aus Wien keinen Wind gab, der zu stark blasen konnte. Ihn hob nichts aus dem Sattel und er hatte eine verteufelte Ähnlichkeit mit jenen geschmeidigen Dachtieren, die auf ihren nächtlichen Abenteuern manchmal vier Stock herunterpurzeln und doch auf die Füße fallen.

Bevor Herr Genendelsohn in die eigentümlich angelegte Ehe des Zeitgenossen Fritz Krohn und der Zeitgenossin Maud Pikkleton als Rechtsnachfolger eintrat, hatte er sich mittels drahtloser Telephonie, Fernsicht- und Sprechapparates mit einigen der marokkanischen Gegensultane in Verbindung gesetzt.

Zuerst nur, um ihnen die neueste Ausgabe von Meyers Konversationslexikon und eine in 89 Bänden erscheinende Geschichte der Berliner Siegesallee mit Illustrationen auf Monatsraten zu verkaufen. Aus den öfteren drahtlosen Schreib-, Sicht- und Sprechkonferenzen, die Genendelsohn von Monte Carlo aus abhielt, entwickelte sich ein intimes Verhältnis zwischen ihm und dem ersten Sekretär Sidi-Schmuh-Ali des tollkühnsten unter den Gegensultanen, des berühmten Mohamet-Ben-Gannef.

 

Gerade eine halbe Stunde, nachdem Mrs. Edith Genendelsohn-Krohn-Pikkleton from Chicago U. S. A. ihre zweite Ehe für ungültig erklärt hatte, wurde Genendelsohn vom Pageboy des Hotel de Paris ins Telephonzimmer gerufen. Sidi-Schmuh-Ali, mit dem Genendelsohn, weil er des Arabischen nicht mächtig war, in dem Idiom seiner galizischen Ahnen sprach, mußte ihn dringend konsultieren. Drüben war wieder einmal der Teufel los, und es war die Gefahr vorhanden, daß sich die Gegensultane gegenseitig wie die Löwen bis auf die Schwänze auffraßen.

»Warten Sie, Herr Sidi Schmuhleben,« sagte Genendelsohn drahtlos, »warten Sie, und sagen Sie zu Ihrem Chef, er soll die anderen noch hinhalten. Ich habe 'ne großartige Idee, aber so was kann man nicht telephonieren, da komme ich selbst. Übrigens, was ist das mit die dritten Monatsraten? Zwei habt Ihr bezahlt, wo bleibt das Geld?«

Aber Sidi-Schmuh schien abgehängt zu haben. Darauf packte Genendelsohn schnell seinen Koffer, ließ sich vom Portier ein 200-PS-Luftauto besorgen und gondelte fünfzehn Minuten später nach dem marokkanischen Dorf, das Mohamet-Ben-Gannef zu seiner Haupt- und Residenzstadt ernannt hatte.

Und nun gründete er die berühmte Aktiengesellschaft marokkanischer Sultane zum gegenseitigen Regierungsbetrieb.

Fritz aber fiel gerade in die konstituierende Generalversammlung mit seinem Lenkbaren hinein.

Zuerst war die Sachlage etwas peinlich. Mohamet-Ben-Gannef fluchte laut bei allen Derwischen der Wüste und murmelte leise Koransprüche, Sidi-Schmuh riß die Augen auf und das Wasser lief über seine dicken Negerlippen, als er Fritzens Begleiterin, Fräulein Lotte, erblickte. Die anderen Scheiks und Kalifen wiegten ihre dicken Bäuche auf den untergeschlagenen Beinen und starrten wie verhext auf die Eindringlinge und die selten geschaute Erscheinung eines gurkenartigen Luftschiffes. Fritzens Vehikel war nämlich grün lackiert und hatte in seiner etwas gekrümmten langen Form das Aussehen einer Salzgurke.

Wie schon angedeutet, war die Sachlage peinlich geworden. Wir wissen, daß ein jäh unterbrochenes Beginnen die schlimmsten Folgeerscheinungen hervorbringen kann, wenn man durch irgend ein unvorhergesehenes Ereignis im Essen gestört wird, passiert es leicht, daß einem der Happen im Halse stecken bleibt und dieser steckengebliebene Happen dann später die Ursache unangenehmer Magenverstimmungen wird.

Solch ein Happen war es, der der marokkanischen Aktiengesellschaft für gegenseitigen Regierungsbetrieb im Halse stecken blieb. Denn bei der Überraschung, die die Landung der beiden Europäer hervorgebracht, hatten die Araber vergessen, wie gewöhnlich zu Allah gen Osten zu blicken, und selbst Genendelsohn, der die Versammlung leitete und eben im Begriff gewesen war, die Arrangements für eine Anleihe in Deutschland vorzubereiten, erstaunte in einem fort, was sonst nicht seine Gewohnheit war.

Man soll auch in den schwierigsten Lagen des Lebens sowohl vorwärts wie rückwärts blicken, und die arabische Gesellschaft hätte auch gut daran getan, in die Luft zu schauen, eine Beschäftigung, die in unserem Zeitalter nicht mehr nur den Träumern und Idealisten reserviert ist. Don oben kommt uns das Heil und das Unheil und nicht bloß der seit Jahrhunderten sich treu bewährt habende Segen.

Erinnert sich die geehrte Leserschaft, daß durch Vermittlung des Herrn Ferencz von Söröny ein afrikanischer Sultan bei Fritz Krohn eine Luftschiffflottille bestellt hat?

Mit dieser Flottille kam der afrikanische Sultan, der der eigentliche Herrscher von Marokko war, in demselben Augenblick über die Köpfe seiner Gegensultane angeflogen, als sie auf die geniale Idee Genendelsohns hin eine Fusion auf Aktien gründeten und daran durch Fritzens plötzliche Landung gestört wurden.

Zuerst glaubten die edlen Araber, daß es regnete. Zwar regnet es in Marokko sehr selten und meistens regnet es überhaupt nur Sand, der heiß aus der wüste herüberweht. Irgend etwas tröpfelte auf ihre Köpfe. Sidi-Schmuh-Ali winkte den herumstehenden Eunuchen, daß sie Regenschirme holen sollten. Aber mit einem Male gab es einen furchtbaren Krach und eine Bombe explodierte gerade vor Mohamet-Ben-Gannef, der mit lauten Geschrei in die Luft flog. Gleichzeitig zappelte Sidi-Schmuh an einem großen Anker und es sah aus, als wenn ein riesiger Karpfen über der Wasseroberfläche an der Angelschnur hinge.

Der Kanonenschlag hatte endlich die edle Arabergesellschaft veranlaßt, zum Himmel zu blicken, was sie dort sah, ließ ihr Blut erstarren, ihre Glieder zittern, ihre Zähne klappern. Über ihren Köpfen kreiste eine ganze Flottille von Luftschiffen und aus dem Admiralsschiff schaute vergnügt das bärtige Gesicht S. M. des richtigen Sultans von Marokko hernieder, der sich jetzt den Spaß machte, mit langen seidenen Lassos die einzelnen siebenundzwanzig Gegensultane zu fangen und sie langsam in seine Gondel heraufzuziehen. Die meisten der Herren hielten die seidene Schnur um den Hals nicht allzulange aus und benutzten diese Luftreise, um gleich in ein besseres Jenseits hinüberzufliegen.

Die Generalversammlung löste sich selbstverständlich auf, alles stieb auseinander, Genendelsohn war der erste, der seine irdischen Reste sofort in Sicherheit gebracht hatte, nur Fritz Krohn, Generaldirektor aus Berlin, und Fräulein Lotte, ebendaher, blieben auf dem Schlachtfeld übrig.

Inzwischen hatte sich das Admiralsschiff mit dem alten Sultan herniedergelassen und Seine Majestät ließen sich huldvollst Herrn Fritz Krohn vorstellen. Da er ihm als Lieferant seiner Luftflotte erwähnt wurde, ernannte er ihn sofort zum Pascha mit sieben Roßschweifen und schmückte ihn eigenhändig mit dem Pavianorden zweiter Klasse (Brillanten um den Halbmond). Leider erwiesen sich die Brillanten später als eine zwar vorzügliche Imitation, aber immerhin als eine Imitation.

Lotte war bei dieser kurzen Entrevue bescheiden im Hintergründe geblieben, bis Seine Majestät plötzlich einen huldvollen Blick auf sie warf. Dann nickte Seine Majestät, drehte sein heiliges Antlitz ein wenig nach Osten und eine Schar von weißbeburnusten Dienern umringte Fräulein Lotte, die wie hinter einer Mauer verschwand. Ehe sie es noch ahnen konnte, hatten die Eunuchen sie in die Gondel gehoben, wo sie in dem Harem, der im hinteren Teil eingerichtet war, verschwand. Seine Majestät nahmen auf allen Reisen seinen Harem mit und konnten sich auch in der Luft nicht von seinen Frauen trennen.

Dann drückte der alte Sultan seinem neuen Freund Fritz Krohn die Hand, die Araber fielen auf die Erde und küßten den Staub. Die Ruhe war im Lande wiederhergestellt und vorläufig gab es keinen Gegensultan mehr. Die englischen, französischen und deutschen Botschafter schrien dreimal »Hip Hip«, »Vive l'empereur« und »Hurra«, und Seine Majestät entschwanden siegreich auf dem Admiralsschiff in die Lüfte, um in seinem Palast die Schönheit von Lotte aus dem Bayrischen Viertel in Berlin W.W. auszukosten.

Somit wäre wieder einmal alles recht schön und gut gewesen und Fritz hätte endlich in Ruhe sein Leben genießen können. Er hätte jetzt als kaiserlich marokkanischer Pascha sein Amt verwalten, hätte im Kreise der ihm von dem Sultan als Gegendedikation für Lotte übermittelten dreizehn Kabylendamen wie Gott in Frankreich wirken können, er wäre sogar mit der Zeit und bei seiner Veranlagung Großvezier des alten Sultans geworden, wenn die Bombe, die in die Generalversammlung geworfen war, nicht Mohamet-Ben-Gannef, sondern Herrn Genendelsohn aus Wien getroffen hätte. So aber wollte das Schicksal nicht, daß Fritz ruhig sich des Restes seiner Tage erfreue, sondern es wollte es anders.

Wie das Meer ist das Leben der Menschen: Stete Bewegung auf der Oberfläche und aus den Tiefen unergründliche Überraschungen.

Nach einiger Zeit – er hatte gerade die nähere Bekanntschaft der elften Frau seines Harems gemacht – lag Fritz in dem ihm zur Verfügung gestellten Palast eines Mittags auf dem Diwan und rauchte eine dicke Importzigarre, die er noch von seinem Schwiegervater Mr. Pikkleton geerbt hatte. Er lächelte gerade höchst vergnügt über eine Ansichtskarte, die er in der Hand hielt, und die er am selben Tage von Lotte aus dem Sultanspalast erhalten hatte: Lotte als Odaliske frisiert, vor Seiner Majestät bauchtanzend.

Der arabische Diener rutschte auf den Füßen zu Seiner Exzellenz Sidi Krohn Pascha und schlug dreimal mit dem Kopf auf die Steinfliesen, daß Fritz, der an diese orientalischen Dickköpfe immer noch nicht gewöhnt war, erschreckt glaubte, im nächsten Augenblick den ganzen Inhalt des Araberschädels vor sich fließen zu sehen. Der Diener reichte Sr. Exzellenz eine Karte auf einem goldenen Teller und erhob sich, indem er fragend seinen Herrn anblickte.

Niemand konnte erstaunter in die Welt und auf die Karte blicken, als Fritz. Da übrigens in der großen Halle außer ihm nur der Araber atmete, behandelte es sich in der Tat darum, daß einer von diesen zweien sein Erstaunen zum Ausdruck bringen mußte. Der Diener hatte aber weder einen Grund noch die Pflicht, seinen edlen Maurenzügen irgend eine andere Miene zu verleihen, als die eines ruhigen Abwartens.

Also blieb es als logische Folge nur Fritzen übrig, erstaunt zu sein, wozu er auch mit Recht befugt war.

Auf der Visitenkarte stand in elegantem Kupferdruck:

 

Maurice Genendelson
Représentant de la Compagnie internationale
du Casino »Au désert marokkain«
Hammam R'Uma
près Fes
au bord du désert Sahara.

 

Seine Exzellenz Sidi Fritz Krohn Pascha mit den sieben Roßschweifen winkte dem Diener gütigst mit der Hand. Die schweren seidenen Vorhänge teilten sich und herein trat Herr Genendelsohn, dem Söröny folgte, begleitet von einer in auffallender Pariser Toilette gekleideten Dame.

Es wäre nun zu schrecklich, wenn jetzt irgend etwas eintreten würde, das die Spannung, in die die Leserschaft allmählich gesetzt worden ist, unliebsam vergrößerte. Zum Beispiel hätte in diesem Augenblick ein Erdbeben beginnen können oder es wäre ein Löwe auf der Terrasse des Palastes erschienen. Beides müßte die Begrüßung, die von allen Beteiligten gleich herzlich schien, natürlich unterbrechen.

Wir können aber verraten, daß die drei Herrschaften (die Dame war, wie wohl zu erraten ist, Madame Mia Pippa, die inzwischen ihre dichterischen Qualitäten zugunsten einer Pariser Aufmachung von sich gegeben hatte) zu ihrem alten Freund gekommen waren, um ein großes Riesenprojekt durchzusetzen, das Genendelsohn sofort nach dein Mißglücken seiner Gegensultans-A.-G. inszenierte.

Sidi-Schmuh-Ali hatte es nämlich noch drei Minuten vor seiner endgültigen Einrichtung möglich gemacht, Herrn Genendelsohn ein großes Terrain am Rande der Wüste zu verkaufen, das schon vor vielen Jahren auf Spekulation von ihm erworben war. Auf diesem Areal wollte Genendelsohn sofort ein Riesenhotel mit allem europäischen Komfort erbauen lassen und daneben ein Kasino, das an Pracht das von Monte Carlo bei weitem übertreffen sollte. Alles würde glänzend und luxuriös eingerichtet. Nun war der Augenblick gekommen, wo er die Menschheit mit seinem Unternehmen beglücken wollte. Dazu brauchte er die Konzession des Sultans und diese konnte er nur durch Fritz oder Lotte bekommen.

Nicht lange dauerte es, bis Genendelsohn seinen Zweck erreichte. Fritz war begeistert und freute sich, daß in das langweilige orientalische Leben endlich »Betrieb« käme. Lotte, die an einem schönen Mondscheinabend dem alten Sultan die Erlaubnis zur Konzession mit ihren zarten Fingern gleichsam um den Mund geschmiert hatte, bekam von ihrem Herrn und Gebieter Urlaub für sechs Wochen.

So war allen gedient: Genendelsohn hatte die Spielgerechtsame, Fritz endlich »Betrieb«, der Sultan eine neue Einnahmequelle, was für ihn übrigens der letzte Rettungsanker war, Lotte Urlaub (ihr war die Haremsgeschichte ebenso überdrüssig geworden, wie sie dem Sultan) – Söröny und Mia Pippa als Begleiterscheinungen nützten die Situation ihrerseits aus, indem er als Subdirektor und sie als weiblicher Geheimagent figurierte. – Die beiden hatten sich in jedem Falle zusammengetan und bildeten eine Klasse für sich.

Es war Genendelsohn wieder einmal der große Coup geglückt und wir werden nun im folgenden Kapitel mit Staunen von den weiteren Ereignissen vernehmen.


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